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Stil. Syntax Nach Bernhard Sowinski.doc
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Nach Bernhard Sowinski Stilmittel im Rahmen des Satzbaus

Zum Begriff der Stilmittel und ihrer Werthaltigkeit

Jede Form von Stil beruht auf dem Zusammenwirken charakteristischer Einzelelemente in einem bestimmten Kontext, die einen bestimmten Eindruck hervorrufen. Sie werden als Stilmittel, Stilelemente oder Stilistika bezeichnet.1 Das Erlebnis des Stils als eines einheitlichen Formgepräges rundet sich erst nach dem Erfassen aller Stilistika, es wird jedoch bereits in der Begegnung mit einzelnen Stilmitteln angeregt. Diese besitzen daher jeweils einen eigenen Eindruckswert2, der sich aus dem Verhältnis dieser Elemente zum Textinhalt und zueinander wie zu ihren möglichen oder erwarteten Varianten ergibt. Davon zu unterscheiden ist der Ausdruckswert eines Stilmittels, die Wirkungsabsicht, die der Autor ihm zuschreibt. Eine Wiederholung z.B. kann als Unterstreichung einer bestimmten Aussage gemeint sein (Ausdruckswert) und empfunden werden (Eindruckswert), ein Archaismus als Versuch einer besonderen Bewertung des Gemeinten, eine Umstellung der gewohnten Wortfolge als aufmerksamkeitheischende Verfremdung usw. Doch besitzt auch jedes »nichtabweichende« Ausdruckselement im Zusammenhang mit anderen einen bestimmten Stilwert, eine bestimmte Wirkungsqualität, die man im Gegensatz zu den »außergewöhnlichen« (expressiven) Stilmitteln in Analogie zu grammatischen Gradeinteilungen als nullexpressiv zu bezeichnen pflegt.3

Ausdruckswert, Eindruckswert und Stilwert eines Stilmittels sind also nicht identisch. Der Ausdruckswert und der Eindruckswert beziehen sich (im Sinne des einfachen Kommunikationsmodells) auf die Intentionen von Sender und Empfänger, die im Idealfall identisch sein können, infolge der stilistischen Wirkungseigenschaften der Einzelelemente und der unterschiedlichen Verstehensfähigkeit der Empfänger (aufgrund unterschiedlicher Codes, Erfahrungen und Verstehenshorizonte) mitunter aber differieren. Ausdruckswert und Eindruckswert werden oft gleichgesetzt, vor allem in Fällen werkimmanenter Textinterpretation, in denen der Interpret den subjektiv erlebten Eindruckswert für den stilistischen Ausdruckswert des Textes (die Intention des Autors) hält.4 Die Interpretation steht hier insbesondere bei Texten früherer Zeiten vor zahlreichen Schwierigkeiten, die erst durch eine sorgfältige historische Erforschung der Stilmittel und ihrer Ausdruckswerte verringert werden können. Eine solche Aufgabe ist verhältnismäßig einfach bei den Texten zu lösen, deren Gestaltung nach bestimmten Normen der literarischen Rhetorik erfolgte, wie sie in Antike, Mittelalter und früher Neuzeit (etwa bis zur Mitte des 18. Jhs.) für die einzelnen Textsorten bzw. Gattungen gültig waren, wird aber dort problematisch, wo die Stilgestaltung allein dem subjektiven Empfinden des Autors unterlag, besonders wenn der Sprachgebrauch des Autors und des Slilbetrachters (Empfängers) in Wortschatz und Syntax nicht mehr übereinstimmen. Auch in solchen Fällen ist es erforderlich, die stilistischen Möglichkeiten des Autors, seiner Zeit und der jeweiligen Literaturgattungen zu erforschen. Allerdings muß dies einzelnen Stilmonographien vorbehalten bleiben.

