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Lffler_Dialektologie

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8Dialekt - Mundart: Definitionsprobleme

suchungen, die solche Hypothesen empirisch nach sprachlichen Kriterien nach-

weisen, noch aus.

Allen Einteilungsprinzipien ist gemeinsam, dass Dialekt nie aus sich selbst heraus definiert wird. Eine Merkmalsbeschreibung von Dialekt ist immer nur als eine Abgrenzung von Nicht-Dialekt möglich. Die Relation zu Nicht-Dialekt, d.h. zur Einheitssprache, kann eine Teil-Ganzes-Relation sein oder auch eine Bezie- hung der hierarchischen Unterordnung. Die Merkmalsbeschreibung von Dialekt geschieht also auf dem Hintergrund der Merkmalsbeschreibung von Hochsprache, wobei für beide jeweils identische Kriterien angewendet werden müssen.

Die Schwierigkeit der Definition von Dialekt und Mundart und die sehr verschiedenen Verwendungsweisen beider Begriffe resultieren aus der Vielfalt der Kriterien und deren achtlosen Vermischung. Eine solche liegt offensichtlich vor in der Einteilungsreihe: Mundart - Halbmundart - Umgangssprache - Hochsprache (Bach [I] § 3). Hier sind mindestens fünf, wenn nicht gar alle Kriterien in unterschiedlicher Weise den einzelnen Begriffen zugeordnet.

Mundart

historisch echt (4.), nur von Bauern gesprochen (3.), räumlich begrenzt (5.), familiär (2.);

Halbmundart

gegenüber Mundart in einzelnen sprachlichen Merkmalen abgewandelt, oft als Defekt (1.), räumlich erweiterter Kommunikationsradius (6.);

Umgangssprache

gegenüber der Hochsprache durch einzelne sprachliche Merkmale abgewandelt, oft als Defekt (1.), sonst gleiche Kriterien wie Hochsprache (vgl. U. Bichel

[58]);

Hochsprache

historisch entstanden aus den Mundarten (4.), von sozial höheren Schichten gesprochen (3.), überregional (5.), öffentlich (2.), größte kommunikative Reichweite (6.).

Neben einer solchen Stufenleiter innerhalb des Spannungsbereichs von Dialekt und Hochsprache stehen noch eine Reihe weiterer Begriffe, die jeweils einen Ausschnitt der Kriterien abdecken, z.B. Schreibdialekt, historischer Dialekt, Kloster-

dialekt, Bauerndialekt etc.

Schließlich ist noch zu prüfen, ob bei einem der sechs Abgrenzungskriterien Dialekt von Mundart unterschieden wird. In der Regel werden beide Wörter synonym gebraucht, wie auch in diesem Bändchen. Wenn gelegentlich unterschieden wurde (vgl. Socin [63] und Grinun [90]), dann war Dialekt die generellere Variante, während Mundart mehr für Ortsdialekt oder für die mündlich realisierte Sprechsprache genommen wurde, gewissermaßen als die Performanzseite eines landschaftlichen Sprachsystems. In diesem Sinne wird vor allem im

Dialekt - Mundart: Definitionsprobleme 9

niederdeutschen Gebiet der Ausdruck Platt{deutsch) für Mundart oder landschaftliche Sprechsprache überhaupt gebraucht. Ursprünglich bedeutete plat dytsch lediglich "verständliches Deutsch". Nach Aufkommen der Schriftsprache wurde es dann synonym für Niederdeutsch gebraucht und schließlich für Mundart (Kluge [SI] 554).

Die neuere Linguistik versucht in ihrem Bestreben, die Terminologie dem internationalen Gebrauch anzupassen, Dialekt ausschließlich nach 1. und 5. zu definieren, das heißt als eine Systemvariante von geringerem Gewicht und von räumlich begrenzter Geltung. Mundart wird der traditionellen Mundartforschung zugewiesen, gewissermaßen als nichtlinguistischen Aspekt der Dialektologie.

Zum Schluss sei wenigstens ein Versuch genannt, Mundart oder Dialekt unter Berücksichtigung möglichst vieler Kriterien zu definieren (Sowinski [59] 180): "Mundart ist stets eine der Schriftsprache vorangehende, örtlich gebundene, auf mündliche Realisierung bedachte und vor allem die natürlichen, alltäglichen Lebensbereiche einbeziehende Redeweise, die nach eigenen, im Verlaufe der Geschichte durch nachbarmundartliche und hochsprachliche Einflüsse entwickelten Sprachnormen von einem großen heimatgebundenen Personenkreis in bestimmten Sprechsituationen gesprochen wird."

Eine Beschäftigung mit Mundart muss die zahlreichen Aspekte, unter denen man sie verstehen kann, immer gegenwärtig haben, auch wenn die Forschung, wie der nachfolgende Überblick zeigen soll, jeweils nur einen oder wenige Aspekte in den Vordergrund des Interesses gerückt hat.

[45]Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, 16 Bde. 1854-1954, Bd. 6,

S. 26831. (1885) "Mundart"

[46]E. Leser, Fachwörter zur deutschen Grammatik von Schottel bis Gottsched. In:

Zeitschrift für deutsche Wortforschung 15, 1914, S. 1-89, (bes. MundartDialekt

-Idiom S. 61.)

[47J Emil Vetter, Handbuch der italischen Dialekte. Heidelberg 1953

[48]Walter Henzen, Schriftsprache und Mundart. Ein Überblick über ihr Verhältnis und ihre Zwischenstufen im Deutschen. Bern 1939, 31965

[49]Albert Thumb, Handbuch der griechischen Dialekte. Heidelberg 21959

[50]Karl Ernst Georges, Lateinisch-deutsches Handwörterbuch. Hannover 111962

(dialectos: I, 2128)

[51]Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Bearb. von Elmar Seebold. Berlin 222002

[52]Hans Glinz, Linguistische Grundbegriffe und Methodenüberblick. Bad Homburg

v.d. H. 1970

[53]Walther von Wartburg, Einführung in die Problematik der Sprachwissenschaft. Tübingen 31970

[54]Klaus Heger, Sprache und Dialekt als linguistisches und soziolinguistisches

Problem. In: Folia Lingustica 3, 1970, S. 46-67

[55]Frederick B. Agard, Language and Dialect: Some tentative postulates. In: Lin- guistics 65,1971, S. 5-24

[56]John Lyons, Einführung in die moderne Linguistik (aus dem Engl.). München

1971,'1989

10 Dialekt - Mundart: Definitionsprobleme

[571

Hermann Bausinger, Deutsch für Deutsche. Dialekte, Sprachbarrieren,

Sonder-

sprachen. Frankfurt 1972

 

 

 

[581

Vif Eichel, Problem und Begriff der Umgangssprache in der germanistischen

Forschung. Tübingen 1973

 

[591

Bernhard Sowinski, Germanistik. Grundlagen des Studiums I: Sprachwissenschaft.

Köln 1970; fortgeführt als Germanistik. Eine Einführung von Christa Dürscheid,

 

 

Hartmut Kircher, Bernhard Sowinski. Köln 1994

[601

Heinrich Löffler, Dialekt. In: Lexikon der Germanistischen Linguistik. Tübingen

'1980, S. 453-458

 

[611

Joachim GÖsche]. Pavel Ivic, Kurt Kehr (Hrsg.), Dialekt und Dialektologie. Ergeb-

nisse des internationalen Symposiums "Zur Theorie des Dialekts" (Zeitschrift für

 

 

Dialektologie und Liuguistik Beih. 20). Wiesbaden 1980

[621

Klaus J. Mattheier (Hrsg.), Aspekte der Dialekttheorie. Tübingen 1983

 

2.Geschichte und Stand der Dialektforschung

2.0Vorbemerkung

Eine Einführung in die Dialektologie soll den Stand der augenblicklichen Forschung widerspiegeln und die anstehenden Aufgaben, Wege und Lösungsmöglichkeiten aufzeigen. Ein Überblick über die Forschungsgeschichte mag zunächst wie unnötiges Beiwerk aussehen. Die Kenntnis der Geschichte der Mundartforschung erweist sich jedoch von der Sache her als notwendig und nützlich. Anhand der jeweils verschiedenen Fragestellungen und Aufgaben, die sich die Dialektologie im Laufe ihrer Entwicklung gegeben hat, erscheint der gegenwärtige Stand in deutlicheren Konturen.

