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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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Langsam lehnte er sich zurück. Keiner der Männer war Haake.Er blieb lange so sitzen.Er war plötzlich entsetzlich müde. Müde hinter den Augen. Es trieb in stoßweisen, ungleichen Wellen heran. Die Musik, das Auf und Ab der Stimmen, der gedämpfte Lärm benebelten ihn nach der Stille des Hotelzimmers und der neuen Enttäuschung. Es war wie ein Schlafkaleidoskop, eine sachte Hypnose, die die roh gedachten, verwarteten Gehirnzellen einhüllte.

Irgendwann, in dem matten Lichtpunkt, in dem die Tanzenden trieben, sah er Joan. Das geö nete, durstige Gesicht war zurückgebeugt, der Kopf nahe der Schulter eines Mannes. Er empfand nichts dabei. Niemand konnte ihm fremder werden als ein Mensch, den man einmal geliebt hatte, dachte er müde. Wenn die rätselhafte Nabelschnur zwischen Phantasie und Objekt gerissen war, konnte es vielleicht noch wetterleuchten von einem zum andern, fluoreszieren, wie von geisterhaften Sternen; aber es war ein totes Licht. Es erregte, aber es zündete nicht mehr – nichts floß mehr herüber und hinüber. Er legte den Kopf zurück gegen die Rücklehne der Banquette.Das bißchenVertrautheit über Abgründen.Die Dunkelheit der Geschlechter mit all ihren süßen Namen. Sternblumen über einem Meer, in dem man versank, wenn man sie pflücken wollte.

Er richtete sich auf. Er mußte hier heraus, bevor er einschlief. Er winkte dem Kellner. »Zahlen.«

»Da ist nichts zu zahlen«, sagte der Kellner.

»Wieso?«

»Sie haben nichts getrunken.« »Ach so, richtig.«

Er gab dem Mann ein Trinkgeld und ging. »Nein?« fragte Morosow draußen. »Nein«, erwiderte Ravic.

Morosow sah ihn an. »Ich gebe auf«, sagte Ravic. »Es ist ein verdammtes, lächerliches Indianerspiel. Fünf Tage warte ich jetzt schon. Haake hat mir gesagt, daß er immer nur zwei, drei Tage in Paris bleibt. Danach muß er jetzt schon wieder weg sein. Wenn er überhaupt hier war.«

»Geh schlafen«, sagte Morosow.

»Ich kann nicht schlafen. Ich fahre jetzt zurück zum ›Prince de Galles‹, hole meine Ko er und gebe die Bude auf.«

»Gut«, sagte Morosow. »Ich tre e dich dann morgen mittag da.«

»Wo?« »Im ›Prince de Galles‹.«

Ravic sah ihn an. »Ja, natürlich. Ich rede Unsinn. Oder nicht. Vielleicht auch nicht.«

»Warte noch bis morgen abend.«

»Gut. Ich will sehen. Gute Nacht, Boris.« »Gute Nacht, Ravic.«

Ravic fuhr an der »Osiris« vorbei. Er parkte den Wagen um die Ecke. Ihm graute davor, in sein Zimmer im »International« zu gehen. Vielleicht konnte er hier ein paar

Stunden schlafen. Es war Montag. Ein ruhiger Tag für Bordelle. Der Portier war nicht draußen.Wahrscheinlich kaum jemand da.

Rolande stand in der Nähe der Tür und überblickte den großen Raum.Die Musikorgel lärmte durch den fast leeren Raum. »Nicht viel los heute, wie?« fragte Ravic.

»Nichts. Nur noch dieser Langweiler da. Geil wie ein A e, will aber nicht ’raufgehen. Kennst ja den Typ. Möchte, aber hat Angst. Wieder mal ein Deutscher. Na, er hat gezahlt; lange kann es nicht mehr dauern.«

Ravic sah gleichgültig zu dem Tisch hinüber.Der Mann saß mit dem Rücken zu ihm. Er hatte zwei Mädchen bei sich. Als er sich zu einer hinüberbeugte und ihre beiden Brüste in seine Hände nahm, sah Ravic sein Gesicht. Es war Haake.

