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Lucinda Riley - Die Mitternachtsrose.pdf
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Anahita

Wieder in der Schule konzentrierte ich mich auf meine Prüfungen, weil ich wusste, dass ich, wenn ich in England einen medizinischen Beruf ergreifen wollte, außergewöhnliche Leistungen bringen musste. Die Abschlussprüfungen absolvierte ich in einem Nebel aus Schlafmangel, Kopfschmerzen und Angst. Ich glaubte, mich gut geschlagen zu haben, würde die Resultate jedoch erst Ende des Sommers erhalten.

Bevor ich die Stelle als Kindermädchen bei Selina und ihrer kleinen Tochter antrat, begleitete ich meine Freundin Charlotte in ihre Heimat Yorkshire, weil ich unbedingt das Zuhause meiner geliebten Brontë-Schwestern sehen wollte.

Charlottes Vater verrichtete Missionsarbeit in Afrika, und vielleicht erinnerst du, mein lieber Sohn, dich noch, dass ihre Mutter im vergangenen Jahr gestorben war. Charlotte und ihr reizender Zwillingsbruder Ned fuhren mit mir im Bus nach Haworth Moors.

An jenem Abend aßen wir zu dritt im hübschen Garten des Pfarrhauses.

»Was willst du jetzt nach dem Schulabschluss machen?«, fragte ich Ned beim Kaffee.

»Wenn dieser Krieg nicht verdammt schnell endet, und das bezweifeln wir ja alle, werde ich wohl im Lauf der nächsten sechs Wochen eingezogen. Eigentlich ist das Kämpfen nicht meine Sache«, erklärte Ned. »Ich würde

lieber wie die Brontës schreiben.«

»Du möchtest also nicht wie dein Vater Geistlicher werden?«

»Keine Angst! Falls ich überhaupt einmal so etwas wie Glauben gehabt haben sollte, hat dieser Krieg ihn mir gründlich ausgetrieben.«

»Ned«, schalt Charlotte ihn. »Sag das bitte nicht. Bestimmt ist der Krieg bald vorbei.«

»Wir dürfen den Glauben niemals verlieren, Ned«, pflichtete ich Charlotte bei. »Was bliebe uns denn sonst noch?«

Am folgenden Tag, als Charlotte einen Verwandtenbesuch machte, gingen Ned und ich in den Keighley Moors spazieren. Dabei unterhielten wir uns über Literatur und Philosophie, und er stellte mir Fragen über mein Leben in Indien. Ich fand seine umsichtige, sanfte Art angenehm und muss zugeben, dass ich in den folgenden Monaten ziemlich oft an ihn dachte. Am nächsten Morgen verabschiedete ich mich am Bahnhof von Keighley tränenreich von Charlotte, bevor ich die lange Fahrt nach Devon antrat.

»Anni! Liebe Anni, willkommen!« Selina umarmte mich zur Begrüßung, als ich aus dem zweirädrigen Pferdewagen stieg. »Komm herein, und vielmals Entschuldigung dafür, dass ich kein Auto zum Bahnhof schicken konnte, um dich abzuholen. Die Rationierung macht uns sehr zu schaffen, und weil wir so weit vom Schuss sind, müssen wir eisern Benzin sparen. Ich habe dich neben dem Kinderzimmer auf dem Hauptstockwerk untergebracht«, teilte sie mir mit,

während sie mich die Treppe hinaufbegleitete. »Eleanor schläft nachts meistens durch, aber ich finde es gut, wenn du in der Nähe bist, falls sie doch einmal aufwacht.«

»Danke«, sagte ich, überwältigt von ihrem herzlichen Empfang. »Sie wissen, dass ich wenig Erfahrung im Umgang mit kleinen Kindern habe?«

»Anni, du hast mir geholfen, Eleanor auf die Welt zu bringen! Ich vertraue dir. « Sie öffnete die Tür zu meinem Zimmer. »Gefällt es dir?«

Ich sah mich in dem Raum mit dem wunderbaren Blick auf den Garten und das Moor um. »Ja, es ist sehr schön, danke.«

»Soll ich dir Tee bringen lassen?«

»Ehrlich gesagt würde ich gern meine Freunde in der Küche wiedersehen und den Tee dort trinken.«

»Es freut mich so, dass du da bist, Anni. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für ein Albtraum es war, eine geeignete Person für Eleanor zu finden. Das alte Kindermädchen, das Mutter für mich aufgetrieben hatte, war grässlich. Ich habe die Alte vor die Tür gesetzt, was Mutter natürlich nicht gut fand.« Selina verdrehte die Augen. »In den letzten Monaten habe ich mich selbst um Eleanor gekümmert. Komm doch zu uns ins Kinderzimmer, wenn du dich hier eingerichtet und in der Küche alle begrüßt hast.«

Beim Auspacken musste ich darüber schmunzeln, dass eine junge Mutter es als unerhört empfand, sich selbst um ihr Kind zu kümmern. Nachdem ich mich frisch gemacht hatte, ging ich hinunter in die Küche, wo sich die Bediensteten sofort um mich scharten. Mrs Thomas

versorgte mich mit Kuchen und Tee, Tilly drückte mich fest, und ich fühlte mich gleich zu Hause.

