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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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der Patient nicht informiert ist und keine Zustimmung gegeben hat?«

»Ja, natürlich doch«, krächzte Durant.

»Gut. Rufen Sie die Schwestern. Den Assistenten brauchen wir nicht. Erklären Sie ihm, daß Sie Veber und mir erlaubt haben, bei einem komplizierten Spezialfall zu assistieren.Altes Versprechen oder so was.Die Anästhesie können Sie selbst weiter übernehmen.Müssen die Schwestern sich neu sterilisieren?«

»Nicht nötig, sie sind zuverlässig. Haben nichts angerührt.« »Um so besser.«

Der Bauch war o en. Ravic zog die Darmschlinge mit äußerster Vorsicht aus dem Loch in der Gebärmutter und wickelte sie Stück um Stück in sterile Tücher, um die Sepsis zu verhüten, bis die verletzte Stelle heraus war. Dann deckte er die Gebärmutter völlig mit Tüchern ab. »Exrrauterine Schwangerschaft«, murmelte er zu Veber hinüber. »Sehen Sie hier – halb in der Gebärmutter, halb in der Tube. Man kann ihm nicht einmal allzu große Vorwürfe machen. Ziemlich seltener Fall. Trotzdem …«

»Was?« fragte Durant hinter dem Schirm am Kopfende des Tisches her. »Was sagten Sie?«

»Nichts.«

Ravic klemmte den Darm ab und machte die Resektion. Dann begann er rasch die o enen Enden zu schließen und machte eine seitliche Anastomose.

Er spürte die Intensität der Operation. Er vergaß Durant. Er unterband die Tube und die zuführenden Blutgefäße und schnitt das Ende der Tube ab. Dann begann er, den Uterus herauszuschneiden. Warum blutet das nicht viel mehr? dachte er. Warum blutet so etwas nicht mehr als das Herz? Wenn man das Wunder des Lebens und die Fähigkeit, es weiterzugeben, herausschneidet?

Der schöne Mensch, der hier lag, war tot. Er konnte weiterleben, aber er war tot. Ein toter Zweig am Baum der Generationen.Blühend,aber ohne das Geheimnis der Frucht.Aus Kohlenwäldern hatten riesige A enmenschen sich heraufgekämpft durch Tausende von Generationen, Ägypter hatten Tempel gebaut, Hellas hatte geblüht, mystisch war das Blut weitergelaufen, hinauf, hinauf, um endlich diesen Menschen zu scha en, der nun unfruchtbar wie eine taube Ähre und das Blut nicht mehr weiterreichen würde in einen Sohn oder eine Tochter.Die Kette war unterbrochen worden durch die grobe Hand Durants.Aber hatten an Durant nicht auch Tausende von Generationen gearbeitet, hatten für ihn nicht auch Hellas und die Renaissance geblüht, um seinen faulen Spitzbart hervorzubringen?

»Zum Kotzen«, sagte Ravic. »Was?« fragte. Veber.

»So allerlei.«

Ravic richtete sich auf.»Fertig.« Er sah in das fahle,liebliche Gesicht mit den leuchtenden Haaren hinter demAnäs-

thesiebügel.Er sah in den Eimer,in dem blutig verschmiert das lag, was dieses Gesicht so schön gemacht hatte. Dann sah er Durant an. »Fertig«, sagte er noch einmal.

Durant beendete die Anästhesie. Er sah Ravic nicht an.

Er wartete, bis die Schwestern den Wagen hinausschoben. Dann folgte er ihm, ohne etwas zu sagen.

»Morgen wird er fünftausend Frank mehr für die Operation verlangen«,sagte Ravic zuVeber.»Und ihr erklären, daß er ihr das Leben gerettet hat.«

»Es sieht im Augenblick nicht so aus.«

»Ein Tag ist eine lange Zeit. Und Reue ist kurz. Besonders, wenn sie sich in Geschäft umwandeln kann.«

Ravic wusch sich. Durch die Scheiben neben dem weißen Waschstand sah er ein Fensterbrett gegenüber, auf dem rote Geranien blühten. Eine graue Katze saß unter den Blütendolden.

