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Erich Maria Remarque -Die Nacht von Lissabon.doc
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08.11.2019
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Ich gab ihr ihre Bluse und ihren Rock. ›Sind das deine besten Sachen?‹ fragte ich.

Sie nickte.

›Ich danke dir, dass du sie angezogen hast‹, sagte ich. ›Ich bin sicher, dass ich morgen abend wieder hier sein kann. Ich werde mich im Wald verstecken.‹

›Du musst essen. Hast du etwas?‹

›Ich habe etwas. Und dann gibt es vielleicht Beeren im Wald. Und Pilze oder N"usse.‹

›Kannst du es aushalten bis morgen abend? Ich bringe dann etwas mit.‹\

›Nat"urlich. Es ist ja schon fast Morgen.‹

›Iss keine Pilze. Du kennst sie nicht. Ich bringe genug zu essen mit.‹

Sie zog ihren Rock an. Er war weit und hellblau, mit weissen Blumen, und sie warf ihn um sich herum und kn"opfte ihn zu, als g"urte sie sich zu einem Gefecht. ›Ich liebe dich‹, sagte sie verzweifelt. ›Ich liebe dich viel mehr, als du jemals wissen kannst. Vergiss das nicht! Nie!‹

Sie sagte es fast jedesmal, bevor sie sich von mir trennte. Es war die Zeit, als wir das Freiwild aller waren, sowohl der franz"osischen Gendarmen, die aus einem wildgewordenen Ordnungssinn nach uns fahndeten, als auch der Gestapo, die in die Lager einzudringen versuchte, obschon es hiess, dass ein Abkommen mit der Regierung P'etain bestehe, das dies untersagte. Man wusste nie, wer einen schnappen w"urde, und jeder Abschied am Morgen war immer der letzte.

Helen brachte mir Brot und Obst und manchmal ein St"uck Wurst oder K"ase. Ich traute mich nicht hinunter in das n"achste St"adtchen, um dort zu wohnen. Ich richtete mich im Walde ein und lebte in dem Rest eines alten, zerst"orten Klosters, das ich ein St"uck entfernt entdeckte. Tags"uber schlief ich dort, oder ich las, was Helen mir brachte, und beobachtete die Strasse von einem Geb"usch aus, in dem ich nicht gesehen werden konnte. Helen brachte mir auch die Nachrichten und die Ger"uchte: dass die Deutschen n"aher und n"aher r"uckten und sich nicht um ihre Vertr"age k"ummerten.

Es war trotzdem ein fast panisches Leben. Die Furcht kam ab und zu bitter wie Magensaft hoch; aber die Gewohnheit, nur der Stunde zu leben, siegte immer wieder. Wir hatten gutes Wetter, und der Himmel war nachts voll mit Sternen. Helen hatte eine Zeltplane besorgt, auf der wir unter trockenem Laub in dem zerst"orten Klostergang lagen und auf die Ger"ausche der Nacht horchten. ›Wie kommt es, dass du so fortkannst?‹ fragte ich sie einmal. ›Und so oft?‹

›Ich habe eine Vertrauensstelle und etwas Protektion‹, erwiderte sie nach einer Weile. ›Du hast ja gesehen – ich bin auch manchmal im Dorf.‹

›Kannst du deshalb das Essen f"ur mich bekommen?‹

›Ich bekomme es von der Kantine. Wir d"urfen dort etwas kaufen, wenn wir Geld haben und solange es etwas gibt.‹

›Hast du keine Angst, dass jemand dich hier sehen k"onnte oder dich verraten w"urde?‹

Sie l"achelte. ›Nur f"ur dich. Nicht f"ur mich. Was kann mir passieren? Ich bin ja schon im Gef"angnis.‹

Am n"achsten Abend kam sie nicht. Die Klagemauer l"oste sich auf, ich schlich heran, die Baracken lagen schwarz im schwachen Licht, ich wartete, aber sie kam nicht. Ich h"orte die Nacht durch die Frauen, die zur Toilettenbaracke wanderten, ich h"orte Seufzen und St"ohnen, und pl"otzlich sah ich die abgeschirmten Lichter von Automobilen auf der Strasse. Tags"uber blieb ich im Walde. Ich war unruhig; irgend etwas musste passiert sein. Eine Zeitlang dachte ich an das, was ich im Lager geh"ort hatte, und in einer sonderbar umgekehrten Weise wurde es mir zum Trost. Alles war besser, als dass Helen krank, abtransportiert oder tot war. Diese drei M"oglichkeiten lagen so dicht beieinander, dass alle dasselbe bedeuteten. Und unser Leben war so ausweglos, dass es jetzt nur auf eines ankam: sich nicht zu verlieren, und irgendwann zu versuchen, aus dem Wirbel in eine stille Bucht zu fl"uchten. Vielleicht konnten wir dann noch einmal alles vergessen.

Man kann es nicht«, sagte Schwarz.»Nicht mit aller Liebe, allem Mitleid, aller G"ute, aller Z"artlichkeit. Ich wusste das, und es war mir gleich, ich lag im Walde und starrte auf die schwebenden Leichen der bunten Bl"atter, die sich von den Zweigen l"osten, und dachte nur: Lass sie leben! Lass sie leben, Gott, und ich will sie nie nach etwas fragen. Das Leben eines Menschen ist so viel gr"osser als die Verstrickungen, in die er ger"at, lass sie leben, nur leben, und wenn es ohne mich sein muss, so lass sie leben ohne mich, aber lass sie leben!

