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Gemeindeberichte der Schwarzmeerdeutschen 1848.doc
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VII. Das Mariupoler Kolonisten- und Mennonitengebiet(4)

Geschichtliche Ьbersicht der Grьndung und des Bestehens der

Kolonien des Mariupoler Kolonisten- und Mennoniten-Bezirks bis

zum Jahre 1848. Aus archivalischen Quellen herausgegeben von

J. Stach.

Abdruck aus: Jahrbuch des "Landwirt" fьr das Jahr 1914, 2. Jg.,

Eugenfeld (1913), S. 143-171.

1. Kirschwald(5a)

Die Kolonie ist im Jahre 1823 gegrьndet worden. Sie liegt am FlьЯchen Kaltschik

und grenzt цstlich und sьdlich an das Griechendorf Klein-Janissol, westlich und

________________

(1) 1857: 35 Wirtschaften (121 Mдnner) auf 2100 Desj. und 3 landlose Familien

(13 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 30.

(2) Peter Schmidt scheint sich in Schlangendorf nicht niedergelassen zu haben,

vgl. Isert a.a.O. S. 20.

(3) = Shitomir.

(4) Ьber die hier fehlenden Berichte vgl. das Vorwort.

(5) Russischer Name: Wischnewataja.

Die deutschen Kolonien des Schwarzmeergebiets haben z.T. verhдltnismдЯig

spдt russische Namen erhalten. Den AnlaЯ dazu bot eine Eingabe aller

stimmberechtigten Mennoniten der Kolonie Schцneberg and die russische

Regierung vom 3. Mдrz 1893 mit der Bitte um Gewдhrung eines russischen

Kolonienamens, weil sie aus der Umbenennung Dorpats zu ersehen glaubten, daЯ

die Zugehцrigkeit aller Ansiedlungen in RuЯland zum russischen Staat auch

schon rein дuЯerlich durch russische Benennungen zutage treten solle, vgl.

Mennonitische Blдtter, Jg. 40, 1893, Nr. 9, S. 70-71.

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nцrdlich an die deutschen Kolonien Rosengart und Tiegenhof, von welch letzterer

sie nur eine halbe Werst entfernt ist. Ihre Entfernung von der

Gouvernementsstadt Jekaterinoslaw betrдgt 230, von der Kreisstadt Alexandrowsk

150 Werst. Ihr Land, sandig und steinig, voll tiefer Tдler und steiler Anhцhen,

eignet sich weniger zum Getreidebau, als das der anderen benachbarten Kolonien,

dagegen geht die Baumzucht und der Gemьsebau dank der niederen feuchten Lage des

Dorfes gut vonstatten.

Der ehemalige Oberschulz und hiesige Kolonist Michael Reddig gab der Kolonie den

Namen seines preuЯischen Heimatdorfes Kirchwald. In dieser Kolonie haben sich 26

Familien aus dem Elbinger Kreise, Regierungsbezirk Danzig, angesiedelt, welche

sich mit Ausnahme einiger rцmisch-katholischer Seelen, zur

evangelisch-lutherischen Kirche bekannten. Die um das Wohl der Kolonie besorgten

Mдnner, Staatsrat Kontenius und Oberrichter Fadejew, werden die Ansiedler in

dankbarem Andenken bewahren. Bei der Ankunft der ersten Ansiedler war die Steppe

unbewohnt, doch bauten sich die Einwanderer zum Schutz gegen Regen und Stьrme

Erd- oder Bretterhьtten. Die jetzt bewohnten Hдuser wurden in den Jahren 1823

und 1824 aufgefьhrt.

Die Einwanderer sind in kleinen Gruppen ohne Anfьhrer in den Jahren 1818 und

1819 nach RuЯland gekommen und haben sich bis zum Jahre 1823 im Molotschnaer

Kolonisten- und Mennonitenbezirke aufgehalten, woselbst sie sich teils durch

ihre im Vaterland erlernte Profession, teils durch Feld- und Tagelцhnerarbeit

solange ernдhrt haben, bis sie im Jahre 1823 ihre Ansiedlung bewerkstellen

konnten(1). Damit die unvermцgenden Ansiedler in den Stand gesetzt wurden, ihre

Hдuser zu erbauen und Vieh anzukaufen, wurde ihnen von der hohen Krone nach dem

Verhдltnis ihrer Bedьrftigkeit 350 order 417 Rubel banko auf die Familie

vorgeschossen(2). Einige kamen jedoch auch ohne VorschuЯ aus. Aus dem frьheren

Vaterlande haben die Kolonisten wenig oder garnichts mitgebracht.

Gleich nach der Niederlassung in den Jahren 1823 bis 1825 erlitten die noch

wenig angebauten Getreidefelder groЯen Schaden durch die die Sonne verdunkelnden

Heuschrekkenschwдrme. Im Januar und Februar 1825 ging bei den groЯen

Schneemassen und starkem Frost viel Vieh ein. Im Jahre 1827 fiel das unlдngst

angekaufte und mit Kummer und Mьhe durchgebrachte Vieh einer verheerenden Seuche

zum Opfer. Das traurige Jahr 1833(3) brachte auЯer einer neuen TotalmiЯernte

auch wieder eine Viehseuche, welche beinah alles Vieh dahinraffte, welches man

es nicht vorher schon fьr einen Spottpreis verkauft hatte. Um das hungernde Vieh

durchzufьttern wurden die Strohdдcher abgedeckt. Das furchterregende Erdbeben

am 11. Januar 1838 um 9 Uhr abends verursachte keinen Schaden. Die Jahre 1838,

1846 und 1847 waren mit besonders reichlichen Ernten gesegnet. Auf Befehl der

Obrigkeit sind 13 Dessjatinen mit einer Waldplantage(1) besetzt worden, wodurch

________________

(1) 1857: 26 Wirtschaften (79 Mдnner) auf 1560 Desj. und 12 landlose Familien

(40 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 32.

(2) Der ьbliche KronsvorschuЯ betrug 1823 3-400 Rbl. banko, wie die vorliegenden

Berichte ergeben.

(3) Die MiЯernte des Jahres 1833 hatte einige wichtige landwirtschaftliche

Reformen zur Folge. So ordnete damals z.B. Joh. Cornies die Schwarzbrache

zunдchst fьr die Kolonien an der Molotschna an, vgl. Schroeder a.a.O. S. 39.

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nicht blos die Kolonie verschцnert, sondern auch der Seidenbau ermцglicht worden

ist.

Verfasser: Schullehrer Gras

Schulz: Reddig

Beisitzer: Koschke, Eichholz

Kirschwald, am 30. Mдrz 1848.

2. Tiegenhof(2)

Tiegenhof ist im Jahre 1824 an der rechten Seite des Flusses Kermentschik durch

Anlegung von Hдusern gegrьndet worden, nachdem eine auf ihrem Lande an einem

weiter gelegenen Tal im Jahre 1823 mit Erdhьtten begonnene Niederlassung wegen

Mangel und schlechter Beschaffenheit des Wassers aufgegeben worden war. Die

Kolonie ist von Jekaterinoslaw 250, von Alexandrowsk 180 und von Mariupol 60

Werst entfernt. Der schwarze, mit Sand und stellenweise auch mit Steinen

vermischte Boden ist uneben. Fьr das Wintergetreide ist er zu leicht und fьr

Sommergetreide an vor Wind geschьtzten Stellen von mittelmдЯiger Fruchtbarkeit.

Innerhalb der Grenzen seines Landgebietes besitzt Tiegenhof eine gute

Sandgrube, eine Grube mit weiЯer, zum AnweiЯen der Stuben geeigneten Kalkerde

und eine Grube von gelber Erde, die zum Anstreichen der Bдume und

Holzgerдtschaften zu gebrauchen ist. In gebranntem Zustande gibt diese Erde eine

rote Farbe.

Ihren Namen erhielt die Kolonie, weil die Mehrzahl der Ansiedler aus dem

Marktflecken des Danziger Regierungsbezirks Tiegenhof stammten. Ursprьnglich

wurden 27 Wirtschaften von im Jahr 1819 aus dem Chortitzer und Molotschnaer

Bezirke eingewanderten PreuЯen angelegt, 3 freigebliebene Wirtschaften wurden

spдter von jungen Kolonisten angebaut(3).

Da diese Steppe frьher von den anwohnenden Griechen nur zur Viehweide benutzt

worden war, so fanden die Ansiedler keine Wohnungen vor und muЯten sofort zum

Bau von Erdhьtten schreiten. Zum Ankauf von Vieh, Saatgetreide und

Baumaterialien wurden ihnen 10,800 Rubel banko von Sr. Majestдt dem Kaiser und

Herrn Alexander Pawlowitsch vorgestreckt. Die ersten im Jahre 1824 angebauten

Getreidefelder wurden, als sie gerade am ьppigsten dastanden von Heuschrecken

sehr beschдdigt. Ein noch grцЯeres Unglьck entstand am Anfang des Jahres 1825

durch ein schreckliches Schneegestцber, wodurch das nicht zu gehцriger Zeit und

ungenьgend mit Futter und Wasser versorgte Vieh teilweise verschmachtete und die

Menschen unter der Schrecklichen Kдlte empfindlich litten. Im Jahre 1827

gerieten die Ansiedler durch eine 9/10 des Viehbestandes dahinraffende Seuche in

groЯe Armut. Nachdem sie sich in den Jahren 1828/32 etwas erholt hatten,

________________

(1) Auf die Notwendigkeit der Anlage von Waldplantagen zur Erhцhung der

Bodenfeuchtigkeit hatte mehrfach auch Peter von Koeppen hingewiesen, vgl.

seine Schrift: Ьber einige Landesverhдltnisse, passim (auch Teetzmann: Ьber

die Sьdrussische Steppen, ebenda).

(2) Russischer Name: Jasinowka.

(3) 1857: 29 Wirtschaften (87 Mдnner) auf 1740 Desj. und 3 (sic) landlose

Familien (125 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 32.

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entstand durch die totale MiЯernte des Jahres 1833(1) eine furchtbare

Hungersnot, der das meiste Vieh zum Opfer fiel und die Menschen nur dank der

Unterstьtzung seitens Einer hohen Krone dem Hungertode entgingen. In dieser Zeit

hat sich die Sittlichkeit in der Kolonie gehoben, indem Pastor Holtfreter(2)

auЯer den Sonntagen auch noch an 2 Wochentagen Gottesdienst hielt. Diese

Gottesdiensttage wurden BuЯ- und Bettage genannt. Am 11. Januar 1838 um 8 Uhr

abends verspьrt man bei stillem Wetter und grimmiger Kдlte eine starke

Erderschьtterung mit unterirdischem Getцse. Цfen, Tische, Stьhle und Wiegen

gerieten ins Schwanken und verursachten eine furchtbare Angst. Doch ging die

Gefahr ohne verheerende Folgen glьcklich vorьber. Das Jahr 1838 zeichnete sich

durch einen auЯerordentlichen Erntesegen aus, wodurch der Wohlstand der Kolonie

aufblьhte.

Da die Kolonisten in der Folgezeit starke Neigung verspьrten, wieder auf den

alten Ansiedlungsort zurьckzukehren, um mehr in der Mitte ihres Landgebietes zu

sein, wurde die im Jahre 1844 auf obrigkeitlichen Befehl angelegte Waldplantage

vernachlдssigt, bis im Jahre 1846 der Wirkliche Staatsrat von Hahn den Ort in

Augenschein nahm und den Kolonisten befahl, an ihrem bereits angebauten und

bepflanzten Ort zu bleiben, worauf sie ihre Anpflanzungen fleiЯiger und

sorgfдltiger weiterfьhrten.

Durch die Anlegung der Waldplantagen und Einzдunung der Hцfe mit Holzzдunen hat

die Kolonie bedeutend an Schцnheit zugenommen. Die reichlichen Ernten der

letzten Jahre, die zweckmдЯigen Anordnungen eines hohen Fьrsorgekomitees und

nicht zum wenigsten das vom Herrn Inspektor(3) dieses Kolonistenbezirks in

Gemeinschaft mit dem Herrn Pastor Holtfreter ausgearbeitete Sittengesetz,

welches anfangs alle Monate bei versammelter Gemeinde im Schulzenamt vorgelesen

wurde, haben die Kolonie in einem ziemlich blьhenden Zustand gebracht.

Schulz: Klein

Beisitzer: Wittowsky, Brodd.

3. Rosengart(4)

Die Kolonie wurde 1823 gegrьndet. Sie liegt an der rechten Seite des kleinen

Flusses Kaltschik und zwar unweit seines Ursprungs. Derselbe ergieЯt sich

oberhalb der Stadt Mariupol in den grцЯeren Kalmius, welcher bald darauf ins

Asowsche Meer mьndet.

________________

(1) Vgl. S. 95.

(2) Christian Eduard Holtfretter, geb. in Riga 1806, studierte in Dorpat

Theologie 1826-1831 und wurde Mдrz 1831 in der St. Petrikirche zu Petersburg

ordiniert. Als Pastor des Kirchspiels Grunau hat er besonders viel fьr die

Hebung des sittlichen und des geistigen Lebens unter den Kolonisten getan,

vgl. die demnдchst in dieser Reihe erscheinende Chronik von Grunau, ferner

Mitteilungen und Nachrichten fьr die evangelische Kirche in RuЯland, Bd. 63,

1910, S. 472 (wo fдlschlich behauptet wird, Holtfretter habe in Deutschland

studiert) und Album Academicum der Kais. Universitдt Dorpat. Dorpat 1867,

Nr. 2182.

(3) Wohl Stabsrittmeister von Stempel, vgl. S. 167.

