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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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zurück, kam. »Nicht in Nürnberg. In Berlin.«

»Berlin?« Das Schattengesicht, durchzittert von Reflexen, wurde eine Spur jovial ungeduldig. »Na, nun kommen Sie schon heraus, Mensch, mit der Geschichte! Halten Sie nicht hinter dem Berg, und spannen Sie mich nicht zu lange auf die Folter. Wo war es?«

Die Welle, in den Armen jetzt, aus der Erde hochsteigend. »Auf der Folter, Haake! Genau das! Auf der Folter!«

Ein Lachen, ungewiß, vorsichtig. »Machen Sie keine Witze, Mann.«

»Auf der Folter, Haake! Weißt du nun, wer ich bin?« Das Lachen, Ungewisser, vorsichtiger, drohend. »Wie soll

ich das wissen? Ich sehe Tausende von Menschen. Kann mir nicht jeden einzelnen merken. Wenn Sie auf die Geheime Staatspolizei anspielen …«

»Ja, Haake. Die Gestapo.«

Achselzucken. Lauern. »Wenn Sie da einmal vernommen worden sind …«

»Ja. Erinnerst du dich?«

Erneutes Achselzucken. »Wie soll ich mich erinnern? Wir haben Tausende vernommen …«

»Vernommen! Gequält, geschlagen bis zur Bewußtlosigkeit, Nieren zerquetscht, Knochen zerbrochen, wie Säcke in den Keller geworfen, wieder hervorgeholt, Gesichter zerrissen, Hoden zermalmt – das nennt ihr ›vernommen‹! Das heiße, entsetzliche Stöhnen derer, die nicht mehr schreien konnten – ›Vernommen‹! Das Winseln zwischen Ohnmacht

und Ohnmacht, Fußtritte in den Bauch, Gummiknüppel, Peitschen – ja, alles das nanntet ihr unschuldig ›Vernommen‹!«

Ravic starrte in das unsichtbare Gesicht in der Windschutzscheibe, durch das lautlos die Landschaft mit Korn und Mohn und Heckenrosen glitt – er starrte hinein,seine Lippen bewegten sich,und er sagte alles,was er hatte sagen wollen und einmal sagen mußte.

»Die Hände ruhig! Oder ich schieße dich nieder! Erinnerst du dich an den kleinen Max Rosenberg, der mit zerfetztem Körper im Keller neben mir lag und versuchte, sich den Kopf an der Zementwand zu zerschlagen, um nicht wieder ›vernommen‹ zu werden – vernommen warum? Weil er ein Demokrat war! Und Willmann, der Blut pißte und keine Zähne und nur noch ein Auge hatte, nachdem er zwei Stunden bei euch ›vernommen‹ worden war – vernommen warum? Weil er ein Katholik war und nicht glaubte, daß euer Führer der neue Messias sei. Und Riesenfeld, dessen Kopf und Rücken rohen Fleischklumpen glichen, und der uns anflehte, ihm die Adern aufzubeißen, weil er es nicht mehr konnte ohne Zähne, nachdem er ›vernommen‹ war von dir – vernommen warum? Weil er gegen den Krieg war und nicht glaubte, daß Kultur sich am vollkommensten in Bomben und Flammenwerfern ausdrücke. Vernommen! Tausende habt ihr ›vernommen‹, ja – die Hände ruhig, Schwein! Und jetzt habe ich dich endlich, und wir fahren hinaus, da ist ein Haus mit dicken Mauern und völlig al-

lein, und ich werde dich ›vernehmen‹ – langsam, langsam durch Tage hindurch, die Rosenbergkur, die Willmannkur, die Riesenfeldkur, so, wie ihr es uns gezeigt habt! Und dann, nach all dem …«

Ravic spürte plötzlich, daß der Wagen raste. Er nahm das Gas weg.Häuser.Ein Dorf.Hunde.Hühner.Pferde auf einer Weide, galoppierend, die Hälse gestreckt, die Köpfe hochgeworfen, heidnisch. Zentauren, kraftvolles Leben. Eine lachende Frau mit einem Wäschekorb. Auf den Leinen flatternd bunte Wäschestücke, Fahnen geborgenen Glücks. Ein paar Kinder spielend vor den Türen. Er sah das alles wie getrennt durch eine gläserne Wand, sehr nah und unglaublich fern,voll von Schönheit und Frieden und Unschuld, schmerzhaft stark und getrennt von ihm und unerreichbar für immer, nur durch diese Nacht. Er spürte kein Bedauern – es war so, das war alles.

