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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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die Tür. Die Straße roch plötzlich nach Chanel Cinque. Die Frau hinkte leicht. Der Gigolo ging faul hinter ihr her, nachdem er das Taxi bezahlt hatte. Die Frau wartete auf ihn an der Tür. Ihre Augen waren grün im Licht der Lampen. Die Pupillen waren sehr klein zusammengezogen.

»Um diese Zeit ruft er bestimmt nicht an«, sagte Morosow, als er zurückkam.

Ravic antwortete nicht. »Wenn du mir den Schlüssel gibst, kann ich um acht ’raufgehen«, erklärte Morosow. »Ich kann dann warten, bis du zurückkommst.«

»Du mußt schlafen.«

»Unsinn. Ich kann auf deinem Bett schlafen, wenn ich will. Es wird keiner anrufen, aber ich kann es tun, wenn es dich beruhigt.«

»Ich habe bis elf zu operieren.«

»Gut. Gib mir den Schlüssel. Ich möchte nicht, daß du vor Aufregung einer Dame des Faubourg St. Germain die Eierstöcke an den Magen nähst.Sie würde dann nach neun Monaten ein Kind kotzen. Hast du den Schlüssel?«

»Ja. Hier.«

Morosow steckte den Zimmerschlüssel ein. Dann zog er eine Büchse mit Pfe erminzpastillen hervor und bot sie Ravic an. Ravic schüttelte den Kopf. Morosow nahm ein paar heraus und warf sie sich in den Mund. Sie verschwanden in seinem Bart, wie kleine weiße Vögel in einem Wald. »Erfrischt«, erklärte er, »Hast du schon ein-

mal einen ganzen Tag in einer Plüschbude gesessen und gewartet?« fragte Ravic.

»Länger? Du nicht auch?« »Ja. Aber nicht auf das.«

»Hast du dir nichts zu lesen mitgenommen?« »Genug. Aber ich habe nichts gelesen. Wie lange hast

du hier zu tun?«

Morosow ö nete die Tür eines Taxis. Es war voll von Amerikanern.Er ließ sie ein.»Mindestens noch zwei Stunden«, sagte er, als er zurückkam. »Du siehst ja, was los ist. Der verrückteste Sommer seit Jahren. Joan ist auch drin.«

»So.«

»Ja. Mit einem andern, wenn dich das interessiert.« »Nein«, sagte Ravic. Er wandte sich zum Gehen. »Ich

sehe dich dann morgen.«

»Ravic«, rief Morosow hinter ihm her.

Ravic kam zurück. Morosow zog den Schlüssel hervor. »Hier! Du mußt doch in dein Zimmer im ›Prince de Galles‹ ’rein. Ich sehe dich ja nicht vor morgen. Laß die Tür o en, wenn du weggehst.«

»Ich schlafe nicht im ›Prince de Galles‹.« Ravic nahm den Schlüssel. »Ich schlafe im ›International‹. Richtiger, wenn man mein Gesicht drüben so wenig wie möglich sieht.«

»Du solltest doch da schlafen. Man wohnt nicht in Hotels,in denen man nicht schläft.Besser,falls die Polizei bei der Rezeption herumfragen sollte.«

»Das schon, aber es ist auch besser, falls sie herumfragen sollte, daß ich nachweisen kann, die ganze Zeit im »International gewohnt zu haben. Ich habe im ›Prince de Galles‹ alles arrangiert. Das Bett zerwühlt, Waschtisch, Handtücher, Bad und das andere so benützt, daß es aussieht, als ob ich früh weggegangen wäre.«

»Schön. Dann gib mir den Schlüssel wieder.«

Ravic schüttelte den Kopf.»Besser,wenn man dich nicht auch noch da sieht.«

»Es macht nichts.«

»Doch Boris. Wir wollen keine Idioten sein. Dein Bart ist nicht alltäglich. Außerdem hast du recht; ich muß so tun und leben,als wenn nichts Besonderes los wäre.Wenn Haake wirklich morgen früh anruft, wird er nachmittags auch wieder anrufen. Wenn ich damit nicht rechne, bin ich ein nervöses Wrack in einem Tage.«

