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krahl_kurz-kleines woerterbuch der stilkunde

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Schriftsprache

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verlangt mehr Rücksicht auf sprachliche Eleganz, erfordert beispielsweise ↑ Redigierung, weil sie für den Aufnehmenden nicht flüchtig ist und weil sie sich selbst nicht auf den Improvisationscharakter, der etwa dem Gespräch eignet, berufen kann. Zugleich muß sie durch entsprechenden Wortaufwand die Bedeutungselemente ersetzen, die im Mündlichen der Situationszusammenhang, die mimischen und gestischen Mittel sowie die akustischen Faktoren. (z. B. Betonung) geben; im Extremfall bedarf die mimische Umkehrung des tatsächlich Gesagten (etwa in der ↑ Ironie) bei schriftlicher Fixierung sogar eines besonderen Kommentars.

Schriftsprache ↑ unter Literatursprache. schriftsprachliche Dubletten ↑ unter Dubletten.

Schwammwörter: Wörter, die neben ihrer eigentlichen Bedeutung im alltäglichen Gebrauch ganz verallgemeinerte und verschiedene, oft völlig nnmotivierte Bedeutungen annehmen können, z. B. Klimbim, Mist, Zeug, Zimt für ‚Gegenstände'; Laden, Verein für die versehledensten Einriohtungen; Ding, Sache, Spaß, Zauber usw. für ‚Angelegenheiten', ‚Vorgänge'.

Schwulst: Bezeichnung für überladenen Satzbau, vor allem für angeschwollene Subjektund Objektgruppen, für inhaltlich übersteigerte und an Umfang aufgeblähte Attribuierung, für Verwendung von ↑ Streckformen u. ä.: die übergroße Anzahl der Menschen = ,die meisten'; eine ungenügende Anzdhl = ,zu wenig'; die Bea/rbeitung des . . . erfolgt auf automatischem Wege = ,das ... wird automatisch bearbeitet'; die von ihm vollbrachten Leistungen = ,seine Leistungen'; zu einer entscheidenden qualitativen Verbesserung der Arbeit im Unterricht ist ea notwendig, ... = ,um den Unterricht [wirklich] zu verbessern, muß . . .'. Schwulst sind die meisten Formulierungen mit in der Frage des . . . (in der Frage des Kartoffelanbaus für ,im Kartoffelanbau'), die Erntegeschehen, Unterrichtsgeachehen (für .Ernte', ,Unterricht'), Renovierungsarbeiten (für ,Benovierung') usw. ↑ Sprachschablone, Bildschwulst.

Sentenz f: Sinnsprach, der in eindringlicher Kürze und persönlicher Ausprägung eine allgemeine Erkenntnis lehrhaft ausdrückt, z. B. Dsa Ziel der Kunst ist das Ideal und keine Moralpredigt

(Puschkin). Die Wirksamkeit der Sentenz beruht wesentlich darauf, daß der Leser oder Hörer eine eigene, unter Um-

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Sprache

ständen noch wenig präzisierte Erfahrung in einleuchtend origineller und zitierbarer Formulierung bestätigt findet. Die Sentenz kann bei Übergang in den allgemeinen Sprachgebrauch zum ↑ Sprichwort werden. Sie berührt sich mit der ↑ Losung und dem ↑ Aphorismus.

Sinnbild ↑ Symbol.

Slogan m: Werbeschlagwort (Leuna — einBegriff fürQualität). sokratisclie Ironie ↑ unter Ironie.

Spitzenzitat: ↑ Zitat, das unmittelbar, ohne ↑ Redeeinleitung, einen Text eröffnet. Die Bezeichnung ist in Anlehnung an „Spitzmarke", den an die Spitze eines journalistischen Textes gestellten themaartigen Begriff, und an „syntaktische Spitzenstellung" gebildet. Das Spitzenzitat kann schnell und kurz das Wesentliche einer Textaussage hervorheben oder auch nur ↑ Aufhänger sein. Es ist vor allem in publizistischen Darstellungen üblich. Die im Zitat genannten Bezüge müssen sofort erkennbar sein, das Zitat selbst soll semantisch selbständig und in seiner ↑ Perspektive auch für das Publikum gültig sein.

Sprachbild, Bild: 1. jede anschauliche Vorstellung, die mit sprachlichen Mitteln erzeugt wird. — 2. eine nichtwörtliche, nur sinnbildlich gemeinte anschauliche Vorstellung, die insbesondere als ↑ Metapher, im ↑ bildlichen Vergleich, im ↑ Gleichnis erscheint.

Sprachcharakterlstik, Sprachporträt: Teilcharakterisierung einer dargestellten Person durch ihre Art, sich sprachlich kundzutun, wobei Alter, Beruf, Bildung, Charakter, Humor, Lebensart, Lebenserfahrung, Milieu, Situation, soziales Herkommen, Stimmung, Willenskraft usw. Berücksichtigung finden. ↑ charakterologischer Ausdruck.

Sprache: System von Lautzeichen, ihren Abwandlungsund Beziehungsmöglichkeiten, wobei sowohl die Zeichen selbst als auch ihre üblichen Abwandlungsund Beziehungsmöglichkeiten bestimmte Bedeutungen haben. Die Sprache ist das Hauptmittel menschlicher Verständigung; neben ihr existieren andere primäre Verständigungszeichen (Mimik, Gestik) und sekundäre, auf der Grundlage der Sprache errichtete künstliche Zeichensysteme (mathematische, logische Zeichensysteme usw.). Die Sprache ist Grundlage und zugleich Form (Hülle) des Denkens, nach Marx „die unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens"

Sprachefflzienz

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(↑ Gedanke und Sprachform). Der Sprache als System (langue) kann Sprache als von Individuen angewandtes, aktualisiertes Syatem (parole), d. h. als Rede oder Äußerung im allgemeinsten Sinne, gegenübergestellt werden (↑ Rede 1). Nur in diesem Sinn gibt es einen ↑ Sprachstil.

Grundformen sprachlicher Mitteilung sind die mündliche (↑ Rede 3) und die schriftliche Mitteilung (↑ Schreibe); sie weisen Besonderheiten auf, die sich im ↑ mündlicheu Stil und im ↑ schriftlichen Stil widerspiegeln.

Sprachefflzienz f: verdeutlichende Umschreibung, ein Mehr an sprachlichem Ausdruck (↑ Ausdruck 1) für einen Begriff, einen Bezug; sie erscheint als ↑ grammatische Verdeutlichung und als ↑ kontextuale Verdeutlichung. ↑ aber Sprachökonomie.

Sprachform ↑ Gedanke und Sprachform.

