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Erich Maria Remarque -Die Nacht von Lissabon.doc
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08.11.2019
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Ich schwieg. Nach einer Weile sagte er ruhiger:

»Die gelben Sessel. Sie waren neu bezogen worden, das war alles, in den f"unf Jahren, in denen mein Dasein ein Dutzend Saltos der Ironie geschlagen hatte. Es scheint manchmal nicht zusammenzupassen, das war es, was ich meinte.«

»Ja. Der Mensch stirbt, aber das Bett bleibt. Das Haus bleibt. Die Dinge bleiben. Man m"ochte sie auch zerst"oren.«

»Nicht, wenn sie einem gleichg"ultig sind.«

»Man soll sie nicht zerst"oren«, sagte ich.»Man ist nicht so wichtig.«

»Nein?«erwiderte Schwarz und hob mir ein pl"otzlich verst"ortes Gesicht entgegen.»Nicht wichtig? Nat"urlich nicht! Aber sagen Sie mir – was sonst ist wichtig, wenn ein Leben nicht wichtig ist?«

»Nichts«, erwiderte ich und wusste, dass es wahr war und doch nicht wahr.»Nur wir machen es wichtig.«

Schwarz trank hastig von dem dunklen Wein.»Und warum nicht?«fragte er laut.»Wollen Sie mir sagen, warum wir es nicht wichtig machen sollen?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Es war auch nur eine dumme Redensart. Ich nehme es selbst wichtig genug.«

Ich sah auf die Uhr. Es war kurz nach zwei. Das Orchester spielte Tanzmusik; einen Tango, in dem kurze, ged"ampfte Hornst"osse mich an die fernen Sirenen eines abfahrenden Schiffes erinnerten. Nur noch ein paar Stunden, dachte ich, bis zur D"ammerung, dann kann ich gehen. Ich f"uhlte nach den Fahrscheinen in meiner Tasche. Sie waren da. Fast h"atte ich es nicht mehr geglaubt; die ungewohnte Musik, der Wein, die verh"angten R"aume und die Stimme von Schwarz hatten etwas Einschl"aferndes und Unwirkliches.

»Ich stand noch immer in der T"ur zum Wohnzimmer«, fuhr Schwarz fort.»Helen sah mich an und fragte: ›Ist dir deine Wohnung so fremd geworden?‹

Ich sch"uttelte den Kopf und machte in paar Schritte vorw"arts. Eine merkw"urdige Verlegenheit hatte mich erfasst. Die Dinge schienen nach mir greifen zu wollen; aber ich geh"orte nicht mehr zu ihnen. Ein Schreck durchzuckte mich: dass ich vielleicht auch nicht mehr zu Helen geh"ore. ›Es ist alles, wie es war‹, sagte ich rasch und heiss und verzweifelt. ›Alles, wie es war, Helen.‹

›Nein‹, erwiderte sie. ›Nichts ist mehr so. Weshalb bist du zur"uckgekommen? Deshalb? Damit alles so sei, wie es war?‹

›Nein‹, sagte ich. ›Ich weiss, dass es das nicht gibt. Aber haben wir nicht hier gelebt? Wo ist das geblieben?‹

›Nicht hier. Es ist auch nicht in den alten Kleidern geblieben, die wir weggeworfen haben. Meinst du das?‹

›Nein. Ich frage nicht f"ur mich. Aber du warst immer hier. Ich frage f"ur dich.‹

Helen sah mich seltsam an. ›Warum hast du nie fr"uher gefragt?‹ sagte sie dann.

›Fr"uher?‹ erwiderte ich verst"andnislos. ›Warum fr"uher? Ich konnte nicht kommen.‹

›Fr"uher. Bevor du weggingst.‹

Ich begriff sie nicht. ›Was h"atte ich fragen sollen, Helen?‹

Sie schwieg eine Weile. ›Warum hast du mich nicht gefragt mitzugehen?‹ sagte sie dann.

Ich starrte sie an. ›Mitzugehen? Weg von hier? Von deiner Familie? Von allem, was du liebtest?‹

›Ich hasse meine Familie.‹ Ich war v"ollig verwirrt. ›Du weisst nicht, was es heisst, draussen zu sein‹, murmelte ich schliesslich.

›Du wusstest es damals auch nicht.‹

Das war wahr. ›Ich wollte dich hier nicht wegnehmen‹, sagte ich lahm.

›Ich hasse es‹, erwiderte sie. ›Alles hier! Weshalb bist du zur"uckgekommen?‹

›Du hast es damals nicht gehasst.‹

›Weshalb bist du zur"uckgekommen?‹ wiederholte sie.

Sie stand auf der anderen Seite des Zimmers, getrennt von mir durch mehr als die gelben Sessel und durch mehr als f"unf Jahre Zeit. Feindseligkeit und eine wache Entt"auschung schlugen mir pl"otzlich entgegen, und ich f"uhlte dumpf, dass ich in meinem, mir selbstverst"andlich erscheinenden Wunsch, sie keinen Schwierigkeiten auszusetzen, sie vielleicht schwer gekr"ankt hatte, als ich fl"uchtete und sie zur"uckliess.

