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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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großen Schluck. »Du Sophist«, erklärte er. »Du Drückeberger.«

Ravic sah ihn an. Joan, dachte etwas in ihm. Wenn sie jetzt hereinkäme durch die schmutzige Glastür drüben. »Der Fehler war, Boris«, sagte er, »daß wir zu denken anfingen. Wären wir bei der Seligkeit der Brunst und des Fressens geblieben, wäre alles nicht passiert. Irgend jemand experimentiert mit uns – aber er scheint die Lösung noch nicht gefunden zu haben. Wir wollen uns nicht beklagen.AuchVersuchstiere sollten professionellen Stolz haben.«

»Sagen die Schlächter.Nicht die Ochsen.Sagen dieWissenschaftler. Nie die Meerschweinchen. Sagen die Ärzte. Nie die weißen Mäuse.«

»Richtig.– Es lebe das Gesetz vom zureichenden Grund. Komm, Boris, laß uns ein Glas trinken auf die Schönheit

– die holde Ewigkeit der Sekunde. Weißt du, was der Mensch auch als einziger kann? Lachen und weinen.« »Und sich betrinken. Mit Schnaps, Wein, Philosophie und Weibern und Ho nung und Verzweiflung.Weißt du, was er auch als einziger weiß? Daß er sterben muß. Als Gegengift bekam er die Phantasie. Der Stein ist real. Die Pflanze auch. Das Tier ebenfalls. Sie sind zweckmäßig. Sie wissen nicht, daß sie sterben müssen. Der Mensch weiß es. Hebe dich, Seele! Fliege! Schluchze nicht, du legaler Mörder! Haben wir nicht soeben das Hohelied der

Menschheit gesungen?«

Morosow schüttelte die graue Palme,daß der Staub flog. »Braves Symbol rührend südlicher Ho nung, Traumpflanze einer französischen Hotelwirtin, lebe wohl! Und du auch, Mann ohne Heimat, Schlinggewächs ohne Erde, Taschendieb des Todes, lebe wohl! Sei stolz, daß du ein Romantiker bist!«

Er grinste Ravic an.

Ravic grinste nicht zurück. Er sah zur Tür. Sie hatte sich geö net. Der Nachtportier kam herein. Er kam auf den Tisch zu. Telefon, dachte Ravic. Endlich! Doch!

Er stand nicht auf.

Er wartete. Er fühlte, wie seine Arme sich spannten. »Ihre Zigaretten, Herr Morosow«, sagte der Portier.

»Der Junge hat sie gerade gebracht.«

»Danke.« Morosow steckte die Schachtel mit den russischen Zigaretten ein. »Servus, Ravic. Sehe ich dich später?«

»Vielleicht. Servus, Boris.«

Der Mann ohne Magen starrte Ravic an.Ihm war schlecht, aber er konnte nicht erbrechen. Er hatte nichts mehr, womit er erbrechen konnte. Ihm war wie einem Mann ohne Beine, dem die Füße schmerzten.

Er war sehr unruhig. Ravic gab ihm eine Spritze. Der Mann hatte nicht viel Chance, am Leben zu bleiben. Das Herz war nicht besonders, und eine der Lungen war voll von verkapselten Kavernen. Für fünfunddreißig Jahre

hatte er nicht viel Gesundheit in seinem Leben gehabt. Magenulcus seit Jahren, eine verheilte Tuberkulose und jetzt Krebs. Die Krankengeschichte zeigte, daß er vier Jahre verheiratet gewesen war; die Frau war im Kindbett gestorben; das Kind drei Jahre später an Tuberkulose. Keine andern Angehörigen. Da lag das nun und starrte ihn an und wollte nicht sterben und war geduldig und mutig und wußte nicht, daß er durch den Darm ernährt werden mußte und nicht mehr eine der wenigen Freuden seines Daseins, Senfgurken und gekochtes Rindfleisch, essen durfte.Er lag da und roch und war zerschnitten und hatte irgend etwas, das seine Augen bewegte und das man Seele nannte. Sei stolz, daß du ein Romantiker bist! Das Hohelied der Menschheit.