Der Stilwert5 der einzelnen Stilmittel, d.h. die Festlegung ihrer Stilfärbung, Stilschicht oder jeweiligen Expressivität unterscheidet sich vom sprecherbezogenen »Ausdruckswert« wie vom empfängerbezogenen »Eindruckswert« durch seine Beziehung auf die Gesamtheit und Gesamtwertung eines Textes. Ein Stilmittel besitzt keinen gleichbleibenden funktionalen Wert. Es kann in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedliche Wirkungen ausüben und unterschiedliche Stellenwerte besitzen, die sich stets aus der Stilstruktur eines größeren Ganzen ergeben. Eine Beschreibung der Stilmittel kann daher keine feststehenden Stilwerte aufzeigen, allenfalls bestimmte Erfahrungswerte, wie sie sich mit bestimmten Wortarten oder Redefiguren verbinden. Die Bestimmung der Stilweite kann erst in der Einzelanalyse des Textes vorgenommen werden (vgl. S. 275 ff.). Es ist jedoch für jede Stilgestaltung wie für jede Stilanalyse vorteilhaft, die wichtigsten Stilelemente und ihre Anwendungsbereiche zu erkennen.

In den folgenden Kapiteln suchen wir einen Überblick über die Gesamtheit der Stilmittel der gegenwärtigen deutschen Hochsprache zu geben. Dabei kommen gemäß der zugrunde liegenden selektiven Stilauffassung alle grammatischen und semantisch-lexischen Ausdruckselemente (Sprachzeichen und -zeichenkombinationen) in Frage, die in synonymer und annähernd synonymer Verwendung, also im gleichen Kontext, auftauchen können. Wir beziehen dabei auch die grammatischen Kategorien in diesen Überblick ein, soweit dem Sprecher hierbei unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Stilistische Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen des Satzbaus

Stilistische Phänomene sind vorwiegend Gegebenheiten des Textes, also satzübergreifender Zusammenhänge. Erst in der Wiederholung solcher Erscheinungen im Textbereich erkennen wir eine bestimmte Stilgestaltung. Wir haben deshalb Überlegungen zum Textbegriff und zur Textgestaltung vorangestellt und werden wiederholt auf diese Probleme zurückkommen. Die größere Texteinheit setzt sich jedoch aus zahlreichen Satzeinheiten zusammen Viele Textstilistika erweisen sich als syntaktische Stilmittel des Satzbereichs. Erst hier werden sie für uns faßbar und beschreibbar. Wir beginnen deshalb unsere Übersicht über die einzelnen Stilmittel mit den stilistischen Variationsmöglichkeiten im Rahmen der Satzgestaltung und lenken dabei unsere Aufmerksamkeit auf Gegenstände, die zu den wichtigsten Objeken der gegenwärtigen Grammatikforschung zählen. Während aber die Grammatiker bedacht sind, die Zahl, Form und Funktionsweise der syntaktischen Regularitäten zu erforschen, auf Grundformen zurückzuführen und in angemessener Strenge und Ausführlichkeit darzustellen, mitunter zu formalisieren, suchen wir gewissermaßen das Gegenteil zu beschreiben, nämlich die Arten und Formen der syntaktischen Ausdrucksvariationen, zu denen auch manche »Irregularitäten« gehören, die bei strenger Normauffassung als »ungrammatisch« gelten könnten6, aber gerade durch ihren ungewöhnlichen Charakter stilistisch wirksam sind. Den Ausführungen zur Satzstilistik wäre vorauszuschicken, was unter einem Satz im folgenden zu verstehen ist. Wir können hier jedoch nicht auf die Unzahl der Satz-Definitionen der Grammatik eingehen7, sondern müssen uns mit zwei vorläufigen Bestimmungen begnügen, der Kennzeichnung des Satzes all eines sprachlichen Gebildes, das in der Regel durch zwei Punkte eingerahmt wird, und seiner Charakterisierung als einer mehr oder gegliederten inhaltlichen Einheit, die durch die Setzung eines Nominalteils und eines ihm zugeordneten Prädikatsteils eine bestimmte Aussagespannung hervorruft und löst.8 Stilistisch ist besonders die zweite Auffassung von Belang.

