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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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Um sieben Uhr, nach dem Ka ee, erhoben sich die Mädchen wie folgsame Pensionstöchter. Sie bedankten sich höflich bei Madame und verabschiedeten sich von Rolande. Madame blieb noch eine Weile. Sie ließ einen Armagnac bringen, wie ihn Ravic noch nie getrunken hatte. Die Aushilfsbrigade, die Dienst gehabt hatte, kam herein,gewaschen,weniger geschminkt als bei der Arbeit, umgezogen, in Abendkleidern. Madame wartete, bis die Mädchen saßen und beim Turbot waren. Sie wechselte mit jedem ein paar Worte und bedankte sich, daß sie die Stunde vorher geopfert hatten. Dann verabschiedete sie sich graziös. »Ich sehe Sie noch, Rolande, bevor Sie gehen …«

»Gewiß, Madame.«

»Darf ich den Armagnac hier lassen?« fragte sie Ravic.

Ravic bedankte sich. Madame ging, jeder Zoll eine Dame erster Klasse.

Ravic nahm die Flasche und setzte sich zu Rolande hinüber. »Wann fährst du?« fragte er.

»Morgen nachmittag um vier Uhr sieben.« »Ich werde an der Bahn sein.«

»Nein, Ravic. Das geht nicht. Mein Bräutigam kommt heute abend an. Wir fahren zusammen ab. Du verstehst, daß du da nicht kommen kannst? Er würde erstaunt sein.«

»Natürlich.«

»Wir wollen morgen früh noch einige Sachen aussuchen und alles abschicken lassen, bevor wir reisen. Ich ziehe heute abend ins Hotel Belfort. Gut, billig, sauber.«

»Wohnt er auch da?«

»Natürlich nicht«, sagt Rolande überrascht. »Wir sind doch noch nicht verheiratet.«

»Richtig.«

Ravic wußte, daß das alles keine Pose war. Rolande war eine Bürgerin, die einen Beruf gehabt hatte. Ob es ein Mädchenpensionat war oder ein Bordell, war dasselbe. Sie hatte ihren Beruf ausgefüllt, und jetzt war es vorbei, und sie kehrte zu ihrer bürgerlichen Welt zurück, ohne einen Schatten von der andern mitzunehmen. Es war ebenso bei vielen der Huren. Manche von ihnen wurden ausgezeichnete Ehefrauen. Hure zu sein war ein seriöser Beruf; kein Laster. Das sicherte vor Degradation.

Rolande nahm die Flasche Armagnac und goß Ravic ein neues Glas ein. Dann holte sie einen Zettel aus der Handtasche.»Wenn du einmal von Paris weg willst – hier ist die Adresse unseres Hauses. Du kannst immer kommen.« Ravic blickte auf die Adresse. »Es sind zwei Namen«, sagte sie. »Einer für die ersten zwei Wochen. Er ist meiner.

Danach ist es der meines Bräutigams.«

Ravic steckte den Zettel ein. »Danke, Rolande. Vorläufig bleibe ich in Paris. Außerdem würde dein Bräutigam sicher überrascht sein,wenn ich plötzlich hereingeschneit käme.«

»Du meinst, weil ich möchte, daß du nicht zur Bahn kommst? Das ist etwas anderes. Dieses hier gebe ich dir für jeden Fall, daß du einmal von Paris weg mußt. Rasch. Dafür.«

»Er sah auf. »Warum?«

»Ravic«, sagte sie. »Du bist ein Refugié. Und Refugiés haben manchmal Schwierigkeiten. Da ist es gut, zu wissen, wo man wohnen kann, ohne daß die Polizei sich kümmert.«

»Woher weißt du, daß ich ein Réfugié bin?«

»Ich weiß es.Ich habe es niemand gesagt.Es geht keinen hier etwas an. Bewahre die Adresse auf. Und wenn du sie einmal brauchst, komm. Bei uns fragt niemand.«

»Gut. Danke, Rolande.«

»Vor zwei Tagen war jemand von der Polizei hier. Er fragte nach einem Deutschen. Wollte wissen, ob er hier gewesen sei.«

»So?« sagte Ravic aufmerksam.

»Ja. Das letztemal, als du hereinkamst, war er hier. Du erinnerst dich wahrscheinlich nicht mehr. Ein dicker Kahlkopf. Er saß drüben mit Yvonne und Claire. Die Polizei fragte, ob er hier war und wer sonst noch hier gewesen sei.«

»Keine Ahnung«, sagte Ravic.

»Du hast ihn sicher nicht beobachtet.Ich habe natürlich nicht gesagt, daß du an dem Abend für einen Augenblick hier warst.«

Ravic nickte.