Er telefonierte nachts um ein Uhr zu Durants Klinik.Er telefonierte von der Scheherazade aus.Die Nachtschwester erklärte,die Frau schliefe.Sie sei vor zwei Stunden unruhig geworden. Veber sei dagewesen und habe ihr ein leichtes Sedativ gegeben. Es schien alles in Ordnung.

Ravic ö nete die Telefonzelle. Ein starker Geruch von Parfüm schlug ihm entgegen. Eine Frau mit gebleichten, gelben Haaren rauschte stolz und herausfordernd in die Damentoilette.Das Haar der Frau in der Klinik war echtes Blond gewesen. Rötliches, leuchtendes Blond! Er zünde-

te sich eine Zigarette an und ging in die Scheherazade zurück. Der ewige russische Chor sang dort die ewigen »Schwarzen Augen«; er sang sie seit zwanzig Jahren über die Welt. Tragik, zwanzig Jahre lang, hatte die Gefahr der Lächerlichkeit, dachte Ravic. Tragik mußte kurz sein.

»Entschuldigen Sie«, sagte er zu Kate Hegström. »Aber ich hatte zu telefonieren.«

»Ist alles in Ordnung?« »Bis jetzt ja.«

Wozu fragte sie das? dachte er irritiert. Bei ihr selbst ist doch wahrhaftig nicht alles in Ordnung. »Haben Sie, was Sie wollen, hier?« Er zeigte auf die Kara e mit Wodka.

»Nein.«

»Nein?«

Kate Hegström schüttelte den Kopf.

»Das ist der Sommer. Im Sommer soll man nicht in Nachtklubs hocken.Im Sommer soll man auf der Terrasse sitzen. In der Nähe eines noch so schwindsüchtigen Baumes, mit einem Eisengitter darum meinetwegen.«

Er sah auf und blickte gerade in die Augen Joans. Sie mußte in der Zeit gekommen sein, während er telefoniert hatte. Vorher war sie nicht dagewesen. Sie saß in der gegenüberliegenden Ecke.

»Wollen Sie anderswohin gehen?« fragte er Kate Hegström.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Sie? Zu irgendeinem schwindsüchtigen Baum?«

»Da sind die Wodkas meistens auch schwindsüchtig. Dieser hier ist gut.«

Der Chor hörte auf zu singen,und die Musik wechselte. Das Orchester begann einen Blues. Joan erhob sich und ging zur Tanzfläche hinüber.Ravic konnte sie nicht genau sehen.Auch nicht,mit wem sie war.Nur wenn der Scheinwerfer die Fläche blaufahl streifte,tauchte sie jedesmal ins Licht und verschwand dann wieder im Halbdunkel.

»Haben Sie heute operiert?« fragte Kate Hegström. »Ja …«

»Wie ist das, wenn man dann abends in einem Nachtklub sitzt? Ist das, wie wenn man aus einer Schlacht in eine Stadt zurückkommt? Oder aus einer Krankheit ins Leben?«

»Nicht immer. Manchmal ist es auch nur einfach leer.« Die Augen Joans waren durchsichtig in dem fahlen Streifen Licht. Sie blickte zu ihm hinüber. Es ist nicht das Herz, das sich rührt, dachte Ravic. Es ist der Magen. Ein

Ruck im Solarplexus.

Darüber sind Tausende Gedichte geschrieben worden. Und der Ruck kommt nicht von dir dort, leicht schwitzendes, hübsches, tanzendes Stück Fleisch – er kommt aus den Dunkelkammern meines Gehirns –, er ist nur ein zufälliger, loser Kontakt, daß er stärker kommt, wenn du dort durch den Streifen Licht gleitest.

»Ist das nicht die Frau, die hier einmal sang?« fragte Kate Hegström.