Ravic hängte die Tafel mit der Fieberzi er und der Pulsangabe zurück. Die Schwester stand auf und wartete. Sie hatte einen angefangenen Sweater neben sich auf dem Stuhl liegen.Die Stricknadel steckte darin,und ein Knäuel Wolle lag auf dem Boden.

Der dünne Faden Wolle, der herunterhing, war wie ein dünner Faden Blut; als blute der Sweater herunter.

Der liegt da, dachte Ravic, und selbst mit der Spritze wird er eine scheußliche Nacht haben mit Schmerzen, Unbeweglichkeit,Atemnot und Schreckensträumen, und ich warte auf eine Frau und glaube,daß es eine schwierige Nacht für mich werden wird, wenn sie nicht kommt. Ich weiß,wie lächerlich das ist,verglichen mit diesem Sterben-

den hier, verglichen mit Gaston Perrier nebenan, dessen Arm zerschmettert ist, verglichen mit tausend andern, verglichen mit all dem, was in der Welt heute nacht passiert, und es nützt mir trotzdem nichts. Es nützt nichts, es hilft nichts, es ändert nichts, es bleibt dasselbe. Was hatte Morosow gesagt?Warum hast du keine Magenschmerzen? Ja, warum nicht?

»Rufen Sie mich an, wenn irgend etwas passiert«, sagte er zu der Schwester. Es war dieselbe, die von Kate Hegström das Grammophon geschenkt bekommen hatte.

»Der Herr ist sehr ergeben«, sagte sie. »Was ist er?« fragte Ravic erstaunt. »Sehr ergeben. Ein guter Patient.«

Ravic sah umher. Da war nichts, was die Nurse als Geschenk erwarten konnte.Sehr ergeben – was für Ausdrükke die Krankenschwestern manchmal hatten! Der arme Teufel da kämpfte mit allen Armeen seiner Blutkörper und seiner Nervenzellen gegen den Tod – er war nicht die Spur ergeben.

Er ging zum Hotel zurück.Vor der Tür traf er Goldberg. Ein alter Mann mit einem grauen Bart und einer dicken goldenen Uhrkette auf der Weste.

»Schöner Abend«, sagte Goldberg.

»Ja.« Ravic dachte an die Frau in Wiesenho s Zimmer. »Wollen Sie nicht noch etwas Spazierengehen?« fragte er.

»Ich war schon. Bis zum Concorde und zurück.«

Bis zum Concorde.Da lag die Amerikanische Botschaft. Weiß unter den Sternen,still und leer,eine Arche Noah,in der es Stempel für Visa gab, unerreichbar. Goldberg hatte davor gestanden,draußen,neben dem Crillon,und auf den Eingang und die dunklen Fenster gestarrt wie auf einen Rembrandt oder den Koh-i-noor-Diamanten.«

»Wollen wir nicht noch etwas gehen? ZumArc zurück?« fragte Ravic und dachte: Wenn ich die zwei da oben rette, wird Joan in meinem Zimmer sein oder, sie wird inzwischen kommen.

Goldberg schüttelte den Kopf.

»Ich muß’rauf.Meine Frau wartet sicher schon.Ich war über zwei Stunden fort.«

Ravic sah auf die Uhr. Es ging auf halb eins. Da war nichts zu retten. Die Frau war längst wieder zurück in ihrem Zimmer. Er sah Goldberg nach, der langsam die Treppe hinaufstieg. Dann ging er zum Portier. »Hat jemand für mich angerufen?«

