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Einleitung – Was sind Redewendungen?

Einleitung – Was sind Redewendungen?

Redensarten, Redewendungen, feste Wendungen, idiomatische Wendungen, feste Verbindungen, idiomatische Verbindungen, Idiome, Wortgruppenlexeme, Phraseologismen, Phraseolexeme – auch wenn diese Bezeichnungen nicht vollständig gleichbedeutend sind, versucht die Sprachwissenschaft, damit bestimmte sprachliche Erscheinungen zu fassen, die man als eine Art »sprachliche Fertigbauteile« umschreiben könnte. Der Satz

Sie hat ihm einen Bären aufgebunden ist nicht verständlich, wenn man versucht, seine Bedeutung »wörtlich« zu erschließen. Nur wenn man weiß, dass die Wortgruppe jemandem einen Bären aufbinden in ihrer Gesamtheit eine bestimmte Bedeutung hat, und wenn man diese Gesamtbedeutung kennt, versteht man den Satz richtig: Sie hat ihn dazu gebracht, etwas Unwahres zu glauben.

Kennzeichen einer Redewendung ist zunächst, dass sie aus mehr als einem Wort besteht. Im Alltagsverständnis von Sprache werden gelegentlich auch einzelne Wörter wie Ulknudel, grottendoof oder (nach neuer Rechtschreibung) abhandenkommen als Redensarten angesehen; solche Fälle bleiben in diesem Wörterbuch weitgehend unberücksichtigt. Das zweite und entscheidende Merkmal der festen Wendungen ist, dass ihre Bedeutung nicht oder nur teilweise aus den Einzelbedeutungen ihrer Bestandteile zu erkennen ist und dass sie in der Regel eine feste, nur begrenzt veränderbare Struktur haben. Wie sie am sichersten von den nicht idiomatischen, den freien Wortverbindungen abgegrenzt werden können, wie sie zu klassifizieren sind und welche Redewendungen in diesem Wörterbuch erfasst und beschrieben werden, sollen die folgenden Abschnitte erläutern. Aus der Vielfalt der Benennungsmöglichkeiten wird dabei neben »Redewendungen« die Bezeichnung »feste Wendung« als Oberbegriff bevorzugt, weil sie die

Abgrenzung zu freien Wortgruppen besonders deutlich zum Ausdruck bringt.

1. Abgrenzung fester Wendungen gegenüber freien Wortgruppen

1.1 »Zusammengesetzte« Bedeutung

Redewendungen sind in der Regel nicht »wörtlich« zu verstehen. Der Satz Der Junge hat lange Finger gemacht (= hat gestohlen) unterscheidet sich insofern deutlich von Der Junge hat gute Fortschritte gemacht. Es wäre aber falsch, daraus zu schließen, dass alle nicht wörtlich gebrauchten Wortgruppen feste Redewendungen seien.

Die Sätze

Das ist ein dicker Hund!

Das ist ein elender Hund!

kann man zwar beide zunächst ganz wörtlich als Aussage über einen Hund auffassen, in vielen Situationen ist aber ein dicker Hund nur als »eine erstaunliche Sache« oder »eine große Frechheit« zu verstehen, während mit ein elender Hund häufig »ein niederträchtiger, bösartiger Mensch« gemeint ist. Obwohl beide Sätze neben ihrer wörtlichen also auch eine übertragene Bedeutung haben, besteht zwischen ihnen ein Unterschied: Im ersten Fall kann das Wort Hund nur in Verbindung mit dem Wort dick zum Ausdruck der Überraschung oder der Empörung gebraucht werden – Formen wie ein schlimmer Hund oder ein erstaunlicher Hund können diesen Bedeutungsgehalt ebenso wenig vermitteln wie ein dicker Hase oder ein dicker Kater. Im zweiten Fall dagegen kann Hund auch ganz allein oder in Verbindung mit anderen Adjektiven für »schlechter Mensch« stehen, etwa in du Hund!, dieser gemeine Hund!, ein hinterhältiger Hund usw. Und auch das Wort elend ist als abwertendes Adjektiv frei verfügbar, zum Beispiel in ein elender Schuft oder dieser elende Betrüger!