Wieviel Inspektoratsbezirke es in der ersten Hдlfte des 19. Jhs. im

Schwarzmeergebiet gab, ist vorlдufig noch ungewiЯ. Vgl. aber hierzu den

Kolonistenkodex Kap. 2, Abt. 1, P. 12 im Svod zakonov Rossijskoj Imperii

(Gesetzeskodex des Russischen Imperiums), Ausgabe 1857, Bd. 12, Teil 2, S.

6.

(4) Russischer Name: Rajgorod.

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Die Ufer des Kaltschik bestehen aus einem steinigten Erdreich, Grand und Felsen.

Bei der Kolonie sind nur Grandsteine. Vermittelst eines aufgeschьtteten Dammes

haben die Kolonisten eine Viehtrдnke gerade and der Stelle angelegt, wo das Vieh

hinьber getrieben wird, wenn man es auf die Weide bringt. Das Dorf ist in seiner

Lдnge 2 mal gebogen. Die nдchste See- und Handelsstadt Mariupol ist 50 Werst

entfernt, die Kreisstadt Alexandrowsk 180, die Gouvernementsstadt Jekaterinoslaw

250 Werst.

Der hьgelige Boden ist bei guter Witterung ziemlich ergiebig und bringt ziemlich

viel Gras hervor, worunter sich viel Steinklee und blaue Wicken befinden. Mit

Ausnahme des Winterweizens gedeihen hier alle Getreidearten. Der Winterweizen

friert hier aus, weil die Erde selten genьgend mit Schnee bedeckt ist. Der

Winterroggen, welcher mehr Frost vertrдgt, gibt meistens gute Ernten. Der

verstorbene Dorfschulze Heinrich Wegener gab zur Erinnerung an die liebe Heimat,

wo auch ein Dorf "Rosengart" sich befindet, der Kolonie ihren Namen.

Anfangs lieЯen sich hier 28 Familien als Landwirte und eine Familie als Anwohner

nieder(1). Alle stammen aus dem Elbinger und Marienburger Kreise im Danziger

Regierungsbezirke. Von den Grьndern befinden sich nur noch 3 ganze Familien am

Leben. Die Familien aus dem Marienburger Kreise sind aus dem Dorfe Augustwalde

am Flusse Sorge, die anderen Gemeindemitglieder sind aus Robach, teils von

Hackendorf, welche Dцrfer so nah zusammenliegen, daЯ sie von jedem Reisenden fьr

ein Dorf gehalten werden.

Die hiesigen Ansiedler sind zu 2-5 Familien zum Teil zu FuЯ eingewandert, und

zwar sind 10 Familien im Jahr 1818 und 19 Familien im Jahre 1819 angekommen. Sie

haben sich bis zum Frьhling 1823 in den Molotschnaer Kolonien aufgehalten, wo

sie sich mit allerhand Handwerken ernдhrten. Einen Anfьhrer haben die Kolonisten

auf ihrer Reise nicht gehabt; man kann daher nicht anders sagen, als daЯ Gott

der Herr selbst der Heerfьhrer gewesen ist. Auch haben wir ihm die ganze

Ansiedlung hierselbst zu verdanken, indem er allein es bewirkte, daЯ der Kцnig

von PreuЯen die Freiheit erteilte, nach RuЯland auszuwandern, und der

hochselige Kaiser und Herr Alexander von RuЯland preuЯische Untertanen in seinem

Reiche als Kolonisten mit besonderen Rechten und Freiheiten aufnahm, ihnen Land

zur Ansiedlung schenkte und vдterliche Hilfe angedeihen lieЯ.

Die von der Hohen Krone fьr die Ansiedler bestimmte Steppe ist von denselben auf

Verfьgung des Wirklichen Staatsrats von Kontenius durch das Mitglied des Kontors

zu Jekaterinoslaw, von Babijewsky(2), angewiesen worden. Sie wurde von den

anwohnenden Griechen zur Viehweide benutzt, mithin haben die Ansiedler bei ihrer

Ankunft keine eingerichteten Hдuser vorgefunden, sondern muЯten sich zu ihrer

Notdurft und einstweiligem Obdach Erdhьtten bauen. Bald nach ihrer Ankunft fiel

ein starker, 14 Tage anhaltender Regen. Die hдufigen Regen dieses Jahres haben

den Kolonisten ьberhaupt manche Unannehmlichkeit bereitet.

Zum Aufbau der Hдuser, wie auch zum Ankauf von Vieh und zur wirtschaftlichen

Einrichtung haben 25 von den eingewanderten Familien je 3-400 Rubel banko als

________________

(1) 1857: 28 Wirtschaften (93 Mдnner) auf 1680 Desj. und eine landlose Familie

(131 Mдnner!) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 32.

(2) Vgl. S. 175 Anm. 4.

Page 171

VorschuЯ von der Krone erhalten. Vier Familien haben sich aus ihren eigenen

Mitteln angesiedelt, nдmlich 3 als Wirte und 1 Familie als Anwohner. Von diesen

29 Familien hat eine im Jahre 1823, 24 Familien im Jahre 1824 und die letzten 4

Familien 1825 ihre Hдuser erbaut. Manche Einwanderer haben schon auf der Reise

bei ihren Reisegefдhrten Geld borgen und das Mitleid der Bewohner in den auf der

Reise berьhrten Ortschaften in Anspruch nehmen mьssen(1).

Im ersten Jahr nach der Ansiedlung, welches sehr fruchtbar war, wurde wegen der

geringen Aussaat nur soviel geerntet, wie zur Nahrung erforderlich war. Zudem

gab es bis zum Jahre 1828 noch gar keinen Handel. Der Weizen galt nur 4 Rubel

banko das Tschetwert. Im Jahr 1824 kamen die kleinen Heuschrecken von jenseits

des Asowschen Meeres herьbergeflogen und vernichteten die wenigen, aber ьppig

dastehenden Getreidefelder und die ausgedehnten Grasfluren beinahe gдnzlich. Zu

Anfang Februar 1825 entstand ein schreckliches Schneegestцber bei

auЯerordentlicher Kдlte, welches bis Mitte Mдrz fort wьtete. Da die Ansiedler in

jener Zeit noch im дrmlichen Zustande sich befanden, so hatten sie bei dem

ungestьmen Wetter viel zu leiden. Es war Mangel an Brennzeug und guten warmen

Wohnhдusern. Infolge von Erkдltungen entstanden manche Krankheiten. Auch das

Vieh litt in den kalten Stдllen unsдglich. Die zusammengetriebenen Schneeberge

waren besonders in den Dцrfern so hoch, daЯ man von einem Hause das andere nicht

sehen konnte. Im darauf folgenden Sommer kamen wieder die Heuschrecken; - da

stiegen in den schweren Heimsuchungen manche Seufzer zu Gott dem Vater empor und

manche Trдnen sind vergossen worden. Die Heuschrecken blieben auch noch im Jahr

1826, doch verursachten sie keinen so bedeutenden Schaden mehr. Im Jahre 1827

verlor ein Wirt seine sдmtlichen Rinder, wдhrend die anderen vor diesem Unglьck

bewahrt blieben. Jetzt kamen bessere Zeiten. Gott gab mehr Glьck und Segen fьr

den Ackerbau und die Viehzucht, so daЯ die frьheren Strafen bald vergessen

wurden. Aber im Jahre 1833 kam neues Unglьck und zwar im Frьhling eine

Viehseuche, die den grцЯten Teil des Viehes dahinraffte, und im Sommer eine

gдnzliche MiЯernte, wodurch eine schreckliche Hungersnot hervorgerufen wurde.

Durch Unterstьtzung setzte die Hohe Krone die Gemeinde instand, sich im Innern

RuЯlands Getreide anzukaufen. Auch erfreuten sich die Gemeinden des Grunauer

Kirchspiels(2) einer reichen Unterstьtzung von nahezu 5000 Rbl. banko, welche

auf Verwendung des Pastors Holtfreter von Seiten christlicher Wohltдter(3)

dargebracht worden war. Ohne diese Unterstьtzungen wдren unfehlbar viele vor

Hunger gestorben. Auch fьr den geringen ьbrig gebliebenen Viehbestand fehlte das

Futter in diesem schweren Jahr der Heimsuchung, daher muЯten die wenigen Pferde

fьr einen ganz billigen Preis verkauft werden, und manches Stьck Vieh

verhungerte. Im Frьhjahr 1834 sah sich der Landmann fast all seines Viehes

________________

(1) Seit 1810 wurden an die ins Schwarzmeergebiet Einwandernden nur

ausnahmsweise Verpflegungsgelder gezahlt, vgl. I PSZ Bd. 31, Nr. 24131.

(2) 1833 gehцrten zum Ksp. Grunau (gegr. 1826) die Kolonien: Kirschwald,

Tiegenhof, Rosengart, Schцnbaum, Kronsdorf, Grunau, Rosenberg, Wikerau,

Reichenberg, Kampenau, Mirau, Ludwigstal, Elisabettal, Bellagwesch,

Kaltschinowka, und Rundewiese, mit EinschluЯ einiger, in katholischen

Dцrfern lebender Gemeindeglieder 3193 Seelen, vgl. die oben erwдhnte Chronik

von Grunau.

(3) Genaueres hierьber (Namen der Spender) enthдlt gleichfalls die Chronik von

Grunau.

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entblцЯt. Eine solche Not hat sich seither nicht mehr wiederholt. Das Erdbeben

vom 11. Januar 1838 ging ohne Gefahr vorьber, doch erwarteten viele in diesen

kurzen Augenblicken der Angst eine schreckliche Zukunft und sahen mit

jammervollen Blicken die Erdschwankungen an. Das Jahr 1838 brachte eine

auЯerordentlich gute Ernte, namentlich an Weizen. 1840 war wieder eine schlechte

Ernte, und das Wenige verdarb infolge anhaltenden Regens auf dem Felde. 1842

vernichteten die plцtzlich auftretenden Steppenmдuse die Hoffnung auf eine

auЯerordentlich ergiebige Ernte.

Die im Jahr 1844 auf Verordnung der Obrigkeit angefangene Waldplantage ist

bereits von einigen Wirten vollendet. Sie wird 14 Dessjatinen umfassen und trдgt

viel zur Verschцnerung des Dorfes bei. Auch werden die angepflanzten

Maulbeerbдume den Seidenbau ermцglichen.

Im Jahre 1844 trat die Maul- und Klauenseuche unter den Rindern und die Pocken

unter den Schafen auf. Zwei Familien verloren sдmtliche Rinder, die ьbrigen eine

grцЯere oder kleinere Zahl. Auch behielten manche fast keine Schafe ьbrig. Im

Jahre 1845 herrschte den ganzen Sommer hindurch eine Seuche unter den Pferden,

wodurch die Arbeit gehemmt war und viele Tiere eingingen.

Am 24. Dezember 1847 fiel der erste Schnee und am 25. erhob sich ein

verderbenbringender Sturm, welcher bis zum 18. Januar 1848 anhielt, haushohe

Berge von Schnee und Erde in die Gдrten trieb, die Gebдude beschдdigte, die

Holzzдune zerbrach, anstehen, bis die Gдrten ihre frьhere Schцnheit und

Ьppigkeit erlangen werden.

Rosengart, den 20. April 1848.

Schulz: Kutsch

Beisitzer: Kьsch, Ens

Schullehrer: Johann Jakob Dцhring.

4. Schцnbaum(1)

Die Kolonie Schцnbaum wurde 1823 gegrьndet, zieht sich am rechten Ufer des

Flusses Kaltschik entlang und ist 165 Werst von Alexandrowsk und 235 Werst von

Jekaterinoslaw entfernt. Das Land ist eine leichte Schwarzerde; 24-25 FuЯ unter

der Oberflдche befinden sich Steinfelsen. Am besten gedeiht das Sommergetreide,

Winterrogen weniger. An der sьdlichen Seite des Landes in der Nдhe des Kaltschik

befindet sich ein Steinbruch. Naturwaldungen sind nicht vorhanden.

Der noch lebende Schцnbaumer Kolonist Georg Dцhring gab der Kolonie zum Andenken

an sein im Danziger Regierungsbezirk befindliches Heimatdorf den Namen

Schцnbaum. Die ьbrigen 27 Familien(2), die sich ursprьnglich hier in den Jahren

1823 und 1824 angesiedelt haben, stammten ebenfalls aus dem preuЯischen

Regierungsbezirk Danzig. Sie sind in Gruppen von je einigen Familien in den

Jahren 1818 und 1819 ohne Anfьhrer als Tagelцhner in die Molotschnaer Kolonien

________________

(1) Russische Name: Listwjanka.

(2) 1857: 28 Wirtschaften (105 Mдnner) auf 1680 Desj. und 3 landlose Familien

(82 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 32.

Page 173

gekommen. Das ihnen vom Komptoir fьr auslдndische Ansiedler zugewiesene Land

wurde vor ihrer Ansiedlung von Griechen zur Viehweide benutzt, weshalb sie auch

keine Hдuser zu ihrer Aufnahme vorfanden. Sie bekamen zur Ansiedlung von der

russischen Krone 300 bis 400 Rubel banko VorschuЯ auf die Familie(1). Das

mitgebrachte Vermцgen bestand aus geringen Geldsummen, doch haben sich 2

Familien auf Eigene Kosten angesiedelt; die anderen haben den empfangenen

VorschuЯ ratenweise zurьckgezahlt.

Die Ansiedler sind stets von schweren Schicksalsschlдgen heimgesucht worden.