»Ja.«

»Singt sie nicht mehr hier?« »Ich glaube nicht.«

»Sie ist schön.« »So?«

»Ja. Sie ist sogar mehr als schön. Das ist ein Gesicht, in dem o en das Leben steht.«

»Möglich.«

Kate Hegström betrachtete Ravic aus schmalen Augenwinkeln. Sie lächelte. Es war ein Lächeln, das in Tränen enden konnte. »Geben Sie mir noch einen Wodka und lassen Sie uns gehen«, sagte sie.

Ravic fühlte Joans Augen,als er aufstand.Er nahm Kates Arm. Es war nicht notwendig; sie konnte gut allein gehen; aber er fand, es könnte Joan nicht schaden, es zu sehen.

»Wollen Sie mir einen Gefallen tun?« fragte Kate Hegström,, als sie in ihrem Zimmer im Lancaster waren.

»Sicher. Wenn ich es kann.«

»Wollen Sie mit mir zum Montfort-Ball gehen?« »Was ist das, Kate? Habe nie davon gehört.«

Sie setzte sich in einen Sessel.Der Sessel war zu groß für sie. Sie sah zerbrechlich darin aus – wie eine chinesische Tanzfigur. Die Haut über ihren Augen spannte sich mehr als früher. »Der Montfort-Ball ist das gesellschaftliche Ereignis des Sommers in Paris«,sagte sie. »Er ist nächsten Freitag im Haus und im Garten von Louis Montfort. Das sagt Ihnen nichts, wie?«

»Nichts!«

»Wollen Sie mit mir hingehen?« »Kann ich das denn?«

»Ich besorge Ihnen eine Einladung.« Ravic sah sie an. »Warum, Kate?«

»Ich möchte gehen. Ich möchte nicht allein gehen.« »Müßten Sie das sonst?«

»Ich würde es. Ich will nicht mit einem dieser Leute von früher gehen. Ich kann das nicht mehr aushalten. Verstehen Sie das?«

»Ja.«

»Es ist das schönste und letzte Gartenfest in Paris. Ich war die letzten vier Jahre jedesmal da.Wollen Sie mir den Gefallen tun?«

Ravic wußte, weshalb sie mit ihm gehen wollte. Sie würde sich sicherer fühlen.

Er konnte es nicht ablehnen.

»Gut,Kate«,sagte er.»Sie brauchen mir keine besondere Einladung schicken zu lassen.Wenn man weiß,daß Sie mit jemand kommen, so wird das genügen, nehme ich an.« Sie nickte. »Natürlich. Danke, Ravic. Ich rufe Sophie

Montfort sofort an.«

Er stand auf. »Ich hole Sie dann Freitag ab.Was werden Sie anziehen?«

Sie sah von unten her zu ihm auf. Das Licht warf einen scharfen Reflex auf ihr eng anliegendes Haar. Ein Eidechsenkopf, dachte Ravic. Die schmale, trockene und harte

Eleganz fleischloser Vollkommenheit, die die Gesundheit nie erreichen kann. »Das ist das, was ich Ihnen bis jetzt nicht gesagt habe«,sagte sie nach kurzem Zögern.»Es ist ein Kostümfest, Ravic. Ein Gartenfest am Hofe Louis XIV.«

»Großer Gott!« Ravic setzte sich wieder.

Kate Hegström lachte. Es war plötzlich ein ganz freies, kindliches Lachen. »Dort steht guter, alter Kognak«, sagte sie. »Brauchen Sie einen?«

Ravic schüttelte den Kopf. »Was die Leute sich alles ausdenken können!«

»Es ist jedes Jahr so etwas Ähnliches.« »Das heißt also, ich müßte …«

»Ich werde für alles sorgen«, unterbrach sie ihn rasch. »Sie brauchen sich um nichts zu kümmern. Ich besorge das Kostüm.Irgend etwas Einfaches.Sie brauchen es nicht einmal zu probieren. Geben Sie mir nur Ihre Maße.«

»Ich glaube, ich brauche doch einen Kognak«, sagte Ravic. Kate Hegström schob ihm die Flasche zu. »Sagen Sie jetzt nicht nein.«

