- •Verlag von s. Hirzel in leipzig
- •I. Das Chortitzaer Mennonitengebiet(1)
- •II. Das Neusatzer Kolonistengebiet(1)
- •III. Das Zьrichtaler Kolonistengebiet
- •IV. Das Molotschnaer Kolonistengebiet(1)
- •V. Das Molotschnaer Mennonitengebiet(1)
- •VI. Das Schwedengebiet(2)
- •VII. Das Mariupoler Kolonisten- und Mennonitengebiet(4)
- •VIII. Alt-Danzig
- •X. Rybalsk(3)
- •XI. Die Kolonie Neudanzig
II. Das Neusatzer Kolonistengebiet(1)
1. Neusatz(2)
Abdruck der von J. Stach angefertigten und im Sammelbesitz
Georg Leibbrandt befindlichen Abschrift aus dem ehemaligen
Archiv des "Fьrsorgekomitees".
Im Sommer des Jahres 1803 sammelten sich in Ulm zufolge einer Aufforderung des
Kommissдrs Ziegler(3) an die Bewohner Deutschlands zur Auswanderung nach RuЯland
etwa 200 Familien aus Wьrttemberg, UnterelsaЯ, Rheinbaiern und Baden, bestiegen
das Schiff und fuhren in verschiedenen Transporten die Donau hinunter bis gen
Galatz, von dort nach Dubassary(4), wo sie 6 Tage Quarantдne(5) hatten, und
erreichten im Spдtjahr desselben Jahres Odessa, wo sie den Winter in Kasernen
zubrachten(6). Das waren die acht ersten Transporte, als deren Anfьhrer
Kompinis, Pasgal, Brittner u.a. genannt werden(7).
Der vierte Transport wurde auf dem Wege durch die Tьrkei von dortigen Bewohnern
ьberfallen, beraubt und geplьndert, wobei ein Mensch ums leben kam.
Ein Teil der Auswanderer, bei 60 Familien, die schon im Vaterlande Nachricht von
der Krim erhalten hatten, hegten den Wunsch, dort angesiedelt zu werden. Sie
wдhlten deshalb drei Mдnner aus ihrer Mitte und fandten sie gegen den Frьhling
von Odessa aus nach der Krim, um den Bestimmungsort zur Ansiedlung einzusehen.
Sie fanden die Gegend zwar wild, aber ihnen zusagend, weil sie in derselben ein
Bild der heimatlichen Berge und Wдlder sahen. Ihre Landsleute folgten ihnen noch
in demselben Frьhjahr unter Anfьhrung des ihnen schon in Odessa gesetzten
Inspektors Hastver(8) teils zu Land, der Mehrzahl nach jedoch zu Wasser. Die
________________
(1) Den hier fehlenden Bericht der 1805 gegrьndeten Kolonie Rosental (russisch:
Tschabaniba Buruntscha) verцffentlichte Malinowsky vgl. S. 29 ff.
(2) Russischer Name: Tschukurtscha.
(3) Nach Skal'kovskij a.a.O. Bd. 2, S. 57 war Ziegler von Auswanderungswilligen
zuerst nach RuЯland gesandt worden, um Schutz fьr sich und seine Landsleute
zu erbitten. - 1803 wurden 2990 Kolonisten aus Deutschland und der Schweiz
von der russischen Regierung zur Ansiedlung angenommen, vgl. Varadinov
a.a.O. Bd. 1, S. 109.
(4) = Dubossary, damalige Grenzstadt RuЯlands.
(5) Seit dem 18. Mai 1802 muЯten sich alle Einwanderer einer Quarantдne
unterziehen, vgl. I PSZ Bd. 27, Nr. 20268. - Doch gab Alexander I. selbst
1803 die Anweisung, die Einwanderer wдhrend der Quarantдnezeit nicht durch
allzu groЯe Strenge zu bedrьcken, vgl. I PSZ Bd. 27, Nr. 20988, P. 5.
(6) vgl. I PSZ Bd. 27, Nr. 20988, P. 4.
(7) Da die Reise einzelner Familien bis zur Grenze mit grцЯeren Kosten verknьpft
war, erging an den Russischen Residenten in Regensburg der Auftrag, immer
nur 20 bis 30 Familien zugleich auf Rechnung der Krone abzufertigen. AuЯer
den Reisekosten erhielten die Kolonisten im Auslande keine weitere
Geldunterstьtzung, vgl. Storch a.a.O. Bd. 7, Petersburg 1805, S. 237. - Ьber
Kompinis (Gambini) vgl. I PSZ Bd. 27, Nr. 20988. - Ein Architekt Pasqual
wird 1822 erwдhnt, G. Leibbrandt: Die deutschen Kolonien in Cherson und
Bessarabien. Stuttgart 1926, S. 45 und 78, C. Keller: Die deutschen Kolonien
in SьdruЯland. Bd. 2, Odessa 1914, S. 167 (wo jedoch das Ankunftsdatum
falsch angegeben ist).
(8) vgl. Malinowsky a.a.O. S. 29 Hasper?
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letzteren landeten in Kasslow(1) (Eupatoria) und zogen von da nach dem ihnen von
der Krone zur Ansiedlung bestimmten, von dem General Rosenberg gekauften Gut(2),
welches sie den 25. Mai 1804 erreichten. Sie lieЯen sich allesamt daselbst
nieder, bewohnten die Hьtten der frьheren Bewohner bis zum Frьhjahr 1805, dann
aber zerstreuten sie sich nach Rosental, Sudak(3), Odus(4), Herzenberg(5), und
anderen Gegenden. Es blieben nur 28 Familien zur Ansiedlung zurьck. Unter ihnen
waren 23 aus Wьrttemberg, und zwar aus den Oberдmtern Tьbingen, Reutlingen und
Baknang lutherischer Confession, und 5 aus UnterelsaЯ und Rheinbaiern
reformiert. Nachher kamen noch 4 Familien aus Wьrttemberg und 2 aus Baden dazu.
Endlich wurden noch an 6 Sцhne von den frьher angesiedelten Wirtschaften
vergeben, so daЯ sich jetzt die Zahl der Wirte auf 38 belдuft(6).
Noch im Frьhjahr 1804 schritten sie zur Anlegung der Hдuser und gaben der
neugegrьndeten, ersten Ansiedlung in der Krim den Namen Neusatz.
