Добавил:
Upload Опубликованный материал нарушает ваши авторские права? Сообщите нам.
Вуз: Предмет: Файл:
Erich Maria Remarque -Die Nacht von Lissabon.doc
Скачиваний:
8
Добавлен:
08.11.2019
Размер:
535.55 Кб
Скачать

Ich sch"uttelte den Kopf.»Sie konnte die Schmerzen nicht l"anger aushalten, Herr Schwarz«, sagte ich behutsam.

»Das glaube ich nicht«, erwiderte er.»Warum h"atte sie es sonst gerade am Tag vor der Reise getan? Oder dachte sie, man h"atte sie als Kranke nicht nach Amerika hineingelassen?«

»Warum wollen Sie einem sterbenden Menschen nicht "uberlassen, selbst zu bestimmen, wann er es nicht mehr ertragen kann?«erwiderte ich.»Es ist doch das Geringste, was wir tun k"onnen!«

Er starrte mich an.»Sie hat bis zum "Aussersten ausgehalten«, sagte ich.»Ihretwegen, sehen Sie das nicht? Nur Ihretwegen. Als sie Sie gerettet wusste, hat sie losgelassen.«

»Und wenn ich nicht so blind gewesen w"are? Wenn ich nicht nach Amerika gewollt h"atte?«

»Herr Schwarz«, erwiderte ich.»Es h"atte die Krankheit nicht aufgehalten.«

Er bewegte seinen Kopf auf eine sonderbare Weise»Sie ist fort, und pl"otzlich ist es, als ob sie nie dagewesen w"are«, fl"usterte er.»Ich habe sie angesehen, und da war keine Antwort. Was habe ich getan? Habe ich sie get"otet, oder habe ich sie gl"ucklich gemacht; Hat sie mich geliebt, oder war ich nur ein Stock, an dem sie ging, wenn es ihr passte? Ich finde keine Antwort.«

»M"ussen Sie eine haben?«

»Nein«, sagte er, pl"otzlich ruhig.»Verzeihen Sie Wahrscheinlich nicht.«

»Es gibt keine. Es gibt nie eine andere als die, die Sie sich selbst geben.«

»Ich habe es Ihnen erz"ahlt, weil ich es wissen muss«, fl"usterte er.»Was ist es gewesen? Ist es ein leeres, sinnloses Leben gewesen, das Leben eines nutzlosen Menschen, eines Hahnreis, eines M"orders -«

»Das weiss ich nicht«, sagte ich.»Aber wenn Sie wollen, auch das eines Liebenden und, wenn Ihnen etwas daran liegt, das einer Art von Heiligen. Doch was sollen die Namen? Es war da. Ist das nicht genug?«

»Es war da. Aber ist es noch da?«

»Es ist da, solange Sie da sind.«

»Nur wir halten es noch«, fl"usterte Schwarz.»Sie und ich. Niemand sonst.«Er starrte mich an.»Vergessen Sie es nicht! Jemand muss es halten! Es soll nicht fort sein! Wir sind nur noch zwei. Bei mir ist es nicht sicher. Es soll nicht sterben. Es soll weiterleben. Bei Ihnen ist es sicher.«

Mich "uberlief bei aller Skepsis ein sonderbares Gef"uhl. Was wollte der Mann? Wollte er mir mit seinem Pass auch seine Vergangenheit "ubergeben? Wollte er sich vielleicht doch das Leben nehmen?

»Warum sollte es in Ihnen sterben?«fragte ich.»Sie werden doch weiterleben, Herr Schwarz.«

»Ich werde mir nicht das Leben nehmen«, erwiderte Schwarz ruhig.»Nicht, seit ich den L"achler gesehen habe und weiss, dass er noch lebt. Aber mein Ged"achtnis wird die Erinnerung zu zerst"oren versuchen. Es wird sie zerkauen, zerkleinern, f"alschen, bis sie zum "Uberleben geeignet und nicht mehr gef"ahrlich ist. Schon in einigen Wochen k"onnte ich Ihnen das nicht mehr erz"ahlen, was ich Ihnen heute erz"ahlt habe. Deshalb wollte ich, dass Sie mir zuh"oren! In Ihnen bleibt es unverf"alscht, weil es f"ur Sie nicht gef"ahrlich ist. Und irgendwo soll es doch bleiben«, sagte er pl"otzlich trostlos.»In irgend jemand, so wie es war, wenigstens noch eine kleine Zeit.«Er zog zwei P"asse aus der Tasche und legte sie vor mich hin.