Sprachkritik: 1. im engeren Sinn Sprachpflege, Wirken für die Reinhaltung der Sprache, für die Erhaltung bewährter grammatischer Formen, gegen Verirrungen, Auswüchse, Schluderei, Gedankenlosigkeit und Stereotypie im Sprachgebrauch. Hierzu gehört auch die Diskussion und gegebenenfalls Bestätigung neuerer Entwicklungstendenzen der Sprache. — 2. in einem weiteren Sinn eine kulturphilosophisch orientierte Richtung, die sich gegen den Mißbrauch der Sprache und der Begriffe, wie er von dekadenten Kräften getrieben wird, wendet. Sprachkritik in diesem Sinn übte z. B. Karl Kraus. — 3. Kritik am System und den. Möglichkeiten der Sprache vom Standpunkt der Philosophie, der Logik und der Erkenntnislehre. sprachliche Aussage und formal-logische Aussage: Die sprachliche Formulierung unterscheidet sich von der formal-logischen Aussage unter anderem dadurch, daß sie Selbstverständliches, aus dem ↑ Kontext Hervorgehendes wegläßt. Formal-logisch muß z. B. der einfache Satz Menschen sind sterblich durch die gedankliche Struktur Alle x, sofern sie Menschen sind, haben die Eigenschaft der Sterblichkeit wiedergegeben werden, als Formel geschrieben: V(x)[M(x) → St(x)]. Die Kürze der Formel täuscht also darüber hinweg, daß die formal-logische Struktur umfangreicher ist; zudem bedürfen die formalisierten Begriffe und Beziehungszeichen, z. B. V(x), der Konvention und setzen hohe Abstraktionsfähigkeit voraus. So besteht der Vorzug der formallogischen Aussage allein in deren Haupteigenschaft, der Präzi-

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Sprachrhythmus

sion. Die sprachliche Aussage dagegen hat abhängig vom Mitteilungszweck verschiedene (und meist jeweils mehrere) strukturell-formale Charakteristika; z. B. beruhen die stilistischen Qualitäten einer lyrischen Aussage auf höchster Vereinigung von ↑ ästhetischer Stilisierung und sprachlicher ↑ Dichte, die einer schriftlichen wissenschaftlichen Darlegung etwa auf Vereinigung von Dichte und sprachlicher ↑ Präzision bei einem Optimum an Verständlichkeit.

Sprachnormen: durch die Sprachgemeinschaft bzw. deren bildungstragende Schicht bestimmte Normen des Gebrauchs und der Fügungsweise sprachlicher Formen; unter dem Begriff der Norm wird einerseits das statistische Übergewicht bestimmter Sprachformen zur Bezeichnung einer Sache oder Beziehung verstanden, andererseits die als ideal, als vorbildlich, als erstrebenswert geltende[n] Sprachform[en]. Ungeachtet dieser erheblichen Differenz kann gesagt werden, daß Normen im allgeimeinen in der Grammatik kodiflziert werden, sich jedoch — zusammen mit dem Sprachsystem — in steter Entwicklung befinden, Varianten einschließen, Abweichungen zulassen. Die Normen in den verschiedenen Kommunikationsbereichen (sozial, landschaftlich, beruflich, altersmäßig) weisen Unterschiede auf. ↑ Sprachstilnormen.

Sprachökonomie f: Einsparung an sprachlichem Ausdruck (↑ Ausdruck 1) für einen Begriff, einen Bezug; sie erscheint als ↑ grammatisehe Einsparung und als ↑ kontextuale Einsparung. ↑ aber Spracheffizienz.

Sprachporträt ↑ Sprachcharakteristik.

Sprachrhythmus, kurz Rhythmus m: Regelmäßigkeit der Abfolge von betonten und unbetonten Silben bzw. von Bezeichnungselementen und Beziehungselementen, Regelmäßigkeit bzw. Ähnlichkeit der Silbenzahl und Abfolge von Wortgruppen, die um sinntragende lexische Einheiten gruppiert sind (Satzteil, Satzglied, Satz). Der Rhythmus ist zunächst ein Faktor mündlicher Mitteilung, kann jedoch auch am Schriftbild wahrgenommen werden. Außerhalb der Versdichtung kann er Element künstlerischer Prosa und bestimmter publizistiseher Texte bzw. Textteile sein. Unter anderem ist er — neben notwendiger ↑ Prägnanz — formale Bedingung wirksamer ↑ Losung und ↑ Überschrift. Unaufdringliche rhythmische Qualitäten be-

Sprachschablone

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günstigen offenbar auch, daß sentenzartige Passagen (↑ Sentenz) publizistisch-agitativer Texte zum ↑ geflügelten Wort werden, das sich einprägt, so Karl Marx’ Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift.

Zu unterscheiden ist der Rhythmus vom Metrum, das nach Saran die wesentlichen rhythmisohen Merkmale einer bestimmten Versform bezeichnet.

Sprachschablone f: Bezeichnung für die gedankenlose Anwendung sprachlicher ↑ Fertigstücke, die in dem neuen Textzusammenhang sinnentleert sind: Frage des/der (in der Frage des Kartoffelanbaus gut vorangekommen für ,im Kartoffelanbau vorangekommen' oder ,schon viel Kartoffeln angebaut') Problem des/der, auf dem Sektor des/der, auf dem Gebiet des/der usw. ↑ Schwulst.

Sprachstil: 1. Stil sprachlicher Äußerungen im Unterschied zu Stilen menschlicher Äußerungen, die sich nicht der Sprache bedienen (Musik, Plastik, Malerei, darstellende Kunst). — 2. auch Diktion: Stil der sprachlichen Seite von Texten im Unterschied zu ihrem gedanklichen Stil, dem ↑ Denkstil. Das Kompositionsglied Sprache in dem Begriff „Sprachstil" bezieht sich auf Sprache im Sinn von frz. parole (↑ Sprache Rede 1). ↑ Stil, Gedanke und Sprachform.

Sprachstilelemente: den Sprachstil (↑ Sprachstil 2) eines ↑ Textes charakterisierende Einheiten. Zum Teil wird der Begriff auf die austauschbaren Elemente der Äußerung (↑ fakultative Sprach formen, Synonyme) beschränkt. Zu beachten ist, daß der Stil sprachlicher Äußerungen nicht nur durch wiederkehrende grammatisch registrierbare Formen und Strukturen bestimmt wird (↑ Denkstil).

Sprachstilistik, sprachwissenschaftliche Stilistik, Linguostilistik linguistische Stilistik: theoretische und praktisch-pädagogische Disziplin, die die sprachliche Seite (nicht die gedanklich kompositorische) sprachlicher Äußerungen zum Gegenstand hat Sie versucht, unterschiedliche Aussageweisen allein mit sprachwissenschaftlichen Kategorien zu messen, nicht als Strukturen des Gedankens (↑ Antithese, Isolog), die sich sprachlich verschieden manifestieren und die man unter dem Begriff ↑ Denkstil zusammenfassen kann. Zum Teil wird Sprachstilistik auf die

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Statik

Untersuchung ↑ fakultativer Sprachformen für denselben Sachverhalt eingesehränkt. ↑ auch Denkstilistik.

