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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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»Mein Gott, nein. Irgendwelche Leute hatten eine Szene. Jemand blutete. Ich habe mich diesmal nicht eingemischt.«

»Eingemischt?« Sie verstand plötzlich. Ihr Ausdruck veränderte sich. »Was machst du hier? Sie werden dich wieder verhaften. Ich weiß jetzt alles. Ein halbes Jahr Gefängnis ist das nächste.Du mußt fort! Ich wußte nicht,daß du in Paris bist! Ich dachte, du kämest nie wieder.«

Ravic antwortete nicht.

»Ich dachte, du kämest nie wieder«, wiederholte sie. Ravic sah sie an. »Joan …«

»Nein! Es ist alles nicht wahr! Nichts ist wahr! Nichts!« »Joan«, sagte Ravic behutsam. »Geh zu deinem Tisch

zurück.«

Ihre Augen waren plötzlich feucht. »Geh zu deinem Tisch zurück«, sagte er.

»Du bist schuld!« stieß sie hervor. »Du! Du allein!« Sie drehte sich abrupt um und ging zurück.Ravic schob

seinen Tisch beiseite und setzte sich. Er sah das Glas Calvados und machte eine Bewegung, es zu trinken. Er tat es nicht. Er war ruhig gewesen, während er mit Joan sprach. Jetzt plötzlich fühlte er die Erregung. Sonderbar, dachte er. Die Brustmuskeln unter der Haut vibrierten. Warum gerade die? Er nahm das Glas und betrachtete seine Hand. Sie war ruhig. Er trank nicht zu ihr hinüber. Der Kellner kam vorbei. »Zigaretten«, sagte Ravic. »Caporal.«

Er zündete eine an und trank die zweite Hälfte seines

Glases. Wieder spürte er Joans Blick. Was erwartete sie? dachte er. Daß ich mich vor ihren Augen aus Unglück betrinke? Er winkte dem Kellner und zahlte. Im Augenblick, als er aufstand, begann Joan lebhaft zu einem ihrer Begleiter zu sprechen.Sie blickte nicht auf,als er an ihrem Tisch vorbeiging. Ihr Gesicht war hart und kalt und ohne Ausdruck, während sie angestrengt lächelte.

Ravic ging durch die Straßen und fand sich, ohne es überlegt zu haben, wieder vor der Scheherazade. Morosows Gesicht lächelte auf. »Gute Haltung, Soldat! Gab dich schon fast verloren. Freut einen immer, wenn eine Prophezeiung eintrifft.«

»Freu dich nicht zu früh.«

»Du dich auch nicht. Du kommst zu spät.« »Das weiß ich. Ich habe sie schon getro en.« »Was?«

»In der Cloche d’Or.«

»Da soll doch …«, sagte Morosow verblüfft. »Mutter Leben hat immer neue Drehs auf Lager.«

»Wann bist du hier fertig, Boris?«

»In ein paar Minuten. Niemand mehr da. Muß mich umziehen. Komm solange ’rein. Trink einen Wodka auf Kosten des Hauses.«

»Nein. Ich warte hier.« Morosow sah ihn an. »Wie fühlst du dich?«

»Zum Kotzen.«

»Hast du etwas anderes erwartet?«

»Ja. Man erwartet immer was anderes. Geh und zieh dich um.«

Ravic lehnte sich an die Wand. Neben ihm packte die alte Blumenverkäuferin ihre Blumen zusammen. Sie bot ihm nicht an, welche zu kaufen. Er kam sich albern vor, aber er hätte gern gehabt, wenn sie ihn gefragt hätte. So war es,als erwarte sie nicht,daß er welche brauchen könne. Er blickte die Häuserreihe entlang.Ein paar Fenster waren noch hell. Taxis streiften langsam vorbei. Was hatte er erwartet? Er wußte es genau.Was er nicht erwartet hatte, war, daß Joan die Initiative ergreifen würde.Aber warum eigentlich nicht? Wie recht jemand schon hatte, wenn er nur attackierte!

Die Kellner kamen heraus. Sie waren die Nacht über Kaukasier und Tscherkessen gewesen in roten Röcken und hohen Stiefeln.Jetzt waren sie müde Zivilisten.In sonderbar auf ihnen wirkenden Alltagsanzügen schlichen sie nach Hause. Der letzte war Morosow. »Wohin?« fragte er.

»Ich war heute schon überall.«

»Dann laß uns ins Hotel gehen und Schach spielen.« »Was?«

»Schach. Ein Spiel mit Holzfiguren, das gleichzeitig ablenkt und konzentriert.«

»Gut«, sagte Ravic. »Warum nicht?«

Er erwachte und wußte sofort, daß Joan im Zimmer war. Es war noch dunkel, und er konnte sie nicht sehen, aber er wußte, daß sie da war. Das Zimmer war anders, das Fenster war anders, die Luft war anders, und er selbst war anders. »Laß den Unsinn!« sagte er. »Mach das Licht an und komm her.«

Sie rührte sich nicht. Er hörte sie nicht einmal atmen. »Joan«, sagte er, »wir wollen nicht Versteck spielen.«

»Nein«, sagte sie leise. »Dann komm her.«

»Wußtest du, daß ich kommen würde?« »Nein.« .

