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Albrecht Dürer

1471 – 1528

Das Genie der deutschen Renaissance

Meine Lust trug mich mehr zu der Malerei“

Am l. April 1988 betritt ein unscheinbarer Besucher den Dürer-Raum der Alten Pinakothek in München. Ohne zu zögern spritzt er Schwefelsäure auf drei Bilder. Sie frisst sich in die Farbschicht der Glimschen Beweinung, des Paumgartner-Altars und der Maria als Schmerzensmutter. Scheinbar unrettbar hat der psychisch Gestörte die Gemälde ruiniert. Der Schaden wird später mit rund 35 Millionen Euro beziffert. Die Tafeln sind jetzt so weit retuschiert, dass man nur bei genauem Hinsehen den Substanzverlust erkennt.

Warum beginnt ein Buch über Albrecht Dürer mit einer Katastrophenmeldung? Weil, so paradox es klingen mag, selbst ein solch schlimmer Vorgang demonstriert, dass der berühmteste deutsche Maler aller Zeiten ins Pantheon der Kunstgeschichte gehört. Anschläge in Museen pflegen nur Werke weltberühmter Künstler zu treffen - vor Dürer hatte sich dieser Attentäter ein Paul-Klee-Gemälde in der Hamburger Kunsthalle und drei Rembrandt-Bilder in Kassel zum Ziel genommen.

Eine wahrlich angemessene Gesellschaft, in der sich Albrecht Dürer hier befindet. Er, den kürzlich das British Museum in London als "ersten wahrhaft internationalen Künstler" bezeichnete! Die Deutschen überschreiben die Epoche um 1500 als "Dürerzeit" und erheben so den Namen eines Malers zum Synonym für eine glänzende Ära.

Zweifellos war Dürer ein Meister der Superlative, der auf unvergleichliche Weise einen Bogen vom Mittelalter zur Renaissance schlug. Als erster deutscher Künstler verfasste er autobiografische Schriften; als Erster hat er der Gattung des Selbstporträts Autonomie verliehen; schon früh hob er Aquarell und Druckgrafik auf ein künstlerisch und technisch überragendes Niveau; als Erster in Deutschland hat er Akte nach lebenden Modellen gezeichnet; als Erster hat er sein Schaffen in Traktaten zur Kunsttheorie untermauert; nur Leonardo da Vinci ist ihm darin vergleichbar - doch Dürer hat seine Ergebnisse wesentlich stärker systematisiert als dieser.

Dürers grandioses Œuvre umfasst mehr als 1100 Zeichnungen, 34 Aquarelle, 108 Kupferstiche und Radierungen, ca. 246 Holzschnitte und 188 Gemälde. Noch heute wird dieses gewaltige Konvolut durch Entdeckungen bereichert: Am 8. Juni 2005 erschien in der Presse die Nachricht, dass ein großes, mit der Gesetzesübergabe an Moses bemaltes Fenster in St. Jakob zu Straubing auf einen Entwurf Dürers zurückgeht.

Schon der Dreizehnjährige hatte Neuland betreten. Mit der Silberstiftzeichnung von 1484 schuf er nämlich die erste wahrhaft frühreife Kinderzeichnung der Kunstgeschichte und zugleich, wenn nicht die Inkunabel, so doch das früheste gesicherte Selbstbildnis eines europäischen Malers, das erhalten ist. Dass der jugendliche Zeichner noch unsicher war, verraten einige zu groß ausgefallene Konturen oder die Stelle, wo sich die Haare mit den Troddeln der Mütze fast ununterscheidbar decken. Viel ist in die Geste der Zeigehand hineingeheimnisst worden. Wahrscheinlich ist sie ganz einfach damit zu erklären, dass der Junge ein Muster aus dem Fundus religiöser Malerei wählte: den ausgestreckten Finger eines Propheten oder des auf den Gekreuzigten deutenden Johannes.

Mit dieser Zeichnung beginnt die Serie faszinierender Porträts, die Dürer von sich und von Familienmitgliedern fertigte. Dazu zählen die Tafeln mit Vater und Mutter von 1490, beide in der Art eines Diptychons einander zugekehrt - das Porträt der Mutter noch spätmittelalterlich konventionell, weshalb man lange an der Autorschaft Dürers zweifelte. Das sieben Jahre später vollendete Londoner Porträt des Vaters zeigt demgegenüber immense Fortschritte: Einem mächtigen Sockel gleich baut sich der Oberkörper auf, Physiognomie und Psychologie des blassen Gesichts sind auf feinste Weise charakterisiert. In der Familienchronik, die Dürer 1524 verfasste, stellte er das Leben des Vaters unter das Motto großer Mühe und schwerer Arbeit. All das zeichnet sich in diesem Bildnis ab, freilich auch das gesellschaftliche Ansehen Dürers des Älteren.