Sprachstilnormen: Normen der sprachlichen Aussageweise, der sprachlichen Seite des Stils (zum Begriff der Norm ↑ unter Sprachnormen). Sie charakterisieren v. a. den ↑ Bereichsstil und den ↑ Zeitstil, auch den ↑ Genrestil. Im Unterschied zu den Sprachnormen, die meist in der Grammatik bereits kodifiziert sind, werden Sprachstilnormen theoretisch noch ungenügend erfaßt. Fixierte Stilnormen existieren in Hinsicht auf den Wortschatz (↑ Stilfärbung, Stilschicht); vielfach werden sie jedoch bereits dem Gegenstand der Lexikologie zugerechnet. Stilnormen auf dem Gebiet der Syntax werden allmählich grammatisiert (Spitzer: „Syntax ... ist... gefrorene Stilistik."). Hier wie dort gibt es Übergänge. ↑ Stilistik.

sprachwissenschaftliche Stilistik ↑ Sprachstilistik. Sprachwitz ↑ Wortwitz.

Sprechdenken ↑ unter Reflexion. Sprechstil ↑ mündlicher Stil.

Sprichwort: Spruch in Satzform, der eine historisch gebundene Lebensweisheit als in sich geschlossenen Gedanken ausdrückt. Gesellschaftlich überholte Sprichwörter, z. B. Schuster, bleib bei deinem Leisten, werden mit Vorliebe anstelle fehlender Argumente von reaktionären Politikern und Publizisten ausgenutzt.

Stabreim, Alliteration: bewußt gleicher Anlaut von zwei und mehr bedeutungstragenden Wörtern, verbreitet in festen Wendungen (Land und Leute). Der Stabreim dient heute vor allem der Hervorhebung und Einprägung — auch der graphi-schen Wirkung — von Titeln, die zudem meist rhythmisch auf-gebaut werden (Bauern, Bonzen, Bomben [Fallada]; Sonne, Sand und Segelboote [Artikelüberschrift]). — Oft führt die Suche nach einem stabreimenden Wort zu willkürlichen Überschriften, die bloße Reizfunktion haben.

Statik: Ruhe, Verharren, Unbewegtheit, auch Abstraktheit, nur logischer Charakter im Gegensatz zur ↑ Dynamik, der (äußeren) Bewegtheit, Vorganghaftigkeit. Jede sprachliche Äußerung hat von Natur aus ein nichtstatisches, ein dynamisches Element, weil sie sich in der Zeit vollzieht und weil jede grammatisch vollständige Aussage im Normalfall ein Bewegung voraussetzendes Zeitelement, im Verb fixiert, enthält. Doch wird das

stehendes Epithoton

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Zeitelement in beiderlei Hinsicht kaum wirksam: (1) Während der Vermittlung einer Sinneinheit, eines einzelnen Satzes, steht die Zeit gewissermaßen still, der Satz wird nicht als ein Nacheinander, sondern als ein Simultanes wahrgenommen und verarbeitet. Im Druck ist obendrein ein Satz, zumindest mit dem Blick, als ein Ganzes, Gleichzeitiges erfaßbar. (2) Das Zeitelement im Verb ist grammatisiert, es ist obligatorisoh, wird also nur bedingt wahrgenommen, das Verb kann gar nicht anders denn als Zeit-Wort existieren, so daß unter Umständen über weite Strecken, im Extremfall über einen ganzen Text (↑ episches Präteritum) das Zeitbewußtsein beim Leser schwindet oder zumindest sekundär ist. Hinzu kommt, daß das Verb immer nur die Dynamik einer einzelnen Aussageeinheit bezeichnet, nicht die Dynamik gegenüber den vorangehenden Aussageeinheiten (Sätzen). Sie ergibt sich aus den Wortinhalten. Im umfangreichen Einzelsatz verliert das Verb überdies durch sein quantitatives Verhältnis zum gesamten Satzumfang an Gewicht; alle übrigen Wörter bezeichnen Größen, Bezüge, Sachen, über die etwas ausgesagt wird. Wird nun der an sich geringe grammatische Raum, der für die Dynamik bleibt (das Prädikat), durch Aufnahme untergeordneter Vorgänge in einen Satz, durch Attribuierung, durch ↑ Zuordnungshäufung relativ kleiner, so verliert die Aussage relativ an Dynamik; die nunmehr als Bezug, als Zugeordnetes gefaßten Vorgänge und Abhängigkeiten erhalten das Übergewicht. Im nun schon Gewohnheit gewordenen Extremfall wird dann auch noch das eigentliche Prädikat substantivisch, als Sache, als Satzgegenstand gefaßt und das Verb als Kopula zum formalen Vollstrecker der Satzbildung degradiert. Kunst des Darstellenden ist es, die zur Statik neigenden ↑ Darstellungsarten ↑ Beschreiben und ↑ Charakterisieren dynamisch zu machen, indem der Gegenstand in seinem zeitlichen Bezug und als in einem Abschnitt einer Entwicklung befindlich demonstriert wird. ↑ Schildern. stehendes Epitheton n: formelhafte Zuordnung einer Eigenschaft, z. B. der listenreiche Odysseus, der rasende Reporter (Kisch). ↑ Epitheton.

stehende Wortverbindung: 1. im engeren Sinne ↑ Fhraseologismus. — 2. im weiteren Sinne jede übliche Wortverbindung, z. B. ↑ stehendes Epitheton, ↑ Formel, ↑ Floskel, auch ↑ Fertigstücke.

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Stil

Stichpunkte, Dispositionsausdrücke, Dispositionsbegriffe: vorwiegend nominale Begriffe und Begriffskomplexe, die stichwortartig in einer ↑ Disposition, einer Tagesordnung, einem Plan festgehalten sind. Oft handelt es sich um substantivierte Vorgänge, z. B. individuelle Freizeitgestaltung. Das mangelnde Umsetzen solcher Ausdrücke in Bekanntmachungen, Referaten, publizistischen Beiträgen usw. ist oft Ursache für den ↑ Nominalstil. Zum Beispiel wird der an sich verbale Begriffskomplex Freizeitgestaltung einfach mit einem sinnleeren Verb nur noch formal vervollständigt: Individuelle Freizeitgestaltung kann von 16 bis 18 Uhr erfolgen statt Über die Zeit von 16 bis 18 Uhr kann jeder frei verfügen.

Stichpunktwiedergabe: eine Art der ↑ abstrahierten Rede. Die Stichpunktwiedergabe vereint in sich ↑ Exzerpt und ↑ Redewiedergabe mit Techniken der Agitationsschrift; sie formuliert jeweils in ein, zwei Sätzen. einen wichtigen Gedanken aus Äußerungen wie ↑ direkte Rede und hebt die vom Blickpunkt und in der ↑ Perspektive des Redners zu denkenden Sätze durch graphische Mittel (meist durch vorangestellten Fettpunkt) hervor.