Neusatz liegt 3 Meilen цstlich von der Kreis- und Gouvernementsstadt Simferopol
und ebenso weit in engegengesetzter Richtung von der Tartarenstadt Karasubazar
entfernt am nцrdlichen Abhang des Krimschen Gebirges, an der Westseite eines
Berges, an dessen FuЯ sich gegen Norden ein Bach hinzieht. Der Bach bewдssert
die Gдrten, Дcker und Wiesen und treibt eine Mьhle, deren Einkьnfte die Gemeinde
bezieht. An dem die kalten Winde abhaltenden Berge sind Wein- und Obstgдrten
gepflanzt. Gegen Norden ist ein groЯer Teil des Landes mit Waldung und
Gestrдuchen bewachsen, welch letztere allmдhlich ausgerottet werden. Die
Westseite ist ziemlich ebenes, fruchtbares Ackerland, wдhrend die Sьdseite ein
groЯer Wald von schцn gewachsenen Bдumen bedeckt. Das Land ist ertragfдhig,
jedoch darf das Dьngen nicht vernachlдssigt werden, wenn anders eine gute Ernte
erwartet werden soll; nur an einigen Stellen ist es wegen der allzu hoch
liegenden Felsen unfruchtbar. Das Dorf ist mit zwei Quellen gesunden Wassers
versehen; auch haben viele Wirte ihre eigenen Brunnen im Hofe. AuЯer dem
Kronsland besitzt die Gemeinde zu ihrem groЯen Nutzen ein, aus eigenen Mitteln
angekauftes, angrenzendes Landgut von 418 Dessj., wovon auf jeden Wirt ungefдhr
11 Dessj. kommen(7).
________________
(1) Der Namen der tьrkischen Festung Guezleve wurde von den Russen volkstьmlich
zu Kozlow verstьmmelt, vgl. Semenov-Tjan-Sanskij a.a.O. Bd. 14, S. 683.
(2) Andreas Rosenberg war 1803-1805 Kriegsgouverneur von Cherson und
Vorsitzender der Krimmer Inspektion, vgl. Skal'kovskij a.a.O. Bd. 2 S. 60
und 88. 1804 wurde ihm die Oberaufsicht ьber die Kolonien ьbertragen, vgl.
Varadinov a.a.O. Bd. 1, S. 124 f. und S. 38 Anm. 4 unten S. 38 Anm. 2.
(3) Ьber Sudak vgl. unten S. 51 f.
(4) = Ogus. Merkwьrdigerweise findet man diese 1805 gegrьndete deutsche Kolonie
in den alten Verzeichnissen nicht erwдhnt.
(5) vgl. unten S. 54 f.
(6) 1857: 15 Wirtschaften (187 Mдnner) auf 922 Desj. und 24 landlose Familien
(125 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 41.
(7) Das den freien Stдnden in RuЯland damals zustehende Recht, Land ohne Bauern
erwerben zu dьrfen, wurde am 12. Dezember 1801 auch den deutschen Kolonisten
eingerдumt, jedoch mit der Bestimmung, daЯ bei einer etwaigen Abwanderung
ins Ausland die selbsterworbenen Lдndereien nur an russische Untertanen
verkauft werden dьrften, vgl. I PSZ Bd. 28, Nr. 21191 und oben S. 8 Anm. 1.
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Bei ihrer Ankunft in Neusatz fanden die Einwanderer die Gegend ziemlich
verwildert, mit Hecken und Gestrдuchen bewachsen vor. Russen, Tartaren und
Nogaizen(1) bewohnten dieselben und nдhrten sich mehr von ihren Herden, als vom
Ackerbau. Die Hьtten der Eingeborenen wurden den deutschen Ansiedlern zu
Wohnungen eingerдumt, auch hatten sie im ersten Jahr die Aussaat der Russen
einzuernten, wovon sie aber wenig Gebrauch machten, weil ihnen die Mittel, deren
sich zu bedienen sie aus ihrem Vaterlande gewohnt waren, nicht zu Gebote standen
und sie die tatarischen Instrumente nicht zu handhaben verstanden.
In der Zeit stand es traurig um die Ansiedler. Ihre eigenen, aus dem Auslande
mitgebrachten, wenigen Mittel waren erschцpft. Einige hatten ьberhaupt keine
gehabt. Sie hatten zwar 210 Rub. banko zum Aufbau der Hдuser, 105 Rub. banko
VorschuЯ und 10 Kop. tдgliches Nahrungsgeld auf die Person erhalten, jedoch auch
das was bald verzehrt(2). Sie waren grцЯtenteils arme Handwerker, denen der
Landbau unbekannt war, und die deshalb alles, was sie vornahmen, verkehrt
angriffen(3). Der Landessprache waren sie unkundig. Stets standen sie in Gefahr,
von ihren Nachbarn, die ihnen die Pferde aus dem Stall, das Vieh von der Weide,
die Kartoffeln vom Acker raubten, miЯhandelt zu werden.
Ebenso betrьbt stand es um die Sittlichkeit der Kolonie. Weder Lehrer noch
Prediger waren vorhanden, die sie durch Gottes Wort hдtten aufrichten und
ermuntern, ihrem Glaubensgrund Festigkeit geben und der ьberhand nehmenden
Sittenlosigkeit entgegenwirken kцnnen(4). Jedoch von Jugend auf an eine bessere
Ordnung gewцhnt, wurde allmдhlich das Bedьrfnis in ihnen rege, ihre Kinder nicht
so wie die der sie umgebenden Eingeborenen ohne allen Unterricht aufwachsen zu
lassen. So wдhlten sie aus der Zahl der fдhigsten Wirte unter ihnen
Schulmeister(5), die Schule und Kirche halten, taufen und beerdigen muЯten.
________________
(1) deutsche Ableitung von russisch nogajcy "Nogaier".
(2) Die Hцhe die Kronsvorschusses zur Anlage der Wirtschaften scheint damals vom
Fьrsorgekontor festgesetzt worden zu sein, vgl. I PSZ Bd. 27, Nr. 20988 (17.
Oktober 1803).
(3) Aus diesem Grunde wandte sich die russische Kolonisationspolitik am 20.
Februar 1804 (vgl. I PSZ Bd. 28, Nr. 21163) der Qualitдtseinwanderung zu.
Alle russischen Missionen im Auslande wurden angewiesen, ihren Werbeapparat
einzustellen. Nur freiwillig sich meldende Familien, die in Landwirtschaft
und Handwerk als Vorbild dienen kцnnten und ьber ein Vermцgen von mindestens
200 Gulden verfьgen, sollte die Einwanderung gestattet werden, und zwar
nicht mehr als 200 Familien jдhrlich, vgl. Varadinov a.a.O. Bd. 1, S. 124. -
Im ьbrigen ist diese Bestimmung hдufig durchbrochen worden, wie die hier
vorliegenden Berichte erweisen.
(4) Den Unterhalt der lutherischen und Katholischen Geistlichkeit wдhrend der
Freijahre hatte die russische Regierung am 16. Mai 1801, vgl. I PSZ Bd. 26,
Nr. 19873, ьbernommen, doch war es auЯerordentlich schwer, geeignete
Persцnlichkeiten fьr die Kolonien zu finden. Bis 1811 gab es im
Schwarzmeergebiet nur zwei evangelische Pfarren: in Josefstal, begrьndet
1789 von dem gemeinsam mit den Kolonisten eingewanderten Pastor Hiob Adolf
Kirchmann (vgl. Zapiski Odesskogo Obscestva Istorii i Drevnostej Bd. 2,
Odessa 1848, S. 661) und in Odessa bzw. GroЯliebental, wo Joh. Christian
Heinrich Pfersdorf seit 1803 wirkte, vgl. u.a. Fr. Bienemann: Werden und
Wachsen einer deutsche Kolonie in SьdruЯland. Geschichte der
evangelisch-lutherischen Gemeinde zu Odessa, Odessa 1893.