Mit der Studie der dreiundsechzigjährigen Mutter gelang dem Sohn die ergreifendste Porträtzeichnung der europäischen Kunstgeschichte. Entstanden ist sie am 19. März 1514, wenige Wochen vor dem Tod Barbara Dürers. 18 Kinder hatte sie geboren, bis auf drei starben ihr alle weg. Harte Arbeit und schwere Krankheiten zehrten ihren Körper aus. Dürer erfasst die bereits todkranke Frau in schonungsloser Drastik, und damit erhebt er ihre ausgemergelte Gestalt zum vergeistigten Gespinst der Vergänglichkeit. Als die Dahinsiechende endlich von ihrem Leiden erlöst war, hat der Sohn in erschütternder Semantik die Inschrift des Blattes um das exakte Todesdatum komplettiert. Er ging dieser vom Leben zerfurchten Gesichtslandschaft mit dem Kohlestift nach. An vielen Stellen scheint sich das Schwarz in bröselige Strukturen aufzulösen, er gibt dadurch der "Verwitterung" der dargestellten alten Frau sympathetischen Ausdruck.

In der „malerischen" Konsistenz unterscheidet sich das Kohleporträt der Mutter radikal von der linearen Präzision der Silberstiftzeichnung des Dreizehnjährigen. Letztere darf als Echo auf jene metallische Exaktheit verstanden werden, die zum Ausbildungsprogramm des Lehrjungen Dürer gehört hatte. Blicken wir zurück.

Dürers Vorfahren stammten aus Ungarn. Nahe beim Städtchen Gyula lag das Heimatdorf Ajtos, von dem sich der Familienname herleitet. Ungarisch ajto bedeutet "Tür". "Dürer" ist also "der aus Ajtos Gebürtige". Darauf verweist auch das Familienwappen. Der Großvater Anthoni verweigerte sich dem in der Familie eingebürgerten Beruf des Pferde- und Rinderzüchters und wurde Goldschmied in Gyula. Später nahm er seinen Sohn Albrecht (den Vater Dürers, 1427-1502) in die Lehre.

Waren die mit der Tür im Wappen also Ungarn? Möglich. Ebenso gut möglich aber auch, dass sie vor Zeiten aus Deutschland nach Ungarn ausgewandert waren. Angesichts der kulturellen Situation Ungarns, die sich keineswegs in Puszta-Leben erschöpfte, scheint die Diskussion um die nationale Identität der Familie indes ziemlich müßig. Das Land war im 15. Jahrhundert ein Vielvölkerstaat. Außer den Ungarn selbst betrachteten andere Volksgruppen "Hungaria" als ihre Heimat: Kroaten und Deutsche, Slowaken und Rumänen. Zahlreiche Handwerker, Künstler und Gelehrte aus Böhmen, Polen, dem Reich, Italien waren hierher geströmt, bot doch der Königshof des Matthias Corvinus (1443 - 1490) in Ofen, boten aber auch kommunale Subzentren glänzende Karrieremöglichkeiten. Das spätmittelalterliche Europa war kosmopolitisch eingestellt, lebhafte Fluktuation in den ökonomisch und produktionstechnisch tonangebenden Bevölkerungsschichten war nichts Ungewöhnliches.

Dürer d. Ä. war als Siebzehnjähriger aus Ungarn nach Nürnberg gezogen, wo er sich anscheinend noch bessere Berufschancen ausrechnete. Das Schriftstück, das 1444 seine Anwesenheit in der Freien Reichsstadt notiert, vermeldet außerdem, er habe vorher längere Zeit in den Niederlanden sein Handwerk vervollkommnet. Sein gesellschaftlicher Aufstieg verläuft kontinuierlich. Er erhält in Nürnberg das Bürgerrecht und ein Jahr später, am 7. Juli 1468, das Meisterrecht. Das setzte die Eheschließung voraus. Die Gattin war gut gewählt: Auch Barbara Dürer (1452-1514), eine geborene Holper, entstammte einer Goldschmiedefamilie.

1475 kaufte Dürers Vater am Fuß der Nürnberger Burg, also in bester Wohnlage, ein Haus. Anfang 1486 mietete er zusätzlich ein Geschäft am Rathaus. Möglich, dass er hier auch 1489 seinen ersten kaiserlichen Auftrag entgegennahm. Drei Jahre später ist er in Linz bei Friedrich III. und überreicht die bestellten Trinkgefäße. Stolz schreibt er seiner Frau vom Lob des Regenten.

Als drittes Kind kam der nach dem Vater benannte Albrecht am 21. Mai 1471 zur Welt. Wahrscheinlich schickten die Eltern den Sohn auf eine einfache Schreib- und Rechenmeisterschule. Um 1484/85 holte der Vater den etwa Dreizehnjährigen als Lehrling in seine Goldschmiedewerkstatt. Die konzentrierte Detailgenauigkeit, die Präzision der in Metall gravierten Form, die Albrecht hier lernte und die in der besprochenen Silberstiftzeichnung zum Ausdruck kommt, sollte in der unvergleichlichen Artistik seiner späteren Grafik, insbesondere der Kupferstiche, Triumphe feiern. Zunächst wird der Vater stolz gewesen sein auf sein Wunderkind im Atelier. Aber wie reagierte er, als der Sohn die Goldschmiedelehre abbrach? „Meine Lust trug mich mehr zur Malerei", erinnert sich der längst Arrivierte im lapidaren Rückblick. Der Pate Anton Koberger mag den Jungen zu seiner Entscheidung ermuntert haben.