Stil (als Stil sprachlicher Äußerungen): die gedanklichsprachliche Aussageweise, die konkrete Verwendungsweise gedanklich-sprachlicher Formen. Der Stil wird bestimmt durch die konkrete (politische, soziale, ästhetische) Funktion und Situation der Mitteilung, geprägt durch gattungsund genremäßige Strukturen und Konventionen, beeinflußt durch die Kommunikationsart (↑ schriftlicher Stil, mündlicher Stil), modifiziert oder bestimmt durch das sich mitteilende Individuum oder Kollektiv; er unterliegt, insbesondere in seiner sprachlichen Seite, gewissen historischen Veränderungen und Normen. Der Stil ist also die durch Zeit, Milieu, Funktion, Thema, Genre, Mitteilungs- (Kommunikations-) Art und durch die mitteilende Person oder Gemeinschaft bestimmte gedanklich-sprachliche Aussageweise. Kurz: Stil ist historisch, funktionell, vermittlungsspezifisch und individuell bedingte gedanklich-sprachliche Aussageweise.

Der Stilbegriff darf weder allein auf nur zweckgerichtete Mitteilungen noch allein auf die gedanklich-sprachliche Form künstlerischer Werke bezogen werden, noch darf er auf die

Stilanalyse

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expressive Sprachgestaltung beschränkt werden. Einige Theoretiker grenzen ihn auf die einer Substitution (synonymische Ersetzbarkeit) zugänglichen sprachlichen Mittel eines Textes ein. Stil eignet jedoch uneingeschränkt dem Text als einer Gesamtheit von gedanklich-struktureller und sprachlicher Form, mithin allen gedanklich-sprachlichen Mitteln, auch solchen, die noch keine festen stilistischen Bezeichnungen haben. Unter gedanklichsprachlichen Mitteln verstehen wir gedankliche Strukturen, die sich in sprachlichen Formen äußern, z. B. das Übertreiben in der ↑ Hyperbel, das Eine-Person-selber-Denken-lassen in ↑ direkter Reflexion, das Wiederholen in ↑ Anapher und ↑ Epipher, das Scheinbar-verändert-Darbieten in ↑ stilistischer Variation bzw. ↑ Synonymie. Gedankliche und sprachliohe Seite des Stils hängen eng zusammen, doch kann entsprechend der relativen Trennbarkeit gedanklicher Strukturen von potentiell verschiedenen Sprachformen (↑ Gedanke und Sprachform) der Stil einerseits in seiner formal-gedanklichen Komponente, als ↑ Denkstil, und andererseits in seiner grammatisch-lexikalischen Komponente, als ↑ Sprachstil, untersucht werden.

Stilanalyse: eingehende stilistische Untersuchung von Texten, praktisch gleichgesetzt mit dem Begriff ↑ Stiluntersuchung; zum Teil als Zergliederung in Stilelemente (↑ Sprachstilelemente) der Stiluntersuchung untergeordnet, die eine Darstellung des Zusammenwirkens der Stilelemente geben soll. Diese wird ihrerseits vielfach als ↑ Stilinterpretation bezeichnet. Stilarten: 1. In der antiken Rhetorik unterschied man nach dem Mitteilungszweck und dem damit verbundenen Redeschmuck (↑ Amplifikation, Ornatus, rhetorische Figuren) drei Stilarten: a) einen leichten Stil zum Zweck der bloßen Mitteilung und Lehre (docere = lehren): schmuckloser Stil; b) einen mittleren Stil zum Zweck der Unterhaltung, des Vergnügens (delectare = erfreuen, unterhalten, vergnügen): gefälliger und zugleich klarer Stil mit rhetorischen Figuren; c) einen erhabenen, schweren Stil zum Zweck der leidenschaftlichen Erregung und Erschütterung (movere = bewegen): anspruchvoller, mit allen Mitteln des Redeschmucks versehener Stil. — 2. In neuerer Zeit hat E. Kerkhoff den Begriff der Stilarten wieder aufgenommen. Sie bezeichnet als Stilarten: Werkstil, ↑ Indi-

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Stilfärbung

vidualstil, ↑ Zeitstil (Epochalstil), Nationalstil, Personalstil, Materialstil, Gegenstandsstil, ↑ Gattungsstil. Diese Unterscheidung ist gegenüber einer Betrachtungsweise, die den Stil vorwiegend oder fast ausschließlich nach Kommunikationsbereichen einteilt, differenzierter, indem sie wichtige Stilfaktoren (Gegenstand, Epoche, Gattung) ins Blickfeld rückt. Andererseits sind Bezeichnungen wie Werkstil / Gegenstandsstil oder Individualstil / Personalstil nicht streng abzugrenzen. Vor allem muß betont werden, daß es sich hier nicht um verschiedene Stilarten handelt, sondern um eine Stilklassifikation, um verschiedene Betrachtungsprinzipien für ein und denselben Stil. Stilbereiche: 1. Bereiche der Kommunikation, die unterschiedliche stilistische Normen der Texte (↑ Bereichsstil) herausgebildet haben oder angemessen erscheinen lassen. — 2. auch für Stilschichten (↑ Stilschicht).

Stilblüte: mißlungene, lächerlich wirkende Fügung eines Gedankens, z. B. die Parlamentsblüte: Gewiß, meine Herren, wir sind alle nur Menschen. Aber der Witz ist der, daß es sich das Volk nicht länger gefallen läßt.

Stilbruch: mangelnde Kontinuität der gedanklich-sprachlichen Aussageweise; in gedanklicher Hinsicht die unorganische Vermischung und der unbegründete Wechsel von Perspektiven (↑ Perspektive) und ↑ Darstellungsarten, in sprachlicher Hinsicht die unbeabsichtigte oder in ihrer Absicht nicht erkennbare Vermischung verschiedener Bereichsstile (↑ Bereichsstil), Stilschichten (↑ Stilschicht) bzw. Stilebenen (↑ Stilebene) und Stilfärbungen (↑ Stilfärbung) von Wörtern und Fügungen. Der Stilbruch hat vielfach seine Ursache in inkonsequenter ↑ Darstellungshaltung.

