Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:
Erich Maria Remarque -Die Nacht von Lissabon.doc
Скачиваний:
8
Добавлен:
08.11.2019
Размер:
535.55 Кб
Скачать

In dieser Nacht gab ich Helen einen Teil des Giftes, das ich in Le Vernet bekommen hatte.

Einen Tag sp"ater wusste sie, dass Georg erfahren hatte, wo sie war.

›Wer hat es dir gesagt?‹ fragte ich.

›Jemand, der es weiss.‹

›Wer?‹

›Der Arzt des Lagers.‹

›Woher weiss er es?‹

›Von der Kommandantur. Dort ist angefragt worden.‹

›Hat der Arzt gesagt, was du tun sollst?‹

›Er kann mich ein paar Tage in der Krankenbaracke verstecken. Nicht lange.‹

›Dann musst du aus dem Lager heraus. Von wem kam gestern die Warnung, dass die von euch, die gef"ahrdet seien, sich im Wald verstecken sollten?‹

›Vom Pr"afekten.‹

›Gut‹, sagte ich. ›Sieh zu, dass du deinen Pass und einen Entlassungsschein von hier bekommst. Vielleicht kann der Arzt dir helfen. Wenn nicht, dann fliehen wir. Mach fertig, was du mitnehmen willst. Sage niemand etwas. Niemandem! Ich werde versuchen, mit dem Pr"afekten zu sprechen. Er scheint ein Mensch zu sein.‹

›Tu es nicht! Sei vorsichtig! Um Gottes willen, sei vorsichtig!‹

Ich reinigte meinen Monteuranzug, so gut es ging, und verliess morgens den Wald. Ich musste damit rechnen, deutschen Patrouillen oder franz"osischen Gendarmen in die H"ande zu laufen; aber damit musste ich von jetzt an immer rechnen.

Es gelang mir, vor den Pr"afekten zu kommen. Ich bluffte einen Gendarmen und einen Schreiber, indem ich als deutscher Techniker auftrat, der Auskunft haben wollte "uber die Errichtung einer elektrischen Leitung f"ur milit"arische Zwecke. Wenn man das Unvermutete tut, kommt man manchmal durch, das hatte ich gelernt. Als Fl"uchtling h"atte mich der Gendarm sofort festgenommen. Diese Sorte Menschen reagiert am besten auf Anschreien.

Dem Pr"afekten sagte ich die Wahrheit. Er wollte mich zuerst hinauswerfen. Dann am"usierte ihn meine Frechheit. Er gab mir eine Zigarette und sagte, ich solle mich zum Teufel scheren, er wolle nichts gesehen und geh"ort haben. Zehn Minuten sp"ater erkl"arte er mir, er k"onne nichts tun, die Deutschen h"atten wahrscheinlich Listen, und sie w"urden ihn verantwortlich machen, wenn jemand fehle. Er wolle nicht in einem deutschen Konzentrationslager verkommen.

›Herr Pr"afekt‹, sagte ich, ›ich weiss, dass Sie Gefangene gesch"utzt haben. Ich weiss auch, dass Sie Ihren Befehlen folgen m"ussen. Aber Sie und ich wissen ebenso, dass Frankreich im Chaos der Niederlage steht, dass Befehle von heute die Schande von morgen sein k"onnen, und dass, wenn Konfusion in sinnlose Grausamkeit ausartet, Entschuldigungen daf"ur selbst sp"ater schwer zu finden sind. Wozu sollen Sie, gegen Ihren Willen, unschuldige Menschen in einem Stacheldrahtk"afig bereithalten f"ur Krematorien und Folterlager? Es mag sein, dass in der Zeit, als Frankreich sich noch verteidigte, ein Schein von Recht bestand, Ausl"ander in Internierungslager zu sperren, ganz gleich, ob sie f"ur oder gegen die Angreifer waren. Aber der Krieg ist l"angst zu Ende; vor wenigen Tagen haben die Sieger die Ihren zur"uckgeholt; – was Sie jetzt noch im Lager haben, sind Opfer, die jeden Tag vor Angst vergehen, dass man sie zum Tode abholen wird. Ich sollte Sie f"ur alle diese Opfer bitten – ich bitte Sie nur um eines davon. Wenn Sie Listen f"urchten, dann tragen Sie meine Frau als gefl"uchtet ein – tragen Sie sie meinetwegen als gestorben ein, als Selbstm"orderin, wenn Sie wollen, dann kann Sie keine Verantwortung treffen!‹

Er sah mich lange an. ›Kommen Sie morgen wieder‹, sagte er dann.

