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Ein Film über das Wahre: Schindlers Liste
Keine Dokumentation und kein Spielfilm vermögen die Wahrheit über Auschwitz, über den Massenmord an den Juden zu zeigen. Hollywood- Regisseur Steven Spielberg hatte trotzdem den Mut, ein Filmepos über den Holocaust zu drehen. Eine wahre Geschichte, aber kein Dokumentarfilm. Im Mittelpunkt steht Oskar Schindler, Kriegsgewinnler und Retter von 1200 Juden.
Von Erwin Leiser
S
Spielberg
hatte große
Erfolge
mit Phantasie-Filmen
wie
„E.T. und „Jurassic-Park”.
Bei
„Schindlers Liste“
Interessierte er sich zum ersten Mal „für die Wahrheit“.
Dass der Held des Films „ein guter Deutscher ist, haben die deutschen Kommentatoren nicht als Alibi missbraucht. Man hat es dem amerikanischen Juden Spielberg hoch angerechnet, dass er es gewagt hat, einen Sudetendeutschen, den er selbst als „Nazi und Kriegsgewinner“ charakterisiert, in den Mittelpunkt eines Films über den Holocaust zu stellen. Zu den Verdiensten des Films gehört, dass er die zwiespältige Persönlichkeit Schindlers zeigt, ohne sie zu beschönigen. Spielberg erzählt Schindlers Geschichte, weil sie die Geschichte einer Wandlung, einer Metamorphose, ist. Aus dem Abenteurer, der bei Kriegsbeginn nach Polen gekommen war, um viel Geld zu verdienen, und das mit Hilfe billiger jüdischer Arbeitskräfte auch schaffte, wurde ein Mensch, der sein Vermögen opferte, um dem sadistischen Kommandanten des Arbeitslagers Plaszów alle Juden abzukaufen, deren Namen er mit Hilfe seines jüdischen Buchhalters Itzhak Stern auf eine Liste gesetzt hatte.
In der Formulierung Spielbergs lautet die Botschaft des Films: „Man muss kein Oskar Schindler sein, man muss kein Heiliger sein, um die Welt zu retten. Hätte es mehr Deutsche wie ihn gegeben, hätten nicht sechs Millionen Juden sterben müssen. Schindler sei ein Beispiel dafür, dass man auch in einer unmenschlichen Welt menschlich bleiben könne. Weil „Schindlers Liste“ die Rettung der „Schindler-Juden“ beschreibt, macht dieser Film die Tragödie erträglich. Doch das bedeutet nicht, dass Spielberg die Grausamkeit des Holocaust zu mildern versucht. Kein Film, kein Spielfilm und auch keine Dokumentation, kann die Wahrheit über den zynischen Massenmord an den Juden zeigen. „’Schindlers Liste“ aber zeigt, was doch möglich ist: Man kann davon erzählen“ (Der Spiegel). Claude Lanzmann hatte in „Shoah“ konsequent auf historisches Bild- und Filmmaterial verzichtet. Natürlich kennt Spielberg diesen Film und auch alle Dokumentarfilme. Er stellte Szenen aus Alain Resnais „Nacht und Nebel“ und meinem „Mein Kampf“ nach, um einem internationalen Publikum eine Vorstellung vom Holocaust zu vermitteln.
Wenn am Ende von „Schindlers Liste“ eine lange Reihe der wirklich von Schindler geretteten Juden zusammen mit den Schauspielern, die sie verkörpert haben, Steine auf das Grab Schindlers in Israel legen, weiß der Zuschauer, dass dieser Film eine wahre Geschichte erzählt. In Israel wurde Schindler geehrt, und dort liegt er, der nach dem Krieg glücklos und verarmt war, auch begraben. In Deutschland erfährt er erst jetzt die verdiente Würdigung. Spielberg beschreibt sehr realistisch, wer Schindler war und wie er sich veränderte. Aber er identifiziert sich mit den Opfern des Holocaust; er weiß, dass er damals zu ihnen gehört hätte. Er filmte nicht in Farbe, sondern schwarzweiß, so dass die Szenen in seinem Film eine dokumentarische Wirkung bekommen. Nach Möglichkeit drehte Spielberg an den Orten der Tragödie, wo ihn jeder Stein an die Wirklichkeit erinnerte. Er rekonstruierte sie mit Schauspielern, die – außer Ben Kingsley (Itzhak Stern) – dem Publikum nicht bekannt sind. Nur Episoden, für die es zwei Zeugen gab, nahm Spielberg in den Film auf. Er verzichtete auf den technischen Apparat, mit dem er sonst arbeitet. Vierzig Prozent von „Schindlers Liste“ sind mit der Handkamera gedreht. Der Film wäre in manchen Szenen unerträglich geworden, wenn Spielberg nicht feinfühlig nah an die Menschen herangegangen wäre. Auch die unbarmherzigen Szenen, die er sich und uns nicht erspart, sind von einer überraschenden Stille und Zartheit.