Stilebene: durchschnittliche sprachästhetische Qualität eines Aussagekomplexes, eines ↑ Textes. Die Stilebene wird von der allgemeinen ↑ Stilschicht der Wörter und ihrer Fügung und durch den gesamten Charakter des Textes, z. B. durch dessen intellektuelle Qualität, bestimmt. Stilelemente ↑ Sprachstilelemente. Stilfärbung, Stilkolorit: übliche, d. h. im Wörterbuch bereits flxierte stilistisehe Nuance von Wörtern und Fügungen. Wörter und Fügungen können aufweisen: (I ) spezielles Kolorit, z. B. können sie abwertend, grob, scherzhaft, spöttisch, übertreibend,

Stilflguren

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vertraulich, verhüllend, zotig sein; (2) landschaftliches (territoriales) Kolorit, z. B. in der Lexik: Wiese / Alm, in der Syntax: ist/hat gestanden (↑ Dialektismus, ↑ auch Provinzialismus); (3) politisehes und soziales Kolorit, z. B. Establishment/führende Klasse, Bundeswehr/Volksarmee; (4) historisches Kolorit, z. B. deutlich in der Verwendung von nicht mehr üblichen oder veraltenden (↑ Anachronismus, Archaismus, Historismus), aber auch neuentstehenden Sprachformen (↑ Neologismus, Modernis-mus). In manchen Fällen. überschneiden sich historische und politische Komponente; so ist die Bezeichnung Stände für einen historischen Sachverhalt angemessen, während sie heute, angewandt auf Klassen, einen politischen Sachverhalt bewußt verhüllt (↑ Euphemismus); (5) Kolorit des Kommunikationsbereichs (Riesel: funktionale Stilfärbung); z. B. sind bestimmte Sprachformen vorwiegend in einem bestimmten Bereich, etwa in Publizistik oder Wissenschaft, bzw. in bestimmten Berufen (↑ Professionalismus, Terminus) üblich. Spezielle Sprachformen der künstlerischen Literatur (↑ auch Poetismus) stehen dabei zugleich in anderen Bezügen: Sie bilden in ästhetischer Hinsicht die höchste ↑ Stilschicht; dasselbe gilt umgekehrt für Sprach-formen der untersten Stilschicht wie ↑ Jargonismus und ↑ Vulgarismus bzw. Argotismus, die zugleich das Kolorit (funktionale Stilfärbung) des Kommunikationsbereichs Alltag aufweisen; fachspezifisches Kolorit und Stilschicht zugleich sind im ↑ Fachjargonismus deutlich.

Ist an isoliert stehenden Wörtern eine besondere Stilfärbung nicht erkennbar, so spricht man von ↑ Nullfärbung. ↑ auch Stilwert. Stilflguren ↑ rhetorische Figuren.

Stilgeschichte: Gesohichte der durch die untersehiedlichen. gesellschaftlichen Verhältnisse, durch konkrete Entwicklung von Sprache und Denken, durch die allgemeine Geschichte und Kulturgeschichte (und deren Auswirkung auf die Individuen und sozialen Gruppen) bedingten Sprachstile bzw. ↑ Sprachstilelemente. ↑ Sprachstil.

Stilgestaltung: Bezeichnung für die Arbeit am (Sprach-) Stil zu schaffender Texte. Da Stil an sich Gestalt ist, faßt man den Sachverhalt treffender unter dem Begriff ↑ Textgestaltung bzw. ↑ Stilisierung.

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Stilistik

Stilinterpretation: auf ↑ Stilanalyse fußende Einschätzung und Charakterisierung des Stils von Texten; zum Teil synonym zu ↑ Stiluntersuchung gebraucht.

Stilisierung: mögliche allgemeine Bezeichnung für die Arbeit am Stil zu schaffender Texte, für die ↑ Textgestaltung. Die Bezeichnung ist bisher nur — zudem mit nicht klar umrissener Bedeutung — in der Literaturwissenschaft bzw. Kunstwissenschaft üblich; hier wird sie (nicht notwendigerweise) mehr auf die Sprachgestaltung bezogen. ↑ ästhetische Stilisierung, Stilgestaltung.

Stilistik, populär Stilkunde: Wissenschaft vom ↑ Stil, von der gedanklich-sprachlichen Aussageweise. Entsprechend den beiden Seiten des Stils, der gedanklichen und der sprachlichen, läßt sich unterscheiden zwischen (1) einer Stilistik der Denkformen, die man als ↑ Denkstilistik bezeichnen könnte, und (2) einer Stilistik der Sprachformen, einer ↑ Sprachstilistik. Die eine hat Bindungen zu Logik und Erkenntnistheorie, die andere zu Grammatik und Lexikologie. Da beide Seiten eine Einheit bilden, die im Stil eines Textes in Erscheinung tritt, ist für das Erfassen und Lehren stilistischer Mittel eine komplexe Be-trachtungsweise erforderlich. Werden ausschließlich grammati-sche Strukturen und ihre Varianten untersucht, so ist es ratsam, von stilistischer Grammatik zu sprechen. Abgesehen von den beiden Grundkomponenten der Stilistik kann Stilistik betrieben werden

(1)als Stiltheorie (theoretisohe Stilistik, Stilwissenschaft). Die Stiltheorie schafft durch Untersuchung des allgemeinen Gegenstandes der Stilistik, durch Herausarbeitung und Katalogisierung gedanklich-sprachlicher Strukturen und Formen die Grundlage für Interpretation und Lehre stilistischer Faktoren;

(2)als angewandte Wissenschaft (praktische Stilistik): a) als ↑ Stiluntersuchung (bzw. ↑ Stilinterpretation, ↑ Stilanalyse); sie analysiert und klassiflziert den Stil sprachlicher (künstlerischer, journalistischer usw.) Mitteilungen; b) als Stillehre (Stilunterweisung); sie lehrt die Berücksichtigung stilistischer Faktoren, die der Aussage, dem Thema, dem Zweck usw. gemäße Verwendung der gedanklich-sprachlichen Mittel bei der ↑ Textgestaltung (z. B. für Schüler und Studenten, speziell für die Ausund Weiterbildung von Journalisten und Künstlern).

8 Stilkunde

stilistisch

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Der Standort der Stilistik innerhalb der Wissenschaften. ergibt sich aus dem Komplexcharakter des Stils. Die Stilistik bedient sich der Erkenntnisse von Linguistik, Logik, Erkenntnistheorie, auch Informationstheorie, Psychologie und Ästhetik. Unterschiedlich beurteilt wird die Zugehörigkeit der Gattungsund Genretheorie zur Stilistik.

Das Verhältnis der Stilistik zur Grammatik erhellt insbesondere aus beiden Grundkomponenten des Stils. Während die Gramma-tik ein System struktureller Normen bildet, das kodifiziert ist, wobei übliche Varianten zugelassen werden, bezieht sich die Stilistik auf die gesamte sprachliche Äußerung, auf den Kon-text, auch wenn sie Textelemente untersucht. Dies schließt nicht aus, daß übliche stilistische Qualitäten bereits im Wörterbuch oder in der Grammatik erscheinen. Auch können ver-sohiedenartige Kontextbindungen auf strukturell-grammatische Weise untersucht werden (↑ strukturelle Stilistik). Stilistik ist, als Theorie der Textuntersuchung und als Grundlage der ↑ Textgestaltung, eine Kontextwissenschaft: Sie kann zwar in einer Systematik die üblichen begrifflichen, emotionalen, ästhe-tischen Werte bestimmter Wörter und Fügungsweisen regi-strieren (z. B. die ↑ Stilfärbung und die ↑ Stilschicht), sie kann Typen gedanklich-sprachlicher Strukturen (z. B. ↑ Isolog, ↑ Kreuzstellung) beispielhaft nennen, aber erst deren Verhältnis zu Gegenstand, Funktion und Situation der Mitteilung erlaubt eine Bewertung des Stils.

