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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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Die frische Luft brachte den Alkohol in Haake heraus. Seine Stimme wurde langsamer und schwerer. Er rückte sich in seiner Ecke zurecht und begann zu dösen. Sein Unterkiefer klappte herunter, und seine Augen schlossen sich. Der Wagen bog in das lautlose Dunkel des Bois ein.

Die Scheinwerfer flogen wie lautlose Gespenster dem Wagen voraus und rissen Geisterbäume aus der Finsternis. Der Geruch vonAkazien stürzte durch die o enen Fenster. Das Geräusch der Reifen auf dem Asphalt, sanft, ständig, als wolle es nie enden. Der Motor, summend, vertraut, tief und leise in der feuchten Nachtluft. Der Schimmer eines kleinen Teiches, die Silhouette der Weiden, heller vor den dunklen Buchen. Wiesen, übertaut, perlmuttern, fahl.Die Route de Madrid,die Route de la Porte St.-James, die Route de Deuilly. Ein verschlafenes Haus. Der Geruch von Wasser. Die Seine.

Ravic fuhr den Boulevard de la Seine entlang. Auf dem mondbeschienenen Wasser trieben, in Abständen, schwarz, zwei Schi erbarken.Von der entfernteren bellte ein Hund. Über das Wasser kamen Stimmen. Auf dem Vorderteil der ersten Barke brannte ein Licht. Ravic hielt denWagen nicht an.Er hielt ihn in gleichmäßigem Tempo, um Haake nicht zu wecken,und fuhr die Seine entlang.Er hatte hier halten wollen. Es war unmöglich. Die Barken waren zu dicht am Ufer. Er bog in die Route de la Femme ein, weg vom Fluß, zurück zur Allee de Longchamps. Er

folgte ihr über die Allee de la Reine Marguerite und bog dann in die schmaleren Alleen ein.

Als er zu Haake hinüberblickte, sah er, daß dessen Augen o en waren. Haake blickte ihn an. Seine Augen glänzten wie blaue Glasbälle im schwachen Licht des Instrumentenbrettes. Es war wie ein elektrischer Schlag. »Aufgewacht?« fragte Ravic.

Haake antwortete nicht. Er sah Ravic an. Er bewegte sich nicht. Selbst seine Augen bewegten sich nicht.

»Wo sind wir?« fragte er endlich.

»Im Bois de Boulogne. Dicht beim ›Restaurant des Cascades‹.«

»Wie lange fahren wir schon?« »Zehn Minuten.«

»Wir fahren länger.« »Kaum.«

»Bevor ich einschlief,habe ich auf die Uhr gesehen.Wir fahren über eine halbe Stunde.«

»Wirklich?« sagte Ravic. »Ich dachte, es wäre kürzer. Wir sind bald da.«

Haake hatte seine Augen nicht von Ravic gelassen. »Wo?«

»In dem Maison de Rendez-vous.«

Haake bewegte sich. »Fahren Sie zurück«, sagte er. »Jetzt?«

»Ja.«

Er war nicht mehr betrunken. Er war klar und wach.

Sein Gesicht war verändert. Die Jovialität und Bonhomie war verschwunden. Ravic sah jetzt zum erstenmal das Gesicht wieder, das er kannte, das Gesicht, das sich ihm in der Schreckenskammer der Gestapo für immer ins Gehirn gegraben hatte. Und plötzlich verschwand die Irritation, die er die ganze Zeit gespürt hatte – das Gefühl, einen Fremden, der ihn eigentlich nichts anging, ermorden zu wollen. Er hatte einen gemütlichen Rotweintrinker im Wagen gehabt,und er hatte vergeblich nach den Gründen in dem Gesicht des Mannes gesucht – den Gründen, die in seinem Kopf vor allem standen, was er auch zu denken versuchte. Jetzt plötzlich waren wieder dieselben Augen, die vor ihm gewesen waren, wenn er aus Ohnmachten in Agonien von Schmerzen erwacht war. Dieselben kalten Augen, dieselbe kalte, leise, eindringliche Stimme …

Irgend etwas schwang in ihm jäh herum.Es war wie ein Strom,der die Pole wechselte.Die Spannung war dieselbe; aber das Flackernde,Nervöse,Wechselnde richtete sich in einen gleichen Strom, der nur ein Ziel hatte, und nichts war mehr da als das. Jahre zerfielen in Asche, der Raum mit den grauen Wänden war wieder da, die schirmlosen, weißen Lichter, der Geruch nach Blut, Leder, Schweiß, Qual und Angst …

»Warum?« fragte Ravic.

