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Gemeindeberichte der Schwarzmeerdeutschen 1848.doc
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V. Das Molotschnaer Mennonitengebiet(1)

Geschichtliche Ьbersichten der Grьndung und des Bestehens der

Mennonitengemeinden an der Molotschna bis zum Jahr 1848. Aus

archivalischen Quellen herausgegeben von J. Stach.

Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 165-167,

169-172, 174-176, 178-179, 183, 185-186, 188-191, 193, 196-197,

199, 201-204, 206, 208-210, 212-213, 215-218, 220, 222, 225,

228, 231.

1. Halbstadt(2)

Den Mennoniten im Kцnigreich PreuЯen war laut Allerhцchster Deklaration von 1801

nicht erlaubt, ihre Lдndereien zu erweitern, noch andere auЯer den schon

vorhandenen kдuflich an sich zu bringen, weil sie sich ihren Glaubensgrundsдtzen

nach, der Kantonpflichtigkeit(*) nicht unterwerfen konnten(3). Dadurch gerieten

* Kanton hieЯ frьher in PreuЯen ein aushebungsbezirk. Kantonpflichtigkeit war

also soviel als Militдrpflichtigkeit. Anm. d. Red. [der Odessaer Zeitung].

sie bei zunehmender Familienzahl in bedrдngte Umstдnde. Nun waren schon frьher

auf das Verlangen Ihrer Majestдt der Kaiserin Katharina Mennoniten in's sьdliche

RuЯland eingewandert. Auf Grund dieses Verlangens und auf die den im Chortitzer

Bezirk im Jekaterinoslawschen Gouvernement angesiedelten Mennoniten von Sr.

Majestдt Kaiser Paul 1800 am 6. September Allerhцchst verliehenen

Privilegien(4), wanderten 1803 und 1804 eine Bedeutende Anzahl Familien aus dem

Kцnigreich PreuЯen, der Provinz WestpreuЯen und den Regierungsbezirken

Marienwerder und Danzig in das sьdliche RuЯland, wo sie sich im taurischen

Gouvernement niederlieЯen(5).

Eigentliche Anfьhrer hatten diese Einwanderer nicht, aber zwei aus ihrer Mitte,

Klaas und Wiens(6), spдter Ansiedler in der Kolonie Altona, und David Hьbert(7),

Ansiedler in der Kolonie Lindenau, hatten einigermaЯen das Ruder in der Hand.

________________

(1) Nach J. Stach in der Odessaer Zeitung Jg. 42, 1904, Nr. 165, S. 2, wurden

vom Molotschnaer Mennoniten-Gebietsamt (Gebietsvorsteher Tцws,

Gebietsbeisitzer: Braun und Neufeld, Gebietsschreiber Reimer) am 15. Mai

1848 44 Berichte an das "Fьrsorgekomitee" gesandt, von denen J. Stach aber

nur 43 verцffentlichte. Ьber den Bericht der Kolonie Ohrloff vgl. S. 161

Anm. 1.

(2) Halbstadt hat viel lдnger als die ьbrigen Kolonien seinen deutschen Namen

beibehalten.

(3) Vgl. die "Privilegia, Rescripte und Declarationen, zum Besten der

Mennoniten" bei Reiswitz und Wadzeck a.a.O. S. 33 ff., besonders S. 38 (17.

Dezember 1801).

(4) Vgl. I PSZ Bd. 26, Nr. 19546 und die Inhaltsangabe bei Friesen a.a.O. S.

98-100.

(5) 1802 wurden 150 Mennonitenfamilien aus Chortitza in das "Nikolajewsche"

Gouvernement versetzt, 1803 wanderten noch 150 Familien (1055 Personen),

1804 162 Familien (942 Personen) ein, vgl. Storch a.a.O. Bd. 4, S. 115, Bd.

6, Tabelle 6 und Bd. 8, S. 140, Varadinow a.a.O. Bd. 1, S. 124 f.

(6) soll wohl heiЯen "Klaas Wiens", der 1804-1806 erster Oberschulz des

Molotschnaer Mennonitengebiets war, vgl. H. Schroeder: RuЯlanddeutsche

Friesen. Dцllstдdt-Langensalza 1936, S. 19 und unten S. 90.

(7) Der Name wird auch "Hiebert" geschrieben.

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Schon auf der Reise, in der Grenz- und Gouvernementsstadt Grodno, hatten diese

Einwanderer von der Russischen hohen Krone einer besonderen Huld und Wohltat

sich zu erfreuen, indem einer jeden Familie 50 Rbl. Banko geschenkt wurden.

AuЯerdem bekamen sie noch von dort an auf 40 Tage fьr eine jede Seele ьber 12

Jahren 20 Kop. und unter 12 Jahren 10 Kop. Banko Zehrgeld, sowie nach ihrer

Ankunft bis zur ersten Ernte Nahrungsgelder, und zwar 8 Kop. Banko auf jede

Seele(1).

Unter diesen Einwanderern waren auch die 21 Familien, die die Kolonie Halbstadt

grьndeten(2). Sie kamen im Frьhjahr 1804, nachdem sie grцЯtenteils im Chortitzer

Mennonitenbezirk gewintert hatten, auf der ihnen vom Kriegsgouverneur Herzog von

Richelieu und dem Vorsitzer des Jeketerinoslawschen Kontors fьr auslдndische

Ansiedler Herrn Kontenius zur Besiedlung angewiesenen Steppe an, welche damals

teils von den Kronsbauern des 10 Werst entfernt liegenden Kirchdorfes

GroЯtokmak(3) und teils von umherziehenden Nogaiern benutzt wurde(4).

Die Kolonie wurde gegrьndet in der nicht gerade bedeutenden Niederung am linken

Ufer des Steppenflusses Molotschna, welcher 25 Werst auЯerhalb der Grenze des

Bezirks auf einem bedeutenden Berghьgel entspringt und bis 2 Werst vor dieser

Kolonie, wo das ZuflьЯchen Schцnhull(5) mьndet, Tokmak und von da an Molotschna

heiЯt. Die Entfernung von der damaligen Kreisstadt Orechow(6) ist 40, von der

jetzigen Kreisstadt Berdjansk(7) ungefдhr 120, von der Gouvernementsstadt

Simferopol ungefдhr 330 Werst(8).

Von Hдusern und Wohnungen jeder Art war diese Steppe ganz frei. Der Boden

besteht in der Niederung aus einer Mischung von Moorerde, Lehm und Sand; die

etwas hцher liegende Steppe, auЯer der oberen Schicht von 1 bis 1Ѕ FuЯ tiefer

schwarzer Erde, nur aus Lehm. Der Graswuchs auf den Heusteppen war

durchschnittlich nur mittelmдЯig, dagegen war die Weide fьr Pferde, Rindvieh und

________________

(1) Vgl. S. 8 und S. 106 Anm. 1.

(2) 1855: 21 Wirtschaften, 91 Anwohnerfamilien (insgesamt 311 Mдnner, 278

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

abwesenden Kolonisten sind inbegriffen).

1857: 21 Wirtschaften (175 Mдnner) auf 2165 Desj. und 24 landlose Familien

(133 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

(3) GroЯ- (Bolschoj-) Tokmak, gegr. 1784 im Wandergebiet der Nogaier, war

1797-1801 Verwaltungsmittelpunkt des Kreises Mariupol, vgl.

Semenov-Tjan-Sanskij a.a.O. Bd. 14, S. 665.

(4) Nach der Einverleibung der Krim wurden die Nogaier zunдchst an den Kuban

versetzt - wo sie den Namen der Kuban-Tataren erhielten -, 1791 jedoch auf

ihre alten Weideplдtze zwischen der Berda und Molotschna zurьckgefьhrt,

versuchte die russische Regierung sie hier seЯhaft zu machen, vgl. Storch

a.a.O. Bd. 5, S. 113.

(5) = Tschujgul, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 3, S. 301.

(6) 1796 entstand in einer gдnzlich verцdeten Gegend die Siedlung Orechowoje

Balka, die 1801 zur Stadt erhoben, Verwaltungsmittelpunkt des Mariupoler und

bis 1842 auch des Melitopoler Kreises war, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 3, s.

710.

(7) Berdjansk wurde 1842 Kreisstadt, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 1, S. 235 und oben

S. 91 Anm. 2.

(8) Bereits 17785 hatte Michail Kachowskoj, der das Taurische Gebiet verwaltete

und im Auftrage von Potemkin geeignete Lдndereien zur Anlage von Siedlungen

feststellen sollte, in erster Linie auf die Vorzьge des Molotschnaer Gebiets

hingewiesen, vgl. Skalkovskij a.a.O. Bd. 1, S. 174.

Page 90

Schafe krдftig und nдhrend; besonders aber eignete sich der Boden bei guter

Zubereitung und Behandlung mehr noch zum Ackerbau und trug in fruchtbaren Jahren

10 bis 15fдltige Frucht. Zur Verschцnerung der baumlosen Steppe ist am

nцrdlichen Ende des Dorfes dicht an der Molotschna auf den Wunsch Sr. Majestдt

Kaiser Alexander I. bei dessen hochgeschдtztem Besuch in den hiesigen Kolonien

im Jahr 1825 ein Wald von 10Ѕ Dess. angepflanzt(1), wozu von Sr. Exzellenz dem

Staatsrat Herrn Kontenius und dem hiesigen landwirtschaftlichen Verein(2) von

auswдrts Sдmereien bezogen wurden. Auch hat ein jeder Landwirt unter der Leitung

des Vereins 1 Dess. mit verschiedenen Obstbдumen auf seiner Feuerstelle als

Garten bepflanzt.

Den Namen Halbstadt gab der damalige Oberschulz(3) Klaas Wiens dieser Kolonie

ohne besondere Veranlassung auf den Wunsch der Ansiedler nach der Benennung

eines Dorfes in PreuЯen, in welchem einige derselben gewohnt hatten.

Die Hдuser wurden mehrenteils schon im ersten Sommer von mit zubereitetem Lehm

ausgefьlltem Fachwerk gebaut. Zur Unterstьtzung bekam jeder Ansiedler von der

Hohen Krone das zu einem Wohnhause erforderliche Bauholz und 125 Rbl. Banko als

VorschuЯ zum Ankauf von Vieh und Ackergerдten(4). Dieser VorschuЯ sollte ohne

Zinsen laut der Einwanderungsukase nach den gnдdigst bewilligten zehn Freijahren

in den zehn darauffolgenden Jahren zurьckgezahlt werden(5). Ihre eigenen vom

Auslande hergebrachten Mittel bestanden hauptsдchlich nur in Pferden, Wagen und

einigem Rindvieh. An baarem Gelde hatte die Mehrzahl kaum das Nцtige zur Reise;

und diese dьrftigen Umstдnde erschwerten die Ansiedlung sehr. Die Einnahme war

eine Reihe von Jahren in jeder Hinsicht дuЯerst klein. Die Produkte des Feldes

waren nicht abzusetzen, weil kein Handel stattfand. Der Weizen wurde in Mariupol

hцchstens zu 5 Rbl. Banko das Tschetwert gekauft. Bei solchen Preisen sah der

Landmann seine Arbeit nicht bezahlt und baute Getreide nur zu wirtschaftlichem

Gebrauch an.

Bei dieser geringen Einnahme konnten die Bewohner weder Mцbel noch

wirtschaftliche Gerдte anschaffen, sondern verfertigten solches zum

notwendigsten Bedarf meistens selbst, wodurch kein Handwerk und Gewerbe

emporkommen konnte. Nach und nach gewдhrte der Verkauf von Butter und Kдse, die

bei uns Mennoniten gut zubereitet werden, eine ziemliche Einnahme, doe noch

durch den zwar seltenen Verkauf von Pferden und Rindvieh etwas vergrцЯert

wurden.

Die Grundlage des Wohlstandes wurde die Schafzucht, welch wir der unermьdlichen

und vдterlichen Fьrsorge des Herrn Kontenius zu danken haben. Die Preise der

Wolle stiegen, und Veredelung und Verbesserung der Schafzucht war nun das

Hauptaugenmerk der Bewohner. In den Jahren 1835 und 1836 stieg das Pud Wolle auf

________________

(1) d.h. Ѕ Desj. von jedem Hof, vgl. auch S. 108 und S. 112 Anm. 4.

(2) Vgl. S. 109 Anm. 1.

(3) Vgl. S. 88 Anm. 4.

(4) Als es 1803 in RuЯland bekannt wurde, daЯ 150 Mennonitenfamilien aus der

Umgebung von Elbing und Marienburg nach RuЯland auswandern wollen, erhielt

der Zivilgouverneur von Grodno Anweisung, sie gut zu empfangen und

mittellosen Familien Geldunterstьtzung zu gewдhren, ohne daЯ die Hцhe der zu

verabfolgenden Gelder dabei angegeben wurde, vgl. I PSZ Bd. 27, Nr. 20691

(28 Mдrz 1803). Im Jahre 1803 wurden fьr sie 20209 Rbl. 34ѕ Kop. B. und 9286

Rbl. 58 Kop. Silber verausgabt, vgl. Storch a.a.O. Bd. 6, Tabelle VI.

(5) Vgl. I PSZ Bd. 28, Nr. 21909.

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45 R. Banko. So wurde die Schafzucht fьr eie Reihe von Jahren eine Quelle

reichlicher Einnahmen(1).

Ein anderes hцchst wichtiges Ereignis fьr diese Gegend ist die Anlegung der

Seestadt Berdjansk, wofьr wir und der hohen Regierung zu innigem Dank

verpflichtet fьhlen(2). Seit einem Jahrzehnt blьht nun ein weit verbreiteter

Handel in dieser Stadt. Mit gutem Gewinn konnte nun der Landmann die Produkte

seines Landes dorthin absetzen. Das gab ihm neuen Mut und neues Leben. Mit Luft

und doppeltem FleiЯ betrieb und verbesserte er nun den Ackerbau, wobei ihn der

landwirtschaftlich Verein unterstьtzte. Durch die ganz allgemein eingefьhrte

Schwarzbrache wurde der Acker bei Kraft erhalten. Auch durch die Verbesserung

der Pferde- und Rindviehzucht wurde der Wohlstand einigermaЯen gehoben(3).

Dagegen aber hat diese Kolonie und ihre Schwestern auch wieder Zeiten und

Umstдnde erlebt, die dem Fortschritt des Wohlstandes ganz und gar entgegen

waren.

In den Jahren 1812, 1813, und 1821 fiel die Ernte so gering aus, daЯ die

Bewohner sich und ihr Vieh nur mьhsam durchbrachten. 1833 war ein gдnzlicher

MiЯwachs, es wurde weder Getreide noch Futter fьr Vieh geerntet, und es entstand

ein groЯer Mangel. Aus Mangel an Weide auf der Steppe, die beinahe schwarz war,

und infolge der dazugekommenen Viehseuche fiel schon im Spдtsommer der grцЯte

Teil des Rindviehes und von dem durchgewinterten Vieh raubte einen Teil das

rauhe Frьhlingswetter. Brotgetreide fьr die Dьrftigen wurde mit von wohlhabenden

Bewohnern geliehenen Geldern in Polen angekauft. Das Pud Weizenmehl hat bis 5 R.

Banko gegolten. 1834 wurde auch nur wieder die Aussaat geerntet.

1823 und 1824 zerstцrten groЯe Heuschreckenschwдrme(4) die an sich geringe und

1827 eine hoffnungsvolle Ernte.

1829 und 1833 raffte die Viehseuche den Bewohnern durchschnittlich den grцЯten

Teil des Viehbestandes hinweg, wдhrend 1839 ein Teil von diesem Verlust

________________

(1) Die Gesamtzahl der Schafe bei den Molotschnaer Mennoniten betrug 1825: 33056

vgl. Rempel a.a.O. S. 7; 1836: 107895, vgl. P. Ja. Neufeld: Materaily po

istorii "krasnoj nemke" na r. Molocnoj v XIX veke (Materialien zur

Geschichte der "Roten Deutschen / soll heiЯen Kuh / am Molotschna-FluЯ im

19. Jh.). Molotschansk 1927 S. 1, Klaus a.a.O. Beilage 7; 1841: 104875, vgl.

ebenda; 1842: 97908, vgl. Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S. 189 f.; 1844: 103030,

vgl. ebenda.

(2) 1827 an der Stelle der ehemaligen Nogaiersiedlung Kotur Ogu entstanden, bot

Berdjansk - seit 1837 Hafenstadt -, den Kolonisten die Mцglichkeit, Getreide

ins Ausland auszufьhren, was eine starke Umstellung ihrer gesamten

Wirtschaft zur Folge hatte, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 1, S. 235.

(3) In diesen Gebiet waren:

Pferde Hornvieh

1825: 4569 6890 vgl. Rempel a.a.O. S. 7.

1836: 5029 7719 vgl. Neufeld a.a.O. S. 1, Klaus a.a.O. Beilage 7.

1841: 8688 10431 vgl. ebenda.

1842: 9021 12353 vgl. Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S. 187 f.

1844: 10086 13611 vgl. ebenda.

(4) In Anbetracht der Heuschreckenplage des Jahres 1824 wurde der Beginn der

Rьckzahlung von Kronsschulden fьr diejenigen Kolonisten, deren Freijahre

damals abliefen, auf den 1. Januar 1826 verschoben, vgl. I PSZ Bd. 40, Nr.

30281, 9. Mдrz 1825.

Page 92

verschont blieb.

Im Winter von 1824 auf 1825 litt die Gemeinde an einem fьrchterlichen

Schneejagen, doch nicht in dem Grade und so ununterbrochen anhaltend, wie in den

Kolonien an dem цstlichen Ende des Bezirks. Obgleich schon im Herbst der grцЯte

Teil des Viehes der MiЯernte wegen fьr sehr billige Preise hatte mьssen verkauft

werden, so konnte man doch das ьbrige des ungestьmen Wetters wegen nicht alles

retten, weil das дuЯerst wenige Futter tief im Schnee begraben lag und das

Stroh von den Dдchern nicht auslangte und auch zu schlecht war. Daher verlor die

Gemeinde fast all ihr Vieh.

Im Juni 1845 richtete ein starker Hagelregen, worunter Stьcke ѕ Pfund wogen, auf

den Feldern einigen Schaden an; aber Anfangs Juli zerschlug ein zweiter

Hagelregen die beinahe reifen Gersten- und Roggenfelder. Die Arbusenfelder, die

ebenfalls zerstцrt waren, erholten sich wieder.

1821 starben viele Einwohner an einem starken Nervenfieber.

1836 am 11. Januar Ѕ10 Uhr Abends war hier ein starkes Erdbeben, welches aber

keinen Schaden verursachte.

Als nьtzliche Anlagen zдhlt die Kolonie eine Bierbrauerei seit 1809, eine

Brennerei mit einem Dampfapparat, 3 Essigbrauereien, eine Wassermьhle seit 1810,

2 Fдrbereien, eine Tuchfabrik, welche 1815 und 1816 gebaut wurde, 1839 abbrannte

und 1842 wieder schцner und vollkommener aufgebaut wurde. Zu dieser Fabrik sind

von der hohen Krone 3000 Dessj. Land, im hiesigen Bezirk gelegen, geschenkt

worden(1). 1816 wurde das Gebietsamt hierher versetzt(2). Auch befindet sich

hier seit vielen Jahren eine bedeutende Handlung von verschiedenen

Schnittwaren, Holz, Eisen und vielen anderen fьr die Bewohner notwendigen Sachen

und Materialien.

1837 wurde die Kolonialgemeinde Halbstadt im Schulzenamte von dem Vorsitzer des

landwirtschaftlichen Vereins Johann Cornies(3) und dem Oberschulz Johann

Regier(4) um Erlaubnis gefragt, eine Handwerkerkolonie aus 200 Handwerkern

bestehend am цstlichen Ende von Halbstadt anzulegen, wozu von der Gemeinde 50

Dessj. Land zum Anbau und fьr 200 Stьck Vieh Weide verlangt wurde(5), was die

Gemeinde laut Gemeindespruch unter der Bedingung bewilligte, wenn sie als

Entschдdigung an der sьdцstlichen Grenze ihres Landes 600 Dessj. vom

angrenzenden Kronslande zugemessen bekдme, um 200 Stьck ihres Viehes dahin

versetzen und das Vieh der Handwerker mit ihrem ьbrigen Vieh gemeinschaftlich

weiden zu kцnnen. Das wurde 1841 vom Fьrsorgekomitee bestдtigt und 1842 die

Handwerkerkolonie angelegt(6).

________________

(1) Der von Johann Klaassen gegrьndeten Tuchfabrik war eine Fдrberei und Weberei

zur Herstellung von Tьchern angeschlossen. 1832 stellte sie 1467 Arschin,

1833 bereits 11918 Arschin her, die Arschin zu 2-16 Rbl. 1843 beschдftigte

sie bis zu 48 Arbeiter, vgl. Zurnal Ministerstva Vnutrennich Del (Journal

des Innenministeriums) 1843, Teil 1, S. 70.

(2) Woher? Aus Chortitza? Der Inspektor ьber alle deutschen Kolonien an der

Molotschna scheint damals in Prischib gewohnt zu haben, vgl. Reiswitz und

Wadzeck a.a.O. S. 371.

(3) Vgl. S. 96 Anm. 1.

(4) Johann Regier, 1833-1842 Oberschulz des Molotschnaer Mennonitengebiets, vgl.

Schroeder a.a.O. S. 19.

(5) nicht 50, sondern 600 Desj. von denen 200 Handwerkerfamilien je 3 Desj.

erhalten sollten, vgl. II PSZ Bd. 16, 1, Nr. 14703, 2. Juli 1841.

(6) Die Grьndung der Handwerkerkolonie war von Peter von Koeppen beim

Domдnenministerium (vgl. S. 93 Anm. 2) befьrwortet worden, weil von 539

Handwerkerfamilien in Halbstadt 269 Familien kein Land besaЯen. Die

Erlaubnis zu ihrer Errichtung wurde von der Erfьllung folgender Bedingungen

abhдngig gemacht: Bau eines Bethauses, Erцffnung einer Schule, Errichtung

von Verkaufslдden, Schaffung eines dem Molotschnaer Gebietsamt

unterstehenden Handwerkeramts mit einem Bьrgermeister und zwei Ratsherrn an

der Spitze, Anstellung von zwei Zehntmдnnern zur Aufrechterhaltung der

polizeilichen Ordnung, Errichtung von Hдusern nach dem genauen Vorbild der

ьbrigen Molotschnaer aus gebrannten Ziegeln, Anlage von Hausgдrten nach den

Weisungen des Landwirtschaftlichen Vereins (der Kommission fьr Gartenbau),

Aufnahme von nur tьchtigen, mennonitischen und verheirateten Handwerkern

durch das Molotschnaer Gebietsamt sowie den Landwirtschaftlichen Verein mit

der Erlaubnis, Lehrlinge aus anderen Stдnden zu beschдftigen, Zuweisung von

je drei Desj. an einen Handwerker, es sei denn, daЯ sein Gewerbe ein

grцЯeres Grundstьck rechtfertige, Errichtung und Umzдunung der Gebдude und

Vorbereitung des Bodens zum Setzen von Bдumen innerhalb von drei Jahren,

Eintragung in die Brandversicherung, Verbot auf den Landteilen der

Handwerker Landwirtschaft zu treiben, Anlage eines Vorrats-Magazins mit

Getreide, sobald die ersten 20 Hдuser errichtet sind, vgl. II PSZ Bd. 16, 1,

Nr. 14703, 2. Juli 1841.

Page 93

Mit Hohen Besuchen ist die Kolonie beehrt worden:

1818 von Sr. Majestдt Kaiser Alexander I. Hцchst derselbe geruhte einige

Augenblicke bei der Tuchfabrik abzusteigen und sie zu besehen.

1837 von Sr. Kaiserlichen Hoheit dem Thronfolger Alexander Nikolajewitsch.

1841 von Ihrer Kaiserlichen Hoheit der GroЯfьrstin Helena Pawlowna(1), welche

bei dem hiesigen Bewohner und derzeitigen Gebietsbeisitzer Johann Neufeld zu

nдchtigen geruhte.

1845 von Sr. Kaiserlichen Hoheit dem GroЯfьrsten Konstantin Nikolajewitsch,

welcher ebenfalls die Tuchfabrik besichtigte.

1841 von Sr. Erlaucht dem Minister der Reichsdomдnen General-Adjutanten Grafen

Kisselew(2).

1828 und 1835 von Sr. Erlaucht dem Kriegsgouverneur Grafen Woronzow(3), welcher

auch die Tuchfabrik besichtigte.

Schulz David Friesen.

Beisitzer Heinrich Nikkel, Johann Efau.

Schullehrer Andreas Voth.

Halbstadt im April 1848.

________________

(1) = Friederike Charlotte Marie, Prinzessin von Wьrttemberg (1806-1873),

Gemahlin des GroЯfьrsten Michail Pawlowitsch.

(2) Pawel D. Kiselew (1788-1872), ein entschiedener Vorkдmpfer der

Bauernbefreiung in RuЯland, leitete 1837-1856 das Domдnenministerium, dem

1837 auch die oberste Verwaltung der Auslдnderkolonien ьbertragen wurde

(vgl. II PSZ Bd. 12, Nr. 10834, 26. Dezember 1837), vgl. A.P. Zablockij-

Desjatovskij: Graf P.D. Kiselev i ego vremja (Graf P.D. Kiselew und seine

Zeit). Petersburg 1882.

(3) Als Michail Semenowitsch Woroncow (1782-1853) zum Generalgouverneur von

NeuruЯland (1823) und bevollmдchtigten Statthalter von Bessarabien ernannt

wurde, bemьhte er sich um die Hebung von Wirtschaft und Handel in den ihm

unterstehenden Gebieten. Auf seine Veranlassung entstand 1828 in Odessa eine

der дltesten landwirtschaftlichen Gesellschaften RuЯlands, die Obscestvo

selskogo chozjajstva Juznoj Rossii (Landwirtschaftliche Gesellschaft des

sьdlichen RuЯlands), an der er regen Anteil nahm. Diese Gesellschaft begann

ihre Tдtigkeit mit einer statistischen Untersuchung des Gebiets, sie

sammelte Material zur Geschichte der Landwirtschaft, sorgte fьr die

Ausbildung guter Landwirte, fцrderte den Wald-, Wein- und Gartenbau,

versuchte die Schafzucht zu heben und bessere Ackerbaugerдte einzufьhren.

Besonders groЯe Verdienste erwarb sie sich bei der Bekдmpfung von Seuchen.

Die von ihr herausgegebenen Zapiski (Schriften) enthalten ein reiches

Material auch zur Geschichte der Wirtschaft in den deutschen Siedlungen vgl.

M.P. Borovskij: Istoriceskij obzor 50 letnej dejatelnosti Imp. Obscestva

selskogo chozjajstva Juznoj Rossii (Historischer Ьberblick ьber die

50jдhrige Tдtigkeit der Kais. Landwirtschaftlichen Gesellschaft des

sьdlichen RuЯlands). Odessa 1878.

Page 94

2. Muntau(1)

Abdruck aus: Odessaer Zeitung. 42. Jg., 1904, Nr. 169.

Die auf dem fьr den Molotschnaer Mennonitenbezirk bestimmten Lande nach

Augenschein zur Anlage von Kolonien gewдhlten passendsten Stellen wurden durch's

Loos an die Ansiedlergruppen verteilt, welche sich zur Grьndung der einzelnen

Dцrfer vereinigt hatten. Auf die spдtere Kolonie Muntau fiel bei dieser

Verlosung ein Ort am linken Ufer der Molotschna, welcher zwischen den im

gleichen Jahr angelegten Dцrfern Halbstadt und Schцnau gelegen war, so aber

zwischen letzterem und diesem Dorfe ein Jahr spдter noch Tiegenhagen angesiedelt

wurde, etwa 47 Werst von Orechow und 114 Werst von Berdjansk entfernt, wo die

Nogaier auf freier, baumloser Steppe mit ihren Herden herumschwдrmten. Die

Ansiedlung geschah 1804 unter der Leitung des Oberschulzen Klaas Wiens; der Bau

der Wohnhдuser wurde aber infolge verschiedener Hindernisse erst 1805 und 1806

vollendet. Steppe und FluЯniederung eignen sich gut fьr den Getreidebau, doch

sind die Salpeterstellen in der Niederung bei trockener Witterung dem Graswuchs

hinderlich, wodurch selten eine gute Heuernte ermцglicht wird. Die an beiden

Seiten der Kolonie in gutem Wachstum sich befindenden Obstgдrten haben mehrere

Jahre unter den Beschдdigungen der Spindelraupe gelitten und sind ohne Frucht

und Laub wie verdorrt dagestanden. Die 1803(2) angelegte Waldanlage mit den

hohen Gipfeln ihrer Gehцlz- und Maulbeerbдume bietet dem Reisenden einen

anmutigen Anblick und gewдhrt den Besitzern Nutzholz und Laub zum Seidenbau,

welcher schon mehrere Jahre, wie auch im letzten 1847 gute Einnahme abgeworfen

hat.

Nach Uebereinkunft der 21 Ansiedler(3) der Kolonie mit dem Oberschulzen Klaas

Wiens wurden sie nach einem im frьheren Vaterlande befindlichen Dorfe Muntau

genannt.

Da die hier hausenden Nogaier keine Wohnungen, sondern nur bienenstockдhnliche

aus Stдben und Filzdecken zusammengestellte Zelthьtten, sog. Koschen(4),

besaЯen, so fanden, die Ansiedler hier kein Obdach vor. Zum ersten Winter

richteten sie sich Erdhьtten ein und benutzten die angefangenen Wohnhдuser zu

Viehstдllen. Der von der Krone erhaltene VorschuЯ belief sich fьr diese Kolonie

auf 12,640 R. 27 K. Banko.

Da jeder Wirt anfдnglich nur 2 Pferde besaЯ, so muЯten je zwei Wirte zusammen

die Saat bestellen(5). Die neidischen Nogaier aber stahlen ihnen hдufig die

________________

(1) Ursprьnglich "Nr. 2" genannt, vgl. S. 82 Anm. 4.

(2) muЯ heiЯen "1809".

(3) 1855: 21 Wirtschaften, 58 Anwohnerfamilien (insgesamt 213 Mдnner, 184

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden einbegriffen).

1857: 21 Wirtschaften (164 Mдnner) auf 1365 Desj. und 14 landlose Familien

(109 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

(4) russ. kos "Zelt, Lager" ist turkotatarisches Lehnwort.

(5) Aus diesem Grunde bot die russische Regierung 1813 den дrmeren Molotschnaer

Kolonisten die Mцglichkeit, ihren Ochsenbestand aufzufьllen, vgl. u.a. S.

58.

Page 95

Pferde weg, so daЯ dann 3 bis 4 Wirte zusammen zu pflьgen gezwungen waren,

weshalb die Saat zu spдt hinausgebracht wurde und die Ernte gering ausfiel.

Durch die Bemьhungen der Obrigkeit wurde der Diebstahl allmдhlich abgeschafft.

Die Viehseuche ist sieben Mal aufgetreten, doch ist die ganze Gemeinde nur

dreimal, 1828, 1833 und 1839 davon betroffen worden.

1822 bis 1827 richteten die Heuschrecken mehr oder weniger Schaden an. Im Jahr

1824 kam noch MiЯwachs und Hagelschlag dazu, so daЯ groЯe Not entstand und

besonders viel Vieh vor Hunger starb. Um einer Hungersnot vorzubeugen, sandte

die Ortsobrigkeit Mдnner nach Polen, um Getreide ankaufen zu lassen, wovon aber

eintretender Hindernisse wegen wenig ankam. Zum Glьck taten sich andere

Hilfsquellen auf, wodurch der grцЯten Not abgeholfen wurde. Im Jahre 1827 sind

die Heuschrecken, nachdem sie groЯen Schaden angerichtet hatten, mit einem

starken Sьdostwinde davongeflogen und bis auf diese Zeit, Gott sei Dank, nicht

wiedergekehrt.

In den Jahren 1833 und 1834 ьberstieg die Not alles Vorhergegangene. Da setzte

die Obrigkeit ьber alle Kolonien eine Hauptkommission ein, welche eine

Geldanleihe machen und in entfernten Gegenden Getreide ankaufen muЯte[n]. Die

fьr die einzelnen Kolonien eingesetzte[n] Kommissionen hatten das angekaufte

Getreide unter den Notleidenden zu verteilen, doch so, daЯ diese verpflichtet

waren, spдter alles wieder zu bezahlen. Hornvieh und Schafe wurden hдufig

geschlachtet, um Brot zu sparen und weniger Vieh zum Ausfьttern zu haben. Die

Pferde wurden auf entfernte Weideplдtze gebracht, so aber viele wegen der

knappen Weide umkamen und mit vielen Kosten zurьckgeholt werden muЯten(1).

Infolge bedeutender Spдtregen wuchs auf den verdorrten Feldern eine Menge Kurai,

womit man das ьbrige Vieh durchbringen konnte. Im Frьhjahr 1834 wurde den

Unbemittelten auch das Saatgetreide geliehen, aber, weil auch jetzt der Regen

ausblieb, gab es nur eine schwache Ernte und das zur Not erforderliche Futter

fьr das Vieh.

Im Julimonat des Jahres 1824 wurden vier Krдmer und ein Knabe aus anderen

Kolonien auf der Rьckreise aus Romen(2), woselbst sie die von den hiesigen und

den Wirten anderer Kolonien auf Kommission mitgenommene Wolle verkauft hatten,

von Juden ьberfallen, des erlцsten Geldes beraubt und schдndlich ermordet.

Am 11. Mai 1818 um 9 Uhr abends verspьrte man einen sanften ErdstoЯ; das

schreckenerregende Erdbeben vom 11. Januar 1838, welches hier um 9 Uhr 30

Minuten ausbrach, hatte die eine angenehme Folge, daЯ das Wasser in den Brunnen

seit der Zeit hцher steht.

Die veredelte Schafzucht, der Obstbau, der Seidenbau und der seit Grьndung der

Stadt Berdjansk aufgeblьhte Weizenbau haben diese und die anderen Kolonien zur

Blьte gebracht. Um das Wohl der Gemeinden hat sich auЯer vielen aus der Mitte

derselben gewдhlten Vorgesetzten besonders der im Jahre 1830 im 81. Lebensjahr

verstorbene Staatsrat S. v. Kontenius verdient gemacht. Der unvergeЯliche

________________

(1) Nдheres Material hierьber enthдlt die demnдchst in dieser Reihe erscheinende

Gemeindechronik von Grunau.

(2) wohl Romny, Gouv. Poltawa, wo bis 1852 einer der wichtigsten Jahrmдrkte der

Ukraine stattfand, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 4, S. 31.

Page 96

Vorsitzer Johann Kornies(1) leuchtete ьberall mit gutem Beispiel vor und rьgte

mit ernster Strenge die einschleichende Unordnung und Untдtigkeit. Besonders

verdient machte er sich durch die Verbesserung aller wirtschaftlichen

Einrichtungen. Leider wurde er zu frьh fьr sein ernstes Wirken durch den Tod

abgerufen. Er starb im Alter von 59 Jahren anno 1848 den 13. Mдrz, doch die

Frucht seines Wirkens ist uns soll noch in Zukunft gesegnet bleiben.

Ohne den Weizenbau, welcher noch gewinnbringender wurde als die Produktion der

Wolle, wдren die Kolonien nie das geworden, was sie sind. Jetzt sind in Muntau

die Hьtten der ersten Grьnder durch hьbsche, gerдumige und wohnliche Hдuser von

gebrannten Ziegeln verdrдngt, und diese haben die Kolonie ein weit schцneres

Aussehen gegeben.

Die in der Beschreibung von Halbstadt erwдhnten hohen Besuche wurden auch der

Kolonie Muntau zu teil(2).

Schulz Johann Langermann

Beisitzer Kornelius Lopp, Jak. Dьck.

Muntau, den 30. Apr. 1848. Schullehrer Gerh. Gossen, Verfasser.

3. Schцnau(3)

Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 170.

Die erste Ansiedlung des Molotschnaer Mennonitenbezirks bestand aus 9

Kolonien(4), worunter auch Schцnau such befand. Schцnau ist von Orechow 52 und

________________

(1) Johann Cornies, geb. in WestpreuЯen 1789, gest. in Ohrloff 1848, der

rьhrigste und erfolgreichste Fьhrer der deutschen Siedler im

Schwarzmeergebiet, was 1804 mit seinen Eltern nach Chortitza eingewandert,

wo er zunдchst unter der Aufsicht seines Vaters an der Branntweinbrennerei

arbeitete. 1806 lieЯ er sich im Molotschnaer Gebiet nieder. In kurzer Zeit

gelang es ihm hier, sich durch Ankauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse und

deren Verkauf in der Krim ein kleines Vermцgen zu schaffen, so daЯ er 1812

eine Schafzucht begrьnden konnte, der er 1816 ein Pferdegestьt anschloЯ.

