Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:

Der_Campus

.pdf
Скачиваний:
32
Добавлен:
24.03.2015
Размер:
2.49 Mб
Скачать

freund. Wenn doch Bauer endlich kommen wü rde, mit dem er die Sache durchsprechen kö nnte!

Er warf die Akte Brockhaus miûmutig auf den Tisch, als die Tü r aufging. Aber herein kam nicht Bauer, sondern eine junge Frau mit dunkler Pagenfrisur, knabenhafter Figur und einer riesigen Segeltuchtasche voller Manuskripte und Bü cher.

»Guten Tag. Bin ich hier richtig im Disziplinarausschuû?« Ihre Stimme klang erstaunlich tief. Eine Garç onne! Bernie nickte.

Sie warf ihre Tasche mit einer schwungvollen Bewegung auf den Tisch.

»Ich heiûe Hopfenmü ller, Alice«, sie sprach mit bayrisch-sü d- deutschem Akzent, da war der Name kein Wunder, »und ich bin hier die neue Assistentenvertreterin. FRAGENS MICH NET. Fragen Sie mich nicht, wieso. Ich bin neu in Hamburg. Ð I WOAS NIX

Damit lieû sie sich auf den Stuhl hinter ihrem Gebirge von Tasche fallen und läc helte knä bisch.

In Bernies Seelenhohlraum richtete sich in Sekundenschnelle die Figur des mä nnlich-ü berlegenen Erklä rers auf und straffte seine miûmutig zusammengesunkene Gestalt zu einem Meter fün fundachtzig respektabler Lebensgröû e. Er reichte der Knä bin die Hand ü ber den Tisch.

»Ich bin Bernd Weskamp, der Ausschuûvorsitzende. Sind Sie sicher, daû Sie in diesen Ausschuû gewä hlt worden sind?« Als sie ihn groû ansah, fuhr er fort: »Dies ist nä mlich genaugenommen der Disziplinarunterausschuû auf Fachbereichsebene.«

»Fachbereich nennt's ihr hier die Fakultä t?«

NENNT'S IHR HIER! Bernie kam sich vor wie in einem Heimatfilm, von fern hö rte er die Kuhlocken lä uten, und seine Seele schwang sich in die freie Bergluft, die Vreni und die Froni und die Alice! Jetzt erinnerte er sich.

»Ja, natü rlich, Alice Hopfenmü ller. Sie sind auch in den groûen Disziplinarausschuû gewä hlt worden.«

41

Er wüh lte in den Akten und holte die Mitteilung des Wahlamtes hervor.

»Verstehen Sie, der Unterausschuû arbeitet nur als Vorschaltgremium fü r den groûen Disziplinarausschuû der Universitä t. Die verschiedenen Unterausschü sse der Fachbereiche Ð der Fakultä ten Ð machen die Voruntersuchung und Tatsachenfeststellung und sprechen Empfehlungen aus. Der groûe Ausschuû fä llt dann nach einer Anhö rung der Betroffenen die Entscheidung.«

»Oh, dann muû ich also in beide Ausschü sse?« Angstvoll-ver- trauensvolle Miene.

Jetzt beruhigend-vertraulicher Bariton. »Nun, diese Personalunion hat sich bewä hrt. Aber keine Angst, der groûe Ausschuû tagt nur einmal pro Semester. Und ich werde diese Gewohnheit nicht ä ndern.«

Mit dieser Bemerkung flocht Bernie beilä ufig ein, daû er dar- ü ber zu bestimmen hatte.

»Sind Sie denn auch der Vorsitzende des groûen Ausschusses?« »Man hat mich leider dazu verdonnert.«

Bernie zog die Schultern hoch, als er das sagte, winkelte den Unterarm an und drehte die offenen Handfläc hen nach auûen. Diese Geste hatte er von seinem Doktorvater kopiert. Sie drü ckte die Resignation vor der Unvermeidlichkeit aus, mit der andere einem eine widerwillig akzeptierte Verantwortung auf die Schultern legen. Ü berdies signalisierte sie den Humor des komisch Verzweifelten, der gleichwohl einsah, daû er die Last aufsich nehmen muûte, weil er einfach der beste Mann war. Man schuldete der Ö ffentlichkeit den Dienst. Und war nicht die Universitä t eine heilige Institution, die Wohnstä tte des Geistes, die Heimstatt der Forschung und der Wissenschaft, wo es nur um ü berpersö nliche Werte ging? Da war es einfach eine Pflicht, ü berarbeitet, ü beranstrengt und ü berbeansprucht zu sein. Er wü rde diese Alice einfach zu seiner Verbün deten machen, dachte Bernie in einer plö tzlichen Eingebung, als er noch mal auf die Mitteilung des Wahlamts blickte.

