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Die Geschichte der Kunst
«Darf ich Sie jetzt bitten, mir in das Museum zu folgen? Sehen Sie», sagte er als wir den Vorraum betraten, «das Museum ist ein griechischer Tempel.»
Durch den Portikus (Säulenhalle) betritt man die große Eingangshalle, deren strenge Wirkung zur geistigen Sammlung auffordert. Sind Sie gesammelt, ja? Nun schreiten wir, nach der Entrichtung des Obolus (des Eintrittspreises), zu den Altären und Reliquienschreinen der Kunstgeschichte, um in innerer Einkehr oder seelischer Verzückung die Kommunion mit dem Heiligen Geist der Kunst zu feiern. Und nun folgen Sie mir bitte in den Raum des Stils. «Der Museumsführer ging voran und wendete sich dann wieder uns zu.
«Der Aufbau des Museums zeigt: Die Geschichte der Kunst entfaltet sich als Stilgeschichte. Der Stil entsteht aus dem Widerspruch zwischen der Integrität des Werks (Ganzheitlichkeit) und der Autonomie (Selbständigkeit) der Kunst. Wenn wir Kunst von anderen Bereichen - etwa Handwerk oder Technik — unterscheiden wollen, brauchen wir etwas, was trotz der Integrität jedes Einzelwerks mehrere Werke miteinander verbindet. Das ist dann der Stil. Der italienische Ausdruck dafür war >maniera< (Manier, maniere oder manner), ein Wort, mit dem man auch die Manieren, also den Verhaltensstil eines Menschen, bezeichnete.»
Romanische und gotische Kunst
«Wir gehen jetzt in den Raum des Mittelalters.» Als sich alle dort versammelt hatten, fuhr er fort.
«Am Anfang der Kunstentwicklung im Mittelalter bezog sich >Stil< auf die schlichte Anweisung, aus der Fülle der vergangenen Kunstproduktion - und Fülle heißt lateinisch >copia< - das Richtige herauszusuchen und zu >kopieren<. Auf diese Weise entstand die erste gesamteuropäische Kunstsprache, die romanische Kunst. Sie setzt um das Jahr 1000 ein und reicht bis ins 13. Jahrhundert. Ihre großen Monumente bilden die Kirchenbauten. Ihre besonderen Kennzeichen sind die Rundbögen, die Gewändefiguren und die halbrunden Vertiefungen über den Türen, in denen Figurenreliefs, in konzentrischen Halbkreisen angebracht, die sogenannten Tympana bilden. Nebenbei gesagt: Das Wort tympanon leitet sich von dem griechischen Wort für Tamburin her und bezeichnet auch das Trommelfell. Die Grundfiguren der Romanik sind das Quadrat und der Halbkreis. Dabei entsprechen meist zwei quadratische Kreuzgewölbe eines Seitenschiffs einem quadratischen Kreuzgewölbe des Mittelschiffs. Das Quadrat wiederholt sich dann in den sogenannten Würfelkapitellen, den oberen Abschlüssen der Rundsäulen, wie in diesem hier.» Nachdem wir gehörig gestaunt hatten, fuhr er fort:
«Ab 1150 wurde der romanische Stil von der Gotik abgelöst. Ihre Wiege ist die Ile de France, also die Gegend um Paris. Anders als in der Romanik wurde der Innenraum einer Kirche nicht mehr als Summe von verschiedenen Räumen, sondern als Raumeinheit verstanden. Die Kirchen werden höher, und den erhöhten Druck der Gewölbe leiten die Kreuzrippen zu den Pfeilern, die ihrerseits durch Strebepfeiler gestützt werden, die man nach draußen vor die Außenwände verlegt. Auffallendstes Kennzeichen gegenüber der Romanik ist der Spitzbogen, der schmalere Joche und deshalb eine dichtere Abfolge der Bögen ermöglicht. Zwischen den Strebepfeilern werden die Mauern in Fenster aufgelöst, deren obere Teile mit Maßwerk gefüllt werden. An den Westfassaden werden gewaltige Türme hochgezogen und mit einem Reichtum an Formen wie Kreuzblumen, Fensterrosen und Figuren geschmückt.
In diesem Stil wurden die Kathedralen von Laon, Bourges, Paris (Notre Dame), Chartres, Reims und Amiens gebaut. In Deutschland setzt sich die Gotik nur langsam durch. Zu den berühmtesten Kirchenbauten zählen die Münster von Straßburg und Freiburg und der Kölner Dom. Dann aber wurden die Formen der gotischen Baukunst auch für sogenannte Profanbauten (weltliche Bauten) übernommen, und Rathäuser, Schlösser, Burgen und Bürgerhäuser wurden im gotischen Stil errichtet. In Italien hat die Gotik nur im Norden Einzug gehalten (Mailänder Dom), und ein Großteil der Stadtkulisse Venedigs besteht aus gotischen Palästen.
Die gotische Plastik — hier sehen wir ein schönes Beispiel — blieb an die Architektur gebunden. Gotische Figuren schmücken die Portale der Kirchen und brauchen die Konsole unter den Füßen und den Baldachin über dem Kopf. Träger des Ausdrucks wurde der Faltenwurf des Gewandes. In Deutschland entstehen im 13. Jahrhundert die Skulpturen des Bamberger und Naumburger Doms, der Bamberger Reiter und die Uta, und die des Straßburger Münsters.
Folgen Sie mir bitte jetzt in den Raum der Renaissance.»