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Eine reiche sinnenfrohe Bildwelt
Es wirkt beinahe verwirrend, wenn man bedenkt, dass Peter Paul Rubens, der wie kein anderer in den schönen, schweren, doch geschmeidigen Menschen seiner prachtvollen Gemälde Lebenslust und Sinnenfreude zum Ausdruck bringt, zu der Zeit lebte, als in Europa der dreißigjährige Krieg die Bevölkerung vieler Länder auf grausamste Weise dezimierte. Wie geht es zusammen, dass Belgiens größter Maler in seinen Volks- und Liebesfesten mitreißende Sinneslust gestaltete, dass er Bilder schuf, die glanzvolle Hymnen an die Schönheit der Welt sind, und Porträts hochgestellter oder tatsächlich bedeutender Männer und schöner Frauen malte, aus denen moralische Makellosigkeit und geistige Größe zu uns sprechen, während die Inquisition unzählige Ketzerverbrennungen, Hexenprozesse und Folterungen aller Grade durchführte? War dieser Mann denn blind dem gegenüber, was um ihn geschah?
Den Traditionen des Humanismus verpflichtet. Er war es genau so wenig (und genau so viel) wie seine Zeitgenossen Rembrandt (1606 — 1669) in Holland, Velazquez (1599 bis 1660) in Spanien und Poussin (1594-1665) in Frankreich. Die vier Meister waren zumindest in großen Zügen über das unterrichtet, was in Europa vor sich ging. Ihre national orientierte ideologische und künstlerische Position war zwar nicht unabhängig von den Interessen und Wünschen der herrschenden Feudalklasse, trotz allem blieb sie aber den humanistischen Traditionen der Renaissance verpflichtet. Sie liebten ihr Volk, und sie haßten den Krieg. „Ich bin ein friedliebender Mann, und ich glaube, es sollte der größte Wunsch jedes aufrichtigen Mannes sein, im Frieden zu leben. Ich bedaure sehr, dass sämtliche Könige und Fürsten diese Ansicht nicht teilen." Mit diesen Worten bekannte Rubens, dass ihn in der Hauptfrage des Lebens — Frieden oder Krieg — alles von den Machthabern seiner Zeit trennte.
Peter Paul Rubens wurde als Sohn eines Antwerpener Rechtsgelehrten in Siegen geboren. Sein Vater war 1568 nach Deutschland geflohen, da er sich als Anhänger des Protestantismus in der vom katholischen spanischen König beherrschten Stadt Antwerpen nicht sicher fühlen konnte. Nach dem Tode des Vaters ging die Mutter, die sich mit dem Katholizismus ausgesöhnt hatte, mit ihren Kindern nach Antwerpen zurück. Peter Paul war damals zehn Jahre alt. Die einst prächtige Handelsstadt hatten die demoralisierten spanischen Truppen 1576 zerstört. 1400 Häuser waren niedergebrannt, mehr als 7000 Menschen ermordet worden. Nur langsam erholte sich Antwerpen, aber gerade das Erlebnis, dass sich neues Leben zu regen begann, bestimmte die ersten Eindrücke des Jungen von dieser Stadt. Als kurz vor der Jahrhundertwende den spanischen Niederlanden (so wurde damals Belgien im Gegensatz zu Holland genannt) politische Unabhängigkeit versprochen wurde und der neue Statthalter, der österreichische Erzherzog Albrecht, manches tat, um die Bevölkerung die düstere Vergangenheit vergessen zu lassen, gab es für Rubens, der inzwischen Meister der Malergilde geworden war, keinen Grund, die ihm angebotene Stelle eines Hofmalers des Herzogs abzulehnen. Er konnte sich in seinem neuen Amt frei entfalten und erhielt sogar die Erlaubnis zu einem achtjährigen Aufenthalt in Italien.
Das Studium der italienischen Kunst war für den jungen Meister von entscheidender Bedeutung. In Venedig begeisterten ihn die Werke Tizians, aber auch die Wand- und Deckenbilder Michelangelos in Rom übten Einfluß auf ihn aus. Als er 1608 in die Heimat zurückkehrte, hatte er seinen Stil gefunden. Die Farbenglut Tizians und die monumentale Formgebung Michelangelos verbinden sich in der Kunst Peter Paul Rubens mit den Eigentümlichkeiten der Flämischen Malerei.
1609 heiratete Rubens die achtzehnjährige Isabella Brant, Tochter eines wohlhabenden Antwerpener Gelehrten. Auf dem Hochzeitsbild, das er im gleichen Jahr malte, sitzt das Paar in einer Geißblattlaube. Sie hat ihre Hand auf die seine gelegt. Aufmerksam und freundlich sehen beide den Betrachter an. Die ungezwungene Haltung widerspricht vollkommen der höfischen Porträtmalerei dieser Zeit, in der die Dargestellten steif und unnahbar vor dem Betrachter posieren.
