- •Vorlesung I: Lexikologie: Gegenstand und Forschungsaufgaben
- •Vorlesung II: Die deutsche Sprache als System lexikalischer Einheiten
- •Synonymie (im engeren Sinne)
- •Bedeutungsüberordnung und -Unterordnung (Hyperonymie und Hyponymie)
- •Bedeutungsgegensatz/Antonymie
- •Vorlesung III: Die etymologische Struktur des Wortes
- •Ursachen der Entlehnung
- •Vorlesung IV: Wortbildung
- •Vorlesung V. Regionale Abarten des Deutschen
- •Besonderheiten des Deutschen in Österreich
- •Die deutsche Sprache in der Schweiz
- •Wege der Übernahme
- •Etymologische Zusammensetzung des deutschen Wortbestandes. Anteil der Fremdwörter am deutschen Lexikon
- •Sozialhistorische (sprachliche) Quellen und linguistische Ursachen der Entlehnung Sozialhistorische Quellen
- •Linguistische Ursachen der Entlehnung
- •Die Klassifikationen des entlehnten Wortgutes
- •Die Arten des Bedeutungswandels
Vorlesung III: Die etymologische Struktur des Wortes
1. Begriff des Grundwortschatzes
2. Wörter indogermanischen Ursprungs
3. Ursachen der Entlehnung
4. Entlehnungen aus anderen Sprachen
Oft hören wir als Antwort auf die Frage, woher jemand den wunderbaren alten Zinnkrug im Schrank habe oder das herrlich wuchtige Schneider-Böck-Bügeleisen oder die tolle Petroleumlampe: „Das habe ich geerbt.“ Oder: „Das ist ein Erbstück.“ Steht aber in der Wohnung ein Stereoturm, ein Videorecorder oder ein Heimcomputer, dann wissen wir, dass diese Sachen noch nicht alt sein können und aus neuerer Zeit stammen müssen.
So etwas Ähnliches können wir auch bei den Wörtern unserer Sprache feststellen. Da gibt es ebenfalls „Erbstücke“ und „Funkelnagelneues“, altes, von Generation zu Generation weitervererbtes Wortgut und neu gebildete und aus anderen Sprachen übernommene Wörter.
Viele Wörter im Deutschen, Englischen und in den skandinavischen Sprachen stammen aus der gemeinsamen germanischen Urzeit. Auch in der längst ausgestorbenen Sprache der Goten finden wir sie wieder, zum Beispiel deutsch Winter, englisch winter, schwedisch vinter, gotisch wintrus oder deutsch Schiff, englisch ship, schwedisch skepp, gotisch skip.
Eine große Zahl von Wörtern hat das Deutsche aber nicht nur mit den germanischen Sprachen gemeinsam. Wir finden diese Wörter auch in anderen Sprachen wieder, zum Beispiel deutsch neu, neugriechisch neos, russisch novy, lateinisch novus; deutsch drei, neugriechisch treis, russisch tri, lateinisch tres. Die Ähnlichkeit dieser Wörter geht darauf zurück, dass die germanischen Sprachen, das Lateinische, das Griechische und die slawischen Sprachen zu einer großen Sprachenfamilie gehören. Sie haben sich aus einer Sprache entwickelt, die man das Indogermanische oder die indogermanische Ursprache nennt.
Wörter, die das Deutsche aus dem Germanischen und Indogermanischen „geerbt“ hat, nennen wir Erbwörter. Neben diesen „Ureinwohnern“ in unserer Sprache gibt es eine große Zahl von Gästen aus dem Sprachausland. Wir nennen sie Lehnwörter, wenn sie sich stark oder ganz der deutschen Sprache angepasst haben. Wenn sie ihre fremde Gestalt beibehalten haben und in Betonung und Aussprache von deutschen Wörtern abweichen, bezeichnen wir sie als Fremdwörter.
Die Entlehnung der Lexik aus einer Sprache in die andere gehört zu den gesetzmäßigen Folgen der sprachlichen Kontakte auf ökonomischem, politischem, kulturellem, wissenschaftlichem und sportlichem Gebiet, die es in der Entwicklungsgeschichte einer jeden Sprache gibt.