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1.2Feste Wendung und Metapher

Vor allem die dichterische Sprache neigt dazu, Wörter in besonderer Weise zu verwenden und neue Ausdrucksmöglichkeiten zu schaffen. Auch von den so entstehenden poetischen Metaphern sind die Redewendungen abzugrenzen. Die folgende Gegenüberstellung soll dies verdeutlichen:

der goldene Mittelweg das goldene Himmelsfeuer

Wieder ist die erste der beiden Wortgruppen als idiomatisch, als fest anzusehen: der goldene Mittelweg bedeutet »eine angemessene, vermittelnde, die Extreme meidende Lösung eines Problems, eines Konflikts«. Die zweite Wortkette könnte zum Beispiel als Umschreibung für die Sonne verstanden werden. Mit dem goldenen Himmelsfeuer könnte aber ebenso gut ein Wetterleuchten oder ein Feuerwerk gemeint sein; die Sonne ließe sich dagegen auch als goldglänzendes Himmelsfeuer, goldenes Himmelslicht und auf viele andere Arten bezeichnen. Ein goldglänzender Mittelweg oder eine goldene Mittelallee sind jedoch nicht austauschbar mit dem goldenen Mittelweg in der oben angegebenen Bedeutung.

Die feste Wendung ist im Gegensatz zur Metapher, zur freien bildlichen Umschreibung, einer bestimmten Bedeutung klar zugeordnet. Sie ist außerdem in ihren Bestandteilen nur wenig oder gar nicht variabel, während die Metapher fast beliebig abgewandelt werden kann. (Sprachgeschichtlich ist es übrigens häufig der Fall, dass sich eine heute feste Wendung aus einer Metapher entwickelt hat, die im Laufe der Zeit in einer bestimmten Form fixiert und einer bestimmten Bedeutung fest zugeordnet wurde. Redewendungen haben daher

oft – wenn auch nicht immer – eine bildhafte Grundlage.)

1.3 Veränderbarkeit

Viele feste Wendungen sperren sich gegen eine ganze Reihe von syntaktischen und anderen Operationen, die bei freien Wortgruppen ohne Weiteres möglich sind. In der nicht idiomatischen Verbindung ein Mann und eine Frau kann ein Bestandteil durch einen bedeutungsgleichen oder -ähnlichen ersetzt werden: ein Mann und ein weibliches Wesen. (Die Sprachwissenschaft nennt diese Operation Kommutation oder Ersetzung.) Man kann auch einen erläuternden Zusatz oder eine nähere Bestimmung zu einem der Wörter hinzufügen: ein Mann und eine schöne Frau (Attribuierung oder Beifügung). Die Verbindung kann allgemein um ein Wort oder um mehrere Wörter erweitert werden: ein Mann und unter Umständen auch eine Frau (Diskontinuität oder Unterbrechung). Man kann die Glieder umstellen oder vertauschen eine Frau und ein Mann (Permutation oder Umstellung). Und schließlich kann auch die Form der Wörter abgewandelt werden, zum Beispiel, indem man die Substantive in den Plural setzt: Männer und Frauen (morphologische Veränderung oder Formenabwandlung).

Bei freien Wortgruppen wie ein Mann und eine Frau sind alle diese Operationen möglich, ohne dass das Ergebnis das Sprachempfinden stört; alle abgewandelten Wortgruppen sind genauso akzeptabel wie die Ausgangsform.

Anders verhält es sich dagegen bei den festen Wendungen wie zum Beispiel ein Mann, ein Wort. Führt man hier dieselben Operationen durch wie oben, könnten sich die folgenden Wortgruppen ergeben:

Kommutation: ein männliches Wesen, ein Wort

Attribuierung: ein schöner Mann, ein Wort Diskontinuität: ein Mann, unter Umständen auch ein Wort

Permutation: ein Wort, ein Mann

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morphologische Veränderung: Männer, Wörter

In allen diesen Fällen werden kompetente Sprecher des Deutschen die Wortfolge als nicht richtig oder zumindest als unüblich empfinden. Sie werden in der Regel sofort die »eigentliche« Form ein Mann, ein Wort assoziieren und die abgewandelten Formen höchstens als Sprachspielereien, als gewollte Abweichungen von der üblichen Ausdrucksweise akzeptieren.

