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Deutsche_Stilistik

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Satzglied-

Einfache Sätze

Erweiterter

Satzgefüge

funktion

 

einfacher Satz

 

 

Fragesatz:

Er fragte ihn:

Er fragte ihn

Et fragte ihn,

 

(präpos.

»Nimmst du

nach seiner

ob er teilnehme.

Objekt)

teil?«

Teilnahme.

 

 

Relativsatz:

Irgend jemand

Der Erfinder

Wer das Rad

(Subjekt m.

hat das Rad

des Rades ist

erfand (erfunden

Attribut)

erfunden. Er ist

unbekannt

hat), ist un-

 

unbekannt.

 

bekannt.

Die Satzgefüge

Bei der Bildung der Satzgefüge sind eine Reihe grammatischer wie stilistischer Besonderheiten zu beachten. Wir nennen die wichtigsten in der Reihenfolge der Beispielsätze:

1.Neben den hier genannten Konjunktionen stehen für jede Satzform mehrere weitere Konjunktionen zur Verfügung, wobei zwischen den nebenordnenden für die Verbindung einfacher Sätze und den unterordnenden für Satzgefüge zu unterscheiden ist.46 »Ob« gilt nur bei Frageinhalten von Entscheidungsfragen (vgl. S. 94ff.), »daß« bei Inhaltssätzen, die von einem verbum dicendi (Verb des Sagens, Meinens, Fürchtens, Denkens), adjektivischem Prädikat oder Verbalsubstantiv abhängen.

2.Relativsätze sind meist von einem substantivischen, pronominalen oder adverbialen Bezugswort abhängig, sie werden durch die Relativpronomina »der«, »die«, «das«, seltener: »welcher«, »welche«, »welches« (= Pronomen bei Fragesätzen, Relativpronomen nur bei Ausdruckswechsel), »wer« (bei Attributsätzen), »was« (bei adjektivischen Substantiven) und die Relativadverbien »wo«, »da« u.a. sowie durch Präpositionen mit Relativpronomen eingeleitet.

3.Wichtig ist bei allen Satzgefügen die Art der Verbindung zwischen Haupt-und Gliedsatz. Die meisten Gliedsätze können sowohl vor als auch nach dem Hauptsatz stehen. Bei Subjektsätzen mit Artergänzung in Erststellung tritt das Prädikativ oder ein Ersatzsubjekt »es« an den Satzanfang: Es ist sicher, daß du kommst. – Sicher ist, daß du kommst. Längere Hauptund Gliedsätze können erweitert oder

unterbrochen werden, soweit es der Sinnzusammenhang erlaubt.

Er teilte mir, als er zuletzt hier war, im Vertrauen mit, daß er, soweit es irgendwie möglich ist, dann käme.

In bestimmten Fällen kann der Nebensatz auch in einen längeren Hauptsatz eingefügt werden, wenn dabei der Sinnbezug erhalten bleibt:

Sie leisten, wenn sie gut bezahlt werden, noch mehr.

Relativsätze sind dagegen möglichst eng an das Bezugswort anzuschließen, besonders, wenn durch weitere Satzglieder des Hauptsatzes im gleichen Genus und Numerus Verwechslungen möglich sind. Allerdings sollten eng zusammengehörende Satzglieder nicht getrennt werden:

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also nicht: Wir bieten eine Wohnung für eine größere Familie, die frisch instand gesetzt ist.47

sondern: Für eune größere Familie bieten wir eine Wohnung, die frisch instand gesetzt ist.

nicht: Er nahm die Mütze, die er noch auf dem Kopf trug, ab. sondern: Er nahm die Mütze ab, die er noch auf dem Kopf trug.

