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Kriege neuer Art

Im neuen Jahrtausend setzt sich ein Trend fort, der bereits in der zweiten Hälfte des vergan­genen Jahrhunderts begann: Gewaltsame Konflikte konzentrieren sich auf die Armuts- und Krisen­regionen des Südens, wobei vergleichsweise wenige zwischenstaatliche Kriege geführt werden.

Die überwiegende Zahl der Gewaltkonflikte findet innerhalb von Staaten und in grenzüber­schreitenden Kriegsregionen unter zunehmender Beteiligung nichtstaatlicher Akteure statt. Die Kriege der Gegenwart unterscheiden sich von den klassischen Kriegen des 19. und 20. Jahrhunderts durch eigene Merkmale.

Die Wesensmerkmale der neuen Kriege sind Regionalisierung, Internationalisierung und Entstaatlichung.

Texterläuterung: Weit über 90 % der mehr als 200 Kriege, die seit dem Zweiten Weltkrieg geführt

wurden, fanden in den Regionen des Südens statt. Von den weltweit 29 kriegerischen Konflikten im Jahr 2002 wurden elf in Afrika, zehn in Asien, sechs im Vorderen und Mittleren Orient und zwei in Lateinamerika ausgetragen.

Regionalisierung

Regionalisierte Kriege sind die heute gängigste Konfliktform.

Das sind innerstaatliche Kriege, in denen die Nachbarstaaten und Großmächte direkt mit Streitkräften oder mittelbar – durch Waffenlieferungen, finanzielle oder logistische Unterstützung – einbezogen sind. Kriegerische Gewalt reicht dabei häufig über die Grenzen hinaus. Nachbarstaaten oder aus ihnen stammende substaatliche Akteure, wie Rebellen oder Milizen, greifen ein.

Zugleich überschreiten Kriegsflüchtlinge und –vertriebene die Grenzen. Grenznahe Flücht­lingslager in Nachbarstaaten werden zu Rückzugs- und Rekrutierungsbasen für die bewaffnete Opposition, und Regierungstruppen nehmen bei deren Verfolgung keine Rücksicht auf Staatsgren­zen.

  • An den beiden Kriegen, die 1966 in der Demokratischen Republik Kongo geführt wurden, waren eine Vielzahl von Rebellen und mehrere Nachbarstaaten beteiligt (Ruanda, Uganda, Bu­rundi, Angola, Simbabwe u.a.).

Am Horn von Afrika bilden Teile der Territorien mehrerer Staaten eine besondere Konflikt-region durch die Zirkulation von Waffen, durch grenzüberschreitende Aktivitäten von Rebellen­gruppen und traditionale Gewasltformen, wie Viehdiebstahl.

Texterläuterungen

  1. Die verschiedenen grenzüberschreitenden Aktionen werden auch als „spill over-Effekte“ be­zeichnet. Sie führen dazu, dass Kriege in zahlreichen Weltregionen nur noch verständlich wer­den, wenn sie als Bestandteil regionaler Konfliktsysteme analysiert werden.

  2. Die Völkermordaktionen in der Demokratischen Republik Kongo sollen mehr als 2,5 Mio. Menschen das Leben gekostet haben.

Entstaatlichung von Krieg

Neue Kriege werden nicht mehr erstrangig um politische Ziele geführt, sondern verfolgen zumeist ökonomische Zwecke. Das ist mit einer Entstaatlichung des Krieges verbunden.

In Krisenregionen, wo Staaten schwach, gescheitert oder völlig zerfallen sind, wie z.B. in Somalia oder Afghanaistan, besteht kein staatliches Gewaltmonopol. Staaten werden entweder zu Gewaltakteuren unter anderen, oder der Staat bzw. seine militärischen Machtmittel und Institutio­nen, wie Polizei und Verwaltung, sein Territorium und seine Bürger werden selbst Beute von be­waffneten Gruppierungen.

Kriege drehen sich demzufolge häufig nicht um die Eroberung der Staatsmacht bzw. Regie-rungsgewalt oder um die Errichtung neuer staatlicher Strukturen. Sie werden vielmehr wegen wirt­schaftlicher Zwecke geführt.

Die Ausrichtung auf vorrangig ökonomische Ziele von Kriegen ist ein Ausdruck ihrer „Ent­staatlichung“ bzw. „Privatisierung“. Es ändern sich damit auch die Formen der Kriegsführung:

  • Der Krieg ist nicht mehr erstrangig gegen ein bewaffnetes Gegenüber gerichtet, sondern gegen die Zivilbevölkerung.

Es gibt keine klaren Frontverläufe, und an die Stelle von Schlachten treten Massaker, Massen­vergewaltigungen, systematische Plünderungen und Vertreibungen, wie z.B. in den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien in den 1990er-Jahren oder in den Konflikten in Ruanda 1994.