Zu beachten ist, dass die beschriebenen Operationen bei festen Wendungen keineswegs grundsätzlich unzulässig sind. Attribuierung ist zum Beispiel möglich bei Wert auf etwas legen (großen Wert auf etwas legen).

Diskontinuität und Permutation sind vor allem bei verbalen Wendungen in weitem Maße zulässig, etwa bei Kohldampf schieben (wir schieben seit Tagen Kohldampf). Auch morphologische Veränderbarkeit, zum Beispiel bei blinder Passagier (die blinden Passagiere), ist vielfach nicht ausgeschlossen. Dagegen ist Kommutation in der Regel nicht oder nur in begrenztem Umfang möglich. Für die Fügung wie aus dem Ei gepellt gibt es zwar die Variante wie aus dem Ei geschält, aber wie aus dem Hühnerei gepellt entspricht nicht dem allgemeinen Sprachgebrauch. Die Kommutationsoder Ersatzprobe ist daher in den meisten Fällen das sicherste formale Mittel der Abgrenzung von festen und freien Wendungen.

2. Grenzgebiete

2.1 Nur teilweise eingeschränkte Ersetzbarkeit

Vergleichbar mit festen Wendungen, aber deutlich von diesen abzugrenzen, sind Wortgruppen, deren Besonderheit der Sprachwissenschaftler Eugenio Coseriu als »lexikalische Solidarität« bezeichnet hat. Ein Beispiel ist der späte Hölderlin in einem Satz wie Der späte Hölderlin hat keine Liebesgedichte mehr geschrieben. Nur in attributiver Verbin-

dung mit dem Namen einer bekannten schöpferischen Persönlichkeit heißt das Adjektiv spät so viel wie »in seinen letzten Lebensund Schaffensjahren stehend«. Hölderlin kann in diesem Kontext nicht durch

Briefträger oder Großvater ersetzt werden; dagegen wäre dies durch Goethe oder Shakespeare durchaus möglich. Es gibt also eine ganze Wortklasse, die durch bestimmte Bedeutungsmerkmale charakterisiert ist, mit der das Adjektiv spät im oben genannten Sinne ohne Einschränkung der Ersetzbarkeit verknüpft werden kann.

Ähnliches gilt für das Verb bellen, das in seiner konkreten Bedeutung in der Regel den Handlungsträger Hund erwarten lässt – diesen aber wieder als ganze Wortklasse, deren Elemente austauschbar sind: Der Hund/ Pudel/Rüde/Jagdhund/Dackel Waldi bellt.

Die feste Wendung kennt solche Möglichkeiten der Austauschbarkeit nicht. Der Satz Mich laust der Affe! ist zum Beispiel nicht abwandelbar zu Mich laust der Gorilla! oder Mich laust das Affenweibchen!

2.2 Verben mit Präpositionen

Abzugrenzen sind feste Wendungen auch von den – besonders im Fremdsprachenunterricht wichtigen – Verknüpfungen von Verben mit bestimmten Präpositionen. Das Wort glauben zum Beispiel kann im Deutschen ein präpositionales Objekt mit der Präposition an haben (Er glaubt an Geister). Da die Bedeutung von an etwas glauben nicht ohne Weiteres aus den Bedeutungen von an und glauben zu erschließen ist (an bezieht sich ja im Allgemeinen auf räumliche oder zeitliche Verhältnisse), könnte man diese Art von Verbindungen gemäß unserer Anfangsdefinition zu den festen Wendungen rechnen. Berücksichtigt man aber, dass die Bedeutung einer Präposition ohnehin oft nur schwer exakt einzugrenzen ist und dass in den meisten dieser Verbindungen das Verb nicht oder nur wenig von seiner gewöhnlichen Bedeutung abweicht, dann erscheint es

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sinnvoller, diese Fälle von den Redewendungen auszunehmen und stattdessen dem Bereich zuzuordnen, den die Sprachwissenschaft als Rektion des Verbs bezeichnet. Man beschreibt das Verb glauben danach als verknüpfbar mit einem Dativobjekt (Ich glaube ihm), einem Akkusativobjekt (Ich glaube die Geschichte), einem Objektsatz (Ich glaube, dass es wahr ist) und schließlich einem präpositionalen Objekt aus an + Akkusativ (Ich glaube an böse Geister).

