Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:
Lucinda Riley - Die Mitternachtsrose.pdf
Скачиваний:
21
Добавлен:
30.04.2015
Размер:
2.05 Mб
Скачать

Astbury Hall, Juli 2011

35

Rebecca erwachte aufrecht sitzend im Bett, Donalds Tagebuch in der Hand. Sie hatte keine Ahnung, wann sie eingeschlafen war, nur dass sie wieder einmal Albträume mit diesem seltsam hohen Singen gequält hatten.

Die Einträge in dem Tagebuch, stellte sie beim Weiterblättern fest, endeten abrupt nach dem September 1920. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es nach neun war.

Sie stand auf, ging ins Bad, wusch sich die Hände und betrachtete sich im Spiegel. Kein Zweifel: Donalds Beschreibung von Violet hätte sehr gut auch auf sie selbst zutreffen können.

Nach allem, was Rebecca inzwischen wusste, hatte Donald nicht Violet geliebt, sondern eine schöne Inderin aus einer exotischen Welt. Rebecca schlenderte in den Räumen umher, berührte Violets Sachen und roch mit einem sich verstärkenden Gefühl des Surrealen an dem Parfüm, das sie inzwischen kannte. Sie schlief in Violets Bett, das diese einmal mit Donald geteilt hatte, trug im Film Violets Kleider und tauchte in ihre Welt von damals ein

Als Rebecca sich in den Sessel im Wohnbereich setzte, fragte sie sich, welche Laune des Schicksals sie nach Astbury verschlagen hatte. Die Ähnlichkeiten zwischen ihr selbst und Violet waren unübersehbar.

»Becks, bist du da drin?«, riss eine vertraute Stimme sie aus ihren Gedanken.

»Ja«, rief sie, und wenige Sekunden später stürmte Jack

gefolgt von der aufgeregten Mrs Trevathan herein. »Hallo, Schatz«, begrüßte er sie und ging auf sie zu.

»Tut mir leid, Rebecca, ich habe versucht, Mr Heyward zu erklären, dass Sie nicht gestört werden wollen.«

»Danke, Mrs Trevathan. Keine Sorge, ich fühle mich schon besser.«

»Gut«, sagte Mrs Trevathan und entfernte sich. »Danke.« Jack sank in einen Sessel und stieß einen

übertriebenen Seufzer der Erleichterung aus. »Für wen hält die sich eigentlich? Für deine Mutter? Komm, lass dich in den Arm nehmen.«

Rebecca, die seine blutunterlaufenen Augen und seine fettigen, ungekämmten Haare sah, rührte sich nicht von der Stelle. Anscheinend war er wieder mit James durch die Kneipen gezogen. »Hattest du eine schöne Nacht?«

»Ja, hat Spaß gemacht.« »Freut mich für dich.«

Jack blickte sie verunsichert an. Als ihm klar wurde, dass ihre Äußerung ironisch gemeint war, ging er in die Offensive. »Hör auf, mich wie ein Kind zu behandeln, Becks! Genau das ist es: Du bist die Sauberfrau, die nicht trinkt, nicht raucht und auch sonst keine Sachen unternimmt, die Spaß machen, und sich normalen Sterblichen wie mir überlegen fühlt.«

»Jack«, erwiderte sie müde. »Wir müssen reden.« »Kriegt der unartige Junge jetzt wieder eine

Gardinenpredigt? Nur zu, Mami, versohl mir das Hinterteil.« »Du hast ein Problem, Jack, und mit dem solltest du dich auseinandersetzen«, hob Rebecca mit ruhiger Stimme an. »Ich sage dir das nur, weil mir an dir liegt und ich Angst

habe, dass es noch schlimmer wird.« »Und was für ein Problem wäre das?«

»Machst du Witze? Wir wissen beide, dass du zu viel trinkst und kokst. Du bist süchtig, Jack. Und wenn du nichts dagegen unternimmst, kann ich die Beziehung mit dir nicht weiterführen.«

Jack warf den Kopf in den Nacken und lachte. »Becks, ich bitte dich! Seit deiner Abreise nach England weiß ich, dass was nicht stimmt. Dass du mich nicht mehr liebst oder einen andern kennengelernt hast. Und jetzt ziehst du hier die älteste Show der Welt ab: Du gibst mir die Schuld und redest von Problemen, die überhaupt nicht existieren, damit du mir den Laufpass geben kannst. Ja …«, Jack nickte, »… ich durchschaue dich.«

»Jack, mich stören nur die Trinkerei und Kokserei. Nüchtern bist du der Größte für mich, und ich liebe dich. Aber angetrunken oder high kann ich nichts mit dir anfangen. Ich würde dir raten, nach L. A. zurückzufliegen und etwas dagegen zu unternehmen. Wenn du das machst, kannst du auf mich zählen. Wenn nicht …« Rebecca führte den Satz nicht zu Ende.