Jeder Autor muß sich entscheiden, welche syntaktische Ausdrucksform ihm für seinen Text und seinen Stil angemessen erscheint. Dabei dürfte in den meisten Fällen das Satzgefüge den Vorzug verdienen, weil es durch die klarere gedankliche Beziehung und die zweifache Verbsetzung lebendiger wirkt, soweit der Autor nicht die Form der einfachen Sätze in bestimmten Fällen für besser hält. Die Beispiele zeigen indes, daß diese Satzformen weniger in dar Lage sind, die bestehenden logischen, konditionalen u.a. Beziehungen angemessen zu verdeutlichen. Das Sprachsystem hat denn auch nur für wenige Beziehungsverhältnisse, die eine Nebenordnung zulassen (zeitliche und logische Folgen, Grund, Gegenteil) nebenordnende Konjunktionen zur Verfügung (»dann«, »danach» usw., »deshalb«, »denn«, »aber«, »jedoch«, »dagegen« usw.). Satzgefüge machen daher – bis auf anspruchslosere Texte – den größeren Teil aller Satzbildungen in den meisten Textsorten aus.

Die Periode (mehrfach zusammengesetzter Satz)

Ein Satzgefüge braucht sich nicht auf die aufgezeigten zweiteiligen Kombinationen zu beschränken, sondern kann mit weiteren Satzgefügen oder Gliedsätzen sowie mit Satzund Wortreihungen kombiniert werden. Diese zusammengesetzten Sätze werden als Perioden bezeichnet (vgl. S. 83ff.). Die Periodenbildung wird in den neueren Grammatiken kaum behandelt, sondern der Stilkunde zugewiesen.48 Da die Syntax der Perioden jedoch nicht hinlänglich erforscht ist49, können hier nur wenige Ansätze darüber geboten werden.

Es gilt zunächst, die wichtigsten Typen der Periodenbildung zu beschreiben. Eine derartige Typologie kann vom Verhältnis des Hauptsatzes zu den Nebensätzen ausgehen bzw. von der Form der Zuordnung der Nebensätze zum Hauptsatz und zu anderen Nebensätzen. Dabei lassen sich zwei Grandtypen unterscheiden, die beim zweigliedrigen Satzgefüge, der einfachen Periode, am klarsten erkennbar sind. Wo die Satzspannung am Satzende absinkt, spricht man von sinkenden Perioden; das ist meistens der Fall, wenn der Hauptsatz bzw. Hauptgedanke am Anfang erscheint und ihm dann Nebensätze angefügt sind (Schema: H N [N ...]).50 Dieser Charakterisierung liegt die antike Ekenntnis zugrunde, daß jede Periode zumindest einen spannungschaffenden Bestandteil (protasis) und einen spannunglösenden Bestandteil (apodosis) aufweisen muß, die hier in Hauptund Nebensatz gegeben wären (sonst aber auch auf Nebensatz und Hauptsatz verteilt sein können)51:

Der Mensch ist mehr, als Sie von ihm gehalten. (Schiller, »Don Carlos«)

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Durch die Tiefe meiner Reue habe ich mir die Gunst meiner Oberen so weit erhalten können, daß mir in bescheidenem Umfang wissenschaftliche Studien unter geistlicher Kontrolle gestattet werden konnten.

(Brecht, »Das Leben des Galilei«)

Dieser Typ, der hier nur aus einem Hauptsatz und einem Nebensatz, besteht, kann wirkungsvoller abgewandelt werden, wenn die einzelnen Glieder vermehrt werden, etwa als Reihung von Hauptsätzen oder Hauptsatzelementen (H, H, H, N):

Erschrocken fliehen sie

Vor dem Gespenste ihrer innern Größe, Gefallen sich in ihrer Armut, schmücken Mit feiger Weisheit ihre Ketten aus,

Und Tugend nennt man, sie mit Anstand tragen. (Schiller, »Don Carlos«)

Durch diese Steigerung des Hauptsatzes und die Verkürzung des Nebensatzes rückt die einfache Periode bereits in die Nähe des zweiten Grundtyps, die »steigende Periode«. Es kann aber auch in ähnlicher Weise der Charakter der »sinkenden Periode« durch Häufung der Nebensätze verstärkt werden (H, N [N...]):

