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Deutsche_Stilistik

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Untersuchung: Erörterung und Begriffserklärung erscheinen neben Beschreibung und Erläuterung als Teilformen im größerer Texttyp der Untersuchungen, wie sie vor allem im wissenschaftlichen Bereich, in Aufsatzoder Buchform üblich sind. Hier wird jedoch der Idealtypus der einfachen Textformen als Stilform überschritten. Zur Kombination der Strukturen der integrierten Textformen tritt die Vereinigung der darin üblichen Stilmittel. Dem wissenschaftlichen oder dokumentarischen Charakter entspricht die Beschränkung auf Aussagesätze, zumeist als Satzgefüge, und auf ein starkes Hervortreten der Fachterminologien.

Schildernde Texte

Die literarisch bekannteste Textgruppe bilden die schildernden Texte. Wir verstehen darunter die Texte, in denen es um die gefühlsgeprägte Darstellung bestimmter Handlungen oder Gegebenheiten (z.B. Landschaften, Situationen, Gegenstände) geht. Durch den Verzicht auf unpersönliche Sachlichkeit und zusammenfassende Darstellungen und durch die Betonung des Erlebnishaften und Ereignishaften unterscheiden sich die schildernden von berichtenden oder beschreibenden Texten. Schilderungen sind sowohl bei persönlichen Erlebnisdarstellungen wie bei literarischen (fiktiven) Erzählformen üblich. Im Sprachstil bestehen dabei keine bemerkenswerten Unterschiede, im Darstellungsstil folgen literarische Erzähltexte oft bestimmten Gattungsnormen, Aufbauprinzipien und künstlerischen Gestaltungsformen. Alle Schilderungen bevorzugen kürzere Sätze, parataktischen Satzbau, einen möglichst konkreten Wortschatz, ausdruckskräftige Verben, Belebungen durch wörtliche Reden und mitunter auch szenisches oder historisches Präsens. Haupttempus ist (außer bei Reportagen) das Präteritum.28

Erlebniserzählung: Die Erlebniserzählung findet sich als Geschehensschilderung in der Ich-Form in Schulaufsätzen wie in literarischen Texten, wo sie als selbständiger Text oder neben anderen Darstellungsformen (Bericht, Beschreibung, Reflexion) erscheinen kann. Neben Wörtern des persönlichen Erlebens dominieren hier Umstandsangaben zur Charakterisierung der Erlebniswelt. Wortwahl und Satzbau sind oft von der dargestellten Erlebnisperspektive und dem Weltbild und Sprachausdruck des vorgegebenen Erzählers abhängig. Darstellungsstil und Sprachstil bedingen hier einander. Der Ausmalung der ErzählspannunS dienen Adverbien, Ausrufe, wörtliche Reden sowie Darstellungen im szenischen Präsens, besonders bei Höhepunkten der Erlebnisschilderung.

Tagebuch: Eine literarische Sonderform der Erlebniserzählung bilden tagebuchartigc Aufzeichnungen, in denen ein Ich-Erzähler schildernd und reflektierend das eigene Erleben bestimmter Zeitabschnitte festhält. Dem monologischen Reflexionscharakter entsprechend, dominieren rationale Ausdrucksweisen, verbunden mit Empfindungen, ohne daß dabei die Stilformen des Essays oder der Erörterung erreicht werden. Die Verbindung von Rückblick, Besinnung und Ausblick wird im Wechsel der Tempora sichtbar.

Nacherzählung und Geschehensschilderung: Von der Erlebnis-

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erzählung in der 1. Person unterscheiden sich die Nacherzählungen und die Geschehensschilderung als Darstellungen der Erlebnisse anderer Personen, die nicht mit dem Erzähler identisch sind.29 Die Wiedergabe dieser Inhalte erfolgt in der dritten Person. Der Nacherzählung als Reproduktion eines fremden Testes sind die gleichen Stilmerkmale wie der Erlebniserzählung eigen. Lediglich textliche Verkürzungen und Anpassungen an den Individualstil des Nacherzählers heben die Nacherzählung vom Original ab.

