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Diss_Brigitte_Merz Бхакти и Шакти (нем)

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Die Verkörperung der Göttin Hàratã durch ihre Medien

Die Verehrung der Göttin Hàratã beschränkt sich seit einigen Jahrzehnten, möglicherweise aber auch schon wesentlich länger (vgl. Brinkhaus 1987: 111-119)48, offenbar nicht nur auf ihre Repräsentation in Form eines Idols. Wie bereits mehrfach erwähnt, verkörpert sich diese Göttin in Nepal auch in Männern und Frauen aus der Bevölkerungsgruppe der Newar. Die Besessenheit durch diese Göttin wird gemeinhin als ein neueres Phänomen dargestellt (Coon 1989: 1; Gellner 1994: 42f), welches sich ungefähr in den letzten 40 Jahren stärker ausgebreitet habe oder in den letzten Jahren zumindest stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen werde. In der Verkörperung der Gottheit durch ihre Medien, zeigt sich dabei überwiegend die mütterliche und liebevolle Seite der Göttin, die ihre Besucher und Anhänger (bhaktas) ausnahmslos als ‘Kinder’ (machà) anredet, diese aufmuntert, berät, heilt und segnet. Der Segen kann sich dadurch ausdrücken, dass die Göttin den Kopf des Besuchers mit der Handfläche ihrer rechten Hand berührt und dort einen Moment verweilt. Danach nimmt sie die abhaya mudrà ein, eine Handhaltung, die auch “fear-not gesture” (Erndl 1993: 143) genannt wird und die sie immer zur Verabschiedung eines Besuchers ausführt. Der Segen durch das Auflegen der Hand kann ebenfalls ein Hinweis auf die mütterliche Rolle sein, die die Göttin einnimmt. Auch ‘menschliche’ Mütter oder Großmütter segnen manchmal ihre Kinder oder Enkelkinder auf ähnliche Weise und stellen damit einen Bezug zur Beschützerrolle her, die ihnen in der Familie zukommt. Es kann aber auch vorkommen, dass die Göttin ärgerlich wird, was etwa passieren kann, wenn zum wiederholten Mal Fehler bei einem Verehrungsritual für sie gemacht werden. Sie kann dann damit drohen, die Leute zu ‘packen’ und sie für ihre Nachlässigkeit im Umgang mit ihr zu bestrafen. In solchen Momenten scheint sich in der Verkörperung der Göttin durch ihre Medien die ehemalige yakùinã-Natur der Göttin in ihrer ganzen Ambivalenz abzubilden. In den Performanzen der Medien spiegelt sich jedoch nicht nur das Bild der Göttin wider, das sich aus religiösen Legenden und Geschichten über die Göttin zusammensetzt und zumindest im Kathmandutal als ein allgemein bekanntes kulturelles Wissen vorausgesetzt werden

48 In einem Newari-Drama, das von Brinkhaus (1987) übersetzt wurde, ist von einer Frau die Rede, die magische Sprüche verteilt und von der man annehmen könnte, dass es sich dabei um ein Medium handelt (s. auch Gellner 1992: 329)

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kann, sondern sie vermitteln noch wesentlich mehr. So wird die Göttin von den Medien beispielsweise in ein familiäres Netzwerk eingebunden, welches in dieser Form in keiner schriftlichen Quelle zu finden ist. Aus Sicht der Medien umfasst die ‘Familie’ der Göttin Hàratã neben den fünf Kindern, die auch im Tempel zu sehen sind, ein sechstes Kind49 sowie die Mutter Hàratãs, zahlreiche Schwestern, zwei Brüder und einen Ehemann. Bei den Kindern handelt es sich um den ältesten Sohn Dhana Bhàju50 und die älteste Tochter Dhana Maiju51, den zweitältesten Sohn Vàsi Bhàju und die zweitälteste Tochter Vàsi Maiju sowie die jüngsten Kinder Jila Bhàju und Jila Maiju. Als ‘Mutter’ Hàratãs wird die Göttin Himàlaya Mà, eine Göttin, die im Himalaya leben soll, genannt52; zu den Schwestern zählen die Göttinnen Vajravàràhã, Vajrayoginã, Guhye÷vari, Vije÷vori, Mopata-Mà (Bhàñbhañeni), Caõóe÷varã, øãtala Màã aus Bhaktapur und Dakùiõakàlã. Als ‘Brüder’

