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Erich Maria Remarque -Die Nacht von Lissabon.doc
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08.11.2019
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Ich musste lachen. ›So kann man es auch auffassen.‹

Sie war sehr heiter an diesem Abend und feierte ihn wie ein Fest. Mit einer Kerze und goldenen Pant"offelchen, die sie in Paris gekauft und "uber alles hinweg gerettet hatte, lief sie in den Keller und brachte eine neue Flasche Wein herauf. Ich stand oben an der Treppe und sah sie durch das Dunkel heraufsteigen, das beleuchtete, zu mir gehobene Gesicht vor den vielf"altigen Schatten. Ich war gl"ucklich, wenn man Gl"uck einen Spiegel nennen kann, der ein geliebtes Gesicht spiegelt, rein und vollkommen vor vielen Schatten.

Das Feuer erlosch langsam. Sie schlief unter den bunten Sachen ein. Es war eine seltsame Nacht. Erst sp"at h"orte ich das Dr"ohnen von Flugzeugen, unter dem die Rokokospiegel leise klirrten.

Wir blieben vier Tage allein. Dann musste ich ins n"achste Dorf, um einzukaufen. Ich h"orte dort, dass von Bordeaux zwei Schiffe abgehen sollten. ›Sind die Deutschen noch nicht da?‹ fragte ich.

›Sie sind da, und sie sind nicht da‹, antwortete man mir. ›Es kommt darauf an, wer Sie sind.‹

Ich besprach es mit Helen. Sie war zu meinem Erstaunen ziemlich gleichg"ultig. ›Schiffe, Helen!‹ sagte ich aufgeregt. ›Fort von hier! Nach Afrika. Nach Lissabon. Irgendwohin. Von da kann man weiter.‹

›Warum bleiben wir nicht hier?‹ erwiderte sie. ›Im Garten gibt es Obst und Gem"use. Ich kann es kochen, solange wir Holz haben. Brot bekommen wir im Dorf. Haben wir noch Geld?‹

›Wir haben noch etwas. Und ich habe noch eine Zeichnung. Ich kann sie in Bordeaux verkaufen, damit wir Reisegeld haben.‹

›Wer kauft jetzt Zeichnungen?‹

›Leute, die ihr Geld anlegen wollen.‹

Sie lachte. ›Dann verkaufe sie und lass uns hierbleiben.‹

›Ich wollte, wir k"onnten es!‹

Sie hatte sich in das Haus verliebt. Auf der einen Seite lag ein kleiner Park, dahinter der Obst- und Gem"usegarten. Sogar ein Teich und eine Sonnenuhr waren da. Helen liebte das Haus, und das Haus schien sie zu lieben. Es war ein Rahmen, der zu ihr passte, und wir waren zum ersten Mal nicht in Hotels oder Baracken. Das Leben in den Maskenkost"umen und der Atmosph"are von heiterer Vergangenheit gab auch mir eine verzauberte Hoffnung – manchmal sogar einen Glauben an ein Leben nach dem Tode -, als h"atten wir bereits eine erste B"uhnenprobe daf"ur hinter uns. Es w"are auch mir recht gewesen, wenn wir einige hundert Jahre so h"atten leben k"onnen.

Trotzdem aber dachte ich weiter an die Schiffe in Bordeaux. Es schien mir unwahrscheinlich, dass sie auslaufen k"onnten, wenn die Stadt schon teilweise besetzt war – aber dies war die Zeit des Zwielichtkrieges. Frankreich hatte einen Waffenstillstand, aber noch keinen Frieden, es hatte angeblich eine Okkupationszone und eine freie Zone, aber es hatte keine Macht, Abmachungen zu verteidigen, und ausserdem war da die deutsche Armee und die Gestapo, und beide arbeiteten nicht immer Hand in Hand.

›Ich muss es herausfinden‹, sagte ich. ›Du bleibst hier, und ich versuche, nach Bordeaux zu kommen.‹

Helen sch"uttelte den Kopf. ›Ich bleibe nicht allein hier. Ich gehe mit dir.‹

Ich verstand sie. Es gab keine abgetrennten gef"ahrlichen und ungef"ahrlichen Gebiete mehr. Man konnte lebendig aus einem feindlichen Hauptquartier entkommen und auf einer entlegenen Insel von Gestapoagenten gefasst werden; alle Massst"abe von fr"uher hatten sich verschoben.

Wir kamen auf die zuf"allige Weise hin, die Sie wahrscheinlich kennen«, sagte Schwarz.»Wenn man hinterher dar"uber nachdenkt, begreift man nicht, wie sie m"oglich war. Zu Fuss, in einem Lastwagen – einmal ritten wir sogar eine Strecke auf zwei breiten, gutm"utigen Ackerpferden, die ein Knecht zum Verkauf fortbrachte.