»Hier ist auch der Pass Helens. Die Fahrscheine haben Sie ja schon. Jetzt haben Sie auch amerikanische Visa. F"ur zwei.«Er l"achelte schattenhaft und schwieg.

Ich starrte auf die P"asse.»Brauchen Sie den Ihren wirklich nicht mehr?«fragte ich mit grosser "Uberwindung.

»Sie k"onnen mir Ihren daf"ur geben«, sagte er.»Ich brauche nur einen f"ur ein, zwei Tage. F"ur die Grenze.«

Ich sah ihn an.

»Bei der Fremdenlegion fragt man nicht nach P"assen. Sie wissen, dass man dort Emigranten nimmt. Und so lange es noch Leute wie den L"achler gibt, w"are es ein Verbrechen, ein Leben mit Selbstmord zu verschwenden, das man gegen Barbaren seinesgleichen einsetzen kann.«

Ich zog meinen Pass aus der Tasche und gab ihn ihm.

»Danke«, sagte ich.»Danke von Herzen, Herr Schwarz.«

»Da ist auch noch etwas Geld. Ich brauche nur noch wenig.«

Schwarz sah auf die Uhr.»Wollen Sie noch etwas f"ur mich tun? Sie wird in einer halben Stunde abgeholt. Wollen Sie mit mir kommen?«

»Ja.«

Schwarz zahlte die Rechnung. Wir gingen in den schreienden Morgen hinaus.

Draussen lag das Schiff weiss und unruhig im Tejo.

Ich stand in dem Zimmer neben Schwarz. Die zerschlagenen Spiegel hingen noch da. Sie waren jetzt leer. Die Scherben waren wegger"aumt.»H"atte ich nicht die letzte Nacht bei ihr bleiben sollen?«fragte Schwarz.

»Sie waren bei ihr.«

Die Frau lag im Sarg wie alle Toten; mit einem unendlich abweisenden Gesicht. Nichts hier ging sie noch an – weder Schwarz, noch ich, noch sie selbst. Man konnte sich auch nicht mehr vorstellen, wie sie ausgesehen hatte. Was da lag, war eine Statue, von der nur einer noch eine Vorstellung hatte, wie sie war, als sie atmete: Schwarz. Aber Schwarz glaubte, ich habe sie jetzt auch.

»Sie hat noch -«, sagte er,»da waren noch -«

Er holte aus einer Schublade einige Briefe.

»Ich habe sie nicht gelesen«, sagte er.»Nehmen Sie sie.«

Ich nahm die Briefe und wollte sie in den Sarg legen. Dann besann ich mich – die Tote geh"orte jetzt endlich Schwarz allein, glaubte er. Die Briefe von anderen hatten nichts mehr mit ihr zu tun – er wollte sie ihr nicht mitgeben, und er wollte sie auch nicht vernichten, weil sie doch zu ihr geh"ort hatten.»Sie sind ohne jede Bedeutung. Weniger als ein kleiner Geldschein, den man ausgibt, um einen Teller Suppe zu kaufen.«

»Kr"ucken«, erwiderte er.»Ich weiss es. Kr"ucken hat sie es einmal genannt, die sie gebraucht h"atte, um weiter mir treu zu bleiben. Verstehen Sie das? Es ist widersinnig -«

»Nein«, sagte ich und dann sehr vorsichtig, mit allem Mitleid der Welt:»Warum lassen Sie sie nicht endlich in Ruhe? Sie hat Sie geliebt, und sie ist bei Ihnen geblieben, so lange sie konnte.«

Er nickte. Er sah pl"otzlich sehr zerbrechlich aus.