Koberger, ursprünglich ebenfalls Goldschmied, betrieb in Nürnberg die größte und modernste Buchdruckerei Europas, mit Niederlassungen in Basel, Krakau, Lyon, Paris, Straßburg, Venedig und Wien. Zusätzlich engagierte er sich im Verlagsgeschäft und initiierte Holzschnittaufträge für internationale Buchprojekte. An seinen angeblich 24 Druckerpressen arbeiteten am Ende des Jahrhunderts rund 100 Gesellen.

Nachdem die Würfel für den Malerberuf gefallen waren, schickte Dürer senior - wenn schon, denn schon -1486 den Sohn ins renommierteste und geschäftstüchtigste Nürnberger Atelier, in das von Michael Wolgemut (1433/34 oder 1437-1519). Die Werkstatt war ein Großunternehmen. Das Repertoire umfasste nahezu alle Techniken - Buchholzschnitt, Entwürfe für Kunstgewerbe und Glasmalerei; neben der dominierenden Altarkunst auch Porträts und weltliche Themen. Stilistisch herrschte dort eine fränkische Variante der großen niederländischen Kunst - handwerklich gediegen, nicht uninspiriert, ein schlichter Naturalismus auf durchschnittlichem Niveau.

Dem Herkommen entsprechend begab sich der angehende Maler und Grafiker auf Wanderschaft. Im April 1490 brach Dürer auf. Über die Reiseroute lässt sich nur spekulieren. Vermutlich ging es zunächst nach Frankfurt am Main, der großen Messestadt. Auch Mainz, die Geburtsstätte des modernen Buchdrucks, konnte Dürer besucht haben. Jedenfalls lassen sich in seiner späteren Grafik Einflüsse verschiedener mittelrheinischer Meister nachweisen.

Gesichert ist allerdings das tatsächliche Reiseziel: Colmar im Elsass, wo der berühmte Martin Schongauer (um 1450-1491) lebte, der der Kunst der alten Niederländer so viel abgeschaut hatte. Als Dürer 1492 ankam, war der Meister kurz zuvor verstorben. Deshalb ging es weiter nach Basel. In der Druckerstadt zog man den Gesellen sofort für anspruchsvolle Holzschnittaufträge heran: Unter anderem steuerte er zahlreiche - künstlerisch noch nicht überzeugende -Illustrationen für den literarischen Bestseller des Sebastian Brant bei, das Narrenschiff, 1494 in Basel gedruckt.

Im Mai 1494 war Dürer zurück in Nürnberg. Der Vater hatte ihm mittlerweile eine Braut ausgesucht. Am 7. Juli heiratete er die neunzehnjährige Agnes Frey (1475-1539). Ihr Vater Hans Frey war Kunstschmied und Mechaniker. Die Schwiegermutter Anna Rummel gehörte zu den ratsfähigen Geschlechtern Nürnbergs, Dürer hatte also ins Patriziat eingeheiratet. Derartige Vorteile scheinen der Hauptgrund für die Ehe gewesen zu sein. Eine Liebesheirat war es wohl nicht, denn Dürer brach bereits wenige Wochen später zu einer neuen Reise auf. Damit flüchtete er zudem vor der Pest, die 1494 in Nürnberg ausbrach. Diesmal lockte ihn Italien. Deshalb darf man Erwin Panofsky folgen, der Dürers erste Italienreise, das Urbild aller deutschen Künstlerfahrten in den Süden, als den "Beginn der Renaissance in den nördlichen Ländern" einstufte.

Etliche kleine Gemälde dürften in Venedig entstanden sein. Unter ihnen das Täfelchen mit dem büßenden Hieronymus, bei dem nicht zuletzt die Rückseite mit der Wiedergabe einer ungewöhnlichen Himmelserscheinung überrascht; ferner die Madonna mit dem Kind vor einem Torbogen. Das im späteren 20. Jahrhundert aufgetauchte Gemälde kam aus einem Nonnenkloster in der Nähe Ravennas und hat Italien nie verlassen: Vor allem das Jesuskind entspricht italienischen Vorbildern. Allen voran waren es die vor einem Vorhang oder einem Landschaftsausblick platzierten Mariengestalten des allseits bewunderten Venezianers Giovanni Bellini (um 1430-1516), die Dürer faszinierten. Eine neue Sensibilität für Farbsymphonie und malerisches Inkarnat muss den von der trockenen Manier eines Wolgemut beeinflussten Nürnberger angesichts solcher Werke durchdrungen haben. Bald reagierte Dürer mit der Haller-Madonna und einigen anderen Bildern kongenial.