(5) Die Beaufsichtigung des Schulwesens in den Kolonien gehцrte zu den Pflichten
der Geistlichkeit (Vgl. I PSZ Bd. 26, Nr. 19873, 16. Mai 1801). 1801 wurde
auch bestimmt (vgl. ebenda), daЯ die Schulmeister aus der Gemeindekasse zu
unterhalten wдren, doch hat sich die russische Regierung um die Gewinnung
geeigneter Krдfte niemals bemьht. - Um 1825 nahm der Schullehrer Steinbrecht
in Neusatz auch auswдrtige Kinder in seine Schulpension auf, die er bis 1830
leitete, vgl. Doering a.a.O. S. 229 und 264.
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Von Zeit zu Zeit ward die Kolonie von den Pastoren Zehlingk(1) und Biller(2)
besucht, welche das hl. Abendmahl spendeten, die Kinder konfirmierten und die
Brautpaare trauten, bis sich der Pastor Hornburg(3) im Jahre 1812 hier
niederlieЯ und in einem Privathause die Gottesdienste hielt. Er zog jedoch nach
zwei Jahren wieder fort.
Vor der im Jahre 1812 in der Krim grassierenden Pest blieb Neusatz verschont,
dagegen trat im darauffolgenden Frьhjahr Futtermangel ein, durch welchen der
Viehstand bedeutend vermindert wurde. In den folgenden Jahren hob sich der
Wohlstand der Kolonie immer mehr. Durch Erlernung der tartarischen Landessprache
konnten sie sich der Hilfe der Eingeborenen, die sie sich als Knechte und
Tagelцhner mieteten, besser bedienen, durch Erfahrungen bereichert, konnten sie
den Landbau vorteilhafter betreiben und sich auf solche Erzeugnisse legen, die
ihnen den grцЯten Gewinn einbrachten. Zudem waren die Zeiten fruchtbar, indem
sich Sonnenschein und Regen immer rechtzeitig einstellten.
Hinter der Entwicklung des дuЯeren Wohlstandes blieb jedoch der sittliche
Fortschritt weit zurьck, denn bis zum Jahre 1822 war die Gemeinde ohne Prediger
sich selbst ьberlassen. Dann kam Pastor Boerlin, welcher eifrig und treu in
seinem Amte viel Segen stiftete, aber schon nach vier Jahren durch einen Sturz
vom Wagen zum groЯen Leidwesen der Gemeinde das Leben einbьЯte(4).
Schon vor der Ankunft des Pastors Boerlin wuerde das Schulhaus erbaut, welches
dann auch zur Verrichtung des Gottesdienstes dienen muЯte; erst wдhrend seiner
Anwesenheit bewilligte die Regierung eine Summe von 4532 Rub. banco zum Bau
eines Pastorats, und im Jahre 1825 wurde zum Bau der Kirche geschritten, welche
von der Gemeinde aus eigenen Mitteln vollendet und schon am 15. November 1825
von Pastor Boerlin eingeweiht werden konnte(5).
Im Jahre 1828, zwei Jahre nach Boerlins Tod, erfolgte die Anstellung des Pastors
________________
(1) Benjamin Zehlingk wirkte 1816-1840 in den Molotschnaer Kolonien, vgl.
Mitteilungen und Nachrichten fьr die evangelische Kirche in RuЯland. Bd. 63,
1910, S. 459.
(2) Karl Biller war als Nachfolger von Kirchmann 1800-1826 in Josefstal tдtig,
vgl. Mitteilungen und Nachrichten fьr die evangelische Kirche in RuЯland Bd.
63, 1910, S. 451.
(3) Friedrich Hornborg, der wohl Schwede war, bediente die wenigen damals in der
Krim bestehenden evangelischen Gemeinden u.a. auch Simferopol. 1814-1821 war
er an den finnischen Landgemeinden bei Petersburg und darauf bis 1840 an der
schwedisch-finnischen Gemeinde in Narwa angestellt, vgl. Mitteilungen und
Nachrichten fьr die evangelische Kirche in RuЯland Bd. 63, 1910, S. 456 und
(G. Pingoud): Die evangelisch-lutherischen Gemeinden in RuЯland. Hrsg. vom
Zentral-Komitee der Unterstьtzungskasse fьr evangelische Gemeinden in
RuЯland. Bd. 1, Teil 1, Petersburg 1909, S. 327.
(4) Ursus Boerlin (1799-1826) entsandt von dem Baseler Missionsinstitut (vgl. S.
36 Anm. 3) unterhielt in Neusatz auch eine Schulpension, vgl. Doering a.a.O.
S. 229 und unten S. 33 Anm. 1.
(5) Die Dorfgemeinden durften nur mit Erlaubnis des Fьrsorgekontors bzw.
-komitees ьber ihre Mittel verfьgen. Jegliche Getreide- und Geldsammlungen
bedurften der behцrdlichen Genehmigung, vgl. I PSZ Bd. 26, Nr. 19873, 16.
Mai 1801.
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Fletnitzer(1), der aber nach einigen Jahren wieder fortzog, worauf 1831 Pastor
Kylius(2) fьr das Kirchspiel Neusatz bestдtigt wurde, welcher nun seit 17 Jahren
als Prediger in der Gemeinde wirkt.
In den Jahren 1819 bis 1821 wurde die Kolonie von verheerenden
Heuschreckenschwдrmen heimgesucht, auch stellten sich einige Mal Viehseuchen
ein, woran der grцЯte Teil der Gemeinde zu leiden hatte. Im Spдtjahr 1847 kam
das Nervenfieber ьber die Kolonie, welches nur wenige Familien verschonte, und
im darauffolgenden Jahr brachen die roten Flecken(3) unter den Kindern aus.
Der Kartoffelbau ist der Haupterwerbszweig der hiesigen Kolonisten(4). Dieses
Produkt lдЯt sich in den beiden benachbarten Stдdten ohne viel Beschwerden gut
absetzen und hat viel zum Wohlstand der Kolonie beigetragen, welcher aber durch
den MiЯwachs der letzten Jahre sehr gehemmt ist. Das Jahr 1847 hat alle anderen
an Unfruchtbarkeit ьbertroffen. Gegenwдrtig aber stehen die Frьchte des Feldes
aufs schцnste da, und es kann gute Hoffnung auf eine gesegnete Ernte gehegt
werden.
Schulz: P. BцЯhans. Deputiert: Christian Gnom.
Beisitzer: Friedrich Bub. Wendel BцЯhans.
(Verfasser) Schullehrer
Johann Adam Fritz.