Die literarische Geschehensschilderung kann stärker auktorial, d.h. durch Hinweise oder Wertungen der Erzählers, oder stärker personal, d.h. erzählerneutral, abgefaßt sein.

Die Typologie der schildernden Geschehniserzählungen ist recht umfangreich. Hier können kurze berichtartige Erzählungen in der Art der Tierfabel oder der Anekdote ebenso einzureihen wie die Großform der Novelle oder des Romans, die allerdings häufig Kombinationen aus unterschiedlichen Stilformen bilden. Die Charakterisierung dieser Textsorten ist Aufgabe der literaturwissenschaftlichen Gattungsforschung. Neben den gemeinsamen erzählerischen Stilmitteln treten hier oft die stilistischen Eigenheiten der verschiedenen Textsorten hervor, die durch den Individualstil, den Gattungsstil oder den Epochenstil bedingt sind und Typologisierungen erschweren. Selbst fast normative Stilmittel des Erzählens, wie z.B. das Präteritum als Erzähltempus, können im einzelnen zugunsten anderer Stilmittel (z.B. des Präsens) aufgegeben werden. Grundsätzlich gemeinsam ist allerdings allen Erzählformen die Bindung an ein Geschehen, das in seinem Ablauf oder seinen Ergebnissen mehr oder weniger detailliert dargestellt wird.

Naturschilderung und Gegenstandsschilderung: Sucht die Geschehniserzählung eine Abfolge von Ereignissen lebendig darzustellen, so bemühen sich andere Schilderungen, einzelne Phänomene der Wirklichkeit in ihrer Eindruckskraft erzählerisch zu fassen. Gegenstand solcher Einzelschilderungen können Bilder, Landschaften, Situationen oder Einzeldinge sein, die nicht mehr in distanzierter Sicht beschrieben, sondern aufgrund ihrer Wirkung auf den von ihnen »betroffenen« Autor als Erlebnis erzählt werden.30 Die Wiedergabe kann sowohl in der 1. Person (als Aurorerlebnis) als auch in der 3. Person (als Personenerlebnis) erfolgen; ebenso kann sie im erzählenden Präsens oder im mehr erinnernden Präteritum stehen. Die Darstellung orientiert hier weniger über die Beschaffenheit (Form, Aussehen, Qualität) der Einzeldinge als über die persönliche Einschätzung dieser Phänomene durch den Betrachter. Dabei wahrt die Schilderung die Stilmittel der Erzählung, verzichtet jedoch auf Elemente der Spannungssteigerung (temporale Adverbien, Wechsel ins szenische Präsens).

Mit der Schilderung werden mitunter Reflexionen (Vermutungen, Erinnerungen) verbunden, die von den geschilderten Erscheinungen ausgelöst wurden und besondere Stilmittel verlangen (rhetorische Fragen, Futur, Plusquamperfekt). Nicht alle Phänomene zeitigen eine solche Wirkung; meistens handelt es sich um besonders alte oder charakteristische Gegenstände.

Die Kunsterziehungsbewegung der ersten Jahrzehnte unseres Jhs. hatte in ihren Bemühungen um die Förderung musischer Impulse in den Schülern

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solche Schilderungen als Textformen bevorzugt, z.B. das thematisierte Stimmungsbild (wie »Sommerabend am Fluß«).31 Nicht selten führten jedoch derartige Themenstellungen, die eine besondere Sensibilität und Ausdruckskraft voraussetzen, zur Überforderung der Schüler.32

Wesentliches Kennzeichen dieser Art der Schilderung ist die Wiedergabe des einheitlichen Stimmungseindrucks. Hierzu tragen charakteristische Adjektive, Vergleiche, Bilder sowie treffende Verben im Präsens (bei Erzählungen u.ä. im Präteritum) bei.

