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Erich Maria Remarque -Die Nacht von Lissabon.doc
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08.11.2019
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Ich wusste jetzt, dass sie krank war; und ich wusste, dass sie es mir nie gestehen w"urde. ›w"urde es dir helfen, wenn du in einem Krankenhaus w"arest?‹

›Nein!‹ sagte sie. ›Nicht im geringsten! Du musst mir das glauben. Wenn ich krank w"are und ein Hospital k"onnte mir helfen, w"urde ich sofort versuchen, hineinzukommen. Glaube mir das!‹

›Ich glaube es dir.‹

Was h"atte ich sonst tun sollen? Ich war pl"otzlich entsetzlich mutlos. ›Vielleicht w"arest du lieber im Lager geblieben‹ sagte ich schliesslich.

›Ich h"atte mich get"otet, wenn du nicht gekommen w"arest.‹

Wir gingen weiter. Der Regen wurde st"arker. Er war wie ein grauer Schleier aus sehr feinen Tropfen, der um uns herumwehte. ›Wir wollen sehen, dass wir bald nach Marseille kommen‹, sagte ich. ›Und von dort nach Lissabon und dann nach Amerika.‹ Es gibt dort gute "Arzte, dachte ich. Und Krankenh"auser, in denen man nicht verhaftet wird. Ich werde vielleicht auch arbeiten d"urfen. ›Wir werden Europa vergessen wie einen b"osen Traum‹, sagte ich. Helen antwortete nicht.«

15

»Die Odyssee begann«, sagte Schwarz.»Die Wanderung durch die W"uste. Der Zug durch das Rote Meer. Sie kennen ihn sicher auch.«

Ich nickte.»Bordeaux. Das Abtasten der Grenz"uberg"ange. Die Pyren"aen. Der langsame Sturm auf Marseille. Der Sturm auf die tr"agen Herzen und die Flucht vor den Barbaren. Dazwischen der Irrsinn der wildgewordenen B"urokratie. Keine Aufenthaltserlaubnis – aber auch keine Ausreiseerlaubnis. Und wenn man sie schliesslich erhielt, war inzwischen das spanische Durchreisevisum abgelaufen, das man wiederum nur bekam, wenn man ein Einreisevisum f"ur Portugal besass, das oft noch von einem anderen abh"angig war, was hiess, dass alles wieder von vorn zu beginnen hatte – das Warten vor den Konsulaten, diesen Vororten des Himmels und der H"olle! Ein Circulus vitiosus des Wahnsinns!«

»Wir kamen vorerst in eine Windstille«, sagte Schwarz.»Helen brach am Abend zusammen. Ich hatte ein Zimmer in einem abgelegenen Gasthof gefunden. Wir waren zum ersten Mal wieder legal; – wir hatten zum ersten Mal seit vielen Monaten wieder ein Zimmer f"ur uns allein – das war es, was den Weinkrampf bei ihr hervorrief. Wir sassen nachher schweigend in dem kleinen Garten des Gasthofs. Es war schon sehr k"uhl, aber wir wollten noch nicht schlafen gehen. Wir tranken eine Flasche Wein und blickten auf die Strasse, die zum Lager f"uhrte und die man vom Garten aus sehen konnte. Eine tiefe Dankbarkeit sass mir fast schmerzhaft im Nacken. Alles war an diesem Abend ausgel"oscht durch sie, sogar die Furcht, dass Helen krank sei. Sie sah nach ihrem Weinkrampf gel"ost und sehr ruhig aus, wie eine Landschaft nach einem Regen, und so sch"on, wie man manchmal Gesichter auf alten Kameen sieht. Sie werden das verstehen«, sagte Schwarz.»In einem Dasein, wie wir es f"uhren, hat Krankheit eine andere Bedeutung als sonst. Krankheit heisst bei uns, nicht mehr fliehen zu k"onnen.«

»Ich weiss«, erwiderte ich bitter.