Hàratãs (und damit gleichzeitig als die Mutter-Brüder (pàju) der Kinder) gelten die

Gaõe÷a-Manifestationen Sårya Vinàyaka und Kohena Gaõe÷a, als ‘Ehemann’

Unmatta Bhairava.53 Den Grund, warum gerade diese spezifischen Gottheiten zur Familie Hàratãs gehören, konnte ich bisher nicht in Erfahrung bringen. Für die Nähe von Hàratã und Unmatta Bhairava, könnte es allerdings einen historischen Beleg geben. Der Chronist Wright erwähnt, dass der im 15. Jhrd. regierende König Jayasthiti Malla beim Bau eines Tempels im Stadtteil Kumbhe÷var in Patan den

49 Neben den Medien betonen aber auch einige Priester des Hàratã-Tempels auf Svayambhå, dass Hàratã im Tempel eigentlich ein sechstes Kind zugeordnet werden kann, welches jedoch nicht sichtbar sei, da die Göttin es verstecken würde. Es soll sich dabei um ihr Lieblingskind handeln, welches Buddha vor ihrer ‘Bekehrung’ vor ihr versteckte, um ihr eine Lektion zu erteilen. Gellner (1994: 32) erwähnt sogar acht Kinder der Göttin, wofür ich aber keinen Hinweis fand.

50Der Begriff ‘Bhàju” kann mit “Herr” oder “Gentleman” übersetzt werden und gilt als Anrede, die ähnlich respektvoll wie (skt.) ørãman ist (Locke 1980: 10; Gellner 1992: 46; 51).

51Auch ‘Maiju’ wird eigentlich als höfliche Anrede für eine Frau mit höherem Status verwendet (Kölver/Shresthacarya 1994: 259) und bedeutet soviel wie “Madam” oder “Frau”.

52Im Pantheon der Newar existiert eigentlich keine Göttin namens Himàlaya Mà ; es gibt aber

Medien, die von einer solchen Gottheit besessen werden. Dagegen gibt es im Pantheon der Newar eine männliche Gottheit mit Namen Himàlaya, die als Vater von Pàrvatã gilt. Nimmt man also an, dass

Himàlaya Mà - die Göttin, die im Gebirge lebt - die ‘Ehefrau’ von Himàlaya wäre, dann wäre die Tochter der beiden Pàrvatã und nicht Hàratã.

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nahegelegenden Teich säubern ließ und dabei die Steinidole von acht Gottheiten fand, unter ihnen auch eines der Pockengöttin Sãtalà.54 Um diese Göttin zu befrieden, stellte er ihr Unmatta Bhairava an die Seite (1993: 183). Neben den genannten Gottheiten spielen auch Akà÷ayoginã und Masàna Bhairava eine Rolle; sie werden jedoch nicht zur engeren Familie Hàratãs gezählt. Mit dem Vorhandensein eines solchen ‘Familiennetzes’ erweitern die Medien den Kompetenzbereich der Göttin um Aufgaben, die sie im klassischen Sinn, d.h. als Idol in ihrem Tempel, nicht übernehmen konnte. Mit den Mitgliedern ihrer ‘Familie’, werden der Göttin Helfer und Helferinnen an die Seite gestellt, die andere Aufgaben als die Göttin übernehmen können. Wie dies im einzelnen vonstatten geht und welche besonderen Eigenschaften durch die einzelnen Familienmitglieder vertreten sind, wird in dem Kapitel “Medium sein” noch näher erörtert werden. Zum Abschluß dieses Kapitels soll nochmals die Frage aufgegriffen werden, wo Hàratã im Pantheon der Newar verortet werden kann. Wie zu sehen war, ist es nicht einfach diese Frage zu beantworten, da ihre Bedeutung zum einen immer vom Standpunkt des Betrachters abhängt und zum anderen ihre Einordnung in diesem Pantheon wegen ihrer vielseitigen Natur schwer fällt. Hàratã

