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Remarque_ Liebe_Deinen_Naechsten.doc
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07.08.2019
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In diesem Augenblick kam der Wirt. »Keinen Radau in meinem Lokal, meine Herren!«

»Ich will auch keinen«, sagte Steiner. »Ich will gehen.«

»Wir gehen mit«, sagte der Schwarze.

Der Schmächtige und der Schwarze gingen voran, dann kam Steiner und hinter ihm der Dicke. Steiner wußte, daß nur der Schwarze gefährlich war. Es war ein Fehler, daß er voranging. Im Moment, als er die Tür passierte, trat Steiner nach hinten aus, dem Dicken in den Bauch, und schlug dem Schwarzen die geballte Faust mit aller Kraft wie einen Hammer ins Genick, so daß er die Stufen hinunter gegen den Schmächtigen taumelte. Mit einem Satz sprang er dann hinaus und raste die Straße entlang, ehe die andern sich erholt hatten. Er wußte, daß es seine einzige Chance war, denn auf der Straße hätte er gegen drei Mann nichts mehr machen können. Er hörte Geschrei und sah sich im Laufen um — aber niemand folgte ihm. Sie waren zu überrascht gewesen.

Er ging langsamer und kam allmählich in belebtere Straßen. Vor dem Spiegel eines Modegeschäftes blieb er stehen und sah sich an. Falschspieler und Betrüger, dachte er. Aber ein halber Paß... Er nickte sich zu und ging weiter.

5

Kern saß auf der Mauer des alten jüdischen Friedhofs und zählte im Schein einer Straßenlaterne sein Geld. Er hatte den ganzen Tag in der Gegend des Heiligenkreuzberges ge­handelt. Es war ein armes Viertel; — aber Kern wußte, daß Armut mildtätig ist und nicht nach Polizei ruft. Er hatte achtundreißig Kronen verdient. Es war ein guter Tag gewesen.

Er steckte sein Geld ein und versuchte, auf dem verwitter­ten Grabstein, der schief neben ihm an der Mauer lehnte, den Namen zu entziffern. »Rabbi Israel Löw«, sagte er dann, »gestorben in verwischten Zeiten, sicher hochgelehrt einst und nun ein bißchen Knochenerde da unten — was meinst du, was soll ich jetzt tun? Nach Hause gehen, zufrieden sein oder versuchen, zu spekulieren und auf fünfzig Kronen Verdienst zu kommen?«

Er zog ein Fünfkronenstück hervor. »Es ist dir ziemlich gleich­gültig, Alter, was? Fragen wir also das Schicksal der Emigranten, den Zufall. Kopf ist Zufriedenheit, Schrift Weiterhandeln.«

Er wirbelte das Geldstück hoch und fing es auf. Es rollte aus seiner Hand und fiel auf das Grab. Kern kletterte über die Mauer und hob es vorsichtig hoch. »Schrift! Auf deinem Grab! Du selbst rätst mir also ebenfalls dazu, Rabbi! Dann aber los!« Er ging auf das nächste Haus zu, als wollte er eine Festung stürmen.

Im Parterre öffnete niemand. Kern wartete eine Zeitlang, dann stieg er die Treppen hinauf. In der ersten Etage kam ein hübsches Dienstmädchen heraus. Es sah seine Tasche, verzog die Lippen und machte schweigend die Tür wieder zu.

Kern stieg zur zweiten Etage empor. Nach zweimaligem Klin­geln erschien dort ein Mann mit offenstehender Weste in der Tür. Kern hatte kaum angefangen zu sprechen, als der Mann ihn empört unterbrach. »Toilettewasser? Parfüm? So eine Frechheit! Können Sie nicht lesen, Mensch? Mir, dem Generalvertreter von Andrea-Parfümerieartikeln, ausgerechnet mir wagen Sie Ihren Mist anzubieten? ’raus!«

Er schmiß die Tür zu. Kern zündete ein Streichholz an und studierte das Messingschild an der Tür. Es war Tatsache; Josef Schimek handelte selbst en gros mit Parfüm, Toilettewasser und Seife. Kern schüttelte den Kopf. »Rabbi Israel Löw«, murmelte er. »Was heißt das? Sollten wir uns mißverstanden haben?«

