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Deutsche_Stilistik

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jekt-Tausch des Passivsatzes zugrunde liegen, können in zahlreichen Fällen auch auf andere Weise ausgedrückt werden, z.B. durch aktivische Sätze mit Verbalsubstantiven und bestimmten Bewirkungsverben wie erfolgen (durch):

Die Buchhandlung Meyer versendet diese Bücher. – Die Bücher werden durch die Buchhandlung Meyer versandt. – Der Versand der Bücher erfolgt durch die Firma Meyer.

Auf diese Weise kann zugleich das ursprüngliche Subjekt wieder stärker hervorgehoben werden (erfolgen hat passivischen Sinn und verlangt eine Objektoder adverbiale Angabe); stilistisch wirken jedoch diese Sätze, die besonders irn Nominalstil von Behördenschreiben auftauchen, steif und umständlich, da der Ausdruckswert des Verbs (im Verbalsubstantiv) reduziert und der passivische Vorgang gleichsam verschleiert wird. Die verkürzte Einbeziehung eines solcherart reduzierten Passivsatzes in eine andere Aussage ist dagegen stilistisch wirkungsvoller:

Der Versand der Bücher durch die Buchhandlung Meyer erregte einiges Aufsehen.

Die Zahl der nominalen Passivumschreibungen durch Verbalsubstantive + bestimmte »semantisch reduzierte Verben« (Funktionsverben) scheint zuzunehmen.

Eine andere Form der Ausklammerung des Subjekts – wie auch des Objekts – ist durch die Verbindung von Passivformen einiger Verben mit dem unbestimmten Subjekt »es« möglich:

Es wird gelacht (selten mil Subjekt-Transformation: es wurde von ihnen viel gelacht).

Im Aktivsatz erscheint hier das unbestimmte Kollektivsubjekt »man«: Man lacht. Eine synonyme Form hierzu ist in reflexiven Konstruktionen zu sehen64, die jedoch nicht von allen Verben gebildet werden können:

Man findet es dort. – Es findet sich dort.

In einigen Fällen wirken derartige Bildungen wie Personifizierungen von Objekten:

Die Tür wird (von ihm) geöffnet. – Die Tür öffnet sich.

Das einstige Subjekt ist hier nicht nur syntaktisch, sondern auch begrifflich verdrängt.

Mitunter ist solchen Wendungen auch der Charakter der Möglichkeitsaussage eigen:

Die Waren werden gul verkauft. – Die Waren verkaufen sich gut: Die Waren lassen sich gut verkaufen.

Als eine Variante der Passiv-Form lassen sich auch vorwiegend umgangssprachliche Bildungen mit »bekommen« + Partizip II ansehen65; die nur bei Sätzen mit Dativ-Objekt möglich sind:

Das Buch wird mir überreicht. – Ich bekomme das Buch überreicht. Das Buch wird mir gestohlen. – (Aber nicht: Ich bekomme das Buch gestohlen.)

Eine Sonderform passivähnlicher Ausdrucksweise sind Satzbildungen mit »werden« + Artangabe (Adjektiv) (sog. Artverben66): Er wird krank. Die Blätterwerden gelb. Hier liegt keine Futurform vor (sie hieße: Er wird krank

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werden = erkranken), vielmehr stimmen die Formen mit der Passivbildung überein. Überblicken wir diese passivischen Ausdrucksmöglichkeiten, so ergibt sich der gleiche Eindruck wie bei anderen verbalen Formengruppen. Wir haben es mit bestimmten Grundformen und mehreren Variantengruppen zu tun.67 Der Sprecher hat die Möglichkeit, zwischen dem aktivischen oder einem passivischen Ausdruck zu wählen und auf diese Weise seine Sicht der Geschehnisse und seine stilistischen Absichten zu bekunden.

Die Verwendung des Passivs

Wie der Konjunktiv, so ist auch das Passiv keine dominierende Ausdrucksweise. Ebenso wie wir die Welt vorwiegend als tatsächlich gegeben zu erfassen suchen, rücken wir unser aktivisches Verhältnis zu diesen Gegebenheiten in den Vordergrund unseres Denkens und Sprechens. Begünstigt wird diese Aussage dadurch, daß in den intransitiven Vorgangsund Zustandssätzen auch die Seinsverhältnisse der Dinge aktivisch ausgesagt werden können: Die Blumen blühen (und werden nicht »geblüht«, allenfalls »zum Blühen gebracht«, »veranlaßt« usw.). Die Suppe kocht (aber: »wird gekocht«).