(auch , Ajimà oder Hàratã Màta genannt), gehört weder zur Gruppe der Aùña Màtçkà noch zu den Nava Durgà, wird aber dennoch als Muttergöttin verehrt. Sie wird außerdem sowohl devotionalistisch verehrt, muß aber auch beschwichtigt werden. Im Gegensatz zu den anderen Muttergottheiten, nimmt sie jedoch kein Tieropfer an. Aber ihr wird Alkohol gegeben, welcher normalerweise nur Gottheiten mit ugra-Aspekten ausgeschenkt wird und der - zusammen mit einer bestimmten Essensmischung, samay - gemeinhin als Substitut für Tieropfer gilt (Levy 1992: 302). Zur Eindeutigkeit trägt auch nicht bei, dass den Kindern Hàratãs bei einer speziellen påjà zusammen mit anderen Nahrungsmitteln55 blutige Eingeweide von Tieren geopfert werden können, nicht aber der Göttin selbst (Merz 1996: 350ff). Von

53Diese Aufzählung ist bei weitem nicht für alle Medien gültig und gilt in dieser Form nur für meine drei Hauptinformantinnen. Bei Medien außerhalb des Kathmandu-Tals zählen manche der aufgezählten Gottheiten entweder nicht oder es kommen neue, regional bekanntere dazu.

54Wie ich unter der Fußnote 39 bereits erläuterte, zeigt sich vor allem in der älteren Literatur die

Verwendung ‘Sãtalà’ als brahmanische Bezeichnung der “goddess of smallpox” (Slusser 1982: 328), während die buddhistische Bezeichnung ‘Hàrãtã’ lautet.

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anderen Gottheiten im Pantheon der Newar unterscheidet sich Hàratã zudem insofern, als sie eine Vergangenheit als ehemalige Dämonin (yakùinã) hat und erst zur Göttin wurde, nachdem sie von Buddha ‘bekehrt’ worden sein soll. Eher ungewöhnlich im Vergleich zu den meisten anderen Gottheiten im Pantheon der Newar ist auch, dass Hàratã nicht die Rolle einer Gefährtin oder Ehefrau einer männlichen Gottheit einnimmt. Dieses Merkmal wird ansonsten nur noch Dårga (oder ihren zahlreichen Manifestationen) zugeschrieben, die zwar als Gefährtin øivas gilt, aber häufiger als ‘ungebundene’ Göttin dargestellt und wahrgenommen wird (Michaels 1998: 246). Dieses in Nepal eher selten vorkommende oder auch nur selten thematisierte Merkmal einer Göttin, ist jedoch in Indien, wie auch generell in Südasien, ein weit verbreitetes Phänomen; als Paradebeispiel gelten Kàlã und ihre Schwestern (Sax 1996: 354) und viele Dorfgöttinnen (Kinsley 1987: 199ff), zu denen auch Pockengöttinnen gehören (Yocum 1986: 280).56 Die speziellen Wesensmerkmale Hàratãs werden von Slusser (1982: 307; 329) mit der Vermutung zu erklären versucht, dass Hàratã ursprünglich eine der authochtonen Göttinnen gewesen sein könnte, die im Zuge der Verbreitung des Buddhismus in Nepal von diesem vereinnahmt wurde. Diese Vermutung wird sich jedoch nicht abschließend klären lassen. Dieses Anliegen steht auch nicht im Vordergrund dieser Arbeit, da es hier vor allem um ihre heutige Bedeutung in Nepal geht.