2. Friedental(5)
Abdruck der von J. Stach angefertigten und im Sammelbesitz
Georg Leibbrandt befindlichen Abschrift aus dem ehemaligen
Archiv des "Fьrsorgekomitees".
Als der Ruf durch den Kommissдr Ziegler im Jahre 1804 zur Auswanderung nach
RuЯland im Kцnigreich Wьrttemberg erging, entschlossen sich hierzu eine
bedeutende Anzahl von Personen aus mehreren Oberдmtern, begaben sich auf die
________________
(1) Karl Friedrich Wilhelm Fletnitzer, geb. 1800 in Lausigk bei Leipzig,
studierte 1821-1824 am Baseler Missionsinstitut. Nach seiner Ordination in
Stuttgart wurde er vom Missionskomitee fьr den Kaukasus bestijmmt, aber von
Boettiger (vgl. S. 66 Anm. 4) als Adjunkt fьr Odessa gewonnen. Am 12. Okt.
1827 als Pastor fьr Neusatz bestдtigt, ьbernahm er bald nachher die Leitung
der arg daniederliegenden Kirchenschule in Odessa und 1830 auch die
geistliche Betreuung der Odessaer Gemeinde. Am 27. Januar 1834 wurde er
Beisitzer im Fьrsorgekomitee, wo er das Kirchenvermцgen der deutschen
Kolonien zu verwalten hatte. Seine Verdienste um das Schulwesen in den
Kolonien, fьr die er in seinem kleinen Privatseminar einen Lehrernachwuchs
heranzubilden versuchte, sind groЯ. Nach seiner Emeritierung 1868 zog er
sich nach Neusatz zurьck, wo er 1872 starb, vgl. Mitteilungen und
Nachrichten fьr die evangelische Kirche in RuЯland Bd. 6, 1844, S. 70 f. und
Bd. 63, 1910, S. 468 f. Bienemann a.a.O.
(2) Christian Friedrich Kylius aus Baden war 1829-1831 Pastor in Zьrichtal. Er
starb 1854 in Neusatz, vgl. Mitteilungen und Nachrichten fьr die
evangelische Kirche in RuЯland. Bd. 63, 1910, S. 467.
(3) wohl Masern.
(4) Zur Geschichte des Kartoffelbaus in RuЯland vgl. F. Istis: Istorija
razvedenija kartoflja v Rossii (Geschichte des Kartoffelanbaus in RuЯland).
In: Zurnal Ministerstva Vnutrennich Del (Journal des Innenministeriums) Teil
21, Petersburg 1848, S. 268-283.
(5) Russische Namen: Kantekuz, kantakuzowa.
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Reise und trafen im Monat Juni in Ulm zusammen. Hier bestiegen sie mit dem 11.
14. und 16. Transport das Schiff und fuhren in Begleitung ihrer Anfьhrer
Ottmann, Bauer und Schцck die Donau hinunter bis nach Wien, von wo sie zu Lande
auf eigene Kosten bis nach Radziwil(1) reisten und auf Kosten der hohen Krone
weiter bis nach Ovidiopol, wo sie ьber den Winter in zwei Kasernen untergebracht
wurden(2).
Dieses Ovidiopol (im Volksmund "Widerpol") wird durch die Erzдhlungen der Vдter
den Enkeln und Urenkeln ein schauerliches Andenken bleiben, weil daselbst fast
alle Einwanderer erkrankten und den Winter hindurch ьber 600 Seelen starben,
wodurch fast alle Familien zerstцrt, Eltern von den Kindern und Kinder von den
________________
(1) = Radziwittow.
(2) 1804 kamen 814 Kolonistenfamilien nach RuЯland, vgl. Storch a.a.O. Bd. 3,
1804, S. 140, ьber ihre Lage in Ovidiopol gibt folgender Brief AufschluЯ:
"Wir sдmtlich dienstwillige und gehorsame Kolonisten von Ovidiopol kцnnen
nicht mehr unterlassen, ein Hochlцbliches Militдr- und Civil-Amt des
russischen Landes nдmlich den Herrn, Herrn Festungskommendanten nebst einem
Hochlцblichen Ober-Amt in unserer Verlegenheit um Hьlfe zu ersuchen, weil
wir mit unserem Schicksal nicht mehr zufrieden sein kцnnen. Denn wie wir
immer Besserung hofften, so wird es je lдnger, je дrger, denn da wir auf
Ausschreiben des K.K. russischen Kommissars Zieglers unser ganzes Vermцgen,
auch wegen einer so weiten Reise Leib und Leben daran gewagt haben, so
glaubten wir, es sollte uns auch gehalten werden, was uns versprochen worden
ist, nдmlich: das Taggeld mit 40 Kop. von Haus weg und der Fuhrlohn zu
Wasser und zu Land sollte uns bezahlt werden, es ist auch von Ulm aus von
einer Station zu der anderen versprochen worden, und haben nichts bekommen.
Bis auf der Grenze Radsiwiloff, da haben wir das erstemal Taggegeld
bekommen: die Personen ьber 15 Jahre 10 Kop. und die Kleinen 6 Kop. und
durch Aufwechseln haben wir noch den 4. Theil verlieren mьssen. Und haben
also die, welche noch ein wenig Geld gehabt haben, den anderen mьssen
helfen, daЯ wir mit einander hiehergekommen sind in der Hoffnung, es werde
uns wieder bezahlt werden. Statt dessen aber haben wir noch nichts
empfangen, als unser Tagegeld, und das mit groЯer Beschwerlichkeit, indem
unsere Conducteurs alle Monate 8 Tage in Odessa sein mьssen, bis sie es
bekommen. Das macht uns Unkosten. Und da wir in den Kasernen den Winter
durch nicht nur wenig Holz, und gar kein Licht bekommen haben, sondern auch
so jeg aufeinander liegen mьssen, daЯ wir wegen Dampf und Unannehmlichkeiten
unmцglich unsere Gesundheit erhalten kцnnen. Da wir doch, Gott sei Dank!
alle gesund hergekommen sind, nun aber in diesem GefдngniЯ schon viele
Eltern ihre Kinder und viele Kinder, leider Gott erbarme! ihre Eltern
verloren haben. Und wenn uns nicht geholfen wird, so mьssen wir alle
dahinsterben. Wenn wir uns bei unserem Herrn Hofrath beschweren, so giebt er
uns nichts als Scheltworte, indem er uns liederliche Leute und
Lumpengesindel schilt. Und wenn wir ihm unsere ehrlichen Attestaten weisen
wollen, so sagt - uns in dieselben. Und wenn ein rechtschaffener Mann mit
ihm wenig Wort wechselt, so droht er ihm mit Haarabschneiden und aus dem
Lande jagen. Wenn wir einen Befehl erhalten von dem Hofrat Briganez aus
Odessa, und wir wollen ihn respektieren, so schilt er denselben aufs
дuЯerste. So daЯ wir uns nicht unterstehen, ihm alles nachzusagen. Man kann
sich gegen ihn in gar keinen Stьcken verantworten, weil er von Niemanden
nichts annimmt. Er hat letzhin unsern H. SchultheiЯ Gцtz ohne einige
Ursache, mit seinem Stock auf das Herz und an den Kopf gestoЯen.
