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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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»Ja.«

»Wirklich?«

»So alt wie möglich.« »Warum?«

»Ich will sehen, was aus diesem Planeten noch wird.« »Ich will nicht alt werden.«

»Du wirst nicht alt werden. Das Leben wird über dein Gesicht hingehen,das wird alles sein,und es wird schöner werden. Alt ist man nur, wenn man nicht mehr fühlt.«

»Nein, wenn man nicht mehr liebt.«

Ravic antwortete nicht. Verlassen, dachte er. Dich verlassen! Was habe ich da vor ein paar Stunden in Cannes nur gedacht?

Sie rührte sich in seinem Arm. »Jetzt ist das Fest vorbei, und ich gehe nach Hause mit dir,und wir schlafen zusammen.Wie schön das alles ist! Wie schön ist es, wenn man ganz lebt und nicht nur mit einem Stück von sich. Wenn man voll ist bis zum Rande und still, weil es nichts mehr gibt, das hinein kann. Komm, laß uns nach Hause fahren, in unser geborgtes Zuhause, in dieses weiße Hotel, das aussieht wie ein Gartenhaus.«

DerWagen glitt fast ohne Gas die Serpentinen hinunter. Es wurde langsam heller. Die Erde roch nach Tau. Ravic löschte die Scheinwerfer aus.Als sie Corniche passierten, kamen ihnen Wagen mit Blumen und Gemüse entgegen. Sie waren auf dem Wege nach Nizza. Später überholten sie eine Kompanie Spahis. Sie hörten die Pferde trappeln

durch das Summen des Motors. Es klang hell und beinahe künstlich auf der Makadamstraße. Die Gesichter der Reiter waren dunkel unter den Burnussen.

Ravic sah Joan an. Sie lächelte ihm zu. Ihr Gesicht war blaß und verwacht und fragiler als sonst. Es schien ihm schöner als jemals vorher in seiner zärtlichen Müdigkeit, an diesem zauberhaften, dunkelstillen Morgen, vor dem das Gestern weit versunken war und der noch keine Stunde hatte; er schwebte und war noch ohne Zeit, voll Gelassenheit und ohne Furcht und Frage.

Die Bucht von Antibes kam in großem Bogen auf sie zu. Es wurde immer heller. Vor dem aufblauenden Tag standen die eisengrauen Schatten von vier Kriegsschi en: drei Zerstörer und ein Kreuzer. Sie mußten über Nacht eingelaufen sein.Niedrig und drohend und lautlos standen sie vor dem zurückweichenden Himmel. Ravic sah auf Joan. Sie war an seiner Schulter eingeschlafen.

17 Ravic ging zur Klinik. Er war seit einer Woche zurück von der Riviera. Plötzlich blieb er stehen. Was er sah,wirkte wie eine Kinderspielerei.Der Neubau glänzte in der Sonne, als wäre er aus einem Modellkasten aufgebaut; die Gerüste standen wie Filigran vor dem hellen Himmel

– und als eines sich davon löste und ein Balken mit einer Figur langsam zu kippen begann, sah es aus, als fiele ein Streichholz mit einer Fliege daran herunter. Es fiel und fiel und schien endlos zu fallen – die Figur löste sich und war jetzt eine kleine Puppe, die die Arme ausstreckte und ungeschickt durch den Raum segelte. Es war, als sei die Welt einen Augenblick eingefroren und totenstill. Nichts regte sich,keinWind,kein Atem,kein Ton – nur die kleine Figur und der starre Balken fielen und fielen …

Dann war plötzlich alles Lärm und Bewegung. Ravic fühlte, daß er den Atem angehalten hatte. Er lief.

Der Verunglückte lag auf dem Pflaster. Die Straße war eine Sekunde vorher fast leer gewesen. Jetzt schwärmte sie von Menschen. Sie kamen von allen Seiten, als hätte eine Alarmglocke geläutet. Ravic drängte sich durch. Er sah, daß zwei Arbeiter den Verunglückten hochzuheben versuchten. »Nicht heben! Liegenlassen!« rief er.

Die Leute um ihn und vor ihm machten Platz. Die beiden Arbeiter hielten den Verunglückten halb schwebend. »Langsam herunterlassen! Vorsichtig! Langsam!«

»Was sind Sie?« fragte einer der Arbeiter. »Arzt?«

»Ja.«

»Gut.«

Die Arbeiter legten den Verunglückten auf das Pflaster. Ravic kniete neben ihm nieder und horchte. Er ö nete vorsichtig die schweißige Bluse und fühlte den Körper ab. Dann stand er auf. – »Was?« fragte der Arbeiter, der ihn vorher gefragt hatte. »Bewußtlos, was?«

Ravic schüttelte den Kopf. »Was?« fragte der Arbeiter. »Tot«, sagte Ravic.

»Tot?«

»Ja.«

»Aber«,sagte der Mann verständnislos,»wir haben doch gerade noch mit ihm zusammen Mittag gegessen.«

»Ist da ein Arzt?« fragte jemand hinter dem Ring von starrenden Menschen.