Er hörte Rolande durch einen Wirbel sprechen. Er verstand nicht, was sie sagte. Er merkte nur, daß er zurückgetreten war und jetzt in der Tür stand, so, daß er gerade noch den Rand des Tisches sehen und selbst nicht gesehen werden konnte.

»Einen Kognak?« kam Rolandes Stimme endlich durch den Wirbel.

Das Kreischen der Orgel. Das Schwanken immer noch, der Krampf im Zwerchfell. Ravic grub die Nägel in seine Fäuste.

Haake durfte ihn hier nicht sehen. Und Rolande durfte nicht sehen, daß er ihn kannte.

»Nein«, hörte er sich sagen. »Habe schon genug gehabt. Deutscher, sagst du? Kennst du ihn?«

»Keine Ahnung.« Rolande zuckte die Schultern. »Einer sieht aus wie der andere.Glaube,dieser war noch

nie hier. Willst du nicht noch etwas trinken?« »Nein. Habe nur mal rasch hineingesehen …«

Er fühlte, daß Rolande ihn ansah, und zwang sich zur Ruhe. »Ich wollte eigentlich nur hören, wann dein Abend ist«, sagte er. »War es Donnerstag oder Freitag?«

»Donnerstag, Ravic. Du kommst doch?« »Selbstverständlich. Ich wollte nur ganz sicher sein.« »Donnerstag um sechs Uhr.«

»Gut. Ich werde pünktlich sein. Das war alles, was ich wollte. Ich muß jetzt fort. Gute Nacht, Rolande.«

»Gute Nacht, Ravic.«

Die weiße Nacht, brausend plötzlich. Keine Häuser mehr – Steindickicht, Fensterdschungel. Krieg plötzlich wieder, schleichende Patrouille, die leere Straße entlang. Der Unterstand des Wagens, hineingeduckt, der Motor summend, lauern auf den Gegner.

Niederschießen, wenn er herauskam? Ravic sah die Straße hinauf. Ein paar Wagen. Gelbe Lichter. Ein paar Katzen. Unter einer Laterne, fern, etwas, das wie ein Polizist aussah. Die eigene Wagennummer, der Lärm des Schusses, Rolande, die ihn kurz vorher gesehen hatte – er hörte Morosow: »Riskier nichts, nichts, das ist so was nicht wert.«

Kein Portier. Kein Taxi! Gut! Montags gab es um diese Zeit wenig Fuhren.Im Augenblick,als er es dachte,ratterte ein Citroën heran und hielt vor der Tür. Der Chau eur zündete sich eine Zigarette an und gähnte laut. Ravic fühlte, wie seine Haut sich zusammenzog.

Er wartete.

Er überlegte,ob er aussteigen und dem Chau eur sagen sollte,niemand sei mehr da.Unmöglich.Ihn wegschicken, bezahlen, mit irgendeinem Auftrag Zu Morosow. Er riß einen Zettel heraus, schrieb ein paar Zeilen, zerriß sie, schrieb sie neu. Morosow möchte nicht auf ihn warten in der Scheherazade, unterschrieb irgendeinen Namen …

Das Taxi startete und fuhr an. Er starrte hinaus, konnte aber nichts sehen. Er wußte nicht, ob Haake eingestiegen war,während er schrieb.Er schaltete rasch den ersten Gang ein. Der Talbot schoß um die Ecke, dem Taxi nach.