»Soll das ein Ultimatum sein?« Jack stellte sich mit verschränkten Armen vor sie hin. »Entweder ich schaffe ein Problem aus der Welt, das ich gar nicht habe, oder das mit uns ist aus. Sieht es so aus?«

»Nein, und das weißt du auch. Wer sonst soll dir die Wahrheit sagen? Begreifst du denn nicht, dass das für mich genauso schwierig ist wie für dich? Ich will keine Trennung, Jack. Ich liebe dich und habe deinen Heiratsantrag bloß noch nicht angenommen, weil ich nicht

weiß, wie ich mit deinem Problem umgehen soll.«

Jack begann, im Zimmer auf und ab zu laufen. »Du verlangst also von mir einen Entzug als Beweis meiner Liebe?«

»Jack, egal, wie du es formulierst: So kann ich nicht weitermachen. Ich fühle mich hundeelend und muss die Rolle in dem Film spielen. Such dir professionelle Hilfe. Und wenn ich wieder zu Hause bin, unterhalten wir uns weiter.«

»Becks, würdest du bitte aufhören, mich zu bevormunden?« Jack setzte sich. »Die Chancen stehen gut, dass ich einen Film mit dem jungen Regisseur mache, mit dem ich mich neulich getroffen habe. Und mein Manager hat mich angerufen, weil er ein paar tolle Drehbücher geprüft hat. Ich könnte also, selbst wenn ich dir den Gefallen tun wollte, den Entzug nicht in meinem Terminkalender unterbringen.«

»Freut mich für dich, dass sich beruflich was tut, Jack.« »Ja, sieht fast so aus, als wär dein Freund doch noch

nicht so weg vom Fenster, wie du denkst. Wenn ich in letzter Zeit dem Alkohol ein bisschen intensiver zugesprochen haben sollte, lag’s daran, dass mir langweilig war.« Jack sah sie an. »Willst du wirklich Schluss machen?« »Nein, aber ich habe das Gefühl, dass mir keine andere

Wahl bleibt.«

»Okay!« Jack schlug sich auf die Schenkel und stand auf. »Wenn du die Trennung möchtest, sollst du sie kriegen.« »Es tut mir leid, Jack.« Rebecca traten Tränen in die

Augen.

»Das glaub ich dir aufs Wort «, höhnte er. »Du solltest

dich fragen, warum du mir so einen Stress machst, bloß weil ich das Leben genieße. Ich bin nicht wie deine Säufermutter, Becks, und möchte auch nicht so behandelt werden. Glaub ja nicht, dass ich an der Trennung zerbreche. Vielleicht wär ein Pfarrer für dich besser als ein leidenschaftlicher Mann. Aber hey, das ist nicht mehr mein Problem. Schätze, das war’s dann.«

Rebecca kam sich vor, als hätte er ihr eine Ohrfeige verpasst.

»Noch eins«, fügte Jack hinzu. »Da ich ja derjenige bin, der in die Wüste geschickt wird, würd ich es fair finden, wenn du es mir überlässt, es den Medien mitzuteilen. Ich bitte meinen Manager, eine kurze Pressemitteilung rauszugeben. Okay?«

»Wie du möchtest.«

»Gut. Hoffentlich bereust du deine Entscheidung nicht. Auf Wiedersehen, Becks.«

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, machte Rebecca die Augen zu und stützte den Kopf auf den kühlen Seidenstoff des Sessels. Seine Anspielung auf ihre Mutter hatte sie, obwohl er vermutlich gar nicht so daneben lag, sehr verletzt: Ihre Kindheit hatte sie im Hinblick auf Suchtmittel sensibilisiert.

Doch das rechtfertigte nicht sein Verhalten.

Ihr kamen die Tränen, als ihr bewusst wurde, dass es keinen Weg mehr zurück gab. Jack war es gewöhnt, von Frauen umschwärmt zu werden. Rebecca bezweifelte, dass er jemals von einer den Laufpass bekommen hatte. Bestimmt würde er sich schnell einen Ersatz suchen. Und Fotos von ihm mit seiner neuen Partnerin in den

Zeitschriften zu sehen, würde höllisch schmerzen. Doch den Jack, den sie einmal geliebt hatte, gab es nicht mehr.

»Alles in Ordnung, meine Liebe?«, fragte Mrs Trevathan von der Tür aus.

Rebecca zuckte stumm mit den Achseln.