1823 bis 1825 wurde infolge der Heuschreckenverheerungen sehr wenig von den

Feldern geerntet. Wдhrend des Schneegestцbers und der schrecklichen Kдlte im

Jahre 1825 war das wenige noch vorhandene Brennstroh so hoch mit Schnee bedeckt,

daЯ man es nicht erlangen konnte, wodurch die Not unter Menschen und Vieh sehr

groЯ wurde. In dem Hungerjahr 1833, welches durch eine verheerende Viehseuche

noch verschlimmert wurde, rettete die hohe Krone durch Unterstьtzung die

Menschen und die einzelnen, den Familien ьbriggebliebenen Stьcke Vieh vor dem

Hungertode. Das am 11. Januar 9 Uhr abends im Jahre 1838 stattgehabte Erdbeben

dauerte hier nur einige Minuten und brachte keinen Schaden. 1842 zerstцrten die

Steppmдuse auch hier eine vielverheiЯende Ernte. Die im Jahr 1844 angelegte, 14

Dessjatinen umfassende Waldplantage wird nicht bloЯ da Dorf verschцnern, sondern

auch den Seidenbau ermцglichen. Im September des Jahres 1845 brach eine 6 Wochen

andauernde Hornviehseuche aus, welche 175 Stьck Vieh dahinraffte. Das vom 24.

Dezember 1847 bis zum 18. Januar 1848 wдhrende Sturmwetter zerstцrte die Gдrten

und Zдune und richtete groЯen Schaden an den Hдusern an. In den letzten Jahren

gab der allmдchtige Gott Segen und Gedeihen auf dem Felde und unter dem Vieh, so

daЯ die Kolonie sich sehr erholt hat.

Schulz: Jakob Pahl.

Schullehrer: Nathanael Nielke.

5. Kronsdorf(2)

Die Kolonie Kronsdorf wurde im Jahre 1823 am Flusse Karatisch(3) 160 Werst von

Alexandrowsk, 230 Werst von Jekaterinoslaw und 50 Werst von der Seestadt

Mariupol entfernt in unmittelbarer Nдhe des Bezirksdorfes Grunau(4) von 18

Familien angelegt. Dazu kamen im Jahre 1824 noch 11 Familien.

Das Land ist unebener, leichter schwarzer Boden, der nur fьr Sommergetreide und

Gras ergiebig ist. Ihren Namen hat der Kolonie der damalige Dorfschulze Martin

Dцhring ohne besondere Veranlassung gegeben.

Von den 29 aus dem Elbinger und Marienburger Kreise des Regierungsbezirks Danzig

stammenden Familien haben sich hier 28 Familien als Wirte und 1 Familie als

Anwohner ursprьnglich niedergelassen(5). 2 Familien waren im Jahre 1818 und 23

Familien im Jahre 1819 ohne Anfьhrer in den Chortitzer und Molotschnaer Kolonien

angekommen, wo sie 4 Jahre bis zu ihrer Ansiedlung geblieben sind. Auf dem ihnen

________________

(1) Vgl. S. 167 Anm. 2.

(2) Russischer Name: Kazenoselsk.

(3) = Karatysch.

(4) Ein Gebietsamt fьr diese Kolonien wurde bereits 1823 organisiert, vgl. die

oben erwдhnte Chronik von Grunau.

(5) 1857: 28 Wirtschaften (86 Mдnner) auf 1680 Desj. und eine landlose Familie

(160! Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 32.

Page 174

von der Krone zugewiesenen und vorher von Griechen(1) zur Viehweide benutzten

Lande fanden die Ansiedler keine Hдuser vor, weshalb sie sich vorlдufig kleine

Hьtten bauten. Zur Ansiedlung erhielten sie von er hohen Krone 300 bis 400

Rubel banko VorschuЯ auf die Familie. 2 Familien haben sich auf eigene Kosten

angesiedelt: 1 auf einer Wirtschaft und 1 als Anwohner. Die meisten hatten nur

geringe Mittel aus dem Auslande mitgebracht. Nur eine Familie war sehr bemittelt

nach RuЯland gekommen, doch ging ihr 7000 Rubel banko betragendes Vermцgen

dadurch verloren, daЯ die von diesem Gelde angekauften Schafe der

Pockenkrankheit zum Opfer fielen. So war auch diese Familie bereits zur Zeit der

Ansiedlung ebenso arm wie die ьbrigen.

Das Schneegestцber und die Kдlte im Winter 1825 hat diese Gemeinde ebenso

betroffen wie die ьbrigen. In den Jahren 1825 und 1826 wurden auch hier die

ьppigen Getreidefelder von den ьbers Meer gekommenen Heuschrecken zerstцrt. Die

Rindviehseuche das Jahres 1823 hat hier besonders den дrmsten Kolonisten alles

Vieh hinweggerafft und die Gemeinde in die grцЯte Armut versetzt. Im Hungerjahr

1833 rettete die hohe Krone die Gemeinde durch Unterstьtzung an Geld, wofьr man

sich aus den Vorratsmagazinen Getreide kaufen konnte. Noch fьhlbarer als der

Hunger war de Mangel an Viehfutter, welcher schon im Sommer begann und die Leute

zwang, die Hдlfte ihres Viehbestandes um einen Spottpreis zu verkaufen.

Das Erdbeben vom 11. Januar 1838 begann hier um 8 Uhr abends und dauerte nur

einige Minuten. Tief erschьttert sah man mit trauernden Augen und jammervollem

Blick in die schreckliche Zukunft, doch es ging, Gott sei Dank, ohne Gefahr

vorьber.

Die Steppenmдuse zerstцrten die Getreidefelder in den Jahren 1843 und 1844.

Die im Jahre 1844 angelegte, 14 Dessjatinen umfassende Waldplantage ist von

einigen Wirten bereits vollendet.

GroЯen Schaden richtete im September des Jahres 1844 die Viehseuche an, und in

der Erntezeit des Jahres 1847 fielen die Arbeitspferde.

Das Schneegestцber von 1848 zerstцrte auЯer den Obstbдumen, Zдunen und Gebдuden

eine 1847 neu erbaute 70 FuЯ lange, 30 FuЯ breite und 30 FuЯ hohe Scheune.

Die von Herrn Inspektor Stabsrittmeister von Stempel und Herrn Pastor Holtfreter

ausgefertigte Sittenverordnung hat dem um sich greifenden Laster der

Trunksucht, sowie aller Schwelgerei und nдchtlichem Tanz gesteuert, und es wдre

wьnschenswert, wenn dieselbe auch ferner in ihrer ganzen Strenge gehandhabt

wьrde. Dadurch wьrde ohne Zweifel mehr und mehr der Wohlstand der Kolonie durch

Sittlichkeit gefцrdert werden.

Verfasser: Schullehrer Peter Witt

Schulz: Nord

Beisitzer: Freimann, Stobb

Kolonie Kronsdorf, am 27. Mдrz 1848.

6. Grunau(2)

Die Kolonie Grunau wurde im Jahre 1823 in der Niederung Karatisch gegrьndet und

ist 150 Werst von der Kreisstadt Alexandrowsk, 234 Werst von der

________________

(1) Die Griechen hiesiger Gegend waren 1778-83 aus der Krim umgesiedelt worden,

vgl. Spiski naselennych mest Bd. 13, S. XX-XXI.

(2) Russischer Name: Aleksandronewsk.

Page 175

Gouvernementsstadt Jekaterinoslaw und 40 Werst vom Asowschen Meer und der

Seestadt Mariupol entfernt. Das der Kolonie zugewiesene Land, welches ein

leichter, schwarzer, fьr Sommeraussaaten und Graswuchs geeigneter Staubboden

ist, war vor der Ansiedlung im Besitz der Griechen. Ursprьnglich lieЯen sich

hier 29 Familien nieder: 27 als Landwirte und 2 aus alten Leuten bestehende

Familien ohne arbeitsfдhige Seelen als Anwohner(1). Sie stammten sдmtlich aus

dem Elbinger Territorium des Regierungsbezirks Danzig in WestpreuЯen und waren

im Jahre 1819 infolge der in den Amtsblдttern erlassenen Aufrufe zur

Ьbersiedlung nach RuЯland ausgewandert(2). Besonders verlockend war fьr sie die

fьr die Ansiedlung in Aussicht gestellte Unterstьtzung der russischen Regierung.

Die Auswanderer sammelten sich partienweise im Kцnigreich PreuЯen und reisten

auf die von den bereits in RuЯland Wohnenden erhaltenen Marschruten nach der

neuen Heimat ab. Im gleichen Jahr 1819 trafen sie in den Chortitzer und

Molotschnaer Kolonien ein und wurden hier nach Ablieferung der Reisepдsse und

Konsense von den Gebietsдmtern gegen Bezahlung bei den Kolonisten einquartiert.

Im Mдrzmonat 1820 lieЯ das Kontor fьr auslдndische Ansiedler den Befehl ergehen,

daЯ die preuЯischen Einwanderer aus ihrer Mitte Deputierte wдhlen sollten,

welche sich fьr die Sache der Ansiedlung zu bemьhen hдtten. Es wurden der

spдtere Grunauer Kolonist Christian Claassen und der spдtere Eichwalder Kolonist

Johann Majewsky gewдhlt und vom Kontor bestдtigt. Ihre Bemьhungen blieben nicht

erfolglos(3). Im Herbst 1822 wurde ihnen das Land zur Ansiedlung angewiesen und

die дuЯere Grenze von Griechen und Russen im Beisein des Herrn Gouverneurs und

des jьngsten Kontormitgliedes Babiewsky(4) abgepflьgt. Die Steppe, welche somit

den Einwanderern 3 Jahre nach ihrer Ankunft in RuЯland zugeteilt wurde, war bis

dahin ganz wьst gelegen. Die anwohnenden Griechen, denen zu jener Zeit ihr Land

noch nicht gehцrig zugemessen war, haben es teils zum Anbau, teils als Viehweide

benutzt.

Obdach oder eingerichtete Hдuser haben die Einwanderer auf ihrem Lande nicht

vorgefunden, ein jeder muЯte sich selbst ein Obdach verschaffen, sie bauten sich

Hьtten von Brettern oder aus Erde, wie jeder konnte. Die Ansiedler der Kolonie

Grunau erhielten von der hohen Krone zur Ansiedlung eine Unterstьtzung von 9875

Rubel 84 Kopeken banko, welches Geld verhдltnismдЯig nach dem BedьrfniЯ der

einzelnen Familien verabfolgt wurde. 2 Familien, welche hinreichend eigenes

Vermцgen besaЯen, erhielten keine Unterstьtzung. Das Vermцgen der ьbrigen war

________________

(1) 1857: 27 Wirtschaften (97 Mдnner) auf 1620 Desj. und 15 landlose Familien

(156 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 32.

(2) Vgl. Leidig: Die preuЯische Auswanderungspolitik. In: Schriften des Vereins

fьr Socialpolitik, Bd. 52. Leipzig 1892, S. 436 f.

(3) Ursprьnglich war den Neuangekommenen von der russischen Regierung ein

Landstrich, 24000 Desj. groЯ, 30 Werst von Altona entfernt, angewiesen

worden. Er wurde aber von den beiden Deputierten gemeinsam mit weiteren 30

erwдhlten Mдnnern seiner ungьnstigen Wasserverhдltnisse wegen

zurьckgewiesen, vgl. die oben erwдhnte Chronik von Grunau.

(4) Dem Leiter (russ. starsij clen = дltestes Mitglied) des Fьrsorgekontors in

Jekaterinoslaw unterstanden zwei Beisitzer oder Gehilfen (russ. mladsije

cleny = jьngste Mitglieder), vgl. Rempel a.a.O. S. XII.

Page 176

dagegen so unbedeutend, daЯ manche kaum die Reisekosten von PreuЯen hierher

bestreiten konnten und bei ihren Reisegefдhrten Schulden machen muЯten.

Da einige Dцrfer in der frьheren Heimat der Kolonisten Grunau geheiЯen hatten,

so wurde dieser Name fьr die neue Ansiedlung gewдhlt und vom Kontor bestдtigt.

In den ersten Jahren nach der Ansiedlung waren die Getreidepreise so niedrig,

daЯ man fast keine Einnahmen hatte. Der Weizen muЯte fьr 4-5 Rubel und der Hafer

fьr 20 Kopeken banko per Tschetwert abgegeben werden. Dazu kamen noch die vielen

Landplagen, wie Heuschrecken, Viehseuchen, MiЯwachs u.s.w. Die Viehseuche ist in

Grunau 3 mal aufgetreten und es hat mancher Wirt nicht ein Stьck ьbrigbehalten.

Im Hungerjahr 1832(1) muЯten viele Pferde, Hornvieh und Schafe fьr einen ganz

geringen Preis des Futtermangels wegen verkauft werden, und doch ist von dem

zurьckbehaltenen Vieh vieles eingegangen. Auch sind hier 6 Feuersbrьnste wдhrend

der Zeit der Ansiedlung gewesen.

Die erste und beste Einnahme lieferte in den ersten Jahren die Wolle. Leider

hatte man damals noch wenig Schafe.

Dank der guten Anordnungen und Einrichtungen seitens der Obrigkeit hat sich der

Ackerbau bedeutend gehoben und trдgt weit mehr als frьher. In den ersten Jahren

hat sich Se. Exzellenz von Kontenius um die Schafzucht und die Anpflanzung von

Bдumen in den Gдrten besonders verdient gemacht und in den letzten Jahren Herr

Wirklicher Staatsrat von Hahn um den Gartenbau und die Anlage von Plantagen.

Schulz: Koschke

Beisitzer: Koch, Stach

Schullehrer: Reinhold Ohm

7. Rosenberg(2)

Die Kolonie Rosenberg wurde im Jahre 1823 gegrьndet; zur Anlegung von

dauerhaften Wohnhдusern wurde erst im Jahre 1824 geschritten. Die Kolonie liegt

auf flacher Steppe 3 Werst von dem Bezirksort Grunau, 160 Werst von Alexandrowsk

und 230 Werst von Jekaterinoslaw entfernt. Die Steppe besteht aus schwarzer

Erde, die bei gьnstiger Witterung ziemlich fruchtbar ist. Niederungen,

Steinbrьche und Naturwaldungen sind nicht vorhanden.