»Wohin gehst du jetzt?«

»Schlafen. Nicht zu erwarten, daß er um diese Zeit noch anruft.«

»Ich kann dich später irgendwo treffen, wenn du willst.«

»Nein,Boris.Ich werde ho entlich schon schlafen,wenn du hier frei wirst. Muß um acht operieren.«

Morosow sah ihn ungläubig an. »Gut. Ich komme dann morgen nachmittag bei dir im ›Prince de Galles‹ vorbei. Wenn vorher was ist, rufe mich im Hotel an.«

»Ja.«

Die Straßen.Die Stadt.Der rötliche Himmel.Verflackerndes Rot und Weiß und Blau die Häuser hinunter. Wind, die Ecken der Bistros umspielend wie eine zärtliche Katze. Menschen, Luft, nach einem Tag, verwartet in einem stickigen Hotelzimmer. Ravic ging die Avenue hinter der Scheherazade entlang. Die eisenumgitterten Bäume atmeten zögernd eine Erinnerung an Grün und Wald in die bleierne Nacht. Er fühlte sich plötzlich zum Umfallen leer und erschöpft.Wenn ich es ließe,dachte etwas in ihm, wenn ich es ganz ließe, es vergäße, es abstreifte wie eine Schlange eine längst überjährige Haut! Was geht es mich noch an, dieses Melodrama aus einer fast vergessenen Vergangenheit? Was geht mich selbst dieser Mensch noch an, dieses kleine, zufällige Instrument, dieses belanglose Werkzeug in einem Stück finsteren Mittelalters, einer Sonnenfinsternis in Mitteleuropa?

Was ging es ihn noch an? Eine Hure versuchte, ihn in einen Torgang zu locken. Sie ö nete im Dunkel der Tür ihr Kleid.Es war so gemacht,daß es,wenn sie einen Gürtel ö nete, auseinanderfiel wie ein Schlafrock. Das bleiche Fleisch schimmerte undeutlich.Schwarze,lange Strümpfe, ein schwarzer Schoß, schwarze Augenhöhlen, in deren Schatten man die Augen nicht mehr sah; mürbes, zerfallendes Fleisch, das schon zu phosphoreszieren schien.

Ein Zuhälter, eine Zigarette an der Oberlippe klebend, lehnte an einem Baum und starrte ihn an. Ein paar Gemüsewagen kamen vorbei. Pferde, nickend, schwere,

ziehende Muskeln unter dem Fell. Der würzige Geruch von Kräutern, von Blumenkohlköpfen, die aussahen wie versteinerte Gehirne in grünen Blättern. Das Rot der Tomaten, die Körbe mit Bohnen, Zwiebeln, Kirschen und Sellerie.

Was ging es ihn noch an? Einer mehr oder weniger. Einer mehr oder weniger von Hunderttausenden,die ebenso schlimm waren oder noch schlimmer. Einer weniger. Er blieb mit einem Ruck stehen. Das war es! Er war auf einmal ganz wach. Das war es! Das hatte sie groß werden lassen, daß man müde wurde, daß man vergessen wollte, daß man dachte: was geht es mich noch an? Das war es! Einer weniger! Ja, einer weniger – das war nichts, aber es war auch alles! Alles! Er zog langsam eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie langsam an. Und plötzlich, während das gelbe Licht des Streichholzes die Innenfläche seiner Hände beleuchtete, wie eine Höhle mit Schluchten von Linien darin,wußte er,daß ihn nichts abhalten konnte, Haake zu töten.In einer sonderbaren Weise kam alles darauf an. Es war auf einmal weit mehr als eine persönliche Rache. Es war so, daß, wenn er es nicht tat, er sich eines unendlichen Verbrechens schuldig machte – daß irgend etwas in der Welt verloren war für immer, wenn er nicht handelte. Er wußte gleichzeitig genau, daß es nicht so war

– aber trotzdem weit jenseits von Erklärung und Logik stand das finstere Wissen in seinem Blut, daß er es tun müsse –, als würden unsichtbare Wellen davon auslaufen

und weit Größeres später geschehen. Er wußte, Haake war ein kleiner Beamter des Schreckens, und er bedeutet nicht viel – aber er wußte plötzlich auch,daß es unendlich wichtig war, ihn zu töten.

