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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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Ravic richtete sich halb auf. »Nur keine Bekenntnisse«, sagte er. »Ich wollte keine Bekenntnisse. Ich hatte nur die Absicht, das Gesprächsniveau etwas zu heben.«

Sie starrte ihn an.Ihr Mund und ihre Augen waren flach. »Warum kritisierst du mich immer? Andere Menschen kritisieren mich nicht. Bei dir wird immer gleich alles zu einem Problem!«

»Richtig.« Ravic nahm einen Schluck Calvados und legte sich zurück.

»Es ist wahr«, sagte sie. »Man weiß nie, woran man mit dir ist. Du machst einen Dinge sagen,die man nicht sagen will. Und dann fällst du über einen her.«

Ravic holte tief Atem. Was hatte er da vorher nur gedacht? Dunkelheit der Liebe, Gewalt der Phantasie, wie rasch sich das korrigieren konnte! Sie taten es selbst, unaufhörlich selbst. Sie waren die eifrigsten Zerstörer der Träume.Aber was konnten sie schon dafür? Was konnten sie wirklich schon dafür – schöne, verlorene Getriebene

– ein Riesenmagnet, irgendwo, tief unter der Erde – und darüber die bunten Figuren, die glaubten, einen eigenen Willen und ein eigenes Schicksal zu haben – was konnten sie schon dafür?War er selbst nicht einer davon? Mißtrauisch noch, sich festhaltend an einem bißchen mühsamer Vorsicht und etwas billigem Sarkasmus – und im Grunde schon wissend, was unvermeidlich geschehen würde?

Joan hockte am Fußende des Bettes. Sie sah aus wie eine ärgerliche, schöne Waschfrauund gleichzeitig wie

etwas, das vom Mond hergeflogen war und sich nicht zurechtfinden konnte. Die Dämmerung war in Frührot übergegangen und strahlte sie an. Der junge Tag hauchte von weit her seinen reinen Atem über die dreckigen Höfe und die rauchigen Dächer in das Fenster, und es war immer noch Wald und Leben darin.

»Joan«, sagte Ravic. »Weshalb bist du gekommen?« »Weshalb fragst du?«

»Ja – weshalb frage ich?«

»Weshalb fragst du immer? Ich bin da. Ist das denn nicht genug?«

»Ja, Joan, du hast recht. Es ist genug.«

Sie hob den Kopf. »Endlich! Aber erst muß du einem die ganze Freude nehmen.«

Freude! Freude nannte sie das! Getrieben sein von vielen schwarzen Propellern, in einer Luftschraube von atemlosem Wiederhabenwollen – Freude? Da draußen, das war ein Augenblick der Freude, der Tau vor den Fenstern, die zehn Minuten Stille, bevor der Tag seine Klauen ausstreckte. Aber zum Teufel, was sollte das alles? Hatte sie nicht recht? Hatte sie nicht recht wie der Tau und die Sperlinge und derWind und das Blut?Wozu fragte er?Was wollte er wissen? Sie war da, herangeflogen, bedenkenlos, ein Nachtschmetterling,ein Ligusterschwärmer,ein Pfauenauge, rasch – und nun lag er da und zählte die Punkte und die schmalen Risse an seinen Flügeln und starrte auf den etwas verwischten Schmelz. Sie war gekommen, und

ich bin nur so albern überlegen, weil sie gekommen ist, dachte er.Wäre sie nicht gekommen, dann würde ich hier liegen und grübeln und versuchen, mich heroisch zu beschwindeln und dabei heimlich nichts anderes wünschen, als daß sie käme.

Er warf die Decken beiseite,schwang die Füße über den Bettrand und fuhr in seine Slipper.»Was willst du?« fragte Joan überrascht. »Willst du mich hinauswerfen?«

»Nein. Ich will dich küssen. Ich hätte es längst tun sollen. Ich bin ein Idiot, Joan. Ich habe Unsinn geredet. Es ist wunderbar, daß du da bist!«

Ein Schein ging durch ihre Augen. »Du brauchst nicht aufzustehen, um mich zu küssen«, sagte sie.

Das Morgenrot stand hoch hinter den Häusern. Der Himmel darüber war schwach und blau. Ein paar Wolken schwammen darin wie schlafende Flamingos.»Sieh dir das an, Joan! Welch ein Tag! Weißt du noch, wie es regnete?« »Ja. Es regnete immer, Liebster. Es war grau, und es

regnete.«

»Es regnete noch,als ich abfuhr.Du verzweifeltest unter all dem Regen. Und jetzt…«

»Ja«, sagte sie. »Und jetzt…«

Sie lag dicht neben ihm. »Jetzt ist alles da«, sagte er. »Sogar ein Garten. Die Nelken unten vor dem Fenster des Emigranten Wiesenho . Und Vögel im Hof in der Kastanie.«

Er sah, daß sie weinte. »Warum fragst du mich nicht, Ravic?« sagte sie.