Den schriftlichen Quellen nach zu urteilen, scheint Hàratã, die durch die ‘Bekehrung’ Buddhas eine Wandlung erfahren hat, in Südasien bereits seit vielen Jahrhunderten Verehrungsobjekt gewesen zu sein. Zunächst als bedrohliche Dämonin definiert, die nicht nur die Kinder Anderer entführte, sondern diese auch verspeiste oder ihren eigenen zahlreichen Kindern zu essen gab (vgl. Kinsley 1987: 153; Peri 1917: 7; Slusser 1982: 329; Strong 1992: 36), wird sie nach ihrer ‘Bekehrung’ zur schützenden und heilenden Göttin, von der Idole und Darstellungen überliefert sind, in denen sie als Mutterfigur mit einem oder mehreren Kindern dargestellt wird (vgl. Getty 1978: 86; Pradhan 1984; Rosenfield 1993). In Nepal scheint Hàratã zumindest

55 Dazu zählen Spucke und Rotze, aber auch Gold-und Silberstaub, sowie andere Mineralien, was eindeutig auf den tantrischen Hintergrund dieser påjà verweist.

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ab dem 18. Jahrhundert auch Inbegriff einer gefürchteten und gefährlichen Göttin gewesen zu sein, die für Pockenepidemien und andere Krankheiten verantwortlich gemacht wurde, wie sich etwa aus einem Lied aus dem 18. Jahrhundert ablesen lässt. In diesem Lied wird eine verheerende Pockenepidemie thematisiert, die den damaligen König Ràõà Baþàdur øàh veranlaßte, alle von den Pocken betroffenen Kinder aus dem Tal zu vertreiben, um seinen einzigen Sohn vor einer Ansteckung zu schützen. In dem Klagelied werden der Göttin - dort ‘øãtalà’ genannt - zahlreiche Opfergaben versprochen, wenn die Kinder die Krankheit überleben (Lienhard 1974: 232ff). Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts scheint der mütterliche Aspekt Hàratãs eher von ihrer furchterregenden Seite überlagert worden zu sein. In neuerer Zeit, d.h. etwa seit Mitte des 20. Jahrhunderts, im Zuge der medizinischen Fortschritte, wodurch Krankheiten wie etwa Pocken, Cholera, Masern und Röteln, ausgerottet oder zumindest eingedämmt wurden, scheint sich die Wahrnehmung und Rolle der Göttin gewandelt zu haben und ihre furchterregende Seite in den Hintergrund gerückt zu sein. Die Verehrung der Gottheit zur Abwehr oder Heilung von Krankheiten, insbesondere von Kinderkrankheiten, spielt zwar noch immer eine Rolle (vgl. Iltis 2002: 71), sie wird aber mehr und mehr auch zur Erfüllung materieller und ‘diesseitiger’ (skt dçùña) Wünsche aufgesucht, wie dies auch von anderen ‘ehemaligen’ Pockengöttinnen berichtet wird (vgl. Bhardwaj 1973: 160). Insbesondere für die Menschen, die von ihr besessen werden, ist ihre Verehrung jedoch auch noch in anderer Hinsicht wichtig: als eine Möglichkeit die eigene Erlösung (mokùa) zu erlangen.

Nach diesem Überblick über die Geschichte Nepals und der Bevölkerungsgruppe der Newar, der Vorstellung ihres Pantheons und speziell der Göttin Hàratã, soll nun zur Klärung von zwei Begriffen und den dahinterstehenden Konzepten übergangen werden. Zuerst soll es darum gehen, was unter einem ‘Medium’ zu verstehen ist und danach soll das Konzept ‘Besessenheit’ erläutert werden.

56 Über ‘ungebundene’ bzw. ‘unverheiratete’ Göttinnen siehe außerdem Brubaker (1978), Coburn (1982) und Nicholas (1982).