1812 pachtete er die zur Ansiedlung von Mennoniten bestimmten, noch

unbesetzten Kronslдndereien. Nachdem er, 1817 zum Bevollmдchtigten in Sachen

der Mennonitengemeinde gewдhlt, 1824 vom Fьrsorgekomitee den Auftrag

erhielt, Merinoschafe fьr die Gemeindeschдferei zu kaufen, nahm er starken

Anteil an der Hebung der wirtschaftlichen Kultur seines Gebiets, besonders

seit 1830, als er zum Vorsitzenden der Kommission zur beschleunigten

Entwicklung von Forstwirtschaft, Seidenbau und Weinbau (des sog.

"Landwirtschaftlichen Vereins)" ernannt und vom Fьrsorgekomitee mit fast

unbeschrдnkten Vollmachten ausgestattet wurde. Sein Gut Juschanlee, das er

1836 vom Zaren zum Geschenk erhielt, entwickelte sich nun zu einer

Musterwirtschaft fьr die ganze Umgebung. Seine praktischen Erfahrungen

versuchte Cornies auch wissenschaftlich zu verwerten, so daЯ er 1838 zum

korrespondierenden Mitglied vom Wissenschaftlichen Komitee des

Domдnenministeriums gewдhlt wurde. Durch Cornies' Tдtigkeit erhielt auch das

Schulwesen in den Kolonien eine festere Grundlage. Eine gute Biographie

dieser ьberragenden Persцnlichkeit fehlt einstweilen, vgl. ьber ihn D.H.

Epp: Johann Cornies. Zьge aus seinem Leben und Wirken. Berdjansk 1909;

Gavel: Johann Cornies. Im: "Unterhaltungsblatt" Jg. 3, 1848, Beilage

Oktober; Mennonitisches Lexikon Bd. 1, S. 374; Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S.

181 f.; Friesen a.a.O. O.S. 155 f. u.a.

(2) Dieser Absatz stammt vermutlich von J. Stach.

(3) Ursprьnglich "Nr. 3" genannt.

(4) Die ersten neun, numerierten Kolonien waren: Halbstadt, Muntau, Schцnau,

Fischau, Lindenau, Lichtenau, Blumstein, Mьnsterberg, Altonau, vgl. Klaus

a.a.O. Beilage 2, S. 36.

Page 97

von Berdjansk 110 Werst entfernt. Der Boden ist in der Niederung mit leichter

schwarzer, etwas sandiger Erde Bedeckt, an manchen Stellen auch mit Salpeter,

wogegen er auf der Steppe etwas lehmig ist. Nachdem der Ackerbau durch die im

Jahre 1826 eingefьhrte Brache und die vom Jahre 1837 an betriebene

Vierfelderwirtschaft sehr verbessert worden ist, erntet man bei gehцriger

Bearbeitung und gьnstiger Witterung 10 bis 20fдltig(1). Zum Graswuchs ist das

Land nicht so gut geeignet, doch sind die Heuwiesen durch Schьttung mehrerer

Dдmme sehr verbessert; besonders vorteilhaft ist der im Jahre 1833 and der

Molotschna verfertigte, welcher in Frьhjahrzeiten alles den FluЯ herabkommende

Schnee- und Regenwasser auffдngt und ьber das Ufer treibt, wodurch ein Teil der

Niederung bewдssert und der Graswuchs sehr befцrdert wird. Doch ist durch diesen

Damm auch schon Schaden entstanden, indem das Wasser nach den starken

Regen[gьssen] am 21. Juni 1840 viel Gras und gemдhtes Heu durch Ьberschwemmung

zugrunde richtete, bis der 4 FuЯ breite und ebenso tiefe Abzugsgraben zu einem

80 bis 90 FuЯ breiten und 20 FuЯ tiefen Kanal erweitert wurde, wodurch das

Wasser dann wieder in's FluЯbett zurьckstrцmt.

Die im guten Wachstum begriffene Gehцlzplantage wurde im Jahre 1832 angelegt und

bis zum Jahre 1846 mit Mьhe und Kosten bepflanzt. Ehe zum Pflanzen der Bдume

geschritten wurde, muЯte der Boden mit einem eigens dazu verfertigten, mit 40

bis 60 Ochsen bespannten Pfluge ѕ Arschin tief umrigolt werden. Die jungen Bдume

wurden zum Teil 165 Werst weit hergeholt(2).

Die 1837 durch die am FluЯ gelegenen Kolonien angelegte PoststraЯe wurde 1838

ebenfalls mit Baumalleen bepflanzt(3).

Die Name der Kolonie stammt aus der alten Heimat und wurde ihr vom Oberschulzen

Klaas Wiens ohne besondere Veranlassung gegeben. Die Kolonie bestand

ursprьnglich aus 21 Familien(4), unter welchen die Begrьnder der Feuerstellen

Nr. 1 und Nr. 21, Gerhard Hildebrand und Peter Wiebe, ersterer 1000 Rbl. und

letzterer 1125 Rbl. Vermцgen besaЯen.

Was die gьnstigen und ungьnstigen Einflьsse auf den Wohlstand der Kolonie

anbelangt, so wird von hier das Gleiche wie von Muntau berichtet; auch wurden

ihr die gleichen hohen Besuche zu teil(5).

Gewalttaten und Diebstдhle wurden anfдnglich von den nogaischen Nachbarn verьbt.

Am 23 April 1811 wurde der Wirt dieser Kolonie Nr. 44, Jakob Triesen auf der

________________

(1) Vgl. hierzu: Verzeichnis der Aussaat und Ernte in den Jahren 1809-1848. Die

Weizenernte eines Molotschnaer und Chotitzaer Mennonitenwirts. In:

"Unterhaltungsblatt" Jg. 5, 1850, S. 60 und: Genaue Berechnung aus dem

Wirtschaftsbuche eines Wirts in der Molotschnaer Kolonie Mьnsterberg,

Mennoniten Jakob Neumann, ьber seine Aussaaten und Ernten aller

Getreidearten auf einem und demselben Acker 1806-1846. In:

"Unterhaltungsblatt" Jg. 1, 1846, S. 57-58.

(2) Aus dem Kronsgarten zu Jekaterinoslaw, vgl. S. 58 Anm. 5.

(3) Eine in RuЯland sonst ungewцhnliche Erscheinung.

(4) 1855: 21 Wirtschaften, 28 Anwohnerfamilien (insgesamt 154 Mдnner, 129

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die Stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 21 Wirtschaften (153 Mдnner) auf 1365 Desj. und 12 landlose Familien

(64 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

(5) Dieser Absatz stammt wohl von J. Stach.

Page 98

Steppe ьberfallen und mit Hдmmern fast zu Tode geschlagen. Herbeigeeilte

Kolonisten retteten ihn vom sichern Tode. Besonders hдufig wurden Pferde

gestohlen, wodurch manche Kolonisten in einer Nacht ein ganzes Vermцgen

verloren. Im April des Jahres 1813 wurden in einer Nacht 10 der besten Pferde

mit Gewalt genommen(1).

Schulz Klaas Dick.

Beisitzer Jakob Janzen, Peter Hildebrand.

Schцnau, d. 9. Apr. 1848. Johann Fast, Schullehrer.

4. Lichtenau(2)

Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 170.

Die Kolonie wurde 1804 gegrьndet und die Hдuser in demselben und im

darauffolgenden Jahr angelegt. Die Molotschna bildet die Grenze zwischen dem

Lande dieser Kolonie und demjenigen der Kronsdцrfer Bogdanowka(3) und

Troitzkoje(4), ist aber so flach, daЯ sie im Sommer oft ganz austrocknet. Sie

ist mit Schilf und Rohr bewachsen, welches zum Hдuserbau benьtzt wird. Lichtenau

liegt 58 Werst sьdlich von der frьheren Kreisstadt Orechow und 34 Werst nцrdlich

von der jetzigen Alexandrowka(5). Der Boden enthдlt in der Niederung salzige

Erde, ist zum Graswuchs geeignet und liefert jдhrlich 1 bis 3 Fuder Heu von der

Dessj. Die Steppe ist lehmig und hat wenig schwarze Erde, durch fleiЯiges

Brachen erhдlt man aber bis 8 Tscht. Roggen und Weizen, und bis 16 Tscht. Hafer

und Gerste von der Dessj. Den Namen hat der erste Oberschulz Klaas Wiens der

Kolonie nach einem Dorfe im Marienburger Werder gegeben. Die Zahl ihrer

Ansiedler war 21(6). Ihr KronvorschuЯ betrug etwa 10.400 Rbl. Banko.

Zur Verbesserung und Verschцnerung der Kolonie hat besonders der Umstand

beigetragen, daЯ manche Wirte wegen Alters oder allzu groЯer Schuldenlast ihre

Wirtschaften an bemittelte und tьchtige Wirte ьbergeben haben.

Mit hohen Besuchen ist die Kolonie ebenso wie die vorhergehenden beglьckt und

beehrt worden(7).

Lichtenau, am 1. Mai 1848. Beisitzer: Peter Siemens, Peter Heide.

Schulmeister Gerhard Kornelsen.

Schulz Kornelius Hildebrecht.

________________

(1) d.h. wohl von den Nogaiern gestohlen.

(2) Ursprьnglich "Nr. 6" genannt.

(3) Bogdanowka an der Bolschaja Ternawka, 18 Werst von Jekaterinoslaw entfernt,

war von Duchobory (vgl. S. 79 Anm. 2) angelegt worden, vgl. Semenov a.a.O.

Bd. 1, S. 275 und Skalkovskij Bd. 2, S. 167.

(4) Troitzkoje wohl gleichfalls ein Duchoboren-Dorf.

(5) Gemeint ist Nowo-Aleksandrowka (tatarisch Kysyjar), vgl. S. 56 Anm. 3.

(6) 1855: 21 Wirtschaften, 40 Anwohnerfamilien (insgesamt 160 Mдnner, 158

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 21 Wirtschaften (116 Mдnner) auf 1365 Desj. und 12 landlose Familien

(74 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

(7) Wohl Zusatz von J. Stach.

Page 99

5. Lindenau(1)

Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 171.

Am 15. Juli 1804 kamen die ersten Ansiedler unter Leitung ihres noch in

Chortitza gewдhlten Oberschulzen Klaas Wiens an dem ihnen zugewiesenen

Ansiedlungsorte an und grьndeten die Kolonie 269 Faden von der Molotschna

entfernt in einer etwa 2 Quadratwerst groЯen Niederung, welche von einem kleinen

der Molotschna gleich laufenden FlьЯchen in der Richtung von Nordost nach

Sьdwest durchschnitten ist. Zwischen den beiden Flьssen in die Niederung sehr

zum Graswuchs geeignet, weil sie sehr niedrig ist und oft ьberschwemmt wird. In

der Heuernte richten diese Ьberschwemmungen allerdings oft Schaden an. An der

andern Seite des kleinen Flusses ist die Niederung ihres salpeterhaltigen Bodens

wegen fast keines Ausbaus fдhig. Die mit etwas Lehm und Sand vermischte schwarze

Erde der Steppe ist weniger fьr den Graswuchs als fьr den Getreidebau geeignet,

auch wachsen auf ihr die Bдume besser als in der Niederung. Die Gehцlzplantage

ist oberhalb des Dorfes angelegt und zeigt ьppiges Wachstum, hat aber im

vergangenen Winter durch heftige Stьrme und Schneeverwehungen sehr gelitten. Der

erste Gebietsvorsteher(2) hat der Kolonie nach einem Dorfe im frьheren

Vaterlande den Namen Lindenau gegeben. An ihrer Stelle hat frьher ein groЯes

Nogaierdorf gestanden. Auf Befehl der Obrigkeit sind diese Nogaier im Jahre 1805

weggezogen und haben sich in einer Entfernung von 12 Werst und weiter von hier

angesiedelt(3). Die Namen der ursprьnglich hier angesiedelten 21

Familienvдter(4) waren nach der Reihenfolge ihrer Nummern folgende: Peter

Friesen, Peter Wiebe, Martin Born, Jakob Kдmpf, Daniel Neufield, Isaak Lцwen,

Isaak Wiens, Franz Enns, Heinrich Enns, Kornelius Tцws, Jakob Wiens, Kornelius

Penner, Klaas Friesen, Peter Kemsenning, David Hiebert, Jakob Klaasen, Kornelius

Gцrzen, Johann Wiebe, Peter Neufeld, Klaas Frцse, Paul Klaassen. Diese Familien

zдhlten 47 mдnnliche und 43 weibliche Seelen. David Hiebert, war der einzige,

welcher so viel eigenes Vermцgen besaЯ, daЯ er auf die Unterstьtzung der Krone

verzichten und sich auf eigene Kosten anbauen konnte. Die ganze Dorfsgemeinde

besaЯ an mitgebrachtem Vermцgen etwa 8000 Rbl. Silber. Das Anbauen war

anfдnglich etwas beschwerlich: einige hatten sich zum Winter Erdhьtten gemacht,

einige aber, die bemittelter waren oder mehr Arbeitskrдfte besaЯen, bauten sich

zu zwei und mehr Familien ein Wohnhaus fьr den Winter auf. - Zum Schutz fьr das

wenige Vieh bauten sie ebenfalls Hьtten. Das Bauholz muЯte auf eine Entfernung

von 85 Werst herbeigeholt werden. Die anwohnenden Nogaier konnten keine

Unterkunft bieten, weil ihre Behausungen lediglich bienenkorbдhnliche, mit

Filzdecken ьberzogene Zelte waren, welche sie auf ihren zweirдdrigen Wagen von

Ort zu Ort transportierten.

________________

(1) Ursprьnglich "Nr. 5" genannt.

(2) d.h. Klaas Wiens, vgl. S. 90.

(3) Zur Umsiedlung der Nogaier vgl. I PSZ Bd. 28, Nr. 21177 (23. Februar 1804).

(4) 1855: 21 Wirtschaften, 445 Anwohnerfamilien (insgesamt 166 Mдnner, 161

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 21 Wirtschaften (140 Mдnner) auf 1365 Desj. und 12 landlose Familien

(64 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

Page 100

Die gьnstigen und ungьnstigen Einflьsse auf das Wohl der Gemeinde sind die

gleichen wie in den vorhergehenden Kolonien.

Im Jahre 1825 nahmen unsere Krдmer Peter Bauer von hier, Jakob Dьck von

Tiegenhagen, Johann Willms von Blumstein und Johann Wiens von Altona von den

Bewohnern dieses Bezirks spanische Wolle auf Kommission und brachten sie im

Junimonat auf den Romer (wahrscheinlich Romni(1) im Gouv. Poltawa. D. Red. [der

Odessaer Zeitung]) Jahrmarkt zum Verkauf und begaben sich mit einem ansehnlichen

Erlцs auf die Heimriese. Doch was geschah? Von bekannten Juden in einen Wald

verleitet, wurden sie etwa 10 Werst vor dem Stдdtchen Gaditsch (wahrscheinlich

Gadjatsch)(2) von denselben ermordet. Unter der Zahl der Verunglьckten befand

sich auch der zwцlfjдhrige Sohn des Peter Bauer, namens Erdmann. Die Tдter

wurden bald erwischt, aber das Geld fьr die Wolle war doch meistenteils

verloren.

Im Hungerjahr 1833 wurde vom eigenen Vermцgen 1421 R. 83ѕ K. zum Ankauf von

Brotfrucht verausgabt, auЯer der Anleihe, die noch von einigen wenigen gemacht

worden war.

Es war ein schцner Tag, als Se. Majestдt Kaiser Alexander Pawlowitsch unsere

Kolonie besuchte und gerade hier die Station war. Er kam um 10 Uhr morgens bei

dem ehrwьrdigen Kirchenlehrer David Hiebert an, wo das Frьhstьck bereitet war.

Beim Eintritt ging er einigemal in der Stube auf und ab und sagte liebevoll:

"Jetzt, liebe Kinder, habe ich das deutsche Reich in Meinem Lande." Bei der

Frьhstьckstafel fragte er, ob auch jemand zu klagen habe, worauf dann Frau

Hiebert sagte: "Wir haben nichts zu klagen, sondern vielmehr zu danken fьr die

groЯe Gnade und huldreiche Aufnahme in Ihrem Reiche." Da faЯte er sich zweimal

vor die Brust und sagte: "Sie und Ihre Kinder und Kindeskinder sollen Meine

Gnade genieЯen." Beim Abschied ьberreichte er der Frau Hiebert zum

Gnadengeschenk einen Brillantring. Dieser Tag, an welchem wir den Gesalbten in

unserer Mitte zu sehen das Glьck hatten, wird uns und unseren Kindern nie aus

dem Gedдchtnis kommen(3).

Auch erinnern wir uns noch oft des 16. Oktober 1837 und des 1. Oktober 1841. Der

eine Tag brachte uns die Besuche Sr. Kaiserlichen Hoheit des Zдsarewitsch und

Thronfolgers Alexander Nikolajewitsch und der andere den Besuch Ihrer

Kaiserlichen Hoheit der Gemahlin des GroЯfьrsten Michail Pawlowitsch Helene

Pawlowna(4).

Am 20. August 1845 um 10 Uhr morgens ist auch Se. Kaiserliche Hoheit der

GroЯfьrst Konstantin Nikolajewitsch in unserer Kolonie zum Besuch gewesen, allwo

er bei dem Wirt Gerhard Neufeld einkehrte, mit mehreren seiner Begleiter das

Frьhstьck einnahm und der Frau des besagten Neufeld zu seinem hohen und

ehrenvollen Andenken zwei Brillanten Ohrringe ьberreichte.

Schulz Abraham Riediger.

Beisitzer Peter Quapp, Abraham Friesen.

Lindenau, den 1.Mai 1848. Anton Kornelsen, Schulmeister.

________________

(1) = Romny, vgl. S. 95 Anm. 2.

(2) vermutlich ein Zusatz von J. Stach.

(3) Vgl. hierzu Reiswitz und Wadzeck a.a.O. S. 398 und Friesen a.a.O. S. 143

(nach Krцkers Familienkalender 1900).

(4) = Friederike Charlotte Marie, Prinzessin von Wьrttemberg, vgl. S. 93 Anm. 1.

Page 101

6. Fischau(1)

Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 172.

Die Kolonie wurde 1804 angelegt, doch gelangten die Hдuser in diesem Jahr nur

unvollkommen zum Ausbau. Sie liegt am linken Ufer der Molotschna in einer

Niederung und ist von Melitopol 38 Werst entfernt. Der etwas salzige Boden der

Niederung ist fьr den Graswuchs besonders in trockener Zeit nicht sehr gьnstig.

Die mit etwas Lehm vermischte Schwarzerde der Steppe ist sehr fruchtbar und

liefert reichliche Ernten. Die Kolonie Fischau hat ihren Namen von einem Ort in

PreuЯen durch den Oberschulzen Klaus Wiens erhalten.

Die 22 hier angesiedelten Familien(2) stammen aus dem Danziger, Elbinger und

Tiegenhofener Bezirke im Kцnigreich PreuЯen. Von Anfьhrern bei der Einwanderung

werden auЯer Klaus Wiens, Jakob Neumann und Jakob Wiens namentlich angefьhrt.

Diese Steppe ist den Einwanderern von einem Hofrat v. Scholkow(3) angewiesen

worden.

Schulz Daniel Boschmann.

Beisitzer Abraham Isaak, Abraham Gцrtzen,

Schullehrer Peter Dцrksen.

Fischau, den 4. mai 1848.

7. Blumstein(4)

Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 172.

Die Kolonie ist im Jahre 1804 am linken Molotschnaufer gegrьndet und 31 Werst

von Melitopol and 100 Werst von Berdjansk entfernt. Das ihr zugehцrige Land hat

eine Lдnge von 9 und eine Breite von etwa 1Ѕ Werst. Am Ende dieses Planes dient

die Juschanlee(5) als Grenze und in der Nдhe der Kolonie flieЯt die Kurischan(6)

in schrдger Richtung durch denselben. In der Kurischan ist vermittelst eines

aufgeschьtteten Dammes ein Teich gemacht, der den Sommer ьber als Viehtrдnke

dient. - Der etwas salzige Boden der Molotschnaniederung ist den Baumpflanzungen

und dem Grase nicht zutrдglich, das etwas sandige Ackerland dagegen ist ziemlich

fruchtbar. Klaas Wiens hat der Kolonie nach einem ihm bekannten Ort in PreuЯen

den Namen Blumstein gegeben. Von den aus PreuЯen eingewanderten 21 Familien

stammten 8 aus dem Marienburgischen, 7 aus dem Elbingschen, 6 aus dem

Teigenhofschen Bezirke(7). Die meisten hiesigen Ansiedler sind unter dem

________________

(1) Ursprьnglich "Nr. 4" genannt, vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2 S. 36.

(2) 1855: 22 Wirtschaften, 34 Anwohnerfamilien (insgesamt 164 Mдnner, 162

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 22 Wirtschaften (132 Mдnner) auf 1430 Desj. und 11 landlose Familien

(58 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

(3) Scholkow bzw. Tscholkow (vgl. S. 116) - der Name lieЯ sich nicht ermitteln.

(4) Ursprьnglich "Nr. 7" genannt, vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

(5) = Juschanly.

(6) = Kurundujuschanly, vgl. S. 122 Anm. 6.

(7) 1855: 21 Wirtschaften, 71 Anwohnerfamilien (insgesamt 261 Mдnner, 243

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 21 Wirtschaften (127 Mдnner) auf 1365 Desj. und 15 landlose Familien

(85 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

Page 102

Anfьhrer Gerhard Hildebrand eingewandert, welcher nebst anderen seiner Partei

seinen Ansiedlungsort in der Kolonie Schцnau gefunden hat. Die Steppe ist den

Ansiedlern von einem Hofrat von Scholkow(1) angewiesen worden.

AuЯer den mit den anderen Kolonien gemeinsam erlebten Unglьcksfдllen und

Landplagen sind am 4. September 1817 zwei dritteile der Hдuser dieses Dorfes

Eingeдschert worden.

Bei seinem Besuch am 21. Mai 1818 geruhte Seine Majestдt Alexander Pawlowitsch

in einem Hause dieser Kolonie abzusteigen.

Schulz Heinrich Teschgraeb.

Beisitzer: Johann Krцker, Johann Harder.

Schullehrer Bernhard Barg.

Blumstein, am 2. Mai 1848.

8. Tiege

Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 174.

Diese Kolonie wurde im Jahre 1805 gegrьndet, die Grьnder derselben wanderten

aber schon im vorhergehenden Jahre 1804 in RuЯland ein. Sie kamen nmach einer

zwцlfwцchentlichen Reise mit anderen Einwanderern zu den Chortitzer

Glaubensbrьdern, wo sie einen langen harten Winter verlebten und einen Teil der

Geldvorrдte durch Ankauf von Lebensmitteln fьr die Menschen und das wenige

mitgebrachte Vieh verzehrten.

An dem Orte angelangt, der zur Ansiedlung der Mennonitenbrьderschaft bestimmt

war, nдmlich an dem Flusse Molotschna, wo schon im Jahre vorher 9 Dцrfer mit 191

Familien angesiedelt waren, wurden fьr 161 Familien, die sich in 8 Kolonien(2)

abteilten, passende Ansiedlungsplдtze ausgesucht und durchs Los verteilt. Dabei

kam die Kolonie Tiege mit noch drei Dцrfern an den ersten NebenfluЯ der

Molotschna, welcher Kurundujuschanlee(3) genannt wird, zu liegen, 55 Werst von

der damaligen Kreisstadt Orechow entfernt. Das dieser Kolonie zugehцrige Land

zieht sich von Nordwest nach Sьdost; dort ist der SteppenfluЯ Juschanlee(4) die

Grenze zwischen dem Land der Mennoniten und dem der Tataren(5). Die Lage des

Landes ist so vorteilhaft wie dessen Eigenschaften; das Dorf besitzt zwei

FluЯniederungen, welche 4Ѕ und 2Ѕ Dessj. Heuwiese auf den Wirt enthalten. Durch

aufgeschьttete Dдmme werden kьnstliche Bewдsserungen hervorgerufen, welche die

Ergiebigkeit der Graswiesen bedeutend erhцhen. Die Oberflдche des Steppenlandes

ist mit Lehm vermischte Schwarzerde, und an den Abhдngen ist an Stellen

ungemischter Lehm. In den Niederungen ist die Erde schwarz und mit Ausnahme

einiger Salpeterstellen gut und fruchtbar. Steine und Gestrдuch finden sich in

dieser Gegend nicht; erstere mьssen 24 Werst weit vom FlьЯchen Juschanlee geholt

werden. Man verwendet sie nur fьr die Fundamente der Gebдude. Die angepflanzten

Bдume wachsen in den Niederungen sowohl als auch auf den Anhцhen sehr gut, haben

aber nicht die Dauer, wie in einigen anderen Gegenden. Dabei fordert die

________________

(1) Der Name lieЯ sich nicht ermitteln, vgl. S. 116.

(2) 1805 wurden hier gegrьndet: Tiegenhagen, Petershagen, Schцnsee, Ladekopp,

Rosenort, Blumenort, Ohrloff und Tiege.

(3) Vgl. S. 122 Anm. 6.

(4) Juschanly.

(5) d.h. der Nogaier.

Page 103

Eigenschaft des Bodens eine gute Vorbereitung durch mehrmaliges Rigolen. Je

lдnger und цfter dies vor den Anpflanzungen betrieben wird, desto sicherer und

schnellet ist der Wuchs.

Nicht ohne bange Sorge waren die Grьnder, als sie hier die kahle Steppe sahen

und nicht wissen konnten, ob da ein Baum wachsen wьrde. Alle Kunde, die sie

erhielten, machte das zweifelhaft. So dachte wohl mancher an sein altes

Vaterland und die verlassenen schцnen Bдume in der Gдrten. Es wдhrte aber nicht

lange, so ersetzten die mitten in der Steppe ьppig prangenden und mit Luft und

Liebe gepflegten Baum- und Gartenanlagen den so schmerzlich empfundenen Mangel.

Der Name Tiege hat seinen Ursprung von einem FlьЯchen in WestpreuЯen, allwo ein

Dorf im Marienburgischen Bezirke gleichen Namens ist. Aus demselben war ein

Ansiedler mit Namen Kornelius Tцws, ein alter Mann von etwa 70 Jahren. Dieser

wьnschte, da das FlьЯchen Kurudujuschanlee dem FlьЯchen Tiege дhnlich war, zur

Erinnerung an seinen Wohnort in dem alten Vaterland, diesem Dorf jenen Namen

beizulegen. Die Kolonie Tiege wurde von folgenden (nach der Nummer der

Baustelle) aus dem Marienburgischen und Elbingschen Gebiet herkommenden

Ansiedlern gegrьndet: Gerhard Krцker, Klaas Wiebe, Johann Klaassen, Peter

Krцker, Klaas Wiens, Abraham Krцker, Martin Hamm, Kornelius Tцws, Philipp Isaak,

Peter Isaak, Wiwe Neufeld, Abraham Fast, Franz Isaak, Jakob Reimer, Abraham

Krцker, Isaak Wall, Johann Wiens, David Harder, Abraham Tцws, Michael Hamm(1).

Einige von ihnen hatten in PreuЯen eigene Wirtschaften besessen, andere aber

auch nicht. Dazu war ihnen jede Aussicht, solche dort zu erlangen,

abgeschnitten(2).

Diese Auswanderer hatten keine besonderen Anfьhrer und kamen auch nicht in einer

Partie hier an. Die Beschrдnktheit des Raumes und des Landes in PreuЯen war der

Hauptbeweggrund ihrer Auswanderung. Und als sich die Kunde von dem vorteilhaften

Angebot des Landes und der damit verbundenen Mithilfe der russischen Krone sowie

auch die zugesicherte Glaubensfreiheit immer mehr verbreitet und die Hoffnung

erweckte, daЯ ihnen und ihren Nachkommen in RuЯland eine glьckliche Zukunft

blьhen kцnne, da wurde der EntschluЯ fest, dahin auszuwandern. Einer teilte dem

andern diesen EntschluЯ mit, und ьber die notwendige Vorbereitung zur Reise

wurde auf Zusammenkьnften beraten. Die Ortsobrigkeit sowohl als auch die

russischen Konsuln in den Stдdten standen ihnen mit Rat und Hilfe zur Seite und

erleichterten in mancher Hinsicht das mit Mьhen verbundene Unternehmen.

Die 161 Familien(3), die in diesem Jahr auswanderten, traten in verschiedenen

Partien zusammen und machten sich im Vertrauen auf den Lenker aller menschlichen

Schicksale ohne besondere Anfьhrer von Segenswьnschen und Abschiedstrдnen der

Anverwandten und Nachbarn begleitet auf den Weg, auf dem sie von der Grenzstadt

________________

(1) 1855: 20 Wirtschaften, 34 Anwohnerfamilien (insgesamt 116 Mдnner, 124

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 20 Wirtschaften (123 Mдnner) auf 1300 Desj. und 13 landlose Familien

(48 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

(2) Vgl. Reiswitz und Wadzeck a.a.O. S. 38.

(3) Nach Varadinov a.a.O. Bd. 1, S. 124 f. und Storch a.a.O. Bd. 3, S. 140,

wanderten 1804: 162 Mennonitenfamilien ein.

Page 104

Grodno an die freundliche Fьrsorge ihres neuen Landesvaters in Seinen

Anordnungen verspьrten(1). Unter solchen Umstдnden kamen sie alle glьcklich und

wohlbehalten an dem Ort ihrer Niederlassung an. Bei der Verteilung der Dцrfer

aber wдhlten sie sich einen Anfьhrer aus ihrer Mitte, den Ansiedler in der

Kolonie Altona Klaas Wiens, der unter der Oberaufsicht des Vormundschaftskontors

in Jekaterinoslaw das Erforderliche leistete.

Die den Ansiedlern zugewiesene Steppe war mit nomadisierenden Nogaiertartenen

besetzt. Diese hatten damals noch meisten teils nach oben zugespitzte, mit einem

Rauchfang versehene Kibikten(2) als Wohnungen, deren Fachwerk mit von Filzdecken

ьberzogenen Stцcken gebildet war. An einer Seite war ein Loch zum Durchkriechen.

Diese Kibikten waren so leicht, daЯ man sie bei den hдufigen Wanderungen auf die

zweirдdrigen hцlzernen Wagen laden konnte, an welchen auch nicht die geringste

Spur von Eisen war. Und doch boten diese Hьtten Raum fьr eine ganze Familie.

Um den Nachkommen einen Begriff von dem Gemьtszustand ihrer Vorfahren zu machen,

in welchem sie sich bei der Grьndung der Kolonien befunden haben mochten, sei

hier in kurzem der Unterschied zwischen dem alten und neuen Wohnorte

hergestellt. Sie verlieЯen in PreuЯen eine schцne anmutige Gegend; einige hatten

gut eingerichtete Wirtschaften. Dort waren schцne fette Wiesen, mit Bдumen

bepflanzte StraЯen, blьhende Gдrten, welche gerade zur Zeit ihrer Abreise mit

reifen Frьchten prangten. Hier fanden sie [bei] ihrer Ankunft nichts als einen

groЯen, leeren Raum, eine цde Steppe, wo kein Strauch oder Baum zu sehen war und

kein schьtzendes Dach gegen die heiЯen Sonnenstrahlen zu finden war. Eine

unbekannte Menschenrasse war ihre zukьnftige Nachbarschaft, die durch ihr

halbwildes Aussehen bange Sorge einflцЯte(3). Die Vielen Entbehrungen, die

ungewisse Zukunft, - alles war dazu angetan, sie trьbe zu stimmen und ihnen den

Mut zu rauben. Aber hier war keine Zeit zum Grьbeln und Klagen: die Baustellen

wurden ausgemessen und durchs Los verteilt, Hьtten in und oberhalb der Erde

erbaut und zu Wohnungen eingerichtet, mit dem Bau der Hдuser wurde begonnen und

ein BienenfleiЯ an den Tag gelegt, wie ihn die hiesige Gegend wohl noch nie

gesehen hatte.

An mitgebrachtem Vermцgen kann die Dorfsgemeinde etwa 8,500 Rbl. Silber besessen

haben, woran aber nicht jeder einen Anteil hatte. AuЯerdem waren Pferde und

Wagen, einiges Hornvieh und Schafe bei den einzelnen Wirten vorhanden. Kornelius

Tцws und Franz Isaak waren so wohlhabend, daЯ sie die Unterstьtzung der Krone

entbehren konnten.

Im weiteren Verlauf ihrer Geschichte unterscheidet sich die Gemeinde nicht von

den bereits geschilderten(4).

Se. Majestдt der Kaiser Nikolai bestдtigte auf Seiner Reise durch die Krim das

von Kaiser Paul Allergnдdigst verliehene Privilegium, Er gab dem Fьrsorgekomitee

________________

(1) Vgl. hierzu I PSZ Bd. 27 Nr. 20691.

(2) russisch kibitka, aus dem Tьrkischen entlehnt "zerlegbares Zelt der

Nomaden".

(3) Ьber das Nebeneinanderleben von Nogaiern und Mennoniten vgl. Daniel

Schlatter: Bruchstьcke aus einigen Reisen nach dem sьdlichen RuЯland in den

Jahren 1822 bis 1828. Mit besonderer Rьcksicht auf die Nogauen Tataren am

Asowschen Meer. St. Gallen, Bern 1836.

(4) Der Absatz stammt wohl von J. Stach.

Page 105

wieder einen Mann in der Person des Wirklichen Staatsrates von Hahn(1), zum

Vorsitzer, der durch seine mehrmalige Bereisung der Kolonien sich von der

eigentlichen Lage derselben ьberzeugte und nun fortfдhrt mit wahrhaft

vдterlicher Fьrsorge dieselben zum Ziele ihrer Bestimmung fortzuleiten.

Beisitzer Aron Hьbert(3). Kornel. Baerkmann.

Schulz Johann Tцws.

Schullehrer Peter Sawatzkij(4).

9. Tiegenhagen

Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 175.

Im Jahre 1804 schritt man, als die Ansiedler sich hier gesammelt hatten, unter

der Leitung des damaligen Oberschulzen Klaas Wiens zur Anlegung der ersten

Kolonien. Im darauffolgenden Jahr geschah die zweite Ansiedlung unter demselben

Anfьhrer. Die Ansiedler von Tiegenhagen stammen wie die anderen ihrer

Glaubensbrьder aus dem Marienburgschen und Tiegenhofschen Kreise in WestpreuЯen

und waren im Chortitzer Bezirk ьber den Winter einquartiert gewesen. Als man das

Los ьber die nach Augenschein gewдhlten passendsten Stellen warf, so fiel auf

diese Kolonie ein Ort am linken Ufer des Molotschnaflusses, zwischen den ein

Jahr frьher angelegten Kolonien Muntau und Schцnau gelegen, ungefдhr 45 Werst

entfernt von der damaligen Kreisstadt Orechow(5) in einer Gegend, die frei von

Bдumen und Gestrдuchen war. Hier befand sich ein russischer Chutor(6), dessen

Besitzer fortzog. Zu beiden Seiten der Kolonie ragen die seit 1832 mit dem

grцЯten FleiЯ angepflanzten Waldanlagen hoch empor. - Der Erdboden ist dem

Flusse zu mit Salpeter gemischt und zum Getreidebau und Heuschlag wenig

geeignet; der ьbrige weitaus grцЯere Teil des Landes ist sandig und gьnstiger

fьr den Getreidebau als fьr Heuschlag.

Dieser Kolonie gab man ohne besondere Veranlassung nach einem in PreuЯen am

FlьЯchen Tiege befindlichen Dorfe nach Uebereinkunft der darin anfдnglich

wohnenden 21 Landwirte in Gemeinschaft mit dem Oberschulzen(7) den Namen

Tiegenhagen.

Achtzehn Ansiedler(8) dieser Kolonie kamen arm hier an; ihr Vermцgen bestand

wohl nur in einem Fuhrwerk, wдhrend das Reisegeld kaum bis zur russischen Grenze

________________

(1) Vgl. S. I.

(2) Reisen in die Kolonien gehцrten zu den Pflichten der Vorsitzenden des

"Fьrsorgekomitees", vgl. I PSZ Bd. 35 Nr. 27312.

(3) Der Name wird auch "Hiebert" geschrieben.

(4) Zu den slavischen Familiennamen bei den Mennoniten vgl. Quiring a.a.O. S.

106 ff. und Schroeder a.a.O. S. 70 ff.

(5) Vgl. S. 89 Anm. 6.

(6) = Wirtschaftshof, vgl. auch S. 124 Anm. 2.

(7) = Klaas Wiens, vgl. S. 88 Anm. 6.

(8) 1855: 21 Wirtschaften, 33 Anwohnerfamilien (insgesamt 159 Mдnner, 131

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 21 Wirtschaften (127 Mдnner) auf 1365 Desj. und 11 landlose Familien

(43 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

Page 106

gelangt hatte. Deshalb bekamen sie auЯer einem VorschuЯ von 10.938 R. 50 K.

Banko(1) von dem Augenblick, als sie die Grenze ьberschritten, bis zur ersten

Ernte Zehrungsgelder. Drei Ansiedler, deren mitgebrachtes Vermцgen in 4000 R.

bestand, bedurften dieses Vorschusses nicht und lehnten ihn ab.