»Das wollte ich wissen«, murmelte er.

Es wurde heiss in dem Raum mit dem starken Geruch, den Fliegen, den verl"oschten Kerzen, der Sonne draussen und der Toten. Schwarz sah meinen Blick.

»Eine Frau hat mir geholfen«, sagte er.»Es ist schwer in einem fremden Land. Der Arzt. Die Polizei. Sie wurde weggeholt. Man hat sie gestern abend wieder zur"uckgeschickt. Sie wurde untersucht. Die Todesursache.«

Er sah mich hilflos an.»Man hat sie – sie ist nicht mehr ganz da -, man hat mir gesagt, ich solle sie nicht aufdecken -«

Die Tr"ager kamen. Der Sarg wurde geschlossen. Schwarz wankte.

»Ich fahre mit Ihnen«, sagte ich.

Es war nicht sehr weit. Der Morgen strahlte, und der Wind sauste wie ein Sch"aferhund hinter einem Zug L"ammerwolken her. Schwarz stand klein und verloren unter dem grossen Himmel auf dem Friedhof.

»Wollen Sie in Ihre Wohnung zur"uck?«fragte ich.

»Nein.«

Er hatte einen Koffer mitgenommen.

»Wissen Sie jemand, der die P"asse korrigieren kann?«fragte ich.

»Gregorius. Er ist seit einer Woche hier.«

Wir gingen zu Gregorius. Er erledigte den Pass f"ur Schwarz rasch; es war nicht n"otig, sehr genau dabei zu sein. Schwarz hatte den Ausweis eines Anmeldeb"uros f"ur die Fremdenlegion bei sich; er brauchte nur die Grenze zu "uberqueren und in der Kaserne meinen Pass wegzuwerfen. Die Legion interessierte sich nicht f"ur die Vergangenheit.

»Was ist aus dem Jungen geworden, den Sie mitgenommen haben?«fragte ich.

»Der Onkel hasst ihn; aber der Junge ist gl"ucklich, dass es wenigstens jemand aus seiner Familie ist, der ihn hasst – nicht nur Fremde.«

Ich sah den Mann an, der jetzt meinen Namen trug.»Ich w"unsche Ihnen alles Gute«, sagte ich und vermied, ihn Schwarz zu nennen. Mir fiel nichts anderes ein als diese triviale Phrase.

»Ich werde Sie nicht wiedersehen«, erwiderte er.

»Und das ist gut so. Ich habe Ihnen zuviel gesagt, um Sie wiedersehen zu wollen.«

Ich war dessen nicht so sicher. Es konnte sein, dass er mich sp"ater einmal gerade deswegen h"atte wiedersehen wollen. Nach seiner Vorstellung war ich der einzige, der ein unverf"alschtes Bild seines Schicksals mit sich nahm. Aber vielleicht h"atte er mich auch gerade deswegen gehasst, weil es dann f"ur ihn so gewesen w"are, als h"atte ich ihm seine Frau genommen, diesmal unwiederbringlich und f"ur immer – da er glaubte, seine eigene Erinnerung betr"uge ihn und nur meine bliebe klar.

Ich sah ihn die Strasse entlanggehen, den Koffer in der Hand, eine armselige Gestalt, das Bild des ewigen Hahnreis und des ewigen grossen Liebenden. Aber hatte er den Menschen, den er liebte, nicht tiefer besessen als die Galerie der stupiden Sieger? Und was besitzen wir wirklich? Wozu so viel L"arm um Dinge, die als bestes nur geliehen sind f"ur einige Zeit; und wozu so viel Gerede dar"uber, ob man sie mehr oder minder besitzt, wenn das tr"ugerische Wort»besitzen«doch nur heisst: die Luft zu umarmen?

Ich hatte eine Passfotografie meiner Frau bei mir; man hatte ja damals immer Fotos f"ur Ausweise n"otig. Gregorius machte sich sofort an die Arbeit. Ich wich nicht von seiner Seite. Ich traute mich nicht, die beiden P"asse aus den Augen zu lassen.