Wir beginnen zunächst mit der Übersicht über die quantitativen Möglichkeiten des Satzbaus.

Der Satzumfang als stilistisches Mittel

Unsere Darlegungen zur Texttheorie ergaben bereits, daß die Menge der Informationen, die in einem Text vermittelt werden soll, je nach Verwendungszweck, Textsorte, Individual und Funktionalstil, der Situation und anderen Motiven verschieden verteilt werden kann. Die Erfahrung lehrt, daß sich dabei zwar keine einheitlichen Quantitäten des Satzumfangs herausbilden – das würde dem bereits genannten Prinzip der Variation als Meidung der Wiederholung widersprechen –, wohl aber bestimmte Durchschnittswerte, die als charakteristisch für den jeweiligen Stil gelten können. Dieser Durchschnittswert, der nach einer gewissen Menge von Sätzen als syntaktischer Erwartungswert sowohl für den Satzumfang wie für die Typik des Satzbaus genannt werden kann, ist besonders in der statistischen Stilistik zum beliebten Untersuchungsgegenstand geworden, weil derartige Angaben in größerem Maße nur mit Hilfe von elektronischen Rechnern zu ermitteln sind.9

Es ist zwar nicht möglich, für die einzelnen funktional geprägten Texte bestimmte Durchschnittswerte von vornherein festzulegen; es lassen sich aber einzelnen Textsorten bestimmte syntaktische Gestaltungstendenzen zuordnen, wobei sich jedoch individuelle Variationen ergeben. So sind z.B. die Sätze in lyrischen Texten wie in Werbetexten oder in der mündlichen Rede verhältnismäßig kurz und mehr parataktisch gefügt, während wissenschaftliche Texte häufig durch lange und hypotaktisch gefügte Sätze gekennzeichnet sind. Zwischen den beiden Polen des kurzen und des langen Satzes liegt das breite Feld der erzählerischen wie ausführlicher mitteilenden Texte. Im folgenden sollen diese drei syntaktischen Umfangsbereiche näher erläutert werden.

Der kurze Satz

Als kurze Sätze seien hier einfache und erweiterte Sätze bis zu 3-5 einfachen Satzgliedern (z.B. Subjekt-Prädikat-Objekt-einzelne adverbiale Angaben) sowie einfache Satzverbindungen kurzer Sätze und Satzgefüge mit einem kurzen Haupt- und einem Nebensatz gemeint. Für solche Sätze, wie sie vor allem dem Sprachgebrauch von Kindern und einfachen Leuten entsprechen, ist die Beschränkung auf wesentliche Angaben, einfache Beziehungsdaten (Personen, Geschehen, Umstände) und ungewandte Fügungen zwischen den Einzelsätzen charakteristisch. Aufgrund dieser Eigenschaften werden sie in der mündlichen Rede, in schnell überschaubaren Mitteilungen (Boulevardzeitungen)10 und in volkstümlichen Textformen (Märchen, Fabeln, Kalendergeschichten, Sagen, Legenden, Volksliedern) bevorzugt, wo es auf eine schlichte, volksnahe und leichtverständliche Sprache ankommt.

Kurze Sätze sind deshalb auch kennzeichnend für die volkstümliche Spruchweisheit (Sprichwörter, Kalenderregeln, Wetterregeln u.ä.) sowie die ihr nachgebildeten Sentenzen und Epigramme. Hier ist überwiegend das Bemühen um bessere Einprägsamkeit stilbestimmend. Neben einfachen Sätzen werden dabei gern einfache Satzgefüge (mit Relativ- oder Konditionalsätzen und kurzen Reihungen) verwendet:

Eile mit Weile! - Ehe wäg’s, dann wag's!

Was ein Häkchen werden will, krümmt sich beizeiten!