Wegen der für Dialektarbeiten typischen Materialintensität in Bezug auf die Datenbeschaffung, deren Aufbereitung und Beschreibung und vielleicht auch durch die zweitoder drittrangige Stellung der Dialektologie im Wissenschaftsbetrieb haben alle dialektologischen Forschungsunternehmen einen sehr langen Atem. So sind fast alle Einrichtungen, die heute bestehen, die Atlasunternehmen, Wörterbuchredaktionen oder Phonogrammarchive, Ausläufer oder Testamentsvollstrecker früherer Forschergenerationen. Damit soll nicht gesagt sein, dass heute nur noch anachronistische Fragestellungen aufgearbeitet werden, sondern dass die Anfänge vieler Vorhaben, die heute gerade das Stadium der Veröffentlichung erreicht haben, oft schon Generationen zurückliegen. Jede "Schule" hat ihr säkulares Projekt ins Leben gerufen und als langsam wachsenden Nachkömmling hinterlassen. Die meisten dialektologischen Handbücher bringen einen historischen Abriss der deutschen Dialektforschung. Die bis zum Erscheinungsdatum 1888 wohl ausführlichste und bis heute nicht ersetzte Darstellung ist die von Socin [63]. Nach Epochen und Jahrhunderten getrennt wird die Geschichte der deutschen Sprache und Sprachforschung parallel mit der Geschichte der Mundartforschung auf Grund zeitgenössischer Belege dargestellt. Die Forschungsberichte bei Bach [1], Mitzka [5]. Henzen [48] und Schirmunski [7] beruhen mehr oder weniger auf diesem kenntnisreichen Buch, dem auch der folgende Abriss die meisten Hinweise verdankt. Im Allgemeinen wird die Geschichte der Dialektforschung als chronologische Abfolge anhand der Forschemamen und ihrer Schulen dargestellt. Unter dem besonderen Blickwinkel der Geschichte der gesprochenen

12 Geschichte und Stand der Dialektforschung

Sprache kommen jedoch auch die frühen Epochen der Beschäftigung mit Dialekt zur Sprache. Dieser Überblick hier will keine chronologische Abfolge im üblichen Sinne bieten, sondern die jeweilige Interessenlage und Motivation als Gliederungsschlüssel nehmen.

2.1Das normative Interesse

Die ersten Versuche einer grammatischen Beschäftigung mit Dialekten sind gleichzeitig mit dem Aufkommen der überregionalen Druckersprachen im 16. Jahrhundert belegt. Die ersten Grammatiken der deutschen Sprache, die sich eng an das Schema der lateinischen Schulgrammatik hielten, waren aus der Erkenntnis erwachsen, dass eine Diskrepanz bestehe zwischen der Druckund Buchsprache und den in den einzelnen deutschen Landschaften gesprochenen Sprachen. Die Schriftsprache, wie sie in den großen Buchdruckzentren Köln, Mainz, Straßburg, Basel, Augsburg, Nürnberg verwendet wurde, war von Anfang an weit davon entfernt, die phonetische Umschrift irgend eines gesprochenen Dialektes zu sein. Nirgendwo sprach man so, wie gedruckt oder geschrieben wurde.

So klagen denn auch die ersten deutschen Grammatiker über die Diskrepanz zwischen Schreibsprache und Muttersprache, dass die Kinder keineswegs in ganz Deutschland auf gleiche Weise "von der muoter lernen, wie sy sagen und reden sollen: ich schreib, ich hab geschrieben" (Valentin lckelsamer 1534, Socin [63] 265). Die Frage nach der Sprachrichtigkeit war das Anliegen aller frühen deutschen Grammatiken. Es waren Sprachlehren im wörtlichen Sinne: Anweisungen zum richtigen Schreiben und Sprechen. Beklagt wurde auch die cacographia vulgaris (Hieronymus Wolf 1578), die einem gelehrten Menschen nicht wohl anstehe: "das dis ein mercklicher missestant an einen gelehrten geachtet wird ...

damit er offtmals einen gutten wohlgegründeten synn ... verderbet odder zum wenigsten besudelt und seinen Unverstand an den Tag gibt" (Fabian Frangk, Orthographie, 1531, Socin [63] 254).

Bei der Kodifizierung der Sprachnorm waren sich die Grammatiker einig über den Missstand der Dialekte, die als Provinzialismen und Pöbelsprachen weit ab vom gelehrten Schriftdeutsch als der aufkommenden einheitlichen Kultursprache entgegenstanden. Dabei stellte sich die Frage nach dem Vorbild und den Autoritäten für richtige Sprache. Hierin waren sich die Gelehrten lange Zeit uneins. Regelmäßig genannt wurden die Reichsabschiede, das waren die Verlautbarungen der kaiserlichen Hofkanzlei (Aula Caesarea), Luthers Schriften und überhaupt vorbildliche Drucke, wie sie z.B. in Augsburg (Fabian Frangk 1531) als Sitz der "zierlichsten deutschen Sprache" (Laurentius Albertus 1573, Teutsch Grammatik oder Sprachkunst, Socin [63] 267) oder überhaupt das Schwäbische hervorbrachten.

Andere ließen mehrere landschaftliche Orthographien gelten (Joh. Kolroß, Enchiridion, Basel 1530) oder zumindest drei Druckersprachen: Das Mitter

Das normative Interesse 13

Teutsche, das Donawische und das Höchst Rheinische (Sebastian Helber, Teutsches Syllabierbüchlein, Freiburg i. Ü., Socin [63]).

Im 17. Jahrhundert ist die gelehrte Schrift schon zu einer einigermaßen einheitlichen Form gelangt. Selbst die Zürcher Bibel hatte ab 1665 die Einheitssprache angenommen. Es bildeten sich bezeichnenderweise die sogenannten Sprachgesellschaften, wie die Nürnberger Pegnitzschäfer um die Mitte des 17. Jahrhunderts oder die Rosenzunft des Philipp von Zesen in Hamburg. Ihnen ging es um die Pflege der neuen Buchsprache und deren Verbreitung auch in der gesprochenen Rede. "Die Schrift soll die Rede bilden" verlangte 1646 Georg Philipp Harsdörffer im 'Specimen Philologiae Germaniae' (Nürnberg) . "Dass man Dir, einem Deutschen, über die richtige Erlernung der deutschen Sprache Regeln gibt, wird Demjenigen nicht wunderlich erscheinen, der da weiß, wie groß die Mannigfaltigkeit der Dialekte in dieser Sprache ist, und wie geringer Genauigkeit sich in ihr die Oesterreicher sowohl im Sprechen als im Schreiben befleißigen" (Caspari Scoppii comitis a Clara Valle, Consultatio de prudentiae et eloquentiae parandae, 1626, Socin [63] 325). Vorbilder der Schreibsprache waren immer noch Luthers Schriften und die kaiserliche Kanzlei. Als Landschaft, in der die"Ausrede" der neuen Schriftsprache am nächsten kam, galt Obersachsen (Leipzig) mit seinem "rneißnischen" Dialekt. Zu den Autoritäten gehörten dann später die Schriften von Martin Opitz, der für viele (so Johann Bellin, Syntaxis praepositionum Teutonicarum, 166 I) als der Cicero und Vergil des Deutschen galt, ebenso wie Meißen und Obersachsen Deutschlands Attika und Toskana waren: "dass wir

... uns auf die Sprache der oberen Klassen in dieser Provinz, welche der gute Geschmack zu seinem Sitz erwählt hat, lediglich einschränken" (Wieland, nach Socin [63] 420f.). Die obersten Hüter der von den genannten Autoritäten gelenkten Kulturund Bildungssprache waren die Grammatiker. Justus Georgius Schottelius (SchotteI) sagte in seiner 'Ausführlichen Arbeit von der teutschen HauptSprache' (Braunschweig 1663), dass die Schriftsprache von der Grammatik geregelt werde und dass sich der mündliche Gebrauch nicht grammatisch regeln lasse, da sowohl die alten Sprachen als auch die Dialekte völlig regellos und entartet seien und dem Pöbelgebrauche anheimfielen: "omnibus dialectis aliquid vitiosi ines!, quod locum regulae in Lingua ipsa habere nequit" (zitiert nach Scholz [65] 53). Eine grammatische Beschreibung der Dialekte als sprachliche Entartungen galt daher als unmöglich, es sei denn, man wollte mit "unnöthiger närrischer Arbeit vonjedwederem Worte derselben viele Hunderte, ja Tausende sein, einen sonderlichen Senf machen, und wie es in den vielen Dialectis geändert' zerbrauchet, geradebrochen, verhärtet, verkürzet und verschlenkert werde

... ist auch dem Studio linguae Germanicae damit wenig gedienet, dass Einer wisse, wie ein teutsches Wort in der Schweiz, in Österreich, in Franken, in Meißen ... werde ausgesprochen" (Socin [63] 339).