Wir bitten also eine Hochlцbliche Obrigkeit, nicht nur um Linderung unserer
betrьbten Umstдnde, sondern auch um Leistung der Gelder, sonst kцnnen wir,
einer wie der andere, uns kein Kleid anschaffen.
Wir hoffen also, nicht ungnдdiger angesehen zu werden, als die vor uns
gekommen sind. Und daЯ dieses die reine Wahrheit ist, bezeugen folgende
Unterschriften: Jakob Gцtz SchulheiЯ, Jakob Mцdinger, Johannes Kдlberer,
Matthдus Fr. Maile, Andreas Haar, Wilhelm Fr. Mohr, Jakob GroЯ, Johann Georg
Wolf, Matthдus Hagstolz, Jakob Bauer, Jakob Ildinger, Andreas Klinger und
Daniel Ekinger" (Ovidiopol im Dezember 1804 oder Januar 1805), vgl. C.
Keller a.a.O. Bd. 1, S. 33 f.
________________
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Eltern gerissen wurden, so daЯ manche Kinder ohne Vater und Mutter an dem Ort
der Ansiedlung ankamen.
Da im Jahre 1804 schon Wьrttembergische Auswanderer sich in der Krim
niederlieЯen und die Steppengegenden bei Odessa mit ihren heimatlichen Fluren
wenig Дhnlichkeit hatten, so schickten sie einige Kundschafter nach der
taurischen Halbinsel, welche fanden, daЯ die Krim und besonders die hiesige
Gegend bei Neusatz in Betreff der Berge, Tдler, Flьsse und Wдlder ein Bild ihrer
Heimat bot, so reisten sie mit Erlaubnis des Herzogs Richelieu(1) von Odessa zu
Wasser ab, stiegen in Kasslow (Eupatoria)(2) ans Land und kamen nach einem
einjдhrigen mit vielen Beschwerlichkeiten und Trьbsalen verbundenen Reisemarsche
am 24. Juni 1805 glьcklich an ihrem neuen Bestimmungsorte Kandagos bei Neusatz
an. Dieses Land hatte die hohe Krone von dem General Kandagos gekauft und den
Einwanderern zur Ansiedlung angewiesen. Es befand sich hier nur ein einzelner
Hof, welcher einigen Ansiedlern bis zum 1806 erfolgten Aufbau eigener Wohnungen
zur Unterkunft diente.
Ursprьnglich lieЯen sich 25 Familien aus den Oberдmtern Vahingen, Baknang,
Kannstadt, Waiblingen und Gцppingen, alle evangelisch-lutherischer Konfession,
allhier nieder, im Jahre 1819 aber wurde die Kolonie noch durch drei Sцhne von
Wirten vergrцЯert, so daЯ sie nunmehr aus 28(3) Wirten besteht.
Da das Dorf in ein anmutiges, friedliches Tal zu liegen kam, so wurde es von
Herrn General Kontenius(4) Friedental genannt.
Friedental ist in vielfacher Hinsicht von der Natur begьnstigt. Im Sьden ist die
Kolonie von schцner Waldung und Bergen umgeben; im Osten bildet der Bach
Burentscha(5) die Grenze, an welchem 2 Wassermьhlen mit 6 Gдngen und der
Gemeindegarten sich befinden, deren Einkьnfte der Gemeinde zufallen; im Norden
zieht sich die von hier aus sichtbare groЯe Steppe, auf welcher schon viele
infolge starker Bevцlkerung eine zweite Heimat gefunden haben, hin(6). Trotzdem
wohnen auf jeder Wirtschaft immer noch 2 bis 3 Familien(7). Kommt man von Westen
ins Dorf, so erblickt man, nachdem der 2 Werst lange hohe Berg erstiegen ist, in
einem reizenden Tal das hьbsche Dorf mit seinen Obstgдrten und Steinmauern, an
dessen lieblicher Lage sich schon viele Reisende ergцtzt haben. Hier fanden die
________________
(1) Armand Emmanuel Duplessis, Herzog von Richelieu (geb. in Paris 1766, gest.
daselbst 1822) kam 1789 nach RuЯland, wurde im Tьrkischen Kriege
Generalleutnant, 1803 Stadthauptmann von Odessa, 1805 Kriegsgouverneur von
Cherson und Generalgouverneur von NeuruЯland. Er war ein ausgezeichneter
Verwaltungsbeamter und Kolonisator, der grцЯtes Interesse auch den deutschen
Siedlungen entgegenbrachte (vgl. I PSZ Bd. 27, Nr. 20989) und besonders auf
eine Stдrkung und Hebung des kulturellen Lebens in NeuruЯland bedacht war.
Seine Rьckkehr nach Frankreich 1815 wurde in RuЯland allgemein bedauert.
Vgl. Sbornik Imp. Russkogo Istoriceskogo Obscestva (Sammelband der Kais.
Russischen Historischen Gesellschaft) Bd. 54, Petersburg 1886.
(2) = Kozlow, vgl. S. 30 Anm. 1.
(3) 1857: 11 Wirtschaften (141 Mдnner) auf 682 Desj. und 18 landlose Familien
(123 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 42.
(4) Contaenius war nicht General, vgl. S. 9 Anm. 2.
(5) Dieser FluЯname lieЯ sich sonst nicht feststellen.
(6) d.h. auf selbstgekauftem Lande.
(7) Es fдllt auf, daЯ in diesen Berichten aus der Krim Unterschied zwischen
landbesitzenden und landlosen Familien gemacht wird.
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Schwaben ihre Heimat wieder, wo auch gesundes Wasser und gute Bausteine mit
geringer Mьhe zu haben sind. In der Mitte des Dorfes an der QuerstraЯe befinden
sich Betsaal, Schule und Gemeindehaus. Hдuser und Stдlle der Wirte sind von
Stein gebaut und mit Ziegeln gedeckt. Fast auf jedem Hof ist ein 40 bis 50 FuЯ
tiefer mit Stein ausgemauerter Brunnen mit gutem Quellwasser.
Mit dem in nдchster Nдhe gelegenen Neusatz teilten die Bewohner Friedentals in
den ersten Jahren der Ansiedlung und auch spдter das gleiche Schicksal.