Langsam fahren.Die einzige Gelegenheit,angehalten zu werden, die Dörfer zu durchrasen. Die Uhr. Er fuhr schon fast zwei Stunden.Wie war das möglich? Er hatte es nicht gemerkt. Er hatte nichts gesehen,, nur das Gesicht, gegen das er sprach …

St. Germain. Der Park. Schwarze Gitter vor dem blauen Himmel und dann die Bäume. Bäume. Alleen von Bäumen. Ein Park von Bäumen, erwartet, erwünscht, und plötzlich der Wald.

Der Wagen lief leiser. Der Wald hob sich, eine grüne und goldene Woge, er warf sich rechts und links auf, er

überflutete den Horizont und schloß alles ein – auch das schnelle, glitzernde Insekt, das in ihm zickzackte.

Der Grund war weich und mit Gebüsch überwuchert. Es war weitab von der Straße. Ravic ließ den Wagen einige hundert Meter entfernt stehen, so daß er ihn sehen konnte.Dann nahm er den Spaten und begann den Grund aufzuschaufeln. Es ging leicht. Wenn jemand kam und den Wagen sah, konnte er den Spaten verbergen und als harmloser Spaziergänger zurückkommen.

Er grub tief genug,um genügend Erde über dem Körper zu haben.Dann fuhr er denWagen heran.Ein toter Körper war schwer.Trotzdem fuhr er nur so weit heran,wie harter Grund war, um keine Reifenspuren zu hinterlassen.

Der Körper war noch schla . Er schleppte ihn zu dem Erdloch und begann,die Kleider abzureißen und auf einen Haufen zu werfen. Es war einfacher, als er dachte. Er ließ den nackten Körper liegen, nahm die Kleider, steckte sie in den Ko erraum und fuhr den Wagen zurück.Er schloß die Türen und den Ko erraum ab und nahm einen Hammer mit. Er mußte damit rechnen, daß der Körper durch Zufall gefunden wurde, und er wollte jede Identifikation vermeiden.

Es fiel ihm einen Moment schwer, zurückzugehen. Er spürte einen fast unwiderstehlichen Drang, die Leiche liegenzulassen, in den Wagen zu steigen und davonzujagen. Er blieb stehen und blickte sich um. An einem Buchenstamm, ein paar Meter entfernt, jagten sich zwei

Eichhörnchen. Ihre roten Pelze leuchteten in der Sonne.

– Er ging weiter.

Gedunsen.Bläulich.Er legte einen FetzenWollsto ,voll von Öl,über das Gesicht und begann,es mit dem Hammer zu zerschlagen. Nach dem ersten Schlag hielt er inne. Es klang sehr dumpf.Dann schlug er rasch weiter.Nach einer Weile lüftete er den Sto umpen. Das Gesicht war eine unkenntliche Masse, voll von geronnenem, schwarzem Blut.Wie Riesenfelds Kopf, dachte er. Er spürte, daß seine Zähne fest zusammengebissen waren. Nicht wie Riesenfelds Kopf, dachte er. Riesenfelds Kopf war schlimmer: er lebte noch.

Der Ring an der rechten Hand.Er zog ihn ab und schob den Körper in das Loch. Das Loch war etwas zu kurz. Er bog die Knie gegen den Bauch.Dann schaufelte er die Erde ein. Es ging schnell. Er stampfte sie zurecht und packte Moosstücke,die er vorher mit dem Spaten ausgeschnitten hatte, darüber. Sie paßten. Man sah die Ränder nur noch, wenn man sich bückte. Er schob das Gebüsch zurecht.

Der Hammer. Die Schaufel. Der Lappen. Er legte sie zu den Kleidern in den Ko erraum. Dann ging er noch einmal zurück, langsam, nach Spuren suchend. Er fand fast keine mehr. Den Rest würden etwas Regen und ein paar Tage Wachsen besorgen.