Aus diesem Unterschied des Vermцgensstandes eines teils und den seit der

Ansiedlung geschehenen Ereignissen andererseits erklдrt sich auch der

Unterschied im Fortschritt der Landwirtschaft unter den einzelnen Wirten. Dieser

Fortschritt ist durch die auch ьber die anderen Kolonien gekommenen und bereits

geschilderten verschiedenen Landplagen und Naturereignisse bei dem einen mehr,

bei dem andern weniger gehemmt worden, wдhrend er durch Mдnner wie die

Vorgesetzten Kontenius, Staatsrat von Hahn und die aus der eigenen Mitte

erwдhlten, unter welchen besonders Johann Kornies hervorragt, durch die Anlage

der Stadt Berdjansk und durch die an anderen Orten bereits geschilderten Hohen

und Allerhцchsten Besuche gefцrdert worden ist.

Schulz Abraham Friesen.

Beisitzer Martin Willms. - Warkentin.

Daniel Fast, Schullehrer.

Den 29. April 1848.

10. Petershagen(2)

Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 176.

Diese Kolonie wurde im Jahr 1805 von bereits im Jahr 1804 eingewanderten

Ansiedlern gegrьndet. Den Winter hatten sie in den Chortitzer Kolonien

zugebracht, wo die Bemittelten einige Unbemittelten bei sich aufgenommen hatten,

________________

(1) Nach dem Petersburger Bцrsenkurs betrug der Wert eines Assignatenrubels in

Silber:

1788: 92 3/5 Kop. S. 1804: 79 1/3 Kop. S. 1819: 26 1/3 Kop S.

1789: 91 3/4 Kop. S. 1805: 77 Kop. S. 1820: 26 1/3 Kop S.

1790: 87 Kop. S. 1806: 73 Kop. S. 1821: 25 2/3 Kop S.

1791: 81 1/3 Kop. S. 1807: 67 1/2 Kop. S. 1822: 26 1/4 Kop S.

1792: 79 1/2 Kop. S. 1808: 53 3/4 Kop. S. 1823: 26 2/5 Kop S.

1793: 74 Kop. S. 1809: 44 2/3 Kop. S. 1824: 26 1/2 Kop S.

1794: 71 Kop. S. 1810: 33 1/3 Kop. S. 1825: 26 2/5 Kop S.

1795: 68 1/2 Kop. S. 1811: 25 2/5 Kop. S. 1826: 26 2/3 Kop S.

1796: 70 1/2 Kop. S. 1812: 26 2/5 Kop. S. 1827: 26 5/6 Kop S.

1797: 79 1/2 Kop. S. 1813: 25 1/5 Kop. S. 1828: 26 5/6 Kop S.

1798: 73 Kop. S. 1814: 25 1/5 Kop. S. 1829: 27 3/7 Kop S.

1799: 67 1/2 Kop. S. 1815: 20 2/3 Kop. S. 1830: 26 1/3 Kop S.

1800: 65 1/2 Kop. S. 1816: 25 1/3 Kop. S. 1831: 26 8/9 Kop S.

1801: 66 1/4 Kop. S. 1817: 25 1/6 Kop. S. 1832: 27 1/6 Kop S.

1802: 71 2/5 Kop. S. 1818: 25 1/4 Kop. S. 1833: 27 1/4 Kop S.

1803: 80 Kop. S.

Vgl. hierzu die vom Grafen Speranskij nach offiziellen Daten

zusammengestellte Tabelle ьber Bewegung und den Wert der Assignaten bei

Alfred Schmidt: Das Russische Geldwesen wдhrend der Finanzverwaltung des

Grafen Cancrin von 1823-1844. Petersburg 1875, S. 25 f. - Aus diesen

Kursschwankungen erklдrt sich auch zum Teil die hдufig wiederkehrende Klage

der deutschen Kolonisten, daЯ die russischen Regierungsbeamten ihnen nicht

den vollen Betrag der Unterstьtzungsgelder auszahlten, vgl. z.B. S. 13 Anm.

2.

(2) Russischer Name: Sladkaja (bzw. Solodkaja) Balka.

Page 107

wofьr diese jenen beim Hдuserbau halfen und wiederum hierin bei ihnen

Unterstьtzung fanden. So konnte im Frьhling 1805 mit Erfolg zur Anlegung der

Kolonie und zur Niederlassung geschritten werden.

Die Lage des Landes und das Bestreben der Kolonisten, in der Nдhe eines

Gewдssers anzusiedeln, brachten es mit sich, daЯ man die Kolonie am Auslaufe

eines kleinen Steppenflusses in des TokmakfluЯ, 5 Werst vom Dorfe Tokmak(1)

entfernt, verlegte, wo sie an der einen Seite eine kleine Niederung und an der

andern Seite auf einer Unterlage von rotem Ton ein fruchtbares, aus Schwarzerde

bestehendes Steppenland besitzt. Die Steppe eignet sich vorzьglich zum

Getreidebau, wдhrend die den wohltдtigen Ueberschwemmungen des schmelzenden

Schnees ausgesetzte Niederung mit ihrer bedeutenden Schicht von Dammerde dem

Graswuchse sehr gьnstig ist.

Auf den Wunsch des hiesigen Ansiedlers Abraham Janzen, dem alle anderen

beipflichteten, wurde der Kolonie zum Andenken an einen Ort im frьheren

Vaterlande, wo manche Ansiedler gewohnt hatten, der Name Petershagen gegeben.

Die hiesigen Ansiedler waren grцЯtenteils junge Familien, von welchen 12

bemittelt und 8 unbemittelt waren(2). Sie waren bei Grodno im Jahr 1804 aus den

Bezirken Danzig, Elbing und Marienburg durch russisch Polen ьber die Grenze

gekommen und zur Ueberwinterung in die Chortizer Kolonien gewiesen worden. In

mцglichst kleinen Partien hatten die Einwanderer nach vorhergegangener Beratung

die einsichtsvollsten Mдnner zu Fьhrern bestimmt. Unter den hiesigen Ansiedlern

befand sich ein Mann namens Johann Janzen, Bruder des erwдhnten Abraham

Janzen(3), der als Fьhrer einer Partie mit bedeutendem Vermцgen und einer

zahlreichen Familie auch im Jahr 1804 eingewandert war. An ihn hatten sich auЯer

seinen drei verheirateten Sцhnen wдhrend des in Chortitza zugebrachten Winters

noch 16 Familien aus verschiedenen Partien angeschlossen. Eine weise MaЯregel

der russischen Regierung bei der Einwanderung der Ansiedler hatte darin

bestanden, daЯ jeder Partie nach Ueberschreitung der Grenze den des Landes und

der Sprache unkundigen Leuten von Station zu Station ein des Weges kundiger

Soldat beigegeben wurde, welcher fьr Schutz und Sicherheit und fьr mцglichst

schnelle und billige Herbeischaffung der nцtigen Lebensmittel Sorge zu tragen

hatte(4).

Der Anblick des von den Bewohnern des Kronsdorfes Tokmak zur Viehweide

benutzten, nur mit einigen dьrren Grдsern bedeckten Landes, wo weder Haus, noch

Baum, noch Strauch zu sehen war, mag auf die Ansiedler beim ersten Betreten

desselben im Frьhling 1805 einen traurigen Eindruck gemacht haben. Doch man

hatte keine Zeit, sich wehemьtigen Rьckerinnerungen an das soeben verlassene

Vaterland hinzugeben: die erste Ernte muЯte bestellt und das unentbehrliche

Obdach muЯte bebaut werden. Die acht unbemittelten Familien bekamen auЯer den

tдglichen Zehrungsgeldern vom Betreten der Grenze bis zur ersten Ernte einen

KronvorschuЯ

________________

(1) = GroЯ-Tokmak, vgl. S. 89 Anm. 3.

(2) 1855: 20 Wirtschaften, 44 Anwohnerfamilien (insgesamt 143 Mдnner, 143

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 20 Wirtschaften (111 Mдnner) auf 1300 Desj. und 14 landlose Familien

(59 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 38.

(3) f. oben.

(4) Vgl. I PSZ Bd. 27, Nr. 20691.

Page 108

von 4541 R. Banko, all ohne Unterschied jedoch ein ansehnliches Geschenk beim

Uebertritt ins Russische Reich von der Behцrde ausgezahlt. Die zwцlf bemittelten

besaЯen im ganzen ein Vermцgen von etwa 15.500 R. Banko.

Die hiesigen Einwanderer hatten eine ansehnliche Zahl deutscher Kьhe und Stiere

aus PreuЯen mitgebracht, welche gleich im ersten Jahr an der ausgebrochenen

Viehseuche bis auf 3 Stьck eingingen. Der Verlust war hart, jedoch da nur diese

eine Ansiedlung von der Krankheit betroffen wurde, so konnte man das Vieh durch

Ankauf aus den anderen Kolonien nach Mцglichkeit ersetzen. Hдrter war de Verlust

im Jahre 1809, wo ьber die Hдlfte des Rindviehes an der Seuche verloren ging. Da

von der Seuche dieses Jahres viele Kolonien mit betroffen wurden, so war dann da

deutsche Rindvieh teuer und trotz der guten Ernten auf dem jungfrдulichen Boden

wurde der Geldmangel bei der Billigkeit aller lдndlichen Produkte sehr fьhlbar.

1823 zerstцrte die kleine, 1827 die grцЯere Gattung von Heuschrecken die Ernte.

1828 fielen wiederum 145 bis 150 Rinder an der Viehseuche. Schwerer jedoch als

alles andere waren die Jahre 1833 bis 1834, wo man infolge des MiЯwachses das

Getreide 300 bis 500 Werst herholen muЯte und das Tscht. Roggen hier am Orte 40,

das Tschetwert Weizen 50 Rbl. Banko zu stehen kam.

Trotzdem bei den hiesigen Einwanderern die Schafzucht im Auslande nur einen

дuЯerst unbedeutenden Wirtschaftszweig gebildet hatte, so waren es doch 20 und

einige Stьck Schafe, welche sie aus PreuЯen mitgenommen hatten und womit sie die

hiesige Schafzucht begrьnden wollten. Ungeachtet der edlen und gemeinnьtzigen,

auf Vermehrung und Veredlung der Schafe gerichteten Absichten des Wirkl.

Staatsrats Kontenius gedieh die Schafzucht nur langsam, und erst in den 20er

Jahren fing bei den Ansiedlern der Wunsch an rege zu werden, sich mit der

Veredlung der Schafe mehr zu befassen. Es wurden zu diesem Behufe aus der

Gemeindeschдferei(1), fьr welche 1807 Merinos angekauft und spдter von der hohen

Krone Zuchtbцcke geschenkweise bewilligt wurden, uns lehnsweise Merinos-

Sprungbцcke abgelassen. Seitdem hat uns die Schafzucht bedeutende Einnahmen

verschafft.

Aber nicht allein diesen, sondern allen Zweigen der Landwirtschaft seine

Aufmerksamkeit schenkend, war der selige Herr Kontenius noch besonders fьr

Baumanpflanzungen gestimmt. Durch Loben der FleiЯigen und Ermahnen der weniger

Tдtigen wurde danach gestrebt, die Kolonie mit Obstgдrten nicht bloЯ zu

verschцnern, sondern auch in ihren Einnahmen zu bereichern. Doch noch wichtiger

ist in dieser Hinsicht die Folge des Allerhцchst ansgesprochenen Wunsches Sr.

Majestдt des hochseligen Kaisers Alexander I. bei dessen Durchreise durch die

hiesigen Kolonien im Jahre 1825, daЯ jeder Wirt Ѕ DeЯjatine mit Waldbдumen

bepflanze(2). Zufolge dieses Allerhцchsten Wunsches wurde vom Fьrsorgekomitee,

dessen damaliger Vorsitzender General der Infanterie Insow(3) war, im Jahre 1832

________________

(1) Es war die Aufgabe der Gemeindeschдfereien, die Ansiedler mit Bцcken zu

versehen. Zum 1. Nov. wurde jдhrlich je ein Bock auf 25 Schafe verteilt.

Nach der Bespringungszeit wurden sie genauestens untersucht, um kranke Tiere

rechtzeitig ausscheiden zu kцnnen, vgl. Koeppen: Ьber einige

Landesverhдltnisse S. 35.

(2) Vgl. auch Fadeev a.a.O S. 405.

(3) Iwan Nikititsch Inzow (1768-1845) war 1818-1845 Vorsitzender des

"Fьrsorgekomitees", vgl. ьber ihn vorlдufig: Russkij Biograficeskij Slovar

s.v. Eine eingehende Beleuchtung seiner Verdienste um die deutschen Kolonien

folgt in einem der nдchsten Bдnde dieser Reihe.

Page 109

ein landwirtschaftlicher Verein im Molotschnaer Mennonitenbezirk gebildet und

bestдtigt(1). Durch Einsicht suchte der Verein die Waldanpflanzung mцglichst

rasch zu fцrdern. Die Anpflanzung konnte zum dritten Teil aus Maulbeerbдumen

bestehen, welche den Ansiedlern durch Einfьhrung der Seidenraupenzucht bereits

bedeutende Einnahmen verschaffte. Es waren aber auch die Absichten des Vereins,

mit Unterstьtzung der Kolonialbehцrde die Vierfelderwirtschaft regelmдЯig

einzufьhren, zu welchem Behuf in dieser Kolonie die frьher sehr unzweckmдЯig

angelegten Feldstьcke in grцЯere, die Bearbeitung vereinfachende zusammengezogen

wurden.

Schulz Martens.

Beisitzer: Martens, Fast.

Schullehrer Peter Neufeld.

11. Schцnsee

Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 178.

Im Frьhling 1805 unter dem Oberschulzen Klaas Wiens gegrьndet, wurde die Kolonie

erst drei Monate spдter nach der ersten Heuernte abgepflьgt und deren

Wirtschaften durch's Los verteilt. Wegen der spдten Ankunft wurde in diesem Jahr

noch nicht ausgesдt. Die Wohnungen zum Winter wurden provisorisch teils in,

teils ьber der Erde gemacht, zum regelmдЯigen Hдuserbau fьr den kьnftigen

Frьhling aber das von der hohen Krone verliehene Holz herbeigeschafft. Die

Ansiedlung lag bis zum Jahre 1812 am linken Ufer des Flusses Tokmak zwischen den

Kolonien Ladekopp und Petershagen; da aber der Dorfsplan weder abgemessen noch

abgepflьgt worden war, kamen die drei Dцrfer zu nahe aneinander, so daЯ es

hernach fьr vorteilhafter eingesehen wurde, wenn Schцnsee an einen gelegeneren

Ort umgesiedelt wьrde. Dieser Ort liegt 10 Werst oberhalb des Kronsdorfes Tokmak

am Flusse gleichen Namens. Der Plan dieser umgesiedelten Kolonie besteht aus

einem lдnglichen Viereck und grenzt auf zwei Seiten an die Lдndereien, welche

die hohe Krone dem Einsassen der Kolonie Halbstadt Johann Klaassen zur Anlegung

einer Tuchfabrik verliehen hat, im Norden an den FluЯ Tokmak und im Osten an die

Lдndereien der Kolonie Liebenau.

Der Boden ist ziemlich milde, aber mit wenig schwarzer Erde bedeckt nur fьr den

Graswuchs nicht sehr geeignet. Der Plan ist bequem fьr das Austreiben des Viehes

eingerichtet, welches zur Trдnke an den FluЯ Tokmak gefьhrt wird. Die in der

Nдhe der Kolonie befindlichen Berge, welche als Viehweide benutzt werden,

verursachen, daЯ das Ackerland etwas weit von der Kolonie entfernt ist. Das Land

ist bei guter Vorbereitung sowohl fьr den Ackerbau als auch fьr Baumanlagen von

mittelmдЯiger Fruchtbarkeit.

Bei einer vom Gebietsamte veranstalteten Zusammenkunft der ersten Ansiedler in

der Kolonie Altona behufs Beratung ьber die Einteilung und Benennung der

Kolonien schlug Jakob Regier, eingedenk seines Geburtsortes Schцnsee in

WestpreuЯen, vor, die Kolonie ebenso zu nennen, was allgemein befьrwortet wurde.

________________

(1) Die Entstehungsgeschichte des "Landwirtschaftlichen Vereins" bzw. der

"Vereine" in den deutschen Kolonien ist einstweilen noch ungeklдrt. M.E.

hдngt sie aber aufs engste mit der Odessaer Landwirtschaftlichen

Gesellschaft (vgl. S. 93 Anm. 3) zusammen.

Page 110

Die ersten Ansiedler waren 19 Familien(1) aus dem Bezirk Marienburg. Das ihnen

bestimmte Land wurde von den Bewohnern Tokmaks zur Viehweide und zu einem ganz

geringen Teil zum Ackerbau benutzt. Die Niederung war mit schцnem Grase

bewachsen, dessen ьppiger Blumenflor den neuen Ankцmmlingen die VerheiЯung eines

guten Fortkommens war. Ihr ganzes Vermцgen bestand mit EinschluЯ aller

mitgebrachten Gegenstдnde in etwa 5000 R. Banko; dazu erhielten sie von der

hohen Krone mit Inbegriff des Bauholzes und der Nahrungsgelder einen VorschuЯ

von 8534 Rub. Banko.

Zu der Wohlfeilheit aller Landesprodukte kamen in den ersten Jahren die hдufigen

Fдlle von Pferdediebstahl, wodurch der Aufschwung der Kolonie sehr gehemmt

wurde. Die Butter galt 7 Kop. das Pfund; anno 1808 10 Kop., spдter stieg der

Preis bis 20 Kop. Banko. 1809 brach die Viehseuche aus und raffte gleich in der

ersten Woche 92 Stьck dahin. Am 19. Juni 1811 zwischen 12 und 1 Uhr vernichtete

ein Hagelschlag die ganze Ernte; im Herbst des gleichen Jahres raffte eine

Seuche fast das ganze Jungvieh hinweg.

Im Jahre 1812 wurde die Kolonie umgesiedelt, wobei ihr von den anderen Kolonien

Hilfe geleistet wurde. Doch siedelten sich auf dem neuen Plan nur 10 der alten

Wirte an; die ьbrigen hatten die Hoffnung auf ein besseres Fortkommen aufgegeben

und ihre Wirtschaften anderen Einwanderern abgegeben.

Am neuen Ansiedlungsorte war sie im wesentlichen den gleichen hindernden und

fцrdernden Einflьssen ausgesetzt, wie die ьbrigen Kolonien.

Nach einer spдrlichen Ernte und anhaltend schцnem Wetter brach am 24. Dezember

1824 ein verheerendes Sturmwetter mit Schneegestцber aus, welches bis zu Ende

Mдrz 1825 anhielt. Da zwang der Futtermangel, die Dдcher abzudecken(2), und doch

fiel manches Stьck Vieh infolge des Hungers. Die abgedeckten Hдuser waren bis

zum Herbst allen schдdlichen Einflьssen der Witterung ausgesetzt. Auch spдter

haben orkanartige Ostwinde das Getreide von den Brachfeldern weggerissen.

Schцnau(3), den 1. Mai 1848. Schulz Johann Gogen.

Beisitzer Gerhard Enns, Jakob Dцrksen.

Jakob Wurms, Schullehrer.

12. Ladekopp

Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 179.

Die Grenzen dieser Kolonie sind: im Osten das Kronsdorf GroЯ-Tokmak, im Sьden

die Kolonie Halbstadt, im Westen die Kolonie Petershagen und im Norden der FluЯ

Tokmak. Sie ist 100 Werst von Berdjansk entfernt. Die Landflдche besteht aus

Steppe und Niederung. Erstere ist wenig erhцht; von ein paar SteppenflьЯchen

durchschnitten, erhдlt sie eine wellenfцrmige Gestalt. Ihre Oberflдche ist

fruchtbare schwarze, mit Ton vermischte, auf einer Unterlage von gelbem Ton

________________

(1) 1855: 20 Wirtschaften, 42 Anwohnerfamilien (insgesamt 154 Mдnner, 153

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 20 Wirtschaften (123 Mдnner) auf 1300 Desj. und 23 landlose Familien

(85 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

(2) Vgl. Fadeev a.a.O. S. 403.

(3) muЯ heiЯen "Schцnsee".

Page 111

ruhende Erde, welche zum Ackerbau gut geeignet, als Heuschlag aber nur in

besonders fruchtbaren Jahren zu benutzen ist. Deshalb wird auch der Ackerbau

immer mehr erweitert. Die am TokmakfluЯ gelegene Niederlassung(1) umfaЯt 120

DeЯjatinen. Sie ist mit einer tiefen Schicht fruchtbarer Dammerde bedeckt,

welche nach der jдhrlich im Frьhling stattfindenden Ueberschwemmung einen

ьppigen Graswuchs treibt und zum grцЯten Teil als Heuschlag benutzt wird.

Die Kolonie wurde von 16 Familien(2) im Jahre 1805 gegrьndet und nach einem in

PreuЯen befindlichen Dorf Ladekopp genannt. Die Ansiedler waren in verschiedenen

Partien nach einem Winteraufenthalt in Chortitza hier angelangt. Ihr Land war

unbebaut und fand sich in NutznieЯung bei den Bewohnern Tokmaks. Die ersten

Wohnungen waren Bretterbuden, wozu sie sich das Holz aus der Stadt Alexandrowsk

geholt hatten. Die meisten Ansiedler waren unbemittelt, und nur 6 Familien

konnten sich ihre Hдuser aus eignen Mitteln erbauen. Die ьbrigen erhielten 4975

Rub. 50 K. Banko teils an barem Geld, teils an Holz auf 10 Jahre von der hohen

Krone vorgeschossen. Doch hatten nur die 6 ersteren das Erbauen der Wohnhдuser

vor dem Eintritt des Winters vollenden kцnnen, die anderen bauten sich Erdhьtten

zu Winterwohnungen. Vier der wohlhabendsten Familienvдter nahmen zwei

Feuerstellen fьr sich und ihre Kinder an. Das hergebrachte Vermцgen der

Ansiedler mag ungefдhr 11.000 R. Banko betragen haben. Die vom Kronsgeld

erbauten Hдuser konnten nur klein und einfach eingerichtet werden, weil noch

mancher Rubel zu anderen Unentbehrlichkeiten verwendet werden muЯte. Das

Bestellen der Feldfrьchte ging anfдnglich sehr mьhsam von statten, weil jeder

Wirt nur 2 bis 3 Pferde besaЯ(3). Als der Landbau in grцЯerem MaЯstabe betrieben

werden konnte, fehlte es an Absatz, weshalb man mit dem UeberfluЯ die

hergebrachten deutschen Rinder fьtterte, um dann aus Butter und Kдse einen Erlцs

zu erzielen. Doch wurde das Pfund Butter auch nur mit 10, 12 bis 15 Kop. Banko

bezahlt. Auch wurden Pferde zum Verkauf fett gefьttert: Ein gutes Pferd kostete

aber auch nur 100 Rub. Banko.

Da traten Ereignisse ein, welche das Emporblьhen der Kolonie hemmten. Im August

1809 fielen innerhalb 4 Wochen 200 Stьck meist deutsches Rindvieh an einer

Seuche. Da diese Seuche aber nur einige Kolonien betroffen hatte, so konnte man

das Vieh zu billigen Preisen wieder ankaufen, wozu auch einige Wohltдter den

Armen auf 1 bis 2 Jahre das Geld vorstreckten. Die im Dezember 1812 abermals

ausgebrochene Viehseuche, welche nur 70 Opfer verlangte, konnte wohl weben der

strengen Kдlte nicht stark um sich greifen. In den Jahren 1816 und 1817 begann

der Handel mit Arnautweizen(4) in der Krim und in Odessa(5) was zur Folge hatte,

________________

(1) soll heiЯen "Niederung".

(2) 1855: 20 Wirtschaften, 34 Anwohnerfamilien (insgesamt 135 Mдnner, 150

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 20 Wirtschaften (125 Mдnner) auf 1300 Desj. und 15 landlose Familien

(50 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 38.

(3) sechs Pferde jedoch zum Pflьgen erforderlich waren, vgl. S. 118.

(4) = Sommerweizen mit groЯem, hellgelbem etwas durchsichtigem Korn, der bereits

Anfang des 19. Jh. aus RuЯland in die Tьrkei und nach Italien ausgefьhrt

wurde, vgl. Storch a.a.O. Bd. 5, S. 113.

(5) 1819-1845 war Odessa Freihafen, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 3, S. 593 f.

Page 112

daЯ dem Ackerbau durch Dьngen und Brachen eine grцЯere Aufmerksamkeit zugewendet

wurde. Obwohl die teure Fracht die niedrigen Preise noch mehr herabsetzte, so

war doch die erhцhte Einnahme der Ansiedler deutlich an der Verbesserung der

Ackergerдte zu merken. Doch es trat wieder eine Unterbrechung ein im Wachstum

des Wohlstandes. Die Heuschreckenverheerungen der Jahre 1822, 1823 und 1824

hatten besonders Futtermangel zur Folge, welcher im Jahre 1824 noch durch den

furchtbaren anhaltenden Schneesturm erhцht wurde. Die gute Ernte im Jahr 1825

heilte manche geschlagene Wunde. Der Seuche im Jahre 1827 erlagen 180 Stьck

Vieh. Da kam das furchtbare Hungerjahr 1833, und auch 1834 brachte wieder eine

MiЯernte. Nur dem schrecklichen Futtermangel wurde durch den infolge vieler

Regengьsse im Spдtsommer gewachsenen sog. Kurrai(1) abgeholfen.

Dieses Unglьck hatte man jedoch bald verschmerzt, denn es folgten von jetzt an

fruchtbare Zeiten. Der Weizenhandel in Berdjansk hatte begonnen, und es wurde

nicht bloЯ Arnaut, sondern auch Ghirkaweizen(2) verlangt. Dieser oder der rote

Weizen ist besonders im Brachlande weit ergiebiger und lдЯt sich leichter

dreschen. Das Stroh steht zwar als Futter dem des Arnautweizens bedeutend nach,

jedoch gibt er viel Spreu, welche ein sehr nahrhaftes Futter ist und vom Vieh

gern gefressen wird. Die Fracht nach Berdjansk war nun bedeutend billiger. Mit

den jдhrlich steigenden Weizenpreisen stieg auch der Wohlstand der Bewohner. Im

Jahre 1839 fielen 240 Stьck Vieh an der Seuche. Doch die Leute konnten bald

wieder zu Vieh kommen, weil die Seuche nicht in allen Dцrfern gewьtet hatte. Die

Kolonie hat zwei Feuersbrьnste seit ihrer Grьndung erlitten: 1817 brannten durch

Achtlosigkeit eines Dienstboten 2 Hдuser ab und am 1. August 1842 zьndete der

Blitz ein Haus an und tцtete zugleich die Hausfrau; des furchtbaren Regens wegen

konnte das Feuer nicht weiter um sich greifen. Der furchtbare, mehrere Wochen

lang anhaltende Organ von 1847 auf 1848 hat mehrere Hдuser fast mit Schnee

zugedeckt.

Die Einfьhrung der spanischen Schafe durch den Wirklichen Staatsrat von

Kontenius hat der Kolonie groЯen Nutzen gebracht. Durch eintretende Krankheit

der Schafe sind einige mal bedeutende Verluste gewesen. Die Hohen und

Allerhцchsten Besuche in den Mennonitenkolonien sind auch nicht ohne Eindruck

geblieben. Es wurde zur Anpflanzung der Waldanlagen geschritten. Zuerst wurde

das Land mit einem Tiefpfluge rigolt und nach und nach 2/3 mit Wald und 1/3 mit

Maulbeerbдumen, im Ganzen Ѕ Dessjatine auf den Wirt, bepflanzt(4). Die

AuЯengrenze des ganzen Waldes wurde mit einer Hecke von Oelstrauch und der

Anteil eines jeden Wirtes mit einer Maulbeerhecke umgeben. Dieses Wдldchen

________________

(1) = Salsola Kali, vgl. V. Dal: Tolkovyj slovar zivogo velikorusskogo jazyka

(Erklдrendes Lexikon der lebenden groЯrussischen Sprache). Bd. 2, Petersburg

1905, Sp. 568.

(2) = Triticum vulgare (mit kleinem rцtlichen Korn), vgl. ebenda Bd. 1, Sp. 865.

(3) d.h. als nach Mariupol, vgl. S. 89.

(4) Vgl. dazu Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S. 194: "Nachdem schon von Anfang an

vereinzelte Versuche gemacht waren, kleine Besaamungen anzulegen und

allerhand Holzarten zu pflanzen, nahmen von 1834 regelmдЯige Holzpflanzungen

ihren Anfang. In 39 Colonien setzten die darin lebenden 857 Wirthe jeder Ѕ

Des. zur Waldanlage aus, 1/3 davon sollte mit Maulbeerbдumen, das Ьbrige mit

andern Holzarten bepflanzt werden. Von diesen 428Ѕ Dessj. waren 1842 bereits

163 Dessj. (652 preuЯische Morgen) mit 29 verschiedenen Holzarten bepflanzt.

Im ganzen waren 1843 ьber 2300000 gepflanzte Bдume vorhanden, auЯer den

Privatanlagen des Herrn Kornies."

Page 113

erfreut nicht nur durch seine Schцnheit, sondern bringt auch schon durch die

Seidenzucht(1) bedeutende, sich jдhrlich mehrende Einnahmen. Nebst dem Walde

muЯte jeder Wirt einen Obstgarten von einer Dessj. anlegen. Durch die

Wirksamkeit des landwirtschaftlichen Vereins wurde der Wohlstand und damit

zugleich das Bauwesen, das Handwerk und Gewerbe bedeutend gehoben.

Auch ist ein gerдumiges Schulhaus von den Wirten erbaut worden. An dem grцЯten

SteppenfluЯ, ungefдhr 2 Werst vom Dorfe entfernt, ist ein Brunnen zum Trдnken

des Viehes angelegt. Ueberzeugt von dem Nutzen des Seidenbaus haben die Wirte

noch einen Maulbeergarten, je eine halbe Dessjatine groЯ, angelegt und mit dem

Bepflanzen derselben den Anfang gemacht.

Schulz Heinrich Krцker.

Beisitzer: Christian Schmidt, Jakob Bangmann.

Schullehrer David Klaassen.

Am 30. April 1848.

13. Altona(2)

Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 183.

Die Anlage der Kolonie und der Hдuserbau wurden 1804 begonnen. Doch es wurden in

dem Jahr wegen der allzu groЯen Entfernung, aus welcher das Bauholz geholt

werden muЯte, nur 6 Hдuser fertig. Die meisten Ansiedler blieben den ersten

Winter in Erdhьtten wohnen.

Das sьdwestliche Ende der Molotschnaer Mennonitenkolonien bildet beinahe ein

Dreieck, welches durch die Molotschna und die in diese mьndende Juschanlee(3)

entsteht. Ungefдhr eine Werst oberhalb dieser Mьndung liegt die Kolonie Altona

in einer von der Molotschna gebildeten Niederung. Da die Eigenart des Flusses

den Ansiedlern unbekannt war, gingen sie nach preuЯischem Muster mit ihrem

schnurgeraden Dorfsplan zu nahe an die Molotschna, so daЯ sie eine unvermutete

Ueberschwemmung im kьnftigen Jahr zwang, die grцЯte Zahl der zum Glьck noch

leeren Baustellen weiter hinaufzurьcken, wodurch die gerade Richtung der Kolonie

in eine gebogene verwandelt wurde.

Den Ansiedlern war es ьberraschend zu sehen, daЯ ein SteppenfluЯ solch

bedeutende Ueberschwemmungen herbeifьhren konnte. Wenn nдmlich in den

Wintermonaten schnelles Tauwetter einfдllt, und die noch gefrorene Erde das

Wasser nicht aufsaugen kann, so werden durch die Gewalt der Strцmung die im

FluЯbette befindlichen Eismassen aufeinander geschoben und reiЯen alles, was

ihnen in den Weg kommt, mit sich fort. Es kommt dann vor, daЯ die Strцmung die

Breite von mehreren hundert Faden erreicht, die ganze Niederung unter Wasser

setzt und jeglichen Verkehr, auch denjenigen der Post, aufhebt. Die Gдrten an

________________

(1) Ьber die Hцhe der Einnahmen vgl. Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S. 193,

"Unterhaltungsblatt" Jg. 2, 1847, S. 2 f. und Jg. 3, 1848, Mдrz, Beilage S.

1-4.

(2) Ursprьnglich "Nr. 9" genannt, vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

(3) = Juschanly.

Page 114

der nordwestlichen Seite sind gegen solche Ueberschwemmungen durch Dдmme

geschьtzt, wдhrend die Keller der niedrig gelegenen Hдuser mit Wasser gefьllt

werden.

Die Hцhen zwischen den Tдlern der Molotschna und der Juschanlee liegen mehrere

hundert FuЯ ьber der Meeresflдche, nach Westen sich abdachend mit einer

fruchtbaren, auf einer roten Tonunterlage ruhenden Schwarzerdeschicht. Die Tдler

enthalten eine bedeutende salpeterhaltige Schicht Dammerde und sind an der

Juschanlee so flach, daЯ sie durch Dдmme bewдssert werden. Die Brunnen(1) in den

Tдlern enthalten meistenteils trinkbares Wasser. Durch das Auffschьtten einiger

Erddдmme sind in beiden Steppenflьssen Teiche entstanden, welche, da das Wasser

wegen der naheliegenden Ansiedlungen nicht abgelassen werden kann, in ungesunde

Sьmpfe ausarten, die Fieber und andere Krankheiten erzeugen.

AuЯer einigen Resten von Schleedorngebьsch sind hier keine Spuren von

Naturwaldungen angetroffen worden. Es gedeihen aber fast alle Gattungen von

Bдumen, nur die in den Niederungen gepflanzten Obstbдume scheinen wegen des im

Boden enthaltenen Salpeters nicht von langer Lebensdauer zu sein.

Bei der Ansiedlung war die Steppe mit den schцnsten Wiesen bedeckt, auf denen

das Gras so ьppig wuchs, daЯ es Getreidefeldern glich und junges Vieh hier

schwer zu finden war, wenn es sich darin verirrte. Dieser Graswuchs verhinderte

das Austrocknen der Erde und verursachte infolge dessen hдufigere Niederschlдge,

wдhrend jetzt, da die Steppe ihres Grasschmuckes lдngst entbehrt, das Land den

Trocknen Winden schutzlos preisgegeben ist, wodurch der Regen oft lange

ausbliebt. Trotzdem fallen die Ernten infolge der Vierfelderwirtschaft und guten

Bearbeitung ergiebiger aus als frьher(2). An Stelle des abgeweideten Grases

wдchst vielfach verschiedenes Unkraut umso ьppiger.

Sobald die Kolonie angesiedelt war, erhielt sie auch den Namen Nr. 9, den sie

bei den angrenzenden russischen und nogaischen Nachbarn bis heute behalten hat.

Nachher haben die Ansiedler auf Aufforderung der Obrigkeit ihr den Namen Altona

gegeben, worauf Wirklicher Staatsrat von Kontenius die Ursache dieser Benennung

zu erfahren wьnschte. Da verwandelten der Gebietsvorsteher Klaas Wiens und

Gebietsbeisitzer Aron Warkentin Altonau in Altona und erklдrten diesen aus einem

plattdeutschen und einem hochdeutschen Wort (alto = allzu und nah) bestehenden

Namen damit, daЯ die Kolonie allzu nah bei den damals noch gefьrchteten Nogaiern

sich befinde. Die Kolonie war die letzte an der sьdwestlichen Seite des ganzen

Bezirkes.

Die ersten aus dem Marienburger Kreise WestpreuЯens stammenden Familien, die

hier mit der Partie des nachherigen Gebietsvorstehers Klaas Wiens im Jahr 1803

in die Chortitzer Kolonien gekommen waren, hatten Furcht an die Molotschna zu

________________

(1) Ьber die Tiefe der Brunnen in diesem Gebiet vgl. Koeppen: Ьber einige

Landesverhдltnisse, Beilage F (S. 62).

(2) Vgl. Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S. 190: "Seit 1838 ist die schon bestehende

Vierfelderwirtschaft regelmдЯig geordnet und festgestellt worden. Von jenen

65 Dessj. [d.h. den von der Krone bewilligten] sind 25 Dessj. eines jeden

Wirths zum Ackerfelde gezogen, wovon jдhrlich drei Theile zum Getreidebau

benutzt, ein Theil brach liegt, und nur etwa 1/6 mit Kartoffel bepflanzt

wird."

Page 115

ziehen, weil die ausgeschickten Kundschafter mit ungьnstigen Berichten

zurьckgekehrt waren(1). Der vorurteilsfreie Wiens jedoch machte sich im Frьhjahr

1804 mit samt seiner Familie auf, um an den von der Krone angewiesenen

Ansiedlungsort an der Molotschna zu ziehen. Seinem Beispiel folgten die ersten

13 Familien, aus welchen diese Kolonie ursprьnglich bestand(2). An Stelle der

jetzigen Kolonie Altona befanden sich frьher die Zeltwohnungen der Nogaier,

deren Spuren man heute noch an einigen aufgeworfenen Erd- und Mistwдllen

erkennen kann.

Die дrmeren Ansiedler Altonas haben von der Krone einen VorschuЯ von 1151 R. 28

K. Banko erhalten. Diesen VorschuЯ bedurften nur drei Familien, wдhrend die

ьbrigen 22 nach und nach hier angesiedelten Familien 20.000 R. banko an barem

Gelde aus der frьheren Heimat mitbrachten.