Den Namen Rosenberg wдhlten die Ansiedler deshalb, weil in ihrem Vaterlande in

der Gegend, wo sie gewohnt hatten, ein Dorf diesen Namen fьhrte.

In dieser Kolonie haben sich 26 aus dem Marienburgischen und Elbingschen Kreise

der kцniglich preuЯischen Provinz WestpreuЯen stammende Familien aus Landwirte

niedergelassen(3), nachdem sie im Jahre 1819 in kleinen Partien ohne Anfьhrer

nach RuЯland gekommen und sich einige Jahre in den Molotschnaer Kolonien

aufgehalten hatten.

________________

(1) muЯ heiЯen "1833".

(2) Russischer Name: Rozowka.

(3) 1857: 26 Wirtschaften (91 Mдnner) auf 1560 Desj. und 6 landlose Familien

(170 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 32.

Page 177

An Unterstьtzung zur Ansiedlung und Einrichtung haben die Ansiedler von der

hohen Krone 3-400 Rubel banko auf die Familie erhalten, welches Geld sie nach 7

zinsfreien Jahren in 16 Jahren abzuzahlen hatten(1). Aus dem Vaterlande hat die

Mehrzahl auЯer dem zur Reise notwendigen Wagen und 1 bis 2 Pferden kein bares

Vermцgen mitgebracht. Der Wert des mitgebrachten Vermцgens belдuft sich auf etwa

58 Rubel Silber auf die einzelne Familie.

In den Jahren 1823-25 haben die Heuschrecken auf den Feldern viel Schaden

angerichtet, und es ist mьhsam und betrьbt hergegangen, denn in diesen 3 Jahren

haben die Landwirte nicht einmal hinlдnglich Brot geerntet. Im Jahre 1833 ist

durch gдnzlichen MiЯwachs nichts geerntet worden, so daЯ Menschen und Vieh

beinah Hunger leiden muЯten, aber Gott hat alles wunderbar erhalten; und da die

Kolonie von der Viehseuche verschont geblieben ist, so haben sich die Ansiedler

mit Gottes Hilfe ohne Unterstьtzung zu helfen gewuЯt. Nur einiges Vieh ist vor

Hunger umgekommen.

Seither ist die Kolonie, da kein Unglьck dieselbe betroffen hat, aufgeblьht und

befindet sich in gutem Wohlstande. Das Erdbeben am 11. Januar 1838, welches hier

um 8 Uhr abends verspьrt wurde, hat nur Schrecken, aber keinen Schaden

angerichtet.

Im Jahre 1842 legten die Kolonisten neben dem Dorfe eine Waldplantage von 13

Dessjatinen an, welche mit Wald- und Maulbeerbдumen nach und nach bepflanzt

wird.

Ihren jetzigen Wohlstand haben die Kolonisten grцЯtenteils dem Segen Gottes zu

verdanken, der die Kolonie besonders vor Viehseuchen so wunderbar geschьtzt hat.

Auch die Produkte haben bis jetzt in der Stadt Mariupol einen ziemlich guten

Preis gehabt.

Nдchst Gott haben wir auch der hohen Krone und dem Fьrsorgekomitee unseren

Wohlstand zu verdanken, indem wir stets mit vдterlicher Milde und Gьte von

unserer Regierung behandelt worden sind.

Rosenberg, den 21. Mai 1848.

Schulz: Pelz

Schullehrer: Jost

Beisitzer: Kolbe, Kцbke.

8. Wickerau(2)

Die Kolonie Wickerau wurde im Jahre 1823 gegrьndet, der Bau der Hдuser aber erst

1824 und 1825 begonnen und vollendet. Die Ansiedler sind in den Jahren 1818 und

1819 aus dem Danziger Regierungsbezirk des Kцnigreichs PreuЯen aus dem Grunde

ausgewandert, weil in den von der kцniglich preuЯischen Regierung abgefaЯten

Amtsblдttern angekьndigt war, daЯ die kaiserlich Russische Krone Einwanderer

wьnsche, welch sie auch, falls dieselben unvermцgend seien, zur Ansiedlung

unterstьtzen wolle.

Die Kolonie liegt 150 Werst von Alexandrowsk, 234 Werst von Jekaterinoslaw und

60 Werst vom Asowschen Meer und der Stadt Mariupol entfernt an einem kleinen

________________

(1) Die Rьckzahlungsfristen scheinen fьr die einzelnen Kolonien verschieden

gewesen zu sein.

(2) Russischer Name: Kuznecovka.

Page 178

FluЯ, welcher Steinritsche(1) genannt wird, weil er bei einem weit sichtbaren

Steinhьgel entspringt.

Die Benennung der Kolonie haben die Ansiedler sich selbst gewдhlt, weil in ihrem

frьheren Vaterlande ebenfalls einige Dцrfchen diesen Namen fьhrten.

Ursprьnglich haben sich hier 26 Familien als Wirte(2) und 10 Familien als

Anwohner niedergelassen. Die letzteren bestanden aus alten Leuten, die keine

arbeitsfдhigen Seelen hatten. Sie erhielten von der hohen Krone bei ihrer

Ansiedlung eine Unterstьtzung von 6650 Rubel banko, welches Geld nach dem MaЯe

der Bedьrftigkeit verteilt wurde. 7 Familien hatten sich vor der Ansiedlung

wдhrend ihres Aufenthaltes in den Molotschnaer und Chortitzer Kolonien bereits

soviel erspart, daЯ sie ihre Ansiedlung selbst bestreiten konnten(3).

In den ersten Jahren kamen zu den дuЯerst niedrigen Preisen, die die Kolonisten

fьr ihre Produkte erzielten, auch noch Heuschreckenverheerungen (1824-26), 2 mal

Viehseuche, wobei mancher nicht ein Stьck Vieh ьbrig behalten hat, und die

totale MiЯernte des Jahres 1833, wo von den nicht verkauften Haustieren doch ein

Teil verhungert ist. Die erste und beste Einnahme erzielten sie von der Wolle,

aber leider nur so lange, als sie wenig Schafe hatten. Spдter wurde auch die

Wolle billiger. Die von der Obrigkeit herbeigefьhrte Vervollkommnung des

Ackerbaues und fleiЯige Anpflanzung von Gдrten und einer Waldplantage hat den

Wohlstand der Kolonisten gehoben.

Wickerau, den 22. Mai 1848.

Schulz: Richter

Beisitzer: Koschke, PreiЯ

Dorfschreiber: Johann Ohm

9. Reichenberg(4)

Die Kolonie Reichenberg wurde im Jahre 1823 an der rechten Seite einer trockenen

Niederung gegrьndet. Sie ist 150 Werst von Alexandrowsk und 240 Werst von

Jekaterinoslaw entfernt. Der Gebietsschreiber Georg Stickel hat der Kolonie

ihren Namen auf eigene Veranlassung gegeben. Sie bestand zu Anfang aus 28

Familien(5), welche aus den Kreisen Elbing und Marienburg im Regierungsbezirk

Danzig stammten. 24 Familien bekamen zur Ansiedlung von der hohen Krone einen

VorschuЯ von je 3-400 Rubel banko. Im Hungerjahr 1833 wurden die hiesigen

Kolonisten von der hohen Krone und durch Pastor Holtfreter aus den bei

christlichen Glaubensgenossen fьr die Notleidenden seines Kirchspiels

gesammelten Summen unterstьtzt(6). Das Erdbeben am 11. Januar 1838 begann hier

um 9 Uhr abends und dauerte eine Viertel stunde, ohne einen Schaden zu

________________

(1) = Kamennaja recka "SteinflьЯchen".

(2) 1857: 26 Wirtschaften (98 Mдnner) auf 1560 Desj. und 10 landlose Familien

(120 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 33.

(3) vgl. S. 154 Anm. 4.

(4) Russischer Name: Bogatowka.

(5) 1857: 28 Wirtschaften (108 Mдnner) auf 1680 Desj. und 7 landlose Familien

(88 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 33.

(6) Vgl. S. 171 Anm. 3.

Page 179

verursachen. Im Jahre 1839 raffte eine Viehseuche bei manchen Wirten alles Vieh

hinweg, wodurch die Gemeinde sehr zurьckgekommen ist. Das kalte, stьrmische

Wetter hat den hiesigen Kolonisten drei Wochen lang groЯe Not gemacht, weil

manchen die Brunnen verstьrmt waren, daЯ sie das Vieh nicht trдnken konnten, bei

anderen war das Viehfutter tief unter dem Schnee, und noch anderen drohten die

Hдuser einzubrechen, weshalb sie aus Leibeskrдften bei der furchtbaren Kдlte den

ganzen Tag hindurch Schnee vom Dach schaufeln muЯten. Am 18. Januar lieЯ das

ungestьme Wetter nach, und die beinah ganz verzagten Kolonisten erfreute ein

schцnes gelindes Frьhlingswetter.

Schulz: Birth

Beisitzer: Schmitt, Jahn.

Schullehrer: Goerz.

10. Kampenau(1)

Die Kolonie Kampenau wurde im Jahre 1823 angelegt. Sie liegt zu beiden Seiten

einer Niederung, welche den Namen "die kleine Kabila"(2) fьhrt und sich hinter

der, 1 Werst von hier entfernten Kolonie Gцttland verflacht und ein immer

grцЯeres Tal bildet. Die Kolonie ist 150 Werst von Alexandrowsk und 214 Werst

von Jekaterinoslaw entfernt. 25-30 FuЯ tief unter der Erdoberflдche befindet

sich steinigter Grand. Sommergetreide gedeiht besser, als Wintergetreide. An der

nцrdlichen Seite des Landes, am Ende der Kolonie, in der Nдhe der Niederung

befindet sich eine Grandgrube, wo die Ansiedler sich den zum Verputzen der

Hдuser und zum Streichen von Luftziegeln vortrefflich geeigneten Grand holen.

Steinbrьche und Waldungen sind nicht vorhanden.

Der gewesene, jetzt noch lebende Dorfschulze Johann Doelfs hat der Kolonie den

Namen Kampenau gegeben, weil er in seiner Heimat im Marienburger

Regierungsbezirk in einem Dorfe gleichen Namens gedient und gewohnt hat.

In dieser Kolonie haben sich ursprьnglich bei der Ansiedlung im Jahre 1823 und

1824 29 Familien(3) niedergelassen, welche sдmtlich Auswanderer aus den

Danziger, Elbinger und Marienburger Kreisen in WestpreuЯen sind. Eine

Feuerstelle blieb unangebaut und wurde erst von einer jungen Familie aus

derselben Kolonie im Jahre 1840 besetzt.

In den Jahren 1818 und 1819 sind die hiesigen Kolonisten zu je einigen Familien

ohne Anfьhrer im Molotschnaer Kolonistenbezirk eingewandert und haben sich dort

4 Jahre hindurch ernдhrt. Vor der Ansiedlung wurde die den Kolonisten

angewiesene Kronssteppe von Griechen und Russen zur Weide benutzt. Zur

Ansiedlung erhielt jede Familie 350-400 Rubel banko vorgestreckt. Die

Heuschrecken in den Jahren 1823 bis 1825, das Schneegestцber von 1825, das

Hungerjahr 1833, die Steppmдuse im Jahre 1842, die Viehseuche im Jahre 1845 und

der Sturm im Jahre 1847 haben

________________

(1) Russischer Name: Kamenskoje.

(2) auch Kobylnaja vgl. Spiski naselennych mest Bd. 13, S. 32, und Kobolnaja

vgl. Semenov a.a.O. Bd. 3, S. 178, genannt.

(3) 1857: 29 Wirtschaften (98 Mдnner) auf 1740 Desj. und 6 landlose Familien

(136 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 33.

Page 180

auch dieser Gemeinde groЯen Schaden gebracht und viel Not bereitet. Im Jahre

1833 verwandte die hohe Krone zur Unterstьtzung der Kolonisten dieses Bezirks

35.000 Rubel banko und der Pastor Holtfreter 4500 Rubel banko, welche er bei

Glaubensgenossen gesammelt hatte. Ohne diese Unterstьtzungen wдren viele dem

Hungertode erlegen.

Im Jahre 1842 hat die Kolonie eine 15 Dessjatinen umfassende Waldplantage

angelegt und 1845 ein schцnes gerдumiges Schulhaus westlich von der kleinen

Kabila von gebrannten Ziegeln erbaut, welches nebst einigen von gebrannten

Ziegeln erbauten Kolonistenhдusern die Kolonie ziert.

Verfasser: Schullehrer Friedrich Schmidt

Schulz: Salzsдuler.