Die Kausalitätsund Beziehungsverhältnisse erlauben jedoch nicht nur aktivische sprachliche Darstellungen, selbst wenn wir eigene Befindlichkeiten aussagen. Schließlich empfinden wir auch fremde Aktivitäten, die auf uns einwirken: Wir wurden von einem Unwetter überrascht. Außerdem lassen sich Beziehungsverhältnisse nicht einfach vertauschen: Deutschland wurde 1945 besiegt, die Alliierten haben es besiegt.

Gibt der Sprecher dem einen, oder dem anderen Genus verbi den Vorzug, so vermittelt er eine bestimmte Sicht der Dinge, beweist aber mitunter auch die eigene stilistische Vorliebe für eine bestimmte Betrachtungsund Ausdrucksweise: die Betonung des Handelns und subjektbestimmten Geschehens bei der Bevorzugung des Aktivs, die Betonung des Vollzugs von Prozessen oder Ereignissen und die Ausklamrnerung des handelnden oder verantwortlichen Subjekts bei der Wahl des Passivs.

Über den Anteil passivischer Verben an der Gesamtzahl finiter Verben gibt es kaum Untersuchungen.68 Er dürfte in den einzelnen Textsorten unterschiedlich groß sein und wohl nur in wenigen den Anteil aktivischer Verben erreichen oder übersteigen. Solche passivbevorzugenden Texte sind etwa Behördenbekanntmachungen:

Alle Hundebesitzer werden aufgefordert, die ausstehende Hundesteuer bis zum 15. II. bei der Stadtkasse einzuzahlen. Der Stadtdirektor

(öffentliche Steuermahnung) Der Auffordernde fordert hier kraft seines Amtes und im Namen der kommunalen Behörde, die er vertritt. Nach alter Stiltradition deutscher Behörden vermeidet er es deshalb, sich oder seine Behörde als Subjekt zu nennen. Weniger sinnvoll erscheint es, wenn auch einzelne Behördenangestellte diese anonyme, passivische Stilform wählen, selbst wenn diese zuweilen höflicher wirken soll als eine persönliche Einladung (Sie werden gebeten . . .).

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Als weitere Textsorten mit passivischen Satzforrnen kommen Tätigkeitsanleitungen oder -beschreibungen u.ä. in Betracht, sofern sie sich nicht oder nicht nur imperativischer oder infinitivischer Formen bedienen (vgl. S. 93). Hier kann der passivische Ausdruck mit aktiven Sätzen mit »man« wechseln:

Vor dem Zusammenbau des Geräts sortiert man die Einzelteile, dann werden sie nach den Angaben der beiliegenden Zeichnung in die Halterangen eingesehraubt ...

Auch in Kochrezepten u.ä. tritt mitunter das Passiv auf:

Das Mehl wird fein gesiebt and der Milch beigefügt ...

Passivische Sätze sind auch in allen Folgebeschreibungen (Berichten etc.) üblich:

Durch den heftigen Luftdruck wurden die Fenster im Umkreis von 200 Metern eingedrückt. Personen wurden nicht verletzt, Häuser nicht beschädigt.

Ebenso stehen in Lagebeschreibungen häufig Passivsätze:

Das Gebiet wird begrenzt durch ... Die Sicht wird durch die Bäume behindert.

Wiederholte Passivverwendung bedingt allerdings die Häufung von »werden«-Formen, die gegen das Stilprinzip der Ausdrucks Variation verstößt. Ältere Stillehren warnten wegen der Gefahr des anonymen Ausdrucks und der Wiederholungen vor der Passivverwendung; doch entbehrte die Sprachgemeinschaft eines wichtigen Ausdrucksund Stilmittels, wenn sie auf diese Formen verzichtete.