»Am andern Abend sahen wir die abgeblendeten Lichter eines Wagens die Strasse zum Lager emporkriechen. Helen wurde unruhig. Wir hatten uns den Tag "uber kaum aus unserm Zimmer ger"uhrt. Wieder ein Bett zu haben und einen eigenen Raum, war ein solches Erlebnis, dass man es nicht genug geniessen konnte. Wir sp"urten auch beide, wie m"ude und ersch"opft wir waren, und ich h"atte mich gern f"ur Wochen nicht aus dem Gasthof ger"uhrt. Aber Helen wollte pl"otzlich fort. Sie wollte die Strasse zum Lager nicht mehr sehen. Sie f"urchtete, die Gestapo w"urde sie weiter suchen.

Wir packten unsere paar Sachen. Es war vern"unftig, weiterzuwandern, solange wir noch eine Aufenthaltserlaubnis f"ur unseren Bezirk hatten; wenn wir anderswo geschnappt w"urden, konnte man uns h"ochstens hierher zur"uckweisen, aber uns nicht gleich festnehmen, hofften wir.

Ich wollte nach Bordeaux; auf dem Wege aber h"orten wir, dass es l"angst zu sp"at daf"ur sei. Ein kleiner Citroen-Zweisitzer nahm uns mit, und der Fahrer riet uns, zu versuchen, irgendwoanders unterzukommen. Es sei da ein kleines Schloss in der N"ahe seines Zieles; er wisse, dass es leerst"ande, vielleicht k"onnten wir da f"ur die Nacht kampieren.

Wir hatten kaum eine Wahl. Am sp"aten Nachmittag setzte uns der Fahrer ab. Vor uns im grauen Licht lag das Schl"osschen, eigentlich eher ein Landhaus, dessen Fenster dunkel waren und keine Gardinen zeigten. Ich ging die Freitreppe hinauf und versuchte die T"ur. Sie war offen und zeigte Spuren, dass sie gewaltsam ge"offnet worden war. Meine Schritte hallten in der d"ammerigen Halle. Ich rief und bekam ein gebrochenes Echo als Antwort. Die R"aume waren vollkommen leer. Alles, was weggenommen werden konnte, war weggenommen worden. Geblieben aber waren die R"aume des achtzehnten Jahrhunderts, die get"afelten W"ande, die edlen Masse der Fenster, die Decken und die grazi"osen Treppen.

Wir gingen langsam hindurch. Niemand antwortete auf unsere Rufe. Ich suchte nach elektrischen Schaltern. Es waren keine da. Das Schl"osschen hatte noch keine Elektrizit"at; es war geblieben, wie es erbaut war. Ein kleines Speisezimmer war da in Gold und Weiss – ein Schlafzimmer in hellem Gr"un und Gold. Nicht ein einziges M"obel; die Besitzer mussten es ausger"aumt haben, um zu fl"uchten.

In einem Mansardenzimmer fanden wir endlich eine Truhe. Sie enthielt ein paar Masken, bunte, billige Kost"ume, die von einem Fest stammen mussten, und ein paar Pakete Kerzen. Besser aber war eine eiserne Bettstelle mit einer Matratze. Wir suchten weiter und entdeckten etwas Brot in der K"uche, ein paar B"uchsen Sardinen, ein B"uschel Knoblauch, ein halbgeleertes Glas Honig und im Keller ein paar Pfund Kartoffeln, ein paar Flaschen Wein und einen Stapel Holz. Es war ein Feenland!

Das Haus hatte fast "uberall Kamine. Wir verh"angten das Fenster eines Zimmers, das wahrscheinlich ein Schlafzimmer gewesen war, mit einigen der Kost"ume, die wir gefunden hatten. Ich ging noch einmal um das Haus und entdeckte einen Obst- und Gem"usegarten. "Apfel und Birnen hingen noch an den B"aumen. Ich sammelte sie und brachte sie herein.

Als es so dunkel war, dass man keinen Rauch mehr aufsteigen sehen konnte, machte ich ein Feuer im Kamin an, und wir begannen zu essen. Es war eine gespenstische und verzauberte Stimmung. Der Schein des Feuers flackerte "uber die herrlichen Boiserien, und unsere Schatten schwankten dazwischen wie Geister aus einer gl"ucklichen Welt.