Die Beschäftigung mit Dialekten galt den Grammatikern als unmöglich und sirmlos. Dialekte dienten allerhöchstens als Wortlieferanten für die neue Einheits- sprache. So wurden immer wieder Versuche unternommen, wenigstens den

14 Geschichte und Stand der Dialektforschung

Wortschatz einzelner Dialekte aufzunehmen und mit der neuen Einheitssprache zu kontrastieren. In Konrad Gesners 'Mithridates, De Differentiis linguarum', 1555 (abgedruckt bei Trümpy [64]161.) findet sich z.B. eine Wort-Differenzliste Schwäbisch-Schweizerisch. Eine Wortliste Bairisch-Österreichisch hat Wollgang Laziuz, 'De gentium aliquot migrationibus, sedibus fixis, reliquiis linguarumque initiis et immutationibus ad dialectos', 1557 (Socin [63] 2671.) erstellt. Schon Adam Petri hatte 1523 ein achtseitiges Wörterbuch zu Luthers Neuem Testament zusammengestellt mit 195 Worterklärungen (Socin [63] 236).

Leibniz forderte 1680 in seinen 'Unvorgreiflichen Gedanken betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache' eine Musterung aller deutschen Wörter, auch der mundartlichen, auf ihre Verwendungsfähigkeit in der Hochsprache hin. Dass auch die deutsche Klassik zwar die Einheitssprache gepflegt und gefordert, ja um ein großes Stück in ihrer Verbindlichkeit und normativen Kraft gestärkt hat, ist offensichtlich. Jean Paul verlangte, dass das Hochdeutsche, die Büchersprache, die tägliche Umgangssprache der guten oder feineren Gesellschaft sei und dass dadurch die oberen Klassen sich von dem die Mundart sprechenden Volke vorteilhaft unterscheiden sollen. Es wundert jedoch nicht, dass gerade die beiden Hauptvertreter der deutschen Klassik, Goethe und Schiller, sich sehr viel toleranter gegenüber den Dialekten äußerten, waren sie doch beide, als Frankfurter der eine und als Schwabe der andere, als Dialektsprecher aufgewachsen. "Jede Provinz liebt ihren Dialekt, denn er ist doch eigentlich das Element, in welchem die Seele ihren Atem schöpft" (Goethe, Dichtung u. Wahrheit, 6. Buch, 1811, nach Socin [63] 426). Auch über die 1803 erschienenen alemannischen Gedichte Johann Peter Hebels, die für die damalige auf hochsprachliche Norm geradezu versessene Bildungswelt revolutionär gewirkt haben müssen, hat sich Goethe begeistert und anerkennend geäußert.

Die deutsche Einheits-Schriftsprache ist, wie man heute weiß, nicht die Kodifizierung des meißnischen oder ostmitteldeutschen Dialekts. Sie ist vielmehr eine Kunstsprache, die als Kompromissform aus fast allen deutschen Dialekten entstanden ist. Das Ringen um die Norm führte zu den ersten deutschen Grammatiken. Dabei waren die Dialekte insofern Gegenstand der Betrachtung, als sie die Folie abgaben für die überregionale Einheitssprache. Die Beschäftigung mit

Dialekten war also eine negative. Man ging auf sie ein, weil man sich von ihnen trennen wollte. Die Ergebnisse solcher Bemühungen waren die genannten Differenzlisten im Wortschatz, gelegentlich auch in der Lautung. Anerkennung fanden Dialekte bei den Grammatikern lediglich als Wortreservoireund Lieferanten von Neologismen (Wortneuschöpfungen). Dass diese Epoche zur Geschichte der Dialektforschung zu rechnen ist, dürfte unter diesem Gesichtspunkt einleuchten. Gerade in jüngster Zeit befasst sich die Dialektologie wieder mit dem Spannungsfeld Dialekt - Hochsprache im Zusammenhang mit der sogenannten Sprach- barrieren-Diskussion. Damit kehrt sie in ihrem Interesse gerade wieder zu den ersten Anfängen zurück, die ebenfalls, wenn auch unter anderen Vorzeichen, aus der Spannung Hochsprache - Mundart erwachsen waren, woraus sich dann die

Das antiquarische Interesse 15

zweite Motivation ergab, die dann die ersten wirklich greifbaren Früchte dialektologischen Arbeitens vorweisen konnte.

[63]Adolf Socin, Schriftsprache und Dialekte im Deutschen nach Zeugnissen alter und neuer Zeit. Heilbronn 1888, Neudruck Hildesheim 1970

[64]Hans Trürnpy, Schweizerdeutsche Sprache und Literatur im 17. und 18. Jahrhundert auf Grund gedruckter Quellen. Basel 1955

2.2Das antiquarische Interesse

Die Diskrepanz zwischen geschriebener Kuhursprache und gesprochenem Dialekt war im Niederdeutschen besonders groß. Daher fiel der Ruf der Grammatiker, die neue Schriftsprache müsse auch Vorbild der "Ortholalie" sein, dort auf fruchtbarsten Boden. Der Einbruch der Schriftsprache in die Sprechsprache war im Norden am frühsten und durchgreifendsten erfolgt. Als Folge davon wird heute in ehemals niederdeutschen Dialektgebieten, in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Pommern am verbreitetsten Hochdeutsch gesprochen, selbst in Kreisen, die man gemeinhin nicht zur sogenannten Bildungsschieht rechnen würde.

Als erstes fiel im 16./17. Jahrhundert die ehemalige niederdeutsche Schreibsprache der neuen Einheitssprache zum Opfer. So ist aus jener Zeit auch kein Versuch einer grammatischen Darstellung der niederdeutschen Schreibsprache bekannt. Als zweiter Schritt folgte dann der Rückgang der niederdeutschen Sprechsprache zunächst bei der Bildungsschicht und im öffentlichen Gebrauch. Das war der Zeitpunkt für das Aufkommen eines konservierenden, spracherhaltenden Interesses, gerade auf Seiten der Bildungsbürger, nicht im Sinne eines unbedingten Rettungsversuches oder gar Wiederauflebenlassens der Mundart, sondern eher eines liebevollen Sammelns und musealen Konservierens aus einer auch sonstnieht unbekannten Trümmer-Sentimentalität heraus. Eine zwingende Folge der besonderen sprachlichen Verhältnisse im niederdeutschen Gebiet waren die schon im 18. Jahrhundert entstehenden Sammiungen niederdeutscher Provinzialismen oder Idiotismen, d.h. von Wörtern und Redewendungen, die landschaftstypisch waren, die in der neuen Bildungssprache aber nicht mehr vorkamen. Das erste Idiotikon in niederdeutscher Sprache war das 'Idioticon Hamburgense' von 1743, 2. Aufl. 1754, von Michael Riehey. Kurz danach entstand der fünfbändige 'Versuch eines bremisch-niedersächsischen Wörterbuchs' 1767-1771. hrsg. von der bremisch-deutschen Gesellschaft. Es folgten weitere Idiotiea für Osnabrück (1756), Preußen (1759 und 1785), Livland (1785), Pommern mit Rügen (1781), Livund Estland (1795), Holstein (1800-1806). Nähere Einzelheiten finden sich bei Scholz [65] und ausführlich bei Haas [66].