Daß wir es hier mit einer besonders leistungsfähigen Aussageform zu tun haben, bestätigt die Verwendung in theoretischen (wissenschaftlichen) Texten, in denen sonst das Aktiv dominiert. Neben den reinen Passivformen sind die Partizip-II- Formen in attributiver wie prädikativer Verwendung wichtige passivische Ausdrucksmittel. Die passivischen Sätze heben dabei mitunter das Regelmäßige, Gesetzmäßige hervor:

In beiden Fällen wird auf eine bekannte Größe hingewiesen, auf ein bestimmtes Einzelwesen ... wobei einzelne Exemplare von allen übrigen ... abgegrenzt werden. Man faßt deshalb beide Arten auch mit der Bezeichnung »bestimmter Artikel« zusammen, dem das Indefinitum »ein« ... gegenübergestellt wird.

(J. Erben, »Abriß der deutschen Grammatik«)

In literarischen Texten treten passivische Ausdrücke zurück. Sie finden sich vorwiegend in Berichten, Beschreibungen, Reflexionen, weniger in Handlungsund Vorgangsschilderungen, es sei denn, sie schildern das »Erleiden« oder die Wirkung fremder Aktivität:

Dann wurden auch wir über Bord gespült und sogleich voneinander getrennt.

(G. Hartlaub, »Die Segeltour«)

Nein, er bewegt sich nicht, er wird doch nur bewegt. (W. Borchert, »Die lange lange Straße lang»)

Der Mann also hieß Rensch, und über Nacht wurde sein Name berühmt. (R. Baumgart, »Sieben rote Fahnen«)

Das Passiv in erzählenden Texten kann aber auch die Anonymität der Geschehnisse betonen. Das Ausweichen in eine wissenschaftliche Diktion und

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passivische Sätze in A. Kluges Erzählung »Ein Liebesversuch« unterstreicht das Inhumane menschlichen Verhaltens:

Schon längere Zeit vor Beginn des Versuches waren die in Aussicht genommenen Versuchspersonen besonders gut ernährt worden...

Oberscharführer Wilhelm ließ die beiden aus Gartenschläuchen anspritzen, anschließend wurden sie wieder, frierend, in das Dielenzimmer geführt ...

Es gab keine Möglichkeit, die Versuchspersonen z» einer eindeutigen Reaktion zu gewinnen, und so wurde der Versuch ergebnislos abgebrochen. Später wurde er mit anderen Personen wieder aufgenommen... Die widerspenstigen Versuchspersonen wurden erschossen. (A. Kluge, »Ein Liebesversuch«)

Mitunter wird der Vollzug eines Geschehens der Vorzeitigkeit im Passiv wiedergegeben:

Die stählerne Rakete war von der Bodenmannschaft abgefeuert worden und sogleich den Blicken entschwunden. (H. Kasack, »Das unbekannte Ziel«)

Eine andere Form der Passivverwendung ist in Vorankündigungen gegeben. Peter Handke fügt z.B. eine große Zahl passivischer Konditionalsätze in seinen Roman »Der Hausierer« ein, um dadurch die Darstellungsweise zu erklären oder die Reaktionen der beteiligten Personen zu umschreiben.

Die erste Person, die auftritt, wird nur flüchtig beschrieben, aber nicht mit dem Namen genannt. Wird sie von hinten beschrieben, so geht die Beschreibung in der Regel vom künftigen Mörder aus ... (P. Handke, »Der Hausierer«)

Auch in älteren Texten tritt diese Form auf, wenn es gilt, ein Vorhaben zu erläutern. Durch die Auslassung des berichtenden Subjekts wird der Eindruck einer objektiven Darstellung suggeriert. Man kann dieses Passiv also nicht immer als »Passiv der Bescheidenheit«69 bezeichnen:

Als Vorwort zu der gegenwärtigen Arbeit, welche desselben vielleicht mehr als eine andere bedürfen möchte, stehe hier der Brief eines Freundes, durch den ein solches, immer bedenkliches Unternehmen veranlaßt worden.

(Goethe, »Dichtung und Wahrheit«)

Weitere grammatisch-stilistische Varianten

Die bisher gekennzeichneten Formgruppen des Verbsystems sind stilistisch von besonderer Bedeutung. Die übrigen verbalen Kategorien (Numerus mit Personalforrn, Aspekt mit Aktionsarten) sind dagegen weniger wichtig. Zwar erlaubt auch der Wechsel zwischen den Personalformen stilistische Variationen, wie wir am Beispiel der Heischesätze (vgl. 8.93) sehen konnten und bei den Anredeweisen der Werbesprache weiterhin beachten können, doch bleiben die Möglichkeiten des stilistischen Wechsels der Textsorte entsprechend auf die 1. und 2. Person und die individuelle und kollektive Ich-Aussage bzw. vertraulichunmittelbare und kollektiv-unmittelbare oder höflich-distanzierende Anrede beschränkt, während die Formen der 3. Person durch die Zahlenund Genusgegebenheiten der Aussage festliegen.