Bellinis Schwager hieß Andrea Mantegna (1431-1506). Dessen bildhauerisch aufgefasste Akte hatte Dürer auf Kupferstichen schon in Nürnberg vor Augen. In Venedig wird er mehr von seiner Kunst gesehen haben, die ihn bald dazu anleitete, in Kupferstichen Natur und antikisch inszenierte Kunstform auf einen Nenner zu bringen.

Vor allem aber fand Dürer damals in der Aquarelltechnik - kombiniert mit Deckfarben - zu einer derart spontanen Kühnheit, dass sich mancher moderne Kunsthistoriker zu Vergleichen mit dem Pleinair des Impressionismus, mit Cezanne oder mit asiatischer Tuschemalerei herausgefordert fühlte: Zumal sich ja auch eines der Aquarelle einem jungen Malerkollegen widmet, der seine unmittelbar vor der Gebirgslandschaft gewonnenen Seherlebnisse dem Skizzenbuch anvertraut. Ein nach wie vor offenes Problem ist die Chronologie der Dürerschen Landschaftsaquarelle. Einige, so glaubt man, entstanden noch vor der ersten Italienfahrt, darunter die bekannte Drahtziehmühle im Berliner Kupferstichkabinett. Die zweite Gruppe sei auf der Reise zwischen September 1494 und Februar oder März 1495 gemalt worden - ob auf dem Hin- oder auf dem Rückweg, das heißt inspiriert von der italienischen Kunst oder nicht - ist im Einzelnen umstritten. Erschwerend kommt hinzu, dass Dürer auch auf der zweiten Venedigreise aquarelliert haben wird, vermutlich unter anderem die Weidenmühle, die ein Teil der Forschung allerdings früher datiert. Dieser Meilenstein in der Geschichte des Landschaftsaquarells steigert die Phänomenalität des Lichts, dessen Farbreflexe, die Wasserspiegelungen, zu noch nie da gewesener atmosphärischer Konsistenz. Die Farbenpracht entspricht jenem Kolorismus, den Dürer von 1506 bis 1511 unter dem Eindruck venezianischer Vorbilder entfaltete.

Doch auch die Aquarelle, die Dürer von der ersten Italienreise mitbrachte, zählen zum Schönsten, das diese Gattung hinterlassen hat. Niemand vorher war mit Wasserfarbe so frei und doch treffsicher umgegangen. Die Motive „schwimmen" geradezu auf dem Papier, vergessen alle spätmittelalterliche Konvention, die danach strebte, die Bildfläche kompositorisch in jeden Winkel hinein auszufüllen. Dürer, so hat es den Anschein, kostete bewusst die Transitorik des Seheindrucks aus, gab sich einer von augenblicklicher Immanenz geprägten Schönheit hin.

Über aller Begeisterung, die den modernen Betrachter angesichts der Aquarelle überwältigt, sind allerdings gewisse Einschränkungen nicht zu vergessen. Zweifellos liegen in ihnen Resultate eines neuen Blicks auf die Natur vor. Der war aber nicht, zumindest nicht immer, Selbstzweck, er war vielmehr Ausgangspunkt für Studien- und Vorlageblätter. Was so impressionistisch wirkt - man sehe nur die Baumgruppe mit Weg im Gebirge - fungierte als Untermalung, die Dürer in anderen Blättern schrittweise mit Details überdeckte. Dennoch: Allein das Konzept einer solchen Untermalung ist aus genialer Invention geboren!

Eine gründlich andere Aufgabe besaß jenes Aquarell, das 1525 mit wenigen Lavierungen eine apokalyptische Landschaft "hinschrieb". Der ausführliche Begleittext erläutert den Alptraum des Künstlers von sintflutartigen Regengüssen.

Als Dürer von seiner ersten Italienreise zurückkehrte, tauchte er wieder ein in ein überhitztes "Reizklima". Ulrich von Hutten (1488 - 1523), Ritter, Humanist und Dichter, begrüßte die Neuzeit um 1500 mit den Worten: "O saeculum - o Jahrhundert! Es ist eine Lust zu leben!" Gleichzeitig geisterten düstere Prophezeiungen durch die Lande, Vorzeichen in Gestalt von Kometen und Sonnenfinsternissen, Erdbeben und neuen Sintfluten, Seuchen und Missgeburten. Den einen schien der Antichrist in die Armeen der immer näher vor die Tore Wiens rückenden Türken gehüllt, den anderen in die Maske eifernder Weltverbesserer.

Dürer hat an Aufsehen erregenden Wunderzeichen stets reges Interesse gezeigt. Und er hat die mancherorts grassierende Endzeitstimmung unvergleichlich sublimiert: vor allem mit dem 1498 publizierten Holzschnittbuch zur Apokalypse des Johannes. Dieser Bildkommentar verhalf ihm zum Durchbruch zu internationalem Ruhm, es gelang ihm einer der anspruchsvollsten Bilderzyklen der abendländischen Kunst und wohl der bedeutendste in seinem eigenen Œuvre. Mit ihm erhielt das Medium des Holzschnitts eine inszenatorische Kraft, die die europäische Grafik bis dato nicht gekannt hatte.