»Nein.«

Das Zimmer war hell erleuchtet. Er erinnerte sich, es so verlassen zu haben. Das Blatt schimmerte, als hätte es überraschend geschneit.Er nahm den Zettel,den er auf den Tisch gelegt hatte, bevor er ging und auf dem stand, daß er in einer halben Stunde zurück sein werde, und zerriß ihn. Er suchte nach etwas zu trinken. Es war nichts da. Er ging wieder nach unten. Der Portier hatte keinen Calvados. Er hatte nur Kognak. Er nahm eine Flasche Hennessy und

eine Flasche Vouvray mit. Er redete eine Zeitlang mit dem Portier, der ihm bewies, daß Loulu II. die besten Chancen beim nächsten Rennen der Zweijährigen in St.Cloud habe. Der SpanierAlvarez kam vorbei.Ravic sah,daß er eine Spur hinkte. Er kaufte eine Zeitung und ging auf sein Zimmer zurück.Wie lang so einAbend sein konnte.Wer in der Liebe nicht an Wunder glaubt, ist verloren, hatte Rechtsanwalt Arensen 1933 in Berlin gesagt. Drei Wochen später hatte man ihn in ein Konzentrationslager gesteckt, weil seine Geliebte ihn denunziert hatte. Ravic ö nete eine Flasche Vouvray und holte einen Band Plato vom Tisch.Er legte ihn ein paar Minuten später weg und setzte sich ans Fenster.

Er starrte auf das Telefon. Dieser verdammte schwarze Apparat.Er konnte Joan nicht anrufen.Er wußte ihre neue Nummer nicht. Er wußte nicht einmal, wo sie wohnte. Er hatte nicht gefragt, und sie hatte es ihm nicht gesagt. Wahrscheinlich hatte sie absichtlich nichts gesagt.Sie hatte dann immer noch eine Entschuldigung.

Er trank ein Glas von dem leichtenWein.Albern,dachte er. Ich warte auf eine Frau, die noch heute morgen hier war. Ich habe sie dreieinhalb Monate nicht gesehen und sie nicht so entbehrt wie jetzt, wo sie einen Tag nicht dagewesen war. Es wäre einfacher gewesen, wenn ich sie nie wiedergesehen hätte. Ich war darauf eingestellt. Jetzt …

Er stand auf. Das war es auch nicht. Es war die Unsicherheit, die in ihm fraß. Es war das Mißtrauen, das sich Stunde um Stunde in ihn eingeschlichen hatte.

Er ging zur Tür. Er wußte, daß sie nicht abgeschlossen war; aber er sah noch einmal nach.Er begann,die Zeitung zu lesen; aber er las sie wie durch einen Schleier.Zwischenfälle in Polen.Die unvermeidlichen Zusammenstöße.Der Anspruch auf den Korridor. Das Bündnis Englands und Frankreichs mit Polen. Der Krieg, der näher kam. Er ließ die Zeitung auf den Boden gleiten und löschte das Licht.Er lag im Dunkeln und wartete. Er konnte nicht schlafen. Er knipste das Licht wieder an. Die Flasche Hennessy stand auf dem Tisch.Er ö nete sie nicht.Er stand auf und setzte sich ans Fenster. Die Nacht war kühl und hoch und voller Sterne. Ein paar Katzen schrien von den Höfen her. Ein Mann in Unterhosen stand auf dem Balkon gegenüber und kratzte sich. Er gähnte laut und ging in sein erleuchtetes Zimmer zurück. Ravic sah auf das Bett. Er wußte, er würde nicht schlafen können. Lesen hatte auch keinen Zweck.Er erinnerte sich kaum,was er vorher gelesen hatte. Weggehen – das wäre das beste.Aber wohin? Es war alles gleich. Er wollte auch nicht weggehen. Er wollte etwas wissen. Verdammt – er hielt die Flasche Kognak in der Hand und stellte sie zurück.Dann ging er zu seiner Tasche und holte ein paar Schlaftabletten heraus. Die gleichen Tabletten, die er dem rothaarigen Finkenstein gegeben hatte. Der schlief jetzt. Ravic schluckte sie. Zweifelhaft, ob er selber schlafen würde. Er nahm noch eine. Wenn Joan käme, würde er schon aufwachen.

Sie kam nicht. Auch nicht in der nächsten Nacht.

