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Немецкий для политологов и право

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Frauenund der alternativen Bewegung. Mitentscheidend für die Breitenwirkung in der Bevölkerung wurden die vielen lokal bezogenen Aktivitäten der örtlichen Friedensgruppen sowie die Tatsache, dass die Anhänger der Friedensbewegung aus nahezu allen sozialen Schichten stammten.

An den großen Demonstrationen in Bonn nahmen 250000 Menschen (am 10. Oktober 1981) bzw. 300000 bis 350000 Menschen (10. Juni 1982) teil. Kurz vor der Schlussentscheidung über die Raketenstationierung veranstalteten die Gruppen der Friedensbewegung im Oktober 1983 im ganzen Bundesgebiet eine Aktionswoche, an der sich nach Schätzungen der Veranstalter rund 3 Millionen Menschen beteiligten und deren Abschluss mehrere überregionale Demonstrationen und eine geschlossene Menschenkette von Stuttgart nach Neu-Ulm bildeten.

Der starke Widerhall, den die Friedensbewegung in der Bevölkerung fand, entstand auch dadurch, dass die lange verdrängte Angst vor der atomaren Katastrophe wieder bewusst wurde. Die Aussagen zahlreicher Wissenschaftler über die Folgen eines atomaren Konflikts, von Ärzten über ihre eigene Hilflosigkeit in einer nuklearen Katastrophe fanden öffentliche Resonanz. Die Annahme, dass die technischen Vorkehrungen gegen einen zufällig ausgelösten Atomkrieg vollkommen zuverlässig seien, stieß zunehmend auf Zweifel. Hinzu kam, dass aus Kreisen der amerikanischen Regierung Überlegungen bekannt wurden, die auf die Fühlbarkeit und Gewinnbarkeit eines Atomkrieges sowie auf die Begrenzung einer solchen Auseinandersetzung auf Europa hinausliefen. Die Vorstellung, dass in einem atomaren Konflikt, über den in Washington und Moskau entschieden würde, die beiden deutschen Staaten zuerst und am stärksten betroffen sein würden, verlieh dem Protest gegen die Rüstung zusätzliche Schubkraft.

Auch wenn die Friedensbewegung zunächst scheiterte und ihr vordringliches Ziel mit dem ergebnislosen Abbruch der Genfer Verhandlungen und mit der Stationierung der amerikanischen Mittelstreckenraketen seit November 1983 nicht erreichte, waren ihre politischen Wirkungen doch beträchtlich. Aus bescheidenen Anfängen war eine Massenbewegung entstanden, die in der Opposition zu sämtlichen vor 1983 im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien stand und die schließlich die öffentliche Diskussion über die Sicherheitspolitik bis zum Ende des Ost-West-Konfliktes maßgeblich prägte.

In der DDR kam es als einzigem kommunistischem Staat zu nennenswerten Ansätzen einer eigenständigen Friedensbewegung, die

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neben den offiziellen, ausschließlich gegen die westliche Rüstung gerichteten Friedensaktivitäten stand. Hier arbeiteten meist christlich geprägte Friedensgruppen («Schwerter zu Pflugscharen») für Abrüstung in Ost und West; sie unterlagen staatlicher Repression. Aus ihnen bildete sich zusammen mit Umweltgruppen und anderen die 1989/90 erfolgreiche Opposition gegen die Herrschaft der SED [33, с. 419–420].

Text 12.

Friedensnobelpreisträger: Carl von Ossietzky

Carl von Ossietzky war eine der streitbarsten Figuren der politischen Öffentlichkeit in der Weimarer Republik. Als linker Journalist kämpfte er für konsequente Demokratisierung der Gesellschaft, die über die politische auch die wirtschaftliche Produktionssphäre einschließen sollte. Ab 1927 war er gemeinsam mit Kurt Tucholsky Herausgeber der Zeitschrift "Die Weltbühne", in der er gegen die Entwicklung der Republik hin zu einem autoritären Staat anschrieb. Seine pazifistische und radikaldemokratische Überzeugung bezahlte er schließlich mit dem Leben – nach dem Reichstagsbrand 1933 wurde er verhaftet und in den KZs Sonnenburg und Esterwegen interniert. Er starb 1938, kurz zuvor entlassen, an den Folgen seiner KZ-Haft in Berlin. Noch in Haft wurde ihm 1936 der Friedensnobelpreis verliehen.