Die Signatur des Genies

Die Heimatstadt, in die Dürer aus Italien zurückkehrte, gab sich allerdings recht unbeschwert von apokalyptischen Ängsten. Nürnberg war um 1500, in seiner goldenen Epoche, reich an Gütern und Menschen. Die Angaben der Demografen schwanken, plausibel ist eine Zahl von rund 45 000 Einwohnern. Im Heiligen Römischen Reich war lediglich Köln mit rund 60 000 Einwohnern größer. Nürnbergs Handelsbeziehungen überspannten Europa mit einem weiten Netz. Das Haus Pirckheimer belieferte bis 1492 die venezianische Münze mit Silber.

Die weltoffene Metropole regierte eine patrizische Oligarchie mit Hilfe des "Kleinen Rats". Dem war der "Große Rat" untergeordnet. Goldschmiede, Maler, Buchdrucker konnten gelegentlich dorthin aufrücken - so auch Dürer im Jahr 1509 -, ansonsten aber blieb den Künstlern und Luxushandwerkern politische Mitwirkung versagt. Zum Ausgleich hielt man sie von zunftinternen Zwängen frei - was ihnen zugute kam. Denn neben den Wissenschaften hatten die Künste Hochkonjunktur in Nürnberg.

Unter den Malern, Bildschnitzern und Erzgießern nahm Dürer eine "avantgardistische" Sonderstellung ein. Die Nürnberger Oberschicht, Humanisten wie Sebald Schreyer (1446-1520), Hartmann Schedel (1440-1514) und Conrad Celtis (1459-1508), vor allem aber der mit Dürer gleichaltrige und eng befreundete Patrizier Willibald Pirckheimer (1470-1530), wurden nicht müde, dies zu betonen. Letzterer war es vermutlich auch, der den frühen Porträtauftrag seitens des sächsischen Kurfürsten Friedrichs des Weisen (1463-1525) an Dürer vermittelte.

Im In- und Ausland bekannt wurde Dürer zunächst jedoch nicht durch Gemälde, sondern durch Kupferstiche und Holzschnitt-Editionen. Nicht umsonst taucht das Monogramm "AD" erstmals um 1495 in der Grafik auf, in dem Stich Die heilige Familie mit der Libelle. Das Markenzeichen firmierte von jetzt an europaweit als künstlerisches Gütesiegel, nicht zuletzt auf der Frankfurter Messe. Bald nach 1500 richtete Dürer eine Werkstatt in Nürnberg ein, in der sein Bruder Hans tätig war, ferner - als der bedeutendste Mitarbeiter - Hans Baldung Grien.

Zum Image des erfolgreichen Aufsteigers scheinen auch die beiden frühesten in Mischtechnik gemalten Selbstbildnisse Dürers zu passen. Im ersten, 1493 während der Gesellenwanderung entstanden, wahrscheinlich in Straßburg, hält der Zweiundzwanzigjährige in den sensiblen Händen eine Distelpflanze, ein Eryngium ("Männertreu"). Man hat das Gewächs als symbolischen Hinweis auf die bevorstehende Heirat Dürers deuten wollen. Die Interpretation schien eine Stütze darin zu finden, dass das Bildnis auf Pergament gemalt und deshalb problemlos zu rollen war: um es bequem nach Nürnberg zu schicken? Als Verlöbnisbild für Agnes und deren Eltern?

Dass mit dem Eryngium eher eine religiöse Dimension aufgerufen ist, legt die Bildinschrift nahe: "My sach die gat / Als es oben schtat" - meine Angelegenheiten nehmen den von oben, vom Himmel vorgezeichneten Gang. Das Eryngium begegnet zur selben Zeit im goldpunzierten Bildgrund des Karlsruher Schmerzensmanns. Möglicherweise war Dürer in Straßburg mit der Gruppierung der "Gottesfreunde" bekannt geworden, einer Laienbruderschaft, die zu einer am Leben und Leiden Christi ausgerichteten Mystik tendierte.

Um einiges repräsentativer als das Pariser gibt sich fünf Jahre später das Madrider Selbstbildnis, der erste ganz große Wurf Dürers in der Tafelmalerei. Grandios charakterisiert ist die Stofflichkeit der Handschuhe oder der lichtdurchflutete Fensterausblick auf ein Bergpanorama. Dürers Halbfigur erscheint im Festtagsgewand: weißes Hemd mit Goldborte, darüber ein weißes, tief nach unten ausgeschnittenes Wams mit langen, schwarzgestreiften Ärmeln, eine Farbkombination, der auch die eigenartige Kopfbedeckung entspricht; eine blau-weiße Kordel hält den braunen Mantel; schließlich noch das "Herrenattribut" der Lederhandschuhe. Dürer, so wird man folgern, dem in der Nürnberger Ständeordnung offiziell nur Handwerkerrang zukam, betont im gleichen Jahr, als er in die Herrentrinkstube, einen Patrizierclub, aufgenommen wurde, das exklusive Prestige eines Renaissancekünstlers.

