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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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nichts, ich gehörte nicht dahin, es war alles nicht in mir, was wollte,es war nur ein Stück,aber es schob mich,es war wie ein langsamer Erdrutsch,über den man anfangs lacht, und plötzlich ist nichts mehr da,um sich festzuhalten,und man kann sich nicht mehr wehren.Aber ich gehörte nicht dahin, Ravic. Ich gehöre zu dir.«

Er warf seine Zigarette aus dem Fenster. Sie flog wie ein Leuchtkäfer zum Hof hinunter. »Was geschehen ist, ist geschehen, Joan«, sagte er. »Wir können es jetzt nicht mehr ändern.«

»Ich will nichts ändern. Es wird vorübergehen. Ich gehöre zu dir. Weshalb komme ich wieder? Weshalb stehe ich vor deiner Tür? Weshalb warte ich hier auf dich, und du wirfst mich hinaus,und ich werde wiederkommen? Ich weiß, du glaubst mir nicht und denkst, ich hätte andere Gründe. Was für Gründe denn? Wenn das andere mich ausfüllte, würde ich nicht wiederkommen. Ich würde dich vergessen haben. Du sagst, was ich bei dir suche, sei Sicherheit. Das ist nicht wahr. Es ist Liebe.«

Worte, dachte Ravic. Süße Worte. Sanfter, trügerischer Balsam.Hilfe,Liebe,Zusammengehören,Wiederkommen

– Worte, süße Worte. Nichts als Worte.Wie viele Worte es gab für diese einfache, wilde, grausame Anziehung zweier Körper! Welch ein Regenbogen der Phantasie, Lüge, Gefühl und Selbstbetrug sich darüber wölbte! Da stand er, in dieser Nacht des Abschieds, da stand er, ruhig, im Dunkeln,und ließ ihn über sich hinträufeln,diesen Regen

von süßen Worten, die nichts bedeuteten als Abschied, Abschied, Abschied. Wenn man darüber sprach, war es schon verloren.Der Gott der Liebe hatte eine blutbefleckte Stirn. Er wußte nichts von Worten.

»Du mußt jetzt gehen, Joan.«

Sie stand auf. »Ich will hierbleiben. Laß mich hierbleiben. Nur eine Nacht.«

Er schüttelte den Kopf. »Wofür hältst du mich? Ich bin kein Automat.«

Sie lehnte sich an ihn. Er fühlte, daß sie zitterte. »Es ist mir gleich. Laß mich hierbleiben.«

Er schob sie behutsam von sich. »Du solltest nicht gerade mit mir anfangen, den anderen zu betrügen. Er wird noch genug zu leiden haben.«

»Ich kann jetzt nicht allein nach Hause gehen.« »Du brauchst nicht lange allein zu bleiben.«

»Doch,ich bin allein.Schon seit Tagen.Er ist fort.Nicht in Paris.«

»So …«, erwiderte Ravic ruhig. Er sah sie an. »Immerhin, du bist wenigstens o en. Man weiß, woran man mit dir ist.«

»Ich bin nicht deshalb gekommen.« »Natürlich nicht.«

»Ich hätte es ja auch nicht zu sagen brauchen.« »Richtig.«

»Ravic, ich will nicht allein nach Hause gehen.« »Dann werde ich dich nach Hause bringen.«

Sie trat langsam einen Schritt zurück. »Du liebst mich nicht mehr …«, sagte sie leise und fast drohend.

»Bist du gekommen, um das zu erfahren?«

»Ja – das auch. Nicht allein – aber auch deshalb.« »Mein Gott,Joan«,sagte Ravic ungeduldig,»dann hast du

soeben eines der o ensten Liebesbekenntnisse gehört.« Sie antwortete nicht. Sie sah ihn an. »Glaubst du, daß

ich mir sonst etwas daraus machen würde, dich hierzubehalten, ganz gleich, mit wem du lebst?« sagte er.

Sie begann langsam zu lächeln.Es war kein eigentliches Lächeln – es war wie ein Schein von innen heraus, als hätte jemand in ihr eine Lampe angezündet und der Glanz stiege langsam höher bis in die Augen. »Danke, Ravic«, sagte sie.Und nach einerWeile vorsichtig,ihn immer noch ansehend: »Du wirst mich nicht verlassen?«

»Wozu fragst du das?«

»Du wirst warten? Du wirst mich nicht verlassen?« »Ich glaube, da ist nicht viel Gefahr. Nach den Erfah-

rungen mit dir.«

»Danke.« Sie war verändert.Wie schnell sich das tröstet, dachte er.Aber warum sollte sie nicht? Sie glaubt, erreicht zu haben, was sie wollte, auch ohne hierzubleiben. Sie küßte ihn. »Ich wußte, daß du so sein würdest, Ravic. Du mußtest so sein. Ich gehe jetzt. Bring mich nicht nach Hause. Ich kann jetzt allein gehen.«

Sie stand an der Tür. »Komm nicht wieder«, sagte er. »Und bedenke nichts. Du gehst nicht unter.«

»Nein. Gute Nacht, Ravic.« »Gute Nacht, Joan.«

Er ging zur Wand und machte Licht. Du mußt so sein, er schüttelte sich leicht. Aus Lehm und Gold sind Sie gemacht, dachte er. Aus Lüge und Erschütterung. Aus Schwindel und schamloser Wahrheit. Er setzte sich ans Fenster.Von unten kam immer noch das leise, monotone Klagen.Eine Frau,die ihren Mann betrogen hatte und ihn bejammerte, weil er tot war.Vielleicht aber auch nur, weil ihre Religion es so vorschrieb. Ravic wunderte sich, daß er nicht unglücklicher war.