Zum Teil schon aus antiquarischem Interesse, in der Hauptsache wohl aus Gründen der sprachlichen Selbstbehauptung, waren auch im hochdeutschen, also dem südlichen Sprachgebiet einzelne Wörter-Sammlungen entstanden: Das

16 Geschichte und Stand der Dialektforschung

'Glossarium Bavaricum' von J.1. Prasch als Anhang seiner 'Dissertation altera de origine Germanica' (Regensburg 1689) ist wohl das älteste Mundartwörterbuch iiberhaupt. Ungedruckt blieben das 'Idioticon Bernense' von Samuel Schmidt und das 'Idioticon Rauracum' des Joh. Jacob Spreng (1760). Ein schlesisches Idiotikon (1787 J.G. Berndt), ein westerwäldisches (1781 K.ehr. Schmidt), ein bairisch· oberpfälzisches (1789 A. Zaupser), ein hennebergisches (1793 W. Reinwald) folgten. Es gab auch Versuche, überregionale Dialektwörterbücher anzulegen. Sie blieben jedoch in den Anfängen stecken:

Joh. Christoph Schmidt, Versuch eines schwäbischen Idiotikons, BerUn u. Stettin 1795. Friedrich C. Fulda, Versuch einer allgemeinen teutschen Idiotikonsammlung, 1788. Johann Sigmund Valentin Popowitsch, Versuch einer Vereinigung der Mundarten von Teutschland als eine Einleitung zu einem vollständigen Wörterbuche, Wien 1780. Lorenz Hübner, Lexikon der deutschen Idiotismen oder deutsches Universal·Lexikon, Salzburg 1790 (nach Scholz [65]. vgl. Haas [66]).

Einen neuen Ansatz, der schon nicht mehr aus bloßem Sammel· und Inven· tarisierungstrieb heraus verstanden war, stellte F.J. Stalders 'Schweizerisches Idiotikon' von 1806-1812 [84] dar, der Vorläufer des heute immer noch nicht abgeschlossenen 'Wörterbuchs der deutschsprachigen Schweiz' [303]. Die Wörter· bucharbeit, ursprünglich aus rein antiquarischem Interesse unternommen, wurde auch im 19. Jahrhundert in immer stärkerem Maße fortgefiihrt. Erst in diesem Jahrhundert aber sind die meisten regionalen Wörterbuchunternehmen auf moderner lexikographischer Grundlage begonnen worden (s. Kap. 5.4.4). Die meisten von ihnen sind gerade im Erscheinen begriffen oder noch im Stadium der Vorbereitung.

So wie die Motivation der Sprachnonnierung im Grunde bis heute die Dialektologie beschäftigt, ebenso ist auch das antiquarische Interesse für dauernd lebendig geblieben. Für viele ist Dialektologie überhaupt nur eine antiquarische Wissenschaft zum Zwecke der Erhaltung und Pflege einer überkommenen, bodenständigen, aber zum Untergang verurteilten Sprachform. Allein aus diesem Interesse heraus hätte es jedoch weder im 19. Jahrhundert noch heutzutage eine derart ausgebaute Wissenschaft von der Mundart geben können. Die eigentlich tragfähigen Motivationen lagen wohl noch auf anderen Gebieten.

[65]Adolf Scholz, Deutsche Mundarten-Wörterbücher. Versuch einer Darstellung ihres systematisch-historischen Werdeganges von Anbeginn bis zum Ende des 18.

Jahrhunderts. Leipzig 1933

[66]Walter Haas (Hrsg.), Provinzialwörter. Deutsche Idiotismensammlungen des

18. Jahrhunderts. Berlin, New York 1994

2.3Das dokumentarische Interesse

Jede Dokumentation von mundartlicher Sprache in schriftlicher Form oder als Tonaufnahme scheint dem schon genannten antiquarischen Interesse zu ent-

Das dokumentarische Interesse 17

springen. Man war sich aber auch in früher Zeit schon bewusst, dass Mundart nur die gesprochene Form kennt und daher verschriftlicht werden musste, wenn man sie über einen einmaligen Sprechakt hinaus festhalten und wiederholbar machen wollte. Das Bedürfnis nach einer Fixierung von gesprochenem Dialekt war da, sobald man sich überhaupt des Dialekts als sprachlicher Möglichkeit bewusst wurde. Schon 1816 gab es 'Proben deutscher Volksmundart' von J.S. Vater [67]. Dass die Brüder Grimm in ihre Märchensammlung auch mundartliche Stücke aufnahmen, ist heute noch in jeder Ausgabe sichtbar. Um 1821/22 erschien von J.G. Radlof ein 'Mustersaal aller deutschen Mundarten' [68]. Die bedeutendste

Sammlung war die von J.M. Firmenich, 'Germaniens Völkerstimmen' von

1843-67 [69]. Die Erfindung des Phonographen durch Th. Edison im Jahre 1878 bedeutete nach den Worten des Wiener Physiologen Sigmund Exner die "Grenze einer Geschichtsperiode ..., von der an nicht nur Sichtbares, sondern auch Hör· bares direkt, nicht nur durch Vermittlung von Buchstaben oder Noten, die einer sprachlichen Umdeutung bedürfen, in Sammlungen, Museen, Archiven aufbe· wahrt und für die Nachwelt konserviert werden soll" (nach Zwirner [77] 5). Die Faszination der neuen technischen Möglichkeit war so groß, dass an verschiede· nen Orten fast gleichzeitig sogenannte Phonogrammarchive gegründet wurden, deren Aufgabe zunächst darin bestand, alles Hörbare, vom Waldesrauschen bis zum Vogelsang und Menschenstimmen, aufzunehmen und als Lautdokumente jederzeit wiederholbar zu machen. Bald beschränkte man sich jedoch auf die menschliche Sprache als dem eigentlichen Tonereignis von Belang. Im Jahre 1899 gründete Exner das Wiener Phonogrammarchiv, es folgte um 1900 Paris, 1901 London, 1902 entstand bei der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin eine Lautabteilung, Ähnliches 1903 in Petersburg. Im Jahre 1909 wurde das Phono· grammarchiv der Universität Zürich gegründet. Mit dem Fortschritt der Technik verbesserten sich die Tonaufnahmen. Ab 1920 wurde in Berlin eine "Laut·Biblio· thek" herausgebracht auf Grund von 1650 Aufnahmen aus verschiedenen deutschsprachigen Dialektgebieten einschließlich der Schweiz. Neben einer Schallplatte gab es jeweils einen geschriebenen Text [76]. Bei diesen Unterneh· mungen stand das dokumentarische Interesse im Vordergrund. Die Aufnahmen sollten "sprachliche Denkmäler" sein (Hornnng [71]) und gleichzeitig als lautliche Kontrollen für schriftliche Dialektaufnahmen dienen, die für einen Sprachatlas unternommen wurden.

