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Erstes Kapitel

Kennt ihr Seebьhl1, das Gebirgsdorf am Bьhlsee? Nein? Dann kennt ihr natьrlich auch das Kinderheim Seebьhl nicht, das bekannte Ferienheim fьr kleine Mдdchen. Schade. Aber es macht nichts.2 Kinderheime дhneln einander wie Brote oder Grдser; wer eines kennt, kennt sie alle. Wer an ihnen vorьberspaziert, hцrt Gelдchter und Geschrei; der spьrt etwas vom Kinderglьck und Frohsinn,

Freilich abends haben die kleinen Mдdchen oft Heim­weh 3, manche von ihnen weinen sogar.

Aber am Morgen ist das Heimweh vergessen. Dann klap­pern die Milchtassen; dann plappern die kleinen Mдdchen um die Wette4 und rennen in den grьnen See hinein, plan­schen und kreischen, schwimmen oder tun doch wenigstens so.

So ist es auch in Seebьhl am See, wo die Geschichte an­fдngt, die hier erzдhlt wird. Eine etwas verzwickte Ge­schichte. Ihr mьЯt manchmal gut aufpassen, um alles genau zu verstehen. Zu Beginn ist alles noch ganz gemьtlich.

Vorlдufig baden alle Mдdchen im See, und am wildesten spielt ein kleines neunjдhriges Mдdchen mit lockigem H^r. Sic heiЯt Luise, Luise Paify. Aus Wien.

Da ertцnt vom Hause her ein Gongschlag. Koch einer und ein dritter. Die Kinder und die Helferinnen, die noch baden, steigen ans Ufer.

„Der Gong gilt fьr alle!5" ruft Frдulein Ulrike. „Sogar fьr Luise."

„Ich komme ja schon!" schreit Luise. Und dann kommt sie tatsдchlich.

Punkt zwцlf TJhr wird zu Mittag gegessen; und dann war­ten alle neugierig auf den Nachmittag. Warum?

Am Nachmittag werden zwanzig „Neue" erwartet. Zwan­zig kleine Mдdchen aus Sьddeutschland. Werden ein paar Angeber und Klatschbasen dabei sein? Vielleicht „uralte Damen" von dreizehn oder schon vierzehn Jahren? Werden sie interessante Spielsachen mitbringen? Hoffentlich auch einen groЯen Gummiball! Trudes Ball hat keine Luft mehr. Und Brigitte gibt ihren Ball nicht heraus. Sie hat ihn im Schrank eingeschlossen, damit ihm nichts passiert.

* * *

Am Nachmittag stehen also Luise, Trude, Brigitte und die anderen Kinder an dem groЯen, weitgeцffneten Tor und warten gespannt auf den Autobus, der die Neuen von der nдchsten Bahnstation abholen soll. Wenn der Zug pьnkt­lich ankommt, dann ... Da hupt es schon! „Sie kommen!" Der Autobus fдhrt vorsichtig in die Einfahrt und hдlt.

Der Chauffeur steigt aus und hebt ein kleines Mдdchen nach dem anderen aus dem Wagen, dann auch Koffer und Taschen und Puppen und Kцrbe und Tьten und Teddys und Roller und Schirmchen und Thermosflaschen und Regen­mдntel und Rucksдcke und Bilderbьcher — eine bunte Fracht6.

Zum SchluЯ steht in der Wagentьr noch als zwanzigste ein ernstaussehendes kleines Mдdchen. Als ihr der Chauffeur helfen will, schьttelt sie energisch den Kopf. „Danke, nein!" sagt sie hцflich und steigt ruhig und sicher aus dem Auto­bus. Unten blickt sie sich verlegen um. Plцtzlich macht sie groЯe, erstaunte Augen. Sie starrt Luise an! Nun reiЯt auch Luise die Augen auf7 und blickt der Neuen erschrocken ins Gesicht.

Die anderen Kinder und Frдulein Ulrike schauen ebenfalls verwundert von einer zur anderen. Weswegen denn?. Luise und die Neue sehen sich zum Verwechseln дhnlich8! Zwar hat die eine lange Locken und die andere Zцpfe — aber das ist auch wirklich der einzige Unterschied!

Da dreht sich Luise um und rennt, wie von Lцwen und Tigern verfolgt, in den Garten.

„Luise!" ruft Frдulein Ulrike. „Luise!" Dann zuckt sie

die Achseln9 und bringt die zwanzig Neuen ins Haus. Als letzte geht langsam und verwundert das Zopfmдdchen.

* * *

Frau Holzmann, die Leiterin des Kinderheims, sitzt in ihrem Bьro und bespricht mit der alten Kцchin den Speise­zettel fьr die nдchsten Tage. Da klopft es, und Frдulein Ul­rike/ tritt_ein.. Sie meldet, daЯ die Neuen gesund, munter und vollzдhlig angekommen sind.