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Die Aspekte und Aktionsarten als Kennzeichen der zeitlichen oder modalen Verlaufsweise des Seins oder Geschehens sind im Deutschen wenig morphematisch, sondern von der Wortbildung und semantisch geprägt; sie sind daher im Rahmen der Wortart des Verbs zu berücksichtigen (vgl. S. 227ff.). Das Verb erweist sich insgesamt als die Wortart mit dem größten Formenreichtum und den verschiedensten stilistischen Ausdrucksmöglichkeiten. Ein stilistisch nutzbares Nebeneinander mehrerer formaler Ausdrucksmöglichkeiten finden wir sonst nur noch in der Steigerung (Gradation) des Adjektivs. Darauf wird ebenfalls im Zusammenhang der Wortarten hingewiesen (vgl. S. 220ff.).

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Stilmittel des Wortschatzes

Die Bedeutung der Wortwahl für den Sprachstil

Die Auffassung, daß es beim Stil nur auf die richtigen Wörter ankomme, ist weit verbreitet. Manche Stillehren und Stilwörterbücher konzentrieren sich deshalb auf die Erläuterung stilistisch wichtiger Wortschatzvarianten und die Aufstellung von Wortverwendungsregeln.1

Wir haben die stilistischen Variationsmöglichkeiten bisher nur im Rahmen des Satzbaus ausführlich untersucht, einmal deshalb, weil hier die gegenwärtige Grammatikforschung neue Strukturgesetzlichkeiten aufzeigt, die Variierbarkeit des Ausdrucks aber wenig berücksichtigt2, zum anderen, weil dieser Komplex in der deutschen Stilistik bislang zu geringe Beachtung gefunden hat. Wir würden jedoch wesentliche Bereiche der Stilistik übergehen, wenn wir die Probleme der Wortwahl und stilistisch bedingten Wortverwendung nicht ebenfalls verdeutlichten.

Hier ergibt sich eine Reihe von Fragen, die vor allem die Gruppenzugehörigkeit der Wörter und den Stilwert einzelner Wortarten, Wortgruppen und Einzelbildungen betreffen. Während syntaktische Formen aufgrund der Anordnung und Verknüpfung der Wörter stilkonstituierend wirken, wird der Stil semantisch durch die Art und Kombination der gewählten Wörter geprägt. Die damit verbundene Stilwirkung ist meistens bedeutender als die der syntaktischen Strukturen, schon allein deshalb, weil der Wortschatz und damit die Möglichkeiten des Ausdruckswcchsels wesentlich größer sind als die Zahl möglicher syntaktischer Strukturen (man rechnet im Deutschen immerhin mit 300000-500000 Wörtern3) und weil der Reichtum der Wortbedeutungen nicht mit der Zahl der Wörter und ihrer Einzelverwendung gleichgesetzt werden kann. Um diese für den stilistischen Ausdruck wichtige Erscheinung recht zu verstehen, ist es notwendig, einige Erkenntnisse der Wortund Bedeutungsforschung darzulegen.

Wort und Wortbedeutung als Stilmittel

Über den Begriff des Wortes herrscht in der Wortforschung wenig Übereinstimmung,4 Es genügt hier aber, als Wörter alle selbständig vorkommenden, isolierund hervorhebbaren Lautund Bedeutungseinheiten aufzufassen. Auch Redewendungen, Redensarten sind zu berücksichtigen. Für den Stil

