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Deutsche_Stilistik

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sie jedoch auch zu Stilmitteln besonderer Art.50 Die stilistische Bedeutung der Wortarten besteht in doppelter Hinsicht: einmal aufgrund ihrer semantischsyntaktischen Leistung, durch die es innen möglich ist, bestimmte Vorgänge oder Gegebenheiten in einer bestimmten Blickweise zu sehen (z.B. als abgrenzbare Einheit mit Hilfe von Substantiven oder als Geschehnis in verbaler Fassung), zum anderen aufgrund der unterschiedlichen Verwendbarkeit bestimmter Wörter, durch die Dominanzen bestimmter Wortarten ermöglicht werden. Auf die sich daraus ergebenden Möglichkeiten zur Charakterisierung eines Stils als Nominalstil, Verbalstil oder Adjektivstil haben wir bereits hingewiesen (vgl. S. 26).

Eine solche quantifizierende Kennzeichnung bleibt unbefriedigend, wenn sie nicht zugleich die mit den Wortarten verbundenen Blickweisen und Stilwerte erfaßt, die in den Wortartdominanzen besonders hervortreten.

Die größte Bedeutung kommt dabei den drei Hauptwortarten Substantiv, Verb und Adjektiv zu (vgl. auch S. 162ff.).

Das Substantiv als Stilmittel

Es ist eine müßige Streitfrage, welche Wortart im Deutschen die größte Bedeutung besitzt. Unter syntaktischem Aspekt wird dabei neuerdings das Verb bevorzugt, unter stilistischem Aspekt wird man das Substantiv zuerst nennen müssen. Es ist nicht nur die reichste Wortart, sondern verfügt auch über die vielfältigsten semantischen Gruppierungsmöglichkeiten sowie über Möglichkeiten der Selbständigkeit in der Rede.51

Das Substantiv ist die Wortart, die bestimmte Gegebenheiten als Einzeldinge im Wort faßt und für sprachliche Aussagen verfügbar macht. Morphematisch wird dies durch die Kategorien des Numerus und Genus und der Kasusbildung deutlich.

Der Numerus, der fast allen Substantiven (bis auf Stoffbezeichnungen, Eigennamen, wenige Abstrakta u.ä.) eigen ist, erlaubt es, Substantivformen im Singular und Plural zu bilden und so das Gemeinte als Einzelnes oder Mehrfaches aufzufassen.

Mit der Wahl von Einzahl oder Mehrzahl sind bestimmte Sichtweisen und Stilwirkungen verbunden. Die Benennung einer substantivisch erfaßten Gegebenheit in der Einzahl kann den Verhältnissen der jeweiligen Wirklichkeit entsprechen. Mit Hilfe des Artikels oder eines deiktischen (hinweisenden) Pronomens ist es möglich, diese Einzahl besonders hervorzuheben. Die Wahl des Singulars kann aber auch der gattungsmäßigen Kennzeichnung dienen und damit die Beschränkung auf ein Einzelnes aufheben. Wenn z.B. Goethe einmal sagt: Ihn interessierte nur der Mensch, die Menschen ließ er gewähren52, so nutzt er diese grammatisch-stilistische Möglichkeit zu einem charakterisierenden Wortspiel, in dem er zugleich die ausschließlich abstrahierende Zuwendung des Autors zum Gattungswesen »Mensch« und die Vernachlässigung der .Individuen in seinem Werk kritisiert.

Die gleiche Stilwirkung kann in bestimmten Fällen auch durch die Verwendung des unbestimmten Artikels erreicht werden, z.B. Edel sei der Mensch, 214

hilfreich und gut (Goethe, »Das Göttliche«) und Edel sei ein Mensch (oder: ein Mensch sei edel...), hilfreich und gut. Ein völlig anderer, ein individualisierender Sinn entstünde im vorgenannten Satz, wenn man sagte: Ihn interessierte nur ein Mensch, die Menschen ließ er gewähren, aber auch wenn die Maxime aus dem Gedicht »Das Gottliche« in einer Vergangenheitsform erschiene (Edel war der Mensch, hilfreich und gut). Die a1lgemeine (Gattungs-)Bedeutung von »der« und »ein« scheint hier an didaktische Ausdrucksformen und atemporales Präsens gebunden zu sein.