Helen kam auch nicht in der folgenden Nacht. Daf"ur sah ich abends wieder zwei Automobile. Sie kamen die Strasse zum Lager herauf. Ich schlich in weitem Bogen herum und erkannte Uniformen. Ich konnte nicht sehen, ob es SS- oder Wehrmachts-Uniformen waren, aber es mussten deutsche sein. Ich verbrachte eine entsetzliche Nacht. Die Wagen waren gegen neun Uhr gekommen und fuhren erst nach ein Uhr wieder ab. Die Tatsache, dass sie nachts gekommen waren, liess es fast zur Gewissheit werden, dass es Gestapo war. Als sie abfuhren, konnte ich nicht erkennen, ob Leute aus dem Lager mitgenommen wurden. Ich irrte – ich irrte im buchst"ablichen Sinne des Wortes – auf der Strasse und um das Lager herum bis zum Morgen. Dann wollte ich noch einmal versuchen, als Monteur in das Lager zu gelangen, aber ich sah, dass die Wachen verdoppelt waren und dass ein Zivilist mit Listen dabeisass.

Der Tag schien kein Ende zu nehmen. Als ich zum hundertsten Male an den Stacheldr"ahten vorbeistrich, sah ich pl"otzlich, etwa zwanzig Schritte davon entfernt, auf meiner Seite, ein Paket, das in eine Zeitung gewickelt war. Es enthielt ein St"uck Brot und zwei "Apfel und einen Zettel ohne Unterschrift: ›heute abend‹. Helen musste es herausgeworfen haben, als ich nicht da war. Ich ass das Brot auf den Knien, so schwach war mir pl"otzlich. Dann ging ich zu meinem Versteck und schlief. Nachmittags wachte ich auf Es war ein sehr klarer Tag, gef"ullt mit goldenem Licht wie mit Wein. Das Laub hatte sich jede Nacht st"arker gef"arbt. Jetzt standen die Buchen und eine Linde in der warmen Nachmittagssonne, die auf meine Lichtung fiel, so gelb und rot da, als habe ein unsichtbarer Maler w"ahrend meines Schlafes sie in Fackeln verwandelt, die in einem v"ollig stillen Licht bewegungslos leuchteten. Nicht ein Blatt r"uhrte sich.«

Schwarz unterbrach sich.»Bitte werden Sie nicht ungeduldig, wenn ich scheinbar unn"otige Naturschilderungen mache. Die Natur war so wichtig in all dieser Zeit f"ur uns, wie sie es f"ur Tiere ist. Sie war auch das, was uns nie zur"uckwies. Wir brauchten keinen Pass und keinen Arierausweis f"ur sie. Sie gab und nahm, aber sie war unpers"onlich, und das war wie eine Medizin. An diesem Nachmittag regte ich mich lange nicht; ich f"urchtete, ich k"onne "uberfliessen wie eine Schale, randvoll mit Wasser. Dann sah ich pl"otzlich, in der vollkommenen Stille, ohne einen Hauch von Wind, Hunderte von Bl"attern von den B"aumen niederschweben, als h"atten sie einem geheimnisvollen Kommando gehorcht. Sie glitten gelassen durch die klare Luft, und einige fielen auf mich nieder. In diesem Augenblick erkannte ich die Freiheit des Todes und ihren ungeheuren Trost. Ich wusste, ohne einen Entschluss zu fassen, dass ich die Gnade hatte, mein Leben beenden zu k"onnen, wenn Helen st"urbe, dass ich nicht allein zur"uckzubleiben brauchte, und dass diese Gnade der Ausgleich ist, der dem Menschen gegeben ist f"ur das "Ubermass an Liebe, dessen er f"ahig ist und das "uber das Mass der Kreatur hinausgeht; – ich erkannte es, ohne zu denken, und w"ahrend ich es erkannte, war es, in einem fernen Sinne, schon nicht mehr ganz notwendig, zu sterben.

Helen stand nicht in der Reihe der Klagemauer. Sie kam erst, als die andern fort waren. Sie trug ein Paar kurze Hosen und eine Bluse und reichte mir eine Flasche Wein und ein Paket durch den Draht. In dem ungewohnten Anzug erschien sie sehr jung.

›Der Kork ist gezogen‹, sagte sie. ›Hier ist auch ein Trinkbecher.‹ Sie schl"upfte leicht durch die Stacheldr"ahte. ›Du musst fast verhungert sein. Ich habe in der Kantine etwas bekommen, was ich seit Paris nicht mehr gesehen habe.‹

›Eau de Cologne‹, sagte ich. Sie roch danach, frisch in der frischen Nacht.

Sie sch"uttelte den Kopf. Ich sah, dass ihr Haar geschnitten war; es war k"urzer als vorher.

›Was ist nur passiert?‹ fragte ich, pl"otzlich "argerlich. ›Ich habe geglaubt, man h"atte dich abgeholt oder du w"arest im Sterben, und du kommst wieder, als h"attest du einen Sch"onheitssalon besucht. Hast du auch die N"agel manik"urt bekommen?‹

›Ich habe es selbst getan.‹ Sie hob die H"ande und lachte. ›Lass uns den Wein trinken!‹

›Was ist passiert? War die Gestapo da?‹

›Nein. Eine Kommission der Armee. Aber es waren zwei Gestapo-Beamte dabei.‹

›Haben sie jemand mitgenommen?‹

›Nein‹, erwiderte sie. ›Gib mir zu trinken.‹

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