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ist besonders die semantische Leistung der Wörter als Bedeutungsträger wichtig. Durch zum Teil sehr alte Übereinkommen der Sprachgemeinschaften sind bestimmten Lautkombinationen bestimmte Bedeutungen zuerkannt worden. Die so entstandenen Wörter als Einheiten von Lautzeichen und Sinn ermöglichen erst die sprachliche Verständigung. Da solche Wortbedeutungen jedoch im Laufe der Zeit Schwankungen und Veränderungen unterliegen, zudem mitunter recht komplexer Natur sind und bei unterschiedlichen Kontextbedingungen (Situationen etc.) semantisch verschieden akzentuiert werden, bieten sich für den Sprachausdruck wie für die stilistische Gestaltung recht vielfältige Variationsmöglichkeiten. Zur Verdeutlichung genügt es, auf die ältere, von O. Erdmann6 herausgearbeitete Unterscheidung zwischen Hauptund Nebenbedeutung (begrifflichen Inhalt, Nebensinn und Gefühlsund Stimmungsgehalt) der Wörter hinzuweisen, die heute als denotative und konnotative Bedeutung bezeichnet werden. Während der denotative Sinn der Wörter verhältnismäßig fest ist (zumindest für eine gewisse Zeit) und als allgemeiner Sinn (lexikalische Bedeutung) in den Wörterbüchern »notiert« werden kann, wird der (mitunter sehr subjektive) konnotative Sinn (die Mitbedeutung) oft erst durch den spachlichen wie situativen Kontext erkennbar.7 Aus einer der Bedeutungsschichten eines Wortes ergibt sich zudem die Möglichkeit zur Verwendung in »übertragener« (metaphorischer) Bedeutung wie auch zur Erzielung einer bestimmten Stilfärbung.8

In der stilistischen Textgestaltung werden die Stilwerte der konnotativen wie der übertragenen Bedeutungen häufig aktualisiert und intensiviert, um bestimmte Stilwirkungen zu erreichen. Vielen Wörtern ist dabei eine Stilfärbung eigen, die sich sowohl aus dem üblichen Verwendungsbereich und Häufigkeitsgrad als auch aus der vorhandenen oder ihnen im Kontext zuerkannten Nebenbedeutung der Wörter ergibt. E. Riesel spricht von einer funktionalen und semantisch expressiven Stilfärbung der Wörter.9 Die funktionale Stilfärbung ist die »spezifische Atmosphäre«, die einem Wort »innerhalb dieser oder jener funktionalen Verwendungsweise der Sprache«10 zukommt, die in der Gesamtheit des funktional bestimmten Textes oder in der isolierten Verwendung in einem stilistisch anderen Kontext spürbar wird, wo dieses Wort wegen seiner Stilfärbung mitunter als Stilbruch wirkt. Wir verdeutlichen das an einem Beispiel: Das Substantiv

Inanspruchnahme, das nach dem Muster von Landnahme, Rücksichtnahme u.ä. aus dem Funktionsverb in Anspruch nehmen gebildet ist, gehört funktional und usuell zur Stilschicht der Sprache des öffentlichen Verkehrs, insbesondere der »Behördensprache«. Es läßt sich als begriffliche Kennzeichnung eines bestimmten Vorgangs in Sätzen wie Die Inanspruchnahme dieser Haushaltsmittel darf nur nach Zustimmung des Finanzausschusses erfolgen angemessen verwenden und trägt neben anderen Wörtern dieses Bereichs zur besonderen Stilprägung solcher Texte bei.11 Erschiene nun dieses Wort in einem stilistisch anderen Kontext, beispielsweise in einem persönlichen Bericht, anstelle von

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aufsuchen – in Anspruch nehmen: Meine Inanspruchnahme des Arztes erfolgte gestern nachmittag für: Ich suchte gestern nachmittag den Arzt auf, so wäre die Stilfärbung des Behördenstils unverkennbar; dieses Wort würde dann in diesem Kontext (persönl. Bericht in 1. Person) unangemessen erscheinen.

Nicht ganz so störend wirkte das Beispiel einer semantisch-expressiven Stilfärbung in einem anderen Kontext, wie etwa bei einer Vertauschung der Wörter Kopf und Haupt, die aufgrund ihrer Beziehung auf dem gleichen außersprachlichen Gegenstand als »begriffliche Synonyme« angesehen werden können, jedoch unterschiedliche Silfärbungen aufweisen. Während Kopf heute als übliche umgangssprachliche Bezeichnung des vorderen (oberen) Körperendes ein Wort ohne besondere Stilfärbung ist und nur in einigen übertragenen Bedeutungen (z.B. er ist der Kopf der Bande = der Klügste, Maßgebliche) durch die Bildhaftigkeit expressiver wirken kann, besitzt das Wort Haupt aufgrund seiner Altertümlichkeit von vornherein eine Stilfärbung der Exzeptionellen, Poetischen, und paßt deshalb nicht in die Umgangssprache. Sätze wie Mein Haupt schmerzt mir. Ich habe eine Wunde am Haupt sind daher stilwidrig; eine Verwendung mit einem ähnlich archaischen Verb (z.B. Er entblößte sein Haupt) oder in übertragender Bedeutung (Das Haupt der Familie) wäre dagegen in einer entsprechenden textlichen Umgebung stilistisch angemessen.