Ossietzky wurde 1889 in Hamburg geboren. Der Adelstitel war ein bloßes Relikt der Vergangenheit, seine Familie lebte in kleinbürgerlichen Verhältnissen. Sein Vater arbeitete als Stenograph, und nach dessen frühem Tod heiratete die Mutter einen sozialdemokratischen Künstler, der Ossietzky mit auf politische Veranstaltungen und Parteiversammlungen nahm und so sein Interesse für Politik beförderte.

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg betätigte sich Ossietzky nebenberuflich als Journalist, vorwiegend für weltanschauliche Vereinigungen der "Monisten", aber auch schon in pazifistischer Absicht. Das brachte ihm 1914 eine Verurteilung wegen öffentlicher Beleidigung der deutschen Militärjustiz ein – seine journalistische Tätigkeit musste er infolge dessen aufgeben. Nach dem Krieg begrüßte Ossietzky die Errichtung der Weimarer Republik aufgrund ihres grundsätzlich demokratischen Charakters als Fortschritt.

Dennoch kritisierte er weiterhin die politischen Verhältnisse, vor allem die Justiz, die vorwiegend mit ehemaligen kaiserlichen Staatsbeamten besetzt war und die rechten und nationalistischen Kräfte weitgehend gewähren ließ. Auch war er aktiv in der "Nie-Wieder-Krieg"-Bewegung,

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die zum Jahrestag des Kriegsbeginns Demonstrationen in zahlreichen deutschen Städten veranstaltete. Seine politische Überzeugung war neben seinem radikalen Pazifismus von eher vagen Vorstellungen eines demokratischen Staatssozialismus geprägt.

Als politischer Journalist war er nun in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften tätig, ab 1926 auch in der Wochenzeitschrift "Die Weltbühne". Durch sein journalistisches Engagement geriet er mehrfach in Konflikte mit der Justiz. Nach der "Machtergreifung" Hitlers bot sich die Möglichkeit, ins Ausland zu fliehen, doch Ossietzky blieb – aus umstrittenen Gründen – in Deutschland und wurde am 28. Februar, nach dem Brand des Reichstags in Berlin, festgenommen. Unter katastrophalen und unmenschlichen Bedingungen blieb er bis Ende 1936 in KZ-Haft, zuletzt im Berliner Staatskrankenhaus, wo Lungentuberkulose diagnostiziert wurde. Er starb schließlich am 4. Mai 1938.

Die Forschung konnte bislang nicht zweifelsfrei klären, ob Ossietzky nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten bewusst in Deutschland geblieben ist oder ob sie mit der Verhaftung lediglich einer geplanten oder zumindest beabsichtigten Flucht zuvorkamen. Von Ossietzky selbst sind keine eindeutigen Stellungnahmen zu dieser Frage überliefert. Seine engeren Freunde widersprechen sich zum Teil in ihren Angaben. In Gesprächen mit Journalisten wie Béla Balázs und Frank Leschnitzer soll sich Ossietzky unbeugsam gegeben und mit Blick auf seine Glaubwürdigkeit eine Flucht abgelehnt haben. Sein Mitarbeiter Rudolf Arnheim erklärte dagegen, dass Ossietzky grundsätzlich zu Flucht bereit gewesen sei und nur noch das Ergebnis der Reichstagswahlen vom 5. März habe abwarten wollen. Durch Warnungen befreundeter Beamter, wie Robert Kempner, war Ossietzky außerdem bekannt, dass die Nationalsozialisten Verhaftungslisten vorbereitet hatten, die seinen Namen enthielten [24].