Er klingelte in der dritten Etage. Eine freundliche, dicke Frau öffnete. »Kommen Sie nur herein«, sagte sie gutmütig, als sie ihn sah. »Deutscher, nicht wahr? Flüchtling? Kommen Sie nur herein!«

Kern folgte ihr in die Küche. »Setzen Sie sich«, sagte die Frau, »Sie sind doch sicher müde.«

»Nicht sehr.«

Es war das erstemal in Prag, daß man Kern einen Stuhl anbot. Er nutzte die seltene Gelegenheit aus und setzte sich. Entschuldi­ge, Rabbi, dachte er, ich war voreilig. Entschuldige, ich bin jung, Rabbi Israel. Dann packte er seine Tasche aus.

Die dicke Frau stand behäbig, mit über dem Magen gekreuzten Armen, vor ihm und sah ihm zu. »Ist das Parfüm?« fragte sie und zeigte auf eine kleine Flasche.

»Ja.« Kern hatte eigentlich erwartet, daß sie sich für Seife in­teressieren würde. Er hielt die Flasche hoch wie einen kostbaren Edelstein. »Das hier ist das berühmte Farr-Parfüm der Firma Kern. Etwas ganz Besonderes! Nicht so eine Lauge wie zum Beispiel die Produkte der Andreawerke, die Herr Schimek unter uns vertritt.«

»Soso...«

Kern öffnete die Flasche und ließ die Frau riechen. Dann nahm er ein Glasstäbchen und strich es über ihre fette Hand. »Versu­chen Sie selbst...«

Die Frau schnupperte ihre Hand ab und nickte. »Scheint gut zu sein. Aber haben Sie nur so kleine Flaschen?«

»Hier ist eine größere. Dann habe ich noch eine, die ist sehr groß. Die hier. Sie kostet allerdings vierzig Kronen.«

»Das macht nichts. Die große ist richtig, die behalte ich.«

Kern glaubte seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Das waren bare achtzehn Kronen Verdienst. »Wenn Sie die große Flasche nehmen, gebe ich Ihnen noch ein Stück Mandelseife gratis dazu«, erklärte er begeistert.

»Schön, Seife kann man immer gebrauchen.«

Die Frau nahm die Flasche und die Seife und ging in ein Ne­benzimmer. Kern packte inzwischen seine Sachen wieder ein. Aus der halboffenen Tür drang der Geruch von gekochtem Fleisch. Er beschloß, sich nachher ein erstklassiges Abendessen zu gönnen. Die Suppe aus der Mensa am Wenzelsplatz machte nicht satt.

Die Frau kam zurück. »Also schönen Dank und auf Wiederse­hen«, sagte sie freundlich. »Hier haben Sie auch ein Butterbrot auf den Weg!«

»Danke.« Kern blieb stehen und wartete.

»Ist noch was?« fragte die Frau.

»Ja, natürlich,« Kern lachte, »Sie haben mir das Geld noch nicht gegeben.«

»Das Geld? Was für Geld?«

»Die vierzig Kronen«, sagte Kern erstaunt.

»Ach so! Anton!« rief die Frau ins Nebenzimmer hinein. »Komm doch mal her! Hier fragt einer nach Geld!«

Ein Mann in Hosenträgern kam aus dem Nebenzimmer. Er wischte sich den Schnurrbart und kaute. Kern sah, daß er über dem verschwitzten Hemd eine Hose mit Litzen trug, und eine böse Ahnung stieg plötzlich in ihm auf. »Geld?« fragte der Mann heiser und bohrte in seinem Ohr.