Mittags waren sie fertig. Ich st"urzte zu dem Loch, in dem wir hausten. Ruth sass am Fenster und beobachtete die Fischerkinder im Hof»Verloren?«fragte sie, als ich in der T"ur stand.

Ich hielt die P"asse hoch.»Wir fahren morgen! Wir werden andere Namen haben, jeder einen andern, und wir werden in Amerika noch einmal heiraten m"ussen.«

Ich dachte kaum daran, dass ich jetzt den Pass eines Mannes trug, der vielleicht wegen Mordes gesucht wurde. Wir fuhren am n"achsten Abend ab und gelangten ohne Schwierigkeiten nach Amerika. Aber die P"asse der beiden Liebenden brachten uns kein Gl"uck: Ruth liess sich ein halbes Jahr sp"ater von mir scheiden. Um das zu legalisieren, mussten wir vorher noch einmal heiraten. Ruth heiratete sp"ater den reichen jungen Amerikaner, der Schwarz die Garantie gegeben hatte. Er fand das alles sehr komisch und war Trauzeuge bei unserer zweiten Hochzeit. Eine Woche sp"ater wurden wir dann in Mexiko geschieden.

Ich verbrachte den Krieg in Amerika. Sonderbarerweise begann ich mich f"ur Malerei zu interessieren, die ich fr"uher kaum beachtet hatte – als w"are das eine Erbschaft des fernen toten Ur-Schwarz. Ich dachte auch oft an den anderen, der vielleicht noch lebte, und beide vermischten sich zu einem geisterhaften Rauch, den ich manchmal um mich zu sp"uren glaubte, als habe er Einfluss auf mich, obschon ich doch wusste, dass es Unsinn war. Ich fand schliesslich Anstellung in einer Kunsthandlung, und in meinem Zimmer hingen ein paar Drucke nach Zeichnungen von Degas, f"ur die ich eine grosse Vorliebe bekam.

Ich dachte noch oft an Helen, die ich nur tot gesehen hatte, und eine Zeitlang tr"aumte ich sogar von ihr, als ich allein lebte. Die Briefe, die Schwarz mir gegeben hatte, hatte ich in der ersten Nacht, als das Schiff "uber den Ozean schlich, ins Meer geworfen, ohne sie zu lesen. Dabei hatte ich in einem einen kleinen Widerstand gesp"urt, wie von einem kleinen Stein. Ich hatte ihn im Dunkeln aus dem Umschlag herausgefischt und nachher gesehen, dass es ein flaches St"uck Bernstein war, in dem eine sehr zierliche M"ucke vor Tausenden von Jahren gefangen und versteinert worden war. Ich hatte sie behalten und sp"ater mitgenommen – die kleine M"ucke in ihrem Todeskampf in dem K"afig aus goldenen Tr"anen, in dem sie erhalten geblieben war, w"ahrend die andern ihresgleichen gefressen und erfroren und verschwunden waren.

Nach dem Kriege ging ich nach Europa zur"uck. Es machte einige Schwierigkeiten, meine Identit"at zu etablieren – denn zur selben Zeit gab es Hunderte von Herrenmenschen in Deutschland, die die ihre zu verlieren suchten. Den Pass der beiden Schwarz schenkte ich einem Russen, der "uber die Grenze geflohen war – eine neue Welle von Emigranten hatte begonnen, sich zu formen. Weiss Gott, wo er inzwischen geblieben ist! Von Schwarz habe ich nie wieder etwas geh"ort. Ich fuhr sogar einmal nach Osnabr"uck und fragte nach ihm, obschon ich seinen wirklichen Namen vergessen hatte. Aber die Stadt war verw"ustet, niemand wusste etwas von ihm, und niemand interessierte sich daf"ur. Auf dem Weg zur"uck zum Bahnhof glaubte ich, ihn zu erkennen. Ich lief ihm nach; aber es war ein verheirateter Postsekret"ar, der mir erz"ahlte, dass er Jansen hiesse und drei Kinder habe.

Соседние файлы в предмете [НЕСОРТИРОВАННОЕ]