Gegenstand der Stilistik sind alle Arten von Texten, da Stil eine Erscheinungsform jeder sprachlichen Äußerung ist. Die Stilistik der künstlerischen Literatur (↑ literaturwissenschaftliche Stilistik) ist nur ein Teilgebiet der Stilistik sprachlicher Äußerungen; sie hat allerdings insofern Bedeutung, als die gedanklich-sprachliche Form künstlerischer Werke durch Bewußtmachen beispielhaft wirken kann. Sie dient also zugleich der ästhetischen Bildung. stilistisch: 1. den ↑ Stil betreffend, in bezug auf den Stil. — 2. in bezug auf den Stil bemerkenswert, von der zu erwartenden Form abweichend oder ihr entgegengesetzt. Dieser verbreitete Gebrauch des Wortes „stilistisch", der mit „nicht-normal" zu umschreiben wäre, fordert einige Bemerkungen. Es ist eine Konvention, nur das, was bei konstantem begrifflichem Gehalt

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stilistisch

variabel oder vom Gewöhnlichen abweichend ist, also nur das stilistisch Hervorragende, nicht Merkmallose, die originelle Variante als stilistisch zu bezeichnen. Stilistisch ist die Norm wie die Abweichung; Norm wie Abweichung übernehmen unter kontextualen Bedingungen bestimmte, ihnen eigene Aussagefunktionen. Die Einhaltung der Norm kennzeichnet eine Äußerung als sprachlich relativ neutral, relativ frei von Individuellem und sprachlich Originellem. Sie ist nur stilistisch merkmallos und nur in bezug auf den einzelnen, konkreten Text merkmallos, wobei eben Merkmallosigkeit auch ein Merkmal ist. Die Bezeichnungen ↑ stilistische Satzgliedfolge, ↑ stilistische Ausklammerung usw. sind in diesem Sinn als eine Konvention für „stilistisch merkmalhaft" zu verstehen und können so verstanden werden, weil sie sich von einem relativ neutralen kontextualen Sprachuntergrund abzuheben vermögen. In einem gewöhnlichen Berichts-Kontext wäre z. B. — nach Nennung einer Person — der Satz In seinem Garten stand ein Birnbaum die erwartete, stilistisch merkmallose Verwendung der Wortund Satzformen: Sie schließt an Vorhergehendes auch normal an (↑ Anschlußstellung). Stilistisoh hervorragend (kurz: stilistisoh) wären alle davon abweichenden Formulierungen, also etwa Ein Birnbaum stand ...; diese Formulierung rückt den Gegenstand Baum an die für den gedanklichen Anschluß vorgesehene Stelle und betont ihn deshalb. Zugleich erhält die Aussage rhythmische Qualität, der Anfang wird jambisch. Ein Birnbaum stund , . . brächte eine archaisierende oder humoristische Nuance in die Aussage, ... hat gestanden ein Element des Faktischen, des Gewesenen gegenüber dem jetzigen Zustand; . . . ist gestanden wäre landschaftlich auffallend (süddeutsch) oder trüge — wie bei Brecht, der in solchen Fällen die Bildung mit sein bewußt verwendet — unter Umständen ein poetisoh-verfremdendes Element in die Aussage (vgl. das süddeutsch ganz gewöhnliehe Geiß und seine Wirkung in einem hochdeutschen Kontext). Außerdem ist in reimender Dichtung die Inversion Ein Birribaum in seinem Garten stand (so bei Fontane), heute allerdings meist nur in historisierender oder folklorisierender Absicht, möglich. Alle stilistisch bedeutsamen Varianten ändern nicht die Aussage selbst, sondern nur den Akzent der Aussage. Sie variieren die Aussage.

8*

stilistische Anfangstellung

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stilistische Anfangstellung: von der beispielhaften Satzgliedfolge (↑ Normalfolge) bzw. im Text von der durch die normale Gedankenabfolge bedingten Satzgliedstellung (↑ Anschlußstellung) abweichende Stellung eines Satzgliedes am Satzanfang. Gründe solcher Abweichung sind besonders die Hervorhebung, aber auch die Variation sonst gleichlautender Satzanfänge (↑ Gleichklang, stilistische Variation), der Rhythmus usw. Stilistische Anfangstellung können mit Ausnahme des finiten Prädikatsteils alle Satzglieder einnehmen. Beim Prädikat wird nur der infinite Teil an den Anfang gerückt; hervorgehoben wird der verbale Gehalt durch den Inflnitiv: Behandeln werden wir in diesem Kapitel . ..; durch das Fartizip: Ausgebrannt ist die Scheune . . .; in seiner Negation: Nicht behandeln werden wir ...

— Stärker gewichtet ist das Prädikat durch das trennbare adjektivische Präfix (Fest steht . . .) und durch seinen nominalen Teil beim ↑ Phraseologismus: Hilfe gewährte auch . . . Andere Anfangsstellungen finden sich vorwiegend in poetischen und poetisierenden Texten (Auf stand das Volk . . .). Soll das einfache Verb hervorgehoben werden, behilft man sich mit einem formalen Subjekt (Es überrascht die Konsequenz . . .) oder mit Umschreibung des Verbs (Rauchen tat er nicht; so auch bei Dürrenmatt). Die emphatische, an eine bestimmte Partikel gebundene Anfangstellung des finiten Verbs ist bereits eine ↑ Immutatio syntactica. ↑ auch indifferente Anfangstellung, stilistische Endstellung.

stilistische Ausklammerung: Form der Ausklammerung, die noch nicht grammatikalisiert ist (↑ Ausklammerung); in stilistischer Funktion (↑ stilistisch 2) stehend. Es gilt die Regel, daß nur Satzglieder mit großem Gewicht (inhaltlicher Akzent, großer Umfang z. B. einer Aufzählung, eines Nebensatzes) ausgeklammert werden. Ausklammerung ohne besondere Ab-sicht gilt im schriftlichen Stil als Fehler, im mündlichen Stil ist sie auch bei weniger umfangreichen Satzteilen gerechtfertigt, als Gedankennachtrag kann sie Zeichen der Ungezwungenheit sein. Stilistische Prinzipien der Ausklammerung sind etwa: (1) Zwei sinnwichtige Wörter, die nebeneinander stehen würden, werden durch Vorziehen des Verbs getrennt und erhalten mehr Nachdruck. Statt wie sie bei ihrem Anblick blaß wurden schreibt z. B. Feuchtwanger: wie sie blaß wurden bei ihrem Anblick.