Vergleicht man den frьheren Zustand dieser Kolonie mit ihrem jetzigen Wohlstand,

zu dem sie sich trotz mancher Fehlernten, Plagen und Schwierigkeiten, wie sie

bei den anderen Kolonien bereits geschildert sind, aufgeschwungen hat, so muЯ

jeder Unbefangene gestehen, daЯ nur eine hцhere geistige Kraft die Triebfeder

dazu sein konnte.

Es gibt Augenblicke im menschlichen Leben, die fьr das Herz zu groЯ sind und uns

ьberwдltigen; kцstliche, groЯe selige Augenblicke, wo der Mund vor tiefer

innerer Bewegung verstummt, wo von selbst die Hдnde sich falten, die Blicke den

Himmel suchen und das Gebet dem ьberstrцmenden Herzen Bedьrfnis ist. Ein solch'

groЯer, seliger Augenblick war im Jahr 1818, als der hochselige Kaiser Alexander

I. auf seiner Reise aus der Krim nach St. Petersburg unsere Kolonie mit seinem

hohen Besuche beehrte und uns deutsche Ansiedler der Kolonie Altona der Liebe

wьrdigte, auf einen Augenblick bei dem damaligen ehrsamen Aeltesten Jakob

Warkentin abzusteigen.

Aber im Jahre 1825 war es kein Augenblick, sondern Stunden, die die Bewohner

dieser Kolonie in groЯe Freude setzten. Denn Se. Majestдt beehrte wieder auf

einer Reise von St. Petersburg in die Krim mit einem Besuche unsere Kolonie und

geruhte in unserer Kolonie Altona in der Mitte seiner deutschen Ansiedler, in

der Behausung der damaligen ehrsamen Aeltesten Jakob Warkentin eine Nacht zur

Ruhe zu bestimmen(3).

In tiefer Ehrfurcht und frommer Rьhrung danken wir Gott fьr diese kцstlichen,

unvergeЯlichen Stunden. Nichts Schцneres und Erhebenderes gibt es auf Erden, als

den frohen Anblick solcher Menschen, denen Gott Macht und Herrschaft, ja das

Wohl von Millionen anvertraut, und die seine gnдdige Hand zugleich mit dem

Lichte der Weisheit, mit der Wдrme ungeschminkter Frцmmigkeit und der Anmut

sanfter Menschenliebe geschmьckt und gekrцnt hat. Einen solchen erhebenden

________________

(1) Wie die vorliegenden Berichte erweisen, legte die russische Regierung im

Schwarzmeergebiet Wert darauf, daЯ die anzuweisenden Lдndereien erst von

Deputierten besichtigt wurden.

(2) 1855: 2 Wirtschaften, 58 Anwohnerfamilien (insgesamt 203 Mдnner, 184

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 22 Wirtschaften (148 Mдnner) auf 1430 Desj. und 20 landlose Familien

(57 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

(3) Vgl. hierzu auch Fadeev a.a.O. S. 406.

Page 116

Anblick gewдhrten uns jene Stunden und darum beten wir, vereint mit Millionen,

fьr das Glьck und die dauerhafte Wohlfahrt des ganzen Kaiserhauses(1).

Schulz Johann Wiens.

Beisitzer Jakob Esan(2), Jakob Klaassen.

Schullehrer Johann Wiebe.

14. Mьnsterberg(3)

Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 185.

Die Kolonie ist im Jahre 1804 gegrьndet worden. Sie liegt am linken Ufer der

Molotschna, 28 Werst von Melitopol entfernt. Der etwas salzige Boden der

Niederung ist den Bдumen und dem Grase nicht besonders zutrдglich: das sandige

Ackerland dagegen bringt bei unablдssigem FleiЯ des Landmanns im Ackern und

Dьngen gutes Getreide hervor.

Den Namen Mьnsterberg hat Oberschulz Klaas Wiens der Kolonie gegeben, weil

einige Dцrfer in PreuЯen ebenso heiЯen.

Von den 21 ursprьnglich hier angesiedelten Familien(4) stammen 5 aus dem

Marienburgischen, 9 aus dem Elbingschen und 7 aus dem Tiegenhofschen Bezirke in

WestpreuЯen. Einige von ihnen sind mit der Partie des in altona wohnhaften Klaas

Wiens, andere mit derjenigen des Gerhard Wiens und wieder andere mit derjenigen

des Hermann Neufeld eingewandert. Die von nogaischen Herdengesitzern bewohnte

kahle Steppe wurde ihnen von einem Hofrat Tscholkow(5) angewiesen.

Schon auf der Reise in der Stadt Grodno erhielten die Einwanderer das erste

Hilfsgeld von der Krone, und zu ihrer Ansiedlung ist ihnen Nahrungs- und

VorschuЯgeld, wie auch Lebensmittel und Bauholz im Gesamtwerte von etwa 12387

Rub. 5 Kop. Banko als VorschuЯ abgelassen worden. An eigenen Mitteln besaЯen die

meisten auЯer den nцtigen Fuhrwerken wohl nichts.

Viehseuchen in den Jahren 1805, 1829, 1833, 1844 und 1845, MiЯernten 1833 und

1834, Heuschrecken besonders 1821 und 1823, sowie andere widrige Ereignisse

________________

(1) Die staatsrechtliche Stellung der deutschen Kolonisten in RuЯland wдhrend

der ersten Hдlfte des 19. Jh. bedarf dringend einer Klдrung von juristischer

Seite. Hier sei nur darauf hingewiesen, daЯ eine Gleichsetzung von

Kolonisten und russischen Kronsbauern nur bedingt Geltung hat, denn die

deutschen Kolonisten waren gewissermaЯen russische Untertanen auf Widerruf.

Besonders auffдllig tritt das II PSZ Bd. 12 Nr. 9861 (11. Januar 1837)

zutage: "Wird ein Kolonist durch Gemeindespruch aus dem Gemeindeverband

ausgeschlossen und dieses Urteil von der zustдndigen Behцrde bestдtigt, so

ergeht an den Betreffenden die Aufforderung, RuЯland fьr immer zu

verlassen." Ein russischer Untertan konnte jedoch nicht ins Ausland

abgeschoben werden. - Auch das Sachregister zur Zweiten Serie der Russischen

Gesetzessammlung (II PSZ) unterscheidet zwischen "Siedlern, die russisch

Untertanen sind" und "auslдndischen Siedlern", worunter auch die deutschen

Kolonisten verstanden werden.

(2) muЯ heiЯen "Efau".

(3) Ursprьnglich "Nr. 8" genannt, vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

(4) 1855: 22 Wirtschaften, 46 Anwohnerfamilien (insgesamt 159 Mдnner, 156

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 22 Wirtschaften (138 Mдnner) auf 1430 Desj. und 10 landlose Familien

(23 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

(5) oder Scholkow, vgl. S. 101; der Name lieЯ sich nicht ermitteln.

Page 117

haben das Emporkommen der Kolonie zu Zeiten sehr gehindert(1); durch das Bemьhen

der Vorgesetzten und der Landesobrigkeit, namentlich des Wirklichen Staatsrats

Kontenius, des Hauptkurators von Insow und Fьrsten Woronzow, des Begrьnders der

fьr die Mennonitenkolonien so hoch bedeutsamen Handelsstadt Berdjansk, ist

durch Kulturfortschritte auf allen Gebieten der Landwirtschaft der Wohlstand

bedeutend gefцrdert worden.

Schulz Johann Dьck(2)

Beisitzer Kornelius Tцws, Joh. Braun.

Schullehrer Peter Isaak.

15. Lichtfelde

Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 186.

Aus eigenem Antrieb entschlossen sich im Jahre 1818 wieder eine bedeutende

Anzahl mennonitischer Familien, zu ihren Glaubensgenossen nach SьdruЯland

auszuwandern, weil sie in PreuЯen keine Aussicht mehr hatten, Land fьr ihre

Nachkommen zu erhalten.

Die ursprьnglichen Ansiedler dieser Kolonie sind folgende 20 Wirte(3):

1) Aus dem Marienburgischen: Bernhard Friesen, Jakob Klaassen, David Gцrtzen,

Kornelius Wall.

2) Aus dem Elbingschen: Franz Wiens, Dietrich Dick, Isaak Klaassen, Peter

Rempel, Johann Hildebrand, Heinrich Steingard, Heinrich Martens, Hermann

Klaassen.

3) Aus dem Tiegenhofschen: Kornelius Janzen, Hermann Fast.

4) Aus dem Stuhmschen: Abraham Gцrtzen, Abraham Riediger.

5) Aus dem Mцrrischen: Franz Janzen.

6) Aus dem дlteren Molotschnaer Kolonien: Peter Gцrtzen, Jakob Wiebe und

Heinrich Dick.

Glьcklich an der Molotschna angelangt und von den Verwandten und Bekannten in

deren Wohnungen freundschaftlich aufgenommen, wandten sich nun die auslдndischen

Einwanderer an die hohe Krone(4) mit der Bitte um Land und um Geldvorschьsse zur

Ansiedlung. Das Land wurde bewilligt, die Vorschьsse aber nicht. Da sie aber arm

waren und nur die Vermцgenden etwa 100 bis 200 Rbl. Silber an Geld und Sachen

besitzen mochten, so wandten sie sich um Fьrsprache bei der hohen Krone an den

wohlwollenden, den Kolonisten vorgesetzten Wirklichen Staatsrat Kontenius, durch

welchen sie dann auch 2829 R. 14 K. Silber vorschuЯweise ohne Zinsen erhielten,

________________

(1) Ein in mehrfacher Hinsicht wichtiges Material bietet die "Genaue Berechnung

aus dem Wirtschaftsbuche des Wirts in der Molotschnaer Kolonie Mьnsterberg,

Mennoniten Jakob Neumann ьber seine Aussaaten und Ernten aller

Getreidearbeiten auf einem und demselben Acker von 1806 bis 1846" im

"Unterhaltungsblatt" Jg. 1, 1846, S. 57 f.

(2) Die Familie nennt sich auch Dick.

(3) 1855: 20 Wirtschaften, 38 Anwohnerfamilien (insgesamt 165 Mдnner, 156

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 20 Wirtschaften (135 Mдnner) auf 1300 Desj. und 14 landlose Familien

(52 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

(4) vermutlich durch Graf Langeron, der als Kriegsgouverneur von Cherson bis Mai

1818 auch die Angelegenheiten der Kolonisten zu fцrdern hatte, vgl.

Skalkovskij a.a.O. Bd. 2, S. 276.

Page 118

welches Geld nach 10 Freijahren terminweise zurьckzuzahlen war. Von diesem

VorschuЯ erhielten der Vermцgendste 98 Rbl. 28 Kop., der Unvermцgendste 188 R.

75 K. Die drei aus der Molotschna hinzugekommenen Ansiedler erhielten keinen

VorschuЯ, weil sie keine Familien besaЯen, sondern unverheiratet waren.

Im Frьhling 1819 begann die Ansiedlung. Da sich Ansiedler zu 2 Kolonien gefunden

hatten, so teilten sie sich in zwei Teile, wovon jeder der erhaltenen Vorschrift

zufolge sich einen Schulzen wдhlte. Die Oben genannten Ansiedler wдhlten Abraham

Riediger. Nachdem der Oberrichter aus dem Jekaterinoslawschen Kontor fьr

auslдndische Ansiedler Fadejew(1) behufs Anweisung des Landes hier angelangt

war, wurde auch sogleich in Gemeinschaft des damaligen Oberschulzen Peter Tцws

aus Ladekopp die zu besiedelnde Kronssteppe besichtigt und 2 zehn Werst

auseinanderliegende Landstriche zur Ansiedlung ausersehen. Neun Werst von dem

Vorwerk des Johann Kornies am Juschanlee aufwдrts lag der eine Plan und 25 Werst

von Ohrloff aufwдrts, an der linken Seite des Kuruschan-Flusses, der andere.

Den Ansiedlern beider Teile ward es ьberlassen, unter sich auszumachen, wo ein

jeder Teil ansiedeln solle. Das Los entschied, daЯ die oben genannten Ansiedler

den ersten Landstrich erhielten. Er ist 90 Werst von Berdjansk und 65 Werst von

Orechow entfernt. Im Jahre 1845(2) wurde Berdjansk an der Stelle von Orechow

Kriesstadt.

Das Land dieser Kolonie, 1300 Dessj. groЯ, 65 Dessj. auf den Wirt gerechnet,

bildet fast ein Viereck und hat sьdlich den Juschanlee-FluЯ zur Grenze, wo

gegenьber auf der andern Seite des Flusses noch zu besiedelnde Kronssteppe sich

befindet; die anderen drei Seiten grenzen an von Mennoniten besiedeltes Land.

Den Namen Lichtfelde haben die Ansiedler von einem gleichnamigen Dorfe in ihrem

alten Vaterlande hergeleitet.

Mit der Grьndung machten 18 Familien im Mдrz 1819 den Anfang; im nдchsten

Frьhling kamen die zwei ьbrigen hinzu.

Auf der zur Dorfanlage gewдhlten Stelle wurden 34 Dessj. zu Wirtschaften und

Gartenplдtzen abgemessen, die Wohnplдtze durch Pflugfurchen abgezeichnet und

durchs Los an die Ansiedler verteilt. Fьr die nдchsten Monate baute sich ein

jeder eine Wohnung aus mit Brettern beschlagenen Sparren.

Die Steppe hatte bisher Johann Kornies aus Ohrloff in Pacht gehalten und an

Tataren und andere Leute gegen monatliche Zahlung zur Viehweide weitergegeben.

Da die Tataren(3) in sogenannten Koschen wohnten, so fanden die Ansiedler keine

Wohnungen vor.

Die wenigstens der Ansiedler waren imstande den verwurzelten Urboden der Steppe

allein zu pflьgen. Dazu waren 6 Pferde erforderlich, weshalb immer 2 bis 3

Nachbarn zusammenspannen muЯten.

Nach der Bestellung der geringen Aussaat bauten sich 2 Ansiedler je ein Wohnhaus

und einen Stall, die anderen nur je ein Wohnhaus, manche auch nur je einen

Stall. Erst im anderen Jahr wurden dann die fehlenden Gebдude dazu gebaut.

________________

(1) Fadeev a.a.O. S. 392 berichtet, daЯ er 1819 viel in den Kolonien

umherreiste, um Ansiedlungsplдtze fьr Kolonisten, die jedoch in grцЯerer

Anzahl ausblieben, zu besichtigen.

(2) vielmehr 1842, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 1, S. 236 und Bd. 3, S. 710.

(3) muЯ heiЯen "Nogaier".

Page 119

Erst im Jahre 1824 erbaute die Gemeinde ein Schulhaus; bis dahin war die Schule

bei Wirten in Nebenstuben untergebracht. Das Vorratsmagazin ist 1829 aufgefьhrt

worden.

Das Ackerland, bestehend in 438 Dessjatinen, ist sehr ergiebig. Anfangs schien

der Boden nur einen geringen Ertrag liefern zu wollen, aber seit man infolge der

guten Weizenpreise bei der zweckmдЯigen Bearbeitung keine Mьhe mehr scheut, ist

es anders geworden. Das Ackerland ist in 4 Teile geteilt(1), wovon ein Teil

schwarz gebracht wird und in fruchtbaren Jahren 15fдltige Frucht liefert. Oft

traten Oststьrme ein, denen das Land durch seine Lage besonders ausgesetzt ist.

In den Jahren 1835 und 1838 z.B. wurde manches Getreide gдnzlich ausgeweht und

vieles sehr stark beschдdigt.

Den Heuschlag bilden 94 am Juschanlee befindliche Dessjatinen mit einer drei FuЯ

tiefen Schicht Dammerde. Durch den FluЯ aufgeschьttete Dдmme werden

Ueberschwemmungen herbeigefьhrt, welche den Ertrag der Wiesen wesentlich erhцht

haben. In Jahren von mittelmдЯiger Fruchtbarkeit kann ein Wirt auf 600 Pud Heu

rechnen(2).

Die 755 Dessj. groЯe Weidesteppe erzeugt nur einen weitlдufigen Graswuchs, auf

welchem 270 Stьck Vieh nur notdьrftig ernдhrt werden. Fьr die Schafe wird

Kronsweideland gepachtet.

Steinbrьche und Waldungen sind nicht vorhanden. Doch ist im Jahre 1834 eine 12

Dessj. groЯe Waldanlage begonnen und 1847 vollendet worden.

MiЯwachs, Heuschrecken, Viehseuchen, Sturmwinde und Schneetreiben sind die

Haupthindernisse beim Emporkommen der Kolonie gewesen. Die Beschreibung dieser

Landplagen, sowie all jener Umstдnde, die den Wohlstand der Kolonie gefцrdert

und begrьndet haben, unterscheidet sich nicht von derjenigen der anderen

Kolonien.

Lichtfelde, der 28. April 1848.

Schulz David Gцrzen.

Beisitzer Johann Wall. Heinrich Dick.

Schullehrer Aron Penner.

16. Neukirch

Abdruck aus: Odessaer Zeitung, 42. Jg., 1904, Nr. 188.

Im Jahre 1818 meldeten sich laut Zirkularvorschrift des hiesigen Gebietsamtes 20

Familien zur Landannahme(3), wovon einige von 3 Jahren, andere vor 2, einige in

demselben Jahr, zwei aber schon 1804 aus PreuЯen eingewandert waren.

Im Jahre 1802 wurde fьr diese Familien der Ansiedlungsplan abgemessen und auf

Verfьgen des Oberschulzen Peter Tцws die Baustellen abgepflьgt und verlost,

allwo sich denn auch die Ansiedler noch in demselben Frьhjahr teils in

________________

(1) Vgl. S. 114 Anm. 2.

(2) Vgl. ьber den Graswuchs der taurischen Steppen die Mitteilungen von Tetzmann

bei Koeppen: Ьber einige Landesverhдltnisse, S. 11 ff.

(3) 1855: 20 Wirtschaften, 59 Anwohnerfamilien (insgesamt 201 Mдnner, 204

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 20 Wirtschaften (124 Mдnner) auf 1300 Desj. und 4 landlose Familien

(20 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

Page 120

Bretterbuden, teils in Erdhьtten niederlieЯen und nach Beendigung der Saatzeit

zum Aufbau der Wohnungen schritten. Zum Herbst 1821 wurden 22 Wohnhдuser fьr 20

Wirte und 2 Handwerkerfamilien fertig. Gegenwдrtig befinden sich 48 planmдЯig

gebaute Hдuser in der Kolonie, wovon 4 aus gebrannten Ziegeln gebaut sind.

AuЯerdem ist ein gerдumiges Schulhaus, eine Fдrberei, die vortreffliche Arbeit

liefert und eine 1848 erbaute Ziegelei vorhanden.

Die Kolonie liegt am rechten Ufer des Juschanlee-Flusses(1) an der ersten

grцЯeren Niederung desselben, zwischen den Kolonien Lichtfelde und Prangenau.

Sie besitzt 540 Dessj. Ackerland, 50 Dessj Heuschlag und 700 Dessj. Weideland,

welches aber nicht zur Ernдhrung von 500 Stьck Vieh hinreichend ist, weshalb

alljдhrlich noch Kronsweideland gepachtet werden muЯ. Der Boden ist hart, hat

wenig schwarze Erde und ruht auf einer Unterlage von gelbem Ton. Die Wiesen

liefern nur bei besonders gьnstiger Witterung eine Heuernte. Eine Ausnahme macht

die Niederung, welche vermittelst eines Dammes alle Frьhjahr bewдssert wird und

einen reichlichen Heuertrag spendet. Das Ackerland ist meistens eben, nur ein

SteppenfluЯ durchschneidet ein Viertel desselben in schrдger Richtung, welcher

aber gewцhnlich trocken ist und nur Schnee und Regenwasser auffдngt. Man erhдlt

durch tьchtige Vorbereitung bei einigermaЯen gьnstiger Witterung befriedigende

Getreideernten. Oft aber trifft es ein, wie es auch dieses Jahr geschehen ist,

daЯ bald nach der Saatzeit ein heftiger Ostwind aufsteigt, der dann die durch

Schwarzbrache gelockerte Ackerkrume samt der Saat forttreibt. Des Winters wird

dieser Wind den Gebдuden gefдhrlich durch Aufhдufen des Schnees und beschдdigt

die Bдume.

Ursprьnglich wollten die Ansiedler dieser Kolonie den in ihrer Heimat

vorkommenden Dorfsnamen Schцnenberg geben, womit aber der Oberschulz Tцws nicht

einverstanden war, weil dieser Name im Chortitzer Bezirk vorkommt. Da schlug der

Schulz Johann Enns den aus PreuЯen bekannten Namen Neukirch vor, welcher auch

einstimmig angenommen wurde.

Die 22(2) Familien dieser Kolonie stammten aus den Gebieten Elbing (6 Familien),

Marienburg, Marienwerder und Danzig. Sie waren in kleinen Partien zu 3 und 4

Familien eingewandert.

Die ihnen zugewiesene Steppe hatte Johann Kornies aus Ohrloff in Pacht und die

Gebrьder Johann und Jakob Klaassen aus Tiegerweide weideten ihr Vieh auf

derselben.

Die unbemittelten Einwanderer bekamen einen KronsvorschuЯ von 7543 R. Banko; das

eigene Vermцgen belief sich auf etwa 4000 R. Banko.

Anfдnglich wurden den Ansiedlern цfters die Zugpferde gestohlen, so daЯ in den

ersten fьnf Jahren 18 Wirte zum grцЯten Teil alle, zum Teil 2 bis 3 der besten

Pferde einbьЯten. Von den anderen ьber den Molotschnaer Mennonitenbezirk

gekommenen Plagen und Unglьcksfдllen ist auch Neukirch nicht verschont

geblieben.

Der erste Umstand zur Fцrderung des Wohlstandes ist die vom Wirklichen Staatsrat

Kontenius eingefьhrte veredelte Zucht spanischer Schafe.

________________

(1) = Juschanly.

(2) Vgl. S. 119 Anm. 3.

Page 121

Ein anderer Vorteil zur Verbesserung der Kolonie ist die hдufige Uebergabe der

Wirtschaften gewesen. Viele arme, schwache, teils auch wenig sparsame und

umsichtige Familienvдter ьbergaben ihren Wirtschaftsanteil wohlhabenden,

tьchtigen, des Landes bereits kundigen, meist in RuЯland groЯ gewordenen

Landwirten, welche nach Krдften vorwдrts strebten. Die von den Wirtschaften

Abgetretenen bedangen sich ein am Dorfe sich anschlieЯendes Plдtzchen, wo sie

sich ein Hдuschen bauten und fьr sich und ihre Familien den Unterhalt mit

geringerer Mьhe verschafften.

Seit dem Jahre 1830 stiegen die Weizenpreise von 4 oder 5 auf 14 bis 18 R. Banko

pro Tschetwert und etwas spдter blьhte die Handelsstadt Berdjansk auf, welche 40

Werst nдher liegt, als der bisherige Absatzort Mariupol, wo ьbrigens den

Betrьgereien der auslдndischen Aufkдufer von der Obrigkeit jetzt auch bald

Schranken gesetzt wurden(1). Dadurch blьhte der Ackerbau auf.

Nachdem man frьher das Anpflanzen von Gдrten fьr unnьtz gehalten und behauptet

hatte, die Bдume wachsen nicht, wurden durch die Tдtigkeit des

Landwirtschaftlichen Vereins in Ohrloff und seines am 13. Mдrz 1848 verstorbenen

unvergeЯlichen Vorsitzers Johann Kornies Obst-, Maulbeeren- und

Gehцlzanpflanzungen gemacht und der Seidenbau, Flachsbau, Handwerk und Gewerbe

wesentlich gefцrdert, wovon die am 21 August 1845 auf dem Vorwerk Juschanlee(2)

stattgefundene Industrieausstellung Zeugnis gab.

Im Jahr 1845 wurde das Schulwesen verbessert; seitdem wird bei weitem

zweckmдЯiger und gleichfцrmiger unterrichtet als frьher(3).

Schulz Heinrich Siemens.

Beisitzer Aron Warkentin, Kornelius Jantzen.

Verfasser Jakob Heidebrecht, Schullehrer.

Neukirch, den 16. April 1848.

________________

(1) Nдheres lieЯ sich hierьber nicht ermitteln.

(2) Juschanlee (= Juschanly), 1811 von Joh. Cornies (vgl. S. 96, Anm. 1) auf

Pachtland gegrьndet, erfuhr 1812 eine starke Gebietserweiterung, als es

Cornies gelang, die zur Anlage von Mennonitenkolonien bestimmten freien

Kronslдndereien in Pacht zu nehmen. Besondere Sorgfalt verwandte Cornies

zunдchst auf seine Schafzucht, fьr die er 1825 Zuchtbцcke bei Petersburg und

1827 in Sachsen kaufte. In den 30er Jahren trug er durch Ankauf guter

Zuchtstiere und Milchkьhe auch wesentlich dazu bei, daЯ sich durch Kreuzung

von auslдndischen und russischem Hornvieh eine veredelte Rinderrasse bei den

Mennoniten, die sog. "Rote Kuh", herausbildete. Seit 1830 war Cornies

bemьht, Juschanlee zu einer Musterwirtschaft fьr die gesamte Umgegend

auszubauen, und als Anerkennung fьr diese seine Verdienste erhielt er 1836

500 Desj. Land vom Zaren geschenkt. Nach Cornies Tode ging Juschanlee in den

Besitz seines Schwiegersohns Philipp Wiebe ьber, vgl. D. Cornies und Johann

Tцws: Beschreibung des Vorwerks Juschanlee (mit einem Plan). In:

"Unterhaltungsblatt" Jg. 7, 1852, S. 33-36, ferner ebenda S. 60 f.

(3) Vgl. hierzu "Unterhaltungsblatt" Jg. 1, 1846, S. 10: "Die Dorfschulen in

ihren Hauptbestandteilen zu heben und den Schulunterricht ьberall gleich

nьtzlich einzufьhren, hat der Verein die 44 Dorfschullehrer in 6 Bezirke

geteilt und aus jedem derselben zwei der fдhigsten Schulmдnner auswдhlen

lassen, mit denen der Verein dahin arbeitet, ein fьr die Landschule,

hauptsдchlich auf kleine Kinder berechnete, zweckmдЯige Schulmethode

einzurichten. Der Schulunterricht ist unter der Leitung des Vereins in den

hiesigen Kolonien seit ein paar Jahren mit dem besten Erfolg gekrцnt worden.

Die Schule haben besucht 2304 Kinder". - AuЯerdem gab es 1845 im

Molotschnaer Mennonitenbezirk eine Leihbibliothek mit 223 Werken in 355

Bдnden, vgl. ebenda S. 10.

Page 122

17. Margenau(1)

Die Kolonie wurde im Jahre 1819 unter Aufsicht des Oberschulzen Peter Tцws bei

persцnlicher Anwesenheit des Oberrichters Fadejew am FlьЯchen Kuruschan(2), etwa

50 Werst von Orechow und 90 Werst von Berdjansk, gegrьndet. Der Name Margenau

ist von einem gleichnamigen Dorf in PreuЯen hergeleitet, welches ebenfalls, wie

das hiesige Margenau, unweit Rьckenau liegt. Die Ansiedler waren aus der

Elbinger Niederung und der zwischen der Weichsel und Nogat gelegenen Gegend der

Gebiete Marienburg und Tiegenhof hergekommen. Sie wurden mit ihren in Lichtfelde

angesiedelten Genossen in den дlteren Molotschnaer Mennonitenkolonien

freundschaftlich aufgenommen und ьber den Winter 1818 auf 1819 im Quartier

behalten.

Die aus vielen Anhцhen und Niederungen bestehende Steppe war vor ihrer Ankunft

verpachtet und wurde von Nogaiern als Viehweide benutzt. Die ist fьr den

Graswuchs nur mittelmдЯig, fьr den Getreidebau ziemlich gut geeignet. Die

Oberflдche ist eine mit gelbem Lehm vermischte Erde, stellenweise auch reiner

Lehm und in den Niederungen mehr oder weniger Schwarzerde.

Die Kolonie wurde von 24 Familien(3) gegrьndet, von denen 16 Familien so arm aus

PreuЯen gekommen waren, daЯ sie auЯer einem Fuhrwerk und einigem Hausgerдt

nichts besaЯen. Sie erhielten einen KronsvorschuЯ von 180 R. 40 K. Silber(4) auf

die Familie. Die ьbrigen 8 Familien waren seit 1803 zu verschiedenen Zeiten

eingewandert und hatten zum Teil schon in anderen Kolonien Wirtschaften

besessen. Sie verfьgten durchschnittlich ьber 120 R. bares Geld, 3 Pferde, einen

Wagen, sowie Haus und Ackergerдt und haben keinen VorschuЯ erhalten.

Die Kolonie Margenau ist den gleichen fцrdernden und hemmenden Einflьssen

ausgesetzt gewesen, wie die anderen Kolonien des Bezirks und ist durch Ackerbau,

Schafzucht, Wald- und Gartenanlagen, sowie Seidenbau zu gutem Wohlstande

gelangt.

Schulz Johann Harms.

Beisitzer Klaas Penner, Heinrich Dirksen.

Schullehrer Kornelius Isaak.

18. Rьckenau(5)

Die Grьndung dieser Kolonie geschah im Jahr 1811 auf Bestimmung des damals in

Jekaterinoslaw bestehenden Kontors unter der Leitung des hiesigen Gebietsamts.

Sie liegt ziemlich in der Mitte des ganzen Mennonitenbezirks und wird in der

Richtung von Ost nach West mehr auf der nцrdlichen Seite von dem SteppenflьЯchen

Kuruguschan(6) durchschnitten, in welchem an der Stelle, wo das Dorf gegrьndet

________________

(1) Russischer Name: Marnawka.

(2) = Kurundzu-Juschanly, vgl. S. 122 Anm. 6.

(3) 1855: 24 Wirtschaften, 68 Anwohnerfamilien (insgesamt 272 Mдnner, 262

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

(4) Vgl. S. 106 Anm. 1.

(5) Ursprьnglich auch Drannyj Numer genannt.

(6) Anfang des 19. Jh. Kurundzu-Jusanly, spдter Kurundu-Juschanly, Kurujuschanly

oder Kuruschan genannt, vgl. Spisok naselennych mest Bd. 41, S. 33, Semenov

a.a.O. Bd. 3, S. 301, Skalkovskij a.a.O.

Page 123

ist, das aus Nordost kommende SteppenflьЯchen Bцmschekrak(1) mьndet. Die

Entfernung von der nцrdlich gelegenen Stadt Orechow betrдgt 54 und diejenige vom

sьdцstlich gelegenen Berdjansk 90 Werst.

Da die Hцfe auf einer flachen Erhцhung alle 20 nebeneinander lдngs des

Kuruguschan erbaut sind, hat man auch die Gдrten zweckmдЯig in der oberen

Niederung dieses Flusses anlegen kцnnen, welcher dieselben mit Ausnahme von

zweien in ungleicher Entfernung von den Hцfen durchschneidet und im Frьhling

bewдssert. Die schwarze Dammerde eignet sich zum Anbau aller Gemьsearten und der

Obstbдume ganz vorzьglich, was die im ьppigsten Wachstum stehenden Gдrten voll

und ganz bestдtigen. Oberhalb des Dorfes, wo die Bodenerhebung ebenso

gleichfцrmig bleibt, ist die 10 Dessj. groЯe, in gleicher Lдnge mit dem Dorf

angelegte Waldplantage, welche in den wenigen Jahren ihres Bestehens prachtvoll

herangediehen ist und das Dorf vor den Sьdostwinden und Schneestьrmen schьtzt.

Die Kolonie gewдhrt mit ihren schцnen Anlagen namentlich von der sьdlichen und

nцrdlichen Anhцhe aus mit dem 1844 neuerbauten Schulhaus einen schцnen und

erhebenden Anblick. Wo vor 37 Jahren sich nur einige Chutorhьtten(2) befanden

und wo eine Anzahl armer Familien durch die Gnadenunterstьtzung des verewigten

Kaisers Alexander I. in einer kьmmerlichen Zeit sich kьmmerlich anbauten, steht

jetzt trotz mancher, das Emporkommen hindernder Ereignisse, eine stolze

Ansiedlung, die von dem FleiЯ und der Wohlhabenheit ihrer Bewohner zeugt. Der

schwarze Erdboden eignet sich vorzьglich zum Ackerbau, und nur die an der

nцrdlichen Seite des Kuruguschan gelegene Steppe unterhalb der Bцmschekrak hat

einen vorwiegend roten, lehmartigen mit Muscheln vermischten, leichten Boden,

dem unter den gьnstigsten Umstдnden hцchstens eine Mittelernte abzugewinnen ist.

In den Niederungen der beiden Flьsse wдchst reichlich gutes Heu. Etwa eine halbe

Werst unterhalb des Dorfes wird das Wasser der Kuruguschan in solchem MaЯe

aufgehalten, daЯ es meist den Sommer ьber zur Viehtrдnke ausreicht. In diesem

Wasser befinden sich Blutegel.

Die Kolonie ist nach einem Dorfe in PreuЯen Rьckenau genannt worden.

Die erste Niederlassung bestand aus 11 Familien, wovon 8 anno 1810 aus dem

Elbingschen Kreise ohne Fьhrer eingewandert sind. Eine Familie, Daniel Schmidt,

ist 1809, um der Militдrpflicht zu entgehen, aus dem damaligen franzцsischen

Departement Zweibrьcken ausgezogen(3), hat diesseits des Rheins gewintert und

hat 1810 vom damaligen russischen Konsul zu Frankfurt am Main, Herrn Betmann(4),

die Reiseerlaubnis nach der Molotschna erhalten. Eine Witwe mit zwei

erwachsenen Sцhnen ist auch in der dortigen Gegend nahe bei der Stadt Primasens

wohnhaft gewesen; von den Sцhnen hatte der eine dort und der andere hier gleich

nach der Ankunft sich verheiratet. Ihr Familienname ist Tracksel. SchlieЯlich

________________

(1) Begim-Tschokrak, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 3, S. 301.

(2) Vgl. S. 124 Anm. 2.

(3) Es kam hдufig for, daЯ Deutsche vor der franzцsischen Rekrutierung nach

RuЯland flohen, vgl. z.B. S. 1 Anm. 2.

(4) Vgl. auch I PSZ Bd. 31, Nr. 24131, 25. Februar 1810: es wird beschlossen,

den Missionen und Konsulaten im Auslande mitzuteilen, daЯ die russische

Regierung in Zukunft keine Darlehen an Siedler erteilen werde. Wer auf eigne

Kosten sich niederlassen wolle, wьrde den Schutz der Regierung finden.

Page 124

haben sich noch 9 aus PreuЯen eingewanderte Familien zu verschiedenen Zeiten

hier beigesiedelt, so daЯ 1819 das Dorf wie gegenwдrtig aus 20 Wirten

bestand(1).

Die ersten Ansiedler hatten im ersten Winter ihre Quartiere in den дlteren

Mennonitenkolonien an der Moltschna. Da am Ansiedlungsplatze zur Aufnahme der

Ansiedler kein Obdach vorhanden war, so bauten sie sich Erdhьtten. Auf der

nцrdlichen Seite des Kuruguschan hatten GroЯ-Tokmaker Kronsbauern einen

Chutor(2) mit zahlreicher Bevцlkerung und bedeutenden Viehherden, welche fьr die

junge deutsche Ansiedlung verhдngnisvoll werden sollte. Im ersten Jahr wurde

wenig gepflьgt und nur das fьr das wenige Vieh nцtige Heu geerntet, und es ging

alles ruhig ab. Im Frьhjahr 1812 jedoch verhinderten die aus Tokmak hierher

gezogenen Bewohner das Pflьgen, indem sie den Ansiedlern die Pflьge wegnahmen und

erst im Herbst zurьckgaben(3). Beim Grasmдhen ging's nicht besser. Das Aufsetzen

der Dachsparren auf den in den folgenden Jahren gebauten Hдusern wurde ebenfalls

gewaltsam gehindert. Dieses traurige Verhдltnis dauerte 4 Jahre lang, wдhrend

welcher Zeit die Russen sдmtliche Lдndereien bis dicht an die deutschen Hдuser

umpflьgten und benutzten. Die Ursache der spдten Abstellung dieser miЯlichen

Sache von Seiten der hцheren Behцrde war der im Jahre 1812 ausgebrochene Krieg

mit den Franzosen. Es war eine traurige Zeit. Das Brotgetreide wurde den

Vergewaltigten aus den Magazinen der Molotschnaer Kolonien verabreicht. Durch

diesen Umstand auf's дuЯerste bedrьckt, baten sie um Entlassung vom

Ansiedlungsort mit dem Versprechen, ferner keine Ansprьche auf Land zu machen.

Aber Wirklicher Staatsrat Kontenius verweigerte dieses aus weiser Absicht

gдnzlich und befahl dem Gebietsamt, die Unglьcklichen mit allem Nцtigen zu

versehen, aber nicht zuzulassen, daЯ sie sich entfernten. Sie blieben auch sonst

ziemlich unangefochten, wenn sie nur nicht versuchten landwirtschaftlich tдtig

zu sein(4).