»Ich sehe, Sie sind Historikerin. Bei Schä fer?«

42

Sie nickte.

»Sehr schö n, der ist vernün ftig. Hö ren Sie zu: Wenn Sie in beiden Ausschü ssen sind, werden Sie eine wichtige Figur. Natü rlich sind Sie eine Quotenfrau. Das macht nichts, das macht nichts!« nahm er ihren Protest vorweg. »Das macht Sie fü r andere unangreifbar. Natü rlich macht es Sie zugleich zur Gefangenen der Feministinnen. Ich sag Ihnen, wie Sie damit am besten zurechtkommen. Sie halten sich an die Partei der Vernunft, das sind Rolf Bauer und ich Ð mit Ihnen sind wir drei. Also die Hä lfte des Ausschusses, und ich als Vorsitzender gebe den Ausschlag Ð und wir stü tzen dafü r Ihre Fassade als Vertreterin der Feministinnen, ohne daû sie alles tun mü ssen, was die wollen. Sagen Sie jetzt nichts, aber wundern Sie sich nicht, daû wir Sie hemmungslos ins Vertrauen ziehen.« Sie hatte ihm mit offenen Augen zugehö rt. Plö tzlich brach sie in schallendes Geläc hter aus. »Mei, Sie san aber intrigant. Und so offen. Ja, ich schlag ein.«

Zu Bernies Verblü ffung stand sie auf und gab ihm schwungvoll die Hand, wie nach einem abgeschlossenen Kuhhandel auf dem Viehmarkt. Im selben Moment ging die Tü r auf, und Professor Köb ele trottete herein, ein kleiner, drahtiger, grauhaariger Terrier kurz vor der Emeritierung, gefolgt von der blonden Siegfriedsgestalt des Dr. Gerke und der in ausgebleichten Jeansstoff gehü llten Jammerfigur des Studenten Fä rber, die Bernie immer an eine blau angelaufene Kä serinde erinnerte.

Nachdem sich alle mit viel Geraschel um den Tisch gruppiert hatten und Bernie die Sitzung erö ffnet hatte, ergriff Dr. Gerke das Wort, indem er dabei zaghaft die Hand hob.

»Ich

mö chte

Professor Bauer entschuldigen«, er zwinkerte da-

bei so

nervö s,

als ob er eine furchtbare Unanstä ndigkeit aussprä -

che. »Er hat mich angerufen und ist wegen eines Prü fungstermins verhindert. Und dann mö chte ich den Vorsitzenden bitten, die Sitzung noch nicht zu erö ffnen.« Damit schwieg er bedeutsam und preûte die Lippen zusammen.

43

Bernie kannte Gerke. Er erwartete nichts Gutes von ihm. Niemand erwartete Gutes von Gerke. Gerke war die wandelnde Entropie, der absolute Wä rmetod, die sinnlose Stagnation. Wo er sprach, breitete sich Wü ste aus. Selbst die Ü berleitungskommission hatte sich nicht entschlieûen kö nnen, Gerke zum Professor zu ernennen, und von da ab hatte er sich auf das Lahmlegen von Gremien spezialisiert. Und dabei hatte er es zu einer fast genialen Fertigkeit gebracht. In wenigen Sekunden konnte er den Schrecken vö lliger Desorientierung verbreiten. Ein gezielter Einwurf, dessen Sinn durch die Verweigerung jeder weiteren Erlä uterung in nachtschwarzes Schweigen gehü llt wurde, konnte so töd lich lahmen wie der Biû einer Kobra.