23 »Ich bin zurück, Ravic, ja«, sagte Kate Hegström. Sie saß in ihrem Zimmer im Hotel Lancaster. Sie war schmaler geworden.Das Fleisch unter der Haut schien eingesunken, als wäre es von feinen Instrumenten von innen heraus ausgehöhlt worden.Die Linien traten mehr hervor;

und die Haut war wie Seide, die leicht reißen konnte. »Ich glaubte Sie noch in Florenz – oder in Cannes – oder

schon in Amerika«, sagte Ravic.

»Ich war die ganze Zeit in Florenz. In Fiesole. Bis ich es nicht mehr aushalten konnte. Erinnern Sie sich noch, wie ich Sie überreden wollte, mitzukommen? Bücher, ein Feuer, Abende, Frieden? Die Bücher waren da – das Feuer im Kamin auch –, aber Friede? Ravic, selbst die Stadt des Franziskus von Assisi ist laut geworden. Laut und unruhig, wie alles drüben. Da, wo er den Vögeln von der Liebe gepredigt hat, ziehen jetzt Kolonnen in Uniformen umher und berauschen sich an Großtuerei, Worten und grundlosem Haß.«

»Das war doch schon immer so, Kate.«

»Nicht so.Vor ein paar Jahren war mein Hausverwalter noch ein freundlicher Mann in Manchesterhosen und Bastschuhen. Jetzt ist er ein Held in hohen Stiefeln, einem schwarzen Hemd, gespickt mit goldenen Dolchen, und hält Vorträge – das Mittelmeer müsse italienisch werden, England vernichtet und Nizza, Korsika und Savoyen zurück zu Italien. Ravic, diese liebenswürdige Nation, die

seit Ewigkeiten keinen Krieg gewonnen hat, ist verrückt geworden, seit man sie in Abessinien und Spanien hat gewinnen lassen. Freunde von mir, die vor drei Jahren noch vernünftig waren, glauben heute ernsthaft, daß sie England in drei Monaten besiegen können. Das Land kocht. Was ist nur los? Ich bin aus Wien geflohen vor der Brutalität brauner Hemden – ich habe jetzt Italien verlassen vor dem Wahnsinn schwarzer – anderswo soll es grüne geben; in Amerika natürlich silberne – ist die Erde in einem Hemdentaumel?«

»Scheinbar. Aber das wird sich wohl bald ändern. Die Einheitsfarbe wird rot werden.«

»Rot?«

»Ja, rot wie Blut.«

Kate Hegström sah hinunter in den Hof. Das späte Nachmittagslicht filterte dort sanft und grün durch das Laub der Kastanien. »Man kann das nicht glauben«, sagte sie. »Zwei Kriege in zwanzig Jahren – das ist zuviel. Wir sind noch zu müde vom ersten.«

»Nur die Sieger. Nicht die Besiegten. Siegen macht achtlos.«

»Ja, vielleicht.« Sie sah ihn an. »Da ist nicht mehr viel Zeit übrig, wie?«

»Nicht allzuviel mehr, fürchte ich.« »Glauben Sie, daß es genug für mich ist?«

»Warum nicht?« Ravic blickte auf. Sie wich seinen Augen nicht aus. »Haben Sie Fiola gesehen?« fragte er.

»Ja, ein-, zweimal. Er war einer der wenigen, die nicht angesteckt waren von der schwarzen Pest.«

Ravic antwortete nicht. Er wartete.

Kate Hegström nahm eine Kette Perlen vom Tisch und ließ sie durch ihre Hände gleiten.Sie wirkten zwischen den langen, schmalen Fingern wie ein kostbarer Rosenkranz. »Ich komme mir vor wie der Ewige Jude«, sagte sie, »auf der Suche nach Frieden.Aber es scheint, ich habe zur falschen Zeit angefangen. Er ist nirgendwo mehr. Nur hier noch – hier ist noch ein Rest.«

Ravic blickte auf die Perlen.Formlose,graue Mollusken hatten sie gebildet, gereizt durch einen Fremdkörper, ein Sandkorn zwischen ihren Schalen.Aus zufälliger Irritation war so sanft schimmernde Schönheit geworden. Man sollte sich das merken, dachte er. »Sie wollen doch nach Amerika fahren, Kate«, sagte er. »Wer Europa verlassen kann, soll es tun. Für alles andere ist es schon zu spät.«

»Wollen Sie mich fortschicken?«

»Nein. Aber sagten Sie nicht das letztemal, Sie wollten Ihre Sachen regeln und nach Amerika zurückgehen?«

»Ja. Aber jetzt will ich es nicht mehr. Noch nicht. Ich will noch hier bleiben.«

»Paris ist heiß und unangenehm im Sommer.«

Sie legte die Perlen beiseite. »Nicht, wenn es der letzte Sommer ist, Ravic.«

»Der letzte?«

»Ja. Der letzte, bevor ich zurückfahre.«

Ravic schwieg. Was weiß Sie? dachte er. Was hat Fiola ihr gesagt?