Endlich im Sommer 1814 wurde der Graf Dimmensohn(5) vom Herzog von Richelieu(6)

in dieser Sache bevollmдchtigt. Er bewirkte, daЯ die Chutorbewohner nach und

nach den Platz rдumten und die Zurьckgebliebenen ihre цffentlichen

Feindseligkeiten einstellten. Ein vorlдufiger Plan wurde entworfen und im

Frьhjahr 1815 vom Landmesser Kasanow im Beisein des Grafen Dimmensohn und dem

Landrichter aus dem niederen Landgericht abgemessen und durch Furchen

bezeichnet(7).

Die ersten acht Familien waren so arm, daЯ sie nicht das nцtige Reisegeld nach

RuЯland hatten, und bekamen von der Grenze an Nahrungsgelder von der Krone;

ebenso die zwei Familien Schmidt(8) und Tracksel(9). Zu gleichmдЯiger Verteilung

________________

(1) 1855: 20 Wirtschaften, 40 Anwohnerfamilien (insgesamt 160 Mдnner, 155

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 20 Wirtschaften (127 Mдnner) auf 1300 Desj. und 13 landlose Familien

(51 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

(2) "Chutor, d.i. Vorwerke oder Meierhцfe, wie die dasigen Deutschen sie

nennen". Vgl. P. Koeppen: Ьber einige Landesverhдltnisse, S. 38.

(3) Schuld an diesen Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Russen war wohl

die ungenьgende und miЯverstдndliche Abgrenzung des den Deutschen

eingerдumten Landes.

(4) Nдhere Angaben ьber diesen Streit lieЯen sich nicht ermitteln.

(5) Vermutlich als Inspektor dieses Gebiets.

(6) Vgl. S. 35 Anm. 1.

(7) Eine erneute Vermessung des Landes erfolgte 1818, vgl. I PSZ Bd. 35, Nr. 27401.

(8) Vgl. S. 123.

(9) Vgl. S. 123.

Page 125

erhielten sie 4589 R. 96 K. VorschuЯgelder. Die spдter beigesiedelten 9 Familien

hatten eigenes Vermцgen, aber auch nur zur дuЯersten Notdurft; sie haben keine

Nahrungsgelder und keinen VorschuЯ erhalten(1). Durch die Bedrьckungen der

ersten Jahre waren die Ansiedler wirtschaftlich so zurьckgekommen, daЯ sie sich

nur langsam erholten und sich auch nur ьber einen sehr geringen Anteil an den

Einnahmen aus der spдter erblьhten Schafzucht zu erfreuen hatten. Erst mit dem

Aufschwung der Landwirtschaft ist auch diese Kolonie zu ihrem jetzigen Wohlstand

gelangt.

Schulz Jakob Harder.

Beisitzer Johann Lцwen, Jakob Driedger.

Jakob Unger, Schullehrer.

19. Rosenort

Die Kolonie ist im Jahre 1805 am Kurudujuschanlee(2) gegrьndet worden. Sie liegt

in der FluЯniederung auf ebener Flдche. Die DorfstraЯe zieht sich parallel mit

dem Flusse hin, welcher 11 Werst westlich in die Molotschna mьndet. Ein

SteppenfluЯ vereinigt sich nцrdlich vom Dorfe mit dem Kurudujuschanlee und

erweitert die Niederung, welche im Winter bei eintretendem Tauwetter oder auch

im Sommer bei groЯen Regengьssen ьberschwemmt wird, wie auch der HauptfluЯ sich

ьber das angrenzende Land der Gemeindeschдferei ergieЯt. Vier Dдmme fassen das

Wasser bis zu 6 Arschin Tiefe und beim Anschwellen desselben werden die

Heuwiesen in der Niederung auf kurze Zeit in einen Wassersee verwandelt. Am

rechten Ufer des Flusses, nordwestlich vom Dorfe ist eine Sand- und Grandgrube,

die den Bewohnern dieser und aller angrenzenden Kolonien besonders beim

Hдuserbau gute Dienste tut. Von der jetzigen Kreisstadt Neualexandrowka(3) ist

diese Kolonie 40 Werst entfernt, von Berdjansk 100 Werst, von Orechow 52 Werst.

In den ersten Jahren des vierten Jahrzehnts wurde die Gehцlzplantage auf jeder

Seite des Dorfes zu einer halben Dessjatine auf den Wirt angelegt. Gegenwдrtig

sind die Bдume von folgender GrцЯe: Pappeln bis zu 27 Arschin hoch und mit 26

Werschock Umfang, Eschen mit einer Hцhe von 16 Arschin und einem Umfang von 12

Werschock. Der Boden in der Niederung ist zum Graswuchs mittelmдЯig geeignet,

die Aecker bestehen auf den kleinen Bergrьcken aus lehmiger Schwarzerde; wenige

Stellen sind unbrauchbarer Lehmboden.

Der Grьnder dieser Ansiedlung, der hiesige Mennonit Johann Warkentin aus

Blumenort im Elbinger Werder, wo auch ein Rosenort liegt, hat diese Kolonie zur

Erinnerung an den frьheren Wohnort Rosenort genannt.

Die hier angesiedelten 20 Familien(4) sind aus mehreren Orten aus dem Werder,

einer Insel zwischen der Weichsel und Nogat, hierher gekommen. Folgendes

Verzeichnis gibt Auskunft ьber die Herkunft und Vermцgensverhдltnisse der

Ansiedler.

________________

(1) Vgl. S. 123 Anm. 4.

(2) Ьber die Namen dieses Flusses vgl. S. 122 Anm. 6.

(3) = Nowo-Aleksandrowka, vgl. S. 56 Anm. 3.

(4) 1855: 20 Wirtschaften, 40 Anwohnerfamilien (insgesamt 137 Mдnner, 142

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden sind inbegriffen).

1857: 20 Wirtschaften (121 Mдnner) auf 1300 Desj. und 8 landlose Familien

(48 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

Page 126

--------------------------------------------------------------------------------

Nr. Namen der Ansiedler Aus welchem Eigenes VorschuЯ Das Jahr der

Kreise Vermцgen Ansiedlung

Rbl. K. Rbl. K.

--------------------------------------------------------------------------------

1. Peter Born Danzig -- -- 521 8 1805

2. Klaas Dick Marienburg 250 -- -- -- 1805

3. Heinrich Wiebe " 1500 -- -- -- 1805

4. Franz Thiessen " -- -- 677 86 1805

5. Gerhard Fast Neuteich 700 -- -- -- 1807

6. Johann Neufeld Marienburg 500 -- -- -- 1807

7. Gerhard Rempel Elbing -- -- 555 61 1805

8. Philipp Warkentin " -- -- 424 99 1805

9. Jakob Janzen " -- -- 538 19 1805

10. David Boschmann Tiegenhof -- -- 513 4 1805

11. Heinrich Hamm Elbing -- -- 591 47 1810

12. Peter Thiessen Tiegenhof 700 -- -- -- 1805

13. Gerhard Zacharias Elbing -- -- 497 2 1805

14. Isaak Enns Marienburg 1500 -- -- -- 1807

15. Klaas Siemens Tiegenhof 1800 -- -- -- 1805

16. Peter Born Marienburg -- -- 538 83 1805

17. Jakob Wiens Schцnsee 200 -- -- -- 1813

18. Johann Klaassen Marienburg 9000 -- -- -- 1805

19. Jakob Berg " 2000 -- -- -- 1805

20. Dirk Wiebe " 5000 -- -- -- 1805

--------------------------------------------------------------------------------

Summa 23150 -- 4858 9

Die Einwanderung geschah in mehreren Partien und ohne besondere Anfьhrer. Die

nomadisierenden Tataren, welche diese Steppe benutzten, muЯten zwar bei der

Ankunft der Deutschen auf Anordnung der Obrigkeit die Gegend rдumen, blieben

aber gefдhrliche Nachbarn(1).

Ein besonders trauriges Ereignis traf diese Kolonie im Jahre 1811 in der Nacht

vom 19. auf den 20. April. Der Ansiedler Jakob Berg, welcher Gebietsbeisitzer

war, fuhr mit dem Sohn des Klaas Wiens Jakob und einem Fremden, namens Dirk

Reimer in Kolonialangelegenheiten, um die Landvermessung zu befцrdern, des

Abends ьber die Steppe. Sie wurden von Tataren ьberfallen und ermordet. Des

anderen Tages fand man ihre Leichen auf der Steppe der Kolonie Tiege. Durch die

geraubten Sachen wurden die Mцrder entdeckt.

In der Kolonie befindet sich eine Ziegelei, welche den Wirten Peter Friesen und

Johann Warkentin gehцrt und den Hдuserbau befцrdert.

Im Jahre 1825 den 22. Oktober wurde die Kolonie des Besuches Sr. Majestдt Kaiser

Alexander I. gewьrdigt und im Jahre 1825(2) des Besuches des GroЯfьrsten

Konstantin Nikolajewitsch. Des Umweges halber ist die Kolonie von anderen hohen

Personen nicht besucht worden.

Der Seidenbau hat sich in wenigen Jahren bedeutend erhцht und gewдhrt den

tдtigen Wirten eine Einnahme von 30 bis 60 Silberrubel. Ebenso ist der Ackerbau

und die Gartenkultur in erfreulichem Aufblьhen begriffen.

Schulz Wiens.

Beisitzer: Fast, Friesen.

Schullehrer Bernhard Fast.

________________

(1) Ьber die Nogaier (nicht Tataren) vgl. S. 89 Anm. 4.

(2) oder 1845? vgl. S. 93.

Page 127

20. Fьrstenau(1)

Im Jahre 1805 aus PreuЯen eingewandert, von Grodno an mit Nahrungsgeldern von

der Krone unterstьtzt und im Chortitzer Bezirk ьber den Winter beherbergt,

grьndeten ein Jahr darauf 12 Familien unter Anleitung des Oberschulzen Klaas

Wiens am linken Ufer des Flusses Tokmak, 3 Werst vom Dorfe Tokmak(2), 35 Werst

von Orechow und 105 Werst von Berdjansk entfernt, diese Kolonie und gaben ihr

zum Andenken an ein Dorf in PreuЯen den Namen Fьrstenau. Bis zum Jahre 1810

kamen noch 9 Familien hinzu, so daЯ die Kolonie mit 21 Familien(3) vollzдhlig

wurde. Ihr eigenes Vermцgen mag insgesamt wohl nicht ьber 2000 Rubel betragen

haben; ihr KronsvorschuЯ betrug 10,234 R. 63 Kop. Banko. Sie kamen aus den

Kreisen Tiegenhof, Marienburg, Elbing und Danzig.

Besondere Vorfдlle aus der Geschichte dieser Kolonie, die in ihrer Entwicklung

mit den anderen Kolonien Schritt gehalten und die gleichen Widerwдrtigkeiten des

Klimas usw. durchzumachen gehabt hat, werden nicht berichtet.

Mit Rьhrung wird des Besuches Seiner Majestдt des Kaisers Alexander I. am 21.

Mai 1818 gedacht(4). Er kam nicht zu uns mit dem Sinne eines Herrschers, sondern

als ein Gast und liebenswьrdiger Vater. Er erzeigte sich so liebreich und gьtig,

wie kein Vater im Stande ist, seinem Kinde liebreicher zu begegnen. Am genannten

Tage zog er Nachmittags mit seinem Gefolge von mehreren Personen hohen Standes

durch unsere Kolonie. Mitten im Dorfe stieg er aus seine Kutsche und ging das

halbe Dorf entlang zu FuЯ. In zwei Bauernhцfen kehrte er ein, sah die armseligen

Bauernhьtten durch und fragte die Leute nach ihrem Wohlergehen. Aus

Ueberraschung, Freude und unnьtzer Furcht blieben sie ihm fast die Antwort

schuldig.

Anno 1845 den 19. August abends reiste Se. Kaiserliche Hoheit der GroЯfьrst

Konstantin Nikolajewitsch ebenfalls durch unsere Kolonie, wodurch auch viel

Freude und Mut in den treuen Untertanenherzen der Ansiedler geweckt wurde.

Schulz Hermann Neufeld.

Beisitzer: Wilhelm Schrцter, Aron Tцws.

21. Blumenort

Die Kolonie wurde 1805 gegrьndet am SteppenfluЯ Kurudujuschan(5), 53 Werst von

Orechow und 100 Werst von Berdjansk entfernt(6). Der Ackerboden dieser Kolonie

ist ziemlich gut, die Weidesteppe zum Teil infolge starker Benutzung sehr

mittelmдЯig. Die Heuschlдge sind durch Schьttung einiger Dдmme im Kurudujuschan

und Juschanlee behufs Ueberschwemmung derselben teilweise verbessert worden. Der

hiesige Steppenboden ist stark mit Lehm vermischt; wenige Stellen enthalten

ungemischten Lehm. Feldsteine zum Aufbauen der Hдuser mьssen in einer Entfernung

von 23 Werst am FlьЯchen Juschanlee geholt werden. Ihren Namen hat der Kolonie

________________

(1) Mitunter russisch auch "Farschnaw" genannt.

(2) GroЯ-Tokmak vgl. S. 89 Anm. 3.

(3) 1855: 21 Wirtschaften, 30 Anwohnerfamilien (insgesamt 147 Mдnner, 143

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 21 Wirtschaften (125 Mдnner) auf 1365 Desj. und 14 landlose Familien

(55 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 38.

(4) Dieser Satz ist wohl von J. Stach geдndert worden.

(5) Vgl. S. 122 Anm. 6.

(6) Vgl. S. 91 Anm. 2.

Page 128

der Ansiedler Johann Warkentin nach dem Ortsnamen seiner Geburt im preuЯischen

Elbingerwerder gegeben. Die ursprьngliche Niederlassung des Dorfes Blumenort

bestand aus 20 Familien(1) mit 42 mдnnlichen und 53 weiblichen Seelen, welche in

kleinen Transporten ohne Anfьhrer ins Land gekommen waren. Klaas Wiens aus

Altona war ihr Leiter bei der Ansiedlung und stand als Oberschulz unter der

Oberaufsicht des Vormundschaftskontors in Jekaterinoslaw.

Das Land war von nogaischen Viehherdenbesitzern besetzt, welche den

Ansiedlungsort wohl rдumten, aber doch Nachbarn blieben und als solche es meist

nur mit ihren Pferden zu tun hatten, indem sie die alten unbrauchbaren zum

Schlachten kauften und die besten stahlen.

Als die Ansiedler an der Grenze RuЯlands in Grodno ankamen, erhielten sie von

der Krone auf die Seele 10 Rbl. Reisegeld und 50 Rbl. fьr jede Familie zu Pferd

und Wagen, nach beendigter Reise 8 Kop. tдgliches Nahrungsgeld auf die Seele, 25

Rbl. zu Ackergerдt, 10 Rbl. zu Vieh und hдuslicher Einrichtung, 15 Rbl. zur

Frьhlingsaussaat, 5 Rbl. zur Herbstaussaat und eine Quantitдt Bauholz im Wert

von etwa 159 Rbl. 34 K.(2). An mitgebrachtem Vermцgen war nicht mehr als im

ganzen 1000 Thaler PreuЯisch vorhanden, woran aber die meisten keinen Anteil

hatten, so daЯ sie ihren jetzigen Wohlstand allein der hohen Krone verdanken.

Folgendes Verzeichnis gibt Auskunft ьber die Herkunft und den Besitz der

Einwanderer:

-------------------------------------------------------------

Nr. Namen der Ansiedler Aus welchem Wieviel VorschuЯ

Bezirk Rbl. K.

-------------------------------------------------------------

1. Heinr. Wiebe Elbing 572 67

2. Jul Ens " 598 90

3. Joh. Warkentin " 939 59

4. Kor. Wцlke Marienburg 572 67

5. Jak. Rogalski Elbing 598 --

6. Jak. Driedger " 598 --

7. Joh. Driedger " 523 65

8. Ger. Wiens Marienw. 398 44

9. P. Wahl Elbing 572 67

10. Hein. Wiens " 523 69

11. P. Brant " 399 36

12. Jak. Bдrg " 399 36

13. Hein. Penner Marienw. 556 87

14. Js. Tцws Elbing 572 67

15. Ger. Grossen Marienb. 572 87

16. P. Zacharias Elbing 602 --

17. Ab. Kornelsen " 502 37Ѕ

18. Joh. Warkentin " 250 --

19. Bern. Friesen Tiegenhof 781 --

20. Hein. Rogalski Elbing 639 5

-------------------------------------------------------------

Summa 11173 59

________________

(1) 1855: 20 Wirtschaften, 48 Anwohnerfamilien (insgesamt 135 Mдnner, 145

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 20 Wirtschaften (124 Mдnner) auf 1300 Desj. und 16 landlose Familien

(48 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

(2) d.h. wohl Rbl. Banco, vgl. S. 106 Anm. 1.

Page 129

Die gьnstigen und ungьnstigen Verhдltnisse dieser Kolonie sind im Verlauf ihrer

Geschichte bis 1848 die gleichen gewesen, wie in den anderen Kolonien, ebenso

die hohen und Allerhцchsten Besuche.

Den 11. November 1808 ist der noch lebende Gerhard Grossen abgebrannt und Ende

Februar 1821 ist das Schulhaus ein Raub der Flammen geworden.

Besonders dankbar wird des seligen Kontenius gedacht, der am 30. Mai 1830 im 81

Jahr seines Lebens in Jekaterinoslaw gestorben und auf dem Gottesacker der

deutschen Kolonie Josefstal(1) beerdigt ist. Dort ist ihm auch ein Denkmal

gesetzt worden. Dank ihm und Ruhe seiner Asche.

Blumenort, den 1. Mai 1828(2). Schulz, Reimer,

Beisitzer Dilleskij, Tцws.

Verfasser Schullehrer Heinrich Warkentin(3).

22. Fьrstenwerder

Wenn man auf dem Postwege von Orechow 35 Werst zurьckgelegt hat, so kommt man in

einen russischen Marktflecken, Tokmak(4) genannt, und sьdцstlich vom Postwege

durch einen FluЯ gleichen Namens. Schlдgt man von hier aus die StraЯe ein, die

nach dem Tatarenstдdtchen Abatoschna(5) fьhrt, und legt man auf dieser StraЯe

ьber Hьgel und Tдler durch ьppige Wiesen und Ackerfelder 12 Werst zurьck, so

kommt man auf eine an der Nordwestseite flach ansteigende Hцhe, die sьdцstlich

steil abfдllt und als Rand eines tiefen Tales sich nach beiden Seitenrichtungen

hinschlдngelt, und erblickt von hier aus, besonders wenn man sich auf den links

gelegenen alten Grabhьgel stellt, eine Menge Mennonitendцrfer. Links von dem

allernдchsten Dorf Fьrstenwerder, welches seine Benennung von dem

westpreuЯischen Dorfe Fьrstenwerder im Marienburger Kreise fьhrt, sieht man die

Kolonien Alexanderwohl, Gnadenheim, Friedensdorf, Landskrone, das in diesem Jahr

1848 neu angesiedelte Dorf Hierschau und Waldheim; wieder rechts sieht man die

Kolonien Rьckenau, Tiegerweide, die beiden Gemeindeschдfereien(6), dann

Rosenort, Blumenort, Tiege und Ohrloff; wieder sьdцstlich ьber eine kleine

Erhцhung die Kolonie Margenau, weiter цstlich Gnadenfeld, Konteniusfeld und

Sparrau. Man kann mit bloЯem Auge rechts 19 Werst und links 22 Werst weit die

deutschen Mennonitenansiedlungen mit ihren Gдrten und Ackerfeldern sehen. Kehrt

man sich um nach Westen, so ist es mцglich mit unbewaffneten Augen die

Mennoniten-Handwerkerkolonie Neuhalbstadt und die auf einem hohen Steppenrande

liegende Kirche der Kolonie Molotschna (Prischib) wahrzunehmen.

Von der Anhцhe herabsteigend gelangt man in das Tal, in welchem sich lдngs der

Kolonie Fьrstenwerder der fast immer wasserleere SteppenfluЯ Boheneschekrak(7)

________________

(1) Vgl. S. 9 Anm. 2 und S. 27 Anm. 7.

(2) muЯ heiЯen "1848".

(3) Der ursprьngliche Bericht scheint aber stilistisch geдndert zu sein.

(4) = GroЯ-Tokmak, vgl. S. 89 Anm. 3.

(5) = Obitotschnaja oder Denisowka, am Postwege aus Melitopol nach Mariupol,

gegr. 1800 vom Grafen Orlow-Denisow auf Lдndereien, die er von Paul I.

verliehen erhielt, vgl. Semenov a.a.O. Bd. 3, S. 578.

(6) Vgl. s. 108.

(7) = Begim-Tschokrak.

Page 130

schlдngelnd hinzieht, dessen Mьndung in die Kurudujuschan mitten gegen die

Kolonie Rьckenau ausgeht. Dieser Wasserlosigkeit wegen ist es den Einwohnern von

Fьrstenwerder mцglich gewesen, eine schцne Weidenanpflanzung in dem leeren

FluЯbette anzulegen. Fдhrt man weiter durch den FluЯ auf 130 Faden diesseits, so

befindet man sich zwischen den Hausgдrten, die aus verschiedenen Obstbaumarten

bestehen und von der DorfstraЯe aus in der Lдnge 120 und in der Breite 45 Faden

messen, wovon noch ein Raum von 60 Faden Lдnge und 10 bis 12 Faden Breite fьr

Wohn- und Wirtschaftsgebдude und zum Aufschobern des Getreides und Heues abgeht.

Weiter vorwдrts kommt man bei der Dorfschule vorbei auf die gerade, 20 Faden

breite, von gefдrbten Holzzдunen eingefaЯte DorfstraЯe, an deren beiden Seiten

die Hдuser 10 Faden von der Gasse in gerader Linie gebaut sind. Die Grenzen

zwischen den Nachbarn bilden Maulbeerhecken und ein Faden hinter dem Gassenzaun

zieht sich eine Reihe wilder Holzbirnbдume und Pappeln hin. Begibt man sich quer

ьber die StraЯe, so kommt man durch die im Jahre 1837 angelegte Holzanlage

hindurch, in welcher jeder Wirt sein 100 Faden langes und 23Ѕ Faden breites

Quartal hat, wovon ein drittel mit Maulbeerbдumen und zwei drittel mit

verschiedenen Waldbдumen bepflanzt sind.

Von hier hat man einen 3 Werst langen Weg, der zum Kirchdorfe Margenau zwischen

schцnen Ackerfeldern fьhrt, vor sich. Fдhrt man aber von Fьrstenwerder rechts

zum Ende hinaus, so hat man einen 3 Werst langen Weg zwischen Ackerfeldern zu

machen, von dessen beiden Seiten ihm liebliche Bдume aus rotgefдrbten

Holzumzдunungen entgegen lдcheln; fдhrt man links aus dem Dorfe hinaus, so hat

man zur Linken eine fruchtbare, durch weniges Ackerland unterbrochene

Wiesenebene, und zur Rechten etwas hцher gelegenes Ackerland. Von dieser Kolonie

bis ьber die Grenze nach Alexanderwohl versprechen offene Setzgruben, daЯ man

hier einmal in der Zukunft unter schattigen Bдumen wird wandeln kцnnen.

Die Kolonie Fьrstenwerder wurde im Jahre 1821 angesiedelt von Einwanderern aus

den preuЯischen Bezirken Danzig, Marienburg, Stuhm und Marienwerder. Die Leute

waren arm und hatten die weite Reise von 200 deutschen Meilen kьmmerlich genug

im Vertrauen auf die Huld des Kaisers Alexander zurьckgelegt.

Die Kolonie besteht aus 26 in den Jahren 1816 bis 1819 eingewanderten und 4

bereits hier erwachsenen Familien(1) mit 175 mдnnlichen und 176 weiblichen

Seelen. Fьrstenwerder erhielt 19,919 R. Banko KronsvorschuЯ, wovon noch jetzt

8221 R. Banko abzuzahlen sind. Von diesem VorschuЯ erhielten ganz arme Familien

859 R., die etwas mehr bemittelten 280 R. Banko, wдhrend die hier erwachsenen

sich aus eigenen Mitteln ansiedelten. Wiewohl man sich hier kьrzlich niederlieЯ,

wьrde man jetzt kaum an ihren Wirtschaften die damals herrschende Armut

erkennen, trotz der vielen MiЯwachsjahre und Landplagen, die den Fortschritt

sehr gehindert haben.

Wo vor 27 Jahren wьste leere Steppen waren, befindet sich jetzt eine Kolonie mit

30 Wirten, 8 Wohnhдusern von gebrannten Ziegeln, 22 von Luftziegeln, an jedem

________________

(1) 1855: 30 Wirtschaften, 49 Anwohnerfamilien (insgesamt 208 Mдnner, 202

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 30 Wirtschaften (215 Mдnner) auf 1950 Desj. und 4 landlose Familien

(25 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37. - Trotz der Bestimmung von

1810, vgl. PSZ Bd. 31, Nr. 24131, sind Kronsdarlehn auch in der Folgezeit

gewдhrt worden.

Page 131

Wohngebдude ein Viehstall nebst Dreschdiele, 11 Querscheuern, 5 Anwohnergebдude,

1 Dorfschule, 1 Vorratsmagazin mit 169 Tschetwert Wintergetreide und 28

Tschetwert Sommergetreide, eine Anpflanzung von 9988 verschiedenen Obstbдumen,

123 Gehцlz- und 189 Maulbeerbдumen(1). In der Gehцlzplantage befinden sich

20,759 verschiedene Waldbдume und 11,409 Maulbeerbдume, in der Weidenpflanzung

wachsen 3756 Weiden. Der Viehstand ist: an Pferden 254, Hornvieh 330 und Schafen

1825 Stьck. AuЯer allen wirtschaftlichen Einrichtungen ist 1 Dreschmaschine, 3

Hдckselmaschinen und eine Windmьhle vorhanden.

Schulz Johann Reimer.

Beisitzer Johann Jakob Gцrzen.

Schullehrer Johann Siemens.

23. Alexanderwohl

Diese Kolonie wurde 1821 unter der Verwaltung des Oberrichters im Kontor fьr

auslдndische Ansiedler zu Jekaterinoslaw, Herrn Fadejew und der Leitung des

Gebietsvorstehers Gerhard Ens(2) aus Altona gegrьndet. Sie liegt am linken Ufer

des FluЯbettes Behemtschekrak(3), 47 Werst von Orechow und 90 Werst von

Berdjansk entfernt. Der unebene Boden besteht in den Niederungen aus schwarzer

Dammerde und auf den Anhцhen aus mit Lehm vermischter Schwarzerde, ist zum

Ackerbau, zur Viehweide und Baumkultur ziemlich gut geeignet, gibt aber nur

wenig Heu.

Als die hiesige Gemeinde, welche schon ьber 200 Jahre in PreuЯen als

Kirchgemeinde existiert hatte, unter der Leitung ihres Kirchenдltesten Peter

Wedel in RuЯland einwanderte, und an der Sьdseite der Stadt Warschau zu einer

zweitдgigen Rast Quartier aufgeschlagen hatte, fuhr der jetzt in Gott ruhende

Kaiser Alexander I. aus der Stadt, um auf dem Felde eine Abteilung Militдr

manцvrieren zu lassen. Wir aber, von einigen vorbeieilenden Generдlen aufmerksam

gemacht, standen in gespannter Erwartung, als der Kaiser bei uns vorbeikam, die

Kutsche halten lieЯ und uns mit der rechten Hand winkte. Da liefen drei unserer

Kirchenvorsteher hinzu, welche befragt wurden, von wo wir kдmen und wohin wir

wollten. Auf die Antwort, daЯ wir an die Molotschna ins sьdliche RuЯland wandern

wollten, sprach der Kaiser: "Ich wьnsche euch Glьck zu eurer Reise, grьЯet eure

Brьder; ich bin da gewesen." Das geschah am 14. September 1820.

An der Molotschna angekommen, wurden diese GrьЯe von unserem Kirchenдltesten

Peter Wedel in den Bethдusern vor den versammelten Gemeinden aufs pьnktlichste

ausgerichtet. Da nun auch das Kontor zu Jekaterinoslaw von dieser denkwьrdigen

Begebenheit in Kenntnis gesetzt werden muЯte, so verewigte sie der Herr

Oberrichter Fadejew dadurch, daЯ er die Kolonie Alexanderwohl nannte, denn er

sprach: "Der Kaiser Alexander hat euch Wohl gewьnscht."

Im Jahre 1821 wurden hier 22 Familien, 1823 7 Familien und 1824 noch eine

Familie aus dem Landratsamte Schwetz im preuЯischen Regierungsbezirk

________________

(1) Zum Baumbestand des gesamten Molotschnaer Mennonitengebiets vgl. Reiswitz

und Wadzeck a.a.O. S. 382, Rempel a.a.O. S. 8 f.; Haxthausen a.a.O. S.

193 f.; "Unterhaltungsblatt" Jg. 2, 1847, S. 2 ff. und Jg. 3, 1848,

Mдrzbeilage.

(2) Gerhard Ens, 1821-1824 Oberschulz des Molotschnaer Mennonitengebiets, vgl.

Schroeder a.a.O. S. 19.

(3) Begim-Tschokrak.

Page 132

Marienwerder angesiedelt(1). Die unbesiedelte Steppe wurde vor der Ankunft der

Deutschen von Johann Kornies in Pacht gehalten und von Nogaiern zur Viehweide

und von Russen teilweise zum Ackerbau benutzt.

Von den Eingewanderten haben 20 Familien einen KronsvorschuЯ von 4104 R. 28-4/7

K. Silber erhalten; die eigenen mitgebrachten Mittel beliefen sich auf etwa 8570

R. Silber(2).

Das Ansiedlungsjahr 1821 war unfruchtbar und lieferte nur die Aussaat. 1822 war

fruchtbar, aber es kamen die Heuschrecken und richteten 7 Jahre lang groЯen

Schaden an. 1823 und 1824 waren zudem MiЯwachsjahre. Der anhaltende Sturm in den

ersten Monaten des Jahres 1825 verursachte auch dieser Gemeinde groЯen Verlust

an Vieh, weil kein Futter fьr dasselbe vorhanden war. Damals wurde auch hier das

Stroh von den Dдchern gefьttert. 1828 herrschte eine verheerende Viehseuche. Das

schwerste Jahr jedoch war das Hungerjahr 1833. Die veredelte Vieh- und

Schafzucht und die Vierfelderwirtschaft beim Betrieb des Ackerbaues sind durch

die Bemьhungen des Wirklichen Staatsrats Kontenius und des unter der Leitung des

unvergeЯlichen Johann Kornies stehenden landwirtschaftlichen Vereins eingefьhrt

worden und haben die Gemeinde zum Wohlstand gebracht.

Schulz Heinrich Voth.

Beisitzer Heinrich Gцrz, Jakob Schmidt.

Schullehrer Heinrich Buller.

24. Franztal

Im April 1820 kamen 15 Familien aus dem Kreise Schwez bei Kulm in WestpreuЯen

hier an, um unter anderen auch diese Kolonie zu grьnden. Es wurde von der

Obrigkeit und einer zur Ansiedlung gewдhlten Kommission fьr zweckmдЯig erachtet,

jede Kolonie fьr 20 Feuerstellen einzurichten, aber nur 15 davon zu bebauen und

die ьbrigen fьr die Nachkommen leer zu lassen. Bei einer kurz darauf erfolgten

Revision der Plдne find es sich jedoch, daЯ die Kolonien nicht ihr gehцriges

Land bekommen wьrden, weshalb alle Feuerstellen sogleich besetzt und eine

Kolonie auf die anderen verteilt werden muЯten. So kam es, daЯ am 18. Mai

desselben Jahres dieser Kolonie noch 8 aus dem selbigen Kreise eingewanderte

Familien beigefьgt wurden(3).

Die Steppe, welche den Einwanderern von der hohen Krone geschenkt und dem

damaligen Gebietsvorsteher(4) und Pдchter derselben Johann Kornies angewiesen

________________

(1) 1855: 30 Wirtschaften, 37 Anwohnerfamilien (insgesamt 190 Mдnner, 192

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 30 Wirtschaften (159 Mдnner) auf 1950 Desj. und 7 landlose Familien

(26 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

(2) Vgl. S. 106 Anm. 1.

(3) 1855: 24 Wirtschaften, 35 Anwohnerfamilien (insgesamt 184 Mдnner, 160

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 24 Wirtschaften (129 Mдnner) auf 1560 Desj. und 9 landlose Familien

(45 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

(4) Cornies (vgl. S. 96 Anm. 1) ist nicht Gebietsvorsteher, d.h. Oberschulz

gewesen, vgl. Schroeder a.a.O. S. 19.

Page 133

und in ihrem Beisein abgemessen wurde, war ganz leer. Nur einige Nomaden

weideten hier zur Sommerzeit ihre Herden. Um die zu grьndende Kolonie in der

Mitte des Planes zu haben, wдhlten die Ansiedler einen Platz, welcher in der

gleichen Vertiefung liegt, wo die Kolonie GroЯweide sich befindet. Diese

Vertiefung war aber hier nur sehr gering und kaum bemerkbar. Sich in einer

preuЯischen Niederung wдhnend, gruben die Ansiedler sofort ein Loch in die Erde,

um Wasser zu finden. Doch da hatten sie sich sehr getдuscht. Je tiefer sie

gruben, desto hдrter und trockener wurde die Erde, bis sie in einer Tiefe von 8Ѕ

Faden das mьhsame Graben einstellten und nach sechswцchentlichem Aufenthalt ihre

Kolonie an den FluЯ Juschanlee(1) verlegten. Aber auch hier schien es unmцglich,

durch den harten Fels bis auf's Wasser zu gelangen, und dasselbe muЯte aus dem

Flusse herbeigeschafft werden. Da das Dorf zweireihig angelegt war, so empfand

diese Unbequemlichkeit namentlich die obere Reihe und es entstand lauter

Unwille, bis endlich der Oberrichter Fadejew zur Besichtigung der neu angelegten

Kolonie erschien und sie dem FluЯ entlang einreihig anlegen lieЯ.

Im ersten Jahr wurde nur ein Wohnhaus fertig, die anderen nahmen den ersten

Winter in wohnbar eingerichteten Abteilungen in Stдllen oder auch in Erdbuden

vorlieb, bis unter tдtiger Mitwirkung des damaligen Dorfsvorstehers Peter

Ratzlaff der vцllige Ausbau der Hдuser nach Zeit und Umstдnden vollendet wurde.

Die Kolonie ist in der Richtung von Nordost nach Sьdwest angelegt. Der

Juschanlee bildet die Grenze zwischen ihrem und dem Lande der Tataren; bis zur

entgegengesetzten Grenze am Lande des Dorfes Tschernigow(2) betrдgt die

Entfernung 7 Werst. An der nordwestlichen Seite der Kolonie der Gasse entlang

befinden sich die Obstgдrten, welche je eine Dessjatine Flдcheninhalt haben und

bereits mit einer betrдchtlichen Anzahl von edlen Obstbдumen bepflanzt sind. Am

Ende der Obstgдrten erhebt sich die Gehцlzplantage, welche von der Kolonie aus

mit ihren grьnbelaubten Bдumen einen reizenden Anblick gewдhrt. Gegen Abend

grenzt die Kolonie an GroЯweide, gegen Morgen an Pastwa und ist von der

Kreisstadt Berdjansk 60 Werst entlegen. Die vielen alten Grabhьgel (Mohilen)

verleihen dem Lande sozusagen eine warzige Gestalt. Die Oberflдche ist fast

ьberall schwarze Erde, stellenweise etwas salpeterhaltig, mit einer Unterlage

von Kies und Bruchstein, welche ьber einen Faden tief liegt und stellenweise zum

Vorschein kommt. Obwohl die Ertrдglichkeit des Landes derjenigen an der

Molotschna nicht gleichkommt, so gedeihen doch auch hier Bдume, Getreide und

Futterkrдuter. Heftige Stьrme zerstцren oft strichweise die Kornfelder.

Anfдnglich wurde dieser Kolonie der Name Pschuchowka(3) nach dem frьheren

Wohnorte der Ansiedler in PreuЯen gegeben. Da aber dieser Name als ein

polnischer von der Obrigkeit nicht bestдtigt wurde, so brachte Ohm Benjamin

Ratzlaff(4), gegenwдrtig Aeltester der Gemeinde zu Rudnerweide(5), der auch

________________

(1) = Juschanly.

(2) = Tschernigowka, gegr. 1795, vgl. Zurn. Min. Vnutren. Del a.a.O. 1839, Nr.

2. S. 316.

(3) 1540 hatten sich Taufgesinnte aus Groningen auf dem Gut Przechowka bei

Schnetz niedergelassen, vgl. Quiring a.a.O. S. 19 f.

(4) Vgl. S. 139 Anm. 2. - Die geistlichen Vorsteher der Mennoniten wurden mit

"Ohm" angeredet, vgl. Friesen a.a.O. S. 144.

(5) Vgl. S. 138 Anm. 2.