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1.2. Das Konzept ‘Medium’

In dieser Arbeit geht es um Menschen in Nepal, von denen es heißt, dass sie zeitweise von der Göttin Hàratã, aber auch von anderen Gottheiten besessen werden und dann im Namen dieser Gottheiten sprechen und handeln können. In dieser Arbeit werden diese Menschen als ‘Medien’ bezeichnet. Ein ‘Medium’ definiere ich in diesem Zusammenhang als eine männliche oder weibliche Person, die zu bestimmten Zeiten eine oder auch mehrere aufeinanderfolgende Gottheiten verkörpern kann, bzw. von ihnen ‘übermächtigt’ wird, dadurch zeitweise zur jeweiligen Gottheit selbst wird und in deren Namen spricht und handelt. In der Einführung zu dieser Arbeit wurde darüber hinaus die Behauptung aufgestellt, dass in solchen Momenten diese Gottheiten als die eigentlichen Agenten gesehen und als moralische Autorität respektiert werden, während den Menschen, die von diesen Gottheiten besessen werden, lediglich eine Vermittlerrolle zukommt. Darüber hinaus wird vermutet, dass während dieser Zeit die agency der beteiligten Menschen ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt ist und eine nicht-menschliche agency - die der Gottheiten - an ihre Stelle tritt. Zusammengefaßt bestehen nach meiner Definition die wesentlichsten Merkmale eines ‘Mediums’ in der Übermächtigung durch Gottheiten, in der Vermittlerrolle und im Ersetzen der menschlichen agency durch eine göttliche agency. Die Vermittlerrolle, die von den übermächtigten Menschen eingenommen wird, wird auch in religionswissenschaftlichen Definitionen des Begriffs ‘Mediums’ hervorgehoben. So heißt es beispielsweise bei Schmidt, dass ein ‘Medium’ eine Person sei, die “in der Lage ist, Botschaften (…) zu übermitteln” (1999: 411) und von Smith wird ein ‘Medium’ definiert als “a person who serves as an intermediary between the human world and the supernatural or spirit realm through diviniation, trance, and /or spirit possession” (1996: 696). Die Frage nach dem Handlungspotential der übermächtigten Menschen wird in diesen Definitionen nicht angesprochen, wohl aber in Berichten von Ethnologen, die über ‘besessene’, bzw. übermächtigte Menschen forschen. So fragt beispielsweise Vincent Crapanzano in der Auseinandersetzung mit einer islamischen Bruderschaft in Marokko, deren Mitglieder zu bestimmten Zeiten in Trance fallen und sich währenddessen Verletzungen zufügen, nach den eigentlichen Urhebern der Handlungen und stellt fest, dass die agency während der Trance den Dämonen zugeschrieben wird, die zeitweise Besitz von den

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Menschen ergreifen (2000: 219). Auch Beatrix Hauser stellt in ihrem Beispiel aus Myanmar die Frage nach dem Handlungspotential von Männern und Frauen, die zeitweise von Geistwesen besessen sind und zeigt, dass unter den Akteuren eine Distanz zu ihren Handlungen vorherrscht und die eigentliche agency den Geistwesen zugeschrieben wird (2000: 147). Und auch William S. Sax sieht in der Gottheit Karna, von der im westlichen Himalaya zahlreiche Menschen besessen werden, die dann als Orakel der Gottheit agieren, “an authentic agent who speaks and acts as much as a human being does” (2002a: 158). Diese Beispiele scheinen also die Vermutung zu bestätigen, dass während einer Zeit der Übermächtigung, die agency der Betroffenen zugunsten einer nicht-menschlichen agency in den Hintergrund tritt. Wird dies auch von den Betroffenen selbst so wahrgenommen und wenn ja, wie wird es thematisiert? Bevor ich dieser Frage weiter nachgehe, möchte ich mich zunächst der indigenen Begrifflichkeit zuwenden und zeigen, wie die Medien der Göttin Hàratã von den Einheimischen in Nepal bezeichnet werden und was darunter verstanden wird.