Danach ging ich zu Eleanor ins Kinderzimmer. Sie war inzwischen fast drei Jahre alt, ein entzückendes Mädchen, das mich sofort mochte. Ich badete die Kleine, während ihre Mutter uns zusah, zog ihr ein Nachthemd an und sang sie in den Schlaf.

»Du bist das reinste Wunder«, schwärmte Selina, als wir auf Zehenspitzen aus dem Zimmer schlichen. »Eleanor hat dich schon ins Herz geschlossen. Anni, ich denke, sobald sie sich ein bisschen besser an dich gewöhnt hat, könnte ich vielleicht nach London fahren. Ich habe dieses Haus über ein Jahr nicht verlassen, und es gibt so viele Freundinnen, mit denen ich mich gern treffen würde.«

»Natürlich, Lady Selina. Deshalb bin ich ja hier. Sie können hinfahren, wohin Sie möchten.«

»Wahrscheinlich nehme ich dich beim Wort! Hier war es so langweilig. Es würde mich freuen, wenn du Mutter und mir beim Abendessen Gesellschaft leistest. Ich bin neugierig, wie es Minty, Indira und der Koch-Bihar-Familie geht.«

Ich zog mein bestes Kleid von Harrods an und ging hinunter ins Esszimmer. Lady Astbury strafte mich wie üblich mit Missachtung. Ich wusste, dass es ihr unangenehm war, mich, ein einfaches Kindermädchen, bei sich am Tisch sitzen zu haben. Selina hingegen freute sich über die Schilderungen meiner Zeit mit Indira in London, als es der Maharani gelungen war, mit dem Schiff nach England zu reisen.

»Mutter, da Anni sich ja nun um Eleanor kümmert, habe

ich mir gedacht, ich könnte nächste Woche nach London fahren. Darf ich?«, fragte Selina beim Nachtisch.

Es stimmte mich traurig, dass sie ihre Mutter um Erlaubnis bitten musste, obwohl sie doch selbst eine verheiratete Frau mit eigenem Haushalt gewesen war. Doch leider hatte das Schicksal Selinas unabhängiges Leben sehr schnell beendet.

»Wenn du meinst, Selina. « Lady Astbury bedachte sie mit einem abschätzigen Blick. »Sind Sie sicher, dass Sie mit dem Kind zurechtkommen, Miss Chavan?«, fragte sie mich. »Ich werde jedenfalls keine Zeit dafür haben.«

»Natürlich, Lady Astbury. Eleanor und ich schaffen das schon«, versicherte ich ihr.

Als Selina einige Tage später ihre Reisehandschuhe anzog und in den Pferdewagen stieg, der sie zum Bahnhof bringen sollte, spiegelte sich in ihrer Miene eine Mischung aus Vorfreude und Furcht.

»Viel Spaß, Lady Selina. Sie sind jung und schön und haben sich nach so schwierigen Zeiten ein wenig Freude verdient.«

»Danke, Anni. Du findest immer die richtigen Worte. Bitte schick ein Telegramm an unsere Londoner Adresse, falls es Probleme mit Eleanor geben sollte.«

»Das mache ich«, versprach ich und winkte ihr nach.

Am Ende blieb Selina, beruhigt, dass ihre Tochter sich in guten Händen befand, fast einen Monat in London. Das konnte ich ihr nicht verdenken. Auf Astbury Hall lag ein dunkler Schatten. Sogar ich, der es sonst kaum auffiel, dass es kein heißes Wasser gab und der Verputz von den

Außenmauern des Gebäudes bröckelte, konnte nicht übersehen, wie renovierungsbedürftig es war.

Dazu kam, dass der Sohn und Erbe des Hauses, mein geliebter Donald, noch immer im Ausland kämpfte. Seit Wochen hatten wir keine Nachricht von ihm. Als ich eines Tages mit Eleanor in den Ställen war, um die Pferde zu streicheln, legte ich den Kopf an Glorys glatte Mähne.

»Dein Herr kommt bald wieder, das verspreche ich dir «, flüsterte ich der Stute zu.