Es wird versichert, die Oberen hätten mit Genugtuung festgestellt, daß in Italien kein Weerk mit neueren Behauptungen mehr veröffentlicht wurde, seit Sie sich unterwarfen. (Brecht, »Das Leben des Galilei«)

Dieses Beispiel löst allerdings mehrere Satzglieder eines Hauptsatzes in Nebensätze auf und gelangt nur mit dem letzten Nebensatz zu einer zusätzlichen Ergänzung. Noch stärker entsteht der Eindruck einer sinkenden Periode (»schwanzlastigen Periode«52), wenn sich an einen verhältnismäßig kurzen Hauptsatzteil mehrere Satzglieder und Nebensätze unterschiedlicher Grade anschließen:

Damit ist nicht das Los Clarissa Roddes gemeint, dieser stolzen und spöttischen, mit dem Makabren spielenden Hochblondine, die damals noch unter uns weilte, noch bei ihrer Mutter lebte und an den Karnevalsbelustigungen teilnahm, aber sich schon darauf vorbereitete, die Stadt zu verlassen, um ein Engagement als jugendliche Liebhaberin an einer Provinzbühne anzutreten, welches ihr Lehrer, der Hoftheater-Heldenvater, ihr verschafft hatte.

(Th. Mann, »Doktor Faustus«) Der anfügende Satzbau53, wie wir diese Form der nachträglichen Erweiterung nennen möchten, wird hier durch mehrere Appositionen und Relativsätze sowie eingeschobene Adversativund Finalsätze verwirklicht. Ludwig Reiners nennt diese Form, die er ebenso wie dessen Gegenbild, den »Schachtelsatz«, verwirft, den Kettensatz54 und kennzeichnet ihn als Produkt der »Bequemlichkeit«, da es mühsam sei, selbständige Sätze zu bilden, einfacher dagegen, »mit einigen ›wobei‹, ›wozu‹ und ›wodurch‹ neue Satzteile notdürftig anzuflicken«. Man wird dieser Abwertung, die die Leistung der Periode verkennt, nicht beipflichten können, sofern sie auch kunstvollere Bildungen meint, deren ausgeglichenere Konstruktion durchaus sprachliches Können und Stilgefühl voraussetzt. Das Satzbeispiel von Thomas Mann erfüllt in sei-

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ner Konstruktion wichtige stilistische Erfordernisse: es verweist die für den Gesamtzusammenhang weniger wichtigen, dem Autor jedoch unentbehrlichen Angaben in die Nebensätze, kann diese aber nicht an den Satzanfang stellen, da hier zuerst die Person genannt werden muß, auf die sich diese Angaben beziehen.

Der »Kettensatz« läuft allerdings mitunter Gefahr, in ein bloßes »Anhaken« abhängiger Gliedsätze zu verfallen, besonders wenn diese nicht nur auf den Hauptsatz, sondern auf vorangehende Nebensätze bezogen sind. L. Reiners55 führt dafür einige charakteristische Beispiele an, etwa:

Wenn man vom Rosenhause über den Hügel, auf dem der große Kirschbaum steht, nordwärts geht, so kommt man in die Wiese, durch welche der Bach fließt, an dem mein Gastfreund jene Erlengewächse zieht, welche ihm das schöne Holz liefern, das er neben den anderen Hölzern zu seinen Schreinerarbeiten verwendet. (A. Stifter, »Nachsommer«)

Wir verdeutlichen uns dies in einer Strukturfolge, die nur Hauptund Nebensätze und ihre Grade in Indexzahlen symbolisiert (a = vordem Hauptsatz, b = danach):

Na 1 , Na 2 , Na 1 , H, Nb l , Nb 2 , Nb 3 , Nb 4

Man fühlt sich bei einer solchen mechanischen Anreihung nur allzu leicht anjenes Aufsagespiel erinnert, dessen Reiz in der ständig zunehmenden Verkettung abhängiger Attribute besteht (Das ist die Katze, die gefressen die Maus, die genagt hat usw.).