Eine ähnliche Ambivalenz von Singular und Plural liegt bei bestimmten »Begriffswörtern« vor, die im Singular eine allgemeinere und im Plural eine verengte Bedeutung aufweisen, z.B. bei Recht, Freiheit, Kunst, Hoffnung u.a. Man vergleiche etwa:

Das Recht wird siegen.: Über seine Rechte und Pflichten sollte jeder informiert sein.

Die Freiheit ist ein hoher Wert. : Die im Rahmen der Verfassung garantierten Freiheiten dürfen nicht eingeschränkt werden.

In manchen Fällen ist es eine stilistische Entscheidung, ob der Autor Singularoder Pluralformen wählt. Die Singularformen übermitteln dabei meistens einen individuelleren Eindruck als die Pluralformen (vgl. S. 31). Das gilt auch gegenüber pluralischen Kollektivbegriffen, z.B. die Eltern.: Vater und Mutter.

Eine Sonderform dieser Art ist die Synekdoche (Mitaufnahme, Mitverstehen)53, bei der ein Substantiv in der Einzahl als Beispiel einer Gattung steht und viele Einheiten dieser Gattung mit begreift: Die Welle wieget unsern Kahn im Rudertakt hinauf (Goethe, »Auf dem See«); gelegentlich findet sich dieser Singular auch in Redensarten: ein Auge auf ihn werfen, Hand und Fuß haben u.ä.

Andererseits erweist sich die Pluralisierung abstrakter Wurzelbegriffe als besonders eindrucksvoll in dichterischen Texten:

Und du merkst es nicht im Schreiten, Wie das Licht verhundertfältigt, Sich entringt den Dunkelheiten.

(R. Dehmel, »Manche Nacht . . .«)

Genus: Die Festlegung des grammatischen Geschlechts (Genus) der Substantive ist nicht dem Belieben des Sprechers überlassen, sondern gehört zu den grammatischen Regularitäten. Selbst dort, wo sich Doppelformen des Artikels und damit des Genus erhalten haben (z. B. der/das Erbteil, der/das Halfter u.ä.54) handelt es sich meistens um landschaftlich oder kontextuell bedingte Alternativen. Die Wortwahl kann allerdings auf die Dominanz bestimmter Genusformen Wert legen oder sie zu vermeiden suchen. So sind beispielsweise die meisten Abstraktabildungen im Deutschen Feminina (weiblich): z.B. Bildungen auf -ung, -heit, -keit, -schaft, -ei, -t.

Die Regel der Wiederaufnahme des gleichen Genus des Bezugswortes bei Relativpronomen wird manchmal zugunsten des natürlichen Geschlechts durchbrochen. So wird z.B. in Goethes »Iphigenie« das Wort Weib, das

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früher noch keinen abschätzigen Klang besaß, durch das Pronomen sie wiederaufgegriffen:

Allein ein Weib bleibt stets auf einem Sinn, den sie gefaßt. Du rechnest sicherer auf die im Guten wie im Bösen.

(Goethe, »Iphigenie auf Tauris«)

Auch bei ursprünglichen Diminutivwörtern, wie z.B. Mädchen, ist ein solcher Übergang zum natürlichen Geschlecht (Sexus) häufig zu beobachten:

Das Mädchen schien auf jemanden zu warten. Unruhig trippelte sie hin und her.

Gelegentlich wird die Einengung auf das feminine grammatische Geschlecht durch die Wahl einer maskulinen Rangbezeichnung überspielt. Der stilistische Eindruck wird durch diese Verfremdung gesteigert.55 Schiller nutzte diese Möglichkeit mehrmals in »Maria Stuart«. So sagt der junge Mortimer zur gefangenen Königin:

Du warst die Königin, sie der Verbrecher.

Umgekehrt schleudert Maria ihrer Rivalin die Worte entgegen:

Regierte Recht, so läget ihr vor mir im Staube jetzt, denn ich bin euer König.

Die einzelnen Genera sind nicht mit einem bestimmten Slilwert verbunden. Mitunter läßt sich aber im volkstümlichen Gebrauch die Vorliebe für das Neutrum bei abwertenden Bezeichnungen beobachten, so wie einstmals auch rechtsunfähige Wesen durch das Neutrum gekennzeichnet wurden (Kind, Mädchen). Dementsprechend gelten das Mensch, das Luder, das Balg (gegenüber: der Mensch, der Balg) als Schimpfwörter.