›Weshalb bist du zur"uckgekommen, Josef?‹ fragte Helen.

Ich h"atte gern geantwortet, dass ich ihretwegen zur"uckgekommen sei, aber ich konnte es im Augenblick nicht. Es war nicht so einfach. Ich erkannte pl"otzlich – und ich erkannte es erst in diesem Augenblick -, dass es eine ruhige, klare Verzweiflung gewesen war, die mich zur"uckgetrieben hatte. Alle meine Reserven waren aufgebraucht, und der nackte Wille zu "uberleben nicht stark genug gewesen, dem Frost der Einsamkeit l"anger standhalten zu k"onnen. Ich war nicht f"ahig gewesen, mir ein neues Leben aufzubauen. Ich hatte es im Grunde auch wohl nie wirklich gewollt. Ich war mit meinem fr"uheren Leben l"angst nicht fertig geworden; ich hatte es weder verlassen noch "uberwinden k"onnen; Gangr"ane hatte eingesetzt, und ich hatte die Wahl gehabt, im Gestank der Gangr"ane zu krepieren oder zur"uckzugehen und zu versuchen, sie zu heilen.

Ich hatte das alles nie genau "uberlegt, und es war mir auch jetzt nur in Umrissen klar; aber ich war wie erl"ost, wenigstens das zu wissen. Die Schwere und Verlegenheit wich. Ich wusste jetzt, weshalb ich hier war. Ich hatte nichts aus den f"unf Jahren Exil mitgebracht als meine gesch"arften Sinne, die Bereitschaft zu leben und die Vorsicht und Erfahrung eines fl"uchtigen Verbrechers. Das andere hatte Bankrott gemacht. Die vielen N"achte zwischen den Grenzen, die grauenhafte Langeweile des Daseins, das nur um etwas Essen und ein paar Stunden Schlaf k"ampfen darf, die Maulwurfsexistenz unter Grund – sie versanken ohne Spur, w"ahrend ich hier auf der Schwelle meiner Wohnung stand. Ich hatte zwar Bankrott gemacht, aber ich brauchte keine Schulden zu "ubernehmen. Ich war frei. Das Ich dieser Jahre hatte Selbstmord begangen, als ich die Grenze "uberschritt. Es war keine R"uckkehr. Ich war tot, ein anderes Ich lebte, und es lebte von geschenkter Zeit. Keine Verantwortung war mehr da. Die Gewichte fielen ab.«

Schwarz wandte sich mir zu.»Verstehen Sie, was ich meine? Ich wiederhole mich und rede in Gegens"atzen.«

»Ich glaube schon, dass ich Sie verstehe«, erwiderte ich.»Die M"oglichkeit zum Selbstmord ist eine Gnade, deren man sich nur selten bewusst wird. Sie gibt einem die Illusion des freien Willens. Und wahrscheinlich begehen wir mehr Selbstmorde, als wir jemals ahnen. Wir wissen es nur nicht.«

»Das ist es!«sagte Schwarz lebhaft.»Wenn wir sie nur als Selbstmorde erkennen w"urden! Dann h"atten wir die F"ahigkeit, auch wieder von den Toten aufzuerstehen. Wir k"onnten mehrere Leben leben, anstatt die Geschw"ure der Erfahrung von einer Krise zur anderen weiterzuschleppen und schliesslich daran einzugehen.«

»Ich konnte das Helen nat"urlich nicht erkl"aren«, fuhr er fort.»Es war auch nicht notwendig. Ich hatte mit der Leichtigkeit, die ich pl"otzlich empfand, nicht einmal das Bed"urfnis. Im Gegenteil: ich sp"urte, dass Erkl"arungen nur verwirren w"urden. Sie wollte wahrscheinlich, dass ich sagen sollte, ich w"are ihretwegen zur"uckgekommen; aber ich wusste, mit meiner neuen Hellsichtigkeit, dass das mein Verderben gewesen w"are. Die Vergangenheit w"are dann "uber uns hereingebrochen mit all den Argumenten von Schuld und Vers"aumnis und gekr"ankter Liebe, und wir h"atten nie herausgefunden. Wenn die, jetzt fast heitere, Idee des geistigen Selbstmordes einen Sinn hatte, dann musste sie auch vollst"andig sein, und sie musste nicht nur die Jahre des Exils, sondern auch die Jahre davor umfassen, sonst w"are die Gefahr einer zweiten Gangr"ane dagewesen, einer "alteren sogar, und sie h"atte sich sofort gezeigt. Helen stand da, ein Feind, bereit, zuzuschlagen mit Liebe und grosser Kenntnis meiner verteidigungslosen Stellen, und ich w"are so sehr im Nachteil gewesen, dass ich keine Chance gehabt h"atte. Hatte ich vorher das erl"osende Gef"uhl eines Todes gehabt, so w"are es jetzt ein qu"alendes moralisches Krepieren geworden – nicht mehr Tod und Auferstehung, sondern gr"undliche Vernichtung. Man soll Frauen nichts erkl"aren; man soll handeln.

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