„Freut mich. Danke schцn."

„Aber da ist noch etwas zu sagen ...10"

„Ja?" die vielbeschдftigte Heimleiterin blickt kurz hoch.11

„Es handelt sich um Luise Palfy", beginnt Frдulein Ul­rike zцgernd. „Sie wartet vor der Tьr ..."

„Was hat sie denn wieder angestellt?"

„Diesmal nichts", sagt die Helferin, „nur ..."

Sie цffnet die Tьr und ruft: „Kommt herein, ihr beiden!"

Nun treten zwei kleine Mдdchen ins Zimmer.

Wдhrend Frau Holzinann die Kinder erstaunt ansieht, sagt Frдulein Ulrike: „Die Neue heiЯt Lotte Kцrner und kommt aus Mьnchen."

„Seid ihr miteinander verwandt?"

Beide schьtteln kaum erkennbar den Kopf.

„Sie haben sich bis heute noch nie gesehen!" sagt Frдu­lein Ulrike. „Seltsam, nicht wahr?"

„Wieso seltsam?" fragt die Kцchin. „Wie kцnnen sie sich gesehen haben, wenn die eine aus Mьnchen kommt und die andere aus Wien?"

Frau Holzmann sagt freundlich: „Zwei Mдdchen, die sich so дhnlich sind, werden sicher gute Freundinnen sein. Kommt, gebt euch die Hand!"

„Nein!" ruft Luise und versteckt die Hдnde auf dem Rьcken.

Frau Holzmann zuckt die Achseln, denkt nach und sagt schlieЯlich: „Ihr kцnnt gehen!"

Luise lдuft zur Tьr, reiЯt sie auf und rennt hinaus. Lotte grьЯt und will langsam aus dem Zimmer gehen.

„Noch einen Augenblick, Lottchen," sagt die Leiterin. Sie schlдgt ein groЯes Buch auf. „Ich will gleich deinen Namen eintragen, und wann und wo du geboren bist. Und wie deine Eltern heiЯen."

„Ich habe nur noch eine Mutti", flьstert Lotte.

„Zuerst also deinen Geburtstag!"

  • * *

Lotte geht durch den Korridor, steigt die Treppen hin­auf, цffnet eine Tьr und steht im Schrankzimmer. Ihr Kof­fer ist noch nicht ausgepackt. Sie fдngt an, ihre Kleider, Hemden, Schьrzen und Strьmpfe in ihren Schrank zu legen. Durch das offene Fenster hцrt sie fernes Kinderlachen.

Lotte hдlt die Fotografie einer jungen Frau in der Hand. Sie schaut das Bild zдrtlich an und versteckt es dann sorg­fдltig unter den Schьrzen. Als sie die Tьr schlieЯen will, sieht sie einen Spiegel an der Tьr. Ernst und aufmerksam betrachtet sie sich. Plцtzlich wirft sieUie "Zцpfe nach hinten uncTT<дrrirrit ihr Haar, bis es dem Lockenkopf von Luise Palfy дhnlich ist.

  • * *

Luise sitzt mit ihren Freundinnen auf der Gartenmauer und ьberlegt.

„Ich wдre nicht einverstanden/' sagt Trude, ihre Wiener Klassenkameradin, „wenn eine andere mit meinem Gesicht herumlдuft?12"

„Was soll ich denn machen?" fragt Luise bцse.

„Zerkratze ihr das Gesicht!" schlдgt Monika vor.

„Das beste wird sein, du beiЯt ihr die Nase ab!" rдt Christine.

„Sie hat mir die ganzen Ferien verdorben!" sagt Luise дrgerlich.

„Sie kann doch nichts dafьr!13" erklдrt Steffi. Da ertцnt der Gong. Und die Mдdchen springen von der Mauer.

  • * *

Frau Holzmann sagt im Speisesaal zu Frдulein Ulrike: „Unsere kleinen Doppelgдngerinnen sollen nebeneinander sitzen. Vielleicht hilft das!"

Die Kinder kommen lдrmend in den Saal und gehen zu ihren Plдtzen. Die Mдdchen, die Dienst haben, tragen die Schьsseln mit der heiЯen Suppe zu den Tischen. Andere fьllen die Teller.

Frдulein Ulrike tritt hinter Luise und Trude, legt Trude die Hand auf die Schulter und sagt: „Du setzt dich neben Hilde Sturm!"

Trude dreht sich um und will etwas antworten. „Aber ..."

„Kein aber!14"

Trude zuckt die Achseln und steht beleidigt auf.