Kasus: Als dritte grammatische Kategorie ist der Kasuszwang des Substantivs zu erwähnen. Durch die Einordnung der Substantive in bestimmte morphematisch gekennzeichnete Kasus ist es möglich, durch sie besondere Bezugsverhältnisse im Satz zu verdeutlichen und so erst geschlossene sprachliche Aussagen zu realisieren. Diese Tatsache ist auch stilistisch von Bedeutung, werden doch auf diese Weise Stellenwert und Redefunktion der Substantive von vornherein festgelegt. Der einfache Dativ etwa wird als partnerbezogener Kasus in Widmungen u.ä. bevorzugt: den Toten unserer Stadt, meiner Frau, dem Stifter des Museums.

Beim Gebrauch bestimmter Kasus (z.B. Dativ, Genitiv) bestehen bereits vielfach alternative Möglichkeiten. Angesichts der Tatsache, daß bestimmte Dativaussagen heute schon häufiger durch präpositionale Kasus ersetzt werden, erlangt die ältere Verwendung des reinen Dativs mehr und mehr den Charakter einer Stilentscheidung. Ähnlich verhält es sich mit den übrigen Kasus. So besitzt der Genitiv als Objektskasus einen altertümlichen Stilwert. Wendungen wie: ich gedenke deiner, ich erinnere mich seiner u.ä. wirken antiquiert und kommen fast nur noch in der gehobenen Ausdrucksweise und in der Literatur vor. Als Attributskasus, der den Anteil einer anderen substantivischen Aussage gegenüber dem genitivischen Bezugswort ausdrückt (z.B. die Höhe der Summe, des Bauwerkes u.dgl.) scheint der Genitiv hingegen zuzunehmen.

Im Bereich des Dativs ist auch der ethische Dativ, der Zusatz von »mir, dir, uns« in wörtlichen Reden ein stilistisches Kennzeichen, das allerdings

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überwiegend im mündlichen Redegebrauch begegnet und hier die gefühlsmäßige Anteilnahme verstärkt (z.B. Das ist mir vielleicht einer!).

Die am meisten verwendeten Kasus sind Nominativ und Akkusativ. Der Nominativ hat als Grundform aller substantivischen Kasus bzw. als deren Nullform zu gelten. Alle anderen Kasus treten nur in Beziehung zu ihm auf, soweit es sich nicht um Ellipsen oder andere Reliktformen handelt. Das Substantiv im Nominativ nimmt die erste »Leerstelle« im Satz ein indem es als Subjekt fungiert. Auch als Prädikatsnomen, das eine Präzisierüng (Klassifizierung) des Subjekts darstellt (z.B. er ist Arzt), erscheint es im Nominativ. Beide syntaktischen Stellenwerte erlauben es, daß nominativische Substantive isoliert als Einzelwörter, als verblose Sätze56 oder als »absolute Nominative«57 erscheinen können, während alle anderen Kasusformen nur in Verbindung mit anderen Satzaussagen auftreten (vgl. S. 131 ff.).

Der Akkusativ dagegen isi stets von einer vorhandenen oder zumindest gedachten Satzeinleitung mit Subjekt und Prädikat abhängig. In Antworten innerhalb von Reden und Gesprächen wird diese Satzbindung oft ausgelassen:

Was wünschen Sie? Einen Briefumschlag bitte ... Guten Tag!

Innerhalb des Satzes ist das akkusativische Substantiv (bzw. Pronomen) meistens als Objekt Ziel einer bestimmten Handlung, das in dieser Form die Aktivität des Subjekts unterstreicht, im Passivsatz selbst zum Subjekt eines Vorgangs wird. Als Ziel oder Ergebnis einer Handlung besitzt das Akkusativobjekt nicht nur einen kommunikativen Wert, sondern auch einen Stilwert, der besonders bei Aufzählungen, die die Fülle möglicher Objekte spiegeln, sichtbar wird. Andere Verwendungsformen des Akkusativs liegen in nicht passivfähigen Maß-, Zeitoder Mengenangaben vor.

Substantivische Wortbildungen

Über den Stilwert der Wortbildungen ist bereits einiges gesagt worden (vgl. S. 206 ff.). Für das Gebiet der Substantive bedarf dies einer Ergänzung, weil die Wortbildung hier am reichsten ausgeprägt und am stärksten differenziert ist. Aufgrund einheitlicher Ableitungsmorpheme (-suffixe u.ä.) lassen sich nicht nur morphematische, sondern auch inhaltliche Gruppierungen der Substantive vornehmen.

