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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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kostbares Gesicht, in dem seine Phantasie sich gefangen hatte wie ein indischer Schleier in einem Rosenbusch voll Dornen. Er zerrte daran, aber die Dornen hielten fest, sie hielten die seidenen und goldenen Fäden fest, sie waren so verknüpft schon damit, daß das Auge nicht mehr ganz unterscheiden konnte,was dorniges Gezweig war und was schimmerndes Gewebe.

Gesicht! Gesicht! Wer fragte, ob es billig oder kostbar war. Einmalig oder tausendmalig? Man konnte vorher Fragen stellen – aber wenn man einmal gefangen war, wußte man es nicht mehr. Man war in der Liebe gefangen

– nicht in dem einzelnen Menschen, der zufällig ihren Namen trug.Wer konnte noch urteilen,geblendet von den Feuern der Phantasie? Liebe kannte keinen Wert.

Der Himmel war niedriger geworden.Die lautlosen Blitze rissen für Augenblicke schwefliges Gewölk aus der Nacht. Die Schwüle lag mit tausend blinden Augen gestaltlos auf den Dächern, Ravic ging die Rue Rivoli entlang. Unter den Bogengängen leuchteten die Schaufenster. Ein Strom von Menschen schob sich daran entlang.DieAutomobile waren eine Kette von blinkenden Reflexen.Da gehe ich,dachte er, einer unter Tausenden, langsam an diesen Auslagen von funkelndem Schund und köstlichen Dingen entlang, die Hände in den Taschen,ein Spaziergänger am Abend – und in mir bebt mein Blut, und in den grauen und weißen, pulsendenWindungen von zwei Handvoll molluskenhafter Masse, Gehirn genannt, tobte eine unsichtbare Schlacht,

die die Wirklichkeit unwirklich und die Unwirklichkeit wirklich erscheinen läßt. Ich fühle Arme mich anstoßen, Körper mich streifen, Augen mich mustern, ich höre die Autos, die Stimmen, das Brodeln handfester Wirklichkeit, ich bin mittendrin und doch weiter entfernt davon wie der Mond – auf einem Planeten, jenseits der Logik und der Tatsachen, schreit etwas in mir einen Namen und weiß, es ist nicht der Name, und schreit trotzdem, es schreit ihn in ein Schweigen, das immer war und in dem viele Schreie schon verhallten und aus dem nie eineAntwort war,und es weiß ihn und schreit ihn trotzdem, den Schrei der Liebesnacht und der Todesnacht, den Schrei der Ekstase und des zusammenstürzenden Bewußtseins, des Dschungels und der Wüste, und ich kann tausend Antworten wissen, diese eine ist außer mir, und ich kann sie nie erreichen.

Liebe! Wieviel dieser Name decken mußte! Von der sanftesten Zärtlichkeit der Haut bis zum fernsten Aufruhr des Geistes, vom einfachsten Familienwunsch bis zur Todeserschütterung, von der besinnungslosen Brunst bis zum Kampf Jakobs mit dem Engel. Da gehe ich, sagte Ravic, ein Mann von mehr als vierzig Jahren, geschult in vielen Schulen, zusammengeschlagen und wieder aufgestanden, mit Erfahrung und Wissen, gesiebt durch den Filter der Jahre, härter geworden, kritischer geworden, kälter geworden – ich wollte es nicht und ich glaubte es nicht,ich dachte nicht,daß es noch einmal kommen würde

– und da ist es nun, und alle Erfahrung nützt nichts, alles

Wissen macht es nur noch brennender –, und was brennt besser auf den Feuern des Gefühls als trockener Zynismus und das aufgespeicherte Holz kritischer Jahre?

Er ging und ging, und die Nacht war weit und hallte; er ging achtlos weiter und wußte nicht, ob es Stunden waren oder Minuten, und er war nur wenig verwundert, als er sich wiederfand in den Gärten hinter der Avenue Raphael.