Unter anderen Vorzeichen stand von Anfang an das Unternehmen "Deutsches Spracharchiv", das von E. Zwirner schon in den dreißiger Jahren initiiert, aber erst ab 1954 in die Tat umgesetzt wurde. Die über das gesamte deutsche Sprach· gebiet angelegte Aufnahmeaktion hatte zum Ziel. die sogenannten konstitutiven Faktoren wie Artikulation, Quantität, Dynamiik, Akzent, Tonhöhenverlau!. Melodie, Sprechgeschwindigkeit einer exakten instrumentellen Untersuchung zugänglich zu machen, da diese sehr wichtigen Komponenten der gesprochenen Sprache bei den üblichen schriftlichen Notierungen nicht aufgezeichnet werden konnten. Nach einem genauen Netz von Planquadraten von ca. 15 km Seitenlän·

18 Geschichte und Stand der Dialektforschung

ge wurde jeweils ein Aufnahmeort festgelegt, an dem je drei Einheimische und drei Zugezogene (Vertriebene) in freier Rede ungefähr 10 Minuten lang aufgenommen wurden. Hierfür standen neueste technische Hilfsmittel einschließlich Aufnahmewagen und Toningenieur zur Verfügung. Inzwischen liegen fast 9000 Aufnahmen vor. Davon sind 4000 transkribiert. Zu jeder Aufnahme existieren Protokolle. Einzelheiten sind in ausführlichen Katalogen zusammengestellt [78]. Trotz der experimentalphonetischen Zielsetzung geriet diese großangelegte Unternehmung bis jetzt doch weitgehend zur Dokumentation, vor allem seit der Schwerpunkt auf die Konservierung der Vertriebenenmundarten gelegt worden ist, wodurch das antiquarische Interesse das dokumentarische überwog. Die inzwischen digitalisierten Bänder und Transkriptionen sind auf Anforderung beim Deutschen Spracharchiv, am Institut für deutsche Sprache (IdS) in Mannheim, jederzeit erhältlich. In einer Heftreihe 'Lautbibliothek deutscher Mundarten' [77] wurden zwischen 1958 und 196435 Aufnahmen in Einzelbändern und mit Begleitheft publiziert. Seit 1960 fanden auch in der damaligen DDR eine ähnliche Aufnahmeaktion statt. Tonund Textpublikationen liegen jedoch noch nicht vor.

Da eine Auswertung der Aufnahmen immer erst nach erfolgter Transkription möglich ist, diese aber wegen des immensen Aufwandes immer nur langsam und in großem zeitlichen Abstand zur Aufnahme erfolgen kann, haben die meisten dieser Aufnahmen vorläufig nur dokumentarischen Wert. Die eigentliche Auswertung dieses Sprach-Corpus nach allen Richtungen hin hinkt erst recht hinterher. Bei zunehmender Materialfülle wird die zeitliche Verschiebung zwischen Aufnahme, Transkription und Auswertung immer größer, so dass der eigentliche Zweck, die Bereitstellung eines umfassenden Inventars gesprochener Sprache, für eine umfassende linguistische Aufarbeitung am Ende gar nicht erreicht wird.

Einen neuen Weg versuchte die "Tübinger Arbeitsstelle Sprache in Südwestdeutschland" des Deutschen Spracharchivs. Neben den üblichen Aufnahmen im Rahmen des Gesamtunternehmens wurde eine Methodik entwickelt, eine Ortssprache in einer Art Total-Aufnahme zu erheben. Über Ziele und Methoden und über weitere Einzelheiten zur Exploration, die an drei nebeneinanderliegenden Orten des nördlichen Schwarzwaldes durchgeführt wurden, unterrichtet A. Ruoff [81]. Neben der traditionellen Befragung nach Frageliste in Interviewtechnik und in freier Erzählung von zweimal drei Personen wurden über einen Zeitraum von

24 Stunden alle Mitglieder je einer Familie in den drei Orten auf Band aufgenommen. Hierzu wurden in den Wohnungen Aufnahmegeräte installiert. Es sollte einmal der Versuch unternommen werden, die Sprachlichkeit einer Gruppe mit allen alters-, geschlechtsund berufsbedingten Variationen und den Rollen und Möglichkeiten, die je nach Situation von den Sprechern eingesetzt werden, in einer Großdokumentation festzuhalten. Da gleichzeitig nach konventioneller Methode auch die sogenannte Grundmundart der ältesten Dialektsprecher erhoben wurde, kann auch die Differenz zwischen dieser Grundmundart und dem tatsächlichen Sprachgebrauch untersucht werden. Auch bei dieser Aktion ist die eigentliche Auswertung erst noch im Gange. Daneben wurden von Tübingen aus

Das dokumentarische Interesse 19

neben der Aufnahmeund Transkriptionsarbeit an den Aufnahmen des Spracharchivs schon gezielte Untersuchungen grammatischer Einzelprobleme unternommen' z.B. über Satzkonjunktionen in der gesprochenen Sprache, über den Konjunktivgebrauch, die Verbpräfixe, die Präpositionen, die Ortsund Richtungsadverbien, das unbestimmte Subjekt "man" u.a. Der Schwerpunkt der Auswertung liegt hier nicht auf dem ursprünglich intendierten Gebiet der Experimentalphonetik, sondern auf dem Gebiet der Syntax der gesprochenen Sprache auf der Grundlage der sudwestdeutschen Dialekte. Das Neue ist dabei, dass neben der rein sprachlichen Seite auch die außersprachlichen Faktoren wie Situation, Thematik, überhaupt die sogenannte "Redekonstellation" mit in die grammatische Beschreibung einbezogen werden soll (vgl. auch 4.2.1).

[671 Johann Severin Vater, Proben deutscher Volksmundarten. Leipzig 1816

[68]Johann Gottlieb Radlot Mustersaal aller teutschen Mundarten, enthaltend Gedichte, prosaische Aufsätze und kleine Lustspiele in den verschiedenen Mundarten aufgesetzt. 2 Bde. Bonn 1821-22

[69]Johann Matthias Firmenich-Richartz, Germaniens Völkerstirnrnen. Sammlung der deutschen Mundarten und Dichtungen, Sagen, Märchen, Volkslieder. 3 Bde. Berlin 1847-1867, Neudruck Osnabrück 1968

[70] Ladislaus Michael Weifer!, Deutsche Mundarten. 3 Tle. München 1964-1965, je

2 Schallplatten mit Leitfaden und Übersichtskarte

Zum Wiener Phonogrammarchiv:

[71]Maria Hornung, Tonaufnahmen im Dienste der Mundartforschung. Zum 60jährigen Bestehen des Phonogrammarchivs der österreichischen Akademie der Wissenschaften. In: Zeitschrift für Mundartforschung 28,1961, S. 183-191

[72]Katalog der Aufnahmen B 1-3000 und B 3001-7000; Mitteilungen der Phono- grammkommission 81/82, Wien 1960-1966

Zum Phonogrammarchiv der Universität Zürich:

[73]Eugen Dieth, Phonogrammarchiv der Universität Zürich (1909). In: Institut de

Phonetique et Archives Phonographiques VII, Leuven 1956, S. 329-246 (mit

Katalog der Aufnahmen)

[74]Schweizer Dialekte in Text und Ton. Begleittexte zu den Sprechplatten des Phonogrammarchivs. Zürich 1951ff.

[75]Tonbeispiele Schweizer und anderer Dialekte im Internet: www.dialekt.ch (von Lorenz Hofer, Deutsches Seminar Basel)

Zur Lautabteilung in Berlin (vgl. Bach [l] § 30); ferner:

[76J Lautbibliothek. Phonetische Platten und Umschriften. Hrsg. von der Lautabteilung der Preußischen Staatsbibliothek. Berlin 1920ff; später dazu: Arbeiten aus dem Institut für Lautforschung an der Universität Berlin, hrsg. von D. Westennann

Zum Deutschen Spracharchiv (Münster; dann Braunschweig; jetzt Mann- heimlIdS):

[77]Lautbibliothek der deutschen Mundarten, hrsg. vom Deutschen Spracharchiv . Göttingen 1958ff.; Bd.l: Eberhard Zwirner, Wolfgang Bethge, Erläuterungen zu den Aufnahmen und Texten. Göttingen 1958; Bd. 31: Eberhard Zwirner, Anleitungen zu sprachWissenschaftlichen Tonbandaufnahmen. Göttingen 1964

20Geschichte und Stand der Dialektforschung

[78]Monumenta Germaniae Acustica. Kataloge. Tübingen 1965ff.

