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ПОСОБИЕ_Пожилова В.Е., Рябых Е.Б..doc
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H.C. Blumenbergs Doku-Drama: „Deutschlandspiel“

Anfangs rätselt man vielleicht noch ein wenig, warum aus dem Stoff unbedingt ein Fernsehspiel werden musste: Es gibt ja nun wirklich genug Dokumentar-Material über die beiden Deutschlands in den Jahren 1989/90, auch genug noch lebende Zeitzeugen, die ohnehin alle zu Wort kommen im Deutschlandspiel des ZDF. Wozu braucht es – wenn Kohl und der Modrow noch im Original zur Verfügung stehen – zwei Schauspieler, die darüber streiten, wer von den beiden, die sie da verkörpern, die ärmlichere Kindheit gehabt habe? Ein wenig überstürzt vielleicht, diese Erhohung von durchschnittlichen Politmenschen zu dramatischen Persönlichkeiten. Shakespeare hat immerhin 1600 Jahre gewartet, bis er Caesar und Cassius in einer Tragödie hat auftreten lassen. Und dann musste er sich das meiste noch ausdenken: Fernsehmaterial vom Imperator war nicht vorhanden.

Es dauert dann aber nicht mehr lange, bis man diese Art geschmäcklerischer Fragen vergisst, zumal die Macher des Deutschlandspiels gar nicht behaupten, sich als Dramatiker versucht zu haben. Stattdessen haben sie ein so genanntes Doku-Drama verfertigt, ein Genre also, das sie nicht erfunden, aber mit ihrer Arbeit wieder ein Stück mehr etabliert haben. Ganz offenbar ist die Mischung aus Dokumenten, Interviews und Fernsehspiel inzwischen eine eigenständige Kunstform geworden, die neben Eberhard Fechner und vor allem Heinrich Breloer – der die Elemente am spektakulärsten zu montieren vermag - nun mit Hans-Christoph Blumenberg einen neuen wichtigen Interpreten gefunden hat. Und wenn diese Kunstform imstande ist, den Zuschauer auf fesselnde Weise aufzuklären, dann ist wenig gegen sie zu sagen.

Beginnen wir mit der Fesselung. Dass sie den Machern des Deutschlandspiels immerhin zweimal 90 Minuten lang über weite Strecken gelingt, hat erst einmal eine ganze Menge mit den Schauspielern zu tun. Sie sind im Ganzen brillant und glänzend ausgewählt, und weil die Produktion – für uns schlichtere Gemüter –erfreulicherweise viel Wert darauf gelegt hat, dass sie ihren Vorbildern ähnlich sehen, wirken sie oft auf eine Weise authentisch, die etwas durchaus Gefährlich-Verführerisches hat: In manchen Momenten ist Udo Samel mit seiner (sehr roten) Landkarte auf der Stirn fast der angenehmere Gorbatschow als der richtige, was natürlich vor allem damit zusammenhängt, dass er deutsch spricht. Im Übrigen gibt es durchaus Abstufungen: Honecker ist mit dem wunderbaren Rudolf Wessely ebenso groβartig besetzt wie Kohl mit Lambert Hamel, Krenz ist im Film ein Stück intellektueller (und auch sympathischer), als in der Realität; am ergreifendsten ist der stellvertretende sowjetische Botschafter in der DDR, den Peter Ustinow als herrlich melancholischen, auch witzigen Skeptiker gibt. Im Gegenschnitt spricht dann immer wieder der reale Igor Maximytschew: Und siehe, er ist ein herr­lich melancholischer, auch witziger Skeptiker.

Ob das Deutschlandspiel auch lehrreich ist, ob es gar die Historiker voranbringt, müssten diese entscheiden: Sehr viele umstürzende Neuigkeiten bietet der Zweiteiler offenbar nicht, wenn man einmal von der Tatsache absieht, dass Valentin Falin – der originale – etwas über eine Verschwörung gegen Gorbat­schow in die Kamera raunt; Falin war aber schon immer ein groβer Rauner. Ansonsten verstärkt der Film einige Einschätzungen, die für den Augenblick zumindest plausibel scheinen: Dass Gorbatschow jemand ist, der gerne von allen geliebt wird, nicht zuletzt von sich selbst und deshalb ein idealer Verhandlungspartner für den Westen war; dass Kohl und die Seinen sehr lange brauchten, bis sie verstanden hatten, was sich da entwickelte, dass sie dann aber mit guten Nerven die Gelegenheit beim Schopf ergriffen – gegen die übellaunige Maggie Thatcher zum Beispiel.