Widersprüche seiner Zeit in realistischen Bildern. Das Ansehen des Meisters wuchs rasch. Der katholische Klerus, der mit allen visuellen Mitteln die Aufmerksamkeit des Volkes auf sich zu lenken trachtete und daher die Kirchen mit Bildern, Plastiken und üppigem Zierrat überlud, zählte in den folgenden Jahren zu Rubens' bedeutendsten Auftraggebern. Obwohl die wirbelnde Dramatik seiner Kompositionen, die exaltierten Seelenzustände der Heiligen, die hin und wieder in theatralische Gefühlsseligkeit ausartet, den Wünschen der Geistlichkeit durchaus entsprach, klafft in den Bildern ein Widerspruch. Die kirchliche Auffassung, wonach das Leben eine fromme Pilgerfahrt mit dem Ziel der Erlösung von gerade diesem Leben zu sein habe, steht im Gegensatz zu dem kraftvollen Realismus der Gestalten auf den Gemälden. Die athletischen Männer und Renaissance näher als den entsagungsbereiten heiligen und Märtyrern, die sie eigentlich verkörpern sollen. Christus gleicht Prometheus; die büßende Magdalena wird zur Schwester der Liebesgöttin Venus. Juwellengleich leuchten die Farben. In subtilsten Abstufungen gleichtet das Licht über die muskulösen Körper der Männer und die weichen Rundungen der schönen Frauen. Eine überschwengliche, gerade hochfahrende Lebenszugewandtheit spricht aus den Haltungen und Gebärden dieser Gestalten, die so tun, als wären Reue und Buße, Leidensbereitschaft und Weltverzicht ihr Anliegen.
Spanische und deutsche Fürsten, italienische Aristokraten und Bankiers, die Könige Frankreichs, Englands und Spaniens verlangten Bilder von dem Meister. Bis zu zwei Jahren mussten sie auf die Erfüllung ihrer Wünsche warten, obwohl Rubens längst eine große Werkstatt mit Meistern, Gesellen und Schülern eingerichtet hatte. Hier arbeitete zum Beispiel Jan Brueghel, der Sohn des berühmten Bauernmalers Pieter Brueghel, als Spezialist für Blumen, Früchte, Stilleben und Landschaften. Ein anderer Meister war der Tiermaler Frans Snyders, und schließlich gehörte zu den Mitarbeitern der geniale Anthonis van Dyck. Neben der Werkstatt hatte Rubens ein Atelier für Kupferstecher eingerichtet, in dem unter Leitung von Lucas Vorstermann die Gemälde des Meisters als Grafiken reproduziert wurden, um dann nach Frankreich, Spanien, England, Deutschland und Italien verkauft zu werden.
Kraftvolle Gestalten aus dem Leben des Volkes. 1626 starb seine Frau. „Mir fällt es sehr schwer, den Schmerz über diesen Verlust von der Erinnerung an einen Menschen zu bannen, den ich lieben und werthalten muss, solange ich lebe“, schrieb er an einen Freund. Doch sein weitläufiges Hauswesen verlangte nach einer Hausherrin, und so heiratet er vier Jahre später die sechzehnjährige Helene Fourment. Wir kennen sie aus dem Bild der Dresdner Galerie „Bathseba am Springbrunnen“. In dem Gemälde des fast sechzigjährigen Meisters ist der malerische Stil zu höchster Reife erblüht. Die farbige Schönheit des Körpers und der materiellen Dinge ist zum Bild der Glücksmöglichkeit des Menschen und des Reichtums der Natur geformt. In milden Kontrasten von Hell und Dunkel fließt das Licht über die blutdurchpulste Haut der jungen Frau, um sich im Hintergrund in diffuser Helligkeit zu verlieren.
Zu den Spätwerken Rubens' gehört die zwischen 1636-1638 gemalte Bauernkirmes. Es ist eine der wenigen Darstellungen aus dem Volksleben, die Rubens geschaffen hat. Vertreter des einfachen Volkes, wie wir sie in der Dresdner „Wildschweinjagd“ finden, gibt es allerdings in vielen Bildern. Sie sind von Rubens stets als kraftvolle und imposante Gestalten geformt.
Am. 30. Mai 1640 starb in Antwerpen Peter Paul Rubens, dessen lebensbejahende, kraftvolle Malerei als ein glanzvoller Höhepunkt der Kunst, als ein unverlierbares Zeugnis humanistischer Menschheitskultur zu uns herüberleuchtet.