»Ich fragte dich schon zuviel. Hast du das vorhin nicht selbst gesagt?«

»Dies ist anders.«

»Es ist nichts zu fragen.« »Was inzwischen gewesen ist.« »Es ist nichts gewesen.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Wofür hältst du mich, Joan?« sagte er. »Sieh dir das da draußen an. Das Rot und Gold und Blau. Fragt das, ob es gestern geregnet hat? Ob Krieg in China oder Spanien war? Ob in diesem Augenblick tausend Menschen sterben oder tausend Menschen geboren werden? Es ist da, es steigt auf, das ist alles. Und du willst, daß ich frage? Deine Schultern sind Bronze unter diesem Licht, und ich soll dich fragen? Deine Augen sind in diesem rotenWiderschein wie das Meer der Griechen,violett und weinfarben, und ich soll etwas wissen wollen, was vorbei ist? Du bist da, und ich soll ein Narr sein und im abgewelkten Laub der Vergangenheit herumsuchen wollen? Wofür hältst du mich, Joan?«

Ihre Tränen hatten aufgehört.»Ich habe das lange nicht mehr gehört«, sagte sie.

»Dann warst du unter Holzköpfen. Frauen soll man anbeten oder verlassen. Nichts dazwischen.«

Sie schlief, dicht an ihn geklammert, als wollte sie ihn

nie mehr loslassen. Sie schlief tief, und er fühlte ihren leichten, regelmäßigen Atem auf seiner Brust. Er lag noch eine Zeitlang wach.Die Geräusche des Morgens begannen im Hotel.Wasserleitungen rauschten,Türen klappten,und unten hustete der EmigrantWiesenho sein Erwachen aus dem Fenster. Er fühlte Joans Schultern an seinem Arm, er fühlte ihre warme, schlummernde Haut, und wenn er den Kopf wendete,konnte er ihr völlig gelöstes,hingebendes Gesicht sehen, das rein war wie die Unschuld selbst. Anbeten oder verlassen, dachte er. Große Worte.Wer das könnte! Aber wer wollte es auch schon?

20 Er erwachte. Joan lag nicht mehr neben ihm. Er hörte das Wasser im Badezimmer rauschen und richtete sich auf. Er war sofort ganz wach. Die letzten Monate hatten ihn das wieder gelehrt. Wer sofort wach war, konnte manchmal noch entkommen. Er sah auf die Uhr. Es war zehn Uhr früh.Joans Abendkleid lag mit ihrem Mantel auf dem Boden. Ihre Brokatschuhe standen vor dem Fenster. Einer war umgefallen.

»Joan«,rief er.»Was machst du unter der Brause mitten in der Nacht?«

Sie ö nete die Tür.»Ich wollte dich nicht wecken.« »Das ist gleichgültig. Ich kann immer schlafen. Aber wozu bist du schon auf?«

Sie hatte eine Badekappe übergezogen und tropfte vor Wasser. Ihre Schultern schimmerten hellbraun. Sie sah aus wie eine Amazone mit einem eng anliegenden Helm. »Ich bin keine Nachteule mehr. Ravic. Ich bin nicht mehr in der Scheherazade.«

»Das weiß ich.« »Von wem?« »Von Morosow.«

Sie sah ihn eine Sekunde forschend an.»Morosow«,sagte sie. »Der alte Schwätzer. Was hat er dir sonst erzählt?«

»Nichts. Gibt es sonst noch etwas zu erzählen?« »Nichts, was ein Nachtportier erzählen könnte. Die

sind wie Garderobefrauen. Gewerbsmäßige Klatsch Vermittler.«

»Laß Morosow in Frieden. Nachtportiers und Ärzte sind gewerbsmäßige Pessimisten. Sie leben von den Schattenseiten des Lebens. Aber sie klatschen nicht. Sie sind verpflichtet zur Diskretion.«

»Schattenseite des Lebens«, sagte Joan. »Wer will das schon?«

»Keiner.Aber die meisten leben darin. Morosow hat dir übrigens damals die Stelle in der Scheherazade besorgt.«

»Dafür kann ich ihm nicht ewig unter Tränen dankbar sein.Ich war keine Enttäuschung.Ich war mein Geld wert, sonst hätten sie mich nicht behalten. Er hat es außerdem für dich getan. Nicht für mich.«

Ravic gri nach einer Zigarette.»Was hast du eigentlich gegen ihn?«

»Nichts. Ich mag ihn nicht. Er sieht einen immer so an. Ich würde ihm nicht trauen, Du solltest es auch nicht.«

»Was?«

»Du solltest ihm nicht trauen. Du weißt, Portiers in Frankreich sind alle Polizeispitzel.«

»Sonst noch was?« fragte Ravic ruhig.