[79]Hans Joachim Schädlich, Heinrich EIas, Bericht über Tonbandaufnahmen der deutschen Mundarten in der DDR. In: Berichte [22]. Berlin 1965, S. 24-27

[80]Günther Bellmann, Joachim Göschel, Tonbandaufnahmen ostdeutscher Mundar-

ten (Deutsche Dialektgeographie DDG 73). Marburg 1970

Zur Tübinger Arbeitsstelle:

[811 Arno Ruoff, Grundlagen und Methoden der Untersuchung gesprochener Sprache

(Idiomatica Bd. I). Tübingen 1973

[82]Arno Ruoff, Eugen Gabriel, Die Mundarten Vorarlbergs. Ein Querschnitt durch

die Dialekte des Landes. Mit CD. Graz 19981f.

Bayern:

[83]Bayerns Mundarten. Dialektproben mit Kommentaren und einer Einführung in die Verbreitung und Verwendung des Dialekts in Bayern. Von WeIner König, Kurt Rein, Eberhard Wagner, Ludwig Zehetner. Hrsg. von Wolfgang Küpper.

München 1991

2.4Das linguistische Interesse

2.4.1Dialektologie als Sprachgeschichte

Für viele beginnt die eigentliche Mundartforschung erst in dem Augenblick, wo sie außerhalb des Spannungsfeldes Dialekt - Hochsprache sich mit ihrem Gegen· stand um seiner selbst willen beschäftigte. Die Dialektologie wird dort angesiedelt, wo auch die Wissenschaft von der deutschen Sprache beginnt, bei J. Grimms 'Deutscher Grammatik', 1819 [86] und seiner 'Geschichte der deutschen Sprache', 1848 [90]. Nachdem sich die überregionale Kultursprache im Bildungsbereich fest angesiedelt hatte, stellte die Grammatik nicht mehr die Frage nach der verbindli. ehen Norm, sondern die Frage nach der Entstehung und Entwicklung, nach dem Woher der Sprache. Wissenschaft von der Sprache war demzufolge Sprach· geschichte und historische Grammatik. Im Zuge der romantischen Theorie wurde auch die Sprache in das Organismusmodell miteinbezogen. Man sprach vom Stammbaum einer Sprache, von den Dialekten als dessen Ästen und den Mundar· ten als dessen Zweigen (Grimm [90] 31868, 574). Grimm hatte sich selbst nicht mit den zeitgenössischen Dialekten befasst. Er sah sie lediglich in ihrem Stellen· wert innerhalb der Geschichte von der deutschen Sprache. Die Anwendung des sprachhistorischen Aspekts auf die Dialekte und den Nachweis, dass die Dialekte die konsequentesten laut· und formengeschichtlichen Ergebnisse einer kontinuo ierlichen Entwicklung darstellen, hat nicht J. Grimm erbracht, sondern F.J. Stalder in seinem Werk 'Die Landessprachen der Schweiz' [85] und dem schwei· zerischen Idiotikon (1806-12) [84]. Mit J. A. Schmellers 'Die Mundarten Bayerns' (1821) [87] und seinem 'Bayerischen Wörterbuch' (1827fl.) [88] zusammen bilden diese Arbeiten die eigentlichen Anfänge der wissenschaftlichen Mundartforschung. K.F. Becker (1775-1849), einer der bedeutendsten Grammatiker des

Das linguistische Interesse 21

19. Jahrhunderts, hat in seinem 'Organism der Sprache' 1827 [89] betont, dass jede mundartische Form als sprachrichtig und als deutsch zu werten sei. Die hochdeutsche Sprache sei Ergebnis einer Übereinkunft der Gebildeten und basiere bei vielen nicht auf organischem Sprachgefühl. ganz im Gegensatz zu den Dialekten. Seit Stalder und Sehnteller werden Dialekte als eigenständige Sprachen, heute würde man sagen Sprachsysteme, behandelt mit eigener Grammatik, welche die folgerichtige und bruchlose Entwicklung einer langen Sprachgeschichte repräsentiert, im Gegensatz zur unorganischen Grammatik der Hochsprache, die verschiedene Entwicklungsstränge in sich vereinigt. Dialektologie war damit eigentlich Sprachwissenschaft geworden. In der Folgezeit hat vor allem Kar! Weinhold die dialektologische Grammatikarbeit mit seiner schiesischen (1853), alemannischen (1863) und der bairischen Grammatik (1867) [91] weitergeführt. Grammatik war für Weinhold nicht nur Darstellung der zeitgenössischen Laute und Formen, sie war vor allem Beschreibung der historischen Vorstufen der einzelnen Laute. Hierzu benutzte Weinhold alle zu seiner Zeit greifbaren literarischen und andere schriftliche Zeugnisse vergangener Zeiten. Bei dem zweifelhaften Stand der historischen Textkritik und der noch kaum erprobten Methode der Spracherhebung für rezente Mundarten (Weinhold befragte für seine schlesische Grammatik in Graz sein Dienstmädchen aus Schlesien!) waren die Ergebnisse zwar unsystematisch, doch nach dem damaligen Stand der Möglichkeiten überraschend gut. Es wundert daher nicht, dass Weinholds Grammatiken bis heute nicht ersetzt sind.

[84]Franz Joseph Stalder, Versuch eines schweizerischen Idiotikons samt einer Skizze einer schweizerischen Dialektologie. Basel 1806

[85]Franz Joseph Stalder, Die Landessprachen der Schweiz oder Schweizer Dialektologie mit kritischen Sprachbemerkungen beleuchtet. Aarau 1819

[86]Jacob Grimm, Deutsche Grammatik. 4 Tle. Göttingen 1819, 21822, Nachdruck

1870-1898

[87]Johann Andreas Schmeller, Die Mundarten Bayerns grammatisch dargestellt.

München 1821, Neudruck 1929

[88]Johann Andreas Schmeller, Bayerisches Wörterbuch. 4 Tle. Stuttgart 1827-1837,

Neudruck 1966

189] Karl Ferdinand Becker, Organism der Sprache. Frankfurt 1827, 21841 , Neudruck

1970

[90]Jacob Grimm, Geschichte der deutschen Sprache. 2 Bde. Leipzig 1848, '1868

[91]earl Weinhold, über deutsche Dialektforschung. Die Lautund Wortbildung und

die Formen der schlesischen Mundart mit Rücksicht auf Verwandtes in deutschen Dialecten. Wien 1853; Ders., Grammatik der deutschen Mundarten. Tl. 1: Alemannische Grammatik. Berlin 1963; Tl. 2: Bairische Grammatik. Berlin 1967

2.4.2Dialektologie als Lautphysiologie

Eine neue Epoche linguistischer Beschäftigung mit Mundart kam mit der Lautphysiologie von E. Sievers [92], der ersten Lautlehre auf artikulatorisch-phoneti-

22Geschichte und Stand der Dialektforschung

scher Basis. Während man bis dahin den Eindruck haben musste, die historischen Lautlehren seien Buchstaben-Lehren (vgl. Stalder [85] 1819,1. Abt.: "Von den Buchstaben und ihrer veränderlichen Aussprache"), da zumindest von einer Identität zwischen Buchstaben und Lauten ausgegangen wurde, so sah man jetzt nur noch den Laut als das Produkt der menschlichen Sprechwerkzeuge, unabhängig von seiner schriftlichen Wiedergabe. Die Laute wurden nach ihrer physiologischen Hervorbringung beschrieben und eingeteilt. Lautveränderungen konnten damit ebenfalls als Veränderungen der Konstellation der Sprechwerkzeuge beschrieben werden. Solche artikulatorischen Veränderungen wurden wiederum als abhängig angesehen von äußeren, kulturellen oder selbst klimatischen Bedingungen. Schon bei J. Grimm [90] ('1868,575) war zu lesen: "Die Erfahrung lehrt. dass Bergluft die Laute scharf und rau, das flache Land sie weich und blöde mache". Daher rühre auch die artikulatorische Verwandtschaft der bergländischen Dialekte der Schweiz und Skandinaviens. Hier konnte auch die Theorie entstehen, die hochdeutsche Lautverschiebung der stimmlosen Verschlusslaute p, t. k zu den Affrikaten pf, tz, kch bzw. Spiranten f. s, eh (tal> zahl, pund > pfund, kind> chind) sei auf die rauere, zu heftiger Expiration anregende Gebirgsgegend der südlichen Alemannia zurückzuführen.