»Es geht mich ja nichts an, aber ich finde, Sie haben das Richtige getan. Wie meine Mama immer sagt: Auch andere Mütter haben attraktive Söhne.«

»Danke«, flüsterte Rebecca rau. »Wären Sie so nett, es mir zu sagen, wenn er weg ist?«

»Natürlich, meine Liebe.« Sie verließ den Raum mit einem mitfühlenden Lächeln.

Eine halbe Stunde später brachte Mrs Trevathan ihr Toast und Tee und teilte ihr mit, dass Jack das Haus verlassen habe.

»Wie geht es Ihnen?«

»Ich fühle mich ein bisschen wackelig. Hoffentlich war das die richtige Entscheidung.«

»Ich war mal mit einem Mann wie Jack verheiratet. Nach einem Jahr bin ich gegangen. Wahrscheinlich ist Ihr Jack nicht der gewalttätige Typ wie meiner damals, aber wenn die Männer Tag für Tag zu tief ins Glas schauen, weiß man nie, was ihnen einfällt.«

»Stimmt. Haben Sie Ihren Mann geliebt?«

»Klar. Jedenfalls am Anfang. Aber am Schluss konnte ich ihn nicht mehr ausstehen. Glauben Sie mir, Rebecca, im Moment mag es sehr wehtun, doch auf lange Sicht war’s die richtige Entscheidung.«

»Danke, Mrs Trevathan.«

»Da wären ein paar Leute, die gern zu Ihnen

raufkommen und mit Ihnen reden würden. Ich habe allen gesagt, dass Sie Ruhe brauchen. War das in Ordnung?«

»Ja danke. Vielleicht später.« »Wie geht’s den Kopfschmerzen?«

»Die sind heute nicht mehr so schlimm, danke.«

»Sie sind immer noch ziemlich blass, aber das überrascht mich nicht. Ich schaue später noch mal nach Ihnen, dann können Sie mir ja sagen, ob Sie Lust haben, jemanden zu sehen.«

Rebecca schlief erschöpft ein. Als sie später ein wenig erfrischt aufwachte, wusch sie sich und zog sich an, und weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, alle auf Distanz gehalten zu haben, bat sie Mrs Trevathan, Steve heraufzuschicken.

»Tut mir leid, wenn ich störe, ich wollte nur hören, wie es Ihnen geht«, sagte er, als er den Wohnbereich betrat.

»Die Kopfschmerzen lassen allmählich nach, also werde ich morgen wohl wieder arbeiten können«, versicherte sie ihm.

»Das freut mich, Rebecca. Bestimmt hat der Stress der letzten Tage nicht gerade zu Ihrer Erholung beigetragen.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte Rebecca.

»Meine Beste, Jacks kleines Problem ist mir und den andern nicht entgangen. Er hat mich gleich bei unserem ersten Gespräch gefragt, ob ich Stoff für ihn hätte.«

»Oje, das tut mir leid, Steve.«

»Dafür können Sie doch nichts. Vor ein paar Stunden hat er mich gebeten, ihm einen Fahrer nach London zu organisieren. Ihm war anzusehen, dass dicke Luft ist auf dem Planeten Jack und Rebecca.«

»Stimmt«, bestätigte Rebecca. »Ich habe ihm gesagt, dass Schluss ist, wenn er nicht mit dem Zeug aufhört. Mir wäre es lieb, wenn das nicht gleich die Runde macht.«

»Das können sich sowieso alle denken. Sie wissen ja, wie schnell sich Dinge am Set rumsprechen. Das Wichtigste sind jetzt Sie und Ihre Gesundheit, und darauf sollten Sie sich nach dem Abschied von Jack konzentrieren.«

»Zu den morgigen Dreharbeiten bin ich wieder auf dem Damm.«

»Warten wir’s ab. Sie haben nur eine Szene am späten Nachmittag. Kopf hoch.« Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.

Eine halbe Stunde später klopfte es erneut an der Tür, und Anthony trat ein. Er musterte sie kurz, seufzte und lächelte.

»Ich wollte nur nach dem Rechten sehen«, erklärte er. »Wie geht es Ihnen?«

»Besser, glaube ich «, antwortete Rebecca. »Herzlichen Dank für diese wundervollen Räume.«

»Ich könnte mir keine passendere Bewohnerin vorstellen«, meinte er steif. »Ihr junger Mann ist abgereist?«

»Ja, und er kommt auch nicht wieder.«

»Verstehe.« Anthony sah sie an. »Heute Abend esse ich mit unserem indischen Freund.«

»Ach.«

»Ich hoffe, dass Sie sich morgen besser fühlen.«

»Das hoffe ich auch. Danke, dass Sie nach mir geschaut haben.«

Anthony verabschiedete sich und verließ das Zimmer.