Der Gegentyp der »sinkenden« ist die steigende Periode. Hier wird die Satzspannung durch vorangestellte und eingeschobene Nebensätze bis zum Satzende verzögert und erst dann, zumeist durch Satzglieder in der Eindrucksstelle des Hauptsatzes, gelöst. Die einfachste Form dieser Periode besteht aus vorangestelltem Nebensatz und nachgestelltem Hauptsatz (NH):

Wer seiner Königin so nahesteht,

der sollte nichts Unglückliches vollbringen. (Schiller, »Maria Stuart«)

Die Funktion der »protasis« wird hier vom Nebensatz, die der »apodosis« vom Hauptsatz übernommen. Die Spannung dieser Periodenform auf das Ende hin erlaubt zahlreiche Variationen. Analog zur Hauptsatzreihung der »sinkenden Periode« wäre hier zunächst die Nebensatzreihung und -erweiterung aufzuführen, wie sie etwa der Brief Werthers vom 10. Mai enthält (vgl. S. 89 f.), oder das folgende Beispiel eines philosophischen Textes:

Indem das lebendige Individuum, das in seinem ersten Prozeß sich als Subjekt und Begriff in sich verhält, durch seinen zweiten seine äußerliche Objektivität sich assimiliert und so die reelle Bestimmtheit in sich setzt, so ist es nun an sich Gattung, substantielle Allgemeinheit.

(Hegel, »Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften«) Die Strukturform des Hegelsatzes lautet: Na1, Na2, Nal, H1.

In beiden Textbeispielen kommt es den Verfassern auf die Füllung der Eindrucksstellen des Hauptsatzes an, dessen Aussage im Text Goethes durch vorangestellte expressiv-situative Ausmalungen mit Hilfe von Temporal-

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sätzen, im Text Hegels durch gedankliche Beweisführungen mit Hilfe von Modalsätzen nachdrücklich unterstrichen werden soll. Die Beispiele dieses »schichtenden» Satzbaus56, seiner »Terrassendynamik« oder »Kopflastigkeit«57, sind allerdings nicht allzu häufig anzutreffen. Üblicher sind andere Formen der steigenden Periode: der »rahmende« und der »unterbrechende« Satzbau.53

Als rahmender Satzbau sei hier die Umklammerung eines Hauptsatzes durch Nebensätze bezeichnet, also die Form: N, H, N:

Als Robert noch zu den Verhören geschleppt wurde, hatte er von einem gehört, der fliehen wollte und draußen von der Wache erschossen wurde.

(H. Bienek, »Stimmen im Dunkel«) Dieser Periodentyp bildet gewissermaßen eine Zwischenform zwischen sinkender und steigender Periode, indem hier dem Hauptsatz noch weitere wichtige Angaben zugefügt sind, die das präpositionale Objekt ergänzen, aber noch die Satzspannung des Hauptsatzes weiterführen. Durch Verdopplungen und Reihungen kann dieser Typ noch weiter ergänzt werden.

Beim unterbrechenden oder entfaltenden Satzbau59 beginnt die Periode mit dem Hauptsatz, der jedoch bald durch Nebensätze unterbrochen, dann weitergeführt wird, den Satz beschließt oder erneut Nebensätzen weicht:

Diese Halle, die nur ein schmaler Durchgang mit dem Restaurant, der Küche und der Brauerei verbindet und die aus lustig buntbemaltem Holz in einem drolligen Stilgemisch aus Chinesisch und Renaissance erbaut ist, besitzt große Flügeltüren, die man bei gutem Wetter geöffnet halten kann, um den Atem der Bäume hereinzulassen, und faßt eine Menge Menschen.