»Ich muß zurück. Man wartet auf mich im Hotel.« »Aber Sie sagten doch, Ihre Sachen seien schon am

Bahnhof.«

»Das sind sie.Aber ich habe noch etwas zu tun.Ich hatte das vergessen. Fahren Sie zurück.«

»Gut.«

Ravic hatte vor einer Woche den Bois ein dutzendmal abgefahren; am Tag und in der Nacht. Er wußte, wo er war. Einige Minuten noch. Er bog in eine schmale Allee nach links.

»Fahren wir zurück?« »Ja.«

Der schwere Geruch der Luft unter Bäumen, durch die keine Sonne am Tage schien.Die dichtere Dunkelheit.Das hellere Licht der Scheinwerfer. Ravic sah im Spiegel, wie Haakes linke Hand vom Wagenschlag zurückkroch, langsam, vorsichtig. Rechtssteuerung, dachte er, gelobt, daß dieser Talbot Rechtssteuerung hat! Er nahm eine Kurve, hielt das Steuer mit der linken Hand, tat, als schwanke er in der Biegung, gab alles Gas in die gerade Allee hinein; der Wagen schoß vorwärts, und ein paar Sekunden später bremste er mit voller Kraft.

Der Talbot bockte. Die Bremsen kreischten. Ravic hielt, einen Fuß gegen das Gaspedal, den anderen gegen die Verschalung gestemmt,seine Balance.Haake,dessen Füße keinen Widerstand hatten und der den Ruck nicht erwartet hatte, fiel mit dem Oberkörper vorwärts. Er bekam die Hand aus der Tasche nicht rechtzeitig frei und prallte mit der Stirn gegen die Kante von Windschutzscheibe und Instrumentenbrett. Im selben Moment schlug ihm Ravic

den schweren Engländer, den er aus der rechten Seitentasche gegri en hatte, in den Nacken, gerade unterhalb des Schädels.

Haake kam nicht mehr hoch. Er rutschte seitlich herunter. Die rechte Schulter hielt den Fall auf. Sie klemmte den Körper gegen das Instrumentenbrett.

Ravic fuhr sofort weiter. Er kreuzte die Allee und schirmte den Scheinwerfer ab.Er fuhr weiter und wartete, ob jemand das Kreischen der Bremsen gehört habe. Er überlegte, ob er Haake irgendwo aus dem Wagen stoßen und im Gebüsch verbergen sollte, wenn jemand kam. Er hielt schließlich neben einer Kreuzung, stellte das Licht und den Motor ab, sprang aus dem Wagen, ö nete die Motorhaube und den Wagenschlag an Haakes Seite und horchte.Wenn jemand kam, konnte er es hier von weitem sehen und hören. Zeit genug, Haake hinter einen Busch zu ziehen und so zu tun, als ob der Motor nicht in Ordnung sei.

Die Stille war wie ein Lärm. Sie war so plötzlich und unfaßbar, daß sie brauste. Ravic preßte die Hände zu Fäusten, bis sie schmerzten. Er wußte, daß es sein Blut war, das in seinen Ohren brauste.

Er atmete tief und langsam.

Das Brausen ging in Rauschen über. Durch das Rauschen klang ein Schrillen, das lauter wurde. Ravic horchte mit aller Kraft.Es wurde lauter,metallen – und auf einmal merkte er, daß es Grillen waren und daß das Rauschen

nicht mehr da war. Nur noch die Grillen an einem erwachenden Morgen auf einem schmalen Wiesenstück schräg vor ihm.