  • Ursprünglich einheitliche bewaffnete Formationen spalten sich im Verlauf solcher Kriege oft in verschiedene, untereinander rivalisierende und sich bekämpfende Gruppen. Es bestehen lose Kommandostrukturen. „Warlords“ und ihre zumeist jugendlichen Zuläufer sind aus persönli­chem Profit- und Machtstreben an der Aufrechterhaltung von Kriegsökonomien interessiert und sorgen für eine endlose Fortsetzung von Kriegen – in der westafrikanischen Kriegsregion Li­beria, Guinea, Sierra Leone wird z.B über Jahrzehnte Krieg geführt.

  • Staatliche Sicherheitskräfte sind ebenfalls oft gespalten und stehen vielfach nicht unter der Kontrolle ihrer jeweiligen Regierungen, zumal sie schlecht oder gar nicht besoldet werden. Sie führen deshalb auch auf eigene Rechnung Krieg zum Zweck des Beutemachens. Damit beför­dern sie noch den Zerfall des Staates, den sie eigentlich schützen sollen. Das ist z. B. in Afgh­a­nistan, Somalia und der Demokratischen Republik Kongo zu beobachten.

Diese Art der Kriegsführung ist grundlegend verbunden mit einer Zurücknahme der

Zi­vi­­­lisation, mit der Ausweitung von Kriegökonomien sowie mit der Transformation von Gewalt in die Nachkriegszeit.

Zurücknahme der Zivilisation

Krieg wird die Lebensform ganzer Generationen, Zwangsrekrutierungen, Einsatz von Kindersoldaten

  • In West- und Zentralafrika, Kambodscha und auf den Philippinen kämpfen etwa 300 000 Miderjährige (UNO-Angaben 2003).

Entstehung von Kriegsökonomien

Waffen- und Drogenhandel, Ressourcenverschleu­derung, Erpressung von Hilfsorganisationen, Tätig­keit von Söldneragenturen und privater Sicherheits­firmen

  • Angola und Westafrika verkaufen „blutige Dia­manten“ und Erdöl.

Transformation von Gewalt

Nachkriegszeiten werden Vorkriegszeiten, Kriegs­gewalt geht in organisierte Gewaltkriminalität über.

  • In El Salvador wurden nach Beendigung des Bürgerkrieges in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre jährlich mehr Menschen getö­tet als während des Krieges.

Texterläuterungen

  1. Die Ausrichtung von Kriegen vorrangig auf ökonomische Zwecke erschwert zunehmend eine Unterscheidung zwischen ihnen und organisierter (Gewalt-)Kriminalität.

  2. Warlords (engl. = Kriegsherren); Akteure, die im Zuge von Bürgerkriegen und Staatsverfall

bestimmte Territorien kontrollieren, ihre Macht mit privaten Armeen sichern und von Kriegs­ökonomien profitieren (Ausnutzung von Ressourcen und Bevölkerung)

(aus: Politik, Lehrbuch für die gymnasiale Oberstufe)

Die Neuen Kriege und ihre Akteure

Auch wenn an fast allen Kriegen Staaten be­teiligt waren, so sind die meisten doch von nichtstaatlichen, mitunter gar privaten Ak­teuren bestimmt worden: Clanchefs, Rebel­lenführer und Warlords haben das Heft des Handelns übernommen, und Staaten waren in sie zumeist nur reaktiv verwickelt. (...)

Wenn nunmehr die Entstaatlichung des Krie­ges mit einer wachsenden Reökonomisierung der Gewaltanwendung einhergeht, dann deswegen, weil es den Staaten - von Ausnahmen an den Rändern ihrer Kolonial­reiche abgesehen - gelungen war, eine kon­sequente Trennung von Erwerbs-leben und Gewaltanwendung sicherzustellen. Es ist ein Charakteristikum der neuen Kriege, dass dies nicht mehr der Fall ist: Die an ihnen Beteilig­ten sichern sich ihren Lebensunterhalt durch Ge-waltanwendung oder zumindest die Er­richtung eines Gewaltregimes.

Das reicht von Bürgerkriegsgenerälen, die Bohr- und Schürfrechte in den von ihnen kontrol-lierten Gebieten an internationale Konzerne verkaufen, bis zu den vielfältigen Verbindungen lokaler Warlords mit der inter­nationalen Kriminalität, in denen der Handel mit Rauschgift, Diamanten, Tro-penhölzern, Giftmüll und Frauen zur dauerhaften Er­werbsquelle geworden ist. Vom Commandante der kolumbianischen Kokainguerilla bis zu den freiwilligen Kämpfern der Al Qaida gilt inzwischen, was früher auf vereinzelte Warlords und Putschgeneräle begrenzt schien: Sie leben vom Krieg, und deswegen haben sie kein Interesse am Frieden.