Er trank den Kognak.Zwölf Tage,dachte er.Zwölf Tage, bis Haake wieder in Paris sein wird. Zwölf Tage, die herumgebracht werden müssen.Zwölf Tage – sein Leben hatte nicht mehr als sie, und er konnte nicht darüber hinaus denken.Zwölf Tage – dahinter gähnte ein Abgrund.Es war gleich, wie er die Zeit hinter sich brachte. Ein Kostümfest

– was war noch grotesk in diesen schwimmenden zwei Wochen? »Gut, Kate.«

Er ging noch einmal zu Durants Klinik. Die Frau mit den rotgoldenen Haaren schlief. Dicke Schweißtropfen standen auf ihrer Stirn.Das Gesicht hatte Farbe,und der Mund war leicht geö net. »Fieber?« fragte er die Schwester.

»Siebenunddreißig acht.«

»Gut.« Er beugte sich dichter über das feuchte Gesicht. Er fühlte den Atem. Es war kein Äther mehr darin. Es war einAtem,frisch wie Thymian.– Thymian,erinnerte er sich, eine Bergwiese im Schwarzwald,kriechend,atemlos durch die heiße Sonne, irgendwo unten die Rufe der Verfolger

– und der betäubende Duft von Thymian. Sonderbar, wie man alles vergaß, nur die Gerüche nicht. Thymian – noch in zwanzig Jahren würde sein Geruch das Bild des Tages der Flucht in den Schwarzwald emporreißen aus den verstaubten Falten der Erinnerung,als wäre es gestern gewesen. Nicht in zwanzig Jahren, dachte er – in zwölf Tagen.

Er ging,durch die warme Stadt zum Hotel.Es war gegen drei Uhr. Er stieg die Treppenstufen empor. Vor seiner Tür lag ein weißes Kuvert. Er hob es auf. Es trug seinen Namen, aber es hatte keine Marke und keinen Stempel. Joan, dachte er und ö nete es. Ein Scheck fiel heraus. Es war Durant.Ravic sah gleichgültig auf die Zi er.Dann sah er noch einmal hin. Er glaubte es nicht. Es waren nicht die üblichen zweihundert Frank. Es waren zweitausend. Muß eine verdammte Angst gehabt haben, dachte er. Zweitausend Frank freiwillig von Durant – das war das achte Weltwunder.

Er steckte den Scheck in seine Brieftasche und legte einen Pack Bücher auf den Tisch neben seinem Bett. Er hatte sie vor zwei Tagen gekauft, um zu lesen, wenn er nicht schlafen konnte. Es war sonderbar mit Büchern

– sie wurden wichtiger und wichtiger für ihn. Sie konnten nicht alles ersetzen, aber sie reichten irgendwohin, wohin nichts anderes mehr reichte. Er erinnerte sich, daß er in den ersten Jahren keine angerührt hatte; sie waren blaß gewesen gegen das,was geschehen war.Jetzt aber waren sie bereits einWall – wenn sie auch nicht schützten,so konnte man sich doch an sie lehnen. Sie halfen nicht viel; aber sie bewahrten in einer Zeit, die in die Finsternis zurückjagte, vor der letzten Verzweiflung. Das war genug. Irgendwann waren Gedanken gedacht worden,die heute verachtet und verlacht wurden; aber sie waren gedacht worden und sie würden bleiben, und das war genug.

Bevor er zu lesen anfangen konnte,klingelte das Telefon. Er nahm den Hörer nicht ab. Es klingelte lange. Einige Minuten später, als es still war, hob er den Hörer und fragte den Concierge, wer angerufen habe. »Sie hat ihren Namen nicht gesagt«, erklärte der Mann.

Ravic hörte, daß er aß. »War es eine Frau?« »Ja.«

»Mit einem Akzent?«

»Das weiß ich nicht.« Der Mann aß weiter. Ravic rief Vebers Klinik an. Niemand hatte von dort telefoniert.

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