Page 134

einer von den Grьndern dieser Kolonie ist, den ihm aus PreuЯen her bekannten

Namen Franztal in Vorschlag, welchem gleich alle beistimmten.

Die ersten 15 Familien dieser Kolonien bildeten bei ihrer Einwanderung eine

Partie, hatten jedoch keinen Anfьhrer. Von den beigezogenen aber sind einige mit

der groЯen Partie, deren Anfьhrer der nunmehr lдngst verewigte Дlteste Ohm

Franz Gцrz war, einige sind auch in kleinen Partien ohne Anfьhrer in's Land

gekommen.

18 unbemittelte Familien haben auf ihre Bitte einen KronsvorschuЯ von 10,721

Rbl. Banko erhalten. Die ьbrigen hatten eigenes Vermцgen, welches sich insgesamt

auf 15,260 Rbl. Banko belaufen haben mag.

Wegen der spдten Aussaat erntete man im ersten Jahr nur ein wenig Hirse. Die

folgenden zwei Sommer brachten nur 3 bis 4fдltige Ernten bei hohen

Getreidepreisen. 1 Tscht. Roggen kostete 20, Weizen 24 Rub. Banko. In den drei

folgenden Jahren vernichteten die Heuschrecken gesegnete Ernten. Der harte

Winter 1825 und das Jahr 1833 mit seiner Hungersnot und Viehseuche sind noch

frisch im Gedдchtnis der Ansiedler. Infolge des Erdbebens am 11. Januar 1838 um

halb 10 Uhr abends ist das Wasser in den Brunnen um ein Bedeutendes hцher

gestiegen. 1838 ist die Vierfelderwirtschaft und Schwarzbrache eingefьhrt

worden. 1845 gab es kein Heu und an Getreide nur die Aussaat. 1846 und 1847

waren gesegnete Ernten, allein am 17. Juni des letzten Jahres vernichtete ein

Hagelwetter die ganze Ernte. Der Sturm vom 15. Dezember 1847 bis 16. Januar 1848

hat viele Hдuser zum Einstьrzen gebracht, wodurch die betreffenden Familien in

groЯe Not kamen.

Franztal, den 26. April 1848.

Schulz Johann Flemming.

Beisitzer: Heinrich Ediger, Andreas Becker

Schullehrer Kornelius Siemens.

25. Pastwa

Das Land der Molotschnaer Mennoniten bildet an der Ostseite zwei Spitzen, von

denen die sьdlicher gelegene sich am weitesten nach Osten vorstreckt. Ganz am

Ende dieser Spitze wurde im Jahre 1820 die Kolonie Pastwa gegrьndet. Dieser

Name, von dem polnischen Wort fьr Weide abgeleitet, wurde ihr auf den Wunsch

mehrerer der angesehendsten Ansiedler dieser Kolonie, welche in PreuЯen in einem

Dorf gleichen Namens gewohnt hatten, gegeben und soll "gute Weide" bedeuten(1).

Die nдchsten Grenznachbarn von der Sьdseite sind Tartaren und цstlich und

nordцstlich Russen. Die Kolonie liegt in einer kleinen Vertiefung ohne Namen,

unweit des Ursprungs des FlьЯchens Juschanlee, ist von Berdjansk 65 und von

Simferopol 330 Werst entfernt. Das Dorf besteht aus zwei Hдuserreihen und

enthдlt 18 Wirtschaften und 5 Anwohnerstellen(2), letztere schlieЯen sich an

beiden Enden des Dorfes an die Feuerstellen an. Nachdem auf der angewiesenen

Steppe, welche Johann Kornies in Pacht hatte, bereits zur Ansiedlung geschritten

und 4 Wohnhдuser errichtet worden waren, muЯte wegen Mangel an Wasser das Dorf

________________

(1) Pastwa kommt in der Bedeutung "Weide" nur polnisch dialektisch vor.

(2) 1855: 18 Wirtschaften, 32 Anwohnerfamilien (insgesamt 131 Mдnner, 135

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

Page 135

um eine Werst verlegt werden, wo es sich denn auch jetzt durch mehrjдhrige reich

gesegnete Ernten und unter der dankenswerten Fьrsorge unserer hochgeschдtzten

Obrigkeit zu einem ziemlichen Wohlstande erhoben hat. Es zeichnet sich nicht

gerade durch hervorragende Gebдude oder durch Anpflanzungen vor anderen Kolonien

aus, doch aber machen die einfachen und regelmдЯig gebauten, von der Gipfeln der

Bдume ьberragten Hдuser, die gut bepflanzten Gдrten und die an der Sьdseite des

Dorfes angepflanzte Schutzwehr, sowie die am Sьdwestende des Dorfes an einem

Bergabhange vor 13 Jahren angelegte Gehцlzplantage einen gьnstigen Eindruck. Die

vorschriftsmдЯig bezдunte StraЯe verteilt sich am Sьdwestende in zwei

Hauptrichtungen, von denen die eine nach GroЯweide und die andere nach Franztal

fьhrt. Am Nordostende fьhrt eine Strecke weit erst ein Weg, welcher sich dann in

der Richtung nach verschiedenen Russen- und Tartarendцrfern verzweigt. Quer

durchs Dorf fьhrt eine MittelstraЯe, an welcher man zuerst das Dorfsmagazin und

dann etwas weiter den Kirchhof antrifft. Der Boden, dessen Oberflдche aus

schwarzer Erde besteht, ist, obwohl an einigen Stellen etwas salpetrig, doch

ziemlich ergiebig, namentlich seit Einfьhrung der Brache. Die Viehweide ist auch

in fruchtbaren Jahren nur sehr mittelmдЯig. Von den ersten 18 Familien, welche

diese Kolonie anbauten, sind gegenwдrtig nur noch 6 auf den Wirtschaften(1). Die

meisten sind gestorben und einige in andere Kolonien ьbersiedelt. Sie sind im

Jahre 1819 aus dem preuЯischen Regierungsbezirk Marienwerder gekommen. Ihr

Anfьhrer war der verstorbene Kirchenдlteste Franz Gцrz. Sieben von ihnen waren

imstande, sich mit ihren eigenen Mitteln anzubauen, die anderen erhielten einen

KronsvorschuЯ von 6005 Rbl. Banko, wovon bereits 4491 Rb. abgezahlt sind. Im

ьbrigen unterscheidet sich die Geschichte dieser Kolonie nicht von derjenigen

ihrer Schwesterkolonien.

Schulz Heinrich Wiebe.

Beisitzer Jakob Lцwen, Jakob ThieЯen.

Schullehrer Andreas Voth.

Pastwa, den 27. April 1848.

26. GroЯweide(2)

Diese Kolonie wurde im Jahre 1820 gegrьndet. Im Maimonat lieЯen sich die

Ansiedler auf dem von der Ortsbehцrde angewiesenen Plan nieder und bauten sich

Bretterbuden. Bis zum Herbst wurden die Viehstдlle fertig, in denen sich die

Familien ihre Wohnungen zum Winter einrichteten. ZweckmдЯige Wohnungen und

Scheunen wurden erst spдter erbaut, und zwar in neuerer Zeit von gebrannten

Ziegeln. Solcher Hдuser sind bereits 6 im Dorf vorhanden, wovon 4 mit

hollдndischen Dachpfannen gedeckt sind. Besonders zeichnen sich die 64 FuЯ lange

und 35 FuЯ breite Dorfschule und das 80 FuЯ lange und 40 FuЯ breite Wohnhaus des

Krдmers Heinrich Janzen aus.

Das Dorf liegt am SteppenflьЯchen Sassikulak(3) in der Richtung von Ost nach

West. 65 Werst von Berdjansk und 350 Werst von Simferopol entfernt. Die Grenzen

________________

(1) Wie die vorliegenden Berichte erweisen, scheinen Wirtschaftsьbergaben doch

viel hдufiger vorgekommen zu sein, als man es bisher in der Literatur

annahm.

(2) Russischer Name: Sasikulak bzw. Sosikukak.

(3) Sosikulak vgl. Spisok naselennych mest Bd. 4, S. 35.

Page 136

sind: im Norden der von der Krim nach Bachmut fьhrende Tschumakenweg(1), im

Osten die Kolonie Franzfeld, im Sьden das Nogaierland des Dorfes Kahatsch(2), wo

der SeitenfluЯ der Molotschna Juschanlee die Grenze bildet, und endlich im

Westen die Kolonie Rudnerweide. Das FlьЯchen Sassikulak entspringt in hiesiger

Steppe und schlдngelt sich bis unterhalb der Kolonie Rudnerweide, wo es in den

JuschanleefluЯ mьndet. Es enthдlt viele Quellen und gibt gutes Trinkwasser,

welches als Viehtrдnke sehr zu statten kommt. Auch sind an demselben bereits

1645 Weidenbдume angepflanzt. Weiter oben, wo die Quellen aufhцren, sind kleine

Heuwiesen, die jдhrlich einen guten Ertrag liefern.

Die Steppe ist ebenes Land mit kleinen Abdachungen. Die Oberschicht ist

fruchtbare Schwarzerde, die Unterlage roter Ton. Die untere Steinlage kommt nur

an дuЯerst wenigen Orten zum Vorschein. Der Wasserstand ist 7 bis 10Ѕ Arschin

tief und steht seit dem Erdbeben anno 1838 um 3 Arschin hцher, als es vorher der

Fall war, doch hat durch das Erdbeben die Beschaffenheit des Wassers gelitten;

in mehreren Brunnen ist es sogar bitter geworden. Die starken Stьrme richten oft

groЯen Schaden auf dem Brachlande an, indem sie die leichte Ackerkrume wegfegen.

Das Getreide gedeiht vorzьglich und gibt in guten Jahren 18 bis 20fдltige

Frucht. An Heu kann auf jeden Wirt durchschnittlich 520 Pud jдhrlich gerechnet

werden. In den Gдrten befinden sich 9395 Standbдume im Wachstum, in der

Gehцlzplantage 26,904, wovon der dritte Teil Maulbeerbдume auf Standorten

sind(3). Pflaumen und Aprikosen erfrieren bei anhaltend strenger Kдlte, was der

unteren kaltgrьndigen Steinlage zugeschrieben wird.

Den Namen des Dorfes haben die Ansiedler von einem Dorfe ihres gewesenen

Vaterlandes hergeleitet. Er bedeutet "groЯe Weide".

Die ursprьnglich hier angesiedelten 22 Familien(4) bestanden aus 28 mдnnlichen

und 36 weiblichen arbeitsfдhigen Seelen; der jetzige Bestand ist in 53 Familien

72 mдnnliche und 67 weibliche arbeitsfдhige Seelen(5). Sie stammten aus dem

Marienwerder, zum geringen Teil auch aus dem Danziger Regierungsbezirk in

WestpreuЯen. Ihr Anfьhrer bei der Einwanderung war der verstorbene

Kirchenдlteste Franz Gцrz, welcher damals mit seiner ganzen Kirchengemeinde aus

PreuЯen auswanderte. Sie kamen 1818, zum grцЯten Teil aber 1819 in RuЯland an.

Vor ihrer Ankunft hatte die Steppe Johann Kornies in Pacht, welcher sie den

nomadisierenden Nogaiern als Weideland abgab. Schwer wurde es, den Nogaiern das

Weiden auf dem Lande der Deutschen abzugewцhnen; es wurde etwas gemindert,

als die Kolonie im Jahre 1835 lдngs der Grenze am JuschanleefluЯ Pflugland

anlegte, dennoch findet man ihr Vieh oft in den Getreidefeldern.

________________

(1) Der Tschumakenweg, der anfдnglich durch die deutschen Kolonien fьhrte, wurde

wohl um 1820 (?) verlegt, um das Einschleppen von Seuchen zu verhindern,

vgl. Reiswitz und Wadzeck a.a.O. S. 368.

(2) = Michajlowka?

(3) 1855: 24 Wirtschaften, 29 Anwohnerfamilien (insgesamt 160 Mдnner, 155

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

(4) Vgl. Anm. 3.

(5) Die arbeitsfдhigen Mдnner und Frauen im Alter von 16 (bzw. 14) bis 60 Jahren

waren steuerpflichtig, vgl. I PSZ Bd. 26, Nr. 19873.

Page 137

KronsvorschuЯ erhielten 15 unbemittelte Familien, und im Ganzen 10,244 R. 60 K.

Banko. Sieben Ansiedler waren so bemittelt, daЯ sie recht gute Hдuser aufbauen

und das notwendige Vieh anschaffen konnten. Man schдtzt ihr hergebrachtes

Vermцgen auf 25,000 R. Der weitere Verlauf der Geschichte dieser Kolonie weist

keine von denjenigen der anderen Kolonien abweichenden Zьge auf.

Schulz Abraham Braun,

Beisitzer Wilhelm Ewert, Martin Block.

Schullehrer Peter Isaak.

GroЯweide, den 28. April 1848.

27. Mariental

Unter Mitwirkung des Gebietsvorstehers Peter Tцws und des von den soeben

eingewanderten Ansiedlern erwдhlten Dorfschulzen Jakob Giesebrecht wurde im

Frьhjahr 1820 die Dorfslage ausgesucht, die Wirtschaften abgefurcht und die

Baustellen verlost. Fьrs erste machte man sich Erdhьtten oder Bretterbuden, nach

der Saatzeit aber trafen die meisten Anstalten zur Erbauung der wirtschaftlichen

Gebдude. Die Kolonie liegt am Steppenflusse Tschukrak(1), welcher 1Ѕ Werst

aufwдrts auf dem Nogaierlande seinen Anfang nimmt, und bei dem Vorwerk

Steinbach(2), 9 Werst von hier, in den Juschanlee mьndet. Der Plan des Landes

bildet ein lдngliches Viereck und grenzt im Sьden und Osten an die Lдndereien

der Tartaren(3), im Norden an den Juschanlee. Der ebene Boden hat wenig schwarze

Erde. Die Heuernten fallen gering aus. Das Getreide gedeiht gut.

Bei einer vom Gebietsamte in der Kolonie Ohrloff veranstalteten Versammlung der

neuen Einwanderer, auf welcher die Kolonien eingeteilt, die Ansiedler gruppiert

und einigen Dцrfern Namen gegeben werden sollten, wurde auch endlich die Frage

aufgeworfen, wie die hiesigen Ansiedler ihre Kolonie nennen wollten. Als sich

niemand zum Wort meldete, schlug der Aelteste Franz Gцrz, welcher auch ein

Einwanderer und in Rudnerweide angesiedelt war, [vor], dieselbe nach Ihrer

Majestдt der Kaiserin Mutter Maria(4) Mariental zu nennen. Dieser Vorschlag fand

allgemein Beifall.

Im Ansiedlungsjahr 1820 haben sich in dieser Kolonie 17 und im darauffolgenden

Jahr noch 4 Familien hier niedergelassen, wovon aber eine Familie sich als

Freiwirt ansдssig machte(5). Von diesen 21 Familien stammen 9 aus dem

________________

(1) = Tschokrak.

(2) Klaas Wiens hatte es vom Zaren fьr die Grьndung der ersten Waldplantage in

diesen Kolonien geschenkt erhalten, vgl. Fadeev a.a.O. S. 403.

(3) soll heiЯen "Nogaier".

(4) Marija Fedorowna, 1759-1828 (Sophie Dorothea Auguste Luise Prinzessin von

Wьrttemberg), Gemahlin Pauls I., nimmt in der russischen Kulturgeschichte

als Begrьnderin der nach ihr benannten Erziehungsinstitute fьr die weibliche

Jugend eine hervorragende Stelle ein, vgl. E. Lichaceva: Materialy dlja

istorii zenskogo obrazovanija v Rossii (Materialien zur Geschichte der

weiblichen Ausbildung in RuЯland). Petersburg 1890-1901.

(5) 1855: 20 Wirtschaften, 56 Anwohnerfamilien (insgesamt 190 Mдnner, 186

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 20 Wirtschaften (124 Mдnner) auf 1300 Desj. und 15 landlose Familien

(67 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

Page 138

Marienwerder, die anderen aus dem Elbinger und Marienburger Bezirk. Das gras-

und blumenreiche Land, welches ihnen zugeteilt wurde, hatte Johann Kornies aus

Ohrloff in Pacht; einige Tartaren, die sich auf dieser Steppe befanden, waren

seine Unterpдchter. Die meisten Ansiedler waren ohne Vermцgen und erhielten

11,210 Rubel Banko als VorschuЯ von der Krone. Das mitgebrachte Vermцgen hat

sich auf etwa 8000 R. Banko belaufen. Durch den hдufigen Pferdediebstahl in den

ersten Jahren, wovon nur etwa der fьnfte Teil der Ansiedler ganz verschont

blieb, ist die Kolonie sehr zu Schaden gekommen.

1823 zerstцrten die Heuschrecken eine aussichtsvolle Ernte. Auf die schwache

Ernte 1824 folgte der schreckliche Stьhmwinter, welchem das meiste Vieh zum

Opfer fiel. 1825 richtete ein Hagelwetter die Ernte zu Grunde. Besonders schwer

war das schreckliche Notjahr 1833. Viel Schaden hat je und je der heftige

Ostwind verursacht, welcher z.B. im Jahre 1842 bedeutende Strecken des

bestellten Getreides mitsamt der Ackerkrьme wegstдubte. Das Erdbeben vom 11.

Januar 1838 hat zur Folge gehabt, daЯ mehrere der 35 bis 45 FuЯ tiefen Brunnen

einstьrzten, doch kцnnen seither durch das Steigen des Wasserstandes die Brunnen

um 10 FuЯ flacher gegraben werden(1). Durch das Uebergeben der Wirtschaften

seitens schwacher, verschuldeter, teils auch trдger Wirte an junge, fleiЯige und

bemittelte Familien ist die Kolonie in ihrem Emporkommen wesentlich gefцrdert

worden.

Mariental, d. 21 Apr. 1848.

Peter Schroeder, Schulz.

Beisitzer: Kornelius Friesen, Peter Wieb.

Peter Friesen, Schullehrer.

28. Rudnerweide

Wenn man die auf der nordwestlichen Seite der Kolonie sich allmдhlich erhebende

Anhцhe besteigt, die von der Kolonie durch ein kleines Tal getrennt ist, so kann

man die zwei Hдuserreihen von Rudnerweide bequem ьbersehen. Alle diese Hдuser

sind regelmдЯig angelegt, zweckmдЯig eingerichtet und von einem gefдlligen

Ansehen. Was das AeuЯere dieser Hдuser noch mehr verschцnert, sind die bei

denselben regelmдЯig angelegten Obstgдrten, die an der Gasse mit wilden

Birnbдumen, zwischen Nachbar und Nachbar mit einer Maulbeerhecke und am hinteren

Ende mit einer Hecke von wilden Oelbдumen eingefaЯt sind. Wendet man sich nach

dem nordцstlichen Ende der Kolonie, so erblickt man daselbst ein von weiЯen

Steinen erbautes zweistцckiges Gebдude mit weiЯen hollдndischen Dachpfannen

gedeckt, nebst einer vortrefflich gedeihenden neuangelegten kleinen

Gehцlzplantage. Das Gebдude ist das Bethaus der ganzen Rudnerweider

Kirchgemeinde(2), zu dessen Bau Kaiser Alexander I. 10,000 R. Banko geschenkt

hat. Etwas weiter sьdцstlich befindet sich die Gehцlzplantage der Dorfsgemeinde

mit einem Drittel Maulbeerbдumen, die bereits so viel Laub liefern, daЯ jeder

Wirt jдhrlich ein Pud Seide bauen kann. Diese Plantage enthдlt 16Ѕ Dessj.

________________

(1) Vgl. Koeppen: Ьber einige Landesverhдltnisse S. 61 f.

(2) Die Rudnerweide Gemeinde gehцrte der friesischen Richtung an, vgl. Friesen

a.a.O. S. 706.

Page 139

Flдchenraum. Jeder Wirt besitzt darin ein Quartal von Ѕ Dessjatine. Jedes

Quartal ist mit einer Maulbeerhecke und die ganze Plantage mit einer wilden

Oelhecke umgeben. Von dieser Plantage westlich befindet sich die neulich

angelegte Windschutzwehrhecke, welche auf der Sьdseite der Kolonie von einem

Ende zum anderen reicht und dazu dienen soll, die hinter derselben liegenden

Obstgдrten vor Stьrmen und Schneegestцber zu schьtzen. Am sьdwestlichen Ende der

Kolonie wohnen die landlosen Wirte in ebenfalls regelmдЯig erbauten, von kleinen

Obstgдrten umgebenen Hдusern. Unter den Gebдuden zeichnen sich aus: auЯer dem

Bethaus das massiv erbaute zweistцckige Gebдude einer Essigbrauerei nebst einem

einstцckigen Wohngebдude von weiЯen Steinen und auf der rechten Seite des

Tales, das hier eine sьdliche Richtung nimmt, eine massiv erbaute einstцckige

Bierbrauerei. Alle diese Gebдude sind mit hollдndischen Dachpfannen gedeckt.

Die Kolonie wurde 1820 gegrьndet. Die ersten Wohnungen wurden in einer Abteilung

der neuerbauten Viehstдlle eingerichtet, zugleich aber auch der Bau von Hдusern

vorbereitet. Die Kolonie liegt unweit des Steppenflusses Juschanlee lдngs des

Tales Sassikulak. Im Sьden und Sьdwesten wird sie von der Juschanlee, im Norden

von der TschumakenstraЯe und im Osten von der Kolonie GroЯweide begrenzt. Die

Steppe hat keine Niederungen, der Wasserstand ist 30 bis 50 FuЯ tief. Der

fruchtbare Boden besteht aus Dammerde. Vom Brachen wird er so locker und fein,

daЯ die hдufigen Stьrme ihn furchentief wegreiЯen. Der Untergrund liefert guten

Ton zu Backsteinen und der gemeine Feldstein im Tal Sassikulak wird zu

Fundamenten benutzt.

Die meisten Ansiedler dieser Kolonie stammen aus dem Dorf Rudnerweide in

PreuЯen. Die Benennung jenes Dorfes hatte folgenden Ursprung: Auf der Hцhe, die

die Ostseite des Weichseltales beherrscht, liegt das groЯe Dorf Ruden. Die

Rudner besaЯen von Jahren unsern der Weichsel ihre Viehweiden. Als dann auf

jener Weide ein Dorf angelegt wurde, bekam es den Namen Rudnerweide, welcher

auch auf diese Kolonie ьbertragen wurde.

Ursprьnglich siedelten sich in dieser Kolonie 24 aus dem preuЯischen Amtsbezirke

Stuhm eingewanderte Familien an, im Jahre 1826 kamen jedoch noch neue Familien

aus den Bezirken Marienburg und Marienwerder hinzu(1). Die meisten der ersten

Ansiedler gehцrten zu der Gemeinde des kirchenдltesten Franz Gцrz, der bereits

1835 hier gestorben ist. Er kam in Gemeinschaft des Lehrers Heinrich Balzer als

Anfьhrer einer bedeutenden Partie, von welcher nicht nur diese, sondern mehrere

benachbarte Kolonien bevцlkert worden sind, die man als Tochterkolonien von

Rudnerweide betrachten kann und auch heute noch der Mehrzahl nach zur Gemeinde

des Franz Gцrz, dessen Nachfolger Benjamin Ratzlaff ist, gehцren(2).

Die hiesige Steppe wurde von Tataren als Weide fьr ihre Herden benutzt und

befand sich bei Johann Kornies in Pacht.

________________

(1) 1855: 33 Wirtschaften, 67 Anwohnerfamilien (insgesamt 278 Mдnner, 256

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 33 Wirtschaften (190 Mдnner) auf 2145 Desj. und 25 landlose Familien

(100 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

(2) Benjamin Ratzlaff, geb. 1791, berufen zum Дltesten 1835, war 1856 noch im

Amt, vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 32.

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Da die meisten Ansiedler arm waren, so erhielten sie einen KronsvorschuЯ von

12,524 R. 70 K. Banko. Einige von den ursprьnglich und spдter angesiedelten

Familien hatten genьgend einige(1) Mittel, die sich auf etwa 30,000 R. Banko

beliefen.

Der weitere Verlauf der Geschichte dieser Kolonie weist keine von denjenigen der

anderen Kolonien abseichenden Zьge auf.

Schulz Peter Kliewer.

Beisitzer: Andreas Nachtigal, Gerhard Fast.

Schullehrer Jakob Brauel.

25. April 1848.

29. Pordenau

Die Ansiedlung begann im Jahre 1820, wo anfдnglich meistens nur Stallungen fьr's

Vieh erbaut wurden, in welchen auch die Ansiedler Unterkunft suchten. Nur

einige vermцgendere Leute errichteten sich Wohnhдuser aus Luftziegeln, die

obgleich sie nicht so schцn wie die jetzigen waren, doch das kummervolle Leben

der Ansiedler bedeutend erleichterten. An Auschmьckungen wurde damals der Armut

wegen nicht gedacht; der jetzige Wohlstand hat sich erst nach mehreren Jahren

entwickelt.

Die Kolonie befindet sich an der Sьdseite des FlьЯchens Tschokrak, welches aus

Osten kommend und Steinbach(2) durchschneidend in die Juschanlee mьndet. Im

ьbrigen befinden sich hier keine Niederungen, weshalb der Ertrag an Heu auch

sehr unbedeutend ist. Das Vieh wird im Winter meistenteils mit Stroh genдhrt.

Durch einige Hдckselmaschinen wird das Stroh fьr's Vieh schmackhafter gemacht.

Die Beschaffenheit des Bodens ist folgende: die Oberschicht ist 3 FuЯ tief

fruchtbare schwarze Erde, dann folgt 8 FuЯ tiefer gelber Lehm, weiterhin kommt

Stein, weshalb das 25 bis 35 FuЯ tiefe Wasser nur mit vieler Mьhe erreicht wird.

Steinbrьche befinden sich nur am Flusse Juschanlee, welcher im Norden die Grenze

des Landes bildet; das Sьdende wird von der Nogaiersteppe begrenzt. Waldungen

gibt es hier auЯer den auf den Wunsch des Kaisers Alexander I. angepflanzten

keine(3).

Die Benennung Pordenau sit von einigen Ansiedlern, welche aus einem

gleichnamigen preuЯischen Dorf stammten, auf diese Kolonie ьbertragen worden.

Ursprьnglich siedelten sich hier 14 Familien aus dem Marienburgischen Kreise in

WestpreuЯen an, gleichzeitig gesellten sich zu ihnen noch 2 Familien aus der

Molotschnaer Mennonitenjugend, spдter kamen noch 2 Familien aus dem Wohnorte der

ersteren und 2 Familien aus denjenigen der letzteren hinzu(4). Das Land hatte

damals Johann Kornies in Pacht, welcher es an tatarische Herdenbesitzer

weitergab. Die eigenen aus dem Auslande gebrachten Mittel genьgten den

Ansiedlern lange nicht zur ersten Einrichtung, weshalb ihnen die Kronen einen

________________

(1) muЯ wohl heiЯen: "eigene".

(2) Vgl. S. 137 Anm. 2.

(3) Vgl. S. 108 und S. 112 Anm. 4.

(4) 1855: 20 Wirtschaften, 35 Anwohnerfamilien (insgesamt 144 Mдnner, 131

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 20 Wirtschaften (119 Mдnner) auf 1300 Desj. und 5 landlose Familien

(22 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

Page 141

VorschuЯ von 6268 R. 74 K. Banko gewдhrte. Bei einem Gewitter entzьndete der

Blitz ein Haus und der Hausvater verbrannte, wahrscheinlich vom Blitz getroffen,

mit.

Der ьbrige Verlauf der Geschichte dieser Kolonie weist keine von denjenigen der

anderen Kolonien abweichenden Zьge auf.

Schulz Johann Dьck.

Beisitzer: Jakob Epp, Isaak Barg.

Schullehrer Wilhelm Martins.

Pordenau, den 15. April 1868(1).

30. Schardau

Im Spдtherbst des Jahres 1819 kamen die hiesigen Ansiedler aus dem preuЯischen

Regierungsbezirk Marienwerder hier an und winterten in den bereits angesiedelten

Kolonien. Im Maimonat des Jahres 1820 wurde ihnen ihr Land angewiesen, wo sie

auch sofort zur Anlegung der Gebдude schritten. Von der Ankunft bis zur ersten

Ernte muЯten sie ihre Nahrung fьr bares Geld kaufen, wodurch besonders die

unbemittelten wirtschaftlich sehr geschwдcht wurden. Im ersten Sommer wurden nur

Viehstдlle gebaut, und auch dazu mangelte es an dem nцtigen Baumaterial,

namentlich aber an Holz, weshalb sie erst grьndlich die kalten Nachtfrцste des

Herbstes in ihrem Bretterhьtten spьren muЯten, bevor sie die in den Viehstдllen

eingerichteten Wohnungen endlich beziehen konnten. Da sie sich zum Bau

eigenlicher Wohnhдuser erst die Mittel erwerben muЯten, so blieben sie mehrere

Jahre in diesen Stallwohnungen. Erst im Jahre 1824 erbauten drei Wirte, welche

aus PreuЯen etwas Geld mitgebracht hatten, ihre Wohnhдuser. Die letzten

Wohnungen wurden im Jahre 1828 erbaut. Alle Hдuser waren niedrig und von

ungebrannten Ziegeln erbaut.

Die Kolonie Schardau liegt an einer schmalen Vertiefung, Tschukrak(2) genannt,

welche nur ganz unbedeutende Quellen hat, die im Sommer ganz austrocknen. An der

Tschukrak sind 5 Dцrfer nahe aneinander angesiedelt. Sie beginnt ostwдrts von

diesen 5 Dцrfern auf der Nogaiersteppe und zieht sich nach Westen, wo sie bei

dem Vorwerk Steinbach, 6 Werst von hier in den SteppfluЯ Juschanlee mьndet. Am

westlichen Ende dieser Kolonie vereinigt sie sich noch mit einer anderen

schmalen Vertiefung, die von Sьdosten ebenfalls aus der Nogaiersteppe kommt und

gegen die Mitte des Dorfes noch eine unbedeutende sьdцstlich auf dem Lande der

Kolonie Pordenau beginnende Vertiefung aufnimmt, allwo sich auch kleine

Steinklьfte befinden. Die hьgelige Landflдche dieser Kolonie grenzt gegen Osten

und Westen an die naheliegenden Dцrfer, gegen Sьden an die Nogaiersteppe und

gegen Norden an den FluЯ Juschanlee, welcher Quellen birgt und den Sommer durch

gesundes, flieЯendes Wasser fьr die Viehherden bietet.

Schardau liegt von Orechow und Berdjansk je 70 Werst entfernt. Der gelbe

Lehmboden ist nur mit einer 1 bis 2 FuЯ tiefen Schwarzerdeschicht bedeckt,

eigentlich aber gut zum Ackerbau. Im Frьhling wird der Boden gedьngt und im

Sommer 2 bis 3 mal umgepflьgt, worauf er gute Ertrдge liefert. Bisweilen wird

jedoch das lockere Land von den heftigen Stьrmen abgeweht, wodurch groЯer

________________

(1) muЯ heiЯen "1848".

(2) = Tschokrak.

Page 142

Schaden entsteht. Heu wird wenig gewonnen; das Vieh muЯ im Winter Stroh fressen,

welches vermittelst der unlдngst aufgekommenen Hдckselmaschinen klein

geschnitten wird. Infolge der Strohfьtterung erhдlt die hiesige Wolle nie ein

schweres Gewicht; die Viehweide ist auch nicht besonders ergiebig. Der dritte

Teil der auch hier reichlich angepflanzten Bдume sind Maulbeeren, die von den

Ansiedlern zum Seidenbau benьtzt werden.

Da die Mehrheit der hiesigen Wirte in WestpreuЯen im Dorfe Schardau gewohnt

haben, so wurden sie einig, die Kolonie ebenso zu nennen. Sie besteht aus 20

Wirten, von welchen 17 im Jahre 1820 und 3 im Jahre 1821 sich hier

niedergelassen haben(1). Die ersteren der Einwanderer haben sich mit anderen

Mitbrьdern zu einer kleinen Gemeinde gesammelt und fьr diese Reise den Aeltesten

Franz Gцrzen zu ihrem Anfьhrer gewдhlt. Die ihnen von General von Insow

angewiesene Kronssteppe, welche Johann Kornies als Pдchter Tataren und Armeniern

zu Weideland weiter verpachtete, war leer und wasserlos, so daЯ die

Neuangekommenen ihren Bedarf an Wasser aus dem 6 Werst entfernten Steinbach

holen muЯten, bis sie sich gemeinschaftlich einen Brunnen gegraben hatten(2). Je

nach der Hцhe der kleinen Summen, die jeder Wirt vom Auslande mitgebracht hatte

und welche sich nur bei einigen auf 300 bis 500 R. Banko belief, wurde jedem ein

KronsvorschuЯ von 400, 500, 700, dem дrmsten 859 R. Banko gegeben. Die ьbrigen

aus dieser Kolonie gemeldeten Ereignisse sind die gleichen, die sich schon in

den Beschreibungen der anderen Kolonien finden.

Schulz Lohrentz.

Beisitzer Kliewer, Wiebe.

Schullehrer Daniel Penner.

31. Alexandertal(3)

Als nach dem franzцsischen Befreiungskriege verschiedene Auswanderungen aus dem

Kцnigreich PreuЯen stattfanden, so sammelten sich auch im Jahre 1819 eine

Anzahl Familien aus den Mennonitengemeinden bei Graudenz und Stuhm unter der

Leitung des Kirchenдltesten Franz Gцrz und des Lehrers Heinrich Balzer zur

Auswanderung nach SьdruЯland. Sie gelangten am 4. Oktober desselben Jahres in

Chortitza an. Da aber an der Molotschna, wo auch schon mehrere mennonitische

Kolonien gegrьndet waren, noch Land fьr neue Ansiedler zu haben war, so wurde im

Jahre 1820 unter Mitwirkung einer besonders eingesetzten Kommission von 6

Mitgliedern und des Gebietsamtes unter Beratung des Obervormundschaftskontors

fьr auslдndische Ansiedler die Besiedlung dieser freien Lдndereien durch neue

Einwanderer betrieben(4).

Sechzehn Familien der oben erwдhnten Einwanderer schlossen sich zur hiesigen

Gemeinde zusammen und wдhlten den Platz zur Niederlassung. Trotzdem es nur 16

________________

(1) 1855: 20 Wirtschaften, 42 Anwohnerfamilien (insgesamt 185 Mдnner, 166

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 20 Wirtschaften (141 Mдnner) auf 1300 Desj. und 17 landlose Familien

(71 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

(2) Vgl. Koeppen: Ьber einige Landesverhдltnisse, S. 62.

(3) Russischer Name: Kasim-Schulgan-Tschukrak (Tschokrak), vgl. Klaus a.a.O.

Beilage 2, S. 37.

(4) Leiter der Kommission war Cornies, vgl. S. 96.

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Familien waren, so wurden doch fьr 20 Wirte Baustellen mit je 65 Dessj. Land

verordnet. Die leeren Baustellen wurden durch neue Einwanderer aus PreuЯen in

den Jahren 1821 und 1822 besetzt(1). Da das mitgebrachte Vermцgen der Ansiedler

zum Anbau und zur wirtschaftlichen Einrichtung nicht ausreichte, so gewдhrte die

Krone einen VorschuЯ von 11.320 Rbl. Banko. Das hergebrachte Vermцgen betrug

etwa 5872 Rbl. Banko. Zum ersten Schulzen wurde der jetzt noch lebende Stephan

Kerber gewдhlt. Auf Zuraten des damaligen Gebietsдltesten Peter Tцws, welcher

damals in Ladekop und jetzt in Tiege wohnhaft ist, wurde dieses Dorf zum

Andenken an die glorreiche Regierung des Kaiser Alexander I. Alexandertal

genannt.

In den neuerbauten Stallungen der jungen Ansiedlung wurden die ersten

Winterwohnungen eingerichtet; manche bargen sich auch in Erdhьtten. Es fehlte

fast an allem. Bei vielen trat ein nie empfundenes Heimweh ein. Mancher wдre

gern wieder in seine frьheren Kreise zurьckgekehrt, wenn dieses so leicht hдtte

geschehen kцnnen. Obenerwдhnte Mдnner, Franz Gцrz und Heinrich Balzer, welche

sich in anderen Kolonien niedergelassen hatten, ahnten wohl den Herzenszustand

ihrer Brьder, reisten oft umher, stдrkten und trцsteten die verzagten Gemьter,

und da kein Gotteshaus vorhanden war, wurde in den Wohnungen, wo es sich am

fьglichsten tun lieЯ, Gottesdienst gehalten. Mit Rat und Tat, kein Ungemach

scheuend, waren diese Mдnner die Sдulen der Gemeinde und gingen jedem mit gutem

Beispiel voran. Und es war nцtig. In den Jahren 1822 und 1823 kamen die

Heuschrecken und verheerten in wenigen Stunden die ganze Ernte, die ein Jahr des

Landmanns SchweiЯ und Mьhe gekostet hatte. Das entsetzliche Schneegestцber von

1824 auf 1825 raubte den Leuten auЯer den geringen Vorrдten die Hдlfte des

Viehbestandes.