»Besser so«, erklärte Rolande. »Man gibt den Flics so keine Gelegenheit, unschuldige Leute nach Pässen zu fragen.«

»Natürlich. Sagte er, was er wollte?«

Rolande zuckte die Schultern. »Nein. Und uns geht das ja auch nichts an. Ich habe ihm gesagt, niemand wäre hier gewesen. Das ist eine alte Regel bei uns. Wir wissen nie etwas. Besser. Er war auch nicht sehr interessiert.«

»Nein?«

Rolande lächelte.»Ravic,es gibt viele Franzosen,die sich nichts daraus machen,was aus einem deutschen Touristen wird. Wir haben genug mit uns selbst zu tun.«

Sie stand auf. »Ich muß fort. Adieu, Ravic.«

»Adieu, Rolande. Es wird nicht mehr dasselbe sein hier, ohne dich.«

Sie lächelte. »Nicht gleich, vielleicht. Aber bald.«

Sie ging, um sich von den Mädchen zu verabschieden. Auf dem Wege betrachtete sie noch einmal die Registrierkasse, die Sessel und die Tische. Es waren praktische Geschenke. Sie sah sie bereits in ihrem Café. Besonders die Registrierkasse.Sie war Einkommen,Sicherheit,Heim und Wohlstand. Rolande zögerte einen Augenblick; dann konnte sie nicht mehr widerstehen. Sie nahm ein paar Geldstücke aus ihrer Handtasche, legte sie neben den glitzernden Apparat und begann zu tippen. Der Apparat schnurrte, zeigte zwei Frank fünfzig an, die Lade schoß

heraus, und Rolande kassierte mit einem kindlich glücklichen Lächeln von sich selbst.

Die Mädchen kamen neugierig heran und umringten die Kasse. Rolande registrierte ein zweites Mal. Einen Frank fünfundsiebzig.

»Was bekommt man bei Ihnen für einen Frank fünfundsiebzig?« fragte Marguerite, die sonst noch das Roß genannt wurde.

Rolande dachte nach. »Einen Dubonnet, zwei Pernods.«

»Wieviel ist ein Amèr Picon und ein Bier?«

»Siebzig Centime.« Rolande klapperte. Null Frank, siebzig Centime.

»Billig«, sagte das Roß.

»Wir müssen billiger sein als Paris«, erklärte Rolande. Die Mädchen rückten die Korbsessel um die Marmortische und setzten sich vorsichtig hinein. Sie strichen ihre Abendkleider glatt und waren plötzlich Besucher im künftigen Café Rolandes.»Wir möchten drei Tees mit englischen Biskuits,Madame Rolande«,sagte Daisy,eine zarte

Blonde, die besonders bei Ehemännern beliebt war. »Sieben Frank achtzig.« Rolande ließ die Kasse arbeiten.

»Es tut mir leid, aber englische Biskuits sind sehr teuer.« Marguerite, das Roß, am Nebentisch, hob nach scharfem Nachdenken den Kopf. »Zwei Flaschen Pommery«, bestellte sie triumphierend. Sie hatte Rolande gern und

wollte ihr das zeigen.

»Neunzig Frank. Guter Pommery.«

»Und vier Kognaks«, schnaufte das Roß. »Ich habe Geburtstag.«

»Vier Frank vierzig.« Die Kasse klapperte. »Und vier Ka ees mit Baisers?«

»Drei Frank sechzig.«

Das entzückte Roß starrte Rolande an. Es wußte nichts mehr.

Die Mädchen drängten sich um die Kasse. »Wieviel ist das zusammen, Madame Rolande?«

Rolande zeigte den Zettel mit den eingedruckten Zahlen vor. »Hundertfünf Frank achtzig.«

»Und wieviel ist davon Verdienst?«

»Ungefähr dreißig Frank. Das macht der Champagner, an dem man viel verdient.«

»Gut«, sagte das Roß. »Gut! So soll es immer gehen!« Rolande kam zu Ravic zurück. Ihre Augen leuchteten, wie nur Augen leuchten können, wenn in ihnen die Liebe oder das Geschäft steht. »Adieu, Ravic. Vergiß nicht, was

ich dir gesagt habe.« »Nein. Adieu, Rolande.«

Sie ging,kräftig,aufrecht,klar – die Zukunft war einfach für sie und das Leben gut.

Er saß mit Morosow vor Fouquet’s.Es war neun Uhr abends. Die Terrasse war gedrängt voll.Fern,hinter demAre,brannten zwei Laternen mit einem weißen, sehr kalten Licht.

»Die Ratten verlassen Paris«, sagte Morosow. »Im ›International stehen drei Zimmer leer. Das war nicht da seit 1933.«

»Es werden andere Emigranten kommen und sie füllen.«

»Was für welche? Wir hatten Russen, Italiener, Polen, Spanier, Deutsche …«

»Franzosen«, sagte Ravic. »Von den Grenzen. Flüchtlinge. Wie im letzten Krieg.«

Morosow hob sein Glas und sah, daß es leer war. Er winkte dem Kellner. »Noch eine Kara e Pouilly.«

»Wie ist es mit dir, Ravic?« sagte er dann. »Als Ratte?«

»Ja.«

»Ratten brauchen heute auch Pässe und Visa.« Morosow sah ihn mißbilligend an.»Hast du bisher wel-

che gehabt? Trotzdem warst du in Wien, Zürich, Spanien und Paris. Jetzt ist es Zeit, daß du hier verschwindest.« »Wohin?« fragte Ravic. Er nahm die Kara e, die der Kellner gebracht hatte. Das Glas war kühl und beschlagen. Er schenkte den leichten Wein ein. »Nach Italien? Da wartet die Gestapo an der Grenze. Nach Spanien? Da

warten die Falangisten.« »Nach der Schweiz.«

»Die Schweiz ist zu klein. In der Schweiz war ich dreimal. Jedesmal nach einer Woche hatte mich die Polizei und schickte mich nach Frankreich zurück.«