Zu den konnotativ wie kontextuell bzw. funktional bedingten Stilfärbungen können subjektiv bestimmte Gefühlswertungen hinzutreten, die besonders im mündlichen Ausdruck oder stärker persönlichen Texten sichtbar werden.

Die angeführten Beispiele zeigen, daß nicht alle Wörter eine bestimmte Stilfärbung mitbringen oder im Kontext erlangen; ein großer Teil des Alltagswortschatzes sowie alle Synsemantika (Konjunktionen, Präpositionen usw.) – soweit sie nicht eine altertümlich oder funktional eingeschränkte Stilfärbung aufweisen (z.B. weiland, betreffs) – sind dementsprechend als »nullexpressiv« anzusehen.12

Kommunikative und stilistische Erfordernisse der Wortwahl

Die Möglichkeit unterschiedlicher Bedeutungen und Stilfärbungen der Wörter verlangt von jedem Sprecher eine überlegte Wortwahl, soll das Gemeinte richtig verstanden werden und zu rechter Wirkung gelangen.

Hier gelten die gleichen Prinzipien wie für die Textgestaltung, insbesondere die Erfordernisse der Angemessenheit, Klarheit und Anschaulichkeit. Die Beispiele der semantischen Folgerichtigkeit (vgl. S. 40) und die der Stilfärbung verdeutlichen, daß nicht jedes Wort in jedem Zusammenhang verwendbar ist.

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Selbst wenn ein Autor bewußt oder unbewußt ein semantisch und stilistisch angemessenes Wort wählt, hat er zu prüfen, ob er nicht nur irgendein passendes Wort, sondern das treffende Wort gefunden hat. Ältere Stilistiken weisen auf die Ansicht einiger französischer Autoren hin, »es gebe für jeden Gedanken nur einen volkommen zutreffenden Ausdruck«13, das ihm eigene Wort, »le mot propre«. Es hat gegen diese Vorstellung manche Einwände gegeben, bedingt sie doch, daß es keine wirklichen Synonyme geben kann, sofern man darunter nicht Wörter von gleicher Sachund Vorstellungsentsprechung, sondern semantisch und stilistisch bedeutungsgleiche Wörter versteht. Die zahlreichen Ausdrucksänderungen in den Manuskripten bedeutender Schriftsteller können nicht unbedingt als Verweis dieser These gelten, wohl aber zeigen sie, daß die Gefahr der unangemessenen, zumeist ungenauen Bezeichnung von Sachverhalten immer vorhanden ist. Sie ergibt sich in der Regel daraus, daß die Wörter unseres Wortschatzes eine komplexere oder eine engere Hauptbedeutung aufweisen und wir aus Gründen der Sprachökonomie und Gedächtnisentlastung die allgemeinen (oft komplexen) Ausdrücke häufiger verwenden als die besonderen.14

Man hat verschiedene Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen, um den treffenden Ausdruck zu fördern. An der Spitze steht der alte römische Ratschlag, eine möglichst klare Vorstellung von der Sache zu haben, die man darstellen wolle, die Wörter folgten dann von selbst (vgl. Anm. III, 70). Dieser Gedanke wird auch von Quintilian, Goethe, Schopenhauer und anderen Stilisten vertreten. Schopenhauer bemerkt z.B.: »Stil ist, daß der Mensch etwas zu sagen habe«15, und Hebbels Satz: »Das Wort finden, heißt die Sache selbst finden«16 ist ebenso gedeutet worden. Voraussetzung dafür wäre ein bestimmtes Maß an Wissen über die Dinge, ein Reichtum an Sachund Welterfahrung, an deutlichen Vorstellungen und ein dem Wissen entsprechender Wortschatz. Der Gedanke kann jedoch auch die Folgerung einschließen, daß sich aus dem größeren Wissen der bessere Stil ergibt, so wie noch die Barock-Poetiken einen Wissenreichtum als eine Voraussetzung für den Dichter (poeta doctus) forderten. Die Erfahrungen aus der Lektüre, aber auch die Ausdrucksmühen manches belesenen Studenten beweisen zuweilen eher das Gegenteil. In der Gefühlskultur des späten 18. Jhs. wurde allerdings unter dem stilfördernden Einfluß der Gedanken auch das gefühlvolle Ergriffensein von bestimmten Vorstellungen verstanden, das zum sprachlichen Ausdruck drängt. Nicht immer gelingt jedoch die Bewältigung der Fülle des Gefühls und der Vorstellungen in der Sprache.