Das Wiesenstück lag im frühen Licht. Ravic schloß die Motorhaube. Es war höchste Zeit. Er mußte fertig werden, bevor es zu hell wurde. Er sah sich um. Der Platz war nicht gut. Kein Platz im Bois war gut. Für die Seine war es zu hell. Er hatte nicht damit gerechnet, daß es so spät werden würde. Er fuhr herum. Er hatte ein Scharren gehört,ein Kratzen und dann ein Stöhnen.Eine der Hände Haakes kroch aus dem o enen Wagenschlag und kratzte auf dem Trittbrett. Ravic bemerkte, daß er noch immer den Engländer in der Hand hatte. Er gri Haake nach dem Rockkragen, zerrte ihn heraus, so daß der Kopf frei war,und schlug ihm zweimal in den Nacken.Das Stöhnen hörte auf.

Etwas klapperte. Ravic stand still. Dann sah er, daß es ein Revolver war, der vom Sitz auf das Trittbrett gefallen war.Haake mußte ihn in der Hand gehabt haben,bevor der Wagen bremste. Ravic warf ihn zurück in den Wagen.

Er horchte wieder. Die Grillen. Das Wiesenstück. Der Himmel, der sich aufhellte und zurückwich. In kurzer Zeit würde die Sonne da sein. Ravic ö nete den Wagenschlag, zerrte Haake heraus, legte den Vordersitz um und versuchte, Haake zwischen die Vorderund Rücksitze auf den Boden des Wagens zu schieben. Es ging nicht. Der Platz war zu schmal. Er lief um den Wagen herum und

ö nete den Ko erverschlag. Rasch räumte er ihn aus. Dann zog er Haake wieder aus dem Wagen und schleppte ihn zum Rückende des Wagens.Haake war noch nicht tot. Er war sehr schwer.Der Schweiß rann Ravic vom Gesicht. Es gelang ihm, den Körper in den Ko erverschlag zu pressen. Er preßte ihn hinein wie ein Embryo, die Knie hochgeschoben.

Er nahm das Werkzeug, eine Schaufel und den Wagenheber vom Straßenrand und legte sie vorne in den Wagen.Ein Vogel begann in einem der Bäume neben ihm zu singen. Er schrak zusammen. Es schien ihm lauter als alles, was er je gehört hatte. Er sah auf die Wiese. Sie war wieder heller geworden.

Er konnte kein Risiko nehmen. Er ging zurück und hob den Deckel des Ko erverschlags halb an. Er stellte den linken Fuß auf die hintere Stoßstange und hielt mit den Knien den Deckel halb o en und nur so weit, daß er mit den Händen darunterfassen konnte. Wenn jemand kam, sah es dann aus, als arbeite er harmlos an etwas, und er konnte den Deckel sofort fallen lassen. Er hatte einen langen Weg vor sich. Er mußte Haake vorher töten.

Der Kopf war nahe der rechten Ecke. Er konnte ihn sehen. Der Hals war weich; der Puls der Adern ging noch. Er preßte die Hände scharf um die Gurgel und hielt fest.

Es schien ewig zu dauern. Der Kopf ruckte etwas. Nur wenig. Der Körper versuchte, sich zu strecken. Es schien, als sei er gefangen in den Kleidern.Der Mund ö nete sich.

Schrill begann derVogel wieder zu schmettern.Die Zunge kam heraus,dick,gelb,belegt.Und plötzlich ö nete Haake ein Auge.Es quoll heraus,schien Licht zu bekommen und Sehen,es schien sich zu lösen und auf Ravic zuzukommen

– dann gab der Körper nach. Ravic hielt ihn noch eine Zeitlang. Aus.

Der Deckel klappte herunter. Ravic ging noch ein paar Schritte.

Dann spürte er seine Knie zittern. Er hielt sich an einem Baum fest und kotzte.Es war ihm,als riß es ihm den Magen heraus. Er versuchte, sich zu halten. Es nützte nichts.

