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Ein neuer Apelles

Konrad Celtis hatte schon kurz vor 1500 seinen Nürnberger Freund als „alter Apelles“ (zweiter, neuer Apelles) in das lateinisch-humanistische Schrifttum eingeführt. Christoph Scheurl sagte 1508, die Künstler in Venedig und Bologna hätten diesen superlativischen Vergleich zwischen Dürer und dem in der Literatur gefeierten Maler der Antike gebraucht. Erasmus von Rotterdam, der berühmteste Universalgelehrte seiner Zeit, pries Dürer 1526 als „Apelles der schwarzen Linien“. In der Folgezeit wurde das Attribut des neuen Apelles zum Topos in den diversen schriftlichen Zeugnissen über Dürer. Sie alle sahen also den Nürnberger als Neubegründer der Mal- und Linienkunst aus dem Geist der Antike: Hatte der Grieche zur Zeit Alexanders des Großen darin brilliert, so jetzt Dürer unter Kaiser Maximilian!

Auf der höchsten Höhe seines Metiers angesiedelt zu sein - das verlangte jedem großen Renaissancekünstler zusätzlich das Wissen um kunsttheoretische Fragen ab. Dürer hat es besessen wie kein zweiter, Leonardo da Vinci ausgenommen. Dürers Interesse an der idealen Proportion erstreckte sich nach 1500 auf so gut wie alle Darstellungsinhalte. Proportion galt ihm als genereller Schlüssel zur Form. Selbst das Unscheinbarste besitzt Charakter, Maß und Gestalt. Aus dem Spannungsfeld von Natur und idealem Konstrukt resultiert hohe Kunst.

Der Kupferstich von Adam und Eva aus dem Jahr 1504 bildet einen der Höhepunkte in den Bemühungen um das rechte Maß des menschlichen Körpers. Bis 1500 reichen die Studien zurück, die diesem Blatt zugrunde liegen. Sie generierten den "vollendeten Mann" und die "vollendete Frau", dastehend im erstmals in der deutschen Kunst überzeugend wiedergegebenen Kontrapost. Die Summe dessen, was Dürer an humanistischer Gelehrsamkeit - unter anderem setzte er sich mit den Regeln Vitruvs (um 84 -nach 27 v. Chr.) auseinander - in dieses Szenario investierte, lässt eigentlich pedantisch visualisierte Kunsttheorie erwarten. Doch das Konstruktive geht auf in Atmosphärik. Erstmals in der Geschichte der Druckgrafik stehen helle Körper vor dunklem Grund, erstmals ist auf dem Feld der Grafik der Bildgrund als Stimmungsraum entdeckt. Das Stammelternpaar ist im Augenblick der Spannung, des Innehaltens vorgeführt. Noch waltet in allem göttliche Harmonie, unmittelbar vor dem Sündenfall sind Adam und Eva noch Idealbilder kreatürlicher Schönheit - in der nächsten Sekunde wird alles abgleiten ins sündenbelastete, der Vergänglichkeit unterworfene irdische Schicksal. Dass der Paradiesgarten zum dunklen Wald, zum Ort des Unzivilisierten mutiert, kündet schon von drohenden Naturkräften; und die Tiere darin spielen wohl auf das künftig Triebhafte im Menschen an.

Drei Jahre später entwickelte Dürer aus solchen Vorgaben die beiden großen Tafelbilder mit Adam und Eva, Glanzstücke, ja Pionierleistungen großformatiger Aktmalerei nördlich der Alpen. Ihr ursprünglicher Bestimmungszweck ist leider nicht gesichert. Dürer glückte die Konfiguration eines Menschenpaars voll atmenden Lebens und Schönheit, plastisch abgehoben vom dunklen monochromen Grund, ihm glückte die Gestaltung von Aktfiguren, deren Sinnlichkeit das zugrunde liegende Proportionsschema überstrahlt.

Der "Apelles Germaniae" gehorchte jenem Renaissanceideal, das die Künste als artes liberates, also nicht mehr als Handwerk, sondern als wissenschaftlich-theoretisch fundierte schöpferische Leistung betrachtete. Über 20 Jahre hinweg schrieb der Maler und Grafiker an diversen Lehrbüchern. Doch erst nach der Rückkehr von der niederländischen Reise, nach August 1521, bereitete er die gewaltige Fülle an Entwürfen, Notizen, ersten Zusammenfassungen zum Druck vor. Vorher, 1525, war auf dem Nürnberger Buchmarkt seine "Unterweisung der Messung mit Zirkel und Richtscheit" erschienen. Deren Leistung bestand nicht zuletzt in zukunftsträchtigen Wortschöpfungen in einer hier erstmals entwickelten deutschen Fachsprache - die Gelehrten schrieben üblicherweise in Latein. Gelegentlich musste Pirckheimer allerdings, der den Traktat redigierte, mäßigend eingreifen. Er ersetzte die Dürersche Vokabel "Schwanz" durch "Scham", und er machte aus "Arschbacken" den etwas feineren "Hintern".

