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Isaak Iljitsch Lewitan
Die erstaunliche Einfachheit und Klarheit des Motivs, die Lewitan in der letzten Zeit erreicht hat, hat keiner vorher und wird auch kaum ein anderer erreichen können.
A. Tschechow
Lewitan ist berühmt als der Maler, der die Seele der russischen Natur auszudrücken verstand. Sein Name steht gleichberechtigt neben den ganz Großen der russischen Kultur wie Tolstoi, Tschechow, Rachmaninow, Jermolowa, Schaljapin, Repin, deren Werke den Stolz der Nation widerspiegeln. Den „besten russischen Landschaftsmaler" nannte Tschechow den Künstler.
Die Landschaft nahm immer einen bedeutenden Platz in der Geschichte der russischen Malerei ein. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren es Wenezianow, etwas später Sawrassow, Wassiljew, Schischkin, Polenow und andere Künstler, die in ihren Werken die Schönheit und Poesie der auf den ersten Blick so bescheidenen russischen Natur hervorhoben. Durch die Darstellung der Felder und Wälder, der Äcker und Dörfer drückten diese Maler den großen Inhalt des Lebens der einfachen Leute aus.
Lewitan führte diesen Weg fort. Seine ersten Versuche ähneln den ersten schüchternen Melodien, aus denen sich später ein kompliziertes und mächtiges musikalisches Werk entwickelt.
Die Zeit des Aufenthalts an der Wolga war ein bedeutender Meilenstein im schöpferischen Leben Lewitans. Hier hat er sich selbst gefunden, hier brachte er alles zum Ausdruck, was er gesucht hatte. Die Weite, das sich ruhig ausbreitende Land, das gleichmäßige Fließen des wasserreichen Stromes, die weichen Konturen der Ufer, epische Geräumigkeit und feine Lyrik – das alles ergibt den unaussprechlichen Liebreiz der Natur, die zugleich intim und mächtig ist. Die Wolga mit ihren unendlichen Weiten, mit ihrer ständig wechselnden Beleuchtung, mit ihrem unaufhaltbaren Leben und mit ihren malerischen Landschaften hatte Lewitans Herz erobert. Er malte die Bilder: „Abend an der Wolga" (1888), „Abend", „Goldenes Pljoss" (1889), „Nach dem Regen", „Pljoss" (1889), „Abendklang" (1892), die ihm großen Ruhm brachten.
In den Werken der Wolgaperiode strebte Lewitan danach, den nationalen Charakter der russischen Landschaft, ihre eigenartige Poesie und Schönheit zum Ausdruck zu bringen. Sein Ziel war es, über Rußland und russische Menschen, über ihre Träume und Hoffnungen, über ihre Leiden und ihren Kummer zu berichten.
Tschechow und Lewitan lebten zur Zeit der politischen Reaktion der 80er Jahre des 19. Jh., zu einer Zeit, in der jeder freiheitsliebende Gedanke in Rußland unterdrückt wurde. Alles versank im Sumpf des spießbürgerlichen Daseins, das beiden, Lewitan und Tschechow, verhaßt hatten.
Isaak Iljitsch Lewitan wurde am 18 (30). August 1860 in dem kleinen Örtchen Kibarty im Gouvernement Kowno geboren. Anfang der 70er Jahre übersiedelte die Familie nach Moskau, wo die Eltern bald darauf starben. Lewitan blieb mit einem Bruder und zwei Schwestern allein; für ihn begann der Kampf ums Leben. Mit 15 Jahren besuchte er die Moskauer Kunstschule für Malerei, Plastik und Architektur. Bevor er anerkannt wurde, litt Lewitan lange Jahre Not. Seine Mitschüler waren M.Nesterow, Sergei und Konstantin Korowins und N.Kasatkin. Später war er auch mit anderen Künstlern, W.Serow und I.Ostrouchow, befreundet. Enge Beziehungen verbanden ihn mit dem Sänger F.Schaljapin.
Lewitan besaß ein seltsames Äußeres; als Jüngling war er hübsch und zierlich. In seinen reifen Jahren schien er einem Bilde von Veronese entsprungen zu sein.
Sein ganzes Leben widmete Lewitan seiner Arbeit. Die Kunst war für ihn Sinn und Inhalt seines Daseins. Er liebte die Kunst mit Zittern und Beben, in ewigem Zweifel; er schwankte stets zwischen den Qualen der Selbstunzufriedenheit und dem Glauben an seine Kräfte. Er reagierte scharf auf alle Lebenserscheinungen und besonders auf die Schönheit der Natur, in die er verliebt war.
Lewitans Charakter war sehr kompliziert; manchmal litt er an peinlichen Melancholieanfällen, seine Liebe zur Kunst gewann aber immer die Oberhand.
Die langjährige Freundschaft mit der Malerin S.P.Kuwschinnikowa, einer ungewöhnlichen Frau, spielte eine wesentliche Rolle in seinem Leben. In dem Salon der Malerin versammelte sich „halb Moskau", hauptsächlich die künstlerische Intelligenz: der bekannte Schauspieler und Dramatiker A.Sumbatow-Jushin, der Sänger A.Donskoi, die berühmte Schauspielerin Jermolowa; die Brüder Tschechow waren hier zu Besuch. Mit der Familie Tschechow wurde Lewitan im Jahre 1879 bekannt. Die Familie Tschechow war groß, da gab es immer Humor und Scherze. Man arbeitete fleißig und erholte sich heiter. Damals malte Lewitan das Porträt A.P.Tschechows und die Landschaft „Der Fluß Istra". Beide schenkte er Tschechow zum Andenken.