Hier müßte die Strukturformel lauten (Gliedsatzwdh. durch Wiederholung der

Indexzahlen angedeutet): H1, N1+1, H1, N2, N3, H1.

Ein Meister des unterbrechenden Satzbaus ist Heinrich von Kleist. Ein Satz aus »Michael Kohlhaas« stehe hier für viele oft umfangreichere seiner Art:

Kaum hatte ich von diesem Standpunkt aus mit völliger Freiheit der Aussicht die Herrschaften und das Weib, das auf dem Schemel vor ihnen saß und etwas aufzukritzeln sshien, erblickt, da steht sie plötzlich, auf ihre Krücken gelehnt, indem sie sich im Volk umsieht, auf, faßt mich, der nie ein Wort mit ihr wechselte, noch ihrer Wissenschaft Zeit seines Lebens begehrte, ins Auge, drängt sich durch den ganzen dichten Auflauf der Menschen zu mir heran und spricht: »Da!..

Das Beispiel ist wie folgt strukturiert:

N1, N2, N1, H1, N3, N4, H1+1, N5+5, H1+1.

Die Anführungen des Hauptsatzes werden hier wiederholt durch Nebensätze unterbrochen, wodurch eine besondere Spannung entsteht. Wir können diese Art Satzgestaltung daher auch als spannenden Satzbau bezeichnen.

Die Möglichkeit der Einschaltung von weiteren Sätzen kann allerdings zu unübersichtlichen Satzbildungen ohne spürbare einheitliche Satzspannung führen, wie sie vor allem in den »Schachtelsätzen« häufig gegeben sind. Der Schachtelsatz wird von seinem Kritiker L. Reiners folgendermaßen erklärt: »Der Schreibende ist nicht imstande, jeden Gedanken erst zu Ende zu

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denken und zu schreiben; er fällt sich vielmehr selbst ins Wort, schreibt einen Einfall dazwischen und überläßt es dem Leser, alle angefangenen Gedanken im Kopfe zu behalten.«60

Die oft unübersichtliche Verknüpfung möglichst vieler Hauptund Nebengedanken in einem Satz, nach dem »ordo artificialis« sogar in denkoder erlebniswidriger Reihenfolge61, war besonders im 17. und 18. Jh. eine Modeerscheinung. Es hat allerdings auch im 19. und 20. Jh. noch zahlreiche Autoren gegeben, die sich in einem solchen »Schachtelstil« gefielen. Bei einigen beschränkt sich diese Neigung nur auf bestimmte Textsorten, bei anderen auf alle schriftlichen Äußerungen. So scheint der Dramatiker Friedrich Hebbel in seinen theoretischen Schriften oft keine anderen Satzzeichen als Kommata zu kennen, d.h. Häufungen von Perioden, vielleicht um seinen Überlegungen einen wissenschaftlich-problematisierenden Charakter zu geben, während er in seinen Dramen, wie in seinen Briefen, durchaus kurze und klare Aussagen bevorzugt.

Satzverbreiterungen kommen vor allem durch die Reihung mehrerer Sätze und Satzglieder, die Häufung von Appositionen, Relativsätzen und Inhaltssätzen zustande. Sie erst haben die längeren Satzgefüge in Verruf gebracht, so daß deren Vorzüge oft nicht mehr gesehen werden. Man vergißt dann die großartigen Möglichkeiten der Darstellung von Gedankengängen, der Hereinnahme von Umständen wie der Hervorhebung von Einzelheiten, die die maßvoll gestaltete Periode erlaubt, von der rhythmischen Wirkung ganz zu schweigen. Die neuere Stilistik macht allerdings auch deutlich, daß diese Großformen des Satzbaus nicht für alle Textsorten geeignet sind.

