- •2 Tonio verstummte, und seine Augen trübten sich. Hatte Hans es vergessen, fiel es ihm erst jetzt wieder ein, dass sie heute Mittag ein wenig zusammen spazieren gehen wollten?
- •3 Und er selbst hatte sich seit der Verabredung beinahe unausgesetzt darauf gefreut!
- •4 «Ja, adieu, ihr!» sagte Hans Hansen zu den Kameraden. «Dann gehe ich noch ein bisschen mit Kröger.» – Und die beiden wandten sich nach links, indes die anderen nach rechts schlenderten.
- •3 Aber Tonio Kröger stand noch eine Zeitlang vor dem erkalteten Altar, voll Staunen und Enttäuschung darüber, dass Treue auf Erden unmöglich war. Dann zuckte er die Achseln und ging seiner Wege.
- •1 «Störe ich?» fragte Tonio Kröger auf der Schwelle des Ateliers. Er hielt seinen Hut in der Hand und verbeugte sich sogar ein wenig, obgleich Lisaweta Iwanowna seine Freundin war, der er alles sagte.
- •2 «Ich hätte nicht kommen sollen», sagte er.
- •3 «Warum hätten Sie nicht, Tonio Kröger?»
- •1 Lisaweta amüsierte sich.
- •2 Das wusste Adalbert, und darum begab er sich ins Café, in die 'entrückte Sphäre', jawohl!»
- •1 «Nun, Gott mit ihm, Batuschka», sagte Lisaweta und wusch sich die Hände in einer Blechwanne; «Sie brauchen ihm ja nicht zu folgen.»
- •2 «An anderen, Tonio Kröger – verzeihen Sie – oder nicht nur an anderen?»
- •3 Er schwieg. Er zog seine schrägen Brauen zusammen und pfiff vor sich hin.
- •1 «Das ist die Antwort des Horatio, liebe Lisaweta. 'Die Dinge so betrachten, hieße, sie zu genau betrachten', nicht wahr?»
- •2 «Sie sind kein –» sagte Lisaweta... Sie hielt gerade ihr Löffelchen mit Tee in der Nähe des Mundes und erstarrte in dieser Haltung.
- •1 Gegen den Herbst sagte Tonio Kröger zu Lisaweta Iwanowna:
- •3 «Gern!» sagte der Beamte und zwinkerte noch heftiger... «Gewiss, das steht jedermann frei. Wollen Sie sich nur umsehen... Ist Ihnen ein Katalog gefällig?»
- •1 «Sie kommen von München?» fragte endlich der Polizist mit einer gutmütigen und schwerfälligen Stimme.
- •1 «Was haben Sie denn da?» fragte der Polizist. «Da, in dem Porteföhch?»
- •1 Der Abend rückte vor, und der Wind war nun so heftig geworden, dass er das Sprechen behinderte. So beschlossen sie, ein wenig zu schlafen, und wünschten einander gute Nacht.
- •2 «Tak! o, mange Tak!» sagte sie und sah ihn von unten herauf mit dunklen, schwimmenden Augen an.
- •3 Um ihn war es still und dunkel. Aber von unten tönte gedämpft und wiegend des Lebens süßer, trivialer Dreitakt zu ihm herauf.
- •1 Tonio Kröger saß im Norden und schrieb an Lisaweta Iwanowna, seine Freundin, wie er es ihr versprochen hatte.
- •4 Schelten Sie diese Liebe nicht, Lisaweta; sie ist gut und fruchtbar. Sehnsucht ist darin und schwermütiger Neid und ein klein wenig Verachtung und eine ganze keusche Seligkeit.»
2 Das wusste Adalbert, und darum begab er sich ins Café, in die 'entrückte Sphäre', jawohl!»
1 «Nun, Gott mit ihm, Batuschka», sagte Lisaweta und wusch sich die Hände in einer Blechwanne (в жестяной лоханке; das Blech); «Sie brauchen ihm ja nicht zu folgen.»
2 «Nein, Lisaweta, ich folge ihm nicht, und zwar einzig, weil ich hie und da imstande bin, mich vor dem Frühling meines Künstlertums ein wenig zu schämen (cтыдится за свое художничество = за то, что я художник, человек искусства). Sehen Sie, zuweilen erhalte ich Briefe von fremder Hand, Lob- und Dankschreiben (das Lob – хвала, похвала; loben – хвалить) aus meinem Publikum, bewunderungsvolle Zuschriften ergriffener Leute (полные восхищения, восторга письма взволнованных, воодушевленных людей; die Zuschrift – письмо /отклик читателя/). Ich lese diese Zuschriften, und Rührung beschleicht mich (и растроганность проникает, пробирается в меня = бываю невольно тронут; beschleichen – прокрадываться, проникать; охватывать /о чувствах/) angesichts des warmen und unbeholfenen menschlichen Gefühls (пред этим теплым и неловким, беспомощным человеческим чувством), das meine Kunst hier bewirkt hat (вызвало /своим воздействием/), eine Art von Mitleid fasst mich an (охватывает) gegenüber der begeisterten Naivität, die aus den Zeilen spricht (die Zeile – строка), und ich erröte bei dem Gedanken, wie sehr dieser redliche (честный, добросовестный, положительный) Mensch ernüchtert sein müsste (был бы отрезвлен), wenn er je (когда-либо) einen Blick hinter die Kulissen täte, wenn seine Unschuld je begriffe, dass ein rechtschaffener (честный, порядочный), gesunder und anständiger (порядочный) Mensch überhaupt nicht schreibt, mimt (не играет: «не является мимом»), komponiert... was alles ja nicht hindert, dass ich seine Bewunderung für mein Genie benütze, um mich zu steigern (чтобы поощрять себя: «повышаться») und zu stimulieren, dass ich sie gewaltig ernst nehme (что я их очень даже принимаю всерьез; gewaltig – мощный; die Gewalt – мощь; насилие) und ein Gesicht dazu mache wie ein Affe, der den großen Mann spielt... Ach, reden Sie mir nicht darein (не спорьте со мной, не возражайте мне), Lisaweta! Ich sage Ihnen, dass ich es oft sterbensmüde bin, das Menschliche darzustellen, ohne am Menschlichen teilzuhaben (не участвуя, не имея своей доли, не будучи причастен)... Ist der Künstler überhaupt ein Mann? Man frage 'das Weib' danach (об этом надо спросить женщину – слово das Weib взято в кавычки, поскольку здесь обыгрывается психологический термин das Weibliche – женственное начало, широко обсуждавшийся в эпоху Т. Манна)! Mir scheint, wir Künstler teilen alle ein wenig das Schicksal jener präparierten päpstlichen Sänger (разделяем судьбу тех препарированных папских певцов = кастратов)... Wir singen ganz rührend schön. Jedoch –»
3 «Sie sollten sich ein bisschen schämen, Tonio Kröger. Kommen Sie nun zum Tee. Das Wasser wird gleich kochen, und hier sind Papyros. Beim Sopransingen waren Sie stehen geblieben; und fahren Sie da nur fort (fortfahren – продолжать /что-либо делать/). Aber schämen sollten Sie sich. Wenn ich nicht wüsste, mit welch stolzer Leidenschaft Sie Ihrem Berufe ergeben sind (преданы)...»