Ich blieb stehen. ›Ich weiss nicht, in wessen H"anden ich morgen sein werde‹, sagte ich. ›Tun Sie es heute.‹

›Kommen Sie in zwei Stunden wieder.‹

›Ich werde vor Ihrer T"ur warten‹, sagte ich. ›Das ist der sicherste Platz, den ich kenne.‹

Er l"achelte pl"otzlich.›Quelle affaire d’amour‹, sagte er. ›Sie sind verheiratet, und Sie m"ussen leben, als w"aren Sie unverheiratet. Gew"ohnlich geschieht das Gegenteil.‹ Ich atmete auf. Eine Stunde sp"ater rief er mich herein.

›Ich habe mit der Lagerleitung telefoniert‹, sagte er. ›Es ist richtig, dass nach Ihrer Frau gefragt worden ist. Wir werden Ihren Vorschlag befolgen und sie sterben lassen. Dann haben Sie Ruhe. Wir auch.‹

Ich nickte. Eine sonderbare, k"uhle Angst beschlich mich pl"otzlich, ein Rest von Aberglauben, das Schicksal nicht zu beschw"oren. Aber war ich nicht selbst l"angst gestorben und lebte mit den Papieren eines Toten?

›Bis morgen wird alles erledigt sein‹, sagte der Pr"afekt.

›Tun Sie es heute‹, erwiderte ich. ›Ich habe einmal zwei Jahre in einem Lager gesessen, weil ich einen Tag zu sp"at geflohen bin.‹

Ich war auf einmal v"ollig ersch"opft. Er musste es gesehen haben. Ich war grau und kurz vor einer Ohnmacht. Er schickte nach einem Kognak. ›Kaffee‹, sagte ich und fiel auf einen Stuhl. In violetten und grauen Schatten kreiste das Zimmer. Ich darf nicht fallen, dachte ich, als das Rauschen in den Ohren begann. Helen ist frei, wir m"ussen weg von hier!

In das Rauschen und Flattern mischten sich ein Gesicht und eine Stimme, die schrie, unverst"andlich zuerst, und dann laut. Ich versuchte ihr zu folgen, ihr und dem Gesicht, und dann h"orte ich sie: ›Meinen Sie denn, das ist f"ur mich ein Spass, merde alors? Was zum Satan ist all das? Ich bin kein Gefangenenw"arter, ich bin ein anst"andiger Mensch, zum Teufel mit allem und allen… Sie sollen alle gehen – alle!‹

Ich verlor die Stimme wieder, und ich weiss nicht, ob sie wirklich so geschrien hat oder ob sie nur so laut in meinen Ohren war. Der Kaffee kam, ich wankte hinaus und hockte mich auf eine Bank. Nach einiger Zeit kam jemand und sagte, ich solle noch kurze Zeit warten. – Ich w"are ohnehin nicht gegangen.

Dann kam der Pr"afekt und erkl"arte mir, alles sei in Ordnung. Mir schien, dass mein Schw"acheanfall ebensoviel gen"utzt hatte wie alle meine Worte. ›Geht es Ihnen besser?‹ fragte der Beamte. ›Sie brauchen doch nicht eine solche Angst vor mir zu haben. Ich bin nur ein kleiner franz"osischer Provinz-Pr"afekt.‹

›Das ist mehr als Gott‹, erwiderte ich gl"ucklich. ›Gott hat mir nur eine sehr allgemeine Aufenthaltserlaubnis auf Erden gegeben, mit der ich nichts anfangen kann. Was ich wirklich brauche, ist eine Aufenthaltserlaubnis f"ur diesen Bezirk hier, und niemand anders kann mir die geben als Sie, Herr Pr"afekt.‹

Er lachte. ›Aber wenn Sie gesucht werden, sind Sie hier doch am gef"ahrdetsten.‹

›Wenn ich gesucht werde, bin ich in Marseille gef"ahrdeter als hier. Man wird mich dort vermuten, aber nicht hier. Geben Sie uns eine Erlaubnis f"ur eine Woche. Wir werden in dieser Zeit den Zug durchs Rote Meer antreten k"onnen.‹