Unter dem Terminus Entlehnung versteht man sowohl den Entlehnungsvorgang, d.h. die Übernahme fremden Sprachgutes, als auch das Resultat dieses Prozesses - das entlehnte fremde Sprachgut selbst. In der lexikologischen Forschung sind entlehnte Lexeme und feste Wortkomplexe Objekte der Analyse.
Von den vielen Aspekten, die eine moderne Forschung zu diesem Fragenkomplex voraussetzt, ist aus der synchronen Sicht vor allem das Problem zu untersuchen, wie bedeutend der Beitrag des entlehnten Sprachgutes im lexikalisch-semantischen System ist und wie die entlehnte Lexik und Phraseologie in der sprachlichen Kommunikation fungiert. Da die Entlehnung fester Wortkomplexe im Vergleich zu Lexemen zahlenmäßig nicht sehr bedeutend ist, sprechen wir weiter im Grunde von lexikalischen Entlehnungen.
Nach der Art der Entlehnung sind zu unterscheiden: 1. Sach- und Wortentlehnung; 2. Wortentlehnung.
Im ersten Fall, d.h. bei der Sach- und Wortentlehnung, werden fremde Formative übernommen, deren Sachverhalte in der betreffenden Sprache neu oder unbekannt sind. Das Ergebnis einer solchen Entlehnung sind z.B. im Deutschen genetisch lateinische Wörter, die von den germanischen Stämmen bei ihrer ersten Berührung mit den Römern übernommen wurden:
Mauer (mūrus), Ziegel (tegula), Kalk (calx), Pforte (porta), Fenster (fenestra), Keller (cellarium) u. v. a. m.
Oder Sach- und Wortentlehnungen aus der amerikanischen Variante der englischen Sprache nach 1945: Motel - Hotel an großen Autostraßen, das besonders für die Unterbringung von motorisierten Reisenden bestimmt ist, Camping - das Leben im Freien (auf Campingplätzen), im Zelt oder Wohnwagen während der Ferien oder am Wochenende.
Bei Wortentlehnungen werden fremde Formative übernommen, deren Sachverhalte in der entlehnenden Sprache bereits durch eigene Wörter ausgedrückt sind. Es handelt sich hier also primär um die Übernahme von Dubletten:
Pläsier (aus dem Franz., 16. Jh.) für „Vergnügen, Spaß“; Charme, Scharm (aus dem Franz., 18. Jh.) für „Anmut“, „Liebreiz“, „Zauber“ ; Apartment (aus dem Engl. u. Amerik. nach 1945) für „Kleinwohnung“; Swimmingpool (aus dem Engl. u. Amerik. nach 1945) für „luxuriös ausgestattetes Schwimmbad“.
Nach der Entlehnungsform sind zu unterscheiden:
1. Fremdwortübernahme. Bei dieser Entlehnung werden fremde Formative in die entlehnende Sprache übernommen. Das Ergebnis sind Fremdwörter vom Typ: Bungalow - einstöckiges (Sommer)haus, Designer - Formgestalter für Gebrauchsgüter. Der parallele Terminus dafür ist formale Entlehnung.
2. Lehnprägung. Dieser Entlehnungsvorgang besteht in der Nachbildung des fremden Inhalts mit Mitteln der eigenen Sprache. Bei genauer Analyse kann man hier einige Unterarten unterscheiden81, von denen vor allem zu nennen sind: Lehnübersetzung, Lehnübertragung und Lehnbedeutung.
Bei der Lehnübersetzung (russ. калüкирование) handelt es sich um eine Nachbildung der Morphemstruktur von Fremdwörtern oder fremden Wortgruppen: Wandzeitung (russ. стенгазета), Held der Arbeit (russ. Герой Соöиалистического труäа).
Lehnübertragung ist eine freiere Wiedergabe der Morphemstruktur der entlehnten Wörter: patria - Vaterland, longplaying — Langspielplatte.
Lehnbedeutung ist die Zuordnung einer fremden Bedeutung zu einem deutschen Formativ. Eine Lehnbedeutung aus dem Russischen war „Arbeitskollektiv“ in der semantischen Struktur des Wortes Brigade; — „Mitglied einer Pionierorganisation“ in der semantischen Struktur von Pionier.
Von diesen Formen der Übernahme sind die Bezeichnungsexotismen zu unterscheiden. Sie werden zur Benennung fremder Gegebenheiten, Einrichtungen genutzt: Kopeke, Dollar, Cent, Wallstreet, Prawda, Kreml.