In Dürers berühmtestem Selbstbildnis, dem aus dem Jahr 1500, tritt das Gesicht aus dunklem, gestaltlosem Grund hervor, mit einer rätselhaften Intensität, die an Leonardos Mona Lisa denken lässt. Auffällig die hohe Stirn, die Dürer nicht besaß, auffällig die "edle" Nase und die weit geöffneten Augen, deren unergründlicher Blick den Betrachter trifft; geschönt die Haarpracht der Locken (die seine Freunde so oft zu Spott provozierte), wie metallische Fäden gebündelt und gedreht, streng vertikal die Gesichtsfläche begrenzend - und ein Haarwirbel über der Stirn.

Das Distanzmoment absoluter Frontalität und idealisierter Gesichtssymmetrie erinnert sofort an das erhabene Schema alter Christusikonen. Kopf und Büstenausschnitt wirken eingefangen in einem Netz von Konstruktionslinien. Die moderne Forschung wollte - vergeblich - die verbindlichen Koordinaten, die ideale Synthese des Ganzen rekonstruieren. Manchem Interpreten galt die Christusähnlichkeit des Dürer-Antlitzes, diese Verschmelzung der unvollkommenen eigenen Natur mit der Vollkommenheit göttlicher Schönheit, als Hybris. Daher die Versuche, die Vermessenheit zu legitimieren - nicht zuletzt mit Hilfe des Fensterkreuzes, das sich im rechten Auge spiegelt und das Organ metaphorisch zum "Fenster" beziehungsweise "Spiegel" der Seele erhebt. Dies entspreche der neuplatonischen Auffassung einer humanitas, die sich vom Körperlichen zum transzendent Geistigen hinbewege; und es gehorche der an Laienchristen adressierten Lehre von der Imitatio Christi, der mystischen Nachfolge des Heilands, die sich auch in der Redensart bekunde, der Gläubige solle sein Leben lang Christi Kreuz im Auge haben.

Eine derartige Sinnkomponente muss man nicht außer Acht lassen, um doch eine andere, von der aktuellen Forschung favorisierte, in den Vordergrund zu rücken. Sie geht von der vierzeiligen Inschrift des Bildes aus: "Albertus Durerus Noricus ipsum me propriis sic effingebam coloribus aetatis anno XXVIII" ("Albrecht Dürer aus Nürnberg, ich habe so im Alter von 28 Jahren mein Bildnis in den mich kennzeichnenden Farben geschaffen"). Und sie erinnert an Christoph Scheurl, der 1508 Dürer mit Apelles verglich, dem berühmtesten Maler des Altertums. Dürer habe das Bildnis, dem Beispiel der Marcia, der Tochter des Marcus Varro folgend, nach einem Spiegel gemalt. Plinius d.Ä. erzählte im ersten nachchristlichen Jahrhundert von der Malerin, und Boccaccio hat die Geschichte in seinem Buch über berühmte Frauen (De claris mulieribus, 1360/62) an die Neuzeit weitergegeben.

Das einem Spiegelbild abgenommene Konterfei bildete offenbar das entscheidende Kriterium der Erzählung. Nun muss man wissen, dass es erst 1516 in Murano gelang, plane Glasspiegel herzustellen. Bis dahin kannte man nur kleine Konvexspiegel. Die Übertragung eines Gesichts aus einem nach vorne gewölbten Spiegel in die Bildebene beinhaltete daher eine enorme technische Schwierigkeit, deren erstmalige Lösung man eben einer mythischen Künstlerin des Altertums zuschrieb.

Jetzt war es Dürer, der die Fähigkeit demonstrierte, ein konvex gekrümmtes Spiegelbild (analog zum Fenster auf seinem Augapfel) auf ein ebenes Tableau zu übertragen und dabei der Naturtreue Genüge zu tun. Auch würden im Spiegelbild, wie man glaubte, die Farben modifiziert. Dementsprechend könnte man den Verweis der Inschrift auf die "proprii colores" als Hinweis auf die Schwierigkeit verstehen, im Gemälde die unverfälschten Farben zu treffen.

Wohl auf neuplatonisches Gedankengut geht Dürers Ausspruch von 1512 zurück: "... denn ein guter Maler ist innerlich voller Figur [... ] und wenn es möglich wäre, dass er ewig lebte, so hätte er doch stets etwas Neues hervorzubringen." "Innerlich voller Figur" - dieser Aspekt des Kreativen wird auch den Schlüssel zum Münchner Selbstbildnis liefern. Das Auge des Porträtierten repräsentiert die Macht des Sehens, das Auge, mit dessen Hilfe ein Urbild abgebildet wird. Die Hand, die Dürer so manieriert-demonstrativ am unteren Bildrand vorführt, steht für das manuelle Geschick, die praktische Kunstfertigkeit, die das "Bild" als anschaubares Werk realisiert. Das Münchner Selbstbildnis wäre folglich auch ein Diskurs über das Medium des Bildes und seine Option, Schönheit zu transportieren - was die skizzierten religiösen (und philosophisch-neuplatonischen) Sinntiefen nicht ausschließt, sondern im Gegenteil den Schönheitsbegriff in metaphysische Höhe hebt!