11. Mirau(1)

Die Kolonie Mirau wurde im Jahre 1823 gegrьndet. Sie liegt auf ebener Steppe in

einer geringen Vertiefung, besteht aus 24 Landwirten(2) und besitzt eine

Landflдche von 3-4 Werst lang und 2Ѕ Werst breit. Im Jahre 1823 haben sich hier

nur 15 Wirte niedergelassen, welche sich zum vorlдufigen Obdach Erdhьtten bauten

und erst 1824 zum Aufbau der Hдuser schritten. Die ьbrigen 9 Wirte, fьr die noch

Land ьbrig war, siedelten sich erst im Jahre 1836 hier an. Von den ersten 15

Ansiedlern befindet sich gegenwдrtig keiner mehr auf seiner Wirtschaft und nur

einer davon ist noch in der Kolonie am Leben, hat aber wegen Altersschwдche

seine Wirtschaft bereits seinem Sohn ьbergeben. Die ьbrigen sind teils

abgezogen, teils gestorben, und ihre Wirtschaften sind entweder an die Erben

oder an Kolonisten aus anderen Kolonien ьbergegangen. Die Kolonie liegt 4 Werst

westlich von dem Griechendorf Dorduba(3) und ist von Alexandrowsk 150 und von

Jekaterinoslaw 220 Werst entfernt. Ihr Land ist ein schwarzer, lockerer

Lehmboden, auf dem Sommergetreide und Kartoffeln gut gedeihen. An der sьdlichen

Grenze besitzt die Kolonie in einem Tal, trockene Jala(4) genannt, eine durch

Quellwasser gespeiste Viehtrдnke. AuЯer einer bei dieser Viehtrдnke befindlichen

Grandgrube, aus welcher vortreffliches Material zu gebrannten Ziegeln geholt

wird, besitzt die Kolonie weder Steinbrьche noch Waldungen, weshalb im Jahre

1842 auf obrigkeitliche Verordnung eine Waldplantage von 12 Dessjatinen angelegt

worden ist, welche jetzt allmдhlich vollgepflanzt wird. Der Name der Kolonie

kommt daher, weil die meisten der ersten 15 Ansiedler aus dem Kirchspiel Mirau

im Marienburger Kreise des Danziger Regierungsbezirks stammten. Einige andere

stammten aus dem Elbinger Kreise. Von den letzten 9 Ansiedlerfamilien stammen 7

aus dem Kцnigreich Wьrttemberg, nдmlich 3 aus dem Neckarkreise und 4 aus dem

Jaxtkreise und 2 ebenfalls aus dem Marienburger Kreise. Gegenwдrtig befinden

sich in der Kolonie nur 11 preuЯische, dagegen 8 wьrttembergische und 5 badische

Landbesitzer; dazu kommen noch 13 landlose Familien(5).

________________

(1) Russischer Name: Mirskoje.

(2) Vgl. S. 180 Anm. 5.

(3) = Dert-Oba oder Neu-(Nowyj) Kermentschik.

(4) = Suchije Jaly.

(5) 1857: 24 Wirtschaften (111 Mдnner) auf 1440 Desj. und 16 landlose Familien

(91 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 33.

Page 181

Die Einwanderer sind familienweise(1) hierhergekommen, weil sie vernommen

hatten, daЯ Kaiser Nikolaus I.(2) den deutschen Einwanderern die ihnen von den

frьheren Herrschern erwiesene Gnade widerfahren lasse, und sie haben tatsдchlich

mehr Gnade gefunden, als sie erwartet, was sie mit gerьhrtem Danke anerkennen.

Zur Zeit ihrer Ankunft wurde die Steppe dieser Kolonie von Griechen und Tartaren

benutzt. Zur Ansiedlung erhielt sie von der Krone 400 Rubel banko auf die

Familie, welches Geld nach 10 Freijahren in einem Zeitraum von 16 Jahren

allmдhlich abgezahlt werden muЯte. Fьr die genossenen Wohltaten sind die

Kolonisten sowie ihre Nachkommen bereit, einer hohen Regierung durch FleiЯ,

Gehorsam und sittliches Betragen Freude zu machen. Einer von den 15 zuerst

angesiedelten Kolonisten besaЯ bei seiner Ansiedlung 600 Rubel banko und die im

Jahre 1836 angesiedelten 9 Wirte brachten eine Gesamtsumme von 5000 Rubel banko

mit, weshalb sie keine Unterstьtzung zur Ansiedlung bedurften.

Die Heuschrecken 1824-26, Viehseuche und Hungersnot 1833 und die Viehseuche 1839

haben die Kolonie stark mitgenommen, doch halfen die Unterstьtzungen seitens der

Regierung und die von Glaubensgenossen durch Pastor Holtfreter dargebrachten

Gaben von 4810 Rubel banko im Jahre 1833 auch dieser Gemeinde ьber die

allergrцЯte Not hinweg. Der erste Pastor des Grunauer Kirchspiels war der jetzt

in Hochstдdt wirkende Konsistorialrat Fцll(3). An seine Stelle trat Pastor

Holtfretter. Im Jahre 1832 wurde in Mariupol der Handel mit dem Auslande

erцffnet, wodurch die Kolonien ihre Produkte teurer absetzen konnten.

Wьnschenswert wдre eine Vermehrung des Handwerkerstandes in den Kolonien.

Mirau, den 25. Mдrz 1848.

Verfasser: Schullehrer Wied.

Schulz: Fitz.

Beisitzer: Buck, Pelz.

12. Ludwigstal(4)

Die Kolonie Ludwigstal wurde im Jahre 1828 auf ebener, baum- und steinloser

Steppe 130 Werst von Alexandrowsk, 230 Werst von Jekaterinoslaw und 80 Werst von

Mariupol entfernt gegrьndet. Gras und Sommergetreide gedeihen hier gut.

Die Kolonie ist nach ihrem ersten Dorfschulzen, welcher den Taufnamen Ludwig

fьhrte, Ludwigstal genannt worden.

Die Begrьnder dieser Kolonie waren 19 im Jahre 1823 und 1824 eingewanderte

deutsche Familien. Die waren ohne Anfьhrer ins Land gekommen und hatten sich 4

Jahre vor ihrer Ansiedlung in den Molotschnaer Kolonien aufgehalten. Unter ihnen

stammten 14 Familien aus Hessen, 2 aus Baden und 3 aus NiederelsaЯ. Im Jahre

________________

(1) Das trifft fьr die meisten Einwanderer dieses Gebiets zu.

(2) MuЯ heiЯen "Alexander I.".

(3) Gottlieb Theophil Friedrich Fцll, geb. in Marbach, kam 1824 als Basler

Missionar nach Odessa. Vom Justizkollegium zum Pastor des Ksp. Grunau

ernannt, trat er Anfang 1826 sein Amt an, siedelte aber 1831 nach Hochstдdt

ьber, wo er 1875 in hohem Alter starb, vgl. Mitteilungen und Nachrichten fьr

die evangelische Kirche in RuЯland, Bd. 63, 1910, S. 467.

(4) Russischer Name: Romanowka.

Page 182

1831 wanderten 6 Familien aus Wьrttemberg unter der Anfьhrung des

Berdjanskischen Kolonisten Andreas Stauch ein, welche ьber den Winter teils in

den Berdjanskischen teils in den Molotschnaer Kolonien blieben. Im Jahre 1832

sind noch 9 Familien aus Wьrttemberg ohne Anfьhrer eingewandert, welche teils

hier und teils wieder in den Berdjanskischen Kolonien ьberwinterten, bis ihnen

im Frьhjahr 1833 das noch nicht vцllig aufgebaute Ludwigstal zur Ansiedlung

angewiesen wurde, wo sie sich ьber den Sommer Wohnhдuser bauten, welche sie zum

nдchsten Winter bereits beziehen konnten(1).

Die zuerst angesiedelten 19 Familien haben kein bemerkenswertes Vermцgen aus dem

Auslande mitgebracht, doch haben sie sich wдhrend ihres Aufenthaltes in den

Molotschnaer Kolonien etwas erьbrig. Dazu bekamen sie von der Krone einen

VorschuЯ von 400 Rubel banko auf die Familie zur Ansiedlung. Die 15 Familien

Wьrttemberger haben in ihrem Vaterlande je 400 Gulden zur Besiedelung einer

Wirtschaft beim russischen Gesandten hinterlegt, welches Geld sie bei ihrer

Ankunft in RuЯland von der Obrigkeit ausbezahlt bekamen(2).

Im Hungerjahr 1833 wurden die hiesigen Kolonisten durch die Unterstьtzung

seitens der Regierung vom Hungertode gerettet. Zwei durch Feuersbrьnste

heimgesuchte Familien haben durch die im hiesigen Grunauer Gebiete eingefьhrte

Brandordnungsregel zwei Dritteile ihres Schadens ersetzt bekommen. Die

Viehseuche im Jahre 1833 und die Steppenmдuse 1843 haben groЯen Schaden

verursacht. Behufs Ausrottung der Steppenmдuse traf die Regierung die

Verordnung, daЯ jeder Wirt 80 Stьck im Dorfsamte einliefern muЯte. Sie wurden

vermittelst Wasser aus ihren Hцhlen getrieben und erschlagen, wobei auch viele

von den jungen Mдusen ersдuft wurden.

Im Jahre 1844 wurde eine Waldplantage von 17Ѕ Dessjatinen angelegt. Der

Sturmwind im Jahre 1848 hat hier nur Obstbдume zerbrochen.

Schulz: Neb.

Beisitzer: Baun, Hanauer.

Verfasser: Georg Fidler, Schullehrer.

13. Elisabetdorf(3)

Die Kolonie Elisabetdorf wurde im Jahre 1825 am linken Ufer des Flusses Jale 2

Werst nordwestlich von dem Griechendorfe Nowokratibe angelegt. Sie ist 150 Werst

von Alexandrowsk und 200 Werst von Jekaterinoslaw entfernt. Der FluЯ Jale(4)

bildet die Grenze des zu der Kolonie gehцrenden Landes, welches sich vom

sьdlichen Ende des Dorfes 5 Werst dem Flusse entlang erstreckt.

Die Beschaffenheit des Bodens ist sehr verschieden: an wenigen Stellen ist er

schwarz und fest, zu allen Arten des Getreidebaues gut geeignet; am anderen

leicht und sandig, daher am besten zur Viehweide zu benutzen; wieder an anderen

________________

(1) 1857: 35 Wirtschaften (99 Mдnner) auf 2100 Desj. und 3 landlose Familien

(114 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 33.

(2) Vgl. S. 156 Anm. 3.

(3) Russischer Name: Jelizawetowka.

(4) = Mokryje Jaly.

Page 183

Stellen ist er grandig und tiefer in der Erde steinigt, zum Teil stark

salpeterhaltig, daher weder zum Ackerbau noch zur Weide verwendbar.

In dem steinigten Boden haben die Kolonisten sehr nutzbringende Steinbrьche, wo

aber die Steine mit groЯer Mьhe 15 bis 18 FuЯ tief aus der Erde geholt werden

mьssen. Die Steine sind versteinerte Grand von groЯer Festigkeit und, wenn sie

eine Zeitlang durchlьftet sind, zu Fundamenten vortrefflich zu gebrauchen. In

der Niederung am Flusse Jale besitzt die Kolonie schцne Kohl- und Gemьsegдrten;

die an der FluЯseite wohnenden Kolonisten haben dieselben gleich hinter ihren

Wohnhдusern, die auf der Bergseite wohnenden hinter dem Dorfe.

Die Benennung Elisabetdorf erhielt die Kolonie auf Anraten des Herrn Staatsrats

von Kontenius zu Ehren Ihrer Kaiserlichen Majestдt der Hochseligen Kaiserin

Elisabet, welche aus dem groЯherzoglichen Hause Badens, der Heimat der Begrьnder

hiesiger Kolonie, herstammte(1).

Zuerst haben sich hier nur 12 Familien angesiedelt, welche sдmtliche aus dem

Mittelrheinkreise des GroЯherzogtums Baden herstammten. Im Jahre 1826 sind 11

Familien aus der Provinz Rheinhessen dazugekommen. Da die Kolonie aber fьr 35

Wirte bestimmt war, so siedelten im Jahre 1827 wieder 5 Familien aus dem

Badischen Mittelrheinkreise, im Jahre 1828 noch 3 Familien aus Baden und 2 aus

ElsaЯ und endlich 1829 zwei Familien aus Baden hier an(2).

Die Einwanderer sind sдmtlich ohne Anfьhrer in kleinen Partien aus ihrem

Vaterlande hierher gekommen. Die grцЯte Partie war die der ersten 12 Ansiedler

aus Baden, welche im Jahre 1824 im Molotschnaer Kolonistenbezirke anlangte. Fьr

dieselben war dieses Land bereits in ihrem Vaterlande zur Ansiedlung bestimmt

worden, weshalb jede Familie 400 Gulden Rheinlдndisch beim kaiserlich russischen

Gesandten deponiert hatte, welches Geld sie hier zur Ansiedlung wieder

zurьckhielten(3). So konnten sie sich bereits im Jahre 1825 ansiedeln. Den im

Jahre 1824 eingewanderten Hessen-Darmstдdtern ist ihr Land erst im Jahre 1826

zuerkannt worden, in welchem Jahr sich dieselben auch gleich angesiedelt haben,

indem sie in diesem Jahr aus eigenen Mitteln kleine Wohnhдuser als vorlдufiges

Obdach erbauten. In den Jahren 1827 und 1828 haben sich dieselben dauerhafte

Hдuser gebaut und die alten, kleinen in Stдlle verwandelt.

Die Badener und Elsдsser, die sich in den Jahren 1827, 1828 und 1829 hier

niedergelassen haben, erbauten sich sogleich zweckmдЯige Hдuser aus eigenen

Mitteln. Einer von diesen Ansiedlern hatte aus seinem Vaterlande 4000 Gulden

Rheinlдndisch mitgebracht; die ьbrigen behielten nach dem Bau der Hдuser und

Einrichtung der Wirtschaften wenig oder garnichts an barem Vermцgen ьbrig.

Die Kolonie ist mehr als jede andere des Bezirkes mit Unglьck heimgesucht, aber

auch mit Gottessegen ьberhдuft worden. Gleich bei der Ansiedlung 1826 raffte

eine Viehseuche die Hдlfte des Viehes dahin. In diesem und im folgenden Jahr

1827 entstand infolge schдdlicher Ausdьnstung des Jaleflusses eine Epidemie

unter den Bewohnern dieser Kolonie, von welcher nur 2 Mдnner verschont blieben,

und welche viele dahingerafft hat.

________________

(1) Vgl. s. 76 Anm. 4.

(2) 1857: 35 Wirtschaften (126 Mдnner) auf 2100 Desj. und 6 landlose Familien

(86 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 33.

(3) Vgl. S. 156 Anm. 3.