Im Unterschied hierzu hat der Staat seit der Aufstellung stehender Heere seine Soldaten ver­sorgt, gleichgültig, ob Krieg oder Frieden herrschte. Die Truppen erhielten Sold und Verpflegung, gleichgültig, ob sie im Feld stan­den oder in der Garnison lagen. Aus Kriegern in Soldaten verwan-delt waren sie zur Exis­tenzsicherung auf den Krieg nicht angewie­sen, sondern fungierten als ein Instrument der Staatenpolitik, das der Durchsetzung be­stimmter Ziele und Zwecke diente. Diese mögen aus heutiger Sicht verabscheuenswürdig oder doch zumindest den geforder­ten Einsatz nicht wert gewesen sein. Doch bildeten sie eine Vorgabe, von der her der Krieg begonnen, aber auch beendet wurde. Damit das Militär ein gefügiges Instrument in den Händen der Politik war, mussten die Sol­daten einer strikten Disziplin unterworfen werden, und dazu gehörte vor allem, dass Rauben und Plündern, Morden und Verge­waltigen verboten waren und dieses Verbot mit drakonischen Strafandrohungen durch­gesetzt wurde. (...)

Alle Kriege – Staaten-wie Bürgerkriege, Raub­züge wie Stammeskriege, Pazifizierungs- wie Befreiungskriege – beruhen auf ökonomi­schen Voraussetzungen, die sicherstellen, dass die Gewalt­anwendung nicht mangels kontinuierlicher Ressourcenzuführung zum Erliegen kommt. In den klas­sischen Staaten­kriegen war es die regelmäßige Abschöpfung des gesellschaftlichen Mehrprodukts mittels Steuern sowie die Aufnahme von Staats­schulden, durch die der Krieg finanziert wur­de.

Die Folgen dieser Form der Kriegsfinanzie­rung waren oft drückend und eine Last für die zukünftigen Generationen, aber sie ver­nichteten durch ihre unmittelbaren Folgen nicht die Grund­lagen des wirtschaftlichen Lebens. Das ist bei den meisten der neuen Kriege anders: Sie finanzieren sich durch Raubökonomien und vernichten die wirt­schaftlichen Grundlagen ganzer Länder und Ge-nerationen.

(Herfried Münkler: Die neuen Kriege und ihre Akteure, Wissenschaftszentrum Nordrhein-West­fa­len, Das Magazin 2/2002)

Texerläuterung: Ein Kriegsherr, Kriegsfürst bzw. Warlord (engl.) ist ein militärischer und poli­­-

tischer Anführer, der in einem begrenzten Gebiet die Kontrolle übernommen hat.

Nichtstaatliche Gewaltakteure

Idealtypisch lassen sich nichtstaatliche Ge­waltakteure in vier Kategorien fassen: Krimi­nelle, Terroristen, Kriegsherren und Rebellen. Gemeinsam ist ihnen allen die Anwendung von Gewalt zur Erreichung ihrer Ziele. Sie un­terscheiden sich jedoch erheblich in ihrer Zielsetzung, in der Zielgrup­pe ihrer Gewalt­anwendung, deren geographischer Reichwei­te und im Verhältnis zum Gewaltmono­pol. Auf sehr allgemeiner Ebene kann festgestellt werden:

    1. dass Kriegsherren und Kriminelle eher wirtschaftliche Ziele verfolgen, während Terrorgruppen

und Rebellen politische Absichten hegen,

    1. dass die Zielgruppe der Gewaltanwen­dung von Rebellen und organisierter Kri­minalität überwie-

gend andere Gewaltor­gane sind – staatlich legitimierte, wie Po­lizei und Sicherheitskräfte, bzw.

konkurrie­rende Rebellengruppen und kriminelle Organisationen, während Terroristen und

Kriegsherren unbewaffnete Zivilisten zur Hauptzielgruppe ihrer Gewaltakte ma­chen,

    1. dass die geographische Reichweite der Gewaltausübung von Kriegsherren und Rebellen in der

Regel regional begrenzt und auf die Ausübung territorialer Kon­trolle ausgerichtet ist, während

die der transnational organisierten Kriminalität und der internationale Terrorismus glo­baler Na-

tur ist mit nur sehr indirektem territorialen Bezug,

    1. dass Kriegsherren und Rebellen darauf ab­zielen, in den von ihnen beherrschten Ge­bieten das

staatliche Gewaltmonopol zu verdrängen und zu ersetzen, während die Gewaltausübung von

organisierter Krimi­nalität und Terroristen mit dem staatli­chen Gewaltmonopol koexistiert, die

der organisierten Kriminalität sie sogar vor­aussetzt.

(Stefan Mair: Die Globalisierung privater Ge­walt, spw-Studie S 10, Berlin 2002, S. 9f.)

Aufgaben

  1. Stellen Sie die Motivlagen, davon insbesondere die ökonomischen Motive, der verschiedenen außerstaatlichen Akteure Neuer Kriege dar.

2. Erläutern Sie das Geflecht von Interessengruppen, in dem die verschiedenen Gruppen von

Akteuren agieren.

3. Diskutieren Sie, inwieweit auf diese Akteure neuer Kriege eingewirkt werden kann Loten Sie

Möglichkeiten einer neuen Sicherheitspolitik aus.

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