Es wurde warm, und Helen wechselte ihre Kleider, um die andern zu trocknen. Sie holte ihr Abendkleid aus Paris hervor und zog es an. Ich "offnete eine Flasche Wein. Wir hatten keine Gl"aser und tranken aus der Flasche. Helen zog sich sp"ater noch einmal um. Sie holte aus der Truhe einen Domino und eine Halbmaske und lief damit durch das dunkle Treppenhaus. Sie rief von oben und von unten und huschte umher, ihre Stimme hallte von "uberall wider, ich sah sie nicht mehr, ich h"orte nur ihre F"usse, bis sie pl"otzlich hinter mir im Dunkel stand und ich ihren Atem in meinem Nacken sp"urte.

›Ich dachte, ich h"atte dich verloren‹, sagte ich und hielt sie fest.

›Du verlierst mich nie‹, fl"usterte sie durch ihre schmale Maske. ›Und weisst du, warum nicht? Weil du mich nie festhalten wolltest wie ein Bauer seinen Acker. Der gl"anzendste Mann ist langweilig dagegen.‹

›Ich bin bestimmt kein gl"anzender Mann‹, sagte ich "uberrascht.

Wir standen auf dem Treppenabsatz. Durch die ein wenig ge"offnete T"ur des Schlafzimmers fiel ein Streifen des flackernden Kaminlichtes auf die Bronzeornamente des Gel"anders und Helens Schultern und Mund.

›Du weisst nicht, was du bist‹, murmelte sie und sah mich mit glitzernden Augen an, die, wie die einer Schlange, durch die Maske kein Weiss zeigten, sondern nur starr und gl"anzend waren. ›Aber du solltest wissen, wie trostlos all diese Don Juans sind! Wie Kleider, die man einmal tr"agt. Aber du – du bist das Herz.‹

Vielleicht waren es die Kost"ume, die wir trugen, die es uns leichter machten, solche Worte zu gebrauchen. Ich hatte ebenso wie sie einen Domino angezogen, etwas gegen meinen Willen, aber meine "ubrigen Sachen waren, wie die ihren, noch nass vom Tage und trockneten neben dem Kamin. Die ungewohnten Kleider in der geisterhaften Umgebung der Belle 'epoque ver"anderten uns und "offneten unsere Lippen zu andern Worten als sonst. Treue und Untreue verloren ihre b"urgerliche Schwere und ihre Einseitigkeit; das eine konnte das andere sein, es gab nicht nur das eine oder das andere, sondern viele Schattierungen, und die Namen verloren ihre Bedeutung.

›Wir sind Tote‹, fl"usterte Helen. ›Beide. Wir haben keine Gesetze mehr. Du bist tot, mit einem toten Pass, und ich bin heute im Krankenhaus gestorben. Sieh unsere Kleider an! Wie bunte und goldene Flederm"ause huschen wir in einem gestorbenen Jahrhundert umher. Man nannte es das sch"one Jahrhundert, und das war es auch mit seinen Menuetten, seiner Grazie und seinem Rokokohimmel – aber an seinem Ende stand die Guillotine, so wie sie immer "uberall steht, nach jedem Fest im k"uhlen Morgen, blitzend und unerbittlich. Wo wird unsere stehen, Liebster?‹

›Lass das, Helen‹, sagte ich.

›Sie wird nirgendwo stehen‹, fl"usterte sie. ›Wo ist f"ur Tote eine Guillotine? Sie kann uns nicht mehr zerschneiden, man kann das Licht nicht zerschneiden und nicht den Schatten, aber hat man nicht unsere Arme zerbrechen wollen, immer wieder? Halte mich, hier in dieser Verzauberung und dem goldenen Dunkel, und vielleicht wird etwas davon in uns bleiben und die arme Stunde unseres letzten Atems erleuchten.‹

›Sprich nicht so, Helen‹, sagte ich und f"uhlte einen leichten Schauder.

›Erinnere dich immer so an mich wie jetzt‹, fl"usterte sie, ohne auf mich zu h"oren. ›Wer weiss, was aus uns noch wird -‹

›Wir werden nach Amerika gehen, und der Krieg wird einmal zu Ende sein‹, sagte ich.

›Ich klage nicht‹, erwiderte sie dicht an meinem Gesicht. ›Wie k"onnten wir klagen? Was w"are sonst aus uns geworden? Ein mittelm"assiges, langweiliges Paar, das in Osnabr"uck ein mittelm"assiges, langweiliges Leben gef"uhrt h"atte mit mittelm"assigen Gef"uhlen und einer Urlaubsreise im Jahr -‹

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