Als er aufblickte, sah er einen Mann über die Wiese kommen. Der Mann sah zu ihm hinüber. Ravic blieb stehen. Der Mann kam näher. Er ging mit langsamen, achtlosen Schritten. Er war angezogen wie ein Gärtner oder ein Arbeiter. Er sah zu Ravic hinüber. Ravic spuckte aus und zog ein Pack Zigaretten heraus. Er zündete eine an und zog den Rauch ein. Der Rauch war beißend und brannte im Hals. Der Mann kreuzte die Allee. Er blickte auf die Stelle, wo Ravic gekotzt hatte, und dann auf den Wagen und dann auf Ravic. Er sagte nichts, und Ravic konnte nichts in seinem Gesicht sehen. Er verschwand hinter der Kreuzung mit langsamen Schritten.

Ravic wartete noch einige Sekunden. Dann schloß er den Ko erdeckel desWagens ab und ließ den Motor an.Er konnte nichts mehr im Bois tun. Es war zu hell. Er mußte nach St. Germain fahren. Er kannte die Wälder dort.

30 Er hielt nach einer Stunde vor einem kleinen Gasthaus. Er war sehr hungrig, und sein Kopf war dumpf. Er parkte den Wagen vor dem Haus, wo zwei Tische und ein paar Stühle standen. Er bestellte Ka ee und Brioches und ging, sich zu waschen. Der Waschraum stank. Er ließ sich ein Glas geben und spülte sich den Mund aus. Dann wusch er seine Hände und ging zurück.

Das Frühstück stand auf dem Tisch. Der Ka ee roch wie alle Ka ees der Welt.Schwalben umflogen die Dächer, die Sonne hängte ihre ersten goldenen Gobelins an die Häuserwände, Leute gingen zur Arbeit, und hinter den Perlenvorhängen des Bistros scheuerte eine Magd mit aufgeschürzten Röcken die Fliesen.Es war der friedlichste Sommermorgen, den Ravic seit langem gesehen hatte.

Er trank den heißen Ka ee. Aber er konnte sich nicht entschließen, zu essen. Er wollte nichts anfassen mit seinen Händen. Er sah sie an. Unsinn, dachte er.Verdammt, ich will keine Komplexe kriegen. Ich muß essen. Er trank noch eine Tasse Ka ee. Er holte eine Zigarette hervor und achtete darauf, nicht das Ende, das er berührt hatte, in den Mund zu stecken. Das kann so nicht weitergehen, dachte er.Aber er aß trotzdem nicht. Ich muß es erst ganz erledigen, beschloß er und stand auf und zahlte.

Eine Herde Kühe. Schmetterlinge. Die Sonne über den Feldern. Die Sonne in der Windschutzscheibe. Die Sonne auf dem Verdeck. Die Sonne auf dem glänzenden Metall

des Ko erdeckels, unter dem Haake lag – tot, ohne daß er gehört hatte, warum und durch wen. Es hätte anders sein müssen. Anders …

»Erkennst du mich, Haake? Weißt du, wer ich bin?«

Er sah das rote Gesicht vor sich. »Nein, wieso? Wer sind Sie? Haben wir uns früher schon einmal getro en?«

»Ja.«

»Wann? Geduzt? Kadettenanstalt vielleicht? Erinnere mich nicht.«

»Du erinnerst dich nicht, Haake. Es war keine Kadettenanstalt. Es war später.«

»Später? Aber Sie haben doch im Ausland gelebt? Ich war nie außerhalb Deutschlands. Nur in den letzten zwei Jahren hier in Paris. Vielleicht, daß wir im Su …«

»Nein. Nicht im Su . Und nicht hier. In Deutschland, Haake!«

Eine Barriere. Eisenbahnschienen. Ein Garten, klein, gedrängt voll mit Rosen,Flox und Sonnenblumen.Warten. Ein verlorener, schwarzer Zug, pu end durch den endlosen Morgen.Spiegelnd in derWindschutzscheibe leben die Augen,die quallig im Ko erraum sich mit herabfallendem Staub aus den Ritzen füllten.

»In Deutschland? Ah, ich verstehe. Auf einem der Parteitage. Nürnberg. Glaube, mich zu erinnern. War es nicht im Nürnberger Hof?«

»Nein, Haake«, sagte Ravic langsam in die Windschutzscheibe hinein, und er fühlte, wie die schwere Welle der Jahre

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