Bernie füh lte die bekannte Wut in sich aufsteigen, die Gerke immer wieder in ihm erregte.

»Sie haben sicher Grün de dafü r, daû ich die Sitzung nicht erö ffnen soll«, sagte er mit schwerer Ironie.

»Das mö chte ich nicht begrün den«, murmelte Gerke. Die Alarmglocken schrillten bei Bernie.

»Dann kann ich darauf keine Rü cksicht nehmen. Ich erö ffne also die Sitzung«, fuhr er fort, »ja, Herr Gerke?«

Dr. Gerke hatte beide Arme gehoben. Das bedeutete, er wollte einen Antrag zur Geschä ftsordnung stellen, und dann muûte man alles andere unterbrechen.

»Ich weiû zwar«, flü sterte er zwinkernd, »daû wir noch nicht in die Tagesordnung eingestiegen sind, aber das ist ja das Problem. Eine neue Person ist unter uns, und bevor wir nicht die Rechtmä - ûigkeit ihrer Wahl zur Vertreterin der Assistenten festgestellt haben, kö nnen wir nicht ü ber vertrauliche Dinge verhandeln. Das geht nicht gegen Sie persö nlich«, wandte er sich an Alice, »aber«, und jetzt bö se und zwinkernd zu Bernie gewandt, »der Vorsitzende hä tte uns die Wahl mitteilen mü ssen, damit wir vorher ihre Rechtmä ûigkeit hä tten prü fen kö nnen.«

»Dann holen wir das doch jetzt nach«, bellte plö tzlich Professor Köb ele.

44

Ganz ü berraschend gab Gerke sofort nach.

»Wenn Professor Köb ele das fü r rechtmä ûig hä lt, will ich meine Bedenken nicht weiter aufrechterhalten.«

»Dann kann ich ja erö ffnen. Zunäc hst begrü ûe ich als neues Mitglied unter uns Frau Dr. Alice Hopfenmü ller vom historischen Seminar. Sie ist rechtmä ûig von der Gruppe der Assistenten im Verfahren der Nachwahl gewä hlt worden, und zwar als Ersatz fü r Dr. Vahrenholt, der einem Ruf an die Universitä t Bonn gefolgt ist. Ich bitte Sie«, an Alice gewandt, »den vorherigen Disput als rein verfahrenstechnische Klä rung zu verstehen, die nichts mit Ihrer Person zu tun hat. Wir alle heiûen Sie, Frau Hopfenmü ller, in unserem Kreis ganz herzlich willkommen...« drö hnte Bernie. Dann

galoppierte

er,

ungestö rt von

weiteren Zwischenfä llen, durch die

Erö ffnung,

die

Mitteilungen,

die Anfragen, die Verabschiedung

des Protokolls und die Feststellung der Tagesordnung. Der blä uliche Student hatte seine Arme ellbogengespreizt auf den Tisch gelegt und sein bä rtiges, von fettigen Haaren umrahmtes Haupt auf die verschrä nkten Hä nde gebettet. Alice schaute Bernie aufmerksam an, Gerke las konzentrierten Ausdrucks in geheimnisvollen Rechtsverordnungen, und Professor Köb ele hatte damit begonnen, mit bloûen Hä nden Nü sse zu knacken und die Schalen auf einem ausgebreiteten Exemplar des New York Review of Books zu sammeln.

»Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt fün f, dem Fall Brockhaus.«

Krach, machte die Nuû von Professor Köb ele.

Da fuhr der magere Student Fä rber plö tzlich mit dem Kopf hoch und blaffte:

»Also das ist echt irgendwie faschistisch, dieses Geknacke, wissen Sie?«

Mit Köb ele vollzog sich eine erstaunliche Wandlung. Wie an Schnü ren gezogen stand er auf und haute mit solcher Gewalt mit der flachen Hand auf den Tisch, daû Fä rber zurü ckfuhr und die leeren Nuûschalen in die Hö he sprangen.