Wer die Protagonisten in dieser Abteilung der Weltgeschichte waren, das haben, auβer der Geschichte selbst, natürlich der Produzent Ulrich Lenze und Autor und Regisseur Blumenberg bestimmt: Vielleicht haben sie keinen passenden Schauspieler für Genscher gefunden, und das ist der Grund, warum der Auβenminister eher eine Randfigur bleibt. Anderes bleibt noch mehr im Dunklen, vor allem die Rolle der sowjetischen Armee, über die man das meiste erfährt, wenn sich zwei (Schauspie­ler-) Generäle beim Angeln unterhalten. Auch weil sich im richtigen Leben einer der beiden später umgebracht hat, wirkt an dieser Stelle der Anspruch der Produktion, auch die Spielfilmszenen seien irgendwie authentisch, recht fragwürdig.

Das sind aber eher marginale Einwände. Sie wiegen gering gegen die Qualitäten des Projekts: Gegen ein paar Spielszenen, die man sich lange merken wird – etwa jenen Moment, in dem die Herren Krenz und Streletz dem greisen Honecker eine entscheidende Unterschrift abschwatzen; gegen ein paar unvergessliche Original-Dokumente, die man sich gar nicht oft genug ansehen kann: Schabowski bei seiner berühmten Pressekonferenz am 9. November, Harry Tisch im Fernsehstudio am Ende seiner Nerven – das sind und bleiben Highlights, die man umso mehr genieβt, wenn einem die Beteiligten im Abstand von elf Jahren zu erläutern versuchen, wie alles zustande gekommen ist.

Gewiss ist nicht alles gleich gut gelungen; manche Dialoge sind so handgeschnitzt, dass sie sich heute kein Schulfunk-Autor mehr erlauben würde. Entscheidend ist aber, dass die Macher des Deutschlandspiels eine (fernseh-) historische Chance erkannt und genutzt haben: Die Chance, noch lebende Kronzeugen eines gewaltigen Umbruchs für ein Fernsehprojekt einzuspannen; die Chance auch, die Eitelkeit zu nutzen, die einen Politiker vor einer Kamera geradezu reflexhaft zum Reden bringt.

So ist etwas entstanden, was es in der Geschichte noch nie gegeben hat: Es dürfte die erste Revolution der Welt sein, nach der die Verlierer – die teilweise noch in den Gefängnissen der Sieger sitzen oder als russische Rentner darüber nachdenken, wer eigentlich den Krieg verloren hat – dem Fernsehen der Sieger die Gründe ihrer Niederlage schildern. (Lohn dieser Mitarbeit ist übrigens, dass die Autoren sehr fair mit Krenz und Modrow, Streletz und Portugalow umgehen; das ist eine zusätzliche Qualität des Projekts.)

Muss man noch einmal die Frage stellen, wie viel Wahrheit diese Art der Geschichtsschreibung zu Tage fördert? Es wäre die falsche Frage: Natürlich haben wir es mit subjektiven Einschätzungen der Fernsehmacher zu tun – das ist bei richtigen Historikern genauso. Es geht gar nicht um Geschichtsschreibung, sondern um ein Fernsehspiel, das zur Aufklärung beitragen und gleichzeitig intelligent unterhal­ten soll. Dass sie das seriös und hochprofessionell geschafft haben, kann man diesen öffentlich-rechtlichen Fernsehmachern attestieren.

Aufgabe 8. Welches Filmgenre bevorzugen Sie? Warum?

Aufgabe 9. Es wird hier eine Skizze des Filmregisseurs Edgar Reitz gedrückt, in der er das Thema, das Milieu und die Zeitstimmung beschreibt. Führen Sie einige Filme als Beispiel an, in den auch die Welt der Stadt masterhaft dargestellt wird.