Er sah niemand durch die rückwärtige Scheibe. Aber Haake konnte an der Seite sitzen. Er überholte langsam das Taxi. In der Dunkelheit des Fonds war nichts zu erkennen. Er fiel zurück und kam wieder vor, so dicht wie möglich neben dem andern Wagen.Der Chau eur drehte sich um und begann zu schimpfen. »He, Idiot! Willst du mich einklemmen?«

»Da ist ein Freund von mir in deinem Wagen.« »Besoffener Hohlkopf«, brüllte der Chau eur. »Siehst du nicht, daß der Wagen leer ist?«

Ravic hatte im gleichen Moment selbst gesehen, daß

die Taxiuhr nicht eingeschaltet war. Er drehte scharf um und jagte zurück. Haake stand am Rande der Straße. Er winkte. »Hallo, Taxi!« Ravic fuhr heran und bremste. »Taxi?« sagte Haake. »Nein«, Ravic beugte sich aus dem Fenster. »Hallo«, sagte er. Haake sah ihn an. Seine Augen verengten sich.»Was?« »Ich glaube,wir kennen uns«,sagte Ravic auf deutsch. Haake beugte sich vor. Das Mißtrauen verschwand aus seinem Gesicht. »Mein Gott – Herr von … von …«

»Horn.«

»Richtig! Richtig! Herr von Horn! Natürlich! So ein Zufall! Mann, wo haben Sie denn all die Zeit gesteckt?« »Hier in Paris. Kommen Sie, steigen Sie ein. Ich wußte

nicht, daß Sie schon zurück waren.«

»Ich habe Sie ein paarmal angerufen. Haben Sie Ihr Hotel gewechselt?«

»Nein.Immer noch im ›Prince de Galles‹.« Ravic ö nete den Schlag des Wagens. »Kommen Sie. Ich nehme Sie mit. Ein Taxi kriegen Sie nicht leicht um diese Zeit.«

Haake setzte einen Fuß auf das Trittbrett. Ravic spürte seinen Atem. Er sah das erhitzte, rote Gesicht. »Prince de Galles«, sagte Haake. »Verdammt, ja, das war es! Prince de Galles! Ich habe dauernd im George V angerufen.« Er lachte laut. »Kannte Sie keiner da. Nun verstehe ich! Prince de Galles, natürlich! Habe das verwechselt. Mein altes Notizbuch nicht mitgenommen. Dachte, ich hätte es im Kopf.

Ravic hatte den Eingang im Auge. Es würde noch eine Zeitlang dauern, ehe jemand herauskam. Die Mädchen mußten sich erst umziehen. Trotzdem mußte er Haake so rasch wie möglich in den Wagen kriegen. »Wollten Sie hier hinein?« fragte Haake gemütlich.

»Ich dachte daran. Wird aber schon zu spät sein.« Haake blies den Atem geräuschvoll durch die Nase. »Sie sagen es, mein Lieber. Ich war der letzte. Schluß hier in der Bude.«

»Macht nichts. Ist sowieso langweilig. Gehen wir anderswohin! Kommen Sie.«

»Gibt’s noch was?«

»Natürlich. Die richtigen Buden fangen erst an. Dies hier ist nur für Touristen.«

»Wirklich? Ich dachte … dies hier ist doch schon allerhand.«

»Gar nichts. Es gibt viel Besseres. Dies hier ist nur ein Pu .«

Ravic tippte ein paarmal auf das Gaspedal. Der Motor brauste auf und verebbte.Er hatte richtig gerechnet; Haake kletterte umständlich auf den Sitz neben ihm. »Nett, Sie wiederzusehen«, sagte er. »Wirklich nett.«

Ravic gri über ihn weg und zog die Tür zu. »Ich freue mich auch sehr.«

»Interessante Bude da! Haufen nackter Mädchen. Daß die Polizei das erlaubt! Sind doch wahrscheinlich meistens krank, wie?«

»Möglich. Man geht in diesen Plätzen natürlich nie sicher.«

Ravic fuhr an. »Gibt’s Plätze, die absolut sicher sind?« Haake biß eine Zigarre ab. »Möchte nicht gern mit einem Tripper nach Hause kommen. Anderseits: man lebt

nur einmal.«

»Ja«, sagte Ravic und gab Haake den elektrischen Anzünder hinüber.

