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Remarque_Erich_Maria_-_Die_Nacht_von_Lissabon

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›Paß‹, sagte der erste Beamte schroff. Ich gab ihm meinen Paß.

›Kein Gepäck?‹ fragte er, ehe er ihn öffnete.

›Nur einen Handkoffer‹, sagte ich. ›Im nächsten Wagen erster Klasse.‹

›Sie müssen ihn öffnen‹, sagte der zweite.

Ich stand auf. ›Halten Sie mir den Platz‹, sagte ich zu dem Kellner. ›Natürlich! Der Herr hat ja vorausbezahlt.‹

Der erste Zollbeamte sah mich an. ›Sie haben vorausbezahlt.‹

›Ja. Sonst hätte ich mir das Essen und den Wein nicht leisten können. Hinter der Grenze hätte es Devisen gekostet. Die habe ich nicht.‹

Der Beamte lachte plötzlich. ›Keine schlechte Idee!‹ sagte er. ›Komisch, daß so wenige daraufkommen. Gehen Sie voraus. Ich muß noch den Wagen revidieren.‹

›Und mein Paß?‹

›Wir finden Sie schon.‹

Ich ging zu meinem Wagen. Mein Mitfahrer saß dort, noch unruhiger als vorher. Er schwitzte und rieb sich Hände und Gesicht mit einem nassen Taschentuch. Ich starrte auf den Bahnhof und öffnete das Fenster. Es hatte keinen Zweck, hinauszuspringen, wenn ich gefaßt wurde; man konnte nicht entkommen - aber das offene Fenster beruhigte etwas.

Der zweite Beamte stand in der Tür. ›Ihr Gepäck!‹ Ich holte meinen Koffer herunter und öffnete ihn.

Er schaute hinein und durchsuchte dann die Koffer meines Mitreisenden. ›Gut‹, erklärte er und grüßte.

›Meinen Paß‹, sagte ich. ›Den hat mein Kollege.‹

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Der Kollege kam in derselben Minute. Es war ein anderer als vorher - ein Parteigenosse in Uniform, dünn, mit einer Brille und hohen Stiefeln.« Schwarz lächelte. »Wie die Deutschen Stiefel lieben!«

»Sie brauchen sie«, sagte ich. »Sie waten in so viel Dreck.«

Schwarz leerte sein Glas. Er hatte wenig getrunken während der Nacht. Ich sah auf die Uhr: es war halb vier. Schwarz sah es. »Es dauert nicht mehr lange«, sagte er. »Sie werden Zeit genug für das Boot und alles andere haben. Worüber ich jetzt zu berichten habe, ist eine Zeit des Glücks. Und über Glück kann man nicht viel erzählen.«

»Wie kamen Sie durch?« fragte ich.

»Der Parteigenosse hatte den Brief Helens gelesen. Er gab mir meinen Paß zurück und fragte, ob ich in der Schweiz Bekannte hätte. Ich nickte.

›Wen?‹

›Die Herren Ammer und Rotenberg.‹

Es waren die Namen von zwei Nazis, die in der Schweiz arbeiteten. Jeder Emigrant, der in der Schweiz gelebt hatte, kannte und haßte sie.

›Sonst noch jemand?‹

›Unsere Herren in Bern. Nicht nötig, sie alle zu nennen, nicht wahr?‹

Er salutierte. ›Viel Glück! Heil Hitler!‹

Mein Gefährte war nicht so glücklich. Er mußte alle Papiere vorzeigen und wurde einem Kreuzverhör unterzogen. Er schwitzte und stotterte. Ich konnte es nicht mit ansehen. ›Kann ich zum Speisewagen zurückgehen?‹ fragte ich.

›Selbstverständlich!‹ erwiderte der Parteigenosse. ›Guten

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Appetit!‹

Ich fand den Speisewagen besetzt. Eine Schar Amerikaner hatte meinen Tisch okkupiert. ›Wo ist mein Platz?‹ fragte ich den Kellner.

Er hob die Schultern. ›Ich konnte ihn nicht halten. Was kann man gegen diese Amerikaner machen? Sie verstehen kein Deutsch und setzen sich hin, wo sie wollen! Nehmen Sie den Platz drüben. Tisch ist ja Tisch, nicht wahr? Ich habe Ihren Wein schon rübergestellt.‹

Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Eine Familie hatte die vier Plätze meines Tisches fröhlich beschlagnahmt. Da, wo mein Geld lag, saß jetzt ein sehr schönes, sechzehnjähriges Mädchen mit einer Kamera. Wenn ich darauf bestanden hätte, den Platz wiederzubekommen, hätte ich Aufmerksamkeit erregt. Wir waren noch auf deutschem Boden.