Auf das schreckliche Notjahr 1833 folgte ein sehr gesegneter und fruchtbarer

Sommer, so daЯ die Not bald vergessen wurde.

In der Richtung von Ost nach West liegt das Dorf Alexandertal am FlьЯchen

Tschukrak mit seinen regelmдЯig gebauten Hдusern und der gerдumigen, geraden

Gasse mit ihren guten Zдunen. In der Mitte des Dorfes an der sьdlichen Seite

steht das Schulhaus und in der Nдhe das Vorratsmagazin. An der sьdlichen Seite

des nur bei Regenzeit mit Wasser versehenen FlьЯchens befindet sich ein ziemlich

guter Steinbruch, welcher die Steine zu den Fundamenten der Hдuser liefert. Eine

halbe Werst westlich vom Dorfe liegt die Waldplantage mit ihren in schцnem

Wachstum stehenden Bдumen. Am Ostende des Dorfes befindet sich die dem Anwohner

Stephan Kerber gehцrende Sдmerei und Baumschule mit verschiedenen Obst- und

Waldbдumen.

Sьdlich grenzt unser Plan an die benachbarte Nogaiersteppe und streicht in

gerader Richtung gegen Norden 7 Werst lang bis an den FluЯ Juschanlee(2),

welcher hier die Grenze bildet. Fruchtbare schwarze Erde bedeckt den Boden, aber

die Anpflanzungen auf den Feuerstellen stehen in gelbem Lehm, was zur Folge hat,

daЯ die Bдume leider kein hohes Alter erreichen. Der sьdliche Teil des Planes

________________

(1) 1855: 21 Wirtschaften, 35 Anwohnerfamilien (insgesamt 167 Mдnner, 140

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 21 Wirtschaften (114 Mдnner) auf 1365 Desj. und 10 landlose Familien

(44 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

(2) = Juschanly.

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wird zum Ackerbau und als Heuwiese benьtzt, wдhrend der nцrdliche Teil bis an

den FluЯ Juschanlee, wo sich eine durch einen Damm gebildete Viehtrдnke

befindet, als Viehweide dient.

Wenn man den mьhseligen Anfang dieser Kolonie mit dem blьhenden Zustand der

Gegenwart vergleicht, so muЯ man sich wundern wie in so wenigen Jahren eine

solche Verдnderung hat zustande kommen kцnnen. Die meisten der alten Hдuser sind

durch gerдumige und feste Neubauten ersetzt, und alles deutet auf Wohlstand und

Zufriedenheit. So sieht man auch hier, wie das unermьdliche Walten einer weisen

Obrigkeit auf dem Gebiet der Schafzucht, des Ackerbaues und der Baumkultur unter

Gottes Schutz und Segen die schцnsten Frьchte gezeitigt hat.

Schulz Johann Kliewer.

Beisitzer: Abraham Kasper. Heinr. Funk.

Schullehrer Johann Janzen.

Alexandertal, den 23. April 1848.

32. Gnadenheim

Die Kolonie wurde im Jahre 1821 am linken Ufer des Steppenflusses

Bogцmtschukrak(1), 47 Werst von Orechow und 90 Werst von Berdjansk entfernt,

gegrьndet. Das Land war damals unbewohnt und wurde von den Viehherden der

angrenzenden Russen und Nogaier beweidet. Die ursprьngliche Niederlassung

bestand aus 16 Familien, wurde aber im Jahre 1822 noch durch 4 Familien

verstдrkt. Erst 1844 kamen noch einmal 2 und endlich 1845 und 1846 je eine

Familie hinzu, so daЯ sie jetzt aus 24 Wirten besteht(2). Zehn von den ersten

Ansiedlern waren aus den Bezirken Danzig, Marienwerder und Marienburg mit

verschiedenen anderen partienweise ohne besonderen Fьhrer eingewandert und

erhielten einen VorschuЯ von je 560 bis 854 Rbl. Banko, im Ganzen aber 7620 Rbl.

Banko. Ihre aus dem Auslande hergebrachten Mittel bestanden wesentlich nur aus

je 2 Pferden und Wagen. Die anderen 6 der ersten Familien waren in den дlteren

Molotschnakolonien erwachsen und hatten auЯer 2 Pferden und Wagen nicht mehr als

200 Rbl. Eigentum(3).

Der Boden des Landes besteht meistenteils aus leichter schwarzer Erde,

stellenweise mit Lehm vermischt, und ist zum Grasbau mittelmдЯig, zum Getreide-

und Gartenbau aber gut geeignet.

Den Namen erhielt die Kolonie vom Vorsteher der damaligen Ansiedlungskommission

Johann Kornies, und zwar auf folgende Veranlassung: Da die angrenzende

Dorfsgemeinde Alexanderwohl auf ihrer Herreise vom Kaiser Alexander I. in

Warschau beglьckwьnscht wurde, gab man ihr den Namen Alexanderwohl. Kornies aber

sagte: "Ihr habt euch ebenso gut wie jene der Gnade des Landesvaters zu erfreuen

und sollt deshalb euer Dorf Gnadenheim nennen."

________________

(1) = Begim-Tschokrak.

(2) 1855: 24 Wirtschaften, 34 Anwohnerfamilien (insgesamt 187 Mдnner, 155

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 24 Wirtschaften (127 Mдnner) auf 1560 Desj. und 7 landlose Familien

(24 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

(3) Leider wissen wir nicht, ob diese Umsiedler von ihren Heimatgemeinden aus

unterstьtzt worden sind.

Page 145

Im Jahre 1825 wurde ein 30 FuЯ langes und 28 FuЯ breites Schulhaus von

Luftziegeln erbaut. Als aber die Schьlerzahl auf 50 heranwuchs und der Raum sich

als zu eng erwies, so wurde im Jahre 1844 unter Leitung des landwirtschaftlichen

Vereins, der sich die Verbesserung des Schulwesens sehr angelegen sein lieЯ, ein

neues Schulhaus von gebrannten Ziegeln und mit hollдndischen Dachpfannen gedeckt

54 FuЯ lang, 32 FuЯ breit und 10Ѕ FuЯ hoch erbaut. 1829 wurde auf Verlangen der

Behцrde das Vorratsmagazin gebaut und 1836 unter Anleitung des

landwirtschaftlichen Vereins die Garten- und Waldanlagen begonnen. 1828 am 18.

Mдrz brannten die Gebдude der Feuerstelle Nr. 13 ab, 1832 am 8. April das

Wohnhaus der Feuerstelle Nr. 20, 1842 den 28. Mдrz abends spдt, als alle

Einwohner schliefen, in 1Ѕ Stunden bei starkem Winde die Gebдude der

Feuerstellen Nr. 9, Nr. 8 und Nr. 7.

Seuchen, Heuschrecken und MiЯwachs haben auch diese Kolonie mehr oder weniger

stark mitgenommen.

Doch ist unter der weisen Leitung der Obrigkeit und sonstiger tьchtiger Mдnner,

wie Johann Kornies, auch hier so bald wie anderswo Wohlstand und Gedeihen

eingetreten.

Schulz Reimer.

Beisitzer: Schultz, Peters.

Schullehrer Franz Isaak.

Gnadenheim, den 27. April 1848.

33. Tiegerweide

Diese Kolonie wurde im Frьhling 1822 von 24 Landwirten(1) begrьndet, hat aber

seit der Ansiedlung einen Zuwachs von 22 Freiwirten erhalten, die zum Teil

Handwerker, zum Teil Tagelцhner sind. Sie hat 52 Wohnhдuser, worunter 5 massiv

aus gebrannten Ziegeln gebaut, 29 Viehstдlle, 28 Getreidescheunen, darunter 7

Querscheunen, 1 Schulhaus, 1 Vorratsgetreidemagazin, 1 Hirtenhaus, 3 Schmieden,

1 Getreidewindmьhle und 1 Getreidetretmьhle, die mit Pferdekraft getrieben wird.

Die Nordseite der Kolonie stцЯt an den kleinen FluЯ Kuruschan, das westliche

Ende derselben an die TschumakenstraЯe. Sьdlich der Kolonie entlang befindet

sich der im Jahre 1838 angelegte Gehцlzgarten und am цstlichen Ende ist ein Teil

des Ackerlandes. Ihre Entfernung von Berdjansk betrдgt 98 Werst.

Das zu dieser Kolonie gehцrige Land, grцЯtenteils Steppe, liefert eine gute

Viehweide. Ein Teil des ziemlich flach mit Schwarzerde bedeckten Ackerlandes ist

bergig und uneben, es liegt nцrdlich vom Flusse Kuruschan, welcher das ganze

Land in zwei Hдlften schneidet. Der sьdlich vom Flusse gelegene Teil ist eben.

Der FluЯ Kuruschan bildet eine kleine Niederung von 60 Dessj., und am Sьdende

des Dorfes schlдngelt sich der FluЯ Juschanlee vorbei, welcher daselbst die

Grenze ist und ebenfalls eine Niederung bildet, in welcher die Gemeinde 72

Dessj. besitzt. In diesen beiden Niederungen erhдlt jeder Wirt jдhrlich bei

________________

(1) 1855: 24 Wirtschaften, 35 Anwohnerfamilien (insgesamt 144 Mдnner, 142

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 24 Wirtschaften (126 Mдnner) auf 1560 Desj. und 11 landlose Familien

(47 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

Page 146

mittelmдЯiger Ernte etwa 600 Pud Heu; wenn aber in fruchtbaren Jahren auf der

Steppe auch noch Heu gemдht werden kann, so belдuft sich die Heuernte bei jedem

Wirt auf 1200 bis 1800 Pud. Steinbrьche und Waldungen sind nicht vorhanden.

Vor der Ansiedlung befand sich diese Steppe 5 Jahre lang als Weideland fьr die

Schafe bei den Einsassen der Kolonie Tiege, den Brьdern Johann, Abraham und

Jakob Klassen und Gerhard Wilms in Pacht. Sie hatten auf dieser ihre Schдferei,

Stдlle und Wohnungen erbaut und nannten sie Tiegerweide, welcher Name auch auf

die spдtere Kolonie ьbertragen wurde.

Vierzehn der ursprьnglich hier angesiedelten Familien stammen zumeist aus den

westpreuЯischen Bezirken Danzig und Marienburg. Ihre Namen sind: 1.) Johann

Abrahams, 2.) Klaas Dick, 3.) Anton Harder, 4.) Heinrich Franz, 5.) Bernhard

Matthies, 6.) Johann Harder, 7.) Heinrich Balzer, 8.) Jakob Pцttker, 9.) Klaas

Mдrtens, 10.) Heinrich Gцrz, 11.) Jakob Schцnke, 12.) Peter Janzen, 13.) Johann

Dick, 14.) Diedrich Geddert. Diese 14 Familien erhielten durchschnittlich je 859

R. Banko KronsvorschuЯ; ihre eigenen hergebrachten Mittel betrugen

durchschnittlich 300 Rubel Banko auf die Familie.

Die ьbrigen 10 Familien sind Kinder der frьher eingewanderten Ansiedler. Sie

heiЯen: 1.) Jakob Krцker, 2.) Diedrich Hildebrand, 3.) Jakob Vцlk, 4.) Jakob

Rempel, 5.) Kornelius Vцlk, 6.) Peter Klaassen, 7.) Gerhard Wilms, 8.) Jakob

Klaassen, 9.) Isbrand Thiessen, 10.) Johann Klaassen. Die Familien hatten sich

durch FleiЯ im Handwerk oder Tagelohn so viel erspart, daЯ sie sich mit eigenen

Mitteln anbauen konnten.

Im ьbrigen hat diese Kolonie ihr Loos mit den anderen geteilt und ist im

Wohlstand nicht zurьckgeblieben. Denkwьrdig ist, was ьber den Besuch Sr.

Majestдt des Kaisers Alexander I. am 22. Oktober 1825, "4 Wochen vor seinem

kummervollen Ende" berichtet wird:

Seine Majestдt geruhten bei der Ankunft in Steinbach in der Behausung des

Mennoniten Peter Schmidt einzukehren und daselbst zu Mittag zu speisen. Beim

Aussteigen aus der Kalesche an der Einfahrt des Hofes wurde Se. Majestдt von den

Kirchenдltesten der Mennoniten bewillkommt und empfing von selbigen mit einem

gьtigen Lдcheln ein schriftliches Glьckwunsch- und Bewillkommnungsschreiben

folgenden Inhalts:

"Allergnдdigster Monarch! Die Vorsehung hat uns das Glьck verliehen, Ew.

Kaiserlich Majestдt, unsern Allergnдdigsten Monarchen und Vater abermals in

unserer Mitte zu sehen. Unter Deiner milden Regierung, unter Deinem Schutz und

Beschirmung wohnen wir hier glьcklich und ruhig. Nimm von uns,

Allerdurchlauchtigster Monarch, die ErgieЯung der Gefьhle unserer Dankbarkeit,

Ergebenheit und Liebe an. Nimm die Versicherung unserer herzlichen und

immerwдhrenden Gebete zum Allerhцchsten an. Ja, Gott der Herr krцne Dich, Dein

ganzes Majestдtisches Haus und alle Deine groЯen und wohltдtigen Unternehmungen

mit seinem Segen." Unterschrieben von den geistlichen und weltlichen Aeltesten

der Mennonitengemeinde.

Der Monarch ging in das Zimmer. Einige Minuten nach dem Mittagessen wurden die

Mennonitenдltesten gerufen. Der Kaiser fragte, ob sie mit allem zufrieden seien

und ob sie nicht etwa Klagen hдtten. Und nachdem sie geantwortet, daЯ sie in

jeder Hinsicht glьcklich und zufrieden seien, und daЯ ihnen nur ьbrig bliebe,

Page 147

dem Monarchen fьr alle seine Mildtдtigkeiten und Gnade zu danken, sagte Er: "Ich

bin ebenfalls mit euch fьr euer ruhiges Leben und Arbeitsamkeit zufrieden. Ich

wьnsche aber, daЯ ihr Gehцlzplantagen, besonders aus amerikanischen Akazien,

welche in hiesiger Gegend schnell wachsen, zu einer halben Dessjatine auf den

Wirt anlegen mцchtet(1)."

Darauf entlieЯ er sie, rief den Wirt und die Wirtin, dankte ihnen, beschenkte sie

mildreich und ging hinaus zum Abfahren.

Schulz Heinrich Gьnther.

Beisitzer Johann Barg, Abr. Wiebe.

Schullehrer Reinhard Hiebert, Verfasser.

34. Liebenau

Die Kolonie liegt 35 Werst von Orechow, 100 Werst von Berdjansk, am linken Ufer

des Flusses Tokmak, 12 Werst цstlich vom Dorfe gleichen Namens.

Gedrьckt durch den beschrдnkten Grundbesitz und angezogen durch die den

Mennoniten gegebenen groЯen Vorrechte kam im Jahre 1822 aus dem

Marienwerderschen Regierungsbezirk in WestpreuЯen eine Gesellschaft von 13

mennonitischen Familien unter der Leitung ihres Lehrers Peter Franz; 9 von

diesen, darunter auch ihr Anfьhrer, verbanden sich mit 11 anderen aus derselben

Provinz schon frьher zu verschiedenen Zeiten eingewanderten Familien und legten

im Jahr 1825 den Grund zu dieser Kolonie(2). Den Namen Liebenau gab ihr der

damalige Gebietsvorsteher Gerhard Ens aus dem Grunde, weil zu der Zeit, als er

den Ansiedlern ihre Steppe anwies, dieselbe eine liebliche Aue war. Liebenau

soll also liebliche Au bedeuten, welchen Namen es zur Zeit der Ansiedlung mit

grцЯerem Rechte fьhrte, als jetzt, wo die Steppe nur einen sehr dьrftigen

Graswuchs hervorbringt.

Der Boden ist hier zum grцЯten Teil lehmig, mit einer Schicht Dammerde bedeckt,

doch findet man besonders in der Nдhe des Tokmak auch Kiesboden. Hier gedeihen

alle Getreidearten. Die Bдume bedьrfen zu ihrem Fortkommen sorgfдltiger Pflege,

gedeihen aber vorzьglich. Die Brunnen haben eine Tiefe von 2 bis 2Ѕ Faden und

liefern sehr gutes Wasser.

Was den Ansiedlern in dieser Einцde die Ansiedlung sehr erleichterte, war der

Umstand, daЯ in der Nдhe ihres Ansiedlungsplanes schon frьher mehrere Dцrfer

angelegt waren, deren Bewohner den Unerfahrenen mit Rat und Tat an die Hand

gingen. Dreizehn unbemittelte Familien erhielten einen KronsvorschuЯ von 10,052

R. Banko. Die eigenen Mittel beliefen sich auf ungefдhr 18 bis 24 Tausend R.

Banko.

Liebenau gewдhrt eine schцne, ja man kann wohl sagen eine reizende Ansicht, wenn

man, von der Steppe kommend, in's Tal hinabsieht. Viel tragen die von einigen

Wirten lдngs der StraЯe gepflanzten weiЯen und italienischen Pappeln mit ihrem

himmelan strebenden Laubgezweige dazu bei, am meisten aber wird die Schцnheit

________________

(1) Vgl. hierzu auch Fadeev a.a.O. S. 402 und 405.

(2) 1855: 20 Wirtschaften, 30 Anwohnerfamilien (insgesamt 144 Mдnner, 125

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 20 Wirtschaften (122 Mдnner) auf 1300 Desj. und 12 landlose Familien

(62 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 38.

Page 148

dieser Kolonie durch die am rechten Tokmakufer hart an Leibenau liegenden

russischen Bauernhдuser hervorgehoben.

Bald hat nun Liebenau ein Vierteljahrhundert bestanden, und diese Zeit hat

bereits hinlдnglich gezeigt, daЯ trotz der Schцnheit und reizenden Ansicht nie

ein Eden daraus werden wird. Der Herr hat durch Heuschrecken, MiЯwachs und

Viehseuchen den Bewohnern von Liebenau anscheinlich gemacht, daЯ sie nicht fьr

ein irdisches Elysium, sondern fьr ein himmlisches Vaterland bestimmt sind.

Diese Schicksale hat Liebenau mit den anderen Mennonitenkolonien des Bezirks

gemein gehabt und ist im Vergleich mit denselben, was das Fehlen der niedrig

gelegenen Heuwiesen anbelangt, sogar sehr im Nachteil; dafьr aber erfreut sich

diese Kolonie ihres gefunden Trinkwassers, ihrer im TokmakfluЯ befindlichen

Viehtrдnken und ihres vortrefflichen Bauwuchses, was die Mьhe der Anpflanzung

ungemein erleichtert. Liebenau nдhert sich in Verbindung mit seinen

Nachbardцrfern immer mehr der groЯen Bestimmung, ein Muster fьr die umliegenden

Vцlker zu werden.

Schulz Heinrich Unrau.

Beisitzer Schrцder, Hьbert(1).

Schullehrer Isaak Fast.

35. Elisabethtal.

Diese Kolonie wurde im Jahr 1823 unter dem Gebietsvorsteher Gerhard Ens aus

Altona und dem Dorfschulzen Peter Dick gegrьndet. Die Lage des zugeteilten

Landes bildet ein lдngliches 8 Werst langes und 2 Werst breites Viereck. Die

Grenzen sind: im Osten die Kolonie Alexandertal, im Westen das Vorwerk

Steinbach, im Sьden die Nogaiersteppe und im Norden der FluЯ Juschanlee. Dieser

FluЯ enthдlt in den meisten Jahren Wasser, und da die Weidesteppe daran stцЯt,

kann es zur Viehtrдnke benutzt werden. Drei Werst sьdlich vom Juschanlee ist der

fast immer Wasser enthaltende SteppenfluЯ Tschokrak, an dessen rechter Seite

die Kolonie angesiedelt ist. Dieses SteppenflьЯchen bildet eine kleine flache

Niederung, welche von sдmtlichen Ansiedlern zu Gemьsegдrten benutzt wird. In

nicht weiter Entfernung von der Kolonie wird das Land noch einmal von einem

trockenen SteppfluЯ in ostwestlicher Richtung durchschnitten. Der Boden ist fьr

Getreide ergiebig, da aber dort, wo die Gдrten angelegt sind, gelber Lehm

vorherrscht, so wachsen die Bдume nur in den ersten fьnf Jahren und erreichen in

zwanzig Jahren einen Stamm von 6 bis 7 Zoll Durchmesser, worauf sie schnell

absterben. Die dьnne Schwarzerdschicht wird durch's Ackern so locker, daЯ sie

die starken Frьhjahrsstьrme hдufig mitsamt der grьnenden Saat wegfegen, wodurch

schon oft groЯer Schaden entstanden ist. Bausteine sind am Juschanlee in drei

Werst Entfernung in Menge vorhanden.

Die Kolonie ist zum ehrenden Gedдchtnis and die verewigte Kaiserin Elisabeth(2)

Elisabethtal genannt worden.

________________

(1) Die Familie nennt sich auch Hiebert.

(2) Jelizaweka Aleksejewna 1779-1826 (Luise Marie Auguste von Baden Durchlach,

Tochter des Markgrafen Karl Ludwig), Gemahlin Alexanders I., vgl. GroЯfьrst

Nikolaj Michajlowitsch: L'impйratrice E., йpouse d'Alexandre Ier.

Petersburg 1908.

Page 149

Ursprьnglich haben sich hier 22 Familien niedergelassen. Da aber das

ьberflьssige Land des Vorwerks Juschanlee dieser Kolonie zugemessen wurde, so

kamen in spдteren Jahren noch drei Wirte hinzu(1). Sдmtliche 25 Ansiedler sind

aus den Bezirken Marienwerder und Marienburg teils schon vor der Ansiedlung der

Kolonie hierher gekommen. Das Land hatte vor der Grьndung Elisabethtals Klaas

Wiens aus Steinbach in Pacht, welcher es gewцhnlich an Nogaier weiter

verpachtete. Das erste Obdach der Ansiedler waren Bretterbuden und Erdhьtten.

Vierzehn Familien erhielten einen KronsvorschuЯ von 10,826 R. Banko. Die ьbrigen

8 Familien behalfen sich mit ihrem eigenen aus dem Auslande mitgebrachten

Vermцgen, welches sich insgesamt auf etwa 14,300 R. Banko Belief.

Ihre ьbrigen Schicksale, sowie die den Wohlstand fцrdernden oder hemmenden

Ereignisse hat diese Kolonie mit den ьbrigen Ansiedlungen des Bezirks gemein.

Schulz Peter Lohrentz.

Beisitzer Klaas Dick, Heinrich Barg.

Schullehrer Heinrich Friesen.

Elisabethtal, d. 22 April 1848.

36. Wernersdorf

Diese Kolonie wurde im Jahre 1824 am linken Ufer des Flusses Tokmak, 35 Werst

von Orechow und 100 Werst von Berdjansk unter Anweisung des Oberschulzen Johann

Klaassen(2) von Ohrloff gegrьndet. Die unbewohnte Steppe wurde damals nur von

einigen Viehherden der angrenzenden Russen beweidet. Die ursprьngliche

Niederlassung bestand aus 20 Familien(3) und bildet eine einfache Reihe von

Hдusern. Sieben der Ansiedlerfamilien sind aus den Kreisen Elbing, Marienburg

und Tiegenhof in WestpreuЯen im Jahre 1819 eingewandert, haben sich in den fьnf

Jahren vor der Ansiedlung zu ihren mitgebrachten 2 Pferden und einem Wagen

einiges Haus- und Ackergerдt verdient und bei der Niederlassung einen

KronsvorschuЯ von 5668 R. Banko erhalten. Zwei Familien stammen aus den hiesigen

und 11 Familien aus dem Chortitzer Mennoniten-Bezirk und haben bei der Siedelung

insgesamt ungefдhr 3900 R. Banko besessen.

Zum Andenken an ein in ihrem frьheren Vaterlande befindliches Dorf gleichen

Namens nannten sie die Kolonie Wernersdorf.

Der Boden besteht aus lockerer, schwarzer, stellenweise mit Lehm vermischter

Erde, ist zum Grasbau mittelmдЯig. zum Getreidebau und zu Baumanlagen gut

________________

(1) 1855: 25 Wirtschaften, 29 Anwohnerfamilien (insgesamt 177 Mдnner, 157

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 25 Wirtschaften (110 Mдnner) auf 1622 Desj. und 12 landlose Familien

(42 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

(2) Johann Klaassen, 1824-1833 Oberschulz des Molotschnaer Mennonitengebiets,

vgl. Schroeder a.a.O. S. 19.

(3) 1855: 30 Wirtschaften, 51 Anwohnerfamilien (insgesamt 237 Mдnner, 232

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 30 Wirtschaften (149 Mдnner) auf 1950 Desj. und 2 landlose Familien

(11 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 38.

Page 150

geeignet. Der steinigte Untergrund ist an einigen Stellen ein fast

unьberwindliches Hindernis beim Graben der Brunnen(1). Die im Jahre 1837 unter

Anleitung des landwirtschaftlichen Vereins angefangene, noch nicht ganz

vollendete Waldanlage befindet sich in blьhendem Zustande.

Die Kolonie ist seit ihrer Grьndung fьnf mal so stark von der Viehseuche

heimgesucht worden, daЯ sie nicht im Stande war in der Zwischenzeit ihre

Viehherden in guten Stand zu bringen. Zudem sind den Ansiedlern in 24 Jahren 58

Pferde gestohlen worden.

Im Jahre 1825 verheerten die Heuschrecken Felder und Gдrten, in den folgenden

Jahren waren sie weniger schдdlich und verschwanden bis zum Jahre 1829 gдnzlich.

Das Ansiedlungsjahr brachte eine MiЯernte und einen sehr ungestьmen Winter, so

daЯ viel Vieh Hungers starb. Auf das schreckliche Notjahr 1833 folgte 1834 bei

schwacher Aussaat wieder eine schlechte Ernte.

Durch die in anderen Abschnitten geschilderten den Wohlstand fцrdernden

Ereignisse ist auch diese Kolonie trotz allen MiЯgeschicks emporgekommen.

Schulz Bernhard Epp.

Beisitzer Peter Gцrtz, Gerhard Dцrksen.

Wernersdorf, den 29. April 1848.

37. Friedensdorf(2)

Die Kolonie ist unter der damaligen Verwaltung des Herrn Fadejew, Kollegienrat

und Oberrichter des Kontors fьr auslдndische Ansiedler in Jekaterinoslaw und des

Gebietsvorstehers Johann Klaassen zu Ohrloff im Jahre 1824 gegrьndet worden. Sie

liegt am linken Ufer des FluЯbettes Bogemtschukrak(3), 47 Werst von Orechow und

90 Werst von Berdjansk entfernt. Der unebene Boden besteht aus leichter,

schwarzer, stellenweise mit Lehm vermischter Dammerde; eignet sich gut zum

Ackerbau, aber weniger zu Heuland.

Zwei Ansiedler wьnschten, daЯ die Kolonie zum Andenken an die ihnen in PreuЯen

zunдchst gelegene Stadt Friedberg heiЯen mцchte. Der Gebietsvorsteher aber fand

es, da sie ja nicht auf einem Berge liegt, passender, sie Friedensdorf zu

nennen.

Im Jahre 1824 haben sich 16 und im folgenden 14 Familien angesiedelt(4). Von den

30 Ansiedlern waren 20 im Jahre 1823 aus PreuЯen eingewandert, und zwar aus dem

Landratsamte Schwez, 8 Familien, darunter Heinrich Pцtker und David Schmidt, aus

dem Landratsamte Marienburg, 7 Familien, darunter Franz Peters und Kornelius

Fast, aus der Stadt Graudenz 1 Familie, Georg Schulz, aus dem Landratskreis

Friedberg im Regierungsbezirk Frankfurt a.O. 2 Familien: Kornelius Voth und

________________

(1) Vgl. Koeppen: Ьber einige Landesverhдltnisse, S. 62.

(2) Russischer Name: Kriwoj Numer.

(3) = Begim-Tschokrak.

(4) 1855: 30 Wirtschaften, 32 Anwohnerfamilien (insgesamt 178 Mдnner, 163

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 30 Wirtschaften (137 Mдnner) auf 1950 Desj. und 16 landlose Familien

(67 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

Page 151

Peter Voth. Von den ьbrigen Familien waren 3 Familien Nachkommen aus dem

Chortitzer und 2 Familien Nachkommen aus dem hiesigen Mennonitenbezirk.

Die unbesiedelte Steppe gehцrte zum Pachtland des Johann Kornies und wurde von

den benachbarten Russen und Nogaiern zur Viehweide Benutzt.

Siebzehn Familien erhielten zur Ansiedlung von der hohen Krone 3850 R. Silber

VorschuЯ und hatten ungefдhr 980 R. Silber eigenes Vermцgen. Dreizehn Familien

siedelten [sich] aus eigenen Mitteln mit einem mutmaЯlichen Vermцgen von 3000 R.

Silber an.

Das Ansiedlungsjahr war auЯerordentlich unfruchtbar. Obschon die Ansiedler in

denjenigen Kolonien, wo sie vorher gewohnt hatten, auch auf ihrem ihnen

zugeteilten Lande Aussaat bestellt hatten, ernteten sie nichts, und das etwa

noch gewachsene Futter fraЯen die Heuschrecken. Zu dem Futter- und Brotmangel

gesellte sich der harte Sturmwinter, so daЯ vie Vieh verhungerte. Doch versьЯte

ihnen die Beschwerden der Besuch des wohlwollenden Monarchen Alexander I.,

dessen wahrhaft menschenfreundliches Benehmen auf die Ansiedler einen tiefen

Eindruck machte.

Da im folgenden Jahr wegen Armut die Saat nicht gehцrig bestellt werden konnte,

so konnten sie den reichen Erntesegen nicht in vollem MaЯe genieЯen. Bis zum

Jahr 1828 verursachten die Heuschrecken viel Schaden.

Im Jahre 1828 brach die Viehseuche aus. 1830 wurden die Schule und das

Vorratsmagazin gebaut. 1831 verbrannte den Ansiedlern die dem Peter Schmidt in

Steinbach auf Kommission gegebene Wolle, wofьr sie keine Entschдdigung

erhielten.

Besonders schwer war das Jahr 1833. Damals wurden die Pferde in die Gegend der

Krim gegen hohe Bezahlung auf die Weide getrieben, wo jedoch die meisten vor

Hunger und Kдlte umkamen. Das Rindvieh wurde teils geschlachtet, teils in Innere

von RuЯland verkauft. Die Schafe wurden fьr den halben Wert an die benachbarten

Edelleute verдuЯert. Durch den von der Kolonialverwaltung verschafften Kredit

allein wurde es mцglich, daЯ die Kolonisten vor dem Hungertode bewahrt blieben,

obgleich gдnzliche Verarmung und Verlust der Wirtschaften nicht immer verhindert

werden konnte.

Trotz allem ist auch diese Kolonie durch die in anderen Abschnitten

geschilderten den Wohlstand fцrdernden Ereignisse allmдhlich emporgekommen.

Schulz Franz Wiens.

Beisitzer: Peter Buller, Peter Wiens.

Schullehrer Jakob Wieb.

Friedensdorf, den 23. April 1848.

38. Prangenau

Diese Kolonie wurde im Frьhjahr des Jahres 1824 gegrьndet, liegt am rechten Ufer

des Flusses Juschanlee(1) und ist 77 Werst von Berdjansk entfernt. Der Plan,

welcher den Ansiedlern abgemessen wurde, bildet eine lдngliche, nicht

rechtwinklige Flдche, deren weiteste Ausdehnung sich von Sьd nach Nord

erstreckt. Der Boden ist hart, hat wenig schwarze Erde und eine Unterlage von

gelbem Ton. Die Wiesen sind, wenn nicht besonders gьnstige Witterung eintrifft,

________________

(1) = Juschanly

Page 152

zur Heuernte unfдhig. Das Ackerland ist meistens eben, nur ein trockener

SteppenfluЯ durchschneidet es in schrдger Richtung. Durch tьchtige Bearbeitung

des Landes erhдlt man bei einigermaЯen gьnstiger Witterung gute Getreideernten.

Auch in den Gдrten ist das Wachstum ein befriedigendes.

Der erste Schulze Gerhard Wall machte den Vorschlag, die Kolonie nach einem

Dorfe in PreuЯen Prangenau zu nennen, was vom Gebietsvorsteher Johann Klaassen

aus Ohrloff genehmigt wurde.

Anfдnglich haben sich in dieser Kolonie 23 Familien niedergelassen, unter

welchen 3 Freiwirte sich befanden(1). Acht dieser Familien stammten aus dem

Marienburgischen, 4 aus dem Tilsitschen Kreise und 11 aus der Chortitzer

Kolonie.

Die Steppe war Johann Kornies in Pacht gegeben und wurde von Tartaren als

Viehweide benьtzt.

Die Ansiedler erhielten einen KronsvorschuЯ von 6515 Rbl. Banko. Ihre eigenen

vom Auslande hergebrachten Mittel betrugen mit EinschluЯ des Viehes und

Ackergerдtes ungefдhr 2155 R. Banko.

Die gьnstigen und ungьnstigen Ereignisse in ihrer Entwicklung bis zum Jahre 1848

hat diese Kolonie mit den anderen gemein.

Schulz Peter Epp.

Beisitzer: Abraham Bьhler, Gerhard Peters.

Der Verfasser dieses Peter Epp.

Prangenau, den 27. April 1848.

39. Sparrau

Wenn man die auf der Nordseite dieser Kolonie sich erhebende Anhцhe besteigt,

die von der Kolonie durch ein kleines Tal getrennt ist, so kann man die zwei

Reihen Wirtschaftsgebдude der Ansiedler ьbersehen. Alle diese Hдuser sind

regelmдЯig angelegt, im Innern zweckmдЯig eingerichtet und von einem gefдlligen

Ansehen. Was dem AeuЯeren noch mehr Gefдlligkeit verleiht, sind die regelmдЯig

angelegten Obstgдrten, welche an der Gasse mit wilden Birnbдumen, zwischen den

Nachbarn mit einer Maulbeerhecke und am hinteren Ende mit einer wilden Oelhecke

eingefaЯt sind. Hinter den Obstgдrten der Sьdseite befindet sich die

Gehцlzplantage der ganzen Dorfsgemeinde mit ihren verschiedenen Arten von

Waldbдumen, darunter ein Drittel Maulbeeren. Diese Plantage enthдlt 17

Dessjatinen Land, wovon auf jeden Wirt Ѕ Dessj. kommt, welche ringsum von einer

Maulbeerhecke, die ganze Plantage mit einer wilden Oelhecke eingefaЯt ist. Auf

beiden Enden der Kolonie wohnen die Beisassen in regelmдЯig erbauten Hдusern.

Die Kolonie wurde im Jahr 1828 unter Anleitung des Oberschulzen Johann Klaassen

gegrьndet. Die Hдuser wurden aus Luftziegeln gebaut; in ihnen wurde fьr den

ersten Winter eine Abteilung fьr das Vieh eingerichtet. Der Ackerbau wurde in

dieser Zeit wegen Mangel an Vieh nur im kleinen betrieben. Ebenso die Schafzucht

________________

(1) 1855: 20 Wirtschaften, 41 Anwohnerfamilien (insgesamt 171 Mдnner, 171

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 20 Wirtschaften (128 Mдnner) auf 1300 Desj. und 15 landlose Familien

(61 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

Page 153

trotz der hohen Wollpreise (10 bis 30 Rbl. das Pud). Die Hofstellen waren von

Grдben umgeben.

Das Dorf liegt lдngs des Nebentales der Molotschna Kuruschan an dessen sьdlicher

Seite. Das Wasser in den Brunnen liegt 25 bis 40 FuЯ tief. Ackerfelder und

Heuwiesen liegen auf einer Anhцhe und sind ziemlich fruchtbar.

Da die hiesige Steppe ein Dreieck bildet, also einen sparrenдhnlichen Plan hat,

so wurde die Kolonie nach einem bekannten Dorf in PreuЯen Sparrau genannt.

Die ersten 28 Ansiedler dieser Kolonie sind grцЯtenteils aus dem Bezirk Elbing

in WestpreuЯen eingewandert. Zwei Jahre spдter wurden noch 9 Familien aus den

anderen Kolonien dieses Bezirks aufgenommen(1). Das Land gehцrte zu dem Pachtgut

des Johann Kornies, welcher es Tataren und Griechen zur Weide ьberlieЯ. Die

Ansiedler erhielten einen KronsvorschuЯ von 14,092 R. Banko. Nur wenige besaЯen

eigenes Vermцgen im Betrage von etwa 500 R. und bedurften des Vorschusses nicht.

Im Jahre 1832 zeigte sich in einer Herbstnacht gleichsam als Vorbote fьr das

schreckliche Notjahr 1833 ein Nordlicht. Das sah aus, wie eine ungewцhnliche

Feuermasse am nдchtlichen Sternenhimmel, die sich цffnete und in deren Oeffnung

man, dem Anschein nach, tief hineinsehen konnte. Nachdem sich die Oeffnung

wieder geschlossen, endigte die Erscheinung mit dem Fallen einer unzдhlbaren

Menge von Sternen.

Der weitere Verlauf der Geschichte dieser Kolonie weist keine[n] von derjenigen

anderer Kolonien abweichenden Zьge auf.