Sonderbar:die Schuhe eines toten Mannes.Die Strümpfe. Die Wäsche. Der Anzug weniger. Die Strümpfe, das Hemd, das Unterzeug – geisterhaft verwelkt bereits,voll einer mit-

gestorbenen Aura. Es war scheußlich, sie anzufassen und nach Monogrammen und Schneideretiketts zu suchen.

Ravic tat es rasch. Er schnitt sie heraus. Dann rollte er die Sachen in ein Bündel zusammen und vergrub sie. Es war mehrere Kilometer von dem Platz entfernt, wo er die Leiche eingegraben hatte – weit genug, um zu verhüten, daß man beide zu gleicher Zeit fand.

Er fuhr weiter, bis er an einen Bach kam. Er nahm die ausgeschnittenen Etiketts und wickelte sie in Papier.Dann zerriß er das Notizbuch Haakes in kleine Stücke und durchsuchte die Brieftasche. Sie enthielt zwei Tausend- Frank-Scheine, das Fahrscheinheft nach Berlin, zehn Mark, einige Zettel mit Adressen und Haakes Paß. Ravic steckte das französische Geld ein. In Haakes Tasche hatte er noch ein paar Fünf-Frank-Scheine gefunden.

Das Fahrscheinheft sah er einen Augenblick an. Nach Berlin, es war merkwürdig, das zu sehen: nach Berlin. Er zerriß es und legte es zu dem andern.Den Paß betrachtete er lange. Er war gültig für drei Jahre. Es war eine Versuchung,ihn zu behalten und damit zu leben.Es paßte zu der ganzen Art von Existenz,die er führte.Er würde sich nicht besonnen haben, wenn es ungefährlich gewesen wäre.

Er zerriß ihn.Den Zehn-Mark-Schein auch.Die Schlüssel Haakes, den Revolver und die Quittung für den Ko er behielt er. Er wollte überlegen, ob er den Ko er abholen sollte, um jede Spur in Paris zu verwischen. Die Hotelquittung hatte er gefunden und zerrissen.

Er verbrannte alles.Es dauerte länger,als er dachte,aber er hatte Zeitungspapier, um die Sto etzen zu verbrennen. Die Asche streute er in den Bach. Dann untersuchte er den Wagen auf Blut. Es war nichts zu finden. Er wusch den Hammer und den Engländer sorgfältig und packte das Werkzeug zurück in den Ko erraum. Er wusch seine Hände, so gut es ging, holte eine Zigarette hervor und blieb eine Weile sitzen und rauchte.

Die Sonne schien schräg durch die hohen Buchen.Ravic saß und rauchte. Er war leer und dachte an nichts.

Erst als er wieder in die Straße zum Schloß einschwang, dachte er an Sybil. Das Schloß stand weiß im hellen Sommer unter dem ewigen Himmel des achtzehnten Jahrhunderts. Er dachte plötzlich an Sybil, und zum erstenmal seit damals versuchte er nicht, Widerstand zu leisten und es beiseite zu schieben und zu unterdrücken. Er war in seinen Erinnerungen nie weitergekommen als bis zu dem Tag, als Haake sie hatte hereinführen lassen. Er war nie weitergekommen, als bis zu dem Grauen und der wahnsinnigen Angst in ihrem Gesicht. Alles andere war ausgelöscht worden davon. Und er war nie weitergekommen als bis zu der Nachricht, daß sie sich erhängt hatte. Er hatte es nie geglaubt; es war möglich – aber wer wußte, was vorher passiert war? Er hatte nie an sie denken können, ohne den Krampf im Gehirn zu spüren, der aus seinen Händen Klauen machte und sich wie ein

Krampf um seine Brust legte und ihn für Tage unfähig machte, aus dem roten Nebel unfähiger Racheho nung zu entkommen.

Er dachte an sie, und der Ring und der Krampf und der Nebel waren plötzlich nicht mehr da. Etwas war gelöst, eine Barrikade war weggeräumt, das starre Bild des Entsetzens begann sich zu bewegen, es war nicht mehr festgefroren wie all die Jahre. Der verzerrte Mund fing an, sich zu schließen, die Augen verloren ihre Starrheit, und sanft kehrte das Blut in das kalkweiße Gesicht zurück. Es war nicht mehr eine starre Maske der Furcht – es wurde wieder Sybil, die er kannte, die mit ihm gelebt hatte, deren zärtliche Brüste er gefühlt hatte und die durch zwei Jahre seines Lebens geweht war wie ein Juniabend.