Indigene Bezeichnungen für ‘Medium’

Von der Göttin Hàratã, ihren Kindern und anderen Gottheiten werden in Nepal sowohl Männer und Frauen aus der Indo-Parbatãya-Bevölkerung, als auch Menschen aus der Bevölkerungsgruppe der Newar besessen, wobei sich Newar-Frauen eindeutig in der Überzahl befinden (vgl. Coon 1989:1; Dougherty 1986: 25; Durkin-Longley 1982: 76; Merz 1996: 347). Von der Indo-Parbatãya-Bevölkerung werden im allgemeinen Menschen, die von Gottheiten besessen werden als (nep.) deutà-àune oder devatà-àune und von den Newar als (new.) dyaþ wapi , ‘Menschen, zu denen eine Gottheit kommt’, bezeichnet. Frauen, die von Hàratã besessen werden, bezeichnen die Einheimischen als (nep.) hàratã-màtà (Mutter-Hàratã), (new.) Dyaþmà (Gott-Mutter) oder dyaþ bija mà , ‘eine Frau (Mutter), zu der die Gottheit kommt’. Manche Priester und tantrische Heiler verwenden auch die Bezeichnung dyaþ maiju, wenn sie sich auf weibliche Medien der Göttin Hàratã beziehen. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird das alleinstehende ‘maiju’ zwar als höfliche Anrede für eine Frau mit höherem Status verwendet (Kölver/Shresthacarya 1994:

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259) und bedeutet soviel wie “Madam” oder “Frau”, aber die meisten Medien möchten dennoch nicht als dyaþ maiju bezeichnet werden und empfinden diese Bezeichnung in gewisser Weise als respektlos.57 Männliche Medien gibt es in Nepal insgesamt wesentlich weniger und diese werden zudem nur sehr selten von der Göttin Hàratã besessen,58 aber wenn von ihnen gesprochen wird, wird meistens die allgemeinere Bezeichnung dyaþ wapi verwendet.59 Die Medien benutzen keine dieser Bezeichnungen für sich selbst, sondern bezeichnen sich durchweg als “bhakti” der Göttin Hàratã, d.h. als Gläubige und Anhänger dieser Göttin.60 Im dritten Kapitel wird noch ausführlicher darauf eingegangen, was es für die Medien bedeutet, ein bhakta der Göttin zu sein. Im Moment soll lediglich betont werden, dass dabei die Hingabe (bhakti) an die Göttin eine wichtige Rolle spielt und für die Medien bedeutet, dass sie sich der Göttin vollständig unterwerfen müssen, was im Grunde genommen eine Selbstaufgabe impliziert. In diesem Zusammenhang möchte ich zur Frage von oben zurückkehren, in der es darum ging, ob und inwieweit die Betroffenen selbst thematisieren, dass ihre eigene agency zeitweise zugunsten der göttlichen agency in den Hintergrund tritt. Zwar kann diese Frage noch nicht eindeutig beantwortet werden, aber man kann vermuten, dass die mit der Hingabe (bhakti) verbundene Selbstaufgabe auch dazu führt, dass die Frauen ihre agency zu bestimmten Zeiten teilweise oder vollständig aufgeben. Bedeutet dies auch, dass sie dann nur noch ein ‘Gefäß’ für die Gottheiten sind, wenn sie von diesen übermächtigt werden? Ein Hinweis darauf könnte die Aussage eines Mediums sein, die ihren Körper als heiligen

57 Eine Göttin kann auch als ‘màju’ angesprochen werden, ein Wort das sich aus ‘’ für die Göttin und der honorifischen Endung ‘ju’ zusammensetzt (Lienhard 1978: 172). Möglicherweise trägt auch die Ähnlichkeit von ‘maiju’ und ‘màju’ manchmal zur Verwirrung in der Benennung der Medien bei.