Auch andere lehrhafte oder appellierende Texte, wie z.B. Angaben aus Lehrbüchern, Gebrauchsanweisungen, Werbetexten u.ä., bevorzugen kurze Sätze sowie übersichtliche Satzverbindungen und Satzgefüge, z.B.:

Die Antriebfmaschinen sind schutzisoliert (doppelt isoliert).

Das bedeutet für Sie höchste Sicherheit ... (Bedienungsanleitung)

In Werbetexten finden sich häufig erzählerische Passagen in Kurzsätzen, seit eine bestimmte Autofirma diese Form eingeführt hat:

Pst - er schläft.

Kurz vor der Einfahrt in die Autobahn sind ihm die Augen zugefallen. Seit bald zwei Stunden schläft er. Wir haben das Radio abgestellt. Wir haben das Fenster geschlossen. Wir unterhalten uns nur noch leise. Sein Bettchen ist die Polsterbank im VW 1500...11

In der kunstvollen Sprache der Dichtung wird die Satzlänge in unterschiedlicher Weise als Stilmittel genutzt. Da die Umgangsprache kurze Sätze liebt, dominieren sie auch in der Sprache der Dramatik, besonders wenn diese Verhältnisse des einfachen Volkes realistisch zu spiegeln sucht. Individuelle wie ständische Gegensätze können so, außer durch die Unterschiede im Wortschatz, auch in den Satzformen sichtbar gemacht werden.

In der Lyrik dominieren kurze Sätze wegen der besseren Verständlichkeit, Rhythmik und Musikalität. Häufig fallen hier im sogenannten Zeilenstil Satz (Haupt- oder Nebensatz) und Zeile zusammen, besonders in Volksliedern oder volkstümlichen Gedichten:

Es stehen die Stern am Himmel, Da fahr ich still im Wagen,

Es scheint der Mond so hell, Du bist so weit von mir.

Die Toten reiten schnell ... Wohin er mich mag tragen,

Ich bleibe doch bei dir. (Lenore, aus (Eichendorff, »Des Knaben Wunderhorn«) »Der verliebte Reisende«)

Der Gefahr eines allzu abgehackten Zeilenstils begegnen zahlreiche Lyriker durch das Stilmittel des Zeilensprungs (Enjambement), der Weiterführung des Satzes über eine oder mehrere Zeilen, mitunter sogar über das Strophenende hinweg, wobei allerdings zuweilen die Form der kurzen Sätze aufgegeben wird:

Fragst du mich, woher die bange

Liebe mir zu Herzen kam, -

Und warum ich ihr nicht lange

Schon den bittern Stachel nahm? (Mörike, »Frage und Antwort«)

Für die erzählende Dichtung lassen sich – bis auf die genannten volkstümlichen und didaktischen Textsorten – kaum allgemeinverbindliche Angaben zur Satzlänge machen. Satzbau und Satzumfang sind hier wichtige Ausdrucksformen der dichterischen Individual- und Epochenstile. Während in der Erzählliteratur des 17. und frühen 18. Jhs. lange Sätze vorherrschen, gelten im späten 18. und im 19. Jh., z.T. auch im 20. Jh. (bis auf wenige Ausnahmen) Sätze mittlerer Länge als durchschnittlicher Umfang. Es gab jedoch mehrere Versuche, besonders um die Wende vom 19. zum 20. Jh., die Durchschnittsnorm der mittleren Satzlänge durch das Stilideal des kurzen einfachen Satzes (in unverbundener Reihung) zu überwinden. So finden sich betont kurze Sätze in naturalistischer wie impressionistischer Prosa und Lyrik, aber auch in expressionistischen Texten.

Schwer kam es jetzt die Treppe in die Höhe gestapft. Am Geländer hielt es sich. Manchmal polterte es wieder ein paar Stufen zurück. Es schnaufte und prustete. Eine tiefere heisere Baßstimme brummte. Jetzt, endlich kam es schwerfällig über den Flur. Ein dicker Körper war dumpf gegen eine Tür geschlagen ...(A. Holz / J. Schlaf, »Ein Tod«)

Die naturalistischen Kurzsätze entsprechen der wirklichkeitskopierenden Technik des »Sekundenstils«, mit der A. Holz und J. Schlaf die Einzelheiten der Geschehnisse festzuhalten suchten.