Im Jahre 1822 erbauten sie aus eigenen Mitteln ein Bethaus und kauften eine
Glocke. Bis zu dieser Zeit hatte der aus der Zahl der Gemeindeglieder gewдhlte
Lehrer Schule und Gottesdienst in einem Privathause gehalten. Mit dem Aufbau des
Bethauses schien die Freundlichkeit Gottes sie zu beleuchten, indem in der
Person des Pastors Boerlin(1) aus der Schweiz ein Seelforger zu ihnen kam, der
ihre unsterblichen Seelen mit dem Brot des Lebens reichlich erquickte. Da ihnen
Gott fьnf Jahre nach einander durch Heuschreckenschwдrme das Brot des Lebens
entzog, so schmeckte unter Jammer und Trьbsal das Lebensbrot umso sьЯer. Im
Jahre 1826 entriЯ ihnen Gott nach vierjдhrigem Wirken ihren teuren Seelsorger
durch einen schnellen Tod im Alter von 27 Jahren, aber die Frucht seines Wirkens
ist heute noch in gesegnetem Andenken. Wдhrend einer erneuten Heuschrieckenplage
versammelte sich die Gemeinde fast tдglich zu ernstlichem Gebet im Bethause,
worauf Gott die Plage wegnahm und gьnstige, gesegnete Jahre schenkte. Auch
erhielten sie wieder aus dem Missionshause in Basel, einen Seelsorger, Wilhelm
Fletnitzer(2), dessen herablassende Liebe, wirksame Tдtigkeit, reger Eifer
besonders in der Schulverbesserung nicht ohne Frucht blieb. In dem
heranwachsenden Geschlecht zeigte sich reges Leben in geistlicher und
wirtschaftlicher Hinsicht. Nachdem Fletnitzers Wirksamkeit durch seine
Versetzung nach Odessa nur bis zum Jahre 1831 dauerte, so ist die Dankbarkeit
unter der jungen Manschaft doch noch bis heute rege, die unter seiner Leitung
die Schule genossen hat. Gegenwдrtig bekleidet Pastor Kylius, aus Baden gebьrtig
und im Baseler Missionshause gebildet die Pfarrstelle(3).
Wie viele Gegenden, so wurde auch die hiesige Kolonie in den Jahren 1833 und
1834 von MiЯwachs und Viehseuchen heimgesucht. Da das Dorf sehr bevцlkert ist
und eine Wirtschaft, die hier nur 23 Dessj. besitzt, auf 2 bis 3 Familien kommt,
so erholte sich die Gemeinde von diesen Wunden langsam, doch sind nicht bloЯ die
Hцfe gut ausgebaut worden, sondern 5 Wirte haben sich auch eigenes Land gekauft
und andere haben sich Lдndereien gepachtet.
Der Haupterwerbszweig ist der Kartoffelbau. Die hiesige Kartoffel zeichnet sich
durch Gьte Schmackhaftigkeit aus und wird nicht bloЯ nach Simferopol und
________________
(1) Ursus Boerlin, vgl. S. 32 Anm. 4.
(2) Vgl. S. 33 Anm. 1.
(3) Vgl. S, 33 Anm. 2. Nachdem die russische Regierung 1810 versucht hatte,
durch Vermittlung des in Petersburg weilenden Sareptaner Anders Geistliche
fьr NeuruЯland zu gewinnen, ging sie 1819 auf den Vorschlag des Baseler
Missionsinstituts, das durch Pinkerton auf SьdruЯland aufmerksam gemacht
worden war, ein, sechs Basler Zцglinge nach RuЯland zu berufen unter der
Bedingung, daЯ sie den Ordinationseid leisten, sich auf 6 Jahre binden und
sich nicht Missionare nennen, vgl. Bienemann a.a.O. S. 95 ff.
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Karasubazar, sondern auch in alle ьbrigen Stдdte der Krim: Teodosia, Kertsch,
Armjansk, Eupatoria, Sewastopol und Jalta versandt.
Seit 1843 macht der Obstbau durch Veredlung der groЯen, wilden Obstbдume hier
bedeutende Fortschritte. Seit 1844 ist der Fortschritt der Kolonie durch
ungьnstige Witterung sehr gehemmt; zudem ist im Winter 1845 auf 1846 wieder die
Viehseuche aufgetreten und hat manchen Wirten fast alles Vieh geraubt. Obgleich
schon seit einigen Jahren besonders die Kartoffel nicht mehr gedeihen wollte, so
war doch die Ernte noch nie so schlecht wie im Jahre 1847. Im besten Wachstum
starben sie plцtzlich ab, und [manches Stьck Land] mit 5 Tschetwert Aussaat hat
bei der Ernte kaum ein Tschetwert ergeben. Die Getreideernte war gering, und die
Heuernte war fast ganz fehlgeschlagen, so daЯ im Winter ein auЯerordentlicher
Futtermangel entstand.
Heuer stehen die Kornfelder schon im April vцllig in den Дhren, und alles ist im
schцnsten Flor, selbst die seit einigen Jahren vertrockneten Wasserquellen sind
aufs neue hervorgebrochen. Somit hat Gott der Herr die gesunkene Hoffnung wieder
belebt.
Schulz Wilhelm Sailer. Beisitzer: Christian WeiЯ. Konrad Traxel. Schullehrer und
Gemeindeschreiber Johann Georg Birnbaum.
3. Kronental(1)
Abdruck der von J. Stach angefertigten und im Sammelbesitz
Georg Leibbrandt befindlichen Abschrift aus dem ehemaligen
Archiv des "Fьrsorgekomitees".
Auf Allergnдdigst bewilligtes Reisegeld und Land zur Ansiedlung seitens Ser
Majestдt des hochseligen Kaisers Alexander I. haben sich im Jahre 1809 aus
ElsaЯ, Baden, der Pfalz und Rheinbaiern viele Familien gefunden, welche sich von
dem Herrn Kommissдr Betmann in Frankfurt am Main(2) Reisepдsse nach dem
sьdlichen RuЯland ausstellen lieЯen, um sich dort anzusiedeln. Sie reisten von
Hause auf eigene Kosten in mehreren Partien und in verschiedenen Zeitrдumen ab.
Ihr nдchster Weg wдre ьber Ulm, Regensburg und Wien gegangen, allein die in
dieser Gegend sich befindenden, feindlichen Truppen verursachten, daЯ sie ihre
Marschrute durch Sachsen, PreuЯen und preuЯisch Polen bekamen. In Biela an der
Grenze Galiziens kamen viele zusammen, verweilten einige Tage, bis sie das erste
von der Krone erteilte Nahrungsgeld bekamen, und reisten durch Militдr
beschьtzt bis nach Jekaterinoslaw, wo ьberwintert wurde. Der GenuЯ des auf der
Reise hдufig angetroffenen mit roten Wьrmchen angefьllten Wassers und die
Ungwohntheit des Klimas erzeugte daselbst eine hitzige Krankheit, welcher ein
groЯer Teil erlag.
Im April des Jahres 1810 setzten sie ihre Reise wieder fort und kamen am 9. Mai
glьcklich in der Stadt Simferopol an. Von da begleitete sie der Herr Gouverneur
________________
(1) Rissischer Name: Bulganak. Vgl. auch Malinowsky a.a.O. S. 26 ff.