»Vierzig Kronen«, erwiderte Kern. »Aber geben Sie mir lieber einfach die Flasche zurück, wenn es Ihnen zuviel ist. Die Seife können Sie dann behalten.«

»Soso!« Der Mann kam näher heran. Er roch nach altem Schweiß und gekochtem frischem Schweinebauch. »Komm mal mit, mein Sohn!« Er ging und öffnete die Tür zum Nebenzimmer weiter. »Kennst du das da?« Er zeigte auf einen Uniformrock, der über einem Stuhl hing. »Soll ich das mal anziehen und mit dir zur Polizei gehen?«

Kern trat einen Schritt zurück. Er sah sich bereits vierzehn Tage im Gefängnis wegen verbotenen Handels. »Ich habe eine Aufenthaltserlaubnis«, sagte er so gleichgültig, wie er konnte. »Ich kann sie Ihnen zeigen.«

»Zeig mir lieber deine Arbeitserlaubnis«, erwiderte der Mann und starrte Kern an. »Die habe ich im Hotel.«

»Dann können wir ja mal zum Hotel gehen. Oder soll die Fla­sche nicht doch lieber ein Geschenk sein, wie?«

»Meinetwegen.« Kern sah sich nach der Tür um.

»Hier, nehmen Sie doch Ihr Butterbrot mit«, sagte die Frau mit breitem Lächeln.

»Danke, das brauche ich nicht.« Kern öffnete die Tür.

»Sieh einer an! Undankbar ist er auch noch!«

Kern schlug die Tür hinter sich zu und ging rasch die Treppen hinunter. Er hörte nicht das donnernde Gelächter, das seiner Flucht folgte. »Großartig, Anton!« prustete die Frau. »Hast du gesehen, wie er türmte? Als wenn er Bienen in der Hose hätte. Noch schneller als der alte Jude heute nachmittag. Der hat dich bestimmt für ’n Polizeihauptmann gehalten und sah sich schon im Kasten!«

Anton schmunzelte. »Haben eben alle Angst vor jeder Uni­form! Selbst wenn sie einem Briefträger gehört. Unser Vorteil! Wir leben nicht schlecht von den Emigranten, was?« Er griff der Frau an die Brüste.

»Das Parfüm ist gut.« Sie drängte sich an ihn. »Besser als das Haarwasser von dem alten Juden heute nachmittag.«

Anton zog sich die Hose hoch. »Da schmiere dich heute Abend damit ein; dann habe ich eine Gräfin im Bett. Ist noch Fleisch im Topf?«

Kern stand auf der Straße. »Rabbi Israel Löw«, sagte er ziemlich jämmerlich zum Friedhof hinüber. »Sie haben mich ’reingelegt. Vierzig Kronen. Dreiundvierzig sogar mit dem Stück Seife. Das sind vierundzwanzig Nettoverlust.«

Er ging zum Hotel zurück. »War jemand für mich da?« fragte er den Portier.

Der schüttelte den Kopf. »Kein Mensch.«

»Bestimmt nicht?«

»Nein. Nicht mal der Präsident der Tschechoslowakei.«

»Auf den warte ich auch nicht«, sagte Kern.

Er stieg die Treppen hinauf. Es war sonderbar, daß er von sei­nem Vater nichts hörte. Vielleicht war er wirklich nicht da; oder er war inzwischen von der Polizei gefaßt worden.

Er beschloß, noch ein paar Tage zu warten und dann noch einmal in die Wohnung der Frau Ekowski zu gehen.

Oben in seinem Zimmer traf er den Mann, der nachts schrie. Er hieß Rabe. Er war gerade dabei sich auszuziehen.

»Wollen Sie schon zu Bett?« fragte Kern. »Vor neun schon?«

Rabe nickte. »Es ist das Vernünftigste für mich. Ich schlafe dann bis zwölf. Das ist die Zeit, wo ich jede Nacht hochfahre. Um Mitternacht kamen sie gewöhnlich, wenn man im Bunker saß. Dann setze ich mich zwei Stunden ans Fenster. Hinterher nehme ich ein Schlafmittel. So komme ich ganz gut durch.«

Er stellte ein Glas Wasser neben sein Bett. »Wissen Sie, was mich am meisten beruhigt, wenn ich nachts am Fenster sitze? Ich sage mir Gedichte auf. Alte Gedichte aus der Schule.«

»Gedichte?« fragte Kern erstaunt.

»Ja, ganz einfache. Zum Beispiel dieses, das man abends bei Kindern singt:

Müde bin ich, geh’ zur Ruh,

Schließe meine Augen zu,

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