Die Redeformen als stilistische Gestaltungsweisen

Einen eigenen Bereich im Rahmen der Satzstilistik bilden die Formen der Wiedergabe menschlicher Rede. Neben die Oppositionen von »direkter« und »indirekter Rede«, die seit den Anfängen der Literatur bekannt und gebräuchlich sind, treten in neuerer Zeit die beiden Darstellungsformen des »inneren Monologs« und der »erlebten Rede«. Jede dieser Formen besitzt einen eigenen Stilwert, übt auf den Leser eine jeweils unterschiedliche Wirkung aus, so daß die Entscheidung für die eine oder andere Form für den Stil eines Textes von großer Bedeutung ist.

Inwieweit in einer Erzählung (seltener im nichtliterarischen Bericht) überhaupt Reden anderer oder der Hauptfigur mitgeteilt werden, hängt von den Möglichkeiten der Gattung wie vom Darstellungsstil des Autors ab. Die Einbeziehung von Gesprächen in einen erzählenden Text erfüllt eine zweifache Aufgabe: Der Text gewinnt durch Redewiedergaben an poetischer Glaubwürdigkeit und an Lebendigkeit. Die dichterische Fiktion wird erst dann vollständig, wenn der Autor die Gedanken und Gespräche der handelnden Personen in bestimmten Situationen vorführt, damit das Publikum

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an den dargestellten Vorgängen unmittelbar teilhaben kann. Zugleich ist es wichtig, daß die Figuren eines fiktiven Situationszusammenhangs in ihren Reden die vom Autor eingestreuten Angaben bestätigen und so die Geschlossenheit und Widerspruchslosigkeit einer solchen Darstellung bekräftigen. Der Grad der Lebendigkeit und Wirksamkeit eines Textes wird zu einem großen Teil durch die Art der Redewiedergabe bedingt. Die unmittelbare Form ist die wörtliche Rede. Durch die genaue Wiedergabe der Worte der einzelnen Sprecher wirkt sie besonders glaubwürdig und suggestiv. Inwieweit die geringere oder stärkere Vorliebe für wörtliche Reden in der Erzählliteratur auch von literarischen Strömungen und Gattungen abhängig ist, bedürfte noch genauer Erforschung. Die wörtliche Rede in der Form des Dialogs findet sich zwar schon in den ältesten Teilen (erinnert sei nur an die Epen Homers oder an das »Hildebrandslied«); doch scheinen Anteil und Funktionen der direkten Rede in den erzählenden Dichtungen der verschiedenen Zeiten zu schwanken. Sie sind zumindest weitgehend von der Sicht und Darstellungsweise des Erzählers wie von der Berücksichtigung menschlicher Begegnungen abhängig. Manche Erzähler schildern oft Begegnungen ihrer Helden mit anderen Menschen und deren Gespräche, andere wiederum sparen sie nur für bestimmte Handlungshöhepunkte auf. Für einige Autoren haben Gespräche einen mehr funktionalen Wert im Handlungsgeschehen, andere hingegen fügen sie ein, um damit zugleich eine bestimmte Atmosphäre zu vermitteln oder um die Personen un der Form von »Sprachporträts« zu charakterisieren. Besonders seit den Bemühungen um psychologische wie realistische Darstellungsweisen im 19. Jh. ist die Bedeutung des Dialogs, und damit der wörtlichen Rede, in der Erzählliteratur gewachsen.

Es gibt kaum einen anderen deutschen Schriftsteller, dessen Romane so stark vom Gespräch geprägt sind wie die Fontanes.62 Alle möglichen Formen des Dialogs sind hier vereinigt: Sprachportraits des preußischen Offizierkorps (vgl. S. 118) ebenso wie die Sprechweise der Berliner Kleinbürger und Dienstleute, Konversationsgerede der Neureichen ebenso wie Causerien des Adels. Wenn hierbei auch Milieuspiegelungen (oft mit sorgfältiger Differenzierung der Sprachschichten) und Zeitund Gesellschaftscharakterisierungen überwiegen, so blicken doch immer wieder die daraus erwachsenden menschlichen Probleme durch, die zur resignierenden oder gelassenen Bescheidung in die Verhältnisse führen, wie etwa in »Frau Jenny Treibel«, oder zur tragischen Verstrickung in überlebte Konversation, wie in »Effi Briest«:

»... Und wenn meinst du denn, daß es losgeht oder in die Zeitung kommt? Morgen?«

«Nein, liebe Schmolke, so schnell geht es nicht. Ich muß ihn doch erst sehen, und ihm einen Kuß geben...«

»Versteht sich, versteht sich. Eher geht es nicht ... «

»Und dann muß ich doch auch dem armen Leopold erst abschreiben. Er hat mir ja erst heute wieder versichert, daß er für mich leben und sterben will ...«

»Ach Jott, der arme Mensch.«

»Am Ende ist er auch ganz froh ... «

»Möglich ist es.« (»Frau Jenny Treibel«) 152

Thomas Mann ist ebenfalls ein Virtuose des literarischen Dialogs, wenn auch daneben die auktoriale Autorreflexion, die bei Fontane zurücktritt, eine große Rolle spielt. Es gibt in seinen Romanen eine Reihe von Gesprächen, die von grundsätzlicher Bedeutung für die jeweiligen Werke sind. Erinnert sei an die zwischen Naphta und Settembrini im »Zauberberg« oder an das Gespräch zwischen Leverkühn und dem Teufel in »Doktor Faustus«. Die entscheidenden Peripetien erfolgen jedoch fast nur in Monologen oder monologartigen Reflexionen: Thomas Buddenbrooks Wendung zu Schopenhauers Philosophie oder Hans Castorps Schneevision, und selbst Leverkühn überliefert seinen Dialog mit dem Teufel in eigener Niederschrift.

Als Textbeispiel sei hingegen eine andere Art der wörtlichen Rede bei Thomas Mann angeführt, die leitmotivisch verwendete ironische Sprachcharakteristik, die bestimmten Personen wiederholt die gleichen Zitate in den Mund legt, z.B. die stets gleichen Anordnungen des Doktor Grabow in den »Buddenbrooks«:

»Strenge Diät, wie gesagt, – Frau Konsulin? Ein wenig Taube, – ein wenig Franzbrot ... «

Die wörtliche Rede ist die durchgehende Redeweise in allen dramatischen Dichtungen. Sie gelangt erst durch den Vortrag zu voller Wirksamkeit. Erst so wird deutlich, in welchem Ton die Sätze gesprochen werden und wie Rede und Gegenrede einander folgen. Die in Erzählungen eingefügte wörtliche Rede kann dies nur durch zusätzliche Erläuterungen andeuten. Auch hierbei sind stilistische Variationen möglich, nicht nur im Hinblick auf die Stellung der Redecharakterisierung (vor-, zwischenoder nachgestellt), sondern auch in der Art der verwendeten Wörter und im Anteil zugefügter Redecharakterisierungen überhaupt. Es stehen in neuerer Zeit zahlreiche Verben für derartige Redeeinleitungen zur Verfügung: sagen (sprechen), erwidern, entgegnen, antworten, wiederholen, betonen, hervorheben, versetzen, einwerfen, bemerken, zustimmen, meinen, erklären, schreien, rufen, flüstern, beteuern, anheben, fragen, sich erkundigen, bitten usw., die von den einzelnen Autoren unterschiedlich genutzt werden. Manche Autoren beachten auch hier das Prinzip der Variation, andere legen darauf weniger Wert und verwenden wiederholt die gleiche Redeeinleitung. So bevorzugt Goethe in den »Wahlverwandtschaften« das Verb versetzen (= antworten).