Reportage: Gegenüber der gefühlvollen Stimmungsund Eindrucksschilderung bleibt die journalistische Gebrauchsform der Reportage als persönliche Schilderung gleichzeitig ablaufender Geschehnisse objektiver, da sie weniger Empfindungen als vielmehr von allen erlebbare Vorgänge sprachlich darstellen soll. Besonders in der Form der Rundfunkreportage hat diese Textform Bedeutung gewonnen, bildet doch hier das Wort die einzige Möglichkeit der Wirklichkeitserfassung durch den Hörer. Charakteristische Stilmittel zur Erreichung der Unmittelbarkeit des Ausdrucks sind das schildernde Präsens, häufige »Zeigewörter« (Adverbien, Pronomina), kollektivierende Personalpronomina (»wir«, »unser«), kurze Sätze, oft nur einzelne nominale Wendungen.

Eine Sonderform dieser Schilderungen stellt die Sportreportage dar, insofern hier (vor allem in der Fußballreportage) besondere metaphorische Redewendungen und Fachwörter üblich sind.33

Mischformen

Neben diesen Stilformen gibt es eine Reihe von Textsorten, die durch Kombinationen von mehreren der hier genannten Darstellungsweisen bestimmt sind. Mischformen finden sich beispielsweise in Presseberichten, Kommentaren, Reportagen, Werbetexten, Abhandlungen u.ä. Allerdings lassen sich nur bestimmte Darstellungsweisen miteinander kombinieren. Mischungen von bindenden und schildernden Texten sind ebenso unwahrscheinlich wie etwa Mischformen aus fachlichen Erörterungen und ansprechenden Texten. Kombinationen aus berichtenden und erörternden oder schildernden und beschreibenden Texten o.ä. sind dagegen nicht selten. Besonders größere Prosadichtungen (Romane, Novellen u.dgl.) sind in diesem Sinne als Mischformen anzusehen.34 Hier werden häufig Berichte, Schilderungen und Beschreibungen miteinander verbunden. Zuweilen werden auch Autoroder Personenreflexionen, Fragen usw. eingefügt. Derartige Verknüpfungen und Einfügungen widersprechen nicht dem Prinzip der Stileinheit, wenn sie sich organisch aus dem inhaltlichen Textzusammenhang ergeben und der gewählten Erzählhaltung und Darstellungsweise entsprechen. Die Art der Einbeziehung, die Verbindung und der Anteil der integrierten Darstellungsweisen eines Textes können als weitere konstitutive Kriterien der Stilbeschreibung eines Textes angesehen werden. Die Beschreibung des Sprachstils geht dabei notwendigerweise in die des Darstellungsstils über.

Bei erzählenden Texten erscheinen z.B. Beschreibungen oft als längere oder

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kürzere Einschübe nach einem Ortsoder Szenenwechsel. Berichte dienen zur Handlungsraffung. Schilderungen (Handlungs-, Erlebnisund Personenschilderungen) stehen dagegen im retardierenden oder neueinsetzenden (spannungssteigernden) Handlungsverlauf. Die stärker berichtende Darstellung faßt dann zumeist mehrere Informationen zusammen, ermöglicht größere Überblicke im Erzählen und wird deshalb als panoramatisches Erzählen gekennzeichnet; die stärker ausmalende Schilderung, die mehr der dramatischen Szenenbildung ähnelt, dagegen als szenisches (mimetisches) Erzählen.35 Während im »panoramatischen« Erzählen Stilmittel des Berichts (Präteritum, adverbiale Angaben, längere Sätze, 3. Person u.ä.) sowie innovative Texterweiterungen überwiegen, häufen sich im »szenischen« Erzählen Stilmittel der Schilderungen (z.B. Präteritum/Präsens, Einzeldarstellungen, wörtliche Reden) sowie expansive (rekurrente) neben innovativen Texterweiterungen. Der Anteil beider Erzählweisen ist in den einzelnen Individualstilen wie in den Textpartien recht verschieden. Die Stilbeschreibung wird hier die Ergebnisse der Textanalyse und Interpretation mit den Angaben über Stoff, Fabel, Darstellungsabsicht und Stilgestaltung berücksichtigen müssen. Die Stilistik beweist darin ihre Zwischenstellung zwischen Sprachwissenschaft und Literaturwissenschaft.