Das Haus an der Rue Pascal. Die Etagen, bleich hinauf

hoch die Studios, einige erleuchtet. Er fand die Fenster von Joans Studio. Sie waren hell. Sie war zu Hause. Aber vielleicht war sie auch nicht zu Hause und nur die Lichter brannten. Sie haßte es, in dunkle Räume zu kommen. Genau wie er. Ravic ging zur Straße hinüber. Ein paar Wagen standen vor dem Haus.Ein gel-ber Roadster darunter,eine normale Maschine, wie ein Rennwagen aufgemacht. Das konnte der Wagen des andern sein. Ein Wagen für einen Schauspieler. Rote Ledersitze, ein Armaturenbrett wie für ein Flugzeug, mit einer Fülle unnötiger Instrumente

natürlich,das mußte er sein.Bin ich eifersüchtig? dachte er erstaunt. Eifersüchtig auf das zufällige Objekt, an dem sie sich festgehakt hat? Eifersüchtig auf etwas, das mich nichts angeht? Man kann eifersüchtig sein auf eine Liebe, die sich abgewendet hat – aber nicht auf das, wohin sie sich gewendet hat.

Er ging zurück zu den Anlagen. Blüten rochen aus dem Dunkel, süß, vermischt mit dem Geruch von Erde und

abgekühltem Grün. Sie rochen stark, wie vor Gewitter. Er fand eine Bank und setzte sich. Das bin ich nicht, dachte er, dieser verspätete Liebhaber, der hier auf einer Bank vor dem Haus der Frau sitzt, die ihn verlassen hat, und ihr Fenster beobachtet! Das bin ich nicht, geschüttelt von einem Verlangen, das, er genau sezieren kann und doch nicht Herr darüber ist! Das bin ich nicht, dieser Narr hier, der Jahre geben würde, wenn er die Zeit zurückdrehen und ein blondes Nichts zurückhaben könnte,das selbigen Unsinn in sein Ohr schwatzte! Das bin nicht ich,der – zum Teufel mit allen Ausreden – hier sitzt und eifersüchtig ist und zerbrochen und elend und der am liebsten denWagen dort anzünden würde!

Er suchte nach einer Zigarette. Das leise Glühen. Der unsichtbare Rauch. Die kurze Kometenbahn des Streichholzes. Warum ging er nicht hinauf in das Studio? Was konnte schon sein? Es war noch nicht zu spät. Das Licht brannte noch. Er würde die Situation schon meistern können.Warum holte er sie nicht heraus? Jetzt,wo er alles wußte? Holte sie heraus und nahm sie mit sich und ließ sie nie mehr los?

Er starrte in das Dunkel. Was würde es nützen? Was würde schon geschehen? Er konnte den andern nicht hinauswerfen. Man konnte nichts und niemand aus dem Herzen eines andern hinauswerfen. Hätte er sie nicht nehmen können, als sie zu ihm gekommen war? Weshalb hatte er es nicht getan?

Er warf die Zigarette fort.Weil es nicht genug war. Das war es. Er wollte mehr. Es würde nicht genug sein, selbst wenn sie käme, selbst wenn sie wiederkäme und alles wäre vergessen und versunken, es würde nie mehr genug sein, auf eine sonderbare und schreckliche Weise nie mehr genug. Irgend etwas war fehlgegangen, der Strahl der Phantasie hatte irgendwann den Spiegel nicht mehr getro en, der ihn au ng und glühender in sich selbst zurückwarf, und nun war er darüber hinausgeschossen, in blinde Unerfüllbarkeit, und nichts konnte ihn mehr zurückbringen, kein Spiegel mehr und keine tausend Spiegel. Sie konnten nur noch einen Teil au angen, aber nie mehr zurückholen; er geisterte längst verloren an den leeren Himmeln der Liebe entlang und füllte sie nur noch mit leuchtendem Nebel, der keine Form mehr hatte und nie mehr ein Regenbogen um ein geliebtes Haupt haben würde.Der magische Kreis war gesprengt,die Klage blieb, aber die Ho nung lag in Scherben.

Jemand kam aus dem Haus. Ein Mann. Ravic richtete sich auf. Eine Frau folgte. Sie lachten. Sie waren es nicht. Einer derWagen startete und fuhr ab.Er nahm eine andere Zigarette.Hätte er sie halten können,wenn es anders gewesen wäre? Doch was konnte man halten? Nur eine Illusion, wenig mehr. Aber war eine Illusion nicht genug? Konnte man je mehr erreichen? Wer wußte dann etwas von dem schwarzen Strudel des Lebens, der namenlos unterhalb der Sinne flutete, die ihn aus dem hohlen Sausen zu Din-

gen machten, zu Tisch und Lampe und Heimat und Du und Liebe? Da war nur eine Ahnung und ein schauriges Zwielicht. War es nicht genug?