Die impressionistischen Kurzsätze, die sich in der Lyrik (Liliencron,Dehmel u.a.) und Prosa dieser literarischen Richtung finden, sind mit ähnlichen Tendenzen in der zeitgenössischen Malerei verglichen worden, die auch der Skizze und der Andeutung bereits Kunstcharakter zusprachen.12 Besonders wirksam war die Anlehnung an die gesprochene Sprache in den »inneren Monologen« der Erzählungen Arthur Schnitzlers, die den Kurzsatz verlangten:

Wenn ich die in der Loge nur genau sehen könnt’! Ich möcht’ mir den Operngucker von dem Herrn neben mir ausleh’n, aber der frißt mich ja auf, wenn ich ihn in seiner Andacht stör’ ... In welcher Gegend die Schwester von Kopetzky steht? Ob ich sie erkennen möcht’?... (A, Schnitzler, »Leutnant Gustl«)

Eine Übersteigerung der »Kurzsätzigkeit«, die ebenfalls den Gepflogenheiten der mündlichen Rede folgt, ist die Abtrennung unselbständiger Satzglieder durch Punkte vom jeweiligen Haupt- oder Gliedsatz:

Die Wolken rasten über mir hin. In schweren, graublauen Ballen unter einem gelben Dunst. Tief in schleifenden Fetzen... (J. Schlaf, »In Dingsda. Im Wind«)

Die Punkte schaffen hier Pausen und verleihen so den Einzelgliedern größere Gewichtigkeit. In der Sprache der Werbung kehrt diese Abtrennung häufig wieder. Anderer Art sind die Kurzsätze bei einzelnen expressionistischen Autoren. Sie sollen ihr ekstatisches Gefühlserleben spiegeln, das in Einzelwörtern, Satzfetzen und Kurzsätzen gleichsam hervorbricht, wobei sich häufig die geläufige Wortstellung ändert; z.B.:

Ulan: Wo ist hier ein Weg? Der Sand hat mich verschlagen und mein Tier. Nacht bricht herein, eintönig, drohend, mit ungeheurer Weite. Verirrt. Nirgends etwas zu sehen. Himmel verhüllt und Erde eine stumpfe Wand, öde, vom Wind gestoßen. Legen wir uns hin. Auch du sollst ruhen, Tier. (Reinhard Goering, »Kriegerische Feier«)13

Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte der Kurzsatz in den Dichtungen Wolfgang Borcherts zu neuer Geltung. In der Einsilbigkeit der Wörter und der Satzkürze sollte sich die Dissonanz der Weltverhältnisse unmittelbar spiegeln.14 Verbindende Konjunktionen, Gliedsätze, kausale und konditionale Erklärungen als Ausdruck einer beim Sprechen mitwirkenden Reflexion wurden daher gemieden. Fehlende Bezüge sollten durch parataktische Reihung, Wort- und Satzwiederholungen und groteske Bilder suggeriert werden:

Er tappte durch die dunkle Vorstadt. Die Häuser standen abgebrochen gegen den Himmel. Der Mond fehlte, und das Pflaster war erschrocken über den späten Schritt. Dann fand er eine alte Planke. (W. Borchert, »Die drei dunklen Könige«)