(2) d.h. vom dortigen russischen Konsul. - 1809 wanderten 980 Kolonistenfamilien
ein, vgl. Varadinov a.a.O. Bd. 1, S. 236, obgleich bereits 1805 die Zahl der
zur Einwanderung Zuzulassenden auf 200 Familien jдhrlich beschrдnkt war,
vgl. I PSZ Bd. 28 Nr. 21837.
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Borosdin(1) auf das von ihm an die Krone verkaufte Gut an dem Bache Bulganak, 25
Werst westlich von Simferopol und 12 Werst ostwдrts vom Schwarzen Meer. Hier
fanden 48 Familien mit 148 Seelen weder Obdach noch Lebensmittel. Sie bauten
sich Hьtten aus ihren Wagendecken, bis vom damaligen Herrn Inspektor Hofrat
Gsell(2) Anstalten zum Bau der Hдuser getroffen wurden. Zu diesem Zweck bekam
etwa der zehnte Teil der Familien, die zusammen noch etwa 5000 Rub. banko eigene
Mittel hatten, je 350 Rubel banko von der hohen Krone(3). Die Unbemittelten,
denen die ihnen zukommende Summe nicht gleich ausgezahlt wurde, konnten erst im
Jahre 1811 ihre Wohnungen bauen. Ьber den Winter erfroren einige, die in den
Hьtten wohnen muЯten, ihre Glieder, andere wurden gegen das Frьhjahr krank und
fanden schon im zweiten Jahr ihr Grab.
Die aus verschiedenen Staaten und Цrtern stammenden Familienvдter konnten sich
ьber den Namen des Dorfes nicht einig werden. Da sagte Herr Gsell: "Schon
mehrere Dцrfer heiЯen "-tal", und dies soll "Kronental" heiЯen. So blieb es
auch.
Zu dieser Zeit bekleideten die oberst Stelle bei der Kolonialverwaltung die
Herren: Herzog von Richelieu(4), General der Infanterie von Inzow(5), Fadejew(6)
un Kontenius, welche den Kolonisten nicht geringe Gunst angedeihen lieЯen, ohne
welche es ihnen in ihrer Armut sehr schlecht ergangen wдre. Nдchst ihnen waren
die Herren General Baschmakow(7), Borosdin(8) und Monsieur l'abbй N.(9), welche
nicht minder beigetragen haben, diesen Leuten aus ihrer Not zu helfen.
________________
(1) Andrej Michajlowitsch Borozdin (1765-1828) war 1807-1816 Zivilgouverneur von
Taurien, vgl. ьber ihn: Russkij Biograficeskij Slovar s.v. Borozdin sprach
ein gutes Deutsch und beschдftigte auf seinen Gьtern deutsche Schafmeister
(z.B. Friedrich Doering und Matthдus Lehmann), vgl. Doering a.a.O. S. 252 f.
(2) Die Inspektoren der Krim unterstanden unmittelbar der Krimmer Inspektion,
vgl. S. 55 Anm. 1.
(3) vgl. S. 31 Anm. 2.
(4) Als Kriegsgouverneur von Cherson (vgl. S. 30 Anm. 2) besaЯ Richelieu (vgl.
S. 35 Anm. 1) gleichzeitig die Oberaufsicht ьber die Kolonien. Das
Zustдndigkeitsbereich zwischen dem Fьrsorgekontor einerseits und den
Chersoner Kriegsgouverneuren andrerseits in Angelegenheiten der deutschen
Kolonien bedarf noch - trotz I PSZ Bd. 27, Nr. 20988 - einer Klдrung.
(5) vgl. S. 108 Anm. 3.
(6) Andrej Michajlowitsch Fadejew, geb. 1789 in Jamburg, Gouv. Petersburg, gest.
1867 in Tiflis, war zunдchst als Mitglied (1815-1818) und danach als
Vorsitzender (1818-1844) des Fьrsorgekontors in Jekaterinoslaw, sowie als
Mitglied des Fьrsorgekomitees in Odessa (1834 bis 1835) und als
Zivilgouverneur von Saratow (1841-1846) stets um das Wohl der deutschen
Kolonisten besorgt. Eine herzliche Freundschaft verband ihn mit Contaenius.
In den Jahren 1824 bis 1825 arbeitete er eine Instruktion fьr die Kolonien
aus, die und leider unbekannt geblieben ist. 1837 schlug er fьr das
Wolgagebiet eine neue Landordnung vor, nach der nur ackerbauende Familien
Land zu erblichem Besitz erhalten sollten. Er verlangte die Vornahme von
Aussiedlungen, um der Landnot zu steuern, Vgl. ьber ihn: Russkij
Biograficeskij Slovar s.v. und seine aufschluЯreichen Erinnerungen im
Russkij Archiv (Russisches Archiv), Petersburg 1891.
(7) Ьber Baschmakow lieЯ sich nicht Nдheres ermitteln.
(8) vgl. oben Anm. 1.
(9) Dominique Charles Nicolle, ein Freund von Richelieu, war 1811-1820 Visitator
aller katholischen Kirchen in SьdruЯland. In der Geschichte des russischen
Bildungswesens kommt ihm eine hervorragende Stelle zu, vgl. Keller a.a.O.
Bd. 1, S. 83-86.
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Vor 7 Jahren ist an die Stelle jener Herren Se Exzcellenz der Herr Staatsrat von
Hahn(1) getreten, durch welchen alle guten Anstalten, Einrichtungen und das
allgemeine Wohl der Kolonisten mдchtig gefцrdert werden. Namentlich durch die
belehrenden Zirkularbefehle und die Bekanntmachungen des seit einigen Jahren
erscheinenden Unterhaltungsblattes(2) und mehrere andere Anordnungen wird viel
Segen gestiftet.
Kronental liegt in dem 35 Werst langen Bulganaker Tal durch halbkahle,
bedeutende Anhцhen von Norden und Sьden dem Wanderer verdeckt und von den
anderen Kolonien ganz abgesondert. Die nдchste Kolonie, Neusatz, is 50 Werst
entfernt. In der Mitte zwischen Neusatz und Kronental liegt die
Gouvernementsstadt Simferopol, 25 Werst gegen das sьdliche Gebirge liegt die
Stadt Baktschisarai, 40 Werst gegen Sьdwest Sewastopol mit seinem Kriegshafen
und ebenso weit gegen Nordwest die Hafenstadt Kosslow(4) oder Eupatoria.
Der Bach Bulganak ist nicht so schцn, als das Wasser gut ist. In Ermangelung
guten Brunnenwassers wird es im Winter von den meisten Bewohnern des oberen
Dorfes benutzt; im Sommer weniger, weil es in warmer Jahreszeit sehr schlammig
und trьb ist. Da dieser Bach auch in der heiЯesten Jahreszeit nie ganz
ausbleibt, so ist er fьr das Dorf von groЯer Bedeutung. Ьberdies treibe er in
zwei Mьhlen 4 Gдnge, von welchen die Gemeinde jedoch unbedeutende Einnahmen
erzielt.