Schulz Heinrich Ewert.

Beisitzer: Gerhard Dьck(2), Jakob Ott.

Schullehrer Peter Friesen.

Sparrau, den 23. April 1848.

40. Konteniusfeld

Es wird wohl kaum einen Menschen geben, der so sehr aller WiЯbegierde bar ist,

daЯ, wenn ihm Schriften der Vorwelt zu Hдnden kommen, die sich vorzьglich auf

seine Herkunft beziehen, er dieselben nicht mit voller Aufmerksamkeit lesen und

darьber mit tiefer Befriedigung nachdenken wьrde(3). So angenehm also solche

Schriften fьr uns sind, so werden sie es auch fьr unsere Nachkommen sein, wenn

sie von uns, ihren Voreltern, etwas Schriftliches vorfinden. Um unseren

________________

(1) 1855: 40 Wirtschaften, 61 Anwohnerfamilien (insgesamt 295 Mдnner, 264

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 40 Wirtschaften (216 Mдnner) auf 2600 Desj. und 34 landlose Familien

(133 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

(2) Die Familie nennt sich auch Dieck.

(3) Der erste Absatz dieses Berichts ist in engster Anlehnung and die

"Zirkular-Aufforderung zur Abfassung von Gemeindeberichten" des Staatsrats

E. von Hahn (vgl. S. I) geschrieben, die mit folgenden Worten beginnt: "Es

wird wohl kaum einen Menschen geben, der in einem solchen Grade aller

WiЯbegierde entblцЯt sei, daЯ in ihm nicht einmal der Wunsch aufsteige, den

Zeitpunkt, in welchem sein Geburtsort gegrьndet, den Ursprung der Gemeinde,

deren Glied er ist, die Hautpereignisse, welche einen wohltдtigen oder

ungьnstigen EinfluЯ auf die Entwicklung und das Emporkommen dieses Ortes

haben, zu kennen", vgl. Georg Leibbrandt a.a.O. S. 7-9.

Page 154

Nachkommen hierin ein Genьge zu leisten, so ist hier eine kurze geschichtliche

Ьbersicht der Grьndung und des Bestehens unserer Kolonie aufgesetzt.

Im Jahre 1831 wurde der erste Schritt zur Ansiedlung der Kolonie Konteniusfeld

gemacht; am 24. Mдrz wurde die Steppe zugemessen und der passendste Platz zur

Anlegung der Kolonie aufgesucht, darauf die Feuerstellen geordnet und

abgezeichnet, durchs Los verteilt und zur Frьhlingsaussaat geschritten. Im

Sommer wurde dann auch der Hдuserbau in Angriff genommen. Die Kolonie grenzt im

Norden an die Steppe der Kronsbauern des russischen Dorfes Tschernigowka, wo der

kleine SteppenfluЯ Behemtschukrak(1) die eigentliche Grenze bildet. Im Westen

grenzt sie an die beiden Kolonien Waldheim und Gnadenfeld, im Sьden an den

Tschumakenweg, der von Bachmut in die Krim fьhrt. Der flache SteppenfluЯ

Kuruschan zieht sich ziemlich mitten durch den Plan, an dessen sьdlicher Seite

die Kolonie erbaut ist. Auf jeder Seite der Gasse wohnen 15 Wirte(2), jede

Feuerstelle ist 36 Faden breit. Dieser fast immer trockene FluЯ Kuruschan

richtet bei vorkommenden Platzregen hдufig Schaden in den Gemьsegдrten an. In

der Nдhe des Behamtschukrak befindet sich eine Grube von weiЯer Erde, welche von

den umwohnenden Russen und Deutschen zum Stukkaturen der Hдuser benьtzt wird.

Diese Erde ist auch ein vorzьgliches Material zur Bereitung der Luftziegel, aus

welchen alle Wohngebдude in Konteniusfeld aufgefьhrt sind.

Die ganze Steppe ist flach und mit fruchtbarer etwas salpeterhaltiger

Schwarzerde, auf weiЯ und rotlehmiger Unterlage, bedeckt. Das Grundwasser liegt

ziemlich tief, weshalb das Land schnell austrocknet. Im Jahre 1846 hat die

Dorfsgemeinde mit der Gehцlzplantage den Anfang gemacht(3). Am 1. Januar 1848

waren in der Plantage auf Standorten befindlich 2121 Wald- und 1575

Maulbeerbдume.

Der Gebietsдlteste Johann Klaassen gab der Kolonie zum Andenken an den um die

Kolonien so sehr verdienten, verstorbenen Oberrichter des Kontors fьr

auslдndische Ansiedler in Jekaterinoslaw Wirklichen Staatsrats von Kontenius den

Namen Konteniusfeld.

Als Abkцmmlinge von frьheren Einwanderern der Molotschnaer Mennonitenkolonien

bekamen die Ansiedler keinen KronsvorschuЯ, sondern muЯten sich mit dem in

anderen Kolonien seit ihrer Verheiratung durch Taglцhner- und andere Arbeit

erworbenen Vermцgen ansiedeln(4). Die im Jahre 1835 aus Luftziegeln erbaute, 8

Faden lange und 4 Faden breite Schule wird im Winter von 85 Kindern besucht. Im

Jahre 1843 wurden anstatt der frьheren Grдben zum Schutz der Hцfe und Gдrten

________________

(1) = Begim-Tschokrak.

(2) 1855: 30 Wirtschaften, 47 Anwohnerfamilien (insgesamt 229 Mдnner, 219

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 30 Wirtschaften (133 Mдnner) auf 1950 Desj. und 11 landlose Familien

(47 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

(3) auf Anraten des Landwirtschaftlichen Vereins, vgl. S. 109.

(4) Cornies berichtete Haxthausen, es wдre bei den Mennoniten Sitte, daЯ jeder,

selbst der Sohn des reichsten Bauern, bei einem andern ein paar Jahre als

Knecht diene, das Knechtsein sei daher bei den Mennoniten kein Stand,

sondern ein Durchgang fьrs Leben. Knechte und Mдgde erhielten einen sehr

hohen Lohn, 30 bis 70 Rbl. Silber. So hдtte selbst ein Armer die

Gelegenheit, sich ein kleines Vermцgen zu sammeln und oft selbst Bauer zu

werden. Vgl. Haxthausen a.a.O. Bd. 2, S. 185.

Page 155

Zдune errichtet. In diesem Jahr soll ein Getreidevorratsmagazin aus gebrannten

Ziegeln mit hollдndischer Pfannenbedachung gebaut werden.

Die Erderschьtterung am 11. Februar 1838 hat das Wasser in den Brunnen bis zu

der salpeterhaltigen Erdschicht gehoben, wodurch es fьr Menschen ungenieЯbar

geworden und fьr's Vieh in warmen Sommertagen, namentlich fьr die Pferde,

ungesund ist.

Im Jahre 1844 raffte eine Viehseuche fast alles Vieh hinweg, doch sind schon

wieder 292 Stьck Rindvieh vorhanden.

In den Obstgдrten befinden sich:

Obstbдume auf Standorten 6657 Stьck

Wilde Birnbдume 442 "

Maulbeerbдume in Hecken 22923 "

In Baumschulen:

Veredelte Obstbдume 390 Stьck

Unveredelte 5566 "

Gehцlzbдume 2720 "

Maulbeerbдume 14422 "

------------

In Summa: 53120 Stьck

Die Kolonie ist folgender Besuche von Kaiserlichen Regierungsbeamten gewьrdigt

worden:

1831 vom Herrn Oberrichter Fadejew aus Jekaterinslaw.

1837 vom Herrn General von Insow.

1842, 1843 und 1845 von Herrn Wirklichen Staatsrat von Hahn aus Odessa.

Durch die Grьndung der Stadt Berdjansk und den Aufschwung des Getreidehandels

kam auch in dieser Kolonie die Landwirtschaft bedeutend empor.

Schulz Andreas Voth.

Beisitzer Johann Thiessen, Abraham Dьck.

Schullehrer Isaak Penner.

Konteniusfeld, d. 24. April 1848.

41. Gnadenfeld(1)

Um dem furchtbaren Druck eines polnischen Edelmannes zu entgehen, zogen im Jahre

1765 eine Menge Mennonitenfamilien aus der Gegend von Schwez in WestpreuЯen,

welches damals polnisch war, in eine moorige mit Weidengestrдuch bewachsene

Gegend am rechten Netzeufer in der jetzigen Provinz Brandenburg und grьndeten,

von Kцnig Friedrich II. mit vortrefflichen Privilegien beschenkt unter der

Anleitung des Kцnigl. Geheimrats Franz von Brinkenhof(2) die beiden nach ihm

benannten Kolonien Franztal und Brinkenhofswalde und noch eine dritte,

Neudessau genannt. Anfangs zwar auf diesem Sumpfboden mit unbeschreiblichen

Mьhsalen kдmpfend, brachten es die Bewohner durch unermьdlichen FleiЯ, den

________________

(1) Russische Namen: Kantow, Tschetyrech rjadnyj Numer.

(2) soll heiЯen: "Brenkenhoff" und "Brenkenhoffswalde", vgl. Mennonitisches

Lexikon Bd. 1, S. 263.

Page 156

Gottes Segen krцnte, doch endlich zu einigem Wohlstand und einem recht

behaglichen lдndlichen Leben. Sie wьrden ihre gewohnten und liebgewonnenen

Verhдltnisse wohl kaum verlassen haben, wenn nicht der Kцnig Friedrich Wilhelm

III. aus Staatsrьcksichten sich genцtigt gesehen hдtte, so schwer es ihm auch

nach seinen eigenen Worten wurde, das Privilegium teilweise aufzuheben und ihnen

Schutzgeld und die Beschrдnkung aufzuerlegen, daЯ sie keinen weiteren

Grundbesitz erwerben kцnnten(1). Da richteten sich die Augen der Gemeinde nach

dem sьdlichen RuЯland, wo an den Ufern der Molotschna bereits Tausende ihrer

Glaubensbrьder unter dem Szepter des Kaisers Aufnahme, Schutz und Wohltaten

unzдhliger Art gefunden hatten, und die Auswanderung wurde beschlossen. In der

Meinung, der Einwanderung stehe nichts entgegen, verkauften im Jahre 1833 die

meisten ihre Grundstьcke und schickten sich zur Reise an. Nicht gering aber war

der Schrecken, als der Kaiserlich russische Generalkonsul in Danzig auf die an

ihn gerichtete Anfrage den Bescheid erteilte, die Einwanderung sei untersagt(2).

Da wandten sich die geistlichen Vorsteher im Auftrage und Namen der Gemeinde an

Se. Majestдt den Kaiser mit der Bitte, fьr 40 Familien die Erlaubnis zur

Einwanderung Allergnдdigst erteilen zu wollen. Bald lag die Erlaubnis unter den

gesetzlichen Bedingungen in ihren Hдnden(3).

In zwei Kolonnen, die eine unter Anfьhrung des Kirchenдltesten Wilhelm Lange,

die andere von einem Kirchenlehrer gefьhrt, setzte sich der Zug in Bewegung.

Auch auf der Reise ward so viel als mцglich nicht vergessen, daЯ eine

christliche Gemeine reise. Tдglich wurde vor der Abfahrt ein kurzer Morgensegen

und des Sonntags eine Andachtsstunde gehalten. Ohne besonderen Unfall kamen die

Zьge im Anfang des Herbstes an der Molotschna an, und jede Familie suchte ein

passendes Unterkommen fьr den Winter. Dieses kostete aber viel Geld, da die

Nahrungsmittel des vorjдhrigen totalen MiЯwachses wegen ungeheuer hoch im Preise

standen. Herbst und Winter wurden aufgewandt, eine Ansiedlungsstelle

aufzufinden und festzustellen. Man entschloЯ sich endlich, hoch oben auf der

Steppe, da wo die ersten Spuren der Vertiefung des Steppflusses Apanlee

bemerkbar werden, wo sonst aber weder Gestrдuch noch Steinbrьche noch sonst

________________

(1) Vgl. S. 88 Anm. 3.

(2) Bereits am 5. August 1819 war der russische AuЯenminister angewiesen worden,

die Einwanderung auslдndischer Siedler zu unterbinden und die

Auslansvertretungen in diesem Sinne zu verstдndigen, vgl. I PSZ Bd. 36, Nr.

27912 und Bd. 36, Nr. 27954 (25. Oktober 1819). Ein дhnliches Verbot scheint

am 2. Juni 1831 wiederholt worden zu sein, vgl. II PSZ Bd. 7, Nr. 5684.

(3) Die Zuteilung von Land an neueinwandernde auslдndische Siedler war damals

gesetzlich nicht mehr vorgesehen. In Ausnahmefдllen durfte der Vorsitzende

des Fьrsorgekomitees die Ansiedlungserlaubnis erteilen unter der Bedingung,

daЯ keine neue Landzuteilung erforderlich wьrde und die betreffenden

Dorfgemeinden ihre Einwilligung gдben, vgl. II PSZ Bd. 7, Nr. 5684, 18.

Oktober 1832.

Am 10. Januar 1834 erhielt diese Gemeinde die Benachrichtigung, daЯ ihre

Einwanderung unter folgenden Bedingungen gestattet sei: 1. Vorweisung eines

Auswanderungskonsens von der preuЯischen Regierung, 2. Einwanderung von

Familien bestehend aus mindestens 5 Personen, 3. Hinterlegung einer Summe

von 800 Rbl., die am Ansiedlungsort zurьckerstattet werden sollte, vgl.

Mennonitisches Lexikon Bd. 1, S. 263.

Da 1835 die Zahl von 40 Familien nicht mehr erreicht werden konnte, wurden

einige lutherische Familien (Lange, Lenzmann, Klatt) durch die

Bekenntnistaufe aufgenommen, vgl. Friesen a.a.O. S. 80.

Page 157

irgendeine Bodenmerkwьrdigkeit vorhanden ist, eine Kolonie von 40 Wirten(1), 4

Handwerkern und 30 Anwohnerstellen zu grьnden.

Die Ansiedlung geschah im Jahre 1835, mit Ausnahme einiger Baustellen, die 1836,

und dreier Baustellen, die erst im Jahre 1840 besiedelt wurden.

Die Kolonie bildet beinahe ein 2 Werst langes Rechteck, dessen Lдngsseiten nach

Sьden und Norden und dessen Enden nach Ost und West stehen. Von den zwei

Hдuserreihen enthдlt jede 20 Stellen, welchen gegenьber sich dann je 40

Anwohnerstellen befinden.

Zwischen den Wirtschaften und Anwohnerstellen lдuft auf beiden Seiten eine

breite, namentlich im Herbst sehr befahrene StraЯe hin, da der Getreidetransport

nach der 70 Werst entfernten Kreis- und Hafenstadt Berdjansk von vielen

Kolonisten- und Mennonitendцrfern hier durchgefьhrt wird(2).

Die ziemlich groЯen Gдrten der Wirte wьrden zwischen den beiden Reihen der

Wirtschaftsstellen zusammenstoЯen, wenn sie nicht ein von beiden Seiten mit

Waldbдumen eingefaЯter, vier Faden breiter RasenfuЯpfad, der "Kirchensteig"

genannt, von einander trennte. Quer durch die Mitte der Kolonie geht die

sogenannte Mittelgasse, an deren Seiten, gerade gegen und auf dem Kirchensteige

цstlich die Schule steht und westlich die Kirche hinkommen soll. Sie wдre

bereits in vollem Bau begriffen, wenn und nicht manche ganz unerwartete

Hindernisse in den Weg gelegt worden wдren. Die Mittelgasse, die in gerader

Linie nцrdlich nach dem Kirchhofe fьhrt, teilt in Verbindung mit dem

Kirchensteige die Kolonie in ganz gleiche Quartale. Hinter den Anwohnerstellen

lдuft auf beiden Langseiten die Waldplantage hin, - und man darf wohl kьhn

behaupten, daЯ in Bezug auf die Baumanlagen nur sehr wenige Kolonien sich mit

Gnadenfeld werden messen kцnnen.

"Gnadenfeld"! Dieser Name wurde der Siedlung von dem Gemeindevorsteher aus

folgenden Grьnden gegeben. "Feld" nannte man die Kolonie, weil sie nicht in

einem Tal, sondern hoch auf der Steppe, also auf dem Felde liegt. Gnadenfeld

nannte man sie einmal, weil man durch diese Benennung ein Denkmal der

Kaiserlichen Gnade stiften wollte, die trotz damals untersagter Einwanderung

dennoch der Gemeinde die erbetene Erlaubnis so bereitwillig erteilte, und zum

anderen, weil man von dem heiЯen Wunsche beseelt war, dieser neue Wohnort

mцchte in jeder Beziehung fьr die Gemeinde ein Ort werden, an dem sie die

Offenbarung der gцttlichen Gnade in reichem MaЯ erfдhrt. Die Behцrde genehmigte

bereitwillig die Benennung.

Die Kolonie hat sich bis dahin des gцttlichen Segens zu erfreuen gehabt, denn

obgleich wir keine Unterstьtzung von der Krone empfingen und die Mittel mancher

Einwanderer nur gering waren, indem Vieh, Hausgerдt, Wirtschaftssachen u.s.w.

bei der Auswanderung fьr Spottpreise muЯten dahingegeben werden, die Reise aber

und namentlich der erste Winter, sowie dann auch die Ansiedlung selbst

________________

(1) 1855: 40 Wirtschaften, 76 Anwohnerfamilien (insgesamt 310 Mдnner, 271

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 40 Wirtschaften (201 Mдnner) auf 2660 Desj. und 26 landlose Familien

(81 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

(2) Vgl. S. 91 Anm. 2.

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bedeutende Kosten verursachten, so muЯ man doch sagen, daЯ sie mit jedem Jahr

lieblicher aufblьht und schцner und wohlhabender sich gestaltet. Wir haben von

dem fruchtbaren und, wenn Gott den Segen nicht vorenthдlt, sehr ergiebigen Boden

meistens gute und einige reichliche Ernten gehabt, weshalb sich auch im Ganzen

der Wohlstand hebt und mehrt. Die Hдuser gewinnen ein immer freundlicheres

Aussehen und die Wirtschaftsgebдude werden vollstдndiger und zweckmдЯiger

eingerichtet. Viele Gдrten sind bereits trotz der jugendlichen Ansiedlung

vollgepflanzt, und selbst mehrere Wirtschaftsanteile in der Waldplantage, welche

vor 2 Jahren begonnen wurde, sind vollstдndig besetzt und mit Hecken umgeben.

Vor Seuchen, Feuersbrьnsten und anderen besonderen Uebeln hat uns Gottes Gnade

bis hierher bewahrt, und so hoffen wir denn auch fernerhin unter dem Schutz und

Schirm unserer teuren Obrigkeit ein ruhiges und stilles Leben zu fьhren in aller

Gottseligkeit und Ehrbarkeit.

Gnadenfeld, d. 30. April 1848.

Schulz Voth.

Beisitzer: Jantzen, Gцrz.

42. Waldheim(1)

Diese Kolonie wurde im Jahre 1836 gegrьndet. Es siedelten in demselben Jahr 8

Wirte, im Jahr 1838 - 12 und 1840 - 20 Wirte an. Das Schulzenamt haben versehen:

Kornelius Wedel 10 Jahre und Christian Schlabbach im zweiten Jahr.

Die Kolonie liegt am FlьЯchen Behemtschukrak(2) und grenzt im Osten an das Land

des Kronsdorfes Tschernigowka, im Sьden an die Kolonie Gnadenfeld, im Westen an

die neugegrьndete Kolonie Hierschau, im Norden an das Kronsland, welches der

Mennonit der Kolonie Schцnsee Heinrich Janzen in Pacht hat. Die Kolonie ist 80

Werst von Berdjansk und 350 Werst von Simferopol entfernt. Der sehr

verschiedenartige, schwarze, grandige, steinichte und gelblehmige Boden ist fьr

den Getreidebau sehr geeignet. Auch gibt es trotz der hohen Lage Heu im

UeberfluЯ.

Die 68 Familien dieser Kolonie(3) sind aus dem Gouvernement Wolhynien gekommen,

und zwar von folgenden Orten: 1.) aus der Kolonie Ostrowa im Lutzkischen

Kreise(4) auf den Gьtern des Edelmanns Michael Bitschkowskij, wohin sie aus dem

Kreise Rokonosch unweit des Stдdtchens Wissotzk von der Grundherrschaft des

Edelmanns Watzlaf Vorainy gekommen waren(5); 2.) aus der Kolonie Wolla auf den

________________

(1) Russischer Name: Polscha.

(2) Begim-Tschokrak.

(3) 1855: 40 Wirtschaften, 91 Anwohnerfamilien (insgesamt 488 Mдnner, 473

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 43 Wirtschaften (205 Mдnner) auf 2840 Desj. und 59 landlose Familien

(296 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

(4) Die Lage der im folgenden genannten Ortschaften lieЯ sich nicht feststellen.

Offenbar sind die Namen verstьmmelt.

(5) Eine grцЯere Umsiedlung von Mennoniten auf Kronsland war bereits 1803

geplant, vgl. I PSZ Bd. 27, Nr. 20843.

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Gьtern des Edelmanns Ignat Bitschkowskij, wohin sie von der Grundherrschaft des

Grafen Olisarow beim Stдdtchen Rawalowka im Lutzkischen Kreise gekommen waren,

und 3.) aus dem Kreise Nowograd Wolhynsk vom Gute des Fьrsten Ljubomirskij(1).

Ihre zumeist verstorbenen Vдter aber sind in den Jahren 1806 bis 1818 aus der

Provinz Neumark bei Driesen und vom Dorfe Schwez in WestpreuЯen an die genannten

Orte gewandert. Ihr Sachwalter bei der Auswirkung der Erlaubnis zur

Uebersiedlung seitens der hohen Krone und ihr Fьhrer auf der Reise von Wolhynien

in den Molotschnaer Mennonitenbezirk im Jahre 1835 ist Kornelius Wedel gewesen.

Das mit Erlaubnis der hohen Krone durch Vermittlung des Vorsitzers des

landwirtschaftlichen Vereins Johann Kornies und des Molotschnaer

Mennonitengebietsamtes den Ansiedlern zugewiesene Land hatte vorher der genannte

Kornies in Pacht gehabt und war gдnzlich leer. Die zum Teil ganz unbemittelten

Ansiedler haben von der Krone keinerlei Unterstьtzung erhalten; die notwendige

Mithilfe ist ihnen von seiten der alten, schon frьher angesiedelten Wirte zu

teil geworden. Ihr mitgebrachtes Vermцgen kann sich auf 400 Rubel Silber

belaufen haben.

Da die Ansiedler in Wolhynien meistenteils in Waldungen gelebt hatten, gab

Johann Kornies ihrer Kolonie den Namen Waldheim.

Schulz Schlabbach.

Beisitzer: David Kьhn, Johann Fast.

Schullehrer Heinrich Dirks.

43. Landskrone(2)

Am wasserlosen FlьЯchen Behemtschekrak(3), 85 Werst nordwestwдrts von Berdjansk

liegt die Kolonie Landskrone, welche aus 40 Wirtschaften(4) mit je 65 Dess. Land

besteht. Ihre Grьndung fand im Jahre 1839 mit 26 Familien statt, welche zufolge

Aufforderung des Molotschnaer Mennonitengebietsamtes sich aus verschiedenen

Kolonien des Bezirks gemeldet hatten. Da die Niederung, in welcher das Dorf

angelegt werden sollte, von geringem Umfang war, so wurden zwei von West nach

Ost parallel laufende StraЯen in einer Entfernung von 220 Faden abgepflьgt, an

denen die Hдuser beider Reihen so gebaut wurden, daЯ sie mit ihren hinteren

Enden sich zugekehrt standen, wodurch nicht nur die Lage der Gдrten eine viel

bessere wurde, sondern auch die Hдuser sicher zu stehen kamen. Neunzehn Hдuser

an der sьdlichen oder HauptstraЯe wurden gleich im Grьndungsjahr von gebrannten

Ziegeln nach Regel und Plan bebaut. Sieben Familien bauten an der nцrdlichen

StraЯe von weiЯen Ziegeln. Im folgenden Jahr 1840 siedelten wieder 11 Familien,

gleichfalls aus den anderen Kolonien sich sammelnd, hinzu und bauten, mit

________________

(1) = Lubomirski.

(2) Russischer Name: Krasnyj Numer.

(3) = Begim-Tschokrak.

(4) 1855: 40 Wirtschaften, 47 Anwohnerfamilien (insgesamt 285 Mдnner, 269

Frauen), vgl. Mennonitische Blдtter Jg. 4, 1857, S. 31 (die stдndig

Abwesenden inbegriffen).

1857: 49 Wirtschaften (193 Mдnner) auf 2600 Desj. und 3 landlose Familien

(7 Mдnner) vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 37.

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Ausnahme eines einzigen, an der nцrdlichen Seite. Endlich im Jahre 1842 kamen

die letzten drei hinzu. Ein besonders schцnes Aussehen hat diese Kolonie dadurch

bekommen, daЯ alle Ansiedler plan- und regelmдЯig und mit Ausnahme von 7, ihre

Wohngebдude aus gebrannten Ziegeln auffьhrten. Die Russen nennen bis heute noch

diese Kolonie das rote Dorf (krasnyj nomer)(1). Das unebene Land besteht aus

einer 1 FuЯ dicken Schwarzerdschicht auf rotgelber, tonartiger Unterlage. In den

Jahren 1846 und 1847 hat die Kolonie eine 20fache Ernte gehabt bei einem Preis

von 25 R. Banko pro Tscht. Die bedeutenden Schulden sind jetzt nicht nur

bezahlt, sondern es sind auch die Wirtschaften vervollkommnet. Die 55 bis 65 FuЯ

tiefen Brunnen enthalten ein ausgezeichnetes Wasser.

In den ersten Jahren des Bestehens dieser Kolonie richtete das FlьЯchen im

Frьhjahr betrдchtlichen Schaden an, indem es sich in Schlangenwendungen zwischen

den Hдusern fortschlдngelte. Diesem vorzubeugen wurde im Frьhjahr 1844 ein 70

Faden langer und 10 Faden breiter Kanal in der Mitte der Hдuserreihen in

schnurgerader Linie gezogen und das FlьЯchen an Stellen mit Erde verschьttet,

um das Land ebener und zur Anpflanzung der Bдume tauglicher zu machen.

Einen prachtvollen Anblick wird Landskrone etwa in 15 Jahren darbieten, wenn der

Herr fernerhin gedeihliche Zeiten gibt. Die Gдrten zwischen den Hдuserreihen

werden voll gepflanzt und im besten Wachstum sein, wдhrend Riesenpappeln an den

Ufern des Kanals in die Luft ragen werden. Diesem Zeitpunkt dьrfen wir umso mehr

mit freudiger Hoffnung entgegensehen, als die jetzigen Einsassen dieser Kolonie

tatkrдftige und nach Verbesserung sterbende Mдnner sind. Die Zahl der bis jetzt

angepflanzten verschiedenen Obstbдume ist 5500 Stьck.

Vor der Ansiedlung war die Steppe Pachtgut des Einsassen der Kolonie Schцnsee

Heinrich Janzen, der aber nur ein Unterpдchter des Johann Kornies war.

KronsvorschuЯ haben die Ansiedler nicht erhalten. Ihr hergebrachtes Vermцgen mag

sich auf 6000 R. Silber belaufen haben.

Der Ursprung der Benennung dieser Kolonie ist uns nicht bekannt gemacht worden.

Der verstorbene Vorsitzer Johann Kornies teilte uns den Namen ohne besondere

Erklдrung mit.

Schulz: Kornelius Enns.

Beisitzer: Gerhard Peters, Kornelius Penner.

Verfasser Johann Krцker.

Landskrone, den 4. Mai 1848(2).

________________

(1) eigentlich "Rote Nummer", vgl. S. 82 Anm. 4.

(2) Ьber die Mennonitenkolonien an der Molotschna дuЯerte Haxthausen a.a.O. Bd.

2, S. 196: "In ganz RuЯland existiert kein Landstrich, wo im ganzen eine so

gleichmдЯig hohe Kultur des Bodens und der Bevцlkerung herrscht, wie hier.

Sie kцnnen dem Gouvernement als MaЯstab dienen, wie weit man es mit der

Bebauung, besonders aber mit der Bewaldung der Steppe und ganz SьdruЯlands

bringen kцnnte und das ist der wichtigste Punkt fьr RuЯlands Macht und

innere Politik! - Hдtte SьdruЯland durchgehends die Bebauung und Kultur

dieses Landstrichs, so kцnnte Moskau und Petersburg nicht ferner der

Schwerpunkt und der Angelstern des Reiches sein, sondern diese Funktionen

wьrden auf Charkow oder Jekaterinoslaw und Odessa ьbergehen."

Page 161

44. Ohrloff(1)

Aus vergilbten Papieren. Die ersten Anfдnge der Kolonie Ohrloff

(Melitopler Kreis)

Abdruck aus: Unser Blatt. Christliche Monatsschrift. Hrsg. im

Auftrage der Allgemeinen Bundeskonferenz der Mennoniten-Gemeinden

der SSSR in Moskau 1925. 1 Jg., 1926, Nr. 11 (August).

In den Jahren 1803 und 1804 wanderten aus WestpreuЯen, Danziger

Regierungsbezirk, Elbinger und Marienburger Kreis, eine Anzahl

ackerbautreibender Mennonitenfamilien aus, die in PreuЯen in sehr beschrдnkter

Lage lebten, um sich an der Molotschna, in Taurien, Sьd-RuЯland, eine neue

Heimat zu grьnden. Sie zogen in kleinen Transports, ohne besondere Anfьhrer.

In Chortitza(2), Gouvernement Jekaterinoslaw, angesiedelt 1789, wurde Winterrast

gehalten und, was mцglich, zur eigenen Ansiedlung vorbereitet.

In Frьhjahre 1805 zogen von diesen Einwanderern 12 Familien auf den fьr sie

bestimmten Plan im Orechowschen Kreise(3), 56 Werst sьdlich von der Kreisstadt

Orechow und 100 Werst von Berdjansk, eine Niederung des KurudujuschanfluЯes(4).

Das zur Bearbeitung abgesteckte Land war etwa 6 Werst lang und 1Ѕ bis 3 Werst

breit. Hier hatte man nicht nur genьgend Heuschlag, auch das ьbrige Land war an

Fьtterkrдutern reich und die Schwarzerde dem Getreidebau sehr gьnstig. Ohne

Gebьsch, von Waldungen keine Spur. Ebenso fehlte es an Steinbrьchen. Doch fand

man am Kurudujuschanflusse Thon, der gute Ziegeln und Dachziegeln lieferte, wie

es auch an dem dazu erforderlichen Sande nicht fehlte.

Wohnungen fand man keine vor, nur allein nomadisierende Nogaier zogen mit ihren

Filzhьtten (Kibitki(5) genannt) von Ort zu Ort, um die mцglichst beste Weide von

ihren Herden abgrasen zu lassen.

Wegen Arbeitermangel wurden den ersten Sommer wenig Wohnungen fertig, so daЯ im

kommenden Winter zwei bis drei Familien in einem Hause beisammen wohnen muЯten.

An Baumitteln dьrfte es nicht gefehlt haben, denn diese ersten 12 Familien

brachten ein Kapital von ca. 29.700 Rbl. mit, zu dem sie noch vorschuЯweise

3.755 Rbl. 75 Kop. von der Regierung erhielten.

1806 trafen weitere 8 Familien ein(6). Jetzt wurden die Grundstьcke durch Grдben

abgegrenzt, sowie Ackerland und Heuschlag eingeschnitten. Auf Wunsch der beiden

Wirte Gerhard und Claas Reimer erhielt die Kolonie mit Zustimmung der anderen

________________

(1) Prof. Unruh-Karlsruhe hatte die Liebenswьrdigkeit, uns diesen bei J. Stach

fehlenden Bericht zur Verfьgung zu stellen, wofьr ihm auch an dieser Stelle

gedankt sei. Ьber den Bericht selbst vgl. das Vorwort.

(2) Gemeint ist das Gebiet Chortitza, vgl. S. 1-26.

(3) Vgl. S. 89 Anm. 6.

(4) Vgl. S. 122 Anm. 6.

(5) Vgl. S. 104 Anm. 2.

(6) 1857: 21 Wirtschaften (129 Mдnner) auf 1365 Desj. und 23 landlose Familien

(61 Mдnner), vgl. Klaus a.a.O. Beilage 2, S. 36.

Page 162

Ansiedler den Namen Ohrloff, wie auch das preuЯische Heimatdorf geheiЯen hatte,

ausgezeichnet dort vor anderen durch eine schцne Anlage und gute Einrichtungen.

Anfдnglich waren die Nogaier den neuen Ankцmmlingen in ihren wirtschaftlichen

Bestrebungen sehr hinderlich; sie stцrten nicht nur bei der Arbeit auf dem

Felde, sondern raubten auch die wenigen Pferde, welche man so schon nur hatte;

aber auch sonst verschwand aus den Herden, was die Banditen ergattern konnten.

Die meisten Diebstдhle fielen gewцhnlich in die Saatzeit.

Am 1. Mai 1808 schlug ein Hagelschauer das Wintergetreide vollstдndig in den

Grund; das Sommergetreide wurde zwar auch rein abgeschlagen, wuchs jedoch noch

nach, lieferte aber nur eine geringe Ernte. An der Sturmseite blieb bei dieser

Gelegenheit auch keine Fensterscheibe ganz.

1810 und 1829 groЯes Viehsterben: zwei drittel der Herde fiel. 1822, im

September, lieЯen sich groЯe Heuschreckenschwдrme nieder, und 1823 verzehrte die

junge Brut beinahe alles, was grьn war, doch wurden nicht alle Felder davon

betroffen. Im kommenden 1824 Jahre waren ihrer schon weniger, doch MiЯwachs dazu

machten den Ernteertrag sehr schmal(1). In den folgenden zwei Jahren setzte die

Heuschreckenplage wieder ein, doch nicht ganz so verheerend wie anfangs. - 1827

waren sie jedoch so hдufig, daЯ sie fast alles verzehrten, worauf sie in den

folgenden Jahren allmдhlich verschwanden. Der grцЯte Teil der Ansiedler sah

damals noch in den Heuschrecken eine von Gott gesandte Plage, der man nicht

widerstehen dьrfe, weshalb auch im Kampfe gegen dieselbe keine rechte Einigkeit

erzielt werden konnte.

1833 MiЯwachs: heftige Oststьrme peitschten die sehr trockene Erde in die Luft;

an eine Ernte war nicht zu denken, das notwendige Getreide und Futter muЯte n

entfernten Gegenden teuer angekauft und mit Mьhe herbeigeschafft werden.

1838 am 11. Januar 9Ѕ Uhr abends gesellte sich zu alle dem noch eine

Erderschьtterung, jedoch ohne Nachteile fьr die Kolonie.

Den allmдhlichen Aufschwung der Kolonie Ohrloff begьnstigte die Umgestaltung der

Kolonialverwaltung im allgemeinen. Aus dem Vormundschaftskomptoir in

Jekaterinoslaw wurde ein Fьrsorgekomitee in Odessa, dessen Vorsitzender, der

Staatsrat Eug. v. Hahn, ein eifriger und einsichtsvoller Fцrderer des

Kolonialwohles wurde. Aber auch schon vor ihm war der Staatsrat S. v. Contenius

als Leiter des Vormundschaftskomptoirs in demselben Sinne sehr rege und mit

gutem Erfolge tдtig gewesen. Ihm lag ganz besonders die Veredelung der

Schafzucht am Herzen, und das in einer Zeit, wo wenig Getreidebau mцglich und

der Absatz des Getreides dazu noch ganz unmцglich war. -

Contenius war es auch, welcher den Anfang mit der Anpflanzung von Obstgдrten und

Maulbeerplantagen in den Kolonien machte, den Seidenbau einfьhrte und den

allgemeinen Wohlstand der Kolonie auf solche Weise bedeutend hob. Dazu kam der

allgemein bekannte Vorsitzende des Landwirtschaftlichen Vereins, Johann Cornies,

Ohrloff, der die Sache an Ort und Stelle leitete, und solches mit solch einer

Energie und Umsicht, die einzig dasteht in der Geschichte unseres Volkes.

________________

(1) Vgl. S. 91 Anm. 4.

Page 163

Die regelmдЯige Schwarzbrache tat dann noch das Beste - und es besserten sich

auch die Ernten von Jahr zu Jahr, immer mehr Land kam unter den Pflug. So gings

mit schnellen Schritten vorwдrts, wozu auch der Umstand viel beitrug, daЯ die

Bewohner von alten Vorurteilen lieЯen und in der Wirtschaftsfьhrung neue Bahnen

einschlugen. So entstanden auch die neuerbauten, akkuraten und dauerhaften

Hдuser, auch einige Speicher wurden erbaut, dazu die meistenteils schцn

bepflanzten Grundstьcke - die heranwachsenden Gдrten und der an der sьdцstlichen

Seite grьnende Wald - alles das bietet dem Auge ein prachtvolles Bild, wenn man

von der im Sьd-Osten gelegenen hцheren Steppe auf die Kolonie niederschaut(1).

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