»Was ist los?« fragte Ravic. »Ist da ein Arzt? Schnell!« »Was ist los?«

»Die Frau …«

»Was für eine Frau?«

»Der Balken hat sie getro en. Sie blutet.«

Ravic drängte sich durch. Eine kleine Frau in einer großen blauen Schürze lag auf einem Haufen Sand neben einer Kalkgrube. Ihr Gesicht war faltig, sehr blaß, und ihre Augen standen regungslos wie Kohlen darin. Unter dem Hals spritzte das Blut wie eine kleine Fontäne hervor. Es spritzte in einem puckernden, schiefen Strahl seitlich

heraus, und das wirkte sonderbar unordentlich. Unter dem Kopf fraß sich eine schwarze Lache rasch durch den Sand.

Ravic drückte die Arterie ab.Er riß eine Bandage aus der schmalen Notfalltasche, die er automatisch bei sich trug. »Halten Sie das!« sagte er zu dem nächsten neben ihm.

Vier Hände gri en gleichzeitig nach der Tasche. Sie fiel in den Sand und ö nete sich.Er riß eine Schere und einen Knebel heraus und riß die Bandage auf.

Die Frau sagte nichts. Nicht einmal ihre Augen bewegten sich.Sie war starr,und jeder Muskel ihres Körpers war gespannt. »Alles in Ordnung, Mutter«, sagte Ravic.

»Alles in Ordnung.«

Der Balken hatte Schulter und Hals getro en.Die Schulter war zerschmettert; das Schlüsselbein gebrochen und das Gelenk zerschlagen.Es würde steif bleiben.»Es ist der linke Arm«, sagte Ravic und fühlte langsam den Nacken ab. Die Haut war eingerissen, aber alles andere war heil. Der Fuß war verdreht; er betastete den Knochen und das Bein. Graue Strümpfe, oft gestopft, aber heil, mit einem schwarzen Band unter dem Knie gehalten – wie genau man das immer wieder alles sah! Schwarze Schnürschuhe geflickt, die Schnürriemen geknotet mit einem doppelten Knoten, die Schuhe an den Spitzen repariert.

»Hat jemand nach der Ambulanz telefoniert?« fragte er. Niemand antwortete. »Ich glaube, der Polizist«, sagte

jemand nach einer Weile.

Ravic hob den Kopf. »Polizist? Wo ist er?« »Drüben – bei dem andern …«

Ravic stand auf. »Dann ist alles in Ordnung.«

Er wollte gehen. In diesem Augenblick schob sich der Polizist durch die Menge. Es war ein junger Mann mit einem Notizblock in der Hand. Er leckte aufgeregt an einem kurzen, stumpfen Bleistift.

»Einen Augenblick«, sagte er und begann zu schreiben.

»Hier ist alles in Ordnung«, sagte Ravic. »Einen Augenblick, mein Herr.«

»Ich bin sehr eilig. Ich muß zu einem dringenden Fall.«

»Einen Augenblick, mein Herr. Sie sind der Arzt?« »Ich habe die Ader abgebunden, das ist alles. Jetzt brau-

chen Sie nur noch auf die Ambulanz zu warten.« »Einen Moment, mein Herr! Ich muß Ihren Namen

aufschreiben. Es ist wichtig, daß Sie Zeuge sind. Die Frau kann sterben.«

»Sie wird nicht sterben.«

»Das weiß niemand. Da ist noch die Frage des Schadenersatzes.«

»Haben Sie einer Ambulanz telefoniert?«

»Mein Kollege tut das. Stören Sie mich jetzt nicht, sonst dauert es noch länger.«

»Die Frau ist halbtot, und Sie wollen weg«, sagte einer der Arbeiter vorwurfsvoll zu Ravic.

»Sie wäre tot, wenn ich nicht dagewesen wäre.«

»Na also«, sagte der Arbeiter ohne sichtbare Logik. »Da müssen Sie doch bleiben.«

Ein Kameraverschluß tickte. Ein Mann, der einen Hut trug, der vorn aufgeschlagen war, lächelte. »Würden Sie noch einmal so tun, als machten Sie den Verband fest?« fragte er Ravic.

»Nein.«

»Es ist die Presse«, sagte der Mann. »Sie kommen mit hinein, mit Adresse und Text: daß Sie die Frau gerettet haben. Gute Reklame. Bitte hier, so – das Licht ist so besser.«

»Gehen Sie zum Teufel!« sagte Ravic.»Die Frau braucht dringend eine Ambulanz. Der Verband kann nicht lange so bleiben. Sehen Sie zu, daß eine Ambulanz kommt.« »Alles nacheinander, mein Herr«, erklärte der Polizist.

»Ich muß erst einmal das Protokoll fertig haben.«

»Hat der Tote dir schon gesagt, wie er heißt?« fragte ein halbwüchsiger Junge.