»Wohin fahren wir?«

»Wie wäre es mit einem Maison de Rendez-vous für den Anfang?«

»Ein Haus, in dem Frauen der Gesellschaft Abenteuer suchen.«

»Was? Wirkliche Frauen der Gesellschaft?«

»Ja. Frauen, die zu alte Männer haben. Frauen, die zu langweilige Männer haben. Frauen, deren Männer nicht genug Geld verdienen.«

»Aber wie … die können doch nicht einfach …, wie geht das denn vor sich?«

»Die Frauen kommen dahin auf eine Stunde oder ein paar Stunden. So wie zu einem Cocktail oder zu einem Nightcup. Manche lassen sich auch anrufen und kommen dann. Es ist natürlich keine Bude wie die hier in Montmartre. Ich kenne da ein sehr schönes Haus, mitten im Bois. Die Besitzerin sieht aus, wie eine Herzogin aussehen sollte. Alles äußerst vornehm und diskret und elegant.«

Ravic sprach langsam und ruhig,mit langsamem Atem. Er hörte sich reden wie einen Touristenführer, aber er zwang sich, weiterzusprechen, um ruhiger zu werden. In seinen Armen zitterten die Adern. Er gri das Steuerrad fest mit beiden Händen,um es zu unterdrücken.»Sie werden erstaunt sein, wenn Sie die Räume sehen«, sagte er. »Die Möbel sind alle echt, die Teppiche und die Gobelins alt, der Wein ist ausgesucht, das Service ist exquisit, und mit den Frauen sind Sie natürlich absolut sicher.«

Haake blies den Rauch seiner Zigarre aus. Er wandte sich Ravic zu.»Hören Sie,das klingt alles wunderbar,mein lieber Herr von Horn. Nur eins ist da die Frage: Das ist sicher nicht billig?«

»Es ist absolut nicht teuer.«

Haake lachte kollernd und etwas verlegen. »Kommt darauf an,was man darunter versteht! Wir Deutschen mit unsern paar Devisen …«

Ravic schüttelte den Kopf. »Ich kenne die Besitzerin sehr gut. Sie ist mir verpflichtet. Sie betrachtet uns als Spezialgäste.Wenn Sie kommen, kommen Sie als Freund von mir und dürfen wahrscheinlich nicht einmal zahlen. Ein paar Trinkgelder höchstens – weniger, als Sie für eine Flasche in der ›Osiris‹ zahlen.«

»Wirklich?« – »Sie werden es sehen.«

Haake rückte sich zurecht. »Donnerwetter, das ist ja allerhand.«

Er schmunzelte breit zu Ravic hinüber. »Sie scheinen

glänzend Bescheid zu wissen! Muß schon ein guter Dienst gewesen sein, den Sie der Frau geleistet haben.«

Ravic sah ihn an. Er sah ihm gerade in die Augen. »Häuser dieser Art haben manchmal Schwierigkeiten mit Behörden. Leichte Erpressungsversuche. Sie wissen doch, was ich meine?«

»Und ob!« Haake war einen Augenblick nachdenklich. »Haben Sie so viel Einfluß hier?«

»Nicht viel. Ein paar Freunde in einflußreichen Stellen.«

»Das ist schon etwas! Wir können das gut brauchen. Können wir nicht einmal darüber reden?«

»Gewiß. Wie lange bleiben Sie noch in Paris?«

Haake lachte. »Ich scheine Sie immer zu tre en, wenn ich gerade abreise.Ich fahre um sieben Uhr dreißig früh.« Er sah auf die Uhr im Wagen. »In zweieinhalb Stunden. Wollte es Ihnen schon sagen. Ich muß dann am Gare du Nord sein. Können wir das scha en?«

»Leicht. Müssen Sie vorher noch ins Hotel?«

»Nein. Mein Handgepäck ist schon am Bahnhof. Habe das Hotel nachmittags aufgegeben. Spare so einen Tag Miete. Mit unseren Devisen …« Er lachte wieder.

Ravic merkte plötzlich, daß er auch lachte. Er preßte die Hände fest um das Steuerrad. Unmöglich, dachte er, das ist unmöglich!

Irgend etwas wird geschehen und noch dazwischenkommen. So viel Zufall ist unmöglich.

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