»Niemals«, versetzte der Architekt, »niemals! Ihnen wäre es unmöglich: Das Schreckliche ist mit Ihnen geboren.«

«Auf alle Fälle«, versetzte Ottilie, »wäre es nicht übel, wenn man ... einschöbe, wie man sich in Kunstsammlungen und Mussen zu betragen habe.«

»Gewiß«, versetzte der Architekt, »würden alsdann ..

(Goethe, »Die Wahlverwandtschaften«) Manin Walser wiederholt dagegen (wie einige neuere Autoren) sehr häufig das Verb »sagen« als Redekennzeichnung:

»Susanne war auch im Krankenhaus«, sagte er. »Aber nur drei Wochen«, sagte sie rasch. »Ach«, sagte ich.

»Und Sie?«

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»Elf«, sagte ich. Sagte es aber so, als sei das nicht der Rede wert. »Ich danke für Obst und Südfrüchte«, sagte sie.

»Oh, ich finde das Krankenhaus gar nicht so übel«, sagte ich. (M. Walser, »Halbzeit«)

Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob in solchen Fällen eine stilistische Nachlässigkeit oder bewußte Wiederholung vorliegt (etwa um das Konventionelle dieser Konversation zu entlarven) oder ob diesen redesituierenden Verben keine semantische Differenzierungsfunktion mehr zukommt, sondern nur die redeanzeigende, wie neuerdings in einer Diskussion behauptet wurde.63 Als Stilmittel der ironischen Charakterisierung verwendet z.B. Kleist die häufige Wiederholung der Redekennzeichnung im »Zerbrochenen Krug«:

Ruprecht:

... Da sagt’ ich: willst du? Und sie sagte: ach!

 

Was du da gakelst. – Und nachher sagt’ sie, ja.

Adam:

Bleib Er bei seiner Sache. Gakeln! Was!

 

Ich sagte, willst du? Und sie sagte, ja...

Ruprecht:

... Da sagt ich: Vater, hört Er? Laß Er mich.

 

Wir schwatzen noch am Fenster was zusammen.

 

Na, sagt er, lauf; bleibst du auch draußen, sagt er?

 

Ja, meiner See1, sag ich, das ist geschworen.

 

Na, sagt er, lauf, um elfe bist du hier.

Adam:

Na, so sag du, und gakle, und kein Ende.

 

Na, hat er bald sich ausgesagt?

Ruprecht:

Na, sag ich,

 

Das ist ein Wort, und setz die Mütze auf, ...

Das Beispiel verweist darauf, daß die (häufig redundanten) Verben der »Redeeinkleidung«64 besonders in volkstümlichen Erzählformen (Gesprächen, Märchen u.ä.) begegnen.

Eine stilistisch angenehmere Abwandlung der Redesituierung besteht in der Ersetzung der verba dicendi durch die Charakterisierung der Gesten, die mit dem Sprechvorgang verbunden sind:

Jemand lachte: »Bist du ruhig, du Frosch!«

Jetzt schlug der Mann den Rock zurück und zeigte die Messingmarke. »Ich warne Sie vor einer Beamtenbeleidigung

(L. Frank, »Das Ochsenfurter Männerquartett«)

»Ach, du Herrgottchen«, seufzt der Unteroffizier ...

»Ha, da stört man bloß«, blinzelt der Unteroffizier heiter ...

(A. Zweig, »Der Streit um den Sergeanten Grischa«)

Manche dieser Verben haben allmählich ihre ursprüngliche Bedeutung verloren und sind zu metaphorischen Verba dicendi geworden, z.B.: versetzen, anheben, einwerfen.

Eine andere Variante der Redeeinleitung besteht in der bloßen Nennung der Sprecher bei gleichzeitiger Auslassung des Verbs, besonders bei erregten Dialogen:

Das Mädel: »Wenn du deiner raussteckts, nicht.« Zwei rufen: »Geloofen is sie.«

Der grüne Junge ärgerlich: »Na, wat is denn nu los?« (A. Döblin, »Berlin Alexanderplatz«)

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