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stilistische Ausklammerung

Statt Die Meunier war bisher eine Mutter wie alle Mütter gewesen schreibt A. Seghers: . . . war bisher eine Mtttter gewesen wie alle Mütter. (2) Infinitivund Partizipverbindungen werden häufig hervorgehoben (ist zurückzuführen auf / diktiert von / beteiligt an usw.). (3) Präpositionale Gruppen werden ausgeklammert, allerdings ohne allzu starke Gewichtung (Hast du sie gesehen beim Aufräumen [Böll] / Er hat Post bekommen von zu Hause

[Böll]). (4) Die Zeitbestimmung wird ausgeklammert, sie erhält dadurch stärkere Betonung (Ich hole dich ab morgen). (6) Ebenso wird zur stärkeren Gewichtung der gleichgesetzte Begriff in einem Identitätssatz ausgeklammert (Die Kunst verhielt sich nicht kritisch zu solcher Niedergangsstimmung, sie kostete sie aus als raffinierten Reiz, als äußerste Verfeinerung [Rilla]). (6) Das Objekt auszuklammern ist, von der Umgangssprache abgesehen (Gib her den Ball), in einfachen Sätzen nicht möglich, die Betonung des Objekts wird durch Anfangstellung im Satz erreicht (↑ stilistische Anfangstellung). Selbst bei einem Nebensatz ist die Ausklammerung des Objekts ungewöhnlich und hat besondere Funktion (Wir wollen danken allen Kollegen, die . . .). Im einfachen Satz wird das Objekt nur ausgeklammert, wenn es noch für andere, einteilige Prädikate (klammerlose Verben) gilt (. . ., erklärte, sichtete und lehrte er lieben die klassische Literatur [Brecht über Rilla]). (7) Die Ausklammerung eines Gliedteils wirkt betont und literarisch gehoben, wenn z. B. die präpositionale Ergänzung (verbalen Charakters) in die Klammer eingeschlossen wird, das davon abhängige Attribut aber nicht (alle Hoffnungen hatten sich plötzlich in eine klägliche Aussicht verwandelt auf eine trübe, unfreie Zukunft [Seghers]). (8) Hervorhebend wirkt die Ausklammerung einer von zwei gleichberechtigten Adverbialbestimmungen (Da der Knabe zu vorsichtig ans Werk ging und zu linkisch, mußte der Erfolg ausbleiben). (9) Stilistisch betont ist die Ausklammerung einer von zwei prädikativen Ergänzungen (Ich möchte dich wieder gesund sehen und glücklich), besonders bei unterschiedlicher Gewichtung (. . . was ihnen früher ungewohnt gewesen wäre und beinahe zuwider [Seghers]). (10) Da auch das Substantiv mit seinem Artikel bzw. Pronomen eine Klammer bildet (ein junger, kräftiger, gut gewachsener Mann), wirken nachgesetzte Eigenschaften (ein junger Mann, kräftig, gut gewachsen) in dieser

stilistische Endstellung

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eise hervorgehoben. Die zuletzt genannten Ausklammerungen (7 bis 10) können auch als Teilausklammerungen bezeichnet werden.

stilistische Endstellung: von der beispielhaften Satzgliedfolge (↑ Normalfolge, Endstellung) abweichende Stellung eines Satzglieds am Satzende. Häufige Form stilistisch begründeter Endstellung (↑ stilistisch 2) ist die ↑ stilistische Ausklammerung. Soll ein Satzglied, das bei Normalstellung bereits am Satzende steht, hervorgehoben werden, so kann es in ↑ stilistische Anfangstellung gerückt oder auch syntaktisch abgesondert (↑ Absonderung, satzmäßige Absonderung) werden.

stilistische Grammatik ↑ unter Stilistik.

stilistische Satzgliedfolge, stilistische Satzgliedstellung, stilistische Wortfolge, stilistisohe Wortstellung, Nachdruckstellung, unexakt auch Hyperbaton n: Satzgliedfolge, die durch stilistische Erwägungen bedingt ist und die bewußt von der ↑ Normalfolge oder der durch den ↑ Kontext (↑ Satzverflechtung) bedingten Folge (↑ Anschlußstellung) abweicht. Eine stilistisch bedingte Ab-weichung kann z.B. sein: Ich gebe heute ihm das Buch. Die stilistiseh begründete Umsetzung von Satzgliedern an den Anfang (Ihm gebe ich heute das Buch) wird ↑ stilistische Anfangstellung genannt, die stilistiseh begründete Umsetzung an das Satzende (Ich gebe heute das Buch ihm) ↑ stilistische Endstellung. Daneben sind andere stilistisch bedingte Positionsänderungen von Satzgliedern möglich. Zum Beispiel kann der Satz Sie alle waren an diesem Werk beteiligt bei gleichbleibender Endstellung des Prädikatsteils fünf verschiedene Abfolgen haben (Sie alle waren . . . / Sie waren alle . . . / Alle waren sie . . . / Sie waren an . . . alle / An diesem Werk waren . . .), bei Anfangstellung (Beteiligt waren . . .) zwei Abfolgen (. . . sie alle an diesem Werk /

. . . sie an diesem Werk alle). Weitere Satzgliedfolgen werden bei mehrteiligen Prädikaten (hier: waren . . . beteiligt) durch den Ausschluß eines Satzteils aus der Prädikatsklammer, die ↑ Aus-klammerung (beteiligt an . . .), ermöglicht (in unserem Beispiel drei Abfolgen: Sie waren alle . ... / Alle waren sie . . . / Sie alle waren beteiligt an . . .). Stilistisehe Unterschiede werden allerdings nicht bei allen Varianten deutlich. ↑ auch Absonderung, stilistisch 2.

stilistisclie Satzgliedstellung: ↑ stilistische Satzgliedfolge.

119 Stilprinzipien

stilistische Synonyme n pl: verschiedene, auch in stilistischer Hinsicht gleichwertige sprachliche Zeichen für ein und denselben Sachverhalt. Außer den landschaftlichen Dubletten (↑ Heteronyme) (Ahle/Pfriem) sind Wörter und Wortverbindungen meist nur im Kontext stilistisch synonym (erklären/erläutern). — Die Bezeichnung ist umstritten, Gebrauch und Abgrenzung nicht einheitlich. ↑ Synonyme, Synonymie, begriffliche Synonyme.

stilistische Variation: Variation der Bezeichnung (des Wortes, der Wortfügung) für ein und denselben Sachverhalt, auch der syntaktischen Struktur für ein und denselben Gedanken; der Vermeidung von ↑ Gleichklang und ↑ Isokolon dienend. Stilistische Variation gilt im Deutschen als ungeschriebenes Gesetz guten Stils, kann jedoch in bestimmten, z.B. wissensehaftlichen, Texten unangebracht sein oder in anderen, z. B. publizistischen, bewußt vermieden werden (↑ Anapher, Epipher).

stilistische Wortfolge, stilistisehe Wortstellung ↑ stilistische Satzgliedfolge.

Stilkolorit ↑ Stilfärbung. Stilkunde: Synonym für ↑ Stilistik. Stillehre ↑ unter Stilistik.

stiller Monolog ↑ direkte Beflexion. .