58 Eine Ausnahme scheint der 12jähriger Junge aus Patan zu sein, den ich bereits erwähnte, der bei meinen Besuchen jedesmal ausschließlich von Hàratã besessen war. Außerdem berichtet Gellner (1994: 32) von einem männlichen Medium, das regelmäßig von der Göttin besessen ist und Pradhan (1986: 336) nennt ebenfalls zwei Fälle. Meine eigenen Erfahrungen mit männlichen Medien beschränken sich auf drei Personen, mit denen ich Interviews führte. Alle drei wurden aber nach eigenen Angaben nicht von der Göttin Hàratã besessen, sondern nur von anderen männlichen und weiblichen Gottheiten.

59Iltis (2002: 76) erwähnt auch den Ausdruck ‘dya:ju’ (dyaþju) für männliche Medien

60Die sprachlich korrekte Bezeichnung aus dem Sanskrit wäre bhakta. Eine Besonderheit unter den Newar, für die es keine eindeutige Erklärung gibt, besteht darin, dass sie das Wort ‘bhakti’ verwenden, wenn sie einen ‘Anhänger’ (devotee, bhakta) bezeichen, weshalb ich es oben so angegeben habe. Damit im weiteren Text ‘Anhänger’ nicht mit ‘bhakti’ (Hingabe) verwechselt wird, werde ich jedoch zukünftig ‘Anhänger’ mit ‘bhakta’ bezeichnen.

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Platz oder ‘Thron’ (skt. àsan) der Gottheiten sieht.61 Dies bedeutet, dass die Gottheiten zeitweise in ihrem Körper Platz nehmen, ihn also quasi ‘besetzen’. Ob dies auch bedeutet, dass sie für diesen Zeitraum auch ihre eigene agency aufgibt, wird sich anhand konkreter Beispiele in den Kapiteln ‘Medium werden’ und ‘Medium sein’ verfolgen lassen.

Neben den Dyaþmà gibt es weitere unzählige Beispiele für Menschen, von denen es heißt, dass sie von Gottheiten oder andere Wesen besessen werden. Außer der Bezeichnung als ‘Medium’ werden solche Menschen häufig auch als ‘Orakel’ oder ‘Schamane’ bezeichnet. Im folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob oder inwieweit sich ein ‘Medium’ von einem ‘Orakel’ oder ‘Schamanen’ unterscheidet, wozu einige ethnografische Beispiele herangezogen werden sollen.

Medium, Orakel und Schamane

Zunächst soll versucht werden, die Unterschiede zwischen einem ‘Medium’ und einem ‘Orakel’ zu klären. Dazu wird ein Beispiel aus dem Westen Nepals herangezogen, in dem es um Männer und Frauen geht, von denen es heißt, dass sich in ihnen zeitweise der Gott Maùñà “inkarniert” (nep. autinu)62 und sich diese Menschen daraufhin verhalten, als seien sie selbst die Gottheit (Gaborieau 1976: 222). Von den Einheimischen werden diese Menschen dhàmi - oder wenn es sich um eine Frau handelt, dhàmini - genannt; Gaborieau bezeichnet sie als als “possessed oracles” (1976: 222). Diese ‘Orakel’ gehören jeweils einem bestimmten Tempel an und werden als “Grundpfeiler” dieses Tempels gesehen (Gaborieau 1976: 225). Während für Gaborieau die Klassifikation eines dhàmi als Orakel eindeutig zu sein scheint, stellt sich Campbell die Frage, ob ein dhàmi eigentlich ein Schamane, Orakel oder Medium sei. Er kommt zu dem Schluss, dass ein dhàmi kein Schamane sei, weil ein Schamane esoterische Fähigkeiten und Kenntnisse (wie etwa spezielle mantras) habe,

61Wörtlich sagt sie “Mein Körper ist in der Tat ein àsan” (new. “jigu ÷arãray ye àsana du”). Diese Auffassung ist ähnlich der Erfahrung von Stanley, dass von einer Gottheit übermächtigte Personen, ihren Körper als den Tempel der Gottheit bezeichnen, von der sie besessen waren (1988: 52).