Zwei Hauptgruppen sind dabei erkennbar: Konkreta und Abstrakta. Als Konkreta (Gegenstandsbezeichnungen) sind diejenigen Substantive anzusehen, die einen konkreten Gegenstand benennen, z.B. neben Grundwörtern wie Haus, Stadt, Tor, Ableitungen wie Leuchter, Meißel, Messer; als Abstrakta diejenigen, die nur gedankliche Einheiten bezeichnen, z.B. Ruhe, Logik, Stil. Diese groben Unterscheidungen erlauben im einzelnen manche Übergänge. In der Wortbildung erscheint eine solche Einteilung jedoch sinnvoll, da sie aufgrund bestimmter Ableitungssilben mitbestimmt ist.

Mit Hilfe von Ableitungen wird aber nur der kleinere Teil der Gegenstandsbezeichnungen, jedoch der größte Teil der Abstrakta gebildet. Da die meisten Gegenstände recht alte Benennungen haben, weisen diese keine Wortbildungsmorpheme auf (vgl. Feld, Tür, Luft, Tisch, Boden usw.); lediglich

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einzelne Werkzeugbezeichnungen (nomina instrumenti), die mit später übernommenen Techniken notwendig wurden, oder einige Gegenstandsnamen, die Produkte bestimmter Verfahren sind, werden als Ableitungen gebildet, z.B. Winde, Meißel, Bohrer u.ä., Zeitung, Rechnung, Ladung u.ä.

Auch die ähnlilch gebildeten nomina agentis (Tätigkeitsbezeichnungen) auf -er (Lehrer, Bäcker, Händler u.ä.) sowie die danach gebildeten, stilistisch oft interessanten Gelegenheitswörter (z.B. Chinakenner, Tester, Gebührenerheber u.ä.) zählen wie alle Namen von Lebewesen zu den Konkreta.

Auf der Grenze zwischen Gegenstandsbezeichnung und Abstraktum stehen bestimmte Kollektivbegriffe mit ge- und -schaft: Gebirge, Gelände, Gesinge u.dgl., Lehrerschaft, Helferschaft usw. Die meisten dieser Bildungen sind eher als Konkreta anzusehen: Gesicht, Gehör, Gedanke, Gesang, Gebäude u.a.m. Ähnlich verhält es sich bei Tätigkeitsbezeichnungen (nomina actionis) wie Lauf, Sprung, Start.

Die Zahl der Abstrakta, die durch einfache Wörter (bzw. mit Hilfe von einstigen Abstrakta-Suffixen) gebildet werden, ist verhältnismäßig klein; z.B. Sinn, Rede, Sprache, Ruhe, Länge, Trauer. Demgegenüber nimmt die Zahl abgeleiteter Abstrakta ständig zu. Es handelt sich dabei vor allem um Verbalsubstantive auf -ung sowie deklinierte Infinitive auf -en und Artikel (z.B. Beschaffung, Vermittlung, Beruhigung, Infragestellung; das Beschaffen etc.). Daneben fällt die Zahl der Adjektivabstrakta auf -heit, -keit,-schaft, -nis weniger ins Gewicht (Klugheit, Einigkeit, Bereitschaft, Finsternis, Mühsal, Freundschaft, Ärgernis u.dgl.). Da außer den Infinitiven auch jede andere Wortart durch Zusatz eines Artikel substantiviert werden kann und als Abstraktum wirkt, ist der Umfang dieser Gruppe praktisch unbegrenzt, vgl.: das Ich, unser Ja, sein Trotzdem, kein Aber, das Richtige, das Heute, das Aus.

Die Dominanz von abgeleiteten Abstraktawörtern ist für zahlreiche Texte der Verwaltungs-, Rechtsund Wissenschaftssprache stilbestimmend. Sie dienen wie alle Abstraktionen der Ökonomie und Rationalität der Sprache, wirken aber in der engbenachbarten Häufung nicht nur unanschaulich, sondern mitunter auch unschön, besonders wenn es sich um Substantivierungen von zusammengesetzten Verben oder Funktionsverben handelt (z.B. Vornahme der Beweisführung, Inbetrachtziehting, Ineinssetzung u.ä.).

Bei substantivischen Kompositabildungen werden die Zugehörigkeit zu den Substantiven sowie Kasus und Numerus jeweils durch das letzte Wort des Kompositums bestimmt. Auch das Überwiegen substantivischer Kornposita kann stilkonstruierend sein, wie dies häufig an wissenschaftlichen, juristischen und technischen Texten zu beobachten ist.