Die Lцffel klappern. Der Platz neben Luise ist leer, und alle Blicke richten sich darauf. Dann gehen — wie auf Kom­mando — alle Augen zur Tьr15. Lotte ist eingetreten.

„Da bist du ja endlich!" sagt Frдulein Ulrike. „Komm, ich will dir deinen Platz zeigen." Sie bringt das stille, ernste Zopfmдdchen zum Tisch. Luise blickt nicht hoch, sondern iЯt wьtend ihre Suppe. Lotte setzt sich gehorsam neben Luise und nimmt ihren Lцffel, obwohl ihr der Hals wie zu­geschnьrt ist16.

Die anderen kleinen Mдdchen sehen gespannt zu dem merkwьrdigen Paar. Die dicke Steffi sitzt mit offenem Mund da.

Luise kann und will sich nicht lдnger beherrschen. Mit aller Kraft tritt sie unter dem Tisch gegen Lottes Bein. Lotte zuckt vor Schmerz zusammen, sagt aber kein Wort.

* * *

Am Tisch der Erwachsenen sagt die Helferin Gerda kopf­schьttelnd: „Es ist nicht zu glauben!17 Zwei vцllig fremde Mдdchen und eine solche Дhnlichkeit!"

Frau Holzmann blickt nachdenklich zu dem Tisch, an dem die beiden Mдdchen sitzen. Dann sagt sie: „Lotte Kцr­ner bekommt das Bett neben Luise Palfy! Sie mьssen sich aneinander gewцhnen."

Es ist Nacht. Bis auf zwei schlafen alle Kinder.18 Diese zwei liegen Rьcken an Rьcken und tun, als wьrden sie fest schlafen.19 Sie liegen aber mit offenen Augen und starren in die Dunkelheit.

Luise blickt bцse auf die silbernen Kreise, die der Mond auf ihr Bett malt. Plцtzlich horcht sie auf. Sie hцrt leises Weinen.

Lotte preЯt die Hдnde auf den Mund. Was hatte ihr die Mutter beim Abschied gesagt: „Ich freue mich sehr, daЯ du ein paar Wochen mit vielen frцhlichen Kindern Zusammen­sein wirst! Du bist zu ernst fьr dein Alter, Lottchen! Viel zu ernst! Du bist zu viel allein.20 Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, bin ich mьde. Und du hast inzwischen nicht gespielt wie andere Kinder, sondern abgewaschen, ge­kocht, den Tisch gedeckt. Komm bitte aus den Ferien mit lachenden Augen zurьck!21"

Nun liegt sie hier neben Luise, die ihr bцse ist, weil sie ihr дhnelt. Lotte seufzt und weint leise.

Plцtzlich streichelt eine kleine fremde Hand ьber ihr Haar! Lottchen erschrickt, aber Luises Hand streichelt vor­sichtig weiter.

Der Mond schaut durch das groЯe Schlafsaalfenster und wundert sich. Da liegen zwei kleine Mдdchen nebeneinander und haben nicht den Mut, sich anzusehen22. Lottchen, die eben noch weinte, sucht jetzt mit ihrer Hand langsam die streichelnde Hand von Luise.

„Na, gut", denkt der alte silberne Mond. „Da kann ich beruhigt untergehen!" Und das tut er dann auch.

Zweites Kapitel

Lotte und Luise hatten am nдchsten Morgen nicht den Mut, sich anzusehen, als sie aufwachten, als sie in weiЯen

langen Nachthemden in den Waschsaal liefen, sich anzogen und frьhstьckten. Sie sahen sich auch noch nicht an, als sie gemeinsam am See entlang liefen, als sie Lieder sangen, tanzten und Blumen pflьckten. Einmal kreuzten sich ihre raschen Blicke, aber nur ein einziges Mal.

* * *

Wдhrend Frдulein Ulrike auf der Wiese sitzt und liest, spielt Luise mit ihren Freundinnen Ball. Aber sie ist sehr unaufmerksam. Oft schaut sie sich um, als ob sie jemanden sucht und nicht finden kann.

Trude fragt: „Wann beiЯt du denn nun endlich der Neuen die Nase ab, hm?"

„Sei nicht so dumm!" sagt Luise. Christine blickt sie ьberrascht an: „Nanu! Ich denke, du bist wьtend?"

„Ich kann doch nicht jedem, auf den ich wьtend bin, die Nase abbeiЯen", sagt Luise kьhl. Und sie setzt hinzu: „AuЯer­dem bin ich gar nicht wьtend!"

„Aber gestern warst du es doch!" sagt Steffi.

„Und wie wьtend du warst!" ergдnzt Monika. „Beim Abendbrot hast du sie unter dem Tisch so stark getreten, daЯ sie beinahe aufgeschrien hдtte23!"

„Na, bitte!24" stellt Trude zufrieden fest.

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