Während ich entschlußlos dastand, sagte der Kellner: ›Warum nimmt der Herr nicht einstweilen den Tisch drüben und nachher, wenn er frei wird, wieder den andern? Amerikaner essen schnell - belegte Brote und Orangensaft. Ich kann dem Herrn dann sein richtiges Essen hinterher servieren.‹

›Gut.‹

Ich setzte mich so, daß ich mein Geld beobachten konnte. Es ist merkwürdig mit einem - eine Minute vorher hätte ich gern auf alles Geld verzichtet, um nur durchzukommen, - jetzt aber saß ich da und wußte nur, daß ich es wiederhaben wollte, in der Schweiz allerdings, selbst wenn ich die amerikanische Familie attackieren müßte. Dann sah ich, wie draußen der kleine, schwitzende Mann abgeführt wurde, und hatte ein Gefühl tiefer, unbewußter Befriedigung, daß nicht ich es war, gekoppelt mit dem scheinheiligen Bedauern, das nichts als eine

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Bestechung des Schicksals durch billiges Mitleid ist.

Ich fand mich widerwärtig und konnte und wollte nichts dagegen tun. Ich wollte gerettet werden, und ich wollte mein Geld. Es war nicht das Geld als Geld - es war Sicherheit, es war Helen, es waren die Monate der Zukunft -, trotzdem war es das Geld, und es war meine eigene Haut und mein eigenes egoistisches Glück. Wir kommen nie davon los. Aber der in uns, den wir nicht kontrollieren können, sollte das Schauspielern lassen -«

»Herr Schwarz«, unterbrach ich ihn. »Wie kamen Sie zu Ihrem Geld?«

»Sie haben recht«, erwiderte er. »Auch diese törichte Tirade gehört dazu. Die Schweizer Zollbeamten kamen in den Speisewagen, und die amerikanische Familie hatte nicht nur Handgepäck, sondern auch Koffer im Gepäckwagen. Sie mußte hinaus. Die Kinder gingen mit. Sie waren mit dem Essen fertig. Der Tisch wurde abgeräumt. Ich ging hinüber, legte die Hand auf die Tischdecke und fühlte die schmale Erhöhung.

›Alles erledigt mit dem Zoll?‹ fragte der Kellner, als er meine Flasche herüberbrachte.

›Natürlich‹, erwiderte ich. ›Bringen Sie mir jetzt den Rostbraten. Sind wir schon in der Schweiz?‹

›Noch nicht‹, erklärte er. ›Erst wenn wir fahren.‹

Er ging und ich wartete darauf, daß der Zug anziehen möge. Es war die rasende letzte Ungeduld, die Sie wahrscheinlich auch kennen. Ich starrte durch das Fenster auf die Leute am Bahnsteig; ein Zwerg im Smoking mit zu kurzen Hosen versuchte dort, mit aller Gewalt Gumpoldskirchener Wein und Schokolade von einem fahrbaren Nickelwagen zu verkaufen. Dann sah ich den schwitzenden Mann aus meinem Abteil zurückkommen. Er war allein und rannte zu seinem Wagen. ›Sie haben

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aber einen guten Zug‹, sagte der Kellner neben mir. ›Was?‹

›Ich meine, der Herr trinken den Wein aber wie beim Feuerlöschen.‹ Ich sah auf die Flasche. Sie war beinahe leer. Ich hatte sie getrunken, ohne es zu wissen. In diesem Augenblick rumpelte der Speisewagen. Die Flasche schwankte und fiel. Ich fing sie in der Hand. Der Zug begann zu fahren. ›Bringen Sie mir noch eine‹, sagte ich. Der Kellner verschwand.

Ich zog das Geld unter dem Tischtuch hervor und steckte es ein. Gleich darauf kamen die Amerikaner zurück. Sie setzten sich an den Tisch, an dem ich vorher gesessen hatte, und bestellten Kaffee. Das Mädchen begann die Landschaft zu fotografieren. Ich fand, daß sie recht hatte; es war die schönste Landschaft der Welt.

Der Kellner kam mit der Flasche. ›Jetzt sind wir in der Schweiz.‹

Ich bezahlte die Flasche und gab ihm ein gutes Trinkgeld. ›Behalten Sie den Wein‹, sagte ich. ›Ich brauche ihn nicht mehr. Ich wollte etwas feiern, aber jetzt merke ich, daß schon die erste Flasche zuviel für mich war.‹

›Sie haben fast auf leeren Magen getrunken, mein Herr‹, erklärte er mir.