Eine Untergruppe der Abstrakta bilden die Antonyme, die Negationen und Gegenwörter bestimmter Begriffe. Sie werden im Deutschen durch Präfixe wie Miß-, Un- und Anti-, bei Verbalsubstantiven auch durch Ver- oder Nicht- ausgedrückt (z.B. Mißgunst, Unfreiheit, Antikommunismus, Verrat, Nichtbeachtung).

Stilistisch entsprechen diese Wörter der dazugehörigen Bejahung, zu der sie feldmäßig zu rechnen sind.

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Eine weitere Substantivgruppe, die durch die Wortbildung bedingt ist und stilistisch Beachtung verdient, sind die Diminutiva (Verkleinerungen)58, die hochsprachlich durch die Suffixe -chen und -lein, regionalsprachlich auch durch -ken, -tje, -le, -li, -el, -l u.ä. gekennzeichnet sind. Die Diminuierung (Wortsinnverkleinerung) wird in den deutschsprachigen Gebieten unterschiedlich verwendet. Nicht immer ist eine Abschwächung der Aussage damit verbunden.59 Oft dient die Diminutivform dem Ausdruck der Zärtlichkeit (bei Namen), der Anteilnahme (ein Wehwehchen), der liebenden Verbundenheit. Der »Ausdruck der gefühlsmäßigen Anteilnahme ist also dem Deminutivum wichtiger als das Anzeigen der Kleinheit.«60 Neben der Dominanz solcher Formen in Märchen und ähnlichen Texten sind deshalb gelegentliche Verwendungen interessant, sei es als ernsthafter Gefühlsausdruck wie in Werthers Brief vom 10. Mai:

... wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die unzähligen, unergründlichen Gestalten der Würmchen und Mückchen näher an meinem Herzen fühle ... (Goethe, »Die Leiden des jungen Werthers«)

oder in ironischer Verwendung, die die Eindrucksmächtigkeit eines an sich nicht diminuierbaren Wortes abzuschwächen sucht:

Dann machen wir einen kleinen Bankerott, ein höchst spaßhaftes Bankröttchen, mein Lieber! (Th. Mann, »Buddenbrooks«)

Substantivischer Stil

Die hier aufgezeigten Substantivformen, deren semantische Differenzierung unberücksichtigt bleiben muß, können stilbestimmend sein, wenn sie fast ausschließlich oder in gehäufter Form auftreten, insbesondere wenn dabei semantisch schwache Verben verwendet und die adverbialen und attributiven Satzstellen ebenfalls durch Substantive besetzt werden. Ein solcher substantivischer Stil ist typisch für juristische und verwaltungsund wirtschaftsgebundene Texte, zuweilen auch für wissenschaftliche Texte oder in bestimmten Werken oder Textpartien einzelner Dichter.

Nun berichtet die Baronin von der Raserei und Tollheit des Sohnes, der wachsenden Neigung des jungen Paares, von der Ankunft des Vaters, der entschiedenen Weigerung Hilariens. Überall finden sich Erwiderungen Makariens von reiner Billigkeit, die aus der gründlichen Überzeugung stammt, daß hieraus eine sittliche Besserung entstehen müsse.

(Goethe, »Die Wahlverwandtschaften«)

Unterstrichen wird die Tendenz zum ».Nominalstil« – nach der Auffassung W. Schneiders – dadurch, daß in zunehmendem Maße Funktionsverben mit festen Verbindungen von Substantiven und semantisch schwachen Verben (z.B. zur Verfügung stellen, in Wegfall kommen), die früher nur der Sprache der Verwaltung eigen waren61, auch in literarischen Texten auftauchen.

Der Professor ... erklärte sich dann bereit, eine Untersuchung sogleich zu vollziehen. (Th. Mann, »Herr und Hund«)

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Stilwerte des Adjektivs

Das Adjektiv, zu dem hier auch die adjektivisch verwendeten beiden Partizipformen (Partizip I und II) gezählt werden, stimmt im Formenschatz mit dem Substantiv überein, soweit es attributiv einem Substantiv zugeordnet ist (vgl. ein blühender Baum, die zerstörte Burg, ein krankes Kind), erscheint dagegen ohne Flexions-(Genus-, Numerus-)endungen, wenn es prädikativ oder adverbial verwendet wird (z.B. Das Kind ist krank. – Das Kind kam krank nach Hause.). Gegenüber dem Substantiv erweist sich das Adjektiv jedoch durch die Steigerungsfähigkeit der meisten Adjektive als formenreicher.