Stilmerkmale ↑ Stilzüge.

Stilnormen: in bestimmten Textklassen übliche Stileigenheiten. So werden Genres formal v. a. durch unterschiedliche Normen des ↑ Denkstils abgegrenzt. Die ↑ Sprachstilnormen im engeren Sinne bestimmen stärker Kommunikationsbereich und -epoche.

Stilprinzipien: die der ↑ Textgestaltung bewußt zugrundegelegten Prinzipien der gedanklich-sprachlichen Aussageweise; nicht identisch mit dem Begriff der tatsächlichen ↑ Stilzüge, die bei der Textuntersuchung konstatiert werden. In Übereinstimmung oder bewußter Nichtübereinstimmung mit den Konventionen (↑ Sprachstilnormen) von ↑ Bereichsstil, ↑ Genrestil, Kommunikationsart (↑ mündlicher Stil, schriftlicher Stil) und aus individuellen Voraussetzungen und Motiven (↑ Individualstil) dienen sie zugleich der ↑ Aussageabsicht (kommunikativer Effekt) und — in unterschiedlichem Maße — ästhetischen Bedürfnissen (ästhetischer Effekt; ↑ auch ästhetische Stilisierung).

Stilschicht

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Stilschicht, Stilsphäre f: Höhenlage sprachlicher Formen im Verhältnis zur literarischen Norm; ästhetische Qualität. Eine mögliche Einteilung ist z. B. die Schichtung vulgär – umgangssprachlich — einfach-literarisoh — gehoben – poetisch.

Neben der Terminologie bereitet hier auch die Einordnung mancher Sprachformen, z. T. bedingt durch landschaftliche Unterschiede, Schwierigkeiten. Z. B. sind die Wörter Roß und Gaul im Süddeutschen weithin die normale Bezeichnung für 'Pferd', während sie sonst teils verschiedenen Stilschichten (gehoben bzw. umgangssprachlich) zuzuordnen sind oder besondere f Stilfärbung (humoristisch bzw. abwertend) aufweisen.

Stilschicht und Stilfärbung werden u. a. deutlich in ↑ Vulgarismus, ↑ Jargonismus, ↑ Poetismus. ↑ auch Stilwert.

Stilsphäre ↑ Stilschicht. Stiltheorie ↑ unter Stilistik.

Stiltyp: Abstraktion gemeinsamer ↑ Stilzüge, z. B. in ↑ Bereichsstil, ↑ Genrestil, ↑ Individualstil.

Stiluntersuchung: Untersuchung der gedanklich-sprachlichen Aussageweise von Texten unter Anwendung der Erkenntnisse der theoretischen ↑ Stilistik.

Stilunterweisung ↑ unter Stilistik.

Stilwert: 1. auf sprachliche Elemente bezogen Oberbegriff für ↑ Stilfärbung und ↑ Stilschicht. — 2. auf den Text bezogen ↑ Expressivität.

Stllwissenschaft ↑ unter Stilistik.

Stilzüge, auch Stilmerkmale: Charakteristika des Stils konkreter Texte, die bei der ↑ Stiluntersuchung zutage treten. Sie sind bei bewußter ↑ Textgestaltung Ergebnis vorgefaßter ↑ Stilprinzipien. Sie können Merkmal eines einzelnen Textes, einer Textgruppe (↑ Genrestil) oder der Texte eines Autors (↑ Individualstil) sein. Stilzüge äußern sich z. B. in ↑ Dichte, ↑ Präzision, im Gebrauch des ↑ Sprachbilds, in charakteristischen syntaktischen Fügungsweisen (↑ Nominalstil, Verbalstil), in ↑ Statik oder ↑ Dynamik der Darstellung, in auffallenden Formen der ↑ Disposition, der ↑ Komposition und der ↑ Gedankenführung.

Zum Teil wird der Begriff Stilzüge im Sinne von Hauptmerkmalen dem Begriff einzelner Stilmerkmale übergeordnet. Streckformen: Bezeichnung für Fügungen aus Substantiven und Verben (↑ Phraseologismus), die für ein einfaches Verb

121

suprasyntaktische Mittel

stehen, die es gewissermaßen strecken, z. B. in Abrede stellen statt bestreiten, zur Anwendung bringen statt anwenden, in Fortfall kommen statt fortfallen. Dagegen sind Fügungen wie in Betracht kommen, zur Einsicht bringen urid andere, auch syntaktisch günstige Fügungen nicht als Streckformen zu bezeichnen. strukturelle Stilistik: wissenschaftliche Disziplin, die versucht, bei der Analyse stilistisch bedeutsamer Formen und Beziehungen die Methoden zu nutzen, mit denen die strukturelle Linguistik die grammatischen Formen und ihre Beziehungen beschreibt. Die strukturelle Stilistik untersucht die formalen und funktionalen Merkmale stilistischer Erscheinungen gegenüber anderen einsetzbaren Formen (distinktive Analyse) und anderen Merkmalen des ↑ Kontextes (distributive Analyse). Zum Beispiel lassen sich verschiedene Formen der ↑ Reflexionsdarstellung in Hinblick auf graphische Mittel, auf Syntax (Person, Tempus), auf enunziative Mittel (Appell, Expressivität) und ↑ Perspektive auf diese Weise unterscheiden und in ihren Merkmalen vom Kontext abgrenzen. ↑ auch Stilistik.

Superlativismus: Häufung von Superlativen und Wörtern, die hervorragende Eigenschaften bezeichnen (einmalig, einzigartig, gigantisch, großartig). Superlativismus läßt den Gehalt der betreffenden Wörter verblassen oder das eigentliche Trägerwort, den näher charakterisierten Begriff zurücktreten. Er vergibt die Möglichkeit, wirklich einzigartige Sachverhalte zu bezeichnen und diese gedanklich-sprachlich zu differenzieren. suprasyntaktische Einheit, übersatzmäßige Einheit, auch Satzkette: übersatzmäßige Sinneinheit; textuale Form einer relativ abgeschlossenen Gedankeneinheit, die mehrere Sätze umfaßt. Suprasyntaktische Einheiten bilden in der Regel einen Absatz, müssen es aber nicht. Ein Absatz kann sogar — meist aus Grün-den inhaltlicher Gewichtung — eine suprasyntaktische Einheit unterbrechen. Einfachste suprasyntaktische Einheiten ergeben z. B. satzmäßig getrennte Konzessivsätze (Zwar ... Doch ... / Selbstredend ... Doch ...), die ↑ satzmäßige Absonderang, Passagen der ↑ indirekten Rede mit ihrer ↑ Redekennzeichnung; ein suprasyntaktisches Gefüge bildet auch der ↑ Syllogismus. suprasyntaktische Mittel: Formen, mit denen über einen Satz hinweg der Inhalt der Aussage in anderen Sätzen beeinflußt,

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