Das Licht in der Höhle seiner Hand erlosch.Er warf das Streichholz weg. Die Dämmerung hing in den Bäumen. Ein Silbergespinst,gehalten vom Pizzikato der erwachenden Spatzen. Er sah sich verwundert um. Etwas in ihm war geschehen. Ein unsichtbares Gericht war abgehalten worden und ein Urteil gesprochen. Er sah überaus klar die Bäume, die gelbe Mauer eines Hauses, die graue Farbe eines Eisengitters neben sich, die Straße im blauen Dunst

– er hatte das Gefühl, daß er sie nie vergessen werde. Und er wußte erst in diesem Augenblick wirklich,daß er Haake töten werde und daß es nicht mehr seine eigene kleine Angelegenheit war, sondern weit mehr. Ein Anfang.

Er kam am Eingang der »Osiris« vorbei. Ein paar Betrunkene taumelten heraus. Ihre Augen waren glasig; die Gesichter rot. Es war kein Taxi da. Sie schimpften eine Weile und gingen dann weiter, schwer, kräftig und laut. Sie sprachen deutsch.

Ravic hatte zum Hotel gehen wollen. Er änderte jetzt seine Absicht. Ihm fiel ein, daß Rolande ihm gesagt hatte, daß seit einigen Monaten oft deutsche Touristen in der »Osiris« wären. Er trat ein.

Rolande stand an der Bar, kühl beobachtend, in ihrem schwarzen Gouvernantenkleid. Das Orchestrion tobte

hallend gegen die ägyptischen Wände. »Rolande«, sagte Ravic.

Sie drehte sich um. »Ravic! Du warst lange nicht hier. Gut, daß du kommst.«

»Warum?«

Er stand neben ihr an der Bar und überblickte das Lokal. Es waren nicht mehr viel Klienten da.Sie hockten hier und da schläfrig an den Tischen.

»Ich mache Schluß hier«, sagte Rolande. »In einer Woche reise ich.«

»Für immer?«

Sie nickte und holte ein Telegramm aus ihrem Brustausschnitt. »Hier.«

Ravic ö nete es und gab es zurück. »Deine Tante? Ist sie endlich gestorben?«

»Ja, ich gehe zurück. Ich habe es Madame erklärt. Sie ist wütend, aber sie versteht es. Jeanette muß mich ersetzen. Sie muß noch eingearbeitet werden.« Rolande lachte.»Die arme Madame. Sie wollte dieses Jahr in Cannes glänzen. Ihre Villa ist schon voll von Gästen. Sie ist vor einem Jahr Gräfin geworden.Hat einen Pimp aus Toulouse geheiratet. Zahlt ihm fünftausend Frank im Monat, solange er Toulouse nicht verläßt. Jetzt muß sie hierbleiben.«

»Machst du dein Café auf?«

»Ja. Ich laufe schon den ganzen Tag herum, alles zu bestellen. In Paris kann man es billiger haben. Chintz für die Vorhänge. Was sagst du zu diesem Muster?«

Sie holte aus ihrem Brustausschnitt einen zerdrückten Fetzen

Sto hervor. Blumen auf gelbem Grund. »Wunderbar«, sagte Ravic.