Text 13.

Deutschland – ein Einwanderungsland

Seit Anfang der 1960er-Jahre bis 1999 wuchsen die ethnischen Minderheiten als neues Segment der deutschen Sozialstruktur auf 7,34 Millionen Ausländerinnen und Ausländer im vereinten Deutschland (9 % der Wohnbevölkerung) an. Dieses Wachstum ist aber keine Besonderheit der deutschen Sozialstruktur, denn auch in anderen europäischen Ländern schwoll die Zahl der Zuwanderer in den letzten Jahrzehnten an.

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Die Erkenntnis, dass die demographische Entwicklung der Deutschen unweigerlich in eine schrumpfende und überalterte Gesellschaft führt, und der Blick auf Entwicklungschancen der Volkswirtschaft zwangen die politischen Parteien zu einer Neubewertung der Einwanderungsfrage. Der Streit um die 1999 verabschiedete Reform des Staatsangehörigkeitsrechts (Erleichterung der Einbürgerung, doppelte Staatsangehörigkeit für Kinder) war noch einmal entlang der klassischen parteipolitischen Fronten verlaufen, doch mit der „Greencard – Initiative“ des Bundeskanzlers zur Anwerbung ausländischer Spezialisten war Bewegung in dieses Politikfeld gekommen. 2000/01 erarbeiteten innerhalb kurzer Zeit CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und im Auftrag der Bundesregierung eine Kommission unter Leitung von Rita Süssmuth (CDU) Leitlinien für eine künftige Einwanderungspolitik. Die Parteien stimmten überein, dass im Gegensatz zu früher eine systematische Integrationspolitik notwendig ist.

Das CDU-Konzept betonte, dass die künftige Steuerung der Einwanderung neben supranationalen und humanitären Verpflichtungen auch die nationalen deutschen Interessen berücksichtigen müsse. Es forderte eine Beschleunigung des Asylverfahrens und befürwortete detaillierte Integrationsmaßnahmen (z. B. 600 Stunden Sprachunterricht). Das Konzept der Süssmuth – Kommission enthielt als einziger der Entwürfe konkret anzustrebende Einwandererzahlen für die nächsten Jahre: im ersten Jahr 50 000 Menschen und Kosten in Höhe von 615 Mio. DM für Integrationskurse. Es empfahl die Beibehaltung des Grundrechts auf Asyl. Die Grünen schlugen die Ausweitung des geltenden Asylrechts auf Opfer nicht staatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung vor. Die SPD - Bundestagsfraktion sah Zuwanderungsbedarf erst spätestens ab 2010; sie wollte das Asylgrundrecht ohne wesentliche Änderung beibehalten.

Im März 2002 verabschiedete der Bundestag ein neues Zuwanderungsgesetz, dem der Bundesrat noch zustimmen musste. Der Regierungsentwurf wollte die Zuwanderung zum Zweck der Erwerbstätigkeit erleichtern, aber den Zuzug von Ausländern generell begrenzen. Die Bundesratssitzung am 25. März 2002 verlief turbulent. Die Vertreter der SPD-CDU-Koalition in Brandenburg votierten uneinheitlich: Während Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) dem Entwurf zustimmte, lehnte ihn Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) ab. Das Grundgesetz schreibt aber die einheitliche Stimmabgabe vor. Bundesratspräsident Klaus Wowereit wertete das «Ja» Stolpes indes als Zustimmung des Landes. Damit handelte er sich den geballten Zorn seiner

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konservativen Amtskollegen ein. Auch Bundespräsident Rau war zutiefst empört; er rügte öffentlich das Vorgehen der Parteien, unterzeichnete aber das Gesetz, um den Weg für eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht freizumachen, das das Gesetz am 18. Dezember 2002 stoppte, zwei Wochen vor dem vorgesehenen Inkrafttreten.