In diesem Formenreichtum liegen mehrere stilistische Möglichkeiten begründet. Ein Autor kann z.B. bestimmte Charakterisierungen von Personen oder Gegenständen in der Form des Prädikativs oder des Adjektivattributs ausdrücken:

Die Häuser waren recht klein und standen dicht beieinander. – Die recht kleinen Häuser standen dicht beieinander.

Im ersten Satz erlangt das (prädikativ verwendete) Adjektiv (klein) größeres Gewicht, in der attributiven Verwendung ist es ein untergeordneter Zusatz. Beide Formen werden in unterschiedlichem Maße gebraucht. »Die Bestimmtheit und Entschiedenheit des adjektivischen Prädikats macht es besonders geeignet zur sachlichen Aussage von Erfahrungen und Urteilen.«62 Es erscheint daher häufiger in lehrhaften oder wissenschaftlichen Abhandlungen, weniger oft in literarischen Texten.

Meistens tauchen beide Verwendungsweisen unabhängig voneinander auf: In bestimmten Fällen ergeben sich aus derartigen Attributierungen Sinnverschiebungen: Das Leben ist kurz – das kurze Leben. In der ersten Formulierung trägt kurz, das in Verbindung mit »ist« eine allgemeine Aussage prägt, den Satzakzent, in der zweiten hingegen Leben, das individualisiert und durch kurz nur näher charakterisiert wird.

Durch die Steigerung (Komparation, Gradation) der Adjektive ergeben sich weitere stilistische Gestaltungsmöglichkeiten. Die Steigerung mit Hilfe von Suffixen ist inhaltlich eine Form des Vergleichs zweier oder mehrerer Vorstellungen. Die erste Steigerungsstufe, der Komparativ, kann einen Vergleich mit einer anderen Größe oder mit allen anderen einschließen:

Das Buch ist teurer als das erste. Das Buch ist teurer als alle anderen.

Die zweite Steigerungsstufe, der Superlativ, enthält dagegen nur einen Vergleich mit allen anderen Vergleichsgroßen:

Das Bild ist das schönste von allen, die ich gesehen habe.

Die Vergleichsgrößen brauchen allerdings nicht immer bewußt gemacht zu werden. Besonders bei urteilenden Adjektiven wird oft die höchste Steigerungsform ohne Vergleichsandeutung gewählt: die innigste Liebe, der Beste, das Schönste.

Im Sprachgebrauch haben sich verschiedene stilistisch wichtige Sonderformen der Gradation ausgebildet. Der Komparativ kann z.B gebraucht wer-

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den, ohne Steigerung der adjektivischen Grundform (Positiv) zu sein, vielmehr um deren Aussagewirkung abzuschwächen. So ist eine ältere Dame nicht älter als eine alte Dame, sondern meistens jünger; ein kleinerer Teil nicht kleiner als ein kleiner Teil, sondern kleiner als der größere Teil. Entscheidend ist der Bezug zum Gegenbegriff (Antonym).

Seit Klopstock gibt es, nach antikem Vorbild, und wohl zunächst aus metrischen Gründen, eine Komparativform, der keine Vergleichung zugrunde liegt, z.B.:

Ein fremder Geist verbreitet sich schnell über die fremdere Flur.

(Schiller, »Der Spaziergang«)

Wo in dem weicheren Flug lautlos die Nachtschwalbe zog.

(F. G. Jünger, »Iris«)

Daneben haben wir einen vergleichslosen Superlativ, den Elativ, der nicht den höchsten, sondern nur einen sehr hohen Grad der Steigerung ausdrückt63, durch wiederholten Gebrauch aber abgeschwächt werden kann:

Eben hatte die Sängerin das Lied unter dem größten Beifall geendigt.

(Goethe, »Wilhelm Meisters Wanderjahre«) Es war eine neueste Erfindung. (F. Kafka, »Amerika«)

Außer diesen Steigerungsformen mit Hilfe von Suffixen gibt es zahlreiche Möglichkelten des Steigerungsausdrucks durch Umschreibungen.64 Hier wären zunächst die Formen des Zusatzes von steigernden Adjektiven, Adverbien und Partikeln zu nennen, z.B. zum Positiv: sehr, zu, allzu, äußerst, höchst, möglichst, ungemein, besonders, außerordentlich, ungewöhnlich, gewaltig, winzig, erstaunlich, wunder wie; zum Komparativ: viel, bedeutend, bei weitem; zum Superlativ: die Zusammensetzungen mit aller-.