Tage stiegen auf – Abende – wie ein fernes, vergessenes Feuerzeug plötzlich hinter dem Horizont. Eine verklemmte, verschlossene, blutüberkrustete Tür in seiner Vergangenheit ö nete sich auf einmal leicht und lautlos, und ein Garten war wieder dahinter, und nicht ein Gestapokeller.

Ravic fuhr seit mehr als einer Stunde. Er fuhr nicht zurück nach Paris. Er hielt auf der Seinebrücke hinter St. Germain und warf die Schlüssel und den Revolver Haakes ins Wasser. Dann ö nete er das Verdeck des Wagens und fuhr weiter.

Er fuhr durch einen Morgen in Frankreich. Die Nacht war fast vergessen und lag Jahrzehnte hinter ihm.Was vor

einigen Stunden geschehen war, war schon undeutlich geworden – aber was seit Jahren versunken gewesen war, stieg rätselhaft auf und kam nahe, und es war nicht mehr durch einen Erdriß getrennt.

Ravic wußte nicht, was mit ihm geschah. Er hatte geglaubt, leer sein zu müssen, müde, gleichgültig, erregt – er hatte Ekel, stumme Rechtfertigung, Sucht nach Schnaps, Saufen, Vergessen erwartet – aber nicht dieses. Er hatte nicht erwartet, leicht und gelöst zu sein, als wenn ein Schloß von seiner Vergangenheit abgefallen wäre. Er sah sich um. Die Landschaft glitt vorüber, Prozessionen von Pappeln reckten ihren fackelhaften,grünen Jubel aufwärts, Felder mit Mohn und Kornblumen breiteten sich aus, aus den Bäckereien der kleinen Dörfer roch es nach frischem Brot, und aus einem Schulhaus sangen Kinderstimmen zu einer Geige.

Was hatte er nur vorhin gedacht, als er hier vorbeikam? Vorhin,ein paar Stunden,eine Ewigkeit früher.Wo war die gläserne Wand, wo das Ausgeschlossensein? Verflüchtigt, wie Nebel in der steigenden Sonne. Er sah die Kinder wieder, spielend auf den Stufen vor den Haustüren, er sah in der Sonne schlafende Katzen und Hunde, er sah die bunte, flatternde Wäsche im Wind, die Pferde auf der Weide, und immer noch stand die Frau mit Klammern in den Händen auf der Wiese und hängte lange Reihen von Hemden auf. Er sah es und gehörte dazu, mehr jetzt als viele Jahre vorher. Es schmolz etwas in ihm, weich

und feucht stieg es auf, ein verbrannter Acker begann zu grünen,und irgend etwas in ihm schwang langsam zurück in eine große Balance.

Er saß in seinem Wagen sehr still; er wagte kaum, sich zu bewegen, um es nicht zu verscheuchen. Es wuchs und wuchs um ihn, es perlte hinunter und herauf, er saß still und glaubte es noch nicht ganz und fühlte es doch und wußte, es war da. Er hatte erwartet, der Schatten Haakes würde neben ihm sitzen und ihn anstarren – und nun saß nur sein Leben neben ihm und war zurückgekommen und sah ihn an. Zwei Augen, die durch viele Jahre aufgerissen waren und schweigend und unerbittlich gefordert und angeklagt hatten,schlössen sich; ein Mund bekam Frieden, und Schreckens voll vorgestreckte Arme fielen endlich hinab. Haakes Tod hatte den Tod aus Sybils Gesicht gelöst

– es lebte einen Augenblick und fing dann an, undeutlich zu werden. Es konnte endlich ruhig werden, und es sank zurück; es würde nun nie wiederkommen, Pappeln und Linden begruben es sanft,und dann war noch der Sommer da und Bienengesumm und eine klare,starke,überwachte Müdigkeit, als hätte er viele Nächte nicht geschlafen und würde nun sehr lange oder nie mehr schlafen.

Er ließ den Talbot in der Rue Poncelet stehen. Im Augenblick, als der Motor schwieg und er ausstieg, fühlte er, wie müde er war. Es war nicht mehr die gelöste Müdigkeit der Fahrt, es war ein hohles, leeres Nur-Schlafen-Wollen. Er ging zum »International«,und es machte ihm Mühe,zu

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