Page 184

Es war ein jammervoller Anblick, beinah sдmtliche Einwohner, groЯ und klein, von

der fieberartigen Krankheit abgezehrt und viele sterben zu sehen; es starben 48

Seelen. Dadurch konnte die hдusliche und Feldarbeit nicht betrieben werden, so

daЯ mit groЯem Kostenaufwand durch gemietete Arbeiter die Saatfelder bestellt

und im Sommer nur zum Teil abgeerntet werden konnten. In den Jahren 1827 und

1828 traten Heuschrecken auf, aber erst gegen Ende der Erntezeit, so daЯ nur

weniges vernichtet wurde. Mehr hatte die Kolonie durch die im Frьhling 1828

erfolgte Ьberschwemmung zu leiden, welche sogar 3 Wohnhдuser vцllig vernichtete.

Im Jahre 1833 blieben nur 2 Wirtschaften von der Seuche verschont; die Mehrzahl

bьЯte alles Vieh ein. In diesem Jahr muЯte dasselbe wegen Mangel an Weide

grцЯtenteils fьr einen ganz billigen Preis verkauft werden. Auch das Getreide

war auf dem Felde vertrocknet. Da nun die Gemeinde einsah, daЯ im Falle sie

nicht bei Zeiten MaЯregeln zur Herbeischaffung von Nahrungsmitteln treffen

wьrde, der grцЯte Teil dem Hungertode erliegen mьsse, so verbanden sich mehrere

Kolonisten, indem die wohlhabenden den armen Geld vorstreckten, und reisten mit

eigenen Fuhrwerken nach dem Gouvernement Kursk, wo sie eine Quantitдt Getreide

ankauften und hierher brachten, welches auch notdьrftig zur Unterhaltung

zureichte. Auf diese Weise fiel diese Kolonie der hohen Krone nicht

beschwerlich. Vielen Kolonisten der hiesigen Gemeinde wurden durch Herrn Pastor

Holtfreter Unterstьtzungen von christlichen Freunden in der Ferne zuteil.

Zum Ankauf der Sommeraussaat verbьrgte sich die ganze Gemeinde einer fьr den

anderen und kaufte in der Nдhe von einem Kaufmann Getreide auf, welches teils

sogleich, teils spдter bezahlt wurde. Aus Mangel an Saatgetreide und Zugvieh

wurde jedoch wenig ausgesдt.

GrцЯer als der Schaden dieses Jahres war sein Segen. Die drьckende Not

veranlaЯte die Bewohner dieser Kolonie auЯer an Sonntagen noch an einem

besonderen Tage in der Woche sich zu versammeln, um den Allmдchtigen um Hilfe in

dieser Not und Abwendung fernerer Strafgerichte anzuflehen, was auf die Gemьter

groЯen Eindruck machte, so daЯ sie alle einsahen, daЯ sie diese Not mit ihren

Sьnden verdient hatten und den EntschluЯ faЯten, ihr Leben zu bessern, welcher

EntschluЯ bei vielen zur Tatsache wurde. Infolge dessen hatte die Kolonie seit

dem Jahre 1833 bis heute der Mehrzahl nach gesittete, mдЯige und arbeitsame

Bewohner. Vor dieser Zeit herrschte in dieser Kolonie ein sittenloses Leben, die

Trunksucht war an der Tagesordnung, so daЯ selbst Taufen und Trauungen ihre

rechte Weihe erst durch den Branntwein erhalten muЯten.

Im Jahre 1834 war eine reichliche Ernte, da aber so дuЯerst wenig gesдt worden

war, so konnten die Kolonisten sich die hohen Getreidepreise durch Verkauf nicht

zunutze machen. Das Tschetwert Roggen z.B. kostete damals 24 Rubel banko. In den

Jahren 1835 und 1836 waren mittelmдЯige Ernten, und die Kolonie hatte sich

bereits etwas emporgeschwungen, als sie im Jahre 1836 2 Glocken ankaufte, um

den vom Schullehrer im Schulhause geleiteten Gottesdienst regelmдЯig anfangen zu

kцnnen, welcher wegen der weiten Entfernung vom Kirchspielsbethause zu Grunau am

Orte gehalten wurde.

Im Jahre 1837 zerstцrte ein Hagelwetter die Hдlfte des schцn dastehenden

Getreides. Das um 9 Uhr abends anfangende und eine halbe Minute anhaltende

Page 185

Erdbeben am 11. Januar 1838 verlief ohne Schaden. In diesem Jahr war ein

auЯerordentlicher Erntesegen. Im Jahre 1839 raubte eine Viehseuche 2/3 des

Viehbestandes. Im Jahr 1840 wurde ein 56 FuЯ langes und 34 FuЯ breites Schulhaus

von ungebrannten Ziegeln auf eigene Kosten gebaut und von Herrn Pastor

Holtfreter eingeweiht, denn das alte Schulhaus hatte sich fьr gottesdienstliche

Zwecke als zu eng erwiesen. Im Frьhling dieses Jahres fand wieder eine

verheerende Ьberschwemmung statt, wobei ein Wohnhaus zerstцrt wurde. Dasselbe

Unglьck widerfuhr der Kolonie im Jahre 1842, wobei 3 Wohnhдuser so beschдdigt

wurden, daЯ sie in kurzer Zeit zusammenstьrzten.

Im Jahre 1843 legten auf Anraten des Inspektors von Stempel 13 Kolonisten

sьdlich vom Dorfe eine Ziegelbrennerei an, damit sie in der Folge festere

Wohnhдuser bauen kцnnten. Diese Ziegelbrennerei liefert auЯerordentlich

dauerhafte Ziegel.

Der Orkan von 1842 zerstцrte eine Windmьhle und den hцlzernen Glockenturm bei

der Schule. Das Jahr 1844 brachte wieder eine die Mehrzahl des Viehes

dahinraffende Viehseuche. Die in dieser Kolonie hдufiger als in den anderen

auftretenden Viehseuchen rьhren wohl daher, daЯ das Vieh der nahe wohnenden

Griechen und Russen oft zur hiesigen Herde herьberlief. In den Jahren 1846 und

1847 waren reichliche Ernten, und da der grцЯte Teil der Wirte nьchtern und

arbeitsam ist, so gehen die Wirtschaften gut vonstatten.

Durch das fьrchterliche Schneegestцber im Jahr 1848 wurden viele Obstbдume

beschдdigt.

Seit 4 Jahren hat die Kolonie an Wohlstand zugenommen und besitzt eine Цlmьhle

und einige neue schцne Wohnhдuser von gebrannten Ziegeln. Im Jahre 1844 ist die

Waldplantage angelegt worden, welche jetzt mit Wald- und Maulbeerbдumen

allmдhlich bepflanzt wird. Der Wohlstand ist vorzugsweise dadurch gefцrdert

worden, daЯ bereits im Jahre 1833 die Mehrzahl der Kolonisten von ihrem

ausschweifenden Leben ablieЯen und ein gesittetes Leben, verbunden mit

Nьchternheit und Arbeitsamkeit, zu fьhren begannen. Nдchtliche Musik und Tanz,

sowie unmдЯiges Schnaps und Weintrinken wurden aufgegeben, wodurch die

Lebenskrдfte fьr die Arbeit zunahmen und das Geld fьr Zeiten der Not aufbewahrt

wurde. Das christliche Leben ist bis jetzt durch regelmдЯigen Besuch des

Gottesdienstes und durch eine vom St. Petersburgischen Evangelisch-Lutherischen

Konsistorium genehmigte Privatandachts-Versammlung aufrecht erhalten worden.

Durch eine bei der Pforte vom Kaiser Nikolaus I. ausgewirkte Schiffahrtsfreiheit

auf dem Schwarzen und Asowschen Meer ist der Preis fьr Weizen und Leinsamen um

das Doppelte und Dreifache gestiegen(1).

Gottes Gnade sei mit unserem Allergnдdigsten Herrn und Kaiser und Seinem ganzen

Kaiserhause, mit allen Rдten und Beamten des Kaiserreiches, mit uns, den in

diesem Reiche Aufnahme und Schutz genieЯenden Kolonisten und den ьbrigen

Bewohnern.

Verfasser: Schullehrer Valentin Seib

Schulz: Georg Zimmer.

Beisitzer: Andreas Zowers, Adam Keller.

________________

(1) Im Vertrag von Adrianopel 1828 цffnete die Tьrkei die Dardanellen fьr die

Handelsschiffe der Russen und der befreundeten Nationen, vgl. Ausgewдhlte

diplomatische Aktenstьcke zur orientalischen Frage. Zusammengestellt und

erlдutert von K. Strupp, Gotha 1916, S. 51.

Page 186

14. Bellagwesch(1)

Die Kolonie Bellagwesch wurde im Jahr 1832 in der Nдhe des Flusses Kaltschik

ungefдhr 168 Werst von Alexandrowsk und 240 Werst von Jekaterinoslaw entfernt

gegrьndet. Der Boden eignet sich des strengen Klimas wegen wenig fьr

Wintergetreide, besser fьr Sommergetreide. An der westlichen Seite dieses Landes

am Flusse Kaltschik befindet sich ein kleiner Steinbruch; Waldungen haben die

Kolonisten hier nicht vorgefunden.

Da viele der hiesigen Kolonisten aus der Kolonie Bellagwesch im Tschernigowschen

Gouvernement stammen, so hat der damalige Ansiedler und jetzige Schulz der

Gemeinde, Georg Bechthold, auch dieser Kolonie den Namen Bellagwesch(2) gegeben.

26 Familien aus dem Borsnaer Gebiet im Tschernigowschen Gouvernement haben sich

ursprьnglich in den Jahren 1832 und 1833 hier niedergelassen(3). Da ihre aus

Deutschland stammenden Vorfahren in einem langen Zeitraum sich so stark vermehrt

hatten, daЯ sie sich nicht mehr von ihrem Lande ernдhren konnten, so haben sie

die hohe Krone um Land gebeten, worauf ihnen diese die damals Judensteppe(4)

genannten Lдndereien zur Ansiedlung anwies. Im Herbst 1831 sind dann diese

Kolonisten mit sдmtlichen aus ihrem Gouvernement stammenden Ansiedlern des

hiesigen Bezirks hier angelangt. Den Winter ьber wurden sie von den preuЯischen

Kolonisten beherbergt(6), worauf sie im Frьhjahr 1832 und 1833 ihre Wohnhдuser

an ihren Bestimmungsorten aufbauten. Der Kolonist der Kolonie Grunau Christian

Claassen(5), Mitglied des Wald- und Gartenvereins des Mariupoler

Kolonistenbezirks, hat den hiesigen Kolonisten wesentliche Dienste durch

Abmessung der Plдne und Leitung der Ansiedlung geleistet. Die Steppe hatte

frьher der jetzige Beisitzer des Wald- und Gartenvereins des Molotschnaer

Mennonitenbezirks, Herr Johann Kornies, in Pacht, doch wurden hier keine

eingerichteten Hдuser vorgefunden. Unterstьtzungen haben die Kolonisten nicht

erhalten, jede Familie hatte zur Ansiedlung 400 Rubel banko mitgebracht.

Das Hungerjahr 1833 und die durch Futtermangel entstandene Viehseuche im Jahr

1834 haben die Ansiedlung erschwert, aber auch groЯen Segen gebracht, indem

________________

(1) Russischer Name: Belyje Weshi.

(2) Zur Geschichte der Umsiedlung aus den 1767-1768 gegrьndeten Kolonien des

Gouv. Tschernigow vgl. II PSZ Bd. 6, 1, Nr. 4616 (2. Juni 1831).

(3) 1857: 27 Wirtschaften (87 Mдnner) auf 1620 Desj. und 6 landlose Familien

(224 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 33.

(4) Nachdem am 25. Mдrz 1817 unter dem Protektorat des Zaren die "Verein

israelitischer Christen" bestдtigt worden war, plante die russische

Regierung, zur Orthodoxie ьbergetretenen Juden Sonderrechte einzurдumen. Zu

ihrer Ansiedlung wurden zunдchst im Gouv. Jekaterinoslaw 26000 Desj.

bereitgestellt. Da eine Besiedlung jedoch nicht erfolgte, wurde diese sog.

Judensteppe an andere Siedler vergeben, vgl. Brokgauz, Efron: Novyj

Enciklopediceskij Slovar Bd. 17, Sp. 228 f.

(5) Wohl im Molotschnaer Kolonistenbezirk.

(6) Vgl. Cornies' Wьrdigung der Verdienste des Kolonisten Christian KlaaЯen um

die Ausbreitung der Wald- und Obstbaumzucht in dem Mariupoler

Kolonistenbezirk in Unterhaltungsblatt, 1847, S. 65-66. - Es ist

bemerkenswert, daЯ die russischen Regierung im 19. Jh. bei der Anlage neuer

Siedelgebiete stets einen bewдhrten, schon lдnger in RuЯland ansдssigen

Landwirt aus dem Kreise der Kolonisten heranzog.

Page 187

viele der Trunksucht ergebene Kolonisten mit Gottes Hilfe ein nьchternes und

sittliches Leben zu fьhren begannen. Ohne die von der Regierung im Jahre 1833

gewдhrte Unterstьtzung wдren viele unfehlbar an Hunger gestorben. Das Erdbeben

am 11. Januar 1838 begann hier um 8 Uhr abends und verursachte keinen Schaden.

Im Jahre 1842 richteten die Steppmдuse groЯen Schaden an. In diesem Jahre wurde

die Waldplantage angelegt. Im Dezember 1845 raubte die Viehseuche einigen Wirten

den grцЯten Teil ihres Viehbestandes. Der dreiwцchentliche Orkan des Jahres 1848

hat die Obstbдume stark beschдdigt.

Schullehrer: Johann Stamm.

Schulz: Bechthold.