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Stillehre, Stilpflege, Stilkritik, Stilanalyse und Stilinterpretation

Aufgabenstellung und Methodenentwicklung stehen in engem Zusammenhang mit der jeweiligen Auffassung des Forschungsgegenstandes. In der Stilistik ist dies nicht anders als in anderen Wissenschaften. Den verschiedenen Stilauffassungen entsprechen verschiedenen Ziele und Arbeitsweisen der Stilistik. Wir müssen uns hier mit einigen Hinweisen auf die entsprechenden Verhältnisse in der Stillehre, Stilpflege, Stilkritik und Stilanalyse begnügen.

Stillehre

Voraussetzung und Ausgagspunkt jeder Stillehre ist die Auffassung, daß der Sprachstil lehrbar sei. Dieser Standpunkt liegt mehr oder weniger allen stilistischen Anweisungen zugrunde, von den ersten Rhetorenschulen der griechischen Sophisten bis zur Aufsatzund Stillehre der Gegenwart; nur von Vertretern einer personalen Stilauffassung, die das Künstlerisch-Geniale des Stils hervorhebt, wird er gelegentlich in Frage gestellt. Allerdings ist hier zu differenzieren zwischen dem erlernbaren Wissen von den stilistischen Mitteln und Möglichkeiten und der Fähigkeit zu einem guten Audruck des einzelnen Sprechers zu. Das Wissen um die stilistischen Mittel und Möglichkeiten kann auf bestimmten Stufen die Entwicklung eines sachgemäßen wie persönlichen Ausdrucks fördern, ist jedoch – vor allem in der Stilentwicklung des Kindes und Jugendlichen – keine unabdingbare Voraussetzung für diesen Prozeß.

Drei Faktoren, die den Stil jedes Textes mehr oder weniger prägen, spielen dagegen in der Stillehre eine wichtige Rolle: der Bezug auf den Redegegenstand, auf den Redepartner und auf den Sprecher. Der Bezug auf den Redegegenstand, die Berücksichtigung des Redeinhalts und Redezwecks, die wir der antiken Rhetorik und in der Gattungsstilistik hervorgehoben und findet nun in der funktionalen Stilistik besondere Betrachtung. Der Bezug auf den intentional oder fiktiv angesprochenen Redepartner verlangt die Berücksichtigung aller kommunikativen Aspekte in der Textgestaltung. Er äußert sich nicht nur in partnerbezogenen oder partnerfernen Anredeund Darstellungsformen, sondern auch in der Erzählhaltung, in der Klarheit, Folgerich-

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tigkeit und Anschaulichkeit des Textes, dessen Wirksamkeit dadurch entscheidend bestimmt ist. Der Bezug auf den Sprecher wird vor allem in der Ausprägung des Individualstils (Personalstils) sichtbar, durch den sich der Ausdruck des einen Sprechers in nichtnormierten Texten vom Ausdruck anderer Sprecher abhebt. Zweifellos wird der Individualstil auch von den übrigen Faktoren mitbestimmt. Die Vielfalt der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten erlaubt es jedoch, sich so oder anders zu äußern.

In der Entwicklungsgeschichte der Stillehre waren die Akzente nicht zu allen Zeiten gleichmäßig auf alle drei Faktoren verlagert. Die rhetorische Ausdruckslehre der Antike rückte zunächst die Wirkung der Rede auf das Publikum, auf das es ja in den Volksund Gerichtsversammlungen besonders ankam, in den Vordergrund. Mit der Entwicklung und normativen Verwendung bestimmter Stilmittel in bestimmten Redeformen gewann der Bezug auf Gattungen und Textsorten stärkere Geltung und behielt sie bis ins 18. Jh., wo sich, zumindest im Bereich der Dichtung und des persönlichen Briefes, mit der Ablösung der Regelpoetik