Erst Mitte Juni 2004 einigten sich Opposition und Regierungskoalition auf ein neues Gesetz, das zum I. Januar 2005 in Kraft trat. Es kennt nur noch eine befristete Aufenthaltsund eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Höchstqualifizierte Ausländer können sofort ein Daueraufenthaltsrecht erhalten, mittelmäßig Qualifizierte sollen in begrenztem Umfang eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wenn sie einen Arbeitsplatz vorweisen können, für den es keine inländischen oder EUBewerber gibt. Selbstständige können einwandern, wenn sie mindestens I Mio. Euro investieren oder zehn neue Arbeitsplätze schaffen.

Eine öffentliche Debatte entwickelte sich um die bisher nur mangelhaft gelungene Integration der Einwanderer und ihrer Kinder und um mittlerweile entstandene Parallelgesellschaften. Vorkommnisse an Hauptschulen und verschiedentlich geschehene «Ehrenmorde» an jungen Frauen machten die Dringlichkeit des Problems deutlich. Konsens bestand darüber, dass im Zentrum der Integrationsbemühungen die deutschen Sprachkenntnisse und Bejahung der Werte des Grundgesetzes stehen müssen [33, с. 478–479].

Text 14.

Politik auf Kosten von Minderheiten

Vom Gastarbeiter zum Ausländer

Im Laufe der achtziger und neunziger Jahre entwickelte sich in der Bundesrepublik Deutschland eine neue Weise über Einwanderer zu sprechen und mit ihnen umzugehen.

In einander widersprechenden ökonomischen, politischen und sozialen Prozessen war eine Einwandererminderheit entstanden, die allerdings nicht so bezeichnet wurde. Sie bestand aus ehemals zur Förderung der deutschen Wirtschaft angeworbenen ausländischen Arbeitskräften, sowie aus Asylbewerbern und Bürgerkriegsflüchtlingen.

Bis Ende der achtziger Jahre wurde die Existenz der Einwandererminderheit offiziell von allen politischen Seiten geleugnet. Erklärt wurde stattdessen, es handele sich um 'Gast-Arbeiter, die länger geblieben waren, als vorgesehen. Diese 'Ausländer' würden aber bald in ihre 'Heimatländer' zurückkehren.

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Doch ein Großteil der Eingewanderten, die so genannten ‚Ausländerkinder’, waren bereits in der Bundesrepublik Deutschland aufgewachsen. Hier war ihre Heimat. Die Heimat ihrer Eltern oder Großeltern kannten sie nur aus dem Urlaub.

Unterteilung in gute und schlechte Ausländer

Mit der europäischen Einigung erhielten die ehemals als ausländische Arbeitskräfte angeworbenen Bürger der alten und inzwischen neuen EUStaaten (Italien, Griechenland, Spanien, Portugal) mehr Rechte und soziale Sicherheit. Für die Bürger aus Nicht-EU-Staaten wie Türkei, Jugoslawien und Marokko galt dies jedoch nicht. Sie wurden weiterhin öffentlich zur „Rückkehr“ in ihre „Heimat“ aufgefordert.

Der Unterschied im Rechtsstatus führte zur Ungleichheit der Chancen. Der Zugang zu Bildung, Wohnung, Arbeit etc. unterschied sich nun nicht mehr nur zwischen Angehörigen der ‚deutschen’ Mehrheitsgesellschaft und der Einwandererminderheit.

In der Wahrnehmung der Deutschen gab es plötzlich mehrere verschiedene Kategorien von Ausländern. Die unterschiedlichen Bedingungen unter denen sie in der Bundesrepublik lebten, führten zu gravierenden Differenzen in gesellschaftlichem Ansehen und sozialem Status.

Manche Einwanderergruppen schienen weitgehend unproblematisch, einige galten sogar als kulturelle Bereicherung. Andere Ausländerkategorien wurden dagegen weiterhin als anders und fremd betrachtet. Sie galten als Belastung des deutschen Gemeinwesens und als Gefahr für den sozialen Frieden.