15. Kaltschinowka

Die Kolonie Kaltschinowka wurde im Jahre 1832 gegrьndet. Im Frьhjahr desselben

Jahres kamen die Ansiedler hier an und suchten sich auf dem ihnen angewiesenen

Lande den zur Ansiedlung bequemsten Platz mit gutem Wasser aus. Die Kolonie

liegt auf einer ziemlich ebenen Flдche, auf der sog. Judensteppe, 240 Werst von

Jekaterinoslaw und 170 Werst von Alexandrowsk entfernt.

Am obersten Ende des Dorfes nimmt ein kleiner FluЯ, genannt Kaltschik, seinen

Anfang, und eine Werst weiter unterhalb haben die Ansiedler diesen FluЯ

eingedдmmt, um eine Trдnke fьr ihr Vieh zu gewinnen. Die zu beiden Seiten der

Trдnke liegende Steppe wird als Viehweide benutzt. Der Boden besteht aus

leichter, schwarzer, fruchtbarer Erde. Steinbrьche, Waldungen und Sandgruben

finden sich nicht, nur eine schцne Grandgrube ist vorhanden.

Der Name Kaltschinowka wurde von den Ansiedlern fьr diese Kolonie gewдhlt, weil

eine ihrer Heimatkolonien im Borsnaer Bezirke des Tschernigowschen Gouvernements

den gleichen Namen fьhrt(1) und auch weil der FluЯ Kaltschik hier entspringt.

Ursprьnglich haben sich hier 26 Familien(2) niedergelassen, deren Vдter sich

schon vor 80 Jahren von Deutschland aus im Gouvernement Tschernigow

niedergelassen hatten. Auf die Bitte um Land fьr ihren zahlreichen Nachwuchs

erteilte ihnen die Obrigkeit die Erlaubnis, sich solches nach ihrem Wunsche

irgendwo zu suchen. Die wдhlten drei zuverlдssige Mдnner, welche sich aus

Jekaterinoslawsche Kontor fьr auslдndische Ansiedler wandten. Auf Vorschlag

dieses Kontors wдhlten die Mдnner das hiesige Land, weil nicht blos der Boden

fruchtbar war, sondern auch die Seestadt Mariupol sich in der Nдhe befand, wo

sie ihre Produkte gut abzusetzen hofften. Mit schriftlichen Zeugnissen von der

цrtlichen Obrigkeit versehen, kehrten sie in ihre Gemeinden zurьck, welche sich

mit ihren Vorschlдgen einverstanden erklдrten und nun ihrerseits mit der Bitte

um Erlaubnis zur Ьbersiedlung bei der Obrigkeit einkamen. Ihre Bitte wurde

genehmigt, und so begaben sich die Aussiedler, mit dem nцtigsten Ackergerдte,

Zugvieh und einigem Geld versehen, auf die Reise. Zwar mьhsam aber vergnьgt,

verrichteten sie hier die ersten Arbeiten, wurden aber gleich im Jahre 1833

________________

(1) Vgl. S. 186 Anm. 2.

(2) 1857: 26 Wirtschaften (73 Mдnner) auf 1560 Desj. und 3 landlose Familien

(144 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 33.

Page 188

durch eine absolute MiЯernte enttдuscht. Nur durch die von der Krone erhaltene

Unterstьtzung zum Ankauf von Brot und Saat wurden sie vom Hungertode errettet.

Viehseuchen haben hier keinen erheblichen Schaden verursacht. Der Orkan des

Jahres 1848 hat Bдume und Hдuser beschдdigt. Durch den reichlichen Erntesegen

der letzten 2 Jahre ist die Kolonie zu ziemlichen Wohlstande gelangt.

(Unterschriften fehlen).

16. Rundewiese(1)

Die Kolonie Rundewiese ist im Jahre 1832 auf der fruchtbaren, ebenen sogenannten

Judensteppe 165 Werst von Alexandrowsk und 235 Werst von Jekaterinoslaw

gegrьndet worden. An der sьdlichen Seite des Dorfes fдngt ein kleines Tal an, in

welchem, durch einige Quellen gespeist, ein kleiner FluЯ flieЯt, der den Namen

BiЯtasch(2) fьhrt und etwa 8 Werst gegen Sьden bei einem groЯen Steinfelsen sich

in den Karatisch(3) ergieЯt. Der BiЯtasch ist eine halbe Werst unterhalb des

Dorfes zum Zwecke einer Viehtrдnke eingedдmmt. Die zu beiden Seiten der Trдnke

liegende Steppe wird als Viehweide benutzt. Auf dem Lande befinden sich weder

Steinbrьche noch Waldungen, auch keine Sand- oder Grandguben. Alle

Baumaterialien mьssen mьhsam von anderen Orten herbeigeholt werden.

Die 26 ursprьnglichen Ansiedler(4) der Kolonie stammen grцЯtenteils von den,

etwa 65 Jahre vor dieser Ansiedlung eingewanderten deutschen Kolonisten der im

Gouvernement Tschernigow gelegenen Kolonie Rundewiese ab, weshalb sie auch

dieser Kolonie denselben Namen gegeben haben. Die Umstдnde der Ansiedler waren

die gleichen wie bei der Kolonie Kaltschinowka, ebenso ihr Schicksal im Jahre

1833. Im Jahre 1845 wiederholte sich die Viehseuche und MiЯernte des Jahres

1833, doch waren die Folgen weniger traurig und schmerzlich. Durch einen

reichlichen Erntesegen der letzten 2 Jahre ist die Kolonie zum Wohlstand

gelangt.

Verfasser: Schullehrer Jakob Jungus

Schulz: Allenborger

Beisitzer: Meyer, Grobowsky.

17. Darmstadt(5)

Die Kolonie Darmstadt wurde im Jahre 1842 auf ebener Steppe, 140 Werst von

Alexandrowsk, 230 Werst von Jekaterinoslaw und 20 Werst von Mariupol angelegt.

Das Land besteht aus schwarzem, leichtem Boden, welcher nur fьr Sommergetreide

und Gras ergiebig ist. Steinbrьche und Waldungen sind nicht vorhanden.

Die Kolonie hat ihren Namen von der Hauptstadt des Vaterlandes der ersten

Ansiedler erhalten. Ihrer waren 26 Familien, welche am 8. Juni 1841 ihre Heimat

________________

(1) Russischer Name: Lugansk.

(2) = Bestasch.

(3) = Karatysch.

(4) 1857: 27 Wirtschaften (132 Mдnner) auf 1620 Desj. und 7 landlose Familien

(90 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 33.

(5) Russischer Name: Nowgorod.

Page 189

Hessen-Darmstadt verlieЯen und nach 14 wцchentlicher, mьhevoller Reise ohne

Anfьhrer in RuЯland ankamen, wo sie in der Kolonie Ludwigstal Winterquartier

erhielten und sich im Frьhjahr 1842 auf ihrer цden Steppe ansiedelten. Im Jahre

1843 sind aus dem Regierungsbezirk Koblenz, GroЯherzogtum Niederrhein, noch 5

Familien ebenfalls ohne Anfьhrer eingewandert und zum Winter bei den

Molotschnaer Kolonisten einquartiert worden. Im Frьhjahr 1844 wurden ihnen die

noch freien Wirtschaften in Darmstadt angewiesen, wo sie sich dann auch

Wohnungen bauten. Die 26 ersten Ansiedler hatten vor ihrer Auswanderung je 800

Rubel banko beim russischen Gesandten deponiert und besaЯen auЯerdem kein

nennenswertes Vermцgen. Die 5 anderen Familien(1) brachten auЯer einer gleichen,

beim russischen Gesandten deponierten Summe noch etwa 5000 Rubel banko aus der

Heimat mit hierher. Die deponierten Gelder wurden zum Bau der Wohnhдuser und zur

wirtschaftlichen Einrichtung verwendet.

Bemerkenswerte Ereignisse sind bis dato nicht zu verzeichnen, auЯer daЯ die

Steppmдuse im Jahre 1843 die ganze Ernte zerstцrten.

Die 5 spдter eingewanderten Familien haben vor den ersten Begrьndern dieser

Kolonie den Vorteil voraus gehabt, daЯ sie eine zehnjдhrige Abgabefreiheit

genossen haben, wдhrend diesen nur 5 Freijahre eingerдumt waren(2).

Verfasser: Schullehrer Matthias Kappes.

Schulz: Konrad Vetter

Beisitzer: Heinrich Nab, Jakob Luft.

18. Marienfeld(3)

Die Kolonie Marienfeld wurde im Jahre 1842 gegrьndet und ist von Mariupol und

den Molotschnaer Kolonien je 90 Werst, von Alexandrowsk 105 Werst und von

Jekaterinoslaw 170 Werst entlegen.

Die 1-2 FuЯ tiefe obere Erdschicht ist schwarzer, leichter Humusboden. Die

Unterlage ist trockener, gelber Lehm, von auЯerordentlicher Festigkeit, welcher

im Verein mit dem vorherrschenden, rauhen trockenen Ostwind sehr das Wachstum

hemmt. Steinbrьche und Waldungen sind nicht vorhanden.

Weil Ihre Kaiserliche Hoheit, die Gemahlin des jetzigen GroЯfьrsten

Thronfolgers, unsere kьnftige Landesmutter Maria(4), in demselben Jahre des

GroЯherzogtum Hessen verlassen hat, als die von dorther stammenden, den

Grundstock der hiesigen Gemeinde bildenden 15 Familien nach RuЯland wanderten,

so haben sie der Kolonie den Namen Maria gegeben. Unsere kьnftige Landesmutter

ist also eine Prinzessin des uns unvergeЯlichen, durch manche hohe Tugenden

ausgezeichneten GroЯherzoglich-Hessischen Regentenhauses, und wir wollten das

Andenken an vorstehend erwдhnte Begebenheiten, welche in unseren Augen als sehr

wichtig erschienen, auch auf unsere spдtesten Nachkommen ьbertragen. Von den 15

________________

(1) 1857: 31 Wirtschaften (96 Mдnner) auf 1860 Desj. und 3 landlose Familien

(41 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 33.

(2) Vgl. S. 177 Anm. 1.

(3) Russischer Name: Marinopolje.

(4) Maria Aleksandrowna geb. 1824, gest. 1880 (Maximiliana Wilhelmine Auguste

Sophie Marie), Tochter des GroЯherzogs Ludwig II. von Hessen, Gemahlin

Alexanders II., vgl. Lindemann a.a.O. 108 ff.

Page 190

Familien stammten 11 aus dem Dorfe Hamm, 1 aus dem Dorfe Eick und 3 aus dem

Dorfe Ibersheim. Diese Dцrfer sind alle in der Provinz Rheinhessen, Kreis Worms,

Kanton Osthofen gelegen.

Die hiesigen Ansiedler sind mit der Partie der GroЯherzoglich-hessischen

Auswanderer, 40 Familien stark, ohne Anfьhrer hier angelangt. 25 Familien

grьndeten die Nachbarkolonie Darmstadt und 15 die hiesige Kolonie Marienfeld.

Die Steppe, welche dieser Kolonie zur Ansiedlung zugewiesen worden ist, war

unbewohnt und an benachbarte Kolonisten verpachtet. Pflugland war nicht

vorhanden, Hдuser auch nicht. Daher baute sich jede Familie eine mit Brettern

gedeckte Erdhьtte. So wohnten sie den auЯerordentliche regnerischen Sommer des

Jahres 1842 mit seinen kalten Nдchten hindurch und litten betrдchtlichen Mangel

an Bettung, Kleidung, WeiЯzeug und dgl. Zum Herbst wurden die ersten 10

Wohnhдuser fertig, in welchen den Winter ьber alle 15 Familien wohnten, bis zum

nдchsten Herbst 1843 auch die 5 ьbrigen Hдuser mit Gottes Hilfe fertig waren.

Den ersten 15 Ansiedlern dieser Kolonie ist weiter keine Unterstьtzung zu Teil

geworden, als daЯ sie von Mitte Oktober 1841 bis 15. Mai 1842 in der Kolonie

Elisabetdorf im Quartier waren, nicht wissend, wann sie angesiedelt wьrden, weil

die Ansiedlung von einer Zeit zur anderen verschoben wurde. Da pachteten sie

sich in der Nдhe Pflugland, kauften Getreide und sдten aus, aber

auЯerordentliche Dьrre und die sog. Steppmдuse vernichteten die Hoffnung auf

eine Ernte.

Mit betrьbtem Herzen sahen sie der Zukunft entgegen, indem ihre mitgebrachten

Mittel, welche sich auf etwa 4000 Rubel banko beliefen, nach und nach verzehrt

wurden. Da bei der herrschenden Teuerung alle Preise hoch waren, so kosteten die

unentbehrlichen Lebensmittel bedeutende Summen.

In den Jahren 1844 und 1845 sind abermals aus demselben Staate, der Provinz und

dem Kreise, wo die ersten Ansiedler herstammten, 8 Familien in dieser Kolonie

angesiedelt worden(1). Diese haben mehr Unterstьtzung gefunden. Sie haben

unentgeltlich auf der Gemeinde-Schдferei Pflugland erhalten, genieЯen 10

Freijahre, wдhrend die gleichzeitig angelangten ersten Ansiedler von Marienfeld

und Darmstadt nur 5 abgabefreie Jahre haben.

Bei den sehr spдrlichen Ernten der Jahre 1842, 1843 und 1844 konnten die

Kolonisten aus dem Erlцs der verkauften Produkte kaum die nцtigsten Ausgaben

bestreiten.

Vor Viehseuchen, Feuersbrьnsten und epidemischen Krankheiten ist die Kolonie

durch Gottes weise Vorsehung verschont geblieben.

Der Wohlstand der Kolonie ist dadurch einigermaЯen gefцrdert worden, daЯ in den

2 letzten Jahren reichlicher geerntet wurde und das Getreide einen annehmbaren

Preis hatte.

Marienfeld, den 22. Mдrz 1848.

Verfasser: Schullehrer Becher

Schulz: Hofmann

Beisitzer: Dubs, Kцhler.