Als er weg war, gönnte Rebecca sich ein ausgiebiges Bad in der riesigen Wanne. Weil sie so lange geschlafen hatte, war sie nun hellwach, und als Mrs Trevathan ihr Tee und Scones brachte, aß sie mit Appetit.

»Ich glaube, ich bin tatsächlich auf dem Weg der Besserung.«

»Das höre ich gern, meine Liebe.« »Ist Mr Malik da?«, erkundigte sie sich.

»Er war unterwegs, aber jetzt ist er, denke ich, wieder zurück. Er wird später mit Seiner Lordschaft zu Abend essen.«

»Könnten Sie ihn, wenn Sie ihn sehen, zu mir heraufbitten?«

»Das richte ich ihm gern aus«, versprach Mrs Trevathan und ging.

Zwanzig Minuten später klopfte es an der Tür. »Herein!«, rief Rebecca.

»Hallo, Rebecca, Sie wollten mich sehen?«

»Ja, Ari. Sind Sie in der örtlichen Kirche weitergekommen?«

»Ich war auf dem Friedhof, habe aber keinen Grabstein mit dem Namen Moh gefunden. Dann bin ich nach Exeter gefahren, um einen Blick ins zentrale Geburtenund Sterberegister zu werfen, wieder ohne Erfolg. Ich scheine mich in einer Sackgasse zu befinden.«

»Ist das nicht seltsam?«, fragte Rebecca. »Normalerweise werden ausgestellte Sterbeurkunden doch verzeichnet, oder?«

»Das hatte ich auch gedacht, ja.«

»Ari, ich habe gestern in diesen Räumen einen Beweis

dafür entdeckt, dass Anahita in Astbury war.« »Tatsächlich? Was?«

»Donald Astburys Tagebuch. Wahrscheinlich wissen Sie das meiste, was drinsteht, bereits, aber es bestätigt, dass er Ihre Urgroßmutter geliebt hat und sie ein Kind miteinander hatten.«

»Rebecca, das ist ja unglaublich! Das Tagebuch würde ich gern lesen«, sagte Ari sofort.

»Ich hole es.« Rebecca ging in Donalds Ankleidezimmer und nahm den Band aus dem Regal. »Hier«, sagte sie und reichte ihn Ari.

Ari betrachtete den Namen auf dem Buchrücken und die Insignien. Als er das Tagebuch aufschlug, fiel sein Blick auf die Widmung und das Gedicht. »Das ist ja das Gedicht, von dem ich Ihnen vor ein paar Tagen erzählt habe.«

»Genau. Hauptsächlich deswegen habe ich es aus dem Regal genommen. Es ist, als hätte uns etwas zu ihm geführt.«

»Früher habe ich nicht viel auf den Aberglauben meiner Urgroßmutter gegeben, aber jetzt …« Er betrachtete den Band in seinen Händen. »Meinen Sie, Anthony hat das Tagebuch gelesen?«

»Das glaube ich nicht, denn es stand viele Jahre lang zwischen all den anderen Bänden.«

»Darf ich es mir für heute Abend ausleihen?« »Eigentlich kann nicht ich das entscheiden, oder?«

»Nein, aber Anthony möchte ich nicht fragen. Danke, Rebecca.«

»Sie könnten mir Ihrerseits einen Gefallen tun, Ari.« »Natürlich. Welchen?«

»Ich weiß, das klingt absurd, doch ich werde das Gefühl nicht los, dass tatsächlich eine Verbindung zwischen Violet und mir besteht. Das lässt mir keine Ruhe.«

»Verständlich.«

»Ich würde gern erfahren, wie Violet gestorben ist.« »Hm …« Ari sah auf seine Uhr. »Anthony erwartet mich

in zwanzig Minuten zum Abendessen. Wissen Sie was? Ich gebe Ihnen Anahitas Geschichte. Sie erklärt alles viel besser, als ich es könnte.«

»Würden Sie sie mir bringen?«, bat Rebecca ihn. »Dann kann ich gleich mit dem Lesen anfangen.«

»Ja, gern.« Ari verließ den Raum mit dem Tagebuch unter dem Arm. Wenige Minuten später kam er mit der Plastikmappe zurück.

»Ich muss Sie warnen, Rebecca. Es ist keine angenehme Lektüre.«

»Danke.«

Als Ari gegangen war, machte Rebecca es sich auf dem Sofa bequem, nahm das Manuskript aus der Mappe und blätterte bis zu der Stelle, an der sie zu lesen aufgehört hatte …

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]