»Ta gueule!« Der Polizist spuckte ihm vor die Füße. »Fotografieren Sie es noch einmal von hier«, sagte je-

mand zu dem Fotografen. »Warum?«

»Damit man sieht, daß die Frau auf dem abgesperrten Trottoir war. Die Straße war gesperrt. Sehen Sie dort …«, er zeigte auf eine schrägstehende Latte mit der Aufschrift: Attention! Danger! »Nehmen Sie das so auf, daß man es

sieht. Wir brauchen das. Schadenersatz kommt nicht in Frage.«

»Ich bin Pressefotograf«, sagte der Mann mit dem Hut ablehnend. »Ich fotografiere nur, was ich für interessant halte.«

»Aber das ist doch interessant! Was ist denn sonst interessant? Mit dem Schild im Hintergrund.«

»Ein Schild ist nicht interessant. Aktion ist interessant.«

»Dann nehmen Sie es ins Protokoll.« Der Mann tippte dem Polizisten auf die Schulter.

»Wer sind Sie denn?« fragte der ärgerlich. »Ich bin der Vertreter der Baufirma.«

»Schön«, sagte der Polizist. »Bleiben Sie auch mal hier. Wie heißen Sie? Das müssen Sie doch wissen?« fragte er die Frau. – Die Frau bewegte die Lippen. Die Augenlider begannen zu flattern. Wie Schmetterlinge, wie todmüde, graue Motten,dachte Ravic,und im gleichen Moment: ich Idiot! Ich muß sehen, daß ich verschwinde!

»Verdammt!« sagte der Polizist. »Vielleicht ist sie verrückt geworden. Das gibt Arbeit! Und mein Dienst ist um drei zu Ende.«

»Marcel«, sagte die Frau.

»Was? Augenblick mal. Was?« Der Polizist beugte sich wieder hinunter.

Die Frau schwieg. »Was?« Der Polizist wartete. »Noch einmal! Sagen Sie das noch einmal!«

Die Frau schwieg. »Sie mit Ihrem gottverdammten Gerede«, sagte der Polizist zu dem Vertreter der Baufirma. »Wie soll man dabei sein Protokoll kriegen?«

In diesem Augenblick klickte wieder der Verschluß der Kamera. »Danke«, sagte der Fotograf. »Sehr lebendig.«

»Haben Sie unser Zeichen mit drauf?« fragte derVertreter der Baufirma, ohne auf den Polizisten zu hören. »Ich bestelle sofort ein halbes Dutzend.«

»Nein«, erklärte der Fotograf.»Ich bin Sozialist. Zahlen Sie nur die Versicherung, Sie jammervoller Jagdhund der Millionäre.«

Eine Sirene schrillte. Die Ambulanz. Dies ist der Augenblick,dachte Ravic.Er machte vorsichtig einen Schritt. Aber der Polizist hielt ihn fest.»Sie müssen mit zur Wache gehen, mein Herr. Es tut mir leid, aber es muß alles aufgenommen werden.«

Der zweite Polizist stand jetzt neben ihm. Es war nichts zu machen.Ho entlich geht es gut,dachte Ravic und ging mit.

Der zuständige Beamte im Polizeirevier hatte schweigend dem Gendarmen und dem Polizisten, der das Protokoll neu aufnahm,zugehört.Jetzt wandte er sich an Ravic.»Sie sind kein Franzose«, sagte er. Er fragte nicht; er stellte es fest.

»Nein«, sagte Ravic. »Was sind Sie?«

»Tscheche.«

»Wie kommt es, daß Sie hier Arzt sind? Als Ausländer können Sie doch nicht praktizieren, wenn Sie nicht naturalisiert sind?«

Ravic lächelte. »Ich praktiziere hier nicht. Ich bin hier als Tourist. Zu meinem Vergnügen.«

»Haben Sie Ihren Paß bei sich?«

»Brauchen wir das, Fernand?« fragte der andere Beamte. »Der Herr hat der Frau geholfen, und wir haben seine Adresse. Das ist doch genug. Da sind ja noch mehr Zeugen.«

»Es interessiert mich. Haben Sie Ihren Paß bei sich? Oder Ihre Carte d’Identité?«

»Natürlich nicht«, sagte Ravic. »Wer hat schon immer seinen Paß bei sich?«

»Wo haben Sie ihn?«

»Im Konsulat. Habe ihn vor einer Woche hingebracht. Er muß verlängert werden.«

Ravic wußte, daß, wenn er sagte, der Paß sei im Hotel, ein Polizist mitgeschickt und der Schwindel sofort entdeckt werden konnte.Außerdem hatte er zur Vorsicht ein falsches Hotel angegeben. Mit dem Konsulat hatte er eine bessere Chance.

»Bei welchem Konsulat?« fragte Fernand. * »Beim tschechischen. Wo sonst?«

»Wir können da anrufen und anfragen.« Fernand sah Ravic an.

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