Der verhältnismäßig kurze Satz ist am Ende des 19. Jhs. auch von einigen Germanisten als Stilideal vertreten und gepflegt worden. Sie wollten damit der oft unübersichtlichen Periodenbildung wissenschaftlicher Schriften entgegenwirken, wie sie besonders durch einige Philosophen des deutschen Idealismus in Mode gekommen waren. Gleichzeitig wollten sie beweisen, daß auch in kurzen Sätzen wissenschaftliche Informierung möglich war. Besonders Wilhelm Scherer ist hier (neben Hermann Grimm und Oskar Walzel) zu nennen.15 Seine weitverbreitete Literaturgeschichte bietet zahlreiche Beispiele für eine oft epigrammatische Satzkürze, wenn sie auch durch Anaphern, Steigerungen, Fragen, Antithesen u. a. rhetorisch aufgeputzt und aufgelockert erscheint:

Sein Ideal ist die Unschuld. Schönheit definiert er Dämmerung. Mond und Nebelschleier, sanftes Licht und zarte Verhüllung scheinen ihm der höchste Reiz. Dem unwahr Heroischen und gewaltig Tugendhaften, das schon Wieland bekämpfte, zog er das Heitere und Naive vor.

(W. Scherer, »Geschichte d. deutschen Literatur«, 14. Aufl., S. 480)

Der Stilwert kurzer Sätze wird meistens erst im Kontrast zu anderen Satzquantitäten deutlich. Auch W. Scherer kennt den Wechsel zwischen kurzen Sätzen und langen Sätzen, durch den Einsichten nachdrücklich vertieft und gedankliche Spannung besonder hervorgehoben werden können. Zwei Beispiele bedeutender Stilisten mögen dies verdeutlichen:

»Niemand«, sagen die Verfasser der Bibliothek, »wird leugnen, daß die deutsche Schaubühne einen großen Teil ihrer ersten Verbesserung dem Herrn Professor Gottsched zu danken habe.« Ich bin dieser Niemand; ich leugne es geradezu. (G. E. Lessing, »17. Literaturbrief«)

Durch die Geleise ging ein Vibrieren und Summen, ein rhythmisches Geklirr, ein dumpfes Getöse, das, lauter und lauter werdend, zuletzt den Hufschlägen eines heranbrausenden Reitergeschwaders nicht unähnlich war. Ein Keuchen und Brausen schwoll stoßweise fernher durch die Luft. Dann plötzlich zerriß die Stille. Ein rasendes Tosen und Toben erfüllt den Raum, die Geleise bogen sich, die Erde zitterte – ein starker Luftdruck – eine Wolke von Staub, Dampf und Qualm, und das schwarze, schnaubende Ungetüm war vorüber. (G. Hauptmann, "Bahnwärter Thiel«)

In beiden Beispielen besitzen die kurzen Sätze (Ich bin dieser Niemand – Dann plötzlich zerriß die Stille) eine erhöhte Ausdruckskraft. Sie wirken wie unvermittelte Antithesen, die eine neue Situation heraufführen, von der im folgenden Text gesprochen wird.

Trotz derartiger Silwirkungen lassen sich keine allgemeingültigen Regeln über einen grundsätzlichen Wert kurzer Sätze aufstellen, wie dies in manchen Stillehrbüchern geschieht.16 Kurze Sätze allein steigern nicht den Eindruck von Hast und Bewegung, wie gelegentlich behauptet und in der Triviailiteratur oft exemplifiziert wird, längere Sätze allein bewirken noch nicht den Eindruck von Ruhe und Gelassenheit.17 Kurze Sätze unterstreichen vielmehr nur das inhaltlich Vorgegebene, also beispielsweise auch inhaltliche Erzählspannungen, durch die Überschaubarkeit des Gesagten und die Staupausen der Punkte. Längere Sätze häufen die Informationsdaten zwischen den Punkten und wirken so komplexer und reflektierter. Der Autor muß also im einzelnen entscheiden, welche Satzlänge er wählt.