45

»Faschistisch?« brü llte Köb ele mit einer Stimmgewalt, die dem kleinen Mann niemand zugetraut hä tte. »Faschistisch?« wiederholte er. »Sie wissen gar nicht, was das Wort bedeutet. Sie wissen ü berhaupt nicht, was Worte bedeuten. Sie richten unter den Worten ein Massaker an. Sie haben aus der Universitä t ein Massengrab der Worte gemacht. Ich habe genug davon. Ich habe gesehen, wie meine Seminare zu Versammlungen kaugummikauender, zotteliger, stammelnder Hö hlenbewohner wurden. Ich habe in Ausschü ssen gesessen, wo ich mich von analphabetischen Rü peln anpöb eln lassen muûte, gegen die King Kong ein verfeinerter Hö fling war. Ich habe mich dazu hergegeben, so zu tun, als ob das sinnlose Gefasel einer Horde unartikulierter Paviane eine philosophische Diskussion wä re. Ich habe mich schwer an dieser Universitä t versün digt, indem ich das alles mitgemacht habe, ohne meine Kleider zu zerreiûen und offen zu verkün den, daû Neandertaler wie Sie nicht auf die Universitä t gehö ren.« Wieder hieb er mit der flachen Hand auf den Tisch, daû die Nuûschalen tanzten. »Aber weiter gehe ich nicht«, schrie er. »Von Hilfsbü tteln der Gesinnungspolizei wie Ihnen lasse ich mir nicht verbieten, eine Nuû zu knacken. Dazu haben Sie das Recht verwirkt.« Wieder ein Schlag auf den Tisch. Köb ele hatte den Kopf wie ein Stier gesenkt. Man konnte das Weiûe seiner Augen sehen. Sein flammender Blick hatte Fä r- ber aus dem Sitz gehoben. Er wuûte nicht, wie er dieser stä hlernen, konzentrierten Wut begegnen sollte.

»Das«, brü llte

Köb ele und hieb mit seiner

blanken Faust auf

eine Nuû, daû

sie in Trü mmern zerbarst, »das sollte ich mit

Hundsfö ttern wie Ihnen machen.«

 

Hundsfö ttern!

Den Plural von »Hundsfott«

hatte Bernie noch

nie gehö rt. Welch ein Wort! Das muûte seit 1830 auûer Gebrauch sein.

Die Gewalt dieses Ausbruchs hatte alle ü berrascht. Fü r eine Sekunde stand Fä rber schwankend wie ein Rohr, dann griff er seine Tasche, drehte sich um und ging wortlos aus dem Sitzungszimmer. Gerke stand auf und folgte ihm.

46

»Ich hole ihn zurü ck«, sagte er.

»Wenn Sie auch noch gehen, sind wir nicht mehr beschluûfä - hig«, rief Bernie ihm nach, aber er wuûte ja, daû Gerke eben das erreichen wollte, und beschloû, ihn zu ignorieren.

»Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt fün f, dem Fall Brockhaus.«

Weiter kam er nicht, denn die Tü r ging auf, und Gerke erschien wieder.

»Ich beantrage, den Tagesordnungspunkt fün f, den Fall Brockhaus, zurü ckzustellen«, sagte er, noch bevor er sich gesetzt hatte, »und Tagesordnungspunkt sechs, den Fall Fiedler, vorzuziehen«, fuhr er zwinkernd fort. »Herr Fiedler ist nä mlich anwesend. Er mö chte zu seinem Fall aussagen, und ich finde es nicht fair, ihn lange warten zu lassen. Ich betone, daû ich mich nicht mit Fiedler abgesprochen habe. Ich habe Fiedler in dieser Woche noch gar nicht gesehen.« Heftiges Zwinkern. »Aber, man sollte meinen, das ganze Verfahren ist schon Belastung genug fü r Herrn Fiedler.«

Da hatten sie den näc hsten Irren! Bernies

Hirn

arbeitete mit

Hö chstgeschwindigkeit. Natü rlich hatte Gerke

ihn

bestellt. Aber

beide wü rden das leugnen. Sein Fall war noch gar nicht zur Anhö - rung gediehen. Aber wenn er ihn jetzt zurü ckwies, wü rde Fiedler entweder einen chaotischen Auftritt aufs Parkett legen, oder Gerke wü rde aus Protest den Ausschuû verlassen, und dann wä ren sie mit drei Mitgliedern nicht mehr beschluûfä hig.