________________

(1) 1857: 25 Wirtschaften (99 Mдnner) auf 1500 Desj., keine landlose Familien,

vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 33.

Page 191

19. Bergtal(1)

Auf Anordnung Sr. Exzelenz des Herrn Hauptkurators der Kolonisten SьdruЯlands

infolge Bittschrift der Chortitzer Mennonitenдltesten wurde laut Allerhцchstem

Ukase vom 30. Mдrz 1833 zur Ansiedlung der sich mehrenden und an Landmangel

leidenden Chortitzer Mennoniten das im Alexandrowschen Kreise des

Jekaterinoslawschen Gouvernements gelegene 9540 Dessjatinen enthaltende und an

das Mariupoler Kolonistengebiet angrenzende Grundstьck bestimmt, welches von dem

zur Ansiedlung der Juden bestimmt gewesene Land ьbrig geblieben war, worauf dann

auch im Jahre 1936 zur Ansiedlung der Kolonie geschritten und im gleichen Jahr

29 Wohnhдuser aufgebaut wurden, wozu aber noch 3 Wirte und einige Kleinhдusler

anbauten, so daЯ die Dorfschaft gegenwдrtig aus 32 Landwirten und 14

Kleinhдuslerfamilien besteht(2).

Die Benennung der Kolonie Bergtal wurde vom Chortitzer Oberschulzen Bartsch(3)

vorgeschlagen, von den Ansiedlern angenommen und von der hцheren Behцrde

bestдtigt. Sie sollte ihre цrtliche Lage bezeichnen.

Die Kolonie liegt 180 Werst von der Kreisstadt Alexandrowsk und 23 Werst von

Mariupol entfernt an einem kleinen Bache, welcher von den angrenzenden Russen

und Griechen Badny(4) genannt wird.

Der Erdboden ist mьrbe und grandig und trocknet bei eintretender Hitze bald aus.

Der bedeutendste Teil des Futtergrases auf der Wiesensteppe ist der gelbe oder

Steinklee, welcher bei trockener Witterung klein bleibt und nicht blьht.

Um die Lдndereien, Feuerstellen, Gдrten und StraЯen zweckentsprechend und

regelmдЯig einzuteilen, wurden die drei hiesigen Wirte Wilhelm Rempel, Jakob

Martens und Johann Wiebe als Deputierte gewдhlt, die so lange dieses Geschдft

verwalteten, bis nach geschehener Ansiedlung der ьbrigen 3 Kolonien dieses

Bezirks ein gemeinsames Gebietsamt bestдtigt wurde(5).

AuЯer einem kleinen Chutor, den die Bauern des Grafen Tolstoi hier besaЯen,

wurde auf dem ganzen Grundstьck keine Wohnung gefunden, und die Ansiedler waren

genцtigt, sich so gleich nach ihrer Ankunft auf diesem Platze vorerst Buden,

Zelte oder Erdhьtten zu errichten, um ihre besseren Effekten vor Nдsse zu

schдtzen, bis erst nach 2-3 Monaten die Wohnhдuser fertig waren.

Da die meisten der Ьbersiedler nur unbemittelte Familien waren, so wurden ihnen

zur Ьberfьhrung ihrer Sachen und ihres Eigentums aus dem Chortitzer Bezirke fьr

jede Familie 5 Fuhren auf Rechnung der Reihendienste(6) abgelassen. Einige

________________

(1) Russischer Name: Bodnja bzw. Petropawlowka.

(2) Am 30. Mдrz 1833 (II PSZ Bd. 8, 1, Nr. 6085) wurde das am 25. Mдrz 1817

gegrьndete Tutelkomitee fьr Hebrдer aufgelцst und die zur Ansiedlung

orthodoxer Juden refervierten Lдndereien dem Innenministerium unterstellt,

damit sie an Kolonisten vergeben wьrden.

(3) 1857: 32 Wirtschaften (113 Mдnner) auf 2080 Desj. und 9 landlose Familien

(115 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 32.

(4) = Bodni.

(5) Die mennonitischen Kolonien Bergtal, Schцnfeld, Schцntal, Heuboden wurden

zu einem besonderen Verwaltungsbezirk zusammengeschlossen.

(6) Bei den Molotschnaer Mennoniten wurden die Reihen- oder Frohndienste in den

40er Jahren nach sog. Zechen berechnet, und zwar galt u.a. die Tagesarbeit

einer Person 6, zur Erntezeit 9, die eines Pferdes 3, eines Pfluges 6

Zechen. Am Jahresende erfolgte eine genaue Abrechnung und evtl. Gutschrift

fьr das nдchste Jahr. Vgl. P. von Koeppen: Ьber einige Landesverhдltnisse,

S. 27.

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dieser Ansiedler gerieten beim Aufbau ihrer Hдuser und spдter durch ein paar

MiЯernten in tiefe Schulden, gegenwдrtig aber haben sie solche, nachdem sie seit

einigen Jahren fьr Getreide und andere Erzeugnisse eine gute Einnahme gehabt,

wieder fast ganz getilgt, auЯer 2 Wirten auch alle schon gute Stдlle und

Scheunen meistenteils aus eigenen Mitteln erbaut.

Die grцЯte Einnahme, welche die Landwirtschaft in dieser Gegend eingebracht, war

die Weizen- und Leinsamenernte, da diese Getreidearten gut gedeihen und in der

nicht weit von hier entfernten Hafenstadt Mariupol stets fьr sehr gute Preise

abzusetzen waren. So tut es dem fleiЯigen Landmann nicht mehr leid, daЯ er die

Beschwerde der Ьbersiedlung sozusagen ohne Vermцgen gewagt hat.

Gebe der Herr und nur seinen Frieden und erhalte er uns unseren Allergnдdigsten

Kaiser und die ьber uns zum Schutze bestehende Kolonial-Verwaltung, so lebt hier

ein Vцlkchen, das sich seines Daseins freut.

Dorfschulz: Penner

Beisitzer: Falk, Funk.

Schullehrer: Heinrich Wiens.

Bergtal, den 1. Mai 1848.

20. Schцnfeld(1)

Wenn man die auf der sьdwestlichen Seite dieser Kolonie sich erhebende Anhцhe

besteigt, die von der Kolonie durch eine Niederung getrennt ist, so kann man die

Reihen der Wirtschaftsgebдude ьbersehen. Alle Hдuser sind regelmдЯig angelegt

und im Innern zweckmдЯig eingerichtet. Was das ДuЯere besonders ziert, sind die

von den Ansiedlern angelegten Obstgдrten, die lдngst der Gasse mit wilden

Birnbдumen und zwischen den Feuerstellen mit Maulbeerhecken eingefaЯt sind. An

der цstlichen Seite dieser Kolonie befindet sich die Gehцlzplantage der ganzen

Dorfsgemeinde, welche mit verschiedenen Arten von Waldbдumen, darunter ein

Drittel Maulbeerbдume, bepflanzt ist. Diese Plantage enthдlt 12Ѕ Dessjatinen

Land, was auf jeden Wirt Ѕ Dessjatine betrдgt.

Die Kolonie wurde im Jahre 1837 gegrьndet und die Hдuser aus Luftziegeln gebaut.

Die Niederung, in welcher die Kolonie liegt, heiЯt auf Griechisch Bodny, d.h.

Wassertal. Da sie reich an Wasserquellen ist, so flieЯt hier beinahe den ganzen

Sommer hindurch ein kleiner Bach. Der Erdboden hat eine ѕ-1 Arschin dicke

Oberschicht von schwarzer vegetabilischer Erde auf einer Unterlage von

stellenweise mit Gestein vermischter gelber Tonerde. Die Fruchtbarkeit ist

mittelmдЯig. Am besten wachsen folgende Baumarten: Ahorn, Eschen, Rьster,

amerikanische Akazie, vorzьglich Maulbeeren und in den Niederungen Weiden. Die

nцtigen Steine werden auf 8 Werst Entfernung von einem groЯen Steinhьgel

herbeigeschafft.

Da der Ansiedlungsplatz, welcher von den Deputierten dieses Bezirks Wilhelm

Rempel und Jakob Martens, in Gemeinschaft mit dem Chortitzer Oberschulzen Jakob

Bartsch aufgesucht wurde, ein schцnes ebenes Feld war, so gaben sie der Kolonie

________________

(1) Russischer Name: Ksenjewka.

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den Namen Schцnfeld. Als man dort aber beim Graben eines Brunnens in einer Tiefe

von 52 FuЯ noch kein Wasser fand, so muЯte das Dorf bei der Kolonie Bergtal am

obenerwдhnten Bach angelegt werden. Den Namen Schцnfeld aber behielt das Dorf

schon bei.

Anfдnglich hatten sich hier 25 Familien(1) aus dem Chortitzer Mennonitenbezirk

angesiedelt. Seit 11 Jahren haben sich noch 16 junge Familien gebildet und als

Kleinhдusler angebaut. Das Vermцgen der ersten Ansiedler, die alle Kleinhдusler

waren, belief sich nur auf 400 bis 900 Rubel banko. In Anbetracht ihrer Armut

erhielten sie je 5 Transportfuhren aus dem Chortitzer Bezirk zur Ьberfьhrung

ihrer Effekten.

Da der Erdboden dieser Kolonie zum Getreidebau und zur Baumkultur recht gut

geeignet ist und das Getreide in dem nahen Mariupol seit einigen Jahren gute

Preise hat, so haben sich die Umstдnde der Ansiedler sehr gebessert.

Die Jahre 1840 und 1845 brachten empfindliche MiЯernten. Der Winter von 1840 auf

1941 war sehr ungestьm, und es fielen von 1385 Schafen 679 Stьck infolge

Futtermangels. Seit Grьndung der Kolonie sind bereits 31 Stьck Zugpferde

gestohlen worden, wodurch einige Wirte in groЯe Armut geraten sind.

Vor Feuersbrьnsten, Ueberschwemmungen, Erdbeben und epidemischen Krankheiten ist

die Kolonie verschont geblieben.

Im Winter 1840 auf 41 wьrde der Verlust an Vieh noch bedeutender gewesen sein,

wenn nicht der ehrsamen Kirchenдlteste Jakob Braun aus Bergtal Anstalt getroffen

hдtte, aus der Chortitzer Kolonie Geld anzuleihen und fьr die hungernden

Menschen und Tiere Nahrung herbeizuschaffen. Die dadurch entstandene groЯe

Schuld ist bereits getilgt. Das Geld hatte der Neuendorfer Krдmer Franz Thiessen

fьr billige Prozente hergegeben.

Dorfschulz: Grцning.

Beisitzer: Tцws, Huebert.

Schullehrer: Abraham Friesen.

Schцnfeld, den 8, Mai 1848.

21. Schцntal(2)

Nachdem die ersten zwei Kolonien dieses Bezirkes, Bergtal und Schцnfeld,

angelegt waren, lieЯen sich im Jahre 1838 noch 22 und im Jahre 1839 9

Kleinhдuslerfamilien aus dem Chortitzer Bezirk in einem Nebental der Niederung

Bodny unweit von den beiden genannten Kolonien nieder. Es wurden aber im ersten

Jahre nur 8, im folgenden 14 und im dritten Jahre die ьbrigen Wohnhдuser

gebaut(3). Im ьbrigen siehe die Geschichte der beiden ersten Kolonien.

Das etwas steinigte Land gibt hцchstens 7-8fдltige Ernten. Obst- und Gehцlzbдume

gedeihen gut.

________________

(1) 1857: 25 Wirtschaften (100 Mдnner) und 7 landlose Familien (66 Mдnner), vgl.

Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 32.

(2) Russischer Name: Nowo-Romanowka.

(3) 1857: 31 Wirtschaften (94 Mдnner) auf 2015 Desj. und 8 landlose Familien

(120 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 32.

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Der Name Schцntal soll die schцne Lage des Dorfes bezeichnen, ist vom Chortizer

Oberschulzen Bartsch vorgeschlagen und vom Oberschulzen von Kampen zur

Bestдtigung vorgestellt worden(1).

Der Kolonie sind 65 Arbeitspferde gestohlen worden.

Dorfschulz: Kehler.

Beisitzer: Neufeldt, Sawatzky.

Schullehrer: Franz Dyck.

Schцntal, den 1. Mai 1848.

22. Heuboden(2)

Die Kolonie wurde 1839 von 28 Kleinhдuslerfamilien aus Chortitza gegrьndet, wozu

sich noch 9 junge Familien gebildet und als Kleinhдusler niedergelassen

haben(3). Da der Platz, wo die Kolonie angesiedelt wurde, viel Heu lieferte, so

wurde er vom Chortizer Oberschulzen von Kampen und den die Ansiedlungskommission

bildenden Mдnnern Wilhelm Rempel, Jakob Martens und Johann Wiebe Heuboden

genannt. Er liegt in einem Tal, welches sich unterhalb der Kolonie Bergtal mit

der Bodny vereinigt. Naturwдlder sind nicht vorhanden. Die zum Bau der Hдuser

erforderlichen Steine werden gleich neben dem Dorf gebrochen. Das Vermцgen der

ersten Ansiedler bestand auЯer Vieh und Ackergerдten aus ungefдhr 13.300 Rubel

banko. Es war im Chortizer Bezirke meistens durch Tagelцhnerarbeit erworben

worden.

Zufolge Anordnung des Inspektors Kirchner(4) wurden die Feuerstellen der Wirte

30 Faden breit und 80 Faden lang abgemessen. Der verstorbene Vorsitzer Johann

Kornies lieЯ sie noch um 40 Faden verlдngern.

Das Ьbrige siehe bei Bergtal und Schцnfeld(5).

Dorfschulz: Kraus.

Beisitzer: Klaassen, Hiebert.

Schullehrer: Abraham Wiebe.

Heuboden, den 1. Mai 1848.

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