»Deine Tür war o en.«

»Meine Tür ist fast immer o en.«

Sie schwieg einen Augenblick. »Ich dachte, du wärest noch nicht hier«, sagte sie dann. »Ich wollte nur … ich dachte … du würdest noch irgendwo sitzen und trinken.«

»Das dachte ich auch. Ich habe statt dessen Schach gespielt.«

»Was?«

»Schach. Morosow. Unten in der Bude, die aussieht wie ein Aquarium ohne Wasser.«

»Schach!« Sie kam aus ihrer Ecke hervor. »Schach! Das ist doch … Jemand, der Schach spielen kann, wenn …«

»Ich hätte es auch nicht geglaubt,aber es ging.Gut sogar. Ich konnte eine Partie gewinnen.«

»Du bist das kälteste, herzloseste …«

»Joan«, sagte Ravic. »Kein Szenen. Ich bin für gute Szenen. Nur nicht heute.«

»Ich mache keine Szenen. Ich bin todunglücklich.« »Schön. Dann wollen wir das alles lassen. Szenen sind

richtig, wenn man mittelmäßig unglücklich ist. Ich habe einen Mann gekannt, der vom Augenblick, als seine Frau starb, bis zu ihrem Begräbnis sich in sein Zimmer einschloß und Schachprobleme löste. Man hielt ihn für herzlos, aber ich weiß, daß er seine Frau geliebt hatte wie nichts auf der Welt. Er wußte einfach nichts anderes. Er löste Tag und Nacht Schachaufgaben, um nicht daran zu denken.«

Joan stand jetzt in der Mitte des Zimmers. »Hast du es deshalb getan, Ravic?«

»Nein. Ich sagte dir doch, es war ein anderer Mann. Ich habe geschlafen, als du kamst.«

»Ja, du hast geschlafen! Du kannst schlafen!«

Ravic stützte sich auf. »Ich habe einen andern Mann gekannt, der auch seine Frau verloren hatte. Er legte sich zu Bett und schlief zwei Tage durch. Die Mutter seiner Frau war außer sich darüber. Sie verstand nicht, daß man viele widersprechende Dinge tun und gleichzeitig völlig trostlos sein kann.Es ist merkwürdig,was für eine Etikette sich gerade für das Unglück herausgebildet hat! Hättest du mich sinnlos betrunken gefunden,wäre alles stilgemäß gewesen. Daß ich Schach gespielt und geschlafen habe,

ist kein Beweis, daß ich roh und gefühllos bin. Einfach, was?«

Es krachte und splitterte. Joan hatte eine Vase ergri en und sie zu Boden geschleudert. »Gut«, sagte Ravic. »Ich konnte das Ding ohnehin nicht leiden. Paß nur auf, daß du dir keine Scherben in den Fuß trittst.«

Sie stieß die Scherben beiseite. »Ravic«, sagte sie. »Warum tust du das?«

»Ja«, erwiderte er. »Warum? Ich mache mir selbst Mut. Merkst du das nicht, Joan?«

Sie wandte ihm rasch ihr Gesicht zu. »Es sieht so aus. Aber bei dir weiß man nie, was los ist.«

Sie trat vorsichtig über die umhergestreuten Scherben hinweg und setzte sich auf das Bett. Er konnte ihr Gesicht jetzt deutlich in der frühen Dämmerung sehen. Er war überrascht, daß es nicht müde war. Es war jung und klar gespannt. Sie trug einen leichten Mantel, den er nicht kannte, und ein anderes Kleid, als sie in der Cloche d’Or getragen hatte.

»Ich dachte, du kämest nie wieder, Ravic«, sagte sie. »Es hat lange gedauert. Ich konnte nicht früher kom-

men.«

»Warum hast du nie geschrieben?« »Hätte es etwas genützt?«

Sie sah zur Seite. »Es wäre besser gewesen.«

»Es wäre besser gewesen, ich wäre nie zurückgekommen. Aber es gibt kein anderes Land und keine andere

Stadt mehr für mich. Die Schweiz ist zu klein; überall sonst sind Faschisten.«

»Aber hier … die Polizei…«

»Die Polizei hat hier ebensoviel und ebensowenig Chance, mich zu erwischen, wie vorher. Das damals war ein unglücklicher Zufall.Man braucht darüber nicht mehr nachzudenken.«

Er gri nach einem Pack Zigaretten. Sie lagen auf dem Tisch neben dem Bett. Es war ein bequemer, mittelgroßer Tisch mit Büchern,Zigaretten und ein paar Sachen.Ravic haßte das, was als Nachttisch und Konsole mit falschem Marmor gewöhnlich neben Betten stand.

»Gib mir auch eine Zigarette«, sagte Joan. »Willst du etwas trinken?« fragte er.