1522 setzten die deutschen Fürsten eine Kommission ein, die über Abwehrmaßnahmen gegen die Türken, vor allem auch über den Festungsbau diskutierte. Sie zog Dürer als Berater heran. Dessen "Festungslehre" erschien 1527. Und Anfang des Jahres 1528 konnte Dürer noch das erste der vier Bücher zur Proportionslehre zur Publikation fertig stellen. Als das Werk Oktober 1528 in die Druckerpresse ging, war sein Autor bereits nicht mehr am Leben.

Am 6. April 1528 stirbt Albrecht Dürer an den Folgen der Malaria, "ausgedorrt wie ein Strohbündel" (Pirckheimer). Der Leichnam wird im Johannesfriedhof unter einer schlichten Bronzeplatte beigesetzt. Pirckheimer verfasst die unvergessliche Grabinschrift: „Quicquid Alberti Dureri mortale fuit, sub hoc conditur tumulo" ("Was von Albrecht Dürer sterblich war, ruht unter diesem Grab"). Eine offizielle Trauerfeier scheint es nicht gegeben zu haben. Seiner Frau hinterließ Dürer ein Vermögen von fast 7000 Gulden, mit dem man zu den hundert reichsten Nürnberger Bürgern gehörte.

Keine zweite Persönlichkeit der deutschen Kunstgeschichte ist über die Jahrhunderte hin derart, bis hin zur Mythenbildung, verklärt worden - und dies nicht nur in Deutschland.

Als der toskanische Großherzog Cosimo I. um 1560 in Florenz eine Bildnissammlung berühmter Zeitgenossen und der besten Künstler anlegte, erfuhr als einziger ausländischer Maler "Alberto Durero" die Ehre, mit einem Porträt neben Leonardo, Tizian und Michelangelo ins Pantheon aufgenommen zu werden.

Um 1600 verzeichnet man eine richtiggehende "Dürer-Renaissance", vor allem an den Höfen in Prag und München. Doch nicht nur dort. Der gelehrte Hamburger Buchhändler Georg Ludwig Frobenius (1566-1645) betitelte 1604 einige vorgebliche Dürer-Blatter mit "Icones Sacrae" - "Heilige Bilder". Er stellt sie also den heiligen Ikonen zur Seite. Der Umgang mit Dürers Kunst unterschied sich damals kaum noch von der Reliquienverehrung.

Auf den Straßen deutscher Städte um 1800 tauchten nicht selten junge Männer auf, gekleidet und frisiert a la Dürer (gemäß dem Münchner Selbstbildnis), Romantische Romane stilisierten den Maler aus Nürnberg zum Helden einer verklärten Mittelalterideologie. 1816 gründete man in Nürnberg den Albrecht-Dürer-Verein. Nach 1830 häufte sich zudem der Dürer-Kitsch: Pfeifenköpfe, Bierkrüge, Lebkuchen mit der Gestalt des Malers darauf, in Serie produziert.

Die patriotischen Exzesse, die den Ausbruch des deutsch-französischen Krieges 1870/71 begleiteten, suchten aus Dürer den "Deutschen schlechthin" zu machen, der wie Karl der Große, Luther, Goethe, Beethoven, Bismarck das Deutschtum als geschichtliche Vorsehung repräsentiere. Als 1902 Ferdinand Avenarius den "Dürerbund" für die Stärkung eines "gesunden" Kunstgefühls gründet, 1904 Julius Langbehn und Momme Nissen ein Büchlein mit dem Titel "Dürer als Führer" schreiben, da ist der Weg geebnet für die Nazi-Ideologie, die auch Dürer und Nürnberg vereinnahmt. Reichsparteitage der NSDAP finden nicht zufällig ab 1933 in der "deutschesten aller Städte" statt. In einer Kaiserstadt, die zudem Heimat des "deutschesten aller deutschen Künstler" war.

Es käme selbst einer Perversion gleich, wollte man das Schlusswort zu Dürer solch pervertierten Stimmen überlassen. Nein, ein Werk, eines seiner spätesten, eines seiner grandiosesten, möge den Schlusspunkt setzen.

Wieder einmal ist es ein Porträt, das uns mit dem Furor seines ästhetischen Humanismus in Bann schlägt. 1526 malte Dürer den Nürnberger Patrizier Hieronymus Holzschuher. Mächtig füllt der Kopf des Siebenundfünfzigjährigen fast die ganze Tafel aus. Der in einen schweren Pelz gehüllte Oberkörper scheint darin aufzugehen, Sockel zu sein für die von energischem Selbstbewusstsein strotzende Physiognomie. Die unglaubliche Feinheit, mit der Dürer jedem Phänomen, jeder Lebensspur nachgeht, verliert sich nicht einfach ins Detail, sondern ordnet sich der gewichtigen Modellierung des Gesichtes, der strotzenden Gegenwart dieses Mannes unter, der sich als Individuum ebenso zu geben weiß wie als Standesperson. In den Augäpfeln spiegelt sich das Fensterkreuz eben des Raumes, in dem der Maler die Arbeit der Visualisierung vollbringt. Die Porträtähnlichkeit ist das eine, das Dürer sucht - die Erfassung eines Charaktertyps im Sinne der zeitgenössischen Temperamentenlehre das andere. Natur und Ideal vereint! Die deutsche Malerei hat mit Dürer den kongenialen Anschluss an das Menschenbild und an das Weltbild der Renaissance gefunden.

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