Im August verrottete das Korn auf den Feldern, weil niemand da war, um es zu ernten und zu dreschen. Die Schafe auf dem Moor blieben ungeschoren und verbrachten den Sommer in ihrer schweren Wolle, die viele Soldaten in kälteren Regionen hätte wärmen können.

Stoischen Vorsitz über das Chaos führte Maud Astbury, die jeden Tag um Punkt halb vier den Tee auf dem Rasen einnahm und dann um sechs in die Hauskapelle ging, völlig unbeeindruckt davon, dass das Leben auf dem Anwesen stillzustehen schien.

Ich versuchte, Verständnis für sie aufzubringen und mir ins Gedächtnis zu rufen, dass fünfundzwanzig Jahre zuvor, als sie Donalds Vater geheiratet hatte, eine andere Zeit gewesen war. Man hatte sie nicht darauf vorbereitet, die Verantwortung für Astbury allein zu tragen. Das erklärte ich den Bediensteten, die darüber zu klagen begannen, dass ihre Herrin es nicht schaffte, etwas an dem traurigen Zustand zu ändern.

»Dann sollte die Lady gefälligst lernen, das Anwesen zu führen«, erklärte Mrs Thomas. »Wenn sie nicht bald was unternimmt, gibt es nicht mehr viel, wozu der junge Lord

zurückkehren könnte!«

»Hoffentlich bleibt nicht eines Tages alles an dir hängen, Eleanor«, flüsterte ich der Kleinen eines Nachmittags bei unserem täglichen Spaziergang durch den Park zu. »Und hoffentlich haben die Götter sich nicht geirrt, und dein Onkel kommt tatsächlich wohlbehalten zurück.«

Die Prüfungsergebnisse erhielt ich Mitte August. Ich hatte mit Auszeichnung bestanden, und der lange, düstere Sommer hatte mich überzeugt, dass ich, anders als die anderen Bewohner von Astbury Hall, nicht bereit war, untätig herumzusitzen und zu warten, bis der Krieg zu Ende wäre.

Einige Tage nach Selinas Rückkehr aus London ging ich zu ihr.

»Lady Selina«, begann ich, »ich bin zu dem Schluss gelangt, dass ich England dienen möchte, und habe mich beim Voluntary Aid Detachment beworben.«

»Oje«, stöhnte Selina. »Die Maharani hatte erwähnt, dass du mit dem Gedanken spielst, aber ich hatte gehofft, dass das erledigt ist.«

»Leider nein. Meine Ausbildung zur Krankenschwester beginnt im September in London. Ich weiß, dass Sie jemand anders finden müssen, der auf die kleine Eleanor aufpasst. Jane, die neue Magd aus dem Ort, hat eine besondere Zuneigung zu ihr gefasst, und Eleanor scheint sie auch zu mögen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie sich sehr gut um sie kümmert.«

Selina stieß einen tiefen Seufzer aus. »Hoffentlich weißt du, worauf du dich einlässt, Anni. Eine meiner

Freundinnen, die sich freiwillig als Hilfskrankenschwester gemeldet hat, war nur eine Woche dabei. Sie musste Bettpfannen ausleeren!« Selina rümpfte die Nase. »Vermutlich wäre es Verrat an König und Vaterland, wenn ich dich bitten würde, es dir noch einmal zu überlegen, also musst du natürlich gehen. Und ich werde hier in diesem gottverlassenen Gemäuer sitzen und einmal in der Woche mit Mutter, dem Geistlichen und seiner siebzigjährigen Schwester Bridge spielen!«

Ich nahm eine ihrer schmalen, blassen Hände in die meinen. »Lady Selina, ich kann Ihnen versichern, dass Sie in der Zukunft viel Schönes erleben werden. Vermutlich haben Sie während Ihres Aufenthalts in London bereits eine erste Ahnung davon bekommen.«

Sie sah mich überrascht an. »Anni, woher weißt du das? Ja, da war ein Mann, aber ich bin erst knapp ein Jahr Witwe, und Mutter würde ihn mit Sicherheit nicht gutheißen. Er ist Ausländer, ein französischer Graf, für die französische Regierung in London tätig.« Sie wurde rot. »Offen gestanden, Anni: Ich mag ihn mehr, als mir lieb ist.«

»Wenn Sie Ihrem Herzen folgen, Lady Selina, und sich nicht von anderen Leuten beirren lassen, wird alles gut, das verspreche ich Ihnen.«

»Danke, Anni. Du schaffst es immer, anderen Menschen Hoffnung zu geben.«

»Ich sage nur, was mein Instinkt mir eingibt.«

»Du hättest auch jemanden verdient, der dir besonders am Herzen liegt.«

»Danke, Lady Selina.« Zum Glück wusste sie nicht, wer

das war.

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