Die Freundschaft zwischen Lewitan und Tschechow ist eine bedeutende Episode in der Geschichte der russischen Kultur. Durch die tiefe Liebe zu ihrer Heimat, zur Natur und Kunst waren beide aufs innigste miteinander verbunden. Nicht nur Tschechow schätzte Lewitan als Landschaftsmaler, auch Lewitan wußte Tschechows Sinn für die Landschaft zu würdigen: „... die Landschaften in deinen Erzählungen sind Gipfel der Vollendung..."
Mit dem Anfang der 1890 Jahre trat der Wunsch, das Leben philosophisch zu erfassen, im Schaffen Lewitans, besonders deutlich zutage. Er vertiefte sich in Gedanken über den Sinn des Lebens, über die Einstellung des Menschen zu der großen und komplizierten Umwelt, über das Schicksal Rußlands und des russischen Volkes. Der Maler suchte das monumentale Landschaftsbild.
1892 entstand das Gemälde „Die Wladimirka" - eines der wenigen Beispiele historischer Landschaften. Nie zuvor wurde das historische Schicksal eines Landes und seines Volkes so vollkommen deutlich in einer Landschaft dargestellt wie auf diesem Bild. Die Weite der unendlichen Felder, der lange, sich im Unendlichkeit laufende Feldweg, der düstere, wolkige Himmel, das graue, trübselige Kolorit eines sonnenlosen Tages und nicht zuletzt die einsame Gestalt der betenden Wandererin verkörpern für Lewitan die Weite und Breite seiner Heimat, ihre Größe und das auf Rußland lastende Joch, das Herzweh um das Schicksal der besten russischen Menschen.
Ein breiter Wasserspiegel beeindruckte Lewitan immer wieder aufs tiefste. In seinem Bild „Ewiger Friede" bedrückt den Menschen die ungeheure Breite des Wassers und des tiefhängenden Himmels, sie erweckt den Gedanken an die Geringfügigkeit und Vergänglichkeit des menschlichen Lebens. Diese Landschaft ist eine der tragischsten in der Malerei überhaupt.
Die Liebe Lewitans zur Natur war sein Leben lang gleich groß und leidenschaftlich; seinem ganzen Schaffen wohnt eine unermäßliche Begeisterung für die Schönheit der Natur inne. Man spürt sie im Bild „Birkenhain", „Frühjahr in Italien", „Goldener Herbst". Der Eindruck der liebkosenden Frühlingssonne in der Landschaft „März" ist auffallend realistisch. In allen Einzelheiten findet die Vereinigung des Menschen mit der Natur ihren Ausdruck.
Das Jahr 1895 war für den Künstler eine Zeit der großen Schaffensfreuden. Er weicht dem Philosophieren aus und erlebt die wahre Freude am Tauen des Schnees, am Klang der fallenden Tropfen, am blauen Himmel, an der Purpurröte des herbstlichen Laubes, an der Wolga wieder. Lewitan erreichte eine dekorative Farbenfülle der russischen Landschaft und eine Klarheit der Farben, die den allrussischen Lokaltönen der Ikonenmalerei verwandt ist.
In den besten Lebensjahren Lewitans wurden seine Landschaften raffinierter, lakonischer. Nach den treffenden Worten eines Forschers sind es „Lieder ohne Worte". „Die erstaunliche Einfachheit", schrieb Tschechow über die späteren Bilder Lewitans, „und Klarheit des Motivs, die Lewitan in der letzten Zeit erreicht hat, hat keiner vorher und wird auch kaum ein anderer erreichen können." Die Bilder, die um 1899-1900 gemalt wurden, „Dämmerung", „Die letzten Sonnenstrahlen", „Sommerabend", „Heuschober", sind feinste lyrische Poeme, in denen die alltäglichen Motive eine hohe Bedeutung erhalten und „die Stille hörbar wird". Lewitan malt freier und sicherer, seine Malerei beruht auf koloristischen Nuancen und wird mutiger und dekorativer.
Als ein wahres und weises Testament des Künstlers ist sein letztes Bild, das den Namen „Der See. Rus" trägt. Ein mächtiges und schönes Bild der russischen Natur. Wie in dem Finale einer Sinfonie sind hier alle früheren Melodien konzentriert, und es siegt das Hauptthema, das Thema des triumphierenden Lebens. So wünschte der große Maler Rußland zu sehen, und so sah er sein Vaterland auch.
Lewitan hat das Bild nicht zu Ende geführt, da die Krankheit an ihm zehrte. Ende 1899-1900 wohnte Lewitan bei Tschechow in Jalta. Am 22. Juli (4. August) 1900 ist Lewitan gestorben.
Es starb ein Künstler, der mit der fortschrittlichen Kunstgemeinschaft der Peredwishniki verbunden war. Lewitan hat sich auch die Errungenschaften der europäischen Kunst angeeignet, insbesondere die der Impressionisten. Dabei blieb er in jedem seiner Werke ein russischer volksverbundener Maler.
Die Kunst Lewitans wurde zur Volkskunst im umfassendsten Sinne des Wortes. Deswegen wurde der Begriff „Lewitans Natur" nicht nur allgemein gebräuchlich, sondern auch quasi zum Synonym des Begriffs „russische Natur".