›Das war es.‹ Ich stand auf.

›Haben der Herr vielleicht Geburtstag?‹ fragte der Kellner.

›Jubiläum‹, sagte ich. ›Goldenes Jubiläum!‹

Der kleine Mann in meinem Abteil saß schweigend für einige Minuten da; er schwitzte jetzt nicht mehr, aber man konnte sehen, daß sein Anzug und seine Wäsche feucht

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waren. Dann fragte er: ›Sind wir in der Schweiz?‹ ›Ja‹, erwiderte ich.

Er schwieg wieder und sah aus dem Fenster. Eine Station mit Schweizer Namen kam vorbei. Ein Schweizer Bahnhofsvorsteher winkte, und zwei Schweizer Polizisten standen neben dem Gepäck, das verladen wurde, und plauderten. Man konnte Schweizer Schokolade und Schweizer Würste an einem Kiosk erstehen. Der Mann lehnte hinaus und kaufte eine Schweizer Zeitung. ›Ist dies hier die Schweiz?‹ fragte er den Jungen.

›Ja. Was sonst? Zehn Rappen.‹ ›Was?‹

›Zehn Rappen! Zehn Centimes! Für die Zeitung!‹

Der Mann zahlte, als hätte er das große Los gewonnen. Das veränderte Geld mußte ihn endlich überzeugt haben. Mir hatte er nicht geglaubt. Er entfaltete die Zeitung, blickte hinein und legte sie weg. Es dauerte eine Weile, ehe ich hörte, was er sagte. Ich war so benommen von meiner neuen Freiheit, daß die Räder des Zuges in meinem Kopf zu rattern schienen. Erst nachdem ich sah, daß er seine Lippen bewegte, hörte ich, daß er sprach.

›Endlich heraus‹, sagte er und starrte mich an, ›aus eurem verfluchten Land, Herr Parteigenosse! Aus dem Land, das ihr zu einer Kaserne und einem Konzentrationslager gemacht habt, ihr Schweine! In der Schweiz, in einem freien Land, in dem ihr nichts zu befehlen habt! Endlich kann man den Mund aufmachen, ohne von euch mit dem Stiefel in die Zähne getreten zu werden! Was habt ihr aus Deutschland gemacht, ihr Räuber und Mörder und Folterknechte!‹ Kleine Blasen bildeten sich in seinen Mundwinkeln. Er starrte mich an, wie eine hysterische Frau eine Kröte anstarren würde. Er hielt mich für einen Parteigenossen, und nach dem, was er

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gehört hatte, hatte er recht.

Ich hörte ihm zu mit der tiefen Ruhe, gerettet zu sein.

›Sie sind ein mutiger Mann‹, sagte ich dann. ›Ich bin mindestens zwanzig Pfund schwerer und fünfzehn Zentimeter größer als Sie. Aber sprechen Sie sich nur aus. Es erleichtert.‹

›Höhnen!‹ sagte er und wurde noch wütender. ›Verhöhnen wollen Sie mich auch noch, was? Aber das ist vorbei! Für immer vorbei! Was habt ihr mit meinen Eltern gemacht? Was hat mein alter Vater euch getan? Und jetzt! Jetzt wollt ihr die Welt in Brand stecken!‹

›Glauben Sie, daß es Krieg gibt?‹ fragte ich.

›Höhnen Sie nur weiter! Als ob Sie das nicht wüßten! Was sonst bleibt euch übrig mit eurem Tausendjährigen Reich und eurer infamen Aufrüstung? Ihr Berufsmörder und Verbrecher! Wenn ihr keinen Krieg macht, bricht euer Schwindelwohlstand zusammen und ihr mit ihm!‹

›Das glaube ich auch‹, sagte ich und fühlte die warme Sonne des späten Nachmittags auf meinem Gesicht wie eine Liebkosung. ›Aber wie wird es, wenn Deutschland gewinnt?‹

Der Mann mit dem feuchten Anzug starrte mich an und schluckte. ›Wenn ihr gewinnt, dann gibt es keinen Gott mehr‹, sagte er dann mit Mühe.

›Das glaube ich auch.‹ Ich stand auf.