Lautveränderungen, beschrieben als artikulatorische Vorgänge, sollten immer nur ausnahmslos gelten. Physiologische und psychologische Gründe drängten auf Einheitlichkeit der Artikulation: Wenn ein altes k irgendwo als ch gesprochen wurde, so musste diese Veränderung alle k in allen Wörtern betreffen. Man sprach daher von der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze. Ein Laut verändert sich unter gleichen Bedingungen immer in gleicher Weise und in allen Fällen. Wichtige Triebfeder für die Ausnahmslosigkeit war der systematische Zwang nach Ausgleich innerhalb eines gegebenen Systems. Man sprach hier von Analogiebildungen als einem Anpassungsvorgang des sprachlichen Einzelfalles an die Mehrzahl der "normalen" Fälle. Ein Lautgesetz wird aus wenigen Beispielen erkannt und dann per analogiam auf alle ähnlichen Fälle bei gleichen Bedingungen angewendet. Scheinbare Ausnahmen sind bedingt durch die Schriftform, die sich in ihrer traditionsgebundenen Orthographie lautlichen Veränderungen

zunächst widersetzt.

Die Vertreter dieser linguistischen Richtung der artikulatorischen Lautlehre und der Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze wurden als Junggrammatiker bezeich-

net.

[92]Edward Sievers, Grundzüge der Lautphysiologie. Leipzig 1876; später: Grundzüge der Phonetik zur Einführung in das Studium der Lautlehre der indogermanischen

Sprachen. Leipzig 1881. 51901

[93]Hermann Osthoff. Schriftsprache und Volksmundart. Berlin 1883

[94]Hennann Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte. Halle 1886, 10 1995

[95]Otto Behaghel. Die deutsche Sprache. Leipzig 1886, Halle "1968

Das linguistische Interesse 23

2.4.3Dialektgrammatik als Ortsgrammatik

Das lautphysiologische Interesse brachte zahlreiche Lautgrammatiken von Einzelmundarten hervor. Die erste beispielhafte und viel zitierte Ortsgrammatik dieser Art war die vonJ. Winteler, 'Die Kerenzer Mundart' 1876 [96]. Die "Objektsprache" solcher Beschreibungen war die Sprache des Verfassers. Der Bearbeiter war sich selbst der sprachliche Informant (Autophonie). Nach diesem Vorbild entstanden weitere Ortsmonographien, als individualsprachliche Grammatiken der Heimatmundart des jeweiligen Verfassers. Als Hauptvertreter dieser Richtung gelten neben einer Reihe unbekannter Dissertationen mit dem stereotypen Titel 'Laute und Formen von .. .' F. Holthausen [97] (Soest 1886), A. Heusler [98] (Basel 1888), J. Schatz [101] (Imst 1897) u.a. Die meisten dieser Autophonien stammen nicht von ungefähr aus dem oberdeutschen Raum, da dort auch die gebildeten Sprecher, zu denen die Verfasser wohl zu zählen sind, noch von Hause aus Mundartsprecher waren. In der Schweiz konstituierte sich seit 1910 die Reihe 'Beiträge zur schweizerdeutschen Gnimmatik' [32], in der bis 1941 20 Ortsoder Kleinraum-Grammatiken erschienen sind, in der Regel als Lautund Flexionslehren, z.B. Vetsch, Appenzell [103], Bohnenberger, Wallis [103] u.a. Mit dem Aufkommen der Dialektgeographie wurden .diese Grammatiken später von Fall zu Fall ergänzt um Abschnitte wie: Abgrenzung zur Nachbarmundart oder Siedlungsgeschichte, z.B. Wiget, Toggenburg [103], Weber, Zürcher Oberland [103].

Die Darstellung der Laute auf artikulatorischer Basis erfolgte in der Absicht, sie als folgerichtige Endstufen einer langen phonetischen Entwicklung zu fassen. Das Ausgangsund Bezugssystem war das Mitteloder Althochdeutsche. Die neuhochdeutsche Schriftsprache hatte bei dieser organisch-historischen Betrachtung wenig Sinn als Bezugsoder Kontrastsystem. Als historische Bezugslaute dienten die von der junggrammatischen Schule aufgestellten mhd. Ideallaute, die aus den gereinigten und normalisierten mhd. Textausgaben abgezogen worden waren. Gerade durch dieses virtuelle Bezugssystem wurde aber die Grundhypothese sehr fraglich, dass nämlich die Dialektlaute die direkten Nachfolger der in mhd. Zeit gesprochenen Laute seien.

Erste Versuche, statt dieses idealisierten Bezugsoder Einteilungssystems die tatsächlich gesprochenen mhd. Laute aus historischen Texten zu rekonstruieren, ergaben denn auch ein sehr viel genaueres Bild vom geschichtlichen Ablauf der lautlichen Entwicklung in einer bestimmten Gegend (F. Kauffmann [99], K. Bohnenberger [100]). Die Berücksichtigung der mundartnahen historischen Texte aus derselben Landschaft brachte die Erkenntnis, dass der Lautstand der schwäbischen Mundart schon vor 300 Jahren in den Grundzügen so angelegt war wie zur Zeit der Untersuchung kurz vor der Jahrhundertwende, dass sich also so gut wie nichts geändert hatte. Dadurch erschienen die Dialekte als historische Sprachstufen in moderner Verwendung gerade den Sprachhistorikern um so interessanter. In den Mundarten des schweizerischen Wallis wollte man geradezu lebendiges Althochdeutsch wiedererkennen (Bohnenberger [103]).

24 Geschichte und Stand der Dialektforschung

Die Epoche der Ortsgrammatiken auf der Basis der Sprachkompetenz der Verfasser und später auch nach eigens erhobenem Sprachmaterial durch Fremdinformation ist bis heute noch im Gange, wenn sich auch das Schwergewicht der Dialektologie mehr aulden sprachgeographischen und soziolinguistischen Aspekt verlagert hat. Die Einzelortsoder Gebietsgranunatik ist nach wie vor die solideste Basis und der Ausgangspunkt, von dem aus alle weiteren Fragestellungen geographischer, historischer oder soziologischer Art am sinnvollsten angegangen ",erden können. Gerade die Flächenbetrachtung setzt exaktes Matenal an moghchst vielen Ortspunkten voraus. Die neuesten strukturellen Arbeiten zum Problem der Dialekteinteilung basieren fast ausschließlich auf Materialien der klassischen Ortsgrammatiken (Panzer, Thünunel [220], Wiesinger [219], [346]).

Einen speziellen Typ von Ortsgrammatik stellen einige jüngere Arbeiten über schweizerische Dialekte dar. Es sind Gesamtgrammatiken im Stile von Schulgrammatiken auf wissenschaftlicher Grundlage. Ihr Anliegen ist primär normativ und sprachpflegerisch (Weber [104], Fischer [105], Bossard [106]).

[96]Jost Winteler, Die Kerenzer Mundart des Kantons Glarus in ihren Grundzügen

dargestellt. Leipzig 1876

[97]FerdinandHolthausen, Die Soester Mundart. Laut- und Fonnenlehre. Soltau 1886

[98]Andreas Heusler, Beitrag zum Consonantismus der Mundart von Basel-Stadt.

Basel 1888

[99]Friedrich Kauffmann, Geschichte der Schwäbischen Mundart im Mittelalter und in der Neuzeit. Strassburg 1890

[100]Karl Bohnenberger, Zur Geschichte der schwäbischen Mundart im 15. Jahr- hundert. Tübingen 1892, Neudruck 1971

[101]Joseph Schatz, Die Mundart von Ist. Lautund Flexionslehre. Strassburg 18?7.