›Das Rote Meer?‹

›Das ist ein Ausdruck unter Fl"uchtlingen. Wir leben wie die Juden beim Auszug aus "Agypten. Hinter uns die deutsche Armee und die Gestapo, zu beiden Seiten das Meer der franz"osischen und spanischen Polizei, und vor uns das Gelobte Land Portugal mit dem Hafen von Lissabon zum noch gelobteren Lande Amerika.‹

›Haben Sie denn amerikanische Visa?‹

›Wir werden sie bekommen.‹

›Sie scheinen an Wunder zu glauben.‹

›Ich habe keine andere Wahl. Und ist nicht heute eines passiert?‹«

Schwarz l"achelte mich an.»Es ist sonderbar, wie berechnend man im Elend werden kann. Ich wusste genau, warum ich den letzten Satz gesagt und warum ich dem Pr"afekten vorher durch den Vergleich mit Gott geschmeichelt hatte. Ich musste eine kurze Aufenthaltserlaubnis herausholen. Wenn man v"ollig auf andere Menschen angewiesen ist, wird man zu einem genau kalkulierenden Psychologen, selbst wenn man vor Anstrengung kaum noch atmen kann, und vielleicht gerade deshalb. Eines hat nichts mit dem andern zu tun, und beide funktionieren gesondert, ohne dass eines das andere beeintr"achtigt, die Angst ist echt, der Schmerz ist echt, und so ist die Berechnung. Alle haben dasselbe Ziel: Rettung.«

Schwarz war merklich ruhiger geworden.»Ich bin bald fertig«, sagte er.»Wir bekamen tats"achlich Aufenthaltserlaubnis f"ur eine Woche. Ich stand am Tor des Lagers, um Helen abzuholen. Es war sp"ater Nachmittag. Ein d"unner Regen st"aubte herunter. Der Arzt war bei ihr. Ich sah sie einen Augenblick mit ihm sprechen, bevor sie mich erblickte. Sie sprach lebhaft, und ihr Gesicht war bewegter, als ich es gewohnt war; mir war, als ob ich von der Strasse her in ein Zimmer schaute, ohne dass jemand es vermutete. Dann erblickte sie mich.

›Ihre Frau ist sehr krank‹, sagte der Arzt zu mir.

›Das ist wahr‹, erwiderte Helen lachend. ›Ich werde in ein Krankenhaus entlassen und dort sterben. Genau wie es abgemacht ist.‹

›Dies ist kein Witz!‹ erkl"arte der Arzt feindselig. ›Ihre Frau geh"ort wirklich in ein Krankenhaus.‹

›Warum ist sie dann nicht schon l"angst da?‹ fragte ich.

›Was soll das alles?‹ sagte Helen. ›Ich bin nicht krank, und ich gehe nicht in ein Krankenhaus.‹

›K"onnen Sie sie in ein Krankenhaus bringen‹, fragte ich den Arzt, ›so, dass sie dort sicher ist?‹

›Nein‹, erwiderte er nach einer Pause.

Helen lachte wieder. ›Nat"urlich nicht. Welch ein dummes Gespr"ach. Adieu, Jean.‹

Sie ging voraus, die Strasse entlang. Ich wollte den Arzt fragen, was sie h"atte; aber ich konnte es nicht. Er starrte mich an, dann drehte er sich rasch um und ging zum Lager zur"uck. Ich folgte Helen.

›Hast du deinen Pass?‹ fragte ich.

Sie nickte. ›Gib mir deine Tasche‹, sagte ich.

›Es ist nicht viel darin.‹

›Gib sie mir trotzdem.‹

›Ich habe das Abendkleid noch, das du mir in Paris gekauft hast.‹

Wir gingen die Strasse hinunter. ›Du bist krank?‹ fragte ich.

›Wenn ich wirklich krank w"are, k"onnte ich doch nicht gehen. Ich m"usste Fieber haben. Ich bin nicht krank. Er l"ugt. Er wollte, ich sollte bleiben. Sieh mich an. Sehe ich krank aus?‹ Sie blieb stehen.

›Ja‹, sagte ich.

›Sei nicht traurig‹, erwiderte sie.

›Ich bin nicht traurig.‹

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]