Es war nicht genug. Es war nur genug, wenn man daran glaubte.Wenn der Kristall einmal zersprungen war unter dem Hammer des Zweifels, konnte man ihn nur kitten, aber nichts mehr.Kitten,lügen und das zerbrochene Licht betrachten, das einmal weißer Glanz war! Nichts kam wieder. Nichts formte sich zurück. Nichts. Selbst wenn Joan zurückkäme, es würde nicht mehr dasselbe sein. Der gekittete Kristall. Die Stunde war versäumt. Nichts brachte sie zurück.

Er spürte einen scharfen, unerträglichen Schmerz. Etwas riß in ihm, zerriß. Mein Gott, mein Gott, dachte er, daß ich so leiden kann. Daran so leiden kann. Ich sehe mir selbst über die Schulter, aber es ändert nichts. Ich weiß, wenn ich es bekäme, würde ich es wieder loslassen, aber das löscht mein Verlangen nicht. Ich seziere es wie einen toten Körper auf dem Tisch in der Morgue – aber er wird noch tausendmal lebendiger. Ich weiß, daß es irgendwann vorbeigehen wird – aber es hilft mir nichts. Er starrte mit geblendeten Augen zu dem Fenster hinauf, und er fühlte sich entsetzlich lächerlich – und auch das änderte nichts.

Ein schwerer Donner rollte plötzlich über die Stadt. Regentropfen klatschten ins Gebüsch. Ravic stand auf. Er sah, wie die Straße sich mit schwarzem Silber sprenkelte.

Der Regen begann zu singen.Die dicken Tropfen schlugen ihm warm ins Gesicht.Und plötzlich wußte er nicht mehr, ob er lächerlich war oder elend, ob er litt oder nicht – er wußte nur noch, daß er lebte. Er lebte! Er war da, es hatte ihn wieder, es schüttelte ihn, er war kein Zuschauer mehr, kein Außenstehender mehr, der große Glanz des unkontrollierbaren Gefühls schoß wieder durch seine Adern wie Feuer durch Hochofenröhren, es war fast gleichgültig, ob er glücklich oder unglücklich war, er lebte und er spürte voll, daß er lebte, und das war genug!

Er stand im Regen, der auf ihn niederstürzte wie ein himmlisches Maschinengewehrfeuer. Er stand da, und er war Regen und Sturm und Wasser und Erde, die Blitze von den Horizonten kreuzten sich in ihm; er war Kreatur, Element; nichts hatte mehr Namen und wurde einsam dadurch, alles war dasselbe, die Liebe, das stürzende Wasser, die fahlen Feuer über den Dächern, die Erde, die sich aufzuwölben schien, keine Grenzen waren mehr da, und er gehörte dazu, und Glück und Unglück waren nur noch leere Hülsen,weggeschleudert von dem mächtigen Gefühl, zu leben und sich lebend zu fühlen. »Du da oben«, sagte er gegen das erleuchtete Fenster und lachte und wußte nicht, daß er lachte. »Du kleines Licht, du Fata Morgana, du Gesicht, das eine sonderbare Macht über mich hat, auf diesem Planeten, auf dem es hunderttausend andere gibt, bessere,schönere,klügere,gütigere,treuere,verständigere