2.3 Formelhafte Vergleiche

Eine weniger eindeutige Abgrenzung der festen von den freien Wortgruppen gibt es im Bereich der Vergleichsformeln. Freie Vergleichsbildungen (sie war stark wie ein Pferd, er schnaufte wie eine Dampflokomotive usw.) sind in unbegrenzter Zahl möglich. Einige der möglichen Vergleiche sind aber so häufig im Gebrauch, dass sie formelhaft geworden sind und heute als Redewendungen gelten können. Gelegentlich bleiben sie als Vergleiche auch dann noch in der Sprache lebendig, wenn im Lauf der Sprachentwicklung ihre einzelnen Elemente an Verständlichkeit einbüßen. Warum zum Beispiel das Wort Bohnenstroh die Eigenschaft dumm verdeutlichen soll, ist heute nicht mehr auf Anhieb zu erkennen. Zur Erklärung der festen Vergleichsformel dumm wie Bohnenstroh sein muss man einige Zeit in der Sprachgeschichte zurückgehen. Dabei stößt man auf die ältere Form grob wie Bohnenstroh sein, die auf arme und ungebildete Menschen bezogen wurde, die sich ihre Schlafstatt nicht auf richtigem Stroh bereiten konnten, sondern mit dem härteren, gröberen Kraut der Futterbohne vorliebnehmen mussten. Erst in späterer Zeit wurde grob durch das heute gebräuchliche dumm ersetzt.

Im Gegensatz zu solchen festen Vergleichsformeln gehören stereotype Vergleiche wie weiß wie Schnee oder zart wie Samt nicht zum engeren Bereich der festen Wendungen, da sie sich bei Kommutationsund anderen

Proben als relativ stark veränderbar erweisen

(weiß wie ein Schwan, weiß wie frisch gefallener Schnee, wie Schnee so weiß). Eine strenge schematische Grenzziehung ist hier aber kaum möglich; der Grad der idiomatischen Festigkeit kann in Fällen wie schnell wie der Blitz oder hungrig wie ein Wolf unterschiedlich eingeschätzt werden.

2.4 Funktionsverbgefüge

Ebenso unscharf ist die Abgrenzung der festen Wendungen im Bereich der sogenannten Funktionsverbgefüge. Das sind Verbindungen eines von einem Verb abgeleiteten Substantivs mit einem Verb, das in dieser Verbindung seine eigentliche Bedeutung verliert. Die Bedeutung der Funktionsverbgefüge entspricht in der Regel mehr oder weniger der Bedeutung des Verbs, von dem das Substantiv abgeleitet ist: eine Entscheidung treffen heißt so viel wie »entscheiden«, zur Verteilung gelangen bedeutet »verteilt werden«. Mit bestimmten Verben lässt sich aber eine große Zahl solcher Fügungen bilden, zum Beispiel mit bringen (zur Verteilung bringen, zur Entfaltung bringen, zum Abschluss bringen usw.), sodass wegen der nur wenig begrenzten Austauschmöglichkeiten nicht generell von festen Wendungen gesprochen werden kann.

Von vielen Sprachkritikern und Sprachpflegern werden Funktionsverbgefüge als unnötige, den Text lediglich aufschwellende Nominalisierungen angesehen. Auch wenn sie in bestimmten Fällen durchaus bedeutungsdifferenzierende Funktion haben können (etwas in Ordnung bringen ist nicht unbedingt dasselbe wie »etwas ordnen«), gelten sie als charakteristisch für eine papierne, vom Kanzleistil geprägte Ausdrucksweise.

2.5 Feste Attribuierungen

Eine weitere notwendige, aber nicht immer eindeutige Grenzziehung betrifft die Gruppe der festen Attribuierungen (Verbindungen

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