Es waren bereits Truppen in Bordeaux. Die Stadt war nicht besetzt, aber es waren Truppen da. Der Schock war stark; man erwartete, jede Minute festgenommen zu werden. Helen trug ein unauff"alliges Kost"um; es war ausser dem Abendkleid, einem Paar Hosen und zwei Sweatern ungef"ahr alles, was sie an Garderobe besass. Ich hatte den Monteuranzug. Einen zweiten Anzug hatte ich im Rucksack.

Wir liessen die Sachen in einer Kneipe. Es war "uberall auff"allig, Gep"ack zu haben, obschon auch zahlreiche Franzosen mit Koffern unterwegs waren. ›Wir werden zu einem Reiseb"uro gehen und nach den Schiffen fragen‹, sagte ich. Wir kannten niemand in der Stadt.

Es existierte tats"achlich noch ein B"uro. In den Fenstern hingen alte Plakate: ›Verbringt den Herbst in Lissabon‹ – ›Algier, die Perle Afrikas‹ – ›Ferien in Florida‹ – ›Sonniges Granada‹. Die meisten waren ausgebleicht, aber die von Lissabon und Granada leuchteten noch prachtvoll farbig.

Wir brauchten nicht zu warten, bis wir zum Schalter kamen. Ein vierzehnj"ahriger Experte informierte uns. Es stimmte nicht mit den Schiffen. Ger"uchte dieser Art h"atten seit Wochen umhergeschwirrt. Tatsache sei, dass lange vor der Besetzung ein englisches Schiff dagewesen sei, um Polen und Emigranten abzuholen, die sich zur polnischen Legion gemeldet hatten, einer Truppe von Freiwilligen, die in England zusammengestellt wurde. Zur Zeit ginge kein Schiff. Ich fragte, was alle die Leute im Raum dann wollten.

›Die meisten dasselbe wie Sie‹, erwiderte der Experte.

›Und Sie?‹ fragte ich.

›Ich habe aufgegeben wegzukommen‹, sagte er. ›Ich mache daraus meinen Broterwerb. Ich bin Dolmetscher, Ratgeber, Fachmann in Visa-Angelegenheiten, Experte in Unterk"unften -‹

Ich wunderte mich nicht. Not macht fr"uhreif, und Jugend kennt keine Tr"ubung des Blickes durch Sentimentalit"at und Vorurteile. Wir gingen in ein Caf'e, und der Experte gab mir einen "Uberblick "uber die Lage. Es war m"oglich, dass die Truppen abziehen w"urden; aber Bordeaux war f"ur Aufenthaltserlaubnisse trotzdem schwierig; f"ur Visa ganz schlecht. Bayonne wurde f"ur spanische Visa als gut im Augenblick befunden, aber es war "uberf"ullt. Am besten schien Marseille zu sein; aber das war ein langer Weg. Wir haben ihn alle gemacht, sp"ater. Sie auch?«fragte Schwarz.

»Ja«, sagte ich.»Den Kreuzweg.«

Schwarz nickte,»Ich versuchte nat"urlich das amerikanische Konsulat auf dem Wege. Aber Helen hatte einen g"ultigen deutschen Pass aus der Nazizeit; wie konnten wir da beweisen, dass wir in Todesgefahr waren? Die Juden, die ohne Papiere voll Angst vor den T"uren lagen, schienen in gr"osserer Gefahr zu sein. Unsere P"asse wurden Zeugen gegen uns, sogar der des toten Schwarz.

Wir beschlossen, zu unserem Schl"osschen zur"uckzukehren. Zweimal hielten uns Gendarmen an; beide Male machte ich mir die Depression zunutze – ich schnauzte die Gendarmen an, hielt ihnen die P"asse unter die Nase und berief mich als "Osterreich-Deutscher auf die Milit"arverwaltung. Helen lachte, sie fand das alles komisch. Ich war das erste Mal auf die Idee gekommen, als ich in der Kneipe unser Gep"ack zur"uckverlangt hatte. Der Wirt hatte erkl"art, nie Gep"ack von uns erhalten zu haben. ›Wenn Sie wollen, k"onnen Sie ja die Polizei rufen‹, sagte er und blinzelte mich l"achelnd an. ›Aber das wollen Sie doch wohl nicht!‹

›Das brauche ich nicht‹, erwiderte ich. ›Geben Sie die Sachen her!‹

Der Wirt nickte dem Schankburschen zu. ›Henri, der Herr m"ochte gehen.‹

Henri kam mit aufgekrempelten "Armeln heran. ›Ich w"urde mir das "uberlegen, Henri‹, sagte ich zu ihm. ›Oder brennen Sie darauf, zu sehen, wie ein deutsches Konzentrationslager von innen aussieht?‹

›Ta gueule‹, erwiderte Henri und hob die Arme nach mir.

›Schiessen Sie, Sergeant!‹ sagte ich scharf und sah an seinem Kopf vorbei.