– du Zufall, mir nachts über den Weg geworfen, in mein

Leben gefallen, du angeschwemmtes, gedankenloses, besitzergreifendes Gefühl, unter meine Haut gekrochen im Schlaf, du, die von mir fast nichts anderes weiß, als daß ich widerstand, und die sich mir deshalb entgegenwarf, bis ich nicht mehr widerstand, und die dann weiter wollte, sei gegrüßt! Hier stehe ich und glaubte, nie wieder einmal so zu stehen. Der Regen rinnt durch mein Hemd und ist wärmer und kühler und weicher als deine Hände und deine Haut; hier stehe ich, elend und mit den Krallen der Eifersucht im Magen, dich verlangend, dich verachtend, dich bewundernd, dich anbetend, weil du den Blitz geworfen hast, der gezündet hat, den Blitz, der in jedem Schoße ruht, den Funken Leben, das schwarze Feuer; hier stehe ich, nicht mehr wie ein Toter auf Urlaub mit kleinem Zynismus,Sarkasmus und etwas Mut,nicht mehr kalt; lebendig wieder, leidend meinetwegen, aber o en wieder den Gewittern des Lebens,zurückgeboren in seine schlichte Gewalt! Sei gebenedeit,Madonna mit dem flüchtigen Herzen, Nike mit dem rumänischen Akzent. Traum und Betrug, zerbrochener Spiegel eines dunklen Gottes, Ahnungslose – sei bedankt! Nie werde ich es dir sagen, denn du würdest unbarmherzig Kapital daraus schlagen, aber du hast mir wiedergegeben, was weder Plato noch Sternchrysanthemen, weder Flucht noch Freiheit, weder alle Poesie noch alles Erbarmen,wederVerzweiflung noch höchste und geduldigste Ho nung mir geben konnte: das einfache, starke, direkte Leben, das mir wie ein Verbre-

chen erschien in dieser Zeit zwischen Katastrophe und Katastrophe! Sei gegrüßt! Sei bedankt! Ich mußte dich verlieren, um es zu wissen! Sei gegrüßt!

Der Regen war zu einem silbernen, flimmernden Vorhang geworden.Die Büsche begannen zu duften.Die Erde roch stark und dankbar.Jemand stürzte aus dem Haus gegenüber und riß dasVerdeck über den gelben Roadster.Es war gleich.Alles war gleich.Die Nacht war da,sie schüttete den Regen von den Sternen,mystisch befruchtend stürzte er auf die steinerne Stadt mit ihren Alleen und Gärten, Millionen Blüten hielten ihm ihr buntes Geschlecht hin und empfingen ihn, und er warf sich in Millionen ausgebreitete,gefiederte Astarme und wühlte sich in die Erde zu dunkler Vermählung mit Millionen wartender Wurzeln; der Regen, die Nacht, die Natur, das Wachsen, sie waren da,unbekümmert um Zerstörung,Tod,Verbrecher,falsche Heilige, Sieg oder Niederlage; sie waren da wie in jedem Jahr, und in dieser Nacht gehörte er dazu, aufgebrochene Schale, sich reckendes Leben, Leben, Leben, gegrüßt und gebenedeit!

Er ging rasch durch die Gärten und Straßen. Er sah nicht zurück; er ging und ging, und die Kronen des Bois empfingen ihn wie ein riesiger, summender Bienenkorb; der Regen trommelte auf sie, sie schwankten und antworteten, und es war ihm, als wäre er wieder jung und ginge das erstemal zu einer Frau.

24 »Was soll es sein?« fragte der Kellner Ravic. »Bringen Sie mir einen …« »Was?« Ravic antwortete

nicht.

»Ich habe Sie nicht verstanden, mein Herr«, sagte der Kellner. »Irgend etwas. Bringen Sie mir irgend etwas.« »Einen Pernod?«

»Ja …«

Ravic schloß die Augen. Er ö nete sie langsam wieder. Der Mann saß noch immer da.Dieses Mal war kein Irrtum mehr möglich.

Haake saß am Tisch neben der Tür. Er war allein und aß.Auf dem Tisch stand eine Silberplatte mit zwei halben Langusten und eine Flasche Champagne nature in einem Kühler. Ein Kellner stand am Tisch und mischte einen grünen Salat mit Tomaten. Ravic sah das alles überdeutlich, als präge es sich wie ein Relief hinter seinen Augen in Wachs. Er sah einen Siegelring mit einem Wappen in rotem Stein, als Haake die Flasche aus dem Kühler nahm. Er kannte diesen Ring und die weiße, fleischige Hand wieder. Er hatte sie im Wirbel methodischen Wahnsinns gesehen, als er, zusammengebrochen neben dem Prügeltisch,aus einer Ohnmacht in grelles Licht zurückgeworfen war – Haake vor ihm, vorsichtig zurücktretend, um seine tadellose Uniform zu schützen vor dem Wasser, das über Ravic geschüttet wurde –, die fleischige, zu weiße Hand ausgestreckt, auf ihn zeigend und mit sanfter Stimme

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