Der Satz mittlerer Lange

Nach dem bereits Gesagten kommt heute dem Satz »mittlerer Länge«, der etwa 4-7 Satzglieder und etwa 10-25 Wörter umfaßt, die größere kommunikative Bedeutung zu.18 Stichproben ergaben, daß ein großer Teil der Pressekommentare und größeren Zeitungsberichte, der Geschäftsbriefe und Beschreibungen, der allgemeinverständlichen wissenschaftlichen Literatur wie auch der Erzählliteratur aus Sätzen dieses Umfangs besteht.19 Hierzu gehören nicht nur einfache erweiterte Sätze, sondern auch nicht zu lange Satzglied- oder Satzreihen sowie nicht zu komplizierte Satzgefüge. Wir schließen hier einige Satzbeispiele dieser Art aus verschiedenen Textsorten an, urn den Umfang dieser mittleren Satzlänge zu verdeutlichen:

Auch die übrige Welt ist sich nicht einig darüber, bei wem die Schuld zu suchen ist. Die einen verdammen Rawalpindi, das erst jahrelang die Brüder in Ostpakistan ausgebeutet hat und dann versuchte, sie brutal und mit Waffengewalt von der Verselbständigung abzuhalten... (Pressebericht)

Mühelos und unter Flüstern und Traumdeuten fanden wir ins erste Kellergeschoß und abermals Stufen hinauf. Die roten Positionslichterchen zeigten den Weg zwischen gestapelten Eisblöcken, den Ausgang, das viereckige Licht. Aber Jenny hielt mich zurück. Keiner sollte uns sehen, denn, »wenn sie uns erwischen«, sagte Jenny, »dürfen wir nie mehr hinein«. (G. Grass, »Hundejahre«)

Die Sätze »mittlerer Länge« sind gut geeignet, alle kommunikativ wie poetisch norwendigen Informationen kombinierter Einzelvorstellungen so zu vereinigen, daß keine gedanklich-inhaltlichen Brüche entstehen. Sowohl temporale als auch kausale, konditionale und andere Beziehungsverhältnisse können in Sätzen dieses Umfangs mit den entsprechenden Hauptsatzaussagen kombiniert werden. Im Gegensatz zu den verhältnismäßig relationsarmen Kurzsätzen sind hier auch attributive Satzgliederweiterungen möglich. Dem geübten Leser bleiben derartige Sätze meistens noch überschaubar, besonders dann, wenn sie in sich mehrfach gegliedert sind. Gliederungsfähigkeit wie Umstellbatkeit der Glieder ermöglichen zahlreiche stilistisch wirksame Satzbauvarianten, so daß der Eindruck stereotyper Satzmusterwiederholungen auch ohne Quantitätsveränderungen vermieden werden kann. Der Wechsel zwischen Sätzen dieses Umfangs mit kürzeren oder längeren Sätzen, wie er in vielen Texten anzutreffen ist, schafft zusätzliche Varianten.

Lange Sätze

Die Bevorzugung langer Sätze, die über die mittlere Länge hinausgehen, hat ebenso wie die häufige Wahl kurzer Sätze als wichtiges Stilcharakteristikum eines Textes zu gelten. Nur wenige Dichter – wir nannten schon Kleist und Thomas Mann – sind als Liebhaber langer Sätze, zumeist kunstvoll gebauter Perioden, bekannt. Der lange Satz – soweit er nicht, wie bei Kleist, zeitlich und räumlich nahe oder zeitgleiche Einzelgeschehnisse und -gedanken im Nacheinander der syntaktischen Abfolge bündelt – ist vorwiegend für gedankliche Reflexionen geeignet. Er findet sich in politischen, philosophischen und spezialwissenschaftlichen Texten, die größere Gedankenkombinationen in Einzelsätzen erfordern. Sofern poetische Texte derlei Satzumfang bevorzugen, handelt es sich fast ausschließlich um Texte auktorial erzählender Autoren, die mit dem Erzählgeschehen ihre eigene Kommentierung darbieten.20Es sind mehrere Formen des langen Satzes üblich: 1) der erweiterte einfache Satz, 2) das erweiterte Satzgefüge (die Periode) mit mehreren Haupt- und Nebensätzen, 3) Sätze mir Reihungen mehrerer Satzglieder oder selbständiger Satze.

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