Kulturelle Differenz

Die Unterschiede zwischen den so entstandenen Einwanderergruppen wurden öffentlich mit ihrer unterschiedliche großen ‚kulturellen’ Differenz zur deutschen Gesellschaft erklärt. Im Gegensatz zu Menschen aus ‚westlichen’ Staaten könnten sich Menschen aus ‚nicht-westlichen’, ‚rückständigen’ Ländern in der Bundesrepublik nicht an die deutsche Lebensweise anpassen. Das sei zwar bedauerlich, aber nicht zu ändern.

Die Grenze zwischen dem ‚Westen' und dem Rest wurde explizit zwischen ‚den Türken’ und ‚uns’ gezogen. Immer wieder wurden ‚die Türken’ mit beliebigen sozialen Problemen in Verbindung gebracht: Mit Arbeitslosigkeit, Armut, Kriminalität, Gewalt oder Drogenhandel verursachten. Sie wurden für Mängel im Schulsystem oder die Wohnungsnot verantwortlich gemacht [42].

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Text 15.

Herkunft des Rassismus

Rassismus ist keineswegs ein Relikt vormoderner Zeit, das letztlich durch Vernunft, Aufklärung und Erziehung zu beseitigen sei. Die wesentlichen Grundlagen jeder Form rassistischer Ideologie entstanden mitten in der europäischen Aufklärung.

Descartes, Leibniz und Newton hatten Mitte des achtzehnten Jahrhunderts die wesentlichen Ausgangspunkte moderner Wissenschaft formuliert. Nach dem antiken Vorbild Aristoteles beschäftigten sich Naturwissenschaftler mit der Sammlung, Katalogisierung und Klassifikation möglichst zahlreicher Exemplare aus

Der Begriff «Natur» bezeichnete nun nicht mehr eine allumfassenden göttlichen Schöpfung, sondern eine objektiv messbare und zu katalogisierende Größe. «Natur» gilt seither als System konstanter Relationen, das nach bestimmten einheitlichen Prinzipien aufgebaut sei, die es zu erkennen gelte.

Hobbes und Locke veröffentlichten ihre gegensätzlichen Einschätzungen von Gesellschaft und menschlicher Natur und Montesquieu untersuchte die Geschichte des Römischen Reiches auf Naturgesetze des sozialen und historischen Wandels hin.

Während die herausragendsten, fortschrittlichsten, aufgeklärtesten Wissenschaftler die zentralen weltanschaulichen Fragen der Neuzeit erörterten und Vorstellung von messbarer Objektivität, geschichtlicher Entwicklung und Individualität entwickelten, entstanden auch neue Erklärung für die Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung anderer, fremder und angeblich minderwertiger Menschen.

Im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert wurden Systeme zur Katalogisierung, Beurteilung und Klassifizierung von Tieren und Pflanzen entwickelt, die schließlich auch auf den Menschen angewandt wurden. So wurde aus der Menschheit in die Gattung homo sapiens, deren Exemplare vermessen, verglichen, anhand bestimmter Merkmale unterschieden und in verschieden bewertete Kategorien einsortiert wurden.

Vier «Klassen» des Menschen

Carl von Linné, der im achtzehnten Jahrhundert die Grundlagen der modernen Biologie legte, unterschied vier «Klassen» des Menschen.

Zunächst unterteilte er sie nach ihrem geographischen Vorkommen. Anschließend ordnete er ihnen, neben spezifischen körperlichen Merkmalen, je eines der vier Temperamente zu. So wurde jeder der vier

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«Klassen» die «ihrem» Temperament entsprechenden seelischen, geistigen und sozialen Eigenschaften zugeschrieben:

"Die Amerikaner haben eine rote Haut, ein galligstes oder cholerisches Temperament und eine gerade Statur. Die Haare sind schwarz, gerade und dicke. Die Nasenlöcher weit, das Angesicht voller Sommersprossen, ein fast glattes Kinn. Sie sind hartnäckig, fröhlich, lieben die Freiheit, sie gehen meistens nackend, bemalen sich mit roten Strichen und lassen sich durch alte Gewohnheiten beherrschen.