»Ich bekomme es mit dreißig Prozent. Zurückgesetzt vom vorigen Jahr.« Rolandes Augen leuchteten warm und zärtlich. »Ich spare dreihundertsiebzig Frank dabei. Gut, wie?«

»Fabelhaft. Wirst du heiraten?« »Ja.«

»Warum willst du heiraten? Warum wartest du nicht noch und erledigst vorher alles, was du willst?«

Rolande lachte.»Du verstehst das Geschäft nicht,Ravic. Ohne einen Mann geht das nicht. Der Mann gehört da hinein. Ich weiß schon, was ich tue.«

Sie stand da, fest, sicher, ruhig. Sie hatte alles überlegt. Der Mann gehörte ins Geschäft. »Überschreibe ihm nicht gleich dein Geld«, sagte Ravic. »Warte erst, wie alles geht.«

Sie lachte wieder. »Ich weiß schon, wie es gehen wird. Wir sind vernünftig. Wir brauchen uns im Geschäft. Ein Mann ist kein Mann,wenn seine Frau das Geld hat.Ich will keinen Pimp. Ich muß Respekt haben vor einem Mann. Das kann ich nicht, wenn er kommen muß, mich jeden Augenblick um Geld fragen. Siehst du das nicht ein?«

»Ja«, sagte Ravic, ohne es einzusehen.

»Gut.« Sie nickte zufrieden. »Willst du etwas trinken?«

»Nichts. Ich muß gehen. Ich kam nur so vorbei. Muß morgen früh arbeiten.«

Sie sah ihn an. »Du bist vollkommen nüchtern. Willst du ein Mädchen?«

»Nein.«

Rolande dirigierte zwei Mädchen mit einer leichten Handbewegung zu einem Mann hinüber, der auf einer Banquette saß und schlief.Die übrigen tobten herum.Nur noch wenige saßen auf den Hockern, die in zwei Reihen den Mittelgang entlangstanden. Die andern schlitterten auf den glatten Fliesen des Ganges wie Kinder im Winter auf Eis. Immer zwei zogen eine dritte, hockende, im Galopp den langen Gang hinab.Die o enen Haare flogen,die Brüste wippten, die Schultern schimmerten, das bißchen Seide verhüllte nichts mehr, die Mädchen schrien vor Vergnügen,und die »Osiris« war plötzlich eine arkadische Szene klassischer Unschuld.

»Sommer«, sagte Rolande. »Man muß ihnen ein bißchen Freiheit morgens gönnen.« Sie sah ihn an. »Am Donnerstag ist mein Abschiedsabend. Madame gibt ein Essen für mich. Kommst du?«

»Donnerstag?«

»Ja.«

Donnerstag,dachte Ravic.In sieben Tagen.Sieben Tage. Das sind sieben Jahre. Donnerstag – dann ist es längst geschehen. Donnerstag – wer konnte so weit denken? »Natürlich«, sagte er. »Wo?«

»Hier. Um sechs Uhr.«

»Gut. Ich werde da sein. Gute Nacht, Rolande.« »Gute Nacht, Ravic.«

Es kam, als er den Retraktor einsetzte. Es kam rasch, bestürzend, heiß. Er zögerte einen Moment. Die o ene, rote Höhle,der dünne Dampf der heißen,feuchten Tücher,mit denen die Därme hochgeschoben waren, das Blut, das neben den Klammern aus feinen Adern sickerte – er sah plötzlich Eugenie, die ihn fragend anblickte, er sah das Gesicht Vebers,groß,mit allen Poren und jedem Haar des Schnurrbarts unter dem metallischen Licht – und fing sich und arbeitete ruhig weiter.

Er nähte. Seine Hände nähten. Die Wunde schloß sich. Er fühlte,wie das Wasser unter seinen Armen rann.Es lief an seinem Körper herunter. »Wollen Sie fertignähen?« fragte er Veber.

»Ja. Ist was los?«

»Nein. Die Hitze. Nicht genug geschlafen.«

Veber sah Eugeniens Blick.»Kommt vor,Eugenie«,sagte er. »Selbst bei Gerechten.«

Der Raum schwankte einen Augenblick. Eine wilde Müdigkeit. Veber nähte weiter. Ravic half ihm automatisch. Seine Zunge war dick. Der Gaumen wie Watte. Er atmete sehr langsam. Mohn, dachte etwas in ihm. Mohn in Flandern. O ener, roter Bauch. Rot, o ene Mohnblüte, schamloses Geheimnis,Leben,so dicht unter Händen mit

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