›Rühren Sie mich nicht an!‹ zischte er. ›Sie werden verhaftet! Ich ziehe die Notbremse! Ich zeige Sie an! Sie sollten sowieso angezeigt werden, Sie Spion! Ich habe gehört, was Sie geredet haben!‹

Das fehlte noch, dachte ich. ›Die Schweiz ist ein freies Land‹, sagte ich. ›Man verhaftet da nicht gleich auf Grund einer Denunziation. Sie scheinen drüben gut gelernt zu

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haben.‹

Ich nahm meinen Koffer und suchte mir ein anderes Abteil. Ich wollte den hysterischen Mann nicht aufklären; aber ich wollte ihm auch nicht gegenübersitzen. Haß ist eine Säure, die die Seele auffrißt, ganz gleich, ob man selbst haßt oder gehaßt wird. Ich hatte das gelernt während meiner Wanderschaft.

So kam ich nach Zürich.«

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Die Musik setzte einen Augenblick aus. Man hörte aufgeregte Worte von der Tanzfläche. Gleich darauf setzte das Orchester stärker wieder ein, und eine Frau in einem kanariengelben Kleid und mit einer Kette falscher Diamanten im Haar begann zu singen. Das Unvermeidliche war geschehen: ein Mitglied der deutschen Partei war beim Tanzen mit einem der englischen zusammengeprallt. Jeder beschuldigte den anderen der Absicht. Der Manager und zwei Kellner spielten Völkerbund und begütigten, ohne gehört zu werden. Das Orchester war klüger: es wechselte den Rhythmus. Statt eines Foxtrotts spielte es einen Tango, und die Diplomaten mußten entweder stehen bleiben und lächerlich werden oder weitertanzen. Der deutsche Kontrahent aber schien keinen Tango zu kennen, während der englische den Rhythmus, auf der Stelle tanzend, andeutete. Da beide gleich darauf von den anderen Paaren angestoßen wurden, verlor sich ihr Argument. Mit wütenden Blicken gingen sie zu ihren Tischen.

»Duellieren«, sagte Schwarz verächtlich. »Warum duellieren sich die Helden nicht?«

»Sie kamen nach Zürich«, erwiderte ich.

Er lächelte schwach. »Wollen wir hier weggehen?« »Wohin?«

»Es gibt sicher noch einfache Kneipen, die die ganze Nacht offen sind. Dies hier ist ein Grab, in dem getanzt und Krieg gespielt wird.«

Er zahlte und fragte den Kellner nach einem anderen Lokal. Der Mann schrieb eine Adresse auf ein Stück

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Papier, das er von seinem Block riß, und erklärte uns die Richtung, in der wir gehen müßten.

Wir traten vor der Tür in eine wunderbare Nacht. Die Sterne waren noch da, aber schon lagen Meer und Morgen am Horizont in einer ersten, blauen Umarmung; der Himmel war höher und der Geruch nach Salz und Blüten stärker geworden als früher. Es würde ein klarer Tag werden. Lissabon hat am Tage etwas naiv Theatralisches, das bezaubert und gefangennimmt, aber nachts ist es das Märchen einer Stadt, die in Terrassen mit allen Lichtern zum Meere herabsteigt wie eine festlich geschmückte Frau, die sich niederbeugt zu ihrem dunklen Geliebten.

Wir standen einige Zeit und schwiegen. »So haben wir uns einmal das Leben gedacht, wie?« sagte Schwarz schließlich trübe. »Tausend Lichter und Straßen, die in die Unendlichkeit fuhren -«

Ich antwortete nicht. Für mich war das Leben das Schiff, das unten im Tejo lag, und es fuhr nicht in die Unendlichkeit - es fuhr nach Amerika. Ich hatte genug von Abenteuern; die Zeit hatte uns damit beworfen wie mit faulen Eiern. Das abenteuerlichste Abenteuer war ein gültiger Paß, ein Visum und eine Fahrkarte. Dem Wanderer wider Willen war das Alltägliche längst zur Phantasmagorie und das Abenteuer zur Plage geworden.

»Zürich erschien mir damals so wie Ihnen diese Stadt heute nacht«, sagte Schwarz. »Dort begann das, was ich glaubte verloren zu haben. Sie wissen, daß Zeit ein sehr dünner Aufguß des Todes ist, der uns langsam zugefügt wird wie ein harmloses Gift. Anfangs belebt es und läßt uns sogar glauben, wir seien fast unsterblich - aber wenn es Tropfen um Tropfen, Tag für Tag um einen Tropfen und einen Tag stärker wird, verändert er sich in eine Säure, die unser Blut trübe macht und zerstört. Selbst wenn wir versuchen wollten, mit den Jahren, die wir noch

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