Übungshilfen zur Erlangung eines angemessenen treffsicheren Ausdrucks sind vor allem eigene schriftliche und mündliche Ausdrucksversuche in der Form von Aufsätzen, bei denen sich Vergleichsmöglichkeiten zwischen dem Beschriebenen und dem Sachverhalt ergeben, sowie Reden und Diskussionen.

Auch das kontrollierte Übersetzen aus anderen Sprachen vermag zur Stilschärfung beizutragen, ein Aspekt, der bei der Motivierung des Fremdspra-

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chenunterrichts, auch in den klassischen Sprachen, oft zu wenig berücksichtigt wird.

Schließlich sei auf die verschiedenen Formen der Wortschatzsammlung und -ordnung hingewiesen, die ebenfalls helfen, den mit dem Wissen gewonnenen passiven Wortschatz, die verstandenen Wörter, dem Gedächtnis zu entreißen und in den aktiven Wortschatz umzuwandeln und so für den sprachlichen Ausdruck verfügbar zu machen (vgl. S. 203).

Eine weitere Möglichkeit der Ausdrucksschulung bietet die Betrachtung stilistisch gelungener Texte, die mit dem Versuch verbunden werden kann, bestimmte Wörter durch sinngleiche oder sinnverwandte zu ersetzen und so auf ihre Angemessenheit zu prüfen. Synonymwörterbücher und Stilwörterbücher können dabei zu Rate gezogen werden.

Die Suche nach dem treffenden Wort dient ja vor allem der klaren Hervorhebung des Gemeinten. Gibt es für die betreffenden Dinge oder Sachverhalte jeweils eigene Namen, was oft der Fall ist, so sollten diese zumindest dann genannt werden, wenn der Erzählvorgang oder Gedankengang auf diese Redegegenstände stößt. In der Wiederholung können die Eigenbezeichnungen schon eher durch Umschreibungen oder Metonymien ersetzt werden. Das Verweilen bei Umschreibungen und das Verschweigen der Eigenbezeichnungen ist jedoch nur dann berechtigt, wenn bestimmte Redeabsichten oder Rücksichtnahmen auf Personen (z.B. bei ironischen Anspielungen) oder die Wahrung bestimmter Tabus (z.B. bei sexuellen Tatbeständen) dies bedingen. Die anspielende Bloßstellung bestimmter Fehlhaltungen literarischer oder wirklicher Personen kann als Stilmittel der Ironie und Satire wirkungsvoll genutzt werden.

Die funktionale und stilistische Differenzierung des Wortschatzes und die Stilwerte der Wortgruppen

Der recht umfangreiche Wortschatz der deutscher Sprache, der bisher nicht einmal wissenschaftlich hinlänglich erfaßt werden konnte17, steht nicht allen Sprechern in gleichem Maße zur Verfügung. Abgesehen davon, daß wohl kein Mensch eine so ungeheure Leistung vollbringen kann, einige hunderttausend Wörter in seinem Gedächtnis aufzubewahren – der aktive Durchschnittswortschatz liegt bei 300010000 Wörtern, Sprachkünstler und Gelehrte verwenden etwa die doppelte Zahl18, der passive Wortschatz dürfte das Mehrfache davon betragen –, begegnen die meisten Wörter bis auf einen »Grundwortschatz«19 von 1000-5000 Wörtern in recht unterschiedlichen Sprachbereichen, z.B. Fachwortterminologien, sozialen Wortschichtungen u.dgl., die nicht allen Sprechern in gleicher Weise vertraut sind. Die Stilwirkung eines Textes hängt oft gerade von der gruppenmäßigen Herkunft der verwendeten Wörter ab. Deshalb erscheint es sinnvoll, die

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