Abschwächende oder verstärkende Wirkungen werden durch Zusatz komparativischer Adverbadjektive zum Adjektiv erzielt, z.B. weniger gut, stärker besucht. Weitere Steigerungen sind durch Kombinationen mit Vergleichslexemen oder Verstärkungswörtern möglich, z.B.: bettelarm, steinreich, goldrichtig, bitterkalt, überreich, hypernervös, supermodern, stinkfaul, federleicht, zentnerschwer; außerdem durch Adjektivwiederholungen, z.B.: lange, lange Reihe, durch Vergleiche zwischen Komparativen und Positiven: Er ist klüger als klug, durch Wiederholungen von Steigerungsformcn: lang und länger, schneller und schneller.

Steigerungen beruhen oft auf Gefühlsurteilen. Sie werden daher in bestimmten »Altersstilen« der Jugend auch durch Zusatz von allgemeineren, gefühlsstarken Wörtern ausgedrückt, wie z.B.: riesig, schrecklich, furchtbar, enorm, unheimlich, phantastisch, grauenhaft, irre. Hier haben wir es mit sprachlichen Hyperbeln (Übertreibungen) ohne semantischen Eigenwert zu tun.

Nicht alle Adjektive sind steigerungsfähig. Neben Adjektiven, die bestimmte Verfahrensund Zustandsweisen ausdrücken (z.B. schriftlich, wörtlich, sterblich) und verneinten Adjektiven (unschön, unrichtig, farblos usw.) sind bereits gesteigerte oder absolute Ausdrücke (z.B. schneeweiß, blutjung, urkomisch, erstklassig, absolut, minimal, maximal) im allgemeinen von der Komparation ausgeschlossen. Gelegentlich werden aber auch solche Wörter

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gesteigert, entweder weil der Charakter der Steigerung nicht erkannt wird, weil man eine Wirkungsintensicierung erhofft (in der Werbung) oder weil die Steigerungsform nur auf einen Vergleich mit einer abweichenden Situation bezogen ist (z.B. die stillsten Stunden des Jahres, das vollkommenste Geschöpf).

Besonderes Stilgefühl wird bei der Steigerung der Partizipien verlangt. Die Zahl der komparierten Partizipien (transitiver Verben) ist sehr begrenzt, da viele Partizipien (I und II) eine Verfahrensoder Zustandsweise ausdrücken und nur umschreibende Steigerungen zulassen (das meistgelesene Blatt, häufiger gesehene Bild, die etwas weiter geöffnete Tür). Eine Reihe von Partizipien kann aber auch unmittelbar gesteigert werden, z.B.: erfahren, gelassen, ausgeruht, besorgt, willkommen, abstoßend, spannend.

Adjektive drücken die Stellungnahme des Sprechers zu Wesen und Dingen (Substantiven), zum Sein oder Geschehen (Verben), zu Eigenschaften (Adjektiven) oder Umständen (Adverbien) aus und bezeichnen den Eindruck, den diese auf den Sprecher machen.65 Sie besitzen somit eine charakterisierende, urteilende oder bloß registrierende Funktion und begegnen deshalb vor allem in den Texten, in denen es auf die Charakterisierung, Wertung oder Registrierung von Einzelheiten ankommt, also in beschreibenden Texten (z.B. Landschaftsschilderungen), in lobenden oder tadelnden Texten (z.B. in der Werbung) oder in feststellenden Texten (z.B. Berichten, Kommentaren). Die Erweiterung der attributiven Verwendungsmöglichkeit zur Substantivklammer erlaubt zudem eine ökonomische Informationskonzentration, wie sie besonders in juristischen und wissenschaftlichen Texten üblich ist. Der prädikative, weniger der attributive Adjektivgebrauch, macht allerdings die mehr statische Stilwirkung der meisten Adjektive deutlich. Der adjektivische Stil, der sich durch die Häufung von Adjektiven auszeichnet, steht daher im Gegensatz zum dynamischen Verbalstil. Lediglich bei Partizipien ist das dynamische Ausdrucksmoment stärker. Ein solcher adjektivischer Stil ist hauptsächlich dort gegeben, wo es sich um zusätzliche Adjektivattribute, sogenannte ».schmückende Beiwörter« handelt, die oft nur auf eine vertiefende Wirkung zielen. Vorbild für den poetischen Gebrauch des schmückenden Beiworts (epitheton ornans) war in der Antike der Stil Homers, später auch der Stil Ciceros. der bis in die Moderne von zahllosen Autoren nachgeahmt wurde:

Unendlich steht, mit der freudigen Kornblume gemischt, der goldene Weizen da, und licht und heiter steigen tausend hoffnungsvolle Gipfel aus der Tiefe des Hains ... (Hölderlin, »Hyperion«)

Das schmückende Beiwort ist heute zurückgegangen. Sprachökonomische Tendenzen wirken »überflüssigen« Wörtern entgegen. Auch der übrige Gebrauch der Adjektivattribute in der Dichtung, besonders in der Lyrik, zeigt im Lauf der Geschichte manche Schwankungen.66

In der Barocklyrik, in der Lyrik von Sturm und Drang, Klassik und Romantik, aber auch im Naturalismus und in der Neuromantik finden sich verhältnismäßig häufig attributive Beiwörter. Die Expressionisten und die modernen Lyriker verhalten sich unterschiedlich zu diesem Stilmittel. Beachtung

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verdienen die chiffrenartigen Beiwörter bei Georg Trakl, oft in der Form symbolwertiger Farbbezeichnungen67 (z.B. Am Abend tönen die herbstlichen Wälder / von tödlichen Waffen die goldenen Ebenen / und blauen Seen ...), die eine neue Qualität des Epithetons sichtbar machen.

Auch in der Prosa ist die Verwendung des Beiworts durch den Individualstil der Autoren bestimmt. Anteil, Art und Funktion der Beiwörter sind keineswegs einheitlich. Bei Heine etwa ist das Adjektivattribut oft zu ironisch-satirischen Zwecken eingesetzt:

Die eine Dame war die Frau Gemahlin, eine gar große, weitläufige Dame, ein rotes Quadratmeilengesicht mit Grübchen in den Wangen, die wie Spucknäpfe für Liebesgötter aussahen, ein langfleischig herabhängendes Unterkinn, das eine schlechte Fortsetzung des Gesichts zu sein schien, und ein hochaufgestapelter Busen, der mit steifen Spitzen und vielzackig festonierten Krägen, wie mit Türmchen und Bastionen umbaut war ... (Heine, »Die Harzreise«)

In den Romanen, Erzählungen und Reden Th. Manns hat es recht unterschiedliche Funktionen: Vom »stehenden Beiwort« (»Der kleine Herr Friedemann«) über charakterisierende und urteilende Zusätze bis zu ironisch entlarvenden Wendungen:

Die Herrschaften mit den Herfehlern besprachen sich untereinander mit geröteten Wangen, der diabetische General trällerte wie ein Jüngling, und die Herren mit den unbeherrschten Beinen waren ganz außer Rand und Band.

(Th. Mann, »Tristan«) Es sollte allerdings nicht übersehen werden, daß auch die Trivialliteratur sich dieses Stilmittels bedient. Dafür nur ein kurzes Textbeispiel, das in seiner kitschigen Überladenheit für sich spricht:

Ein kleines lauschiges Boudoir bildete den Abschluß. Hier schien alles zusammengehäuft, was dem Geschmack einer eleganten Dame unwiderstehlich erscheint. Rokokomöbel mit wässerig verschwimmendem Blumendamast, goldmarketierten Platten und hohen Bronzekonsolen waren auf schwellendem Teppich in reizend genialer Zwanglosigkeit durcheinander geschoben, schwer seidene, purpurgefütterle Portieren rauschten breit neben den Fenstem und Türflügeln nieder ... (N. v, Eschstruth, »Polnisch Blut [1887])68

Die Gefahr der Häufung mag dazu veranlaßt haben, vor dem Gebrauch des Beiworts zu warnen. So sprechen sich mehrere Stillehren aus neuerer Zeit gegen die Beiwortverwendung aus (E. Engel69, L. Reiners70). Wenn in der jüngeren Literatur, bis auf wenige Ausnahmen, keine besondere Vorliebe für dieses Stilmittel zu entdecken ist, kann dies nicht heißen, daß es seinen Rang und seine Funktionen eingebüßt habe. W. Schneider, der sich nachdrücklich für einen verstärkten Beiwort gebrauch einsetzt, hebt, über die bereits genannten Funktionen hinaus, folgende stilistische Arten und Leistungen dieses Stilmittels hervor71:

1.das unpersönlich charakterisierende Beiwort, das vor allem der Beschreibung von Pflanzen, Tieren und Gegenständen dient (z.B. kalter Norden; große, geräumige Zimmer);

2.die Bezeichnung wesensmäßiger, oft typischer Eigenschaften bis hin zu

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