»Du glaubst mir natürlich nicht.Jeder in der Scheherazade wußte es. Wer weiß, ob …«

»Joan!« Er warf die Decke zurück und stand auf. »Rede keinen Unsinn. Was ist los mit dir?«

»Nichts. Was soll mit mir los sein? Ich kann ihn nicht leiden, das ist alles. Er hat einen schlechten Einfluß. Und du steckst dauernd mit ihm zusammen.«

»Ach so«, sagte Ravic. »Deshalb.« Sie lächelte plötzlich. »Ja, deshalb.«

Ravic spürte, daß es nicht allein deshalb war. Da war noch etwas anderes. »Was willst du zum Frühstück haben?« fragte er.

»Bist du ärgerlich?« fragte sie zurück. »Nein.«

Sie kam aus dem Badezimmer und legte die Arme um seinen Nacken.Er fühlte die Feuchtigkeit ihrer Haut durch den dünnen Sto seines Pyjamas. Er fühlte den Körper, und er fühlte sein Blut. »Bist du ärgerlich, weil ich eifersüchtig auf deine Freunde bin?« fragte sie.

Er schüttelte den Kopf. Ein Helm. Eine Amazone. Eine Najade, dem Ozean entstiegen, den Geruch von Wasser und Jugend noch auf der glatten Haut. »Laß mich los«, sagte er.

Sie antwortete nicht. Die Linie von den hohen Wangenknochen zum Kinn. Der Mund. Die zu schweren Augenlider. Die Brüste, die sich gegen seine nackte Haut unter der o enen Pyjamajacke drängten. »Laß mich los, oder …«

»Oder was?« fragte sie.

Eine Biene summte vor dem o enen Fenster. Ravic folgte ihr mit denAugen.Wahrscheinlich war sie von den Nelken des EmigrantenWiesenho angelockt worden und suchte nun nach andern Blumen. Sie flog herein und ließ sich

auf einem gebrauchten Calvadosglas nieder, das auf dem Fensterbrett stand.

»Hast du mich vermißt?« fragte Joan. »Ja.« – »Sehr?«

»Ja.«

Die Biene flog auf. Sie zirkelte einige Male um das Glas. Dann summte sie durch das Fenster zurück in die Sonne und zu den Nelken des Emigranten Wiesenho .

Ravic lag neben Joan. Sommer, dachte er. Sommer, Wiesen am Morgen, das Haar mit dem Geruch nach Heu und die Haut wie Klee – das dankbare Blut, das lautlos strömte wie ein Bach und sich hob und wunschlos die sandigen Stellen überflutete, eine glatte Fläche, in der sich hoch ein Gesicht spiegelte, in dem es lächelte. Nichts war mehr trocken und tot, einen hellen Augenblick lang, Birken und Pappeln, Stille und das leise Murmeln, das wie ein Echo aus fernen verlorenen Himmeln kam und in den Adern klopfte.

»Ich möchte hierbleiben«, sagte Joan an seiner Schulter.

»Bleib hier.Laß uns schlafen.Wir haben wenig geschlafen.«

»Ich kann nicht. Ich muß fort.«

»Du kannst in deinem Abendkleid jetzt nirgendwo hingehen.«

»Ich habe ein anderes Kleid mitgebracht.« »Wo?«

»Ich hatte es unter meinem Mantel.Schuhe auch.Es muß unter meinen Sachen liegen. Ich habe alles bei mir.«

Sie sagte nicht, wohin sie gehen mußte. Auch nicht warum. Und Ravic fragte nicht.

Die Biene erschien wieder. Sie summte nicht mehr ziellos umher.Sie flog geradezu auf das Glas zu und setzte sich auf den Rand.Sie schien etwas von Calvados zu verstehen. Oder von Obstzucker.

»Warst du so sicher, daß du hierbleiben würdest?« »Ja«, sagte Joan, ohne sich zu rühren.

Rolande brachte ein Tablett mit Flaschen und Gläsern. »Keinen Schnaps«, sagte Ravic.

»Du willst keinen Wodka? Es ist Subrowka.«

»Heute nicht. Du kannst mir Ka ee geben. Starken Ka ee.«

»Gut.«

Er packte das Mikroskop beiseite. Dann zündete er sich eine Zigarette an und trat ans Fenster. Die Platanen draußen hatten frisches, volles Laub. Das letztemal, als er hier war, waren sie noch kahl gewesen.

Rolande brachte den Ka ee. »Ihr habt mehr Mädchen als früher«, sagte Ravic.

»Zwanzig mehr.«

»Ist das Geschäft so gut? Jetzt, im Juni?«

Rolande setzte sich zu ihm. »Das Geschäft ist so gut, daß wir es nicht verstehen. Die Leute scheinen verrückt

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