Henri fiel darauf herein. Er sah sich um, und da er die Arme noch halb erhoben hatte, trat ich ihm mit aller Kraft in seine Geschlechtsteile. Er br"ullte auf und ging zu Boden. Der Wirt griff nach einer Flasche und kam um die Theke herum. Ich nahm eine Flasche Dubonnet, die auf dem Zinkbelag stand, schlug sie gegen eine Ecke und hielt den zackigen Rest in der Hand. Der Wirt blieb stehen. Hinter mir splitterte eine zweite Flasche. Ich sah mich nicht um; ich konnte den Wirt nicht aus den Augen lassen.

›Ich bin’s‹, sagte Helen und schrie den Wirt an: ›Salaud! Gib die Sachen heraus, oder du hast kein Gesicht mehr!‹

Sie kam um mich herum, ihre zerbrochene Flasche in der Hand, und ging geb"uckt auf den Wirt los. Ich hielt sie mit der freien Hand fest. Sie musste eine Pernodflasche erwischt haben, denn alles roch pl"otzlich nach Anis. Ein Strom von Hafenfl"uchen ergoss sich "uber den Wirt. Helen zerrte, halb geduckt, an meiner Hand, um loszukommen. Der Wirt trat rasch hinter die Theke zur"uck.

›Was geht hier vor?‹ fragte jemand von der T"ur her auf deutsch.

Der Wirt begann zu grinsen. Helen wandte sich um. Der deutsche Unteroffizier, den ich vorher f"ur Henri erfunden hatte, stand jetzt wirklich da.

›Ist er verletzt?‹ fragte der Unteroffizier.

›Das Schwein da?‹ Helen zeigte auf Henri, der noch immer die F"auste zwischen die Beine presste und, die Knie angezogen, auf dem Boden hockte. ›Das ist kein Blut! Das ist Dubonnet!‹

›Sind Sie Deutsche?‹ fragte der Unteroffizier.

›Ja‹, erwiderte ich. ›Und wir sind bestohlen worden.‹

›Haben Sie Papiere?‹

Der Wirt grinste; er schien etwas Deutsch zu verstehen.

›Nat"urlich‹, fauchte Helen. ›Und ich bitte Sie, uns zu unserem Recht zu verhelfen!‹ Sie hielt ihren Pass hoch.

›Ich bin die Schwester des Obersturmbannf"uhrers J"urgens. Hier -‹, sie zeigte auf das Datum des Passes. ›Wir wohnen im Schloss -‹, sie nannte einen Namen, den ich nie geh"ort hatte – ›und sind auf einen Tag nach Bordeaux gefahren. Unsere Sachen haben wir hiergelassen, bei diesem Dieb. Jetzt behauptet er, er h"atte sie nie bekommen. Helfen Sie uns, bitte!‹

Sie fuhr wieder auf den Wirt los. ›Ist das wahr?‹ fragte der Unteroffizier ihn.

›Nat"urlich ist es wahr! Die deutsche Frau l"ugt nicht!‹ zitierte Helen einen der idiotischen Ausspr"uche des Regimes.

›Und wer sind Sie?‹ fragte mich der Unteroffizier.

›Der Chauffeur‹, erkl"arte ich und zupfte an meinem Monteuranzug.

›Also los!‹ schrie der Unteroffizier den Wirt an.

Der Mann hinter der Theke hatte aufgeh"ort zu grinsen.

›Sollen wir Ihnen die Bude schliessen?‹ fragte der Unteroffizier. Helen "ubersetzte mit grossem Genuss und f"ugte noch eine Anzahl ›salauds‹ und ›sales 'etrangers‹ hinzu. Das letzte entz"uckte mich besonders; einen Franzosen in seinem eigenen Land einen dreckigen Ausl"ander zu nennen, konnte nur von jemand voll genossen werden, der dasselbe oft genug selbst genannt worden war.

›Henri!‹ bellte der Wirt. ›Wo hast du die Sachen gelassen? Ich weiss von nichts‹, erkl"arte er dem Unteroffizier, ›der Bursche muss das getan haben.‹

›Er l"ugt‹, "ubersetzte Helen. ›Er schiebt die Schuld auf den Gorilla dort. Raus mit den Sachen‹, sagte sie zum Wirt. ›Sofort! Oder wir holen die Gestapo!‹

Der Wirt gab Henri einen Tritt. Er schlich davon. ›Entschuldigen Sie‹, sagte der Wirt zum Unteroffizier. ›Ein Missverst"andnis. Ein Gl"aschen?‹

›Kognak‹, erwiderte Helen. ›Den besten.‹

Der Wirt stellte ein Glas auf den Schanktisch. Helen starrte ihn an. Er f"ugte zwei Gl"aser hinzu. ›Sie sind eine tapfere Frau‹, sagte der Unteroffizier.

›Die deutsche Frau f"urchtet sich vor nichts‹, zitierte Helen die Nazi-Ideologie und legte die zerbrochene Pernodflasche weg.

›Was f"ur einen Wagen fahren Sie?‹ fragte mich der Unteroffizier.

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