»Ja. Bleib liegen. Ich hole es schon.«

Sie holte die Flasche und füllte zwei Gläser. Sie gab ihm eines, nahm das andere und trank es aus. Während sie trank,fiel ihr der Mantel von den Schultern.Ravic erkannte in der heller werdenden Dämmerung jetzt das Kleid, das sie trug. Es war das, das er ihr für Antibes geschenkt hatte.Weshalb hatte sie es angezogen? Es war das einzige Kleid, das er ihr je gegeben hatte. Er hatte nie an so etwas gedacht. Er wollte auch nie an so etwas denken.

»Als ich dich sah, Ravic – plötzlich …«, sagte sie, »ich konnte nichts denken. Nichts. Und als du weggingst … ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen. Ich dachte es nicht gleich. Ich wartete erst, daß du in die Cloche d’Or

zurückkommen würdest.Ich glaubte,du müßtest zurückkommen. Warum bist du nicht zurückgekommen ?«

»Warum sollte ich zurückkommen?« »Ich wäre mit dir gegangen.«

Er wußte, daß es nicht wahr war. Aber er wollte nicht darüber nachdenken.Er wollte plötzlich über nichts mehr nachdenken. Er hatte nicht geglaubt, daß es genug sein würde. Er wußte nicht, weshalb sie gekommen war und was sie wirklich wollte – aber es war auf eine sonderbare und tiefe und beruhigende Weise plötzlich genug, daß sie da war.Was ist das? dachte er. Ist es da schon? Jenseits der Kontrolle? Da,wo die Dunkelheit,der Aufruhr des Blutes, der Zwang der Phantasie und die Drohung beginnen?

»Ich dachte, du wolltest mich verlassen«, sagte Joan. »Du wolltest es auch! Sag die Wahrheit!«

Ravic antwortete nicht.

Sie sah ihn an.»Ich wußte es! Ich wußte es!« wiederholte sie mit tiefer Überzeugung.

»Gib mir noch einen Calvados.« »Ist es Calvados?«

»Ja. Hast du es nicht gemerkt?«

»Nein.« Sie goß ein. Sie legte dabei einen Arm gegen seine Brust, während sie die Flasche hielt. Er spürte es bis in die Rippen. Sie nahm ihr Glas und trank. »Ja, es war Calvados.« Dann sah sie ihn wieder an. »Gut, daß ich gekommen bin. Ich wußte es. Gut, daß ich gekommen bin.«

Es wurde heller. Die Fensterläden beganen leise zu knarren. Der Morgenwind kam auf. »Ist es gut, daß ich gekommen bin?« fragte sie.

»Ich weiß es nicht, Joan.« Sie beugte sich über ihn.

»Du weißt es, du mußt es wissen.«

Ihr Gesicht war so dicht über ihm, daß ihr Haar über seine Schultern fiel. Er blickte es an. Es war eine Landschaft, die er kannte, sehr fremd und sehr vertraut, immer dieselbe und nie gleich.Er sah,daß die Haut auf ihrer Stirn sich schälte.Er sah,daß das Rot des Lippenstiftes bröcklig auf der Oberlippe lag,er sah,daß sie nicht ganz ordentlich geschminkt war – er sah das alles in dem Gesicht,das jetzt so dicht über dem seinen war,daß es die ganze übrigeWelt für ihn verdeckte – er sah es und wußte, daß nur seine Phantasie es war, die es trotzdem geheimnisvoll machte; er wußte, daß es schönere Gesichter gab, klügere, reinere

– aber er wußte auch, daß dieses eine Gesicht eine Gewalt über ihn besaß wie kein anderes. Und diese Gewalt hatte er ihm selbst gegeben.

»Ja«, sagte er. »Es ist gut. So oder so.« »Ich hätte es nicht ertragen, Ravic.« »Was?«

»Daß du fort gewesen wärest. Ganz fort.«

»Du sagtest doch, du hättest geglaubt, ich käme nie wieder?«

»Das ist nicht dasselbe.Wenn du in einem andern Land

gelebt hättest, das wäre anders gewesen. Wir wären nur getrennt gewesen. Ich hätte zu dir kommen können.Aber hier, in derselben Stadt… verstehst du das nicht?«

»Doch.«

Sie richtete sich auf und strich ihr Haar zurück. »Du kannst mich nicht allein lassen. Du bist verantwortlich für mich.«

»Bist du allein?«

»Du bist verantwortlich für mich«, sagte sie und lächelte.

Er haßte sie eine Sekunde – für das Lächeln und dafür, wie sie es sagte. »Rede keinen Unsinn, Joan.«

»Doch, du bist es. Von damals her. Ohne dich …« »Schön. Ich bin auch verantwortlich für die Besetzung

der Tschechoslowakei. Und nun hör auf damit. Es wird hell. Du mußt bald gehen.«

»Was?« Sie starrte ihn an. »Du willst nicht, daß ich hierbleibe?«

»Nein.«

»So …«, sagte sie leise und plötzlich sehr böse. »So ist das also! Du liebst mich nicht mehr!«

»Großer Gott«, sagte Ravic. »Auch das noch. Mit was für Idioten bist du in den letzten Monaten zusammen gewesen?«

»Das waren keine Idioten. Was sollte ich denn tun? Im Hotel Milan sitzen und die Wände anstarren und verrückt werden?«

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