Die Europäer haben eine weiße Haut, ein blutreiches und sanguinisches Temperament, und einen fleischigen Körper. Die Haare sind gelblicht und mit Locken, die Augen blau, die Gemütsart wankelmütig, vernünftig, und zu Erfindungen geschickt. Sie tragen Kleider, welche dicht an den Leib schließen, und lassen sich durch Gesetze regieren.

Die Asier haben eine braune Haut, ein schwarzgalliges oder melancholisches Temperament, und eine zähe Struktur. Ihre Haare sind schwarz, die Augen sind grau, die Gemütsart ist streng, sie lieben Pracht, Hoffart und Geld, ihre Kleider hangen weit um den Leib, und sie lassen sich durch Meinungen regieren.

Die Afrikaner endlich haben eine schwarze Haut, dabei aber ein melancholisches Temperament, die Haare sind schwarz und kraus. Die Haut ist sanft wie Sammet, die Nase platt, die Lippen dicke und aufgeworfen. Ihre Weiber haben lange nieder hängende Brüste. Die Gemütsart ist boshaft, faul, nachlässig. Sie beschmieren sich mit Fett, und werden durch Willkür regieret“ [42].

Text 16.

Islamismus-Diskussion

Die Diskussion unter Muslimen bezüglich der Rolle von Staat und Religion ist so alt wie die Religion des Islam. Der Koran wird von Muslimen als vollendete Offenbarung betrachtet, der alle Regeln für das Zusammenleben der Menschen enthält. Erläutert und erweitert werden diese Regeln in der Sunna bzw. der Hadithe, den Überlieferungen über das Leben und die Auffassungen des Propheten Mohammed. Da der Koran diese Regeln enthält, benötigt die muslimische Umma kein menschgemachtes Recht in all jenen Rechtsfragen, die schon im Koran und in der Hadithe geregelt sind. Für Anhänger von islamistischen, fundamentalistischen und religiös konservativen Denkschulen verbietet sich deswegen jegliches menschgemachtes Recht in diesen Bereichen - der Mensch dürfe nicht versuchen, es Gott gleich oder sogar besser als er zu

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tun, indem er Gottes Gesetze ignoriere und eigene Gesetze schaffe. Solche Gesetze werden als Ursache für viele „Missverhältnisse“ und „Übel“ der gegenwärtigen Gesellschaften gesehen. Eine Rückkehr zu den göttlichen Gesetzen verspricht für Islamisten eine Verbesserung der Verhältnisse.

Kontrovers sind vor allem die Themenbereiche Muslime im nichtmuslimischen Ausland, Frauen sowie die tatsächliche Form eines islamischen Staates, in dem ja auch nicht-muslimische Minderheiten (Dhimmis) leben. Islamische bzw. islamistische Parteien und Interessensgruppen vertreten daher sehr unterschiedliche Standpunkte, angefangen von moderaten Gesetzesänderungen in nur wenigen, essentiellen Bereichen wie dem Familienrecht, bis hin zum totalitären theokratischen Staat. Auch finden sich starke Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten: Sunniten betrachten die Herrschaft von Menschen als legitim vor Gott, der orthodoxe Schiitismus kann sich dagegen keine menschliche Herrschaft auf der Erde vor Wiedererscheinen des Mahdi vorstellen. Gebrochen mit dieser Tradition hat Ayatollah Khomeini nach der Revolution von 1979, als er argumentierte, dass eine weltliche Herrschaft des obersten religiösen Juristen von Gott als legitim betrachtet wird, solange der Mahdi noch nicht wieder erschienen ist.