»England. Von Belgien als blinder Passagier.« »Ausgeschlossen. Sie erwischen dich im Hafen und

schicken dich nach Belgien zurück. Und Belgien ist kein Land für Emigranten.«

»Nach Amerika kannst du nicht. Wie ist es mit Mexiko?«

»Überfüllt. Und auch nur möglich mit wenigstens irgend einem Papier.«

»Du hast überhaupt keins?«

»Ich hatte ein paar Entlassungsscheine aus Gefängnissen, in denen ich unter verschiedenen Namen wegen illegalen Grenzübertritts gesessen habe. Nicht gerade das richtige. Ich habe sie natürlich immer gleich zerrissen.«

Morosow schwieg.

»Die Flucht ist zu Ende, alter Boris«, sagte Ravic. »Irgendwann ist sie immer einmal zu Ende.«

»Duweißt,washiergeschehenwird,wennKriegkommt?« »Selbstverständlich.Französische Konzentrationslager.Sie werden schlecht sein, weil nichts vorbereitet ist.«

»Und dann?«

Ravic zuckte die Achseln.»Man soll nicht zu weit voraus denken.«

»Gut. Aber weißt du, was geschehen kann, wenn hier alles drunter und drüber geht und du im Konzentrationslager sitzt? Die Deutschen können dich erwischen.«

»Mich und viele andere.Vielleicht.Vielleicht wird man uns auch rechtzeitig ’rauslassen. Wer weiß das?«

»Und dann?«

Ravic nahm eine Zigarette aus der Tasche. »Wir wollen darüber nicht reden, Boris. Ich kann nicht aus Frankreich heraus. Überall anders ist es gefährlich oder unmöglich. Ich will auch nicht mehr weiter.«

»Du willst nicht mehr weiter?«

»Nein. Ich habe darüber nachgedacht. Ich kann es dir nicht erklären.Es ist nicht zu erklären.Ich will nicht mehr weiter.«

Morosow schwieg. Er blickte über die Menge. »Da ist Joan«, sagte er.

Sie saß mit einem Mann ziemlich weit weg an einem Tisch nach der Avenue George V. »Kennst du ihn?« fragte er Ravic.

Ravic sah hinüber. »Nein.«

»Scheint ziemlich schnell zu wechseln.«

»Sie verfolgt das Leben«, sagte Ravic gleichgültig. »Wie die meisten von uns. Atemlos, etwas zu versäumen.«

»Man kann es auch anders nennen.«

»Das kann man. Es bleibt dasselbe. Ruhelosigkeit, mein Alter. Die Krankheit der letzten fünfundzwanzig Jahre. Keiner glaubt mehr,daß er friedlich mit seinem Ersparten altern wird.Jeder riecht den Brandgeruch und versucht zu schnappen, was er kann. Du nicht. Du bist ein Philosoph einfacher Vergnügungen.«

Morosow erwiderte nichts.»Sie versteht nichts von Hüten«, sagte Ravic. »Sieh dir an, was sie da auf hat! Sie hat

überhaupt wenig Geschmack. Das ist ihre Stärke. Kultur schwächt. Zum Schluß kommt es immer wieder nur auf den nackten Lebenstrieb an. Du selbst bist ein herrliches Beispiel dafür.«

Morosow grinste. »Laß mir meine niedrigen Freuden, du Höhenwanderer. Wer einen einfachen Geschmack hat, dem gefällt viel. Er sitzt nie mit leeren Händen da. Wer sechzig ist und hinter der Liebe herrennt, ist ein Idiot, der gewinnen will, wenn die anderen mit gezinkten Karten spielen. Ein gutes Bordell gibt Frieden des Gemütes. Das Haus, das ich frequentiere, hat sechzehn junge Frauen. Für wenig Geld bin ich dort ein Pascha. Die Zärtlichkeiten, die ich empfange, sind echter als die, die mancher Knecht der Liebe beschluchzt. Knecht der Liebe, sagte ich.«

»Ich habe es verstanden, Boris.«

»Gut.Dann laß uns dies hier austrinken.Kühler,leichter Pouilly. Und laß uns die silberne Luft von Paris atmen, solange sie noch nicht verpestet ist.«

»Das wollen wir. Hast du gesehen, daß die Kastanien in diesem Jahr zum zweitenmal blühen?«

Morosow nickte.Er zeigte zum Himmel,an dem rötlich und groß über den dunklen Dächern der Mars funkelte. »Ja. Und der dort soll der Erde näher stehen als seit vielen Jahren.« Er lachte. »Bald werden wir lesen, daß irgendwo ein Kind mit einem Muttermal wie ein Schwert geboren wurde. Und daß irgendwo anders blutiger Regen gefallen

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