Die ideale Schönheit suchte Dürer, vermutlich auf den Weg gebracht schon durch seinen ersten Italienaufenthalt, seit 1500 immer tiefer zu ergründen. Die Schönheit antiker Götter, so sprach er es aus, sollte im Sinne der Renaissance die höchste Maxime auch für die Wiedergabe christlicher Bildprotagonisten abgeben. Er konnte sich auf den Bibelvers in der "Weisheit Salomos" berufen, wonach Gott die Welt nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet habe (11,21). Dürer wurde zu einem Hauptverfechter einer solchen von göttlichen Harmonien und Proportionen bestimmten Ästhetik, der freilich nie die künstlerisch-praktische Anwendbarkeit aus dem Auge verlor: "Ich will hier ein kleines Feuerchen anzünden. Wenn ihr alle euren Beitrag mit kunstfertiger Vervollkommnung dazu tut, so kann [... ] ein Feuer daraus geschürt werden, das durch die ganze Welt leuchtet."

Ein in dieser Hinsicht leuchtendes Feuer war, wie Dürer glaubte, der Venezianer Jacopo de' Barbari (1460/70-1516), als Wanderkünstler in halb Europa tätig. Er habe, so munkelte man, das Geheimnis eines idealen Maß- und Proportionssystems entdeckt. Wie der Alchimist dem Stein der Weisen, so jagte Dürer Barbaris mathematischen und kunsttheoretischen Entdeckungen hinterher - ohne sie jemals zu Gesicht zu bekommen, ohne je zu erfahren, ob sie überhaupt existierten. Vielleicht hat er Barbari schon während seiner ersten Italienreise kurz getroffen. Und vielleicht war die Suche nach derartigen Idealen auch der Hauptantrieb seiner zweiten Reise nach Venedig. Ein anderer Grund mag hinzugekommen sein: Wohl Ende Juli 1505 begann erneut das fürchterliche Pest-Sterben in Nürnberg. Die Chroniken berichten, die Zahl der Opfer habe das Ausmaß der Katastrophe von 1494 sogar noch übertroffen. Wer es sich leisten konnte, verließ die Stadt. Dürer schickte die Ehefrau Agnes, Holzschnitte und Kupferstiche im Gepäck, zur Frankfurter Herbstmesse und brach seinerseits zum Ritt über die Alpen auf. Hinter den Bergen lockte sie wieder, die Stadt der Lagunen, des Lichtes und einer farbentrunkenen Malerei: Venedig. Eine Metropole in der damaligen Zeit, schätzt man doch für das mittlere 16. Jahrhundert die Einwohnerzahl auf rund 175 000 (um 1500 werden es nicht viel weniger gewesen sein) -inklusive jener angeblich 11 000 Huren und Kurtisanen, von denen der Chronist Marino Sanudo berichtet.

Das Verhältnis zu seinen venezianischen Kollegen, ausgenommen das zum alten Giovanni Bellini, beschreibt er anfangs sehr negativ. Man warnte ihn beispielsweise vor deren Giftanschlägen. Umgekehrt führte Dürer einen Prozess gegen Marcantonio Raimondi (um 1480-um 1530), der seine Grafiken kopierte und überdies mit dem AD-Monogramm fälschte: der erste Urheberrechtsprozess der Geschichte! Bald jedoch behandelte man Dürer als den Repräsentanten

allerhöchsten Künstlertums. Und er schrieb begeistert 1506 aus Venedig an Pirckheimer: "Wie wird mich nach der Sonne frieren. Hier bin ich ein Herr, daheim ein Schmarotzer."

Unvergleichlich attraktiv ist das Bildnis einer jungen Venezianerin, wohl einer Kurtisane. Das „Close-up" des Kopfes, mit Verzicht auf Schultern und Arme, entspricht venezianischem Porträttypus, die Haartracht venezianischer Mode zwischen 1500 und 1510. In der sinnlichen Qualität der Oberflächencharakterisierung ist ein weiteres Bildnis einer Venezianerin sicher ebenso von der Malkultur an der Lagune beeinflusst.

Die Madonna mit dem Zeisig zeigt deutliche Affinitäten zu vergleichbaren Kompositionen Giovanni Bellinis, die Dürer schon auf der ersten Venedigreise so beeindruckt hatten. Der Zeisig korrespondiert jener Legende, der zufolge das Jesuskind einen tönernen Spielzeugvogel lebendig machte - Symbol für die künftige Auferstehung Christi. Auf dieses berückend schöne Andachtsbild war Dürer zu Recht besonders stolz.

Als letzte Arbeit in Venedig schuf Dürer das Bildnis eines jungen Mannes. Auf der Rückseite der Tafel erscheint eine alte Vettel, die man, ihres Geldsackes wegen, als Allegorie des Geizes, besser aber als Sinnbild der Vergänglichkeit interpretiert. Vieles spricht dafür, dass Dürers "Alte" und die Giorgione (1477/78-1510) zugeschriebene Vecchia etwa zeitgleich konzipiert wurden, in einem Klima gegenseitiger Inspiration oder Rivalität - und dass beide Werke auf einen verlorenen Prototyp Leonardo da Vincis zurückgehen.