Da hob Alice die Hand. »Ja bitte?«

»Ich mö chte den Antrag von Herrn Gerke auf Umstellung der

Tagesordnung unterstü tzen und beantrage,

Herrn

Professor

Fied-

ler hereinzubitten.«

 

 

 

War das Naivitä t oder Strategie? Bernie

hatte

jetzt keine

Zeit,

darü ber nachzudenken.

 

 

 

»Gut, ich lasse ü ber den Antrag abstimmen.« Er hob selbst die Hand und schaute sich um. Alle Hä nde waren oben. »Das ist die Mehrheit. Herr Gerke, wü rden Sie Herrn Fiedler hereinbitten?«

47

Gerke tat nichts lieber.

Fiedler setzte sich an das gegenü berliegende Kopfende. Offizierstyp, gerader Rü cken, kurzes, graublondes Haar, Oberlippenbart, graublaue Augen, gerader Blick, knappe Verbeugung.

»Herr Vorsitzender, meine Dame, meine Herren! Ä uûerste Verbundenheit fü r Entgegenkommen, mich anzuhö ren.«

Fiedler bediente sich einer Art Funkersprache, die noch aus der Marine des Kaiserreichs zu stammen schien.

»Fall dü rfte bekannt sein. Fachbereichssprecher weigert sich, Doktorarbeit auf spanisch entgegenzunehmen. Beruft sich auf Promotionsordnung, die Deutsch vorschreibt. Habe auf Ausnahmeregelung verwiesen, nach der auch Spanisch mö glich ist. § 12, Absatz 1. Beiûe auf Granit. Habe daraufhin festgestellt, daû vergleichbare Deutschtü melei nur im Dritten Reich ü blich war.«

Bernie versuchte, das Durcheinander zu ordnen.

»Lieber Herr Fiedler, Sie haben uns durch Ihr Erscheinen zu einer gewissen Unorthodoxie veranlaût. Die Kommission hat die Tatbestandsfeststellung noch keineswegs abgeschlossen. Ihre Anhö rung ist also fü r spä ter vorgesehen. Da Sie aber nun mal hier sind, kö nnen wir das vielleicht zur wechselseitigen Klä rung benutzen.«

Er machte eine Pause und blä tterte in seinen Papieren.

»Die Auslegung der Promotionsordnung, die zwischen dem Fachbereichssprecher und Ihnen strittig ist, ist nicht Gegenstand der Erö rterung durch den Ausschuû, sondern dient nur als Motivhintergrund fü r den eigentlichen Anlaû, der zum Antrag auf ein Disziplinarverfahren gegen Sie gefüh rt hat.«

»Das ist doch eine maûlose Heuchelei!« Gerkes Gesicht verfiel wieder in Zucken und Zwinkern.

»Wie bitte?«

»Eine maûlose Heuchelei nenne ich das. Wir wissen alle, daû Sie persö nlich Ð ja, ich meine Sie persö nlich Ð die Promotionsordnung genauso auslegen wie der Sprecher. Sie sind also Partei.«

»Quatsch«, lieû sich Köb ele wieder vernehmen, »die Ausnah-

48

meregelung betrifft nur Einzelfä lle. Sie wollen aber eine Ausnahmeregelung fü r eine ganze Sprache, nä mlich Spanisch«, fuhr er, an Fiedler gewandt, fort, »dann kommen aber die Slawisten, die Skandinavisten, die Finno-Ugristen und wollen dasselbe. Und daû das nicht geht, wissen Sie so gut wie ich. Wenn Sie Doktorarbeiten kün ftig auf polnisch schreiben lassen, dann haben Sie aus der Promotionskommission vorweg alle Mitglieder ausgeschlossen, die nicht Polnisch kö nnen. Und das widerspricht dem Gebot der interdisziplinä ren Zusammensetzung.«