21 Eugenie steckte ihren Kopf in das Zimmer,in dem der Mann ohne Magen lag. »Telefon, Herr Ravic.«

»Wer ist dran?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe nicht gefragt. Die Telefonistin sagte es mir draußen.«

Ravic kannte Joans Stimme im Augenblick nicht. Sie war verschleiert und sehr weit. »Joan«, sagte er. »Wo bist du?«

Sie klang, als wäre sie außerhalb von Paris. Er erwartete fast, daß sie irgendeinen Ort an der Riviera sagen würde. Sie hatte ihn früher nie in der Klinik angerufen. »Ich bin in meiner Wohnung«, sagte sie.

»Hier in Paris?« »Natürlich. Wo sonst?« »Bist du krank?« »Nein. Warum?«

»Weil du in der Klinik anrufst.«

»Ich habe schon im Hotel angerufen. Du warst nicht mehr da. Da habe ich in der Klinik angerufen.«

»Ist etwas los?«

»Nein. Was soll los sein? Ich wollte wissen, wie es dir geht.«

Ihre Stimme war jetzt klarer. Ravic zog eine Zigarette und einen Karton mit Streichhölzern hervor. Er klemmte das Oberteil unter seinen Ellbogen, riß ein Streichholz ab und zündete es an.

»Es ist die Klinik, Joan«, sagte er. »Man erwartet da immer Unglücksfälle und Krankheiten.«

»Ich bin nicht krank. Ich bin im Bett, aber ich bin nicht krank.«

»Gut.« Ravic schob die Streichhölzer auf dem weißen Wachstuch des Tisches hin und her. Er wartete auf das, was kommen würde.

Joan wartete auch. Er hörte sie atmen. Sie wollte, daß er beginnen sollte. Es war einfacher für sie.

»Joan«, sagte er. »Ich kann nicht lange am Telefon bleiben. Ich habe einen Verband o en und muß zurück.«

Sie schwieg einen Augenblick. »Warum höre ich nichts von dir?« sagte sie dann.

»Du hörst nichts von mir,weil ich weder deine Telefonnummer habe noch weiß, wo du wohnst.«

»Aber das habe ich dir doch gesagt.« »Nein, Joan.«

»Doch.Ich habe es dir gesagt.« Sie war jetzt auf sicherem Boden. »Bestimmt. Ich weiß es. Du hast es nur wieder vergessen.«

»Gut. Ich habe es vergessen. Sage es mir noch einmal. Ich habe einen Bleistift hier.«

Sie gab ihm ihre Adresse und Telefonnummer. »Ich bin überzeugt, daß ich es dir gesagt habe, Ravic. Ganz bestimmt.«

»Schön, Joan. Ich muß zurück.Wollen wir heute abend zusammen essen?«

Sie schwieg einen Moment. »Warum kommst du mich nicht einmal besuchen?« fragte sie dann.

»Gut. Das kann ich auch. Heute abend. Um acht?« »Warum kommst du nicht jetzt?«

»Jetzt muß ich arbeiten.« »Wie lange?«

»Ungefähr noch eine Stunde.« »Komm dann.«

Ach so, abends hast du keine Zeit, dachte er und fragte: »Warum nicht abends?«

»Ravic«, sagte sie. »Manchmal weißt du die einfachsten Sachen nicht.Weil ich gern möchte, daß du jetzt kommst. Ich will nicht warten bis abends.Weshalb würde ich sonst wohl um diese Zeit in der Klinik anrufen?«

»Gut. Ich komme, wenn ich hier fertig bin.« Er faltete nachdenklich den Zettel zusammen und ging zurück.

Es war ein Haus an der Ecke der Rue Pascal. Joan wohnte im obersten Stock. Sie ö nete die Tür. »Komm«, sagte sie. »Gut, daß du da bist! Komm ’rein.«

Sie trug ein einfaches schwarzes Dressing-gown, das so geschnitten war wie das eines Mannes. Es war eine ihrer Eigenschaften, die Ravic gern an ihr hatte: sie trug nie irgendwelche wolkigen Tülloder Seidenangelegenheiten. Ihr Gesicht war blasser als gewöhnlich und etwas erregt. »Komm«, sagte sie. »Ich habe auf dich gewartet. Du sollst doch sehen, wie ich wohne.«

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