Auf der Tafel mit Christus unter den Schriftgelehrten vermerkte Dürer stolz: "opus quinque dierum" - in nur fünf Tagen habe er sie gemalt. Für den Bravourakt existiert eine Reihe vorbereitender Zeichnungen. Dürer hat aus verschiedenen Quellen geschöpft: aus der gedrängten Kompositionsform Mantegnas und des Bellini-Kreises und aus den "grotesken Köpfen" Leonardos.

Zum Höhepunkt des zweiten Venedigaufenthaltes wurde aber das Rosenkranzfest. Die deutschen Kaufleute in der Dogenstadt gaben es für "ihre" Kirche San Bartolomeo in Auftrag. Vermutlich ist die Stiftung des monumentalen Altarbildes einer Rosenkranzbruderschaft zu verdanken. Der Doge und der Patriarch bewunderten das vollendete Werk, wie Dürer voller Stolz nach Hause schrieb, ersterer habe ihm ein fabelhaftes Angebot gemacht, um ihn in der Stadt zu halten. Hundert Jahre später erregte das Bild die Begierde Kaiser Rudolfs II., der es 1606 kaufte. Wie in einer Prozession ließ er es von Venedig nach Prag transferieren. Im Dreißigjährigen Krieg lagerte man die Tafel nach Budweis aus. Auf dem Rücktransport 1635 entstanden so große Schäden, dass die Schweden bei der Plünderung des Hradschins 1648 dieses Gemälde achtlos liegen ließen. Trotz vieler Restaurierungen blieb das Bild eine Ruine.

Dennoch, die Farbenpracht, die kompositorische und dramaturgische Intelligenz sind noch so weit erkennbar, dass man die Begeisterung der zeitgenössischen Betrachter nachvollziehen kann. Das Querformat inszeniert in denkbar größter Würde ein "Gipfeltreffen" vor der thronenden Muttergottes, jener jugendlich schönen, in leuchtend blaues Gewand venezianischen Schnitts gehüllten und mit venezianischer Haartracht vorgeführten Madonna. Maria setzt dem knienden Kaiser Maximilian I. einen Kranz von Rosenblüten auf das Haupt, während sich der Jesusknabe in gleicher Absicht dem Papst zuwendet. Der Laute spielende Engel zu Marias Füßen, an Gestalten Bellinis orientiert, zeigt vielfarbig schillernde Flügel, die an Dürers herrliche Studie eines Blaurackenflügels erinnern. Rechts, vor dem Landschaftspanorama, hat sich Dürer porträtiert.

Vor dem Regenten ruht eine Kaiserkrone, obwohl Maximilian damals den entsprechenden Titel noch nicht führte. Dürer wollte, so eine überzeugende Erklärung, die ideale Eintracht zwischen der obersten weltlichen und der geistlichen Gewalt propagieren. Die zum knienden Papst gewandte Geste Maximilians visualisiere die Aufforderung zur ersehnten Kaiserkrönung, die Maria durch ihre Krönungshandlung vorwegnehme.

In einem Brief an Pirckheimer vom 8. September 1506 schreibt Dürer, dass die Venezianer, die ihm anfangs den gekonnten Umgang mit der Farbe absprachen, nach dem Rosenkranzfest staunten: Nie habe man schönere Farben gesehen. Später sah Erasmus von Rotterdam den Triumph Dürers nicht in der Farbe, sondern im Schwarzweiß fundiert. Im Wettstreit der Künste habe seine Grafik die Möglichkeiten farbiger Malerei "überschattet". Entsprechende Stellungnahmen standen im frühen 16. Jahrhundert oft im Dienst antiitalienischer Propaganda. Dürer selbst war sicher ein anderer Kerngedanke wichtiger: "Denn wahrhaftig steckt die Kunst [gemeint ist die Gesetzmäßigkeit in der Kunst] in der Natur, wer sie heraus kann reißen [zeichnen], der hat sie."

Und er "riss" sie heraus! Dem vom Süden inspirierten Kolorismus antwortete das zeichnerische Detail, die "Mikroskopie" der Naturstudien, die er sich vor seinem zweiten Venedigaufenthalt erarbeitet hatte. Dazu gehört der Feldhase - mit der stupenden Anschaulichkeit seines Fells, mit der Konzentration auf das ängstlich-gespannte Tierauge. Dazu gehört auch das Große Rasenstück, jener nur scheinbar zufällige Naturausschnitt, aus dem Blickwinkel eines Insekts erfasst. Der höchste Halm teilt die Bildbreite in der Harmonie des Goldenen Schnitts. Geordnet, proportioniert, verliert das vorgebliche Chaos seine Zufälligkeit. In versteckter "Symmetrie" gerät es zum Exempel gottgeschaffenen Wachstums.

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