Problematisch ist auch die Einschätzung radikaler Islamisten bzw. deren Bedrohungspotential. Während einige der islamistischen Gruppierungen und ihre Anhänger nicht militärisch sind, gibt es andere, die radikal in ihren Auslegungen und Handlungen sind und die Gewalt zur Durchsetzung befürworten. Besonders die Frage, wie Muslime in nichtmuslimischen Ländern, wie zum Beispiel in Europa, leben sollen, ist von Seiten der Imame und Rechtsgelehrten des Islam nicht eindeutig festgelegt. Radikale Vereine nutzen diese Unklarheit. In den Ländern, in denen muslimische Minderheiten leben, existiert deswegen eine lebhafte Debatte darüber, wie man das Bedrohungspotential der Islamisten untersuchen kann. Probleme entstehen hierbei durch Sprachbarrieren und der selbst gewählten Abschottung der islamistischen Gruppierungen. Gewissheit über die tatsächlichen Absichten von radikalen Gruppen zu erhalten erweist sich oft als schwierig [41].

Text 17.

Herausforderung Terrorismus

Als am 11. September 2001 Terroristen des Netzwerks alQaida gleichzeitig vier amerikanische Passagiermaschinen entführt und zwei der Maschinen in die Türme des New Yorker World Trade Centers sowie eine

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weitere in das Pentagon gelenkt hatten, gerieten die vom Terrorismus ausgehenden Gefahren schlagartig wieder in den Blick der deutschen Öffentlichkeit. Die brennenden Türme und die Tausende von Opfern lösten auch in der Bundesrepublik einhelliges Entsetzen aus; Bundeskanzler Schröder sicherte den USA sofort »uneingeschränkte Solidarität« zu. Klar war von vornherein, dass die USA die Drahtzieher der Terroranschläge mit allen Mitteln zu bestrafen suchten und dafür auch die Hilfe ihrer Verbündeten beanspruchen würden. Für »Abenteuer« stehe Deutschland jedoch nicht zur Verfügung, erklärte Schröder. Die NATO stellte erstmals in ihrer Geschichte den Bündnisfall fest, und der Bundestag beschloss am 16. November 2001 die Bereitstellung von 3900 Bundeswehrsoldaten zur logistischen Unterstützung der amerikanischen Truppen im Kampf gegen den Terrorismus.

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) legte noch im September ein erstes Antiterrorpaket vor: Aus dem Vereinsrecht wurde das Religionsprivileg gestrichen, das eine Verfolgung fundamentalistischislamischer Umtriebe bis dahin verhindert hatte. Der neue Paragraf 129b des Strafgesetzbuchs erlaubt eine Verfolgung ausländischer Terroristen auch dann, wenn im Bundesgebiet keine Teilorganisation ihrer Vereinigung besteht. Als rasch klar wurde, dass zwei der Attentäter von New York eine Zeit lang unauffällig in Hamburg (als »Schläfer) gelebt

hatten,

suchten

Polizei,

Bundeskriminalamt

(BKA)

und

Bundesverfassungsschutz

mit

allen

Mitteln

(Rasterfahndung,

Telefonüberwachung, Verhören verdächtiger Zeugen ohne Vorwarnung, Überwachung finanzieller Transaktionen) nach weiteren AL-Qaida-Zellen im Lande. Die Banken mussten die Kapitalbewegungen Verdächtiger an den Verfassungsschutz berichten.

Mithilfe des «Terrorismusbekämpfungsgesetzes», das am 1. Januar 2002 in Kraft trat, sollen die bereits im Land lebenden Extremisten aufgespürt und die Einreise von Terroristen aus dem Ausland in die Bundesrepublik verhindert werden. Das Gesetz sieht u. a. die Aufnahme biometrischer Daten (Fingerabdruck, Handform oder die Gestalt der Augeniris) in offizielle Ausweispapiere vor. Drei weitere Merkmale können in verschlüsselter Form zusätzlich gespeichert werden.

Das BKA und der Bundesnachrichtendienst dürfen künftig stärker im Lande ermitteln und dem Bundesamt für Verfassungsschutz steht das Recht zu, von Banken, Luftfahrtunternehmen und Postdienstleistern Daten

ihrer Kunden

anzufordern. Die Angestellten sicherheitsrelevanter

Einrichtungen

wie

Energieerzeuger,

Rundfunkanstalten

und

60