[102]August Gebhardt, Ouo Bremer, Grammatik der Nürnberger Mundart. LeIpzIg

 

1907 Neudruck Wiesbaden 1968

[103]

Beitr~ge zur schweizerdeutschen Grammatik (s. [32]). Bd. 1: Jakob Vetsch, Die

 

Laute der Appenzeller Mundarten. 1910; Bd. 6: Karl Bohnenberger, Die Mund~rt

 

der deutschen Walliser im Heimattal und in den Außenorten. 1913; Bd. 9: WIl-

 

helm Wiget, Die Laute der Toggenburger Mundarten. 1916; Bd. 15: Albert Weber,

 

Die Mundart des Zürcher Oberlandes 1923

Ortsgrammatiken mit sprachpflegerisch-antiquarischen Anteilen:

[l04]

Albert Weber, Zürichdeutsche Grammatik. Zürich 1948

[105]Ludwig Fischer, Luzerndeutsche Grammatik. Ein Wegweiser zur guten Mundart.

Zürich 1960, 2. Auf!. Hitzkirch 1989

[106]Hans Bossard, Zuger Mundartbuch. Grammatik und Wörterverzeichnisse. Ein Wegweiser zur guten Mundart. Zürich 1962

[107]Rudol! Suter, Baseldeutsch-Grammatik. Basel 1976, '1992

Strukturelle Ortsgrammatiken: .. [l08] Herbert 1. Kufner, Strukturelle Grammatik der Münchner Stadtmundart. Mun-

chen 1961

[109]Klaus Gladiator, Untersuchungen zur Struktur der mittelbairischen Mundart von

Großberghofen (Lkr. Dachau. München 1971

Eine vollständige Zusammenstellung von Ortsgrammatiken findet sich bei Wiesinger,

Raffin [43]; für das Niederdeutsche bei Panzer. Thümmel [220].

Das linguistische Interesse 25

2.4.4Dialektgeographie

Georg Wenkers Versuch, die Ausnahmslosigkeit der Lautgesetze gewissermaßen im Raume nachzuweisen, brachte den dialektgeographischen Aspekt in die Mundartforschung. Dass beinahe in jedem Ort "anders" gesprochen wird und dass die Verschiedenheit in mancher Richtung größer, in anderer Richtung weniger groß ist, gehört zum Erfahrungsschatz jedes Dialektsprechers. Durch die Atlasarbeit mit dem Ziel, wenigstens in Ausschnitten von jedem On des deutschen Sprachgebietes Sprachproben zu bekonunen, die man dann thematisch geordnet auf einer Karte eintragen konnte, sollte diese Alltagserfahrung systematisiert werden. Seit der junggranunatischen Epoche war Grammatik auf Lautlehre spezialisiert. Die ersten dialektgeographischen Fragestellungen waren daher auch lautlicher Natur. Lautunterschiede zwischen einzelnen Orten und Gegenden sollten die Gesetzmäßigkeit der Lautentwicklung geographisch belegen. Wenkers Ziel war also zunächst eine geographische Lautlehre. Im Jahre 1876 verschickte er eine Frageliste mit 40 Beispielsätzen, den sogenannten Wenker-Sätzen, an die Schulen von zunächst 1500 Orten der damaligen Rheinprovinz. In diese 40 Sätze waren die einzelnen Vokale und Konsonanten, deren lautgesetzliche Entwicklung und Geltung nachgewiesen werden sollte, gewissermaßen verpackt. Die 40 Sätze sind bei Mitzka [112] S. 131. abgedruckt. Sie lauten z.B.:

1. Im Winter fliegen die trockenen Blätter durch die Luft. 2. Es hört gleich auf zu schneien, dann wird das Wetter wieder besser. 3. Thu Kohlen in den Ofen, dass die

Milch bald an zu kochen fangt II Ich schlage Dich gleich mit dem Kochlöffel um die

Ohren, du Affe. 14 Mein liebes Kind, bleib hier unten stehn, die bösen Gänse beißen dich tot. 40. Ich bin mit den Leuten da hinten über die Wiese ins Korn gefahren.

Bis zum Jahre 1880 wurde die Fragebogenaktion auf über 30 000 Orte des deutschen Sprachgebietes ausgedehnt. Auch Süddeutschland wurde mit einbezogen, so dass schließlich die ausgefüllten Fragebogen, d.h. die in Ortsmundart übersetzten Wenker-Sätze, aus fast allen Schulerten vorlagen. Das Material von ungefähr 550 Einzelproblemen musste erst aus den Listen ausgezogen und auf 1650 Einzelkarten gezeichnet werden. Zwischen 1926 und 1956 ist dann in 23 Lieferungen der 'Sprachatlas des Deutschen Reichs' (DSA) [112] mit 129 Karten veröffentlicht worden.

Schon die ersten Auswertungen hatten gezeigt, dass die Hypothese von der ausnahmslosen Geltung lautgesetzlicher Veränderungen im Raum nicht zu halten war. Die einzelnen Entsprechungen für die mhd. Laute hatten je nach Wort in ein und derselben Gegend verschiedene Gestalt. Eine Lautveränderung war höchst selten im gesamten Wortschatz einheitlich durchgeführt. So löste sich die angenonunene Grenze zwischen dem Niederdeutschen und dem Hochdeutschen, die sogenannte Lautverschiebungslinie (p > pI, ff; t > tz, s; k > ch), auf in einen breiten Gürtel von Linien, die je nach Laut und Wert verschieden weit nach Norden und Süden reichten. Die Sprachgrenze mit den Lautunterschieden aus der

zweiten Lautverschiebung war keine Linie, sondern eine Art Fächer, dessen

26 Geschichte und Stand der Dialektforschung

inischer Fäche

Karte-I: Der "Rheinische Fächer" (nach W.P. Lehmann, Einführung in die historische

Linguistik. Heidelberg: C. Winter Verlag 1969).

äußerste Strahlen weit auseinanderlagen. Man sprach vom sogenannten "Rheinischen Fächer" (DSA Karte 3a). Ein zweiter unerwarteter Befund trat ebenfalls schon bei den ersten Handskizzen zutage: Einzelne Wörter wie z.B. Pferd, an denen die Verbreitung von anlautendem pfund Primärumlaut -e vor r dargestellt werden sollte, waren gar nicht in allen Gegenden vorhanden. Im Schwäbischen kam statt dessen das Wort Gaul, das Alemannische und Bairische meldeten Ross. Statt einer pf-Karte kam so eine Pferd-Gaul-Ross-Karte, d.h. eine Wortverbreitungskarte heraus. Ähnliches ergab sich bei den Stichwörtern sprechen oder Fuß.

Nicht zuletzt aus diesem Grunde wurde ab 1939 von W. Mitzka die zusätzliche Bearbeitung eines Wortatlasses in Angriff genommen. Nach der Fragebogenmethode Wenkers wurde eine Liste mit 200 Wörtern an 50 000 Schulorte des deutschen Reichsgebietes (von 1937) verschickt. Von 1951-1972 sind inzwischen 20 Bände dieses Wortatlasses mit ca. 200 Einzelwortkarten erschienen. Zentrale Bearbeitungsstelle für beide Atlasunternehmen ist das Forschungsinstitut für deutsche Sprache, Deutscher Sprachatlas in Marburg, wo auch alle noch unpublizierten Materialien gelagert und für Interessenten zur Einsichtnahme und Benutzung zugänglich sind.

Das linguistische Interesse 27

'Pferd'

nach Dt. Sprachatlas bearbeitet

von H. Protze

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Karte 2: "Pferd" nach DSA-Karte 8a [112], bearbeitet v. H. Protze [9]. (Entnommen aus:

Kleine Enzyklopädie. Die deutsche Sprache. Bd. 1. Leipzig: VEB Bibliographisches Institut 1969.)

Eine ebenfalls recht frühe Atlasarbeit wurde fast gleichzeitig mit dem DSA-Projekt begonnen, aber schon Jahre danach als Atlas mit 28 kombinierten Karten publiziert. Es ist die 'Geographie der schwäbischen Mundart' von H. Fischer [110], das Werk eines einzelnen Mannes. Das sprachliche Material hatte Fischer allerdings teilweise schon vorgefunden. In der Hauptsache wurde es jedoch in den Jahren 1886-87 bei 3000 württembergischen Pfarrämtern brieflich erhoben. Der Fra-

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