»Was macht die Scheherazade?« fragte sie.

»Ich war lange nicht da. Morosow sagte, sie sei jeden Abend überfüllt. Wie alle anderen Nachtklubs auch.«

»Im Sommer?«

»Ja, im Sommer, wo die meisten Häuser geschlossen waren. Wundert Sie das?«

»Nein. Jeder will noch mitnehmen, was er kann, bevor das Ende kommt.«

»Ja«, sagte Ravic.

»Werden Sie mich einmal mit hinnehmen?« »Natürlich, Kate. Immer, wenn Sie wollen. Ich dachte,

Sie wollten nicht mehr hingehen.«

»Das dachte ich auch.Ich habe meine Meinung gewechselt. Ich will auch noch mitnehmen, was ich kann.«

Er sah sie wieder an. »Gut, Kate«, sagte er dann. »Wann immer Sie wollen.«

Er stand auf. Sie ging mit ihm zur Tür. Sie lehnte in der Türö nung, schmal, mit der trockenen, seidenen Haut, die aussah, als werde sie rascheln, wenn man sie berührte. Die Augen waren sehr klar und größer als früher. Sie gab ihm die Hand. Sie war heiß und trocken. »Warum haben Sie mir nicht gesagt, was mir fehlt?« fragte sie leichthin, als frage sie nach dem Wetter.

Er starrte sie an und antwortete nicht.

»Ich hätte es ausgehalten«, sagte sie, und etwas wie der

Widerschein eines ironischen Lächelns ohne jeden Vorwurf huschte über ihr Gesicht. »Adieu, Ravic.«

Der Mann ohne Magen war tot. Er hatte drei Tage lang gestöhnt,und Morphium hatte wenig mehr genützt.Ravic undVeber hatten gewußt,daß er sterben würde.Sie hätten ihm diese drei Tage ersparen können. Sie hatten es nicht getan, weil es eine Religion gab, die die Liebe zum Nächsten predigte und verbot, ihm seine Qualen zu verkürzen. Und es gab ein Gesetz, das sie schützte.

»Haben Sie den Verwandten telegrafiert?« fragte Ravic.

»Er hat keine«, sagte Veber.

»Oder irgendwelchen Angehörigen?« »Er hat niemand.« – »Niemand?«

»Niemand.Die Concierge seiner Wohnung war hier. Er bekam nie Briefe – abgesehen von Warenhauskatalogen und Traktaten gegen die Trunksucht, Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten und so was. Er hatte nie Besucher. Die Operation und vier Wochen Klinik hat er vorausbezahlt. Zwei Wochen zuviel. Die Concierge behauptet, er habe ihr alles versprochen, was er besitze, weil sie für ihn gesorgt habe. Sie wollte das Geld für die zwei Wochen unbedingt zurückhaben. Sie sei wie eine Mutter gewesen. Sie hätten die Mutter sehen müssen.Sagte,sie hätte allerlei Ausgaben für ihn gehabt. Die Wohnungsmiete für ihn ausgelegt.Ich sagte ihr,er habe hier vorausbezahlt; es gäbe

keinen Grund, warum er das mit seiner Wohnung nicht auch gemacht hätte. Im übrigen sei das alles eine Sache der Polizei. Darauf verfluchte sie mich.«

»Geld«, sagte Ravic. »Wie erfinderisch das macht.« Veber lachte. »Wir werden die Behörden benachrich-

tigen. Die können sich darum kümmern. Auch um das Begräbnis.«

Ravic warf noch einen Blick auf den Mann ohne Verwandte und ohne Magen. Er lag da, und sein Gesicht veränderte sich in dieser Stunde, wie es sich nie in den fünfunddreißig Jahren seines Lebens verändert hatte.Aus dem erstarrten Krampf des letztenAtemzuges wuchs langsam das strenge Antlitz des Todes hervor. Das Zufällige zerschmolz, die Zeichen des Sterbens verwischten sich, und abwesend, schweigend, formte sich aus dem schiefen Durchschnittsgesicht die ewige Maske. In einer Stunde würde sie allein noch da sein.

Ravic ging. Im Korridor traf er die Nachtschwester. Sie war gerade gekommen. »Der Herr in zwölf ist tot«, sagte er.»Er ist vor einer halben Stunde gestorben.Sie brauchen nicht mehr zu wachen.« Und als er ihr Gesicht sah: »Hat er Ihnen etwas hinterlassen?«

Sie zögerte. »Nein. Er war ein sehr kühler Herr. Und in den letzten Tagen sprach er fast nicht mehr.«

»Nein, das tat er nicht.«

Die Schwester blickte Ravic hausfraulich an. »Er hatte ein wunderschönes Toiletten-Necessaire; alles Silber.

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