»Aber um diese Auslegung geht es nicht«, fuhr Bernie fort, »sondern die Kommission hat sich mit dem Vorwurf zu beschä ftigen, Herr Fiedler hä tte seine Studenten dazu angestiftet, die Exponate einer vom Fachbereichssprecher besorgten Ausstellung zum Spä tmittelalter mit Hakenkreuzen und der Aufschrift -Nazi¬ oder -Nazischwein¬ zu versehen. Auûerdem liegt dem Ausschuû ein Brief an den Leitenden Verwaltungsbeamten Seidel vor, in dem Herr Fiedler den Fachbereichssprecher als typischen Vertreter vö l- kischer Sprachwissenschaft bezeichnet. Herr Fiedler, wollen Sie vielleicht jetzt schon zu diesen Vorwü rfen Stellung nehmen?«

Fiedler reckte den Hals und blickte vergnüg t um sich. »Weise Vorwurf zurü ck, Hakenkreuzschmierereien inspiriert zu haben. Das andere Ð Kennzeichnung von Fachbereichssprecher als vö lkischen Sprachwissenschaftler Ð kann ich nur als gewaltiges Miûverstä ndnis bezeichnen. Ist kein Vorwurf, ist ein Kompliment.«

Bernie verschlug es die Sprache, Köb ele lieû die Kinnlade fallen, und Alice unterdrü ckte einen Lachanfall. Fiedler stellte sich selbst auf die Position, die er gerade angegriffen hatte. Um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, nahm er es in Kauf, selbst als Vö lkischer zu gelten. Am Ende meinte er es sogar ernst! Oder war es die Schlä ue des Irren, der die Vernün ftigen mit seinem Irrsinn narrt. Diese Typen sind unschlagbar, dachte Bernie, weil niemand sie berechnen kann. Sie nehmen ü berhaupt keine Rü cksicht auf ihre eigene Reputation.

»Darf ich das so fü r das Protokoll festhalten?«

49

»Ja.« Fiedler stand auf. »Damit dü rfte das Disziplinarverfahren gegenstandslos geworden sein.«

»Das gibt der Sache zweifellos eine neue Wendung«, antwortete Bernie vorsichtig. »Aber Sie werden verstehen, daû wir uns erst im Ausschuû beraten mü ssen.«

Fiedler verbeugte sich knapp, drehte auf dem Absatz um und verschwand frohgemut durch die Tü r. Bernie wollte gerade den Ausschuû bitten, ihn zu ermäc htigen, nach diesem Auftritt Fiedlers Rü cksprache mit der Rechtsabteilung der Universitä t zu nehmen, als die Tü r wieder aufgerissen wurde. Herein strö mte eine Horde von acht bis zehn Studenten, an ihrer Spitze Student Fä r- ber. Sie bauten sich wie ein Chor vor dem hinteren Ende des Tisches auf, an dem gerade noch Fiedler gesessen hatte.

»Das kann ja wohl irgendwie nicht angehen, was hier mit dem Studentenvertreter passiert.«

»Das ist echt Scheiûe, finden wir das!«

»Das ist ja wohl der letzte Scheiû, den die Profs hier abziehen!« Bernie ü berlegte. In diesem Chaos konnte er den Fall Brockhaus

nicht lö sen. Dazu brauchte er eine entspannte Atmosphä re. Also wü rde er bis nach dem Essen warten, dann war vielleicht auch Bauer wieder da. Und die Horde Studenten wü rde bestimmt nicht wieder kommen. Plö tzlich füh lte er Mitleid mit ihnen. Sie hatten das Licht gesehen und hatten Leute gefunden wie Gerke und Fiedler. Ihre einzigen Freunde waren Mä nner wie Köb ele, der ihnen sagte, wer sie waren: Hö hlenbewohner, die an den Wä nden, entlangtasteten, Einä ugige und Blinde, gegen die Polyphem ein brillanter Aufklä rer war. Und plö tzlich sah Bernie sich selbst in der Hö hle, und am Eingang winkte das Mä dchen mit dem blauen und dem grün en Auge.

»Ich stelle fest, daû die Sitzung durch ein Go-In unterbrochen ist, und vertage auf 14 Uhr.«

-Krach.¬ Köb ele hatte wieder eine Nuû geknackt.

»Jetzt darf ich ja wohl«, krä hte er wohlgelaunt und steckte sich die Trü mmer des Walnuûkerns in den Mund.

50

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]