An der Sьdseite des Dorfes am Bache liegen gegenwдrtig mit Mauern eingezдunte
Wein-, Obst- und Gemьsegдrten, ober- und unterhalb des Dorfes Wein- und
Obstgдrten. Diese und die schцnen vor den Hдusern gepflanzten Akazien und
tьrkischen Weidenbдume (Eleagnus?)(5) mit ihren wohlriechenden Blьten erfreuen
die Bewohner des Dorfes und jeden Fremdling. Die StraЯe ist eng, die mit Mauern
umgebenen Hofplдtze klein; seit einigen Jahren werden im Dorf und auЯerhalb
desselben neue Hдuser gebaut. Die neuen Hдuser und StraЯen auЯerhalb des Dorfes
bilden jetzt einen Winkel mit der alten StraЯe. Ungefдhr in der Mitte des Dorfes
________________
(1) vgl. S. I.
(2) Als Kiselew die Leitung des Domдnenministeriums ьbernahm (vgl. S. 93, Anm.
2) sah er eine seiner Hauptaufgaben in der Hebung des Bildungsniveaus der
russischen Bauern durch Grьndung von Schulen und Schaffung eines geeigneten
Lesestoffs. Fьr die gleichfalls dem Domдnenministerium seit 1837
unterstehenden deutschen Kolonien wurde 1846 das "Unterhaltungsblatt fьr
deutsche Ansiedler im sьdlichen RuЯland" gegrьndet, dessen Ziel es war, die
wirtschaftliche Kultur durch belehrende Aufsдtze, Wirtschaftsberichte und
lobende Erwдhnung besonders erfolgreicher Wirte zu heben. Seit 1847 war
Johann Heinrich Sonderegger Schriftleiter und Cornies (vgl. S. 96 Anm. 1)
einer der eifrigsten Mitarbeiter, vgl. Deutsche Post aus dem Osten. Jg. 9,
1934, Nr. 7 S. 15-17.
(3) vgl. S. 33, Anm. 2.
(4) = Kozlow, vgl. S. 30 Anm. 1.
(5) soll heiЯen Claeagnus.
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steht das neue katholische Bethaus; auf den jetzt noch leeren Raum neben
demselben soll das evangelische gebaut werden. Die zwei Schulhдuser stehen auf
beiden Seiten des Kirchenplatzes. Die Lutheraner benutzen jetzt noch das alte
Bethaus unten am Dorfe bis ihre Mittel hinreichen werden ein neues zu bauen.
Seit 6 Jahren ist an der Sьdseite des Dorfes ein Gemeindegarten mit 700
verschiedenen Sommer- und Winterobstbдumen angelegt, welcher durch unten am
Dorfe endigende Anhцhe von der Kolonie aus nicht sichtbar ist. Dieser Garten
nebst der seit 5 Jahren angelegten "Allee" genannten Anpflanzung von Waldbдumen,
an welcher jeder Wirt einen bestimmten Anteil hat, gewдhren einen hьbschen
Anblick, allein das ungьnstige Klima lдЯt fьr Bдume nur wenig hoffen.
Es ist zu bemerken, daЯ diese Kolonie noch kein so schцnes ДuЯeres hat, als
manche andere. Was ist die Ursache? - Sie ist die letzte der in ihrer Epoche in
der Krim gegrьndeten Kolonien; die erste Generation war der russischen und
tartarischen Landessprache, sowie als Handwerker der Landwirtschaft unkundig und
hoffte immer noch irgendwo anders hin ьbergesiedelt zu werden. Weil aber indes
nichts erreicht und die Not immer grцЯer wurde, so versuchte der aus dem ElsaЯ
gekommene, jetzt verstorbene Michael WeiЯ Weinreben zu setzen, litt wegen
derselben geduldig alle Drangsale von seinen Mitgenossen und fuhr in seinem
FleiЯe beharrlich fort, bis er seine Absicht erreicht hatte, die augenscheinlich
darin bestand, die folgenden Geschlechter glьcklicher zu machen. Seine ersten
Nachfolger im Weinbau waren Peter Schneider u.a. Als die ьbrigen sahen, daЯ jene
reiche Weinlesen hatten, folgten sie alle ihrem Beispiel.
Seit 25 Jahren sind die Weinstцcke alle Jahre vermehrt worden, so daЯ man
gegenwдrtig davon 280000(1) zдhlt und die besten Einnahmen davon hat. Im Sommer
leiden die Felder und Anpflanzungen oft durch ьbermдЯige Hitze und Dьrre, was in
den ersten Jahren der Ansiedlung mehrere scharfsinnige Ansiedler vorausgesehen
und sich dadurch der Trдgkeit und dem Wunsche ьberzusiedeln ergeben haben.
Der Februar ist gewцhnlich warm, manchmal schon der Januar, wodurch die
Frьhobstbдume zu bald zum Blьhen gebracht werden. Blьte und Fruchtansatz
zerstцren dann die regelmдЯig eintretenden Frцste des Mдrzmonats. Das spдte Obst
fressen die unvertilgbaren Raupen. Viele Setzlinge des jungen Waldes sind ein
Opfer der trockenen Jahrgдnge geworden, doch treiben die noch gesunden Wurzeln
aufs neue.
Die zwei Konfessionen(2) in dieser Kolonie verursachen doppelte Ausgaben fьr
Kirche und Schule, - ein Umstand, der ebenfalls den Fortschritt der Kolonie
hemmt. Schlimmer jedoch sind die Folgen des MiЯwachses, der
Heuschreckenverheerungen, der Ьberschwemmungen, des Hagelschlags, der
Viehseuchen, der Diebstдhle und anderer Unglьcksfдlle gewesen.
________________
(1) gegen 8300 im Jahre 1825, vgl. Rempel a.a.O. S. 15.
(2) d.h. eigentlich drei: katholisch, lutherisch und reformiert. Letztere
"Halten streng am Brode statt der Oblate, das gebrochen und ihnen in die
Hand gegeben werden muЯ, und fassen selbst den Kelch an und heben ihn drei
Mal; sonst ist ihnen kein Unterschied der beiden Konfessionen bewuЯt und die
leben mit einander, wie mit den Katholischen in Eintracht", vgl.
Mitteilungen und Nachrichten fьr die evangelische Geistlichkeit RuЯlands,
Bd. 13, 1857, S. 96.
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Die Kolonie hat seit ihrer Ansiedlung 8 Familien zugezдhlt bekommen und belдuft
sich gegenwдrtig auf 56 Familien, deren jede 56 Dssj. Land in NutznieЯung
hat(1). Die Zahl der evangelischen und katholischen Seelen betrдgt je 500. Von
den alten Einwanderern, die sich noch ihres deutschen Vaterlandes erinnern,
leben noch einige zwanzig Personen.
Kronental, Chr. H. Stoerrle,
d. 24. Mai 1848. Schullehrer der evangelischen
Schule und Gemeindeschreiber.
Schulz Fidelius FriЯt I. Beisitzer Friedrich ZeiЯler.
II. Beisitzer Michael Wiedrich.