62Gaborieau weist darauf hin, dass das Wort ”autinu” in keinem Wörterbuch zu finden ist und von den Einheimischen als Abkürzung für “to become embodied in someone” (nep. phalàno màthi avatàr linu)

benutzt wird (1976: 222, 240, n.24). Nach meinen Informationen scheint es sich um ein lokales Dialektwort zu handeln.

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der dhàmi selbst aber diese speziellen Fähigkeiten und Kenntnisse nicht habe. Die Macht (÷akti), die ein dhàmi zeitweise inne habe, sei lediglich die Macht der Gottheit und nicht die des Menschen selbst. Schlußendlich bezeichnet jedoch auch Campbell einen dhàmi als ‘Orakel’, räumt aber ein, dass man ihn auch als ‘Medium’ bezeichnen könnte (1978: 341f). Hier wird bereits die Schwierigkeit deutlich, ein ‘Orakel’ von einem ‘Medium’ zu unterscheiden. Dieses Problem zeigt sich auch darin, dass andere Autoren und Autorinnen einen dhàmi nicht als ‘Orakel’, sondern als “human medium” (Sharma 1974: 244) oder “medium” (Sales 1991: 82) bezeichnen. Was ist also der Unterschied zwischen einem ‘Medium’ und einem ‘Orakel’? Den Versuch einer Unterscheidung macht Berglie, der ‘Medien’63 in tibetischen Flüchtlingslagern in Nepal untersucht hat und sie von ‘Orakeln’ unterscheidet. Ein ‘Orakel’ ist für ihn eine Art “high-ranking ‘spirit-medium’” (1976: 104), welches von Gottheiten besessen wird, die im lokalen Pantheon einen hohen Status einnehmen (1976: 86) während die ‘Medien’ von weniger hochstehenden Gottheiten oder Geistern besessen werden (1976: 104). Diese Unterscheidung in ‘Medium’ und ‘Orakel’ aufgrund der hierachischen Stellung der besessen machenden Wesen, finde ich jedoch nicht besonders überzeugend. Sowohl ein ‘Orakel’ wie auch ein ‘Medium’ können zeitweise Gottheiten oder andere nicht-menschliche Wesen verkörpern, beide haben zudem eine Vermittlerrolle inne und offenbar wird die menschliche agency eines Orakels ebenso durch die göttliche agency ersetzt, wie es bei den Medien der Fall ist. Der einzige Unterschied besteht darin, dass ein ‘Orakel’ einem bestimmten Tempel zugeordnet ist, vor dem oder in dessen Nähe er während der Übermächtigung durch die Gottheiten oder Geister sitzt und zu dem die Menschen gehen, wenn sie das Orakel um Rat fragen wollen (Gaborieau 1976: 225; Sax 2002a: 175ff), während dies für die Medien der Göttin Hàratã in diesem Sinne nicht zutrifft.64

Aber wie verhält es sich, wenn ein dhàmi auch als ‘Schamane’ bezeichnet wird? Als Beispiel soll Allen angeführt werden, der einen weiblichen dhàmi als “Schamanin” (1976: 126) bezeichnet. Hier stellt sich nun die Frage, inwieweit man

63Er nennt sie in Anlehnung an Firth (1959, 1967) ‘spirit-mediums’.

64Die Medien haben in dem Zimmer, in dem ihre regelmäßigen Heilsitzungen stattfinden, zwar auch einen Tempel und man könnte sich daher auch die Frage stellen, ob man sie nicht auch als ‘Orakel’ oder sogar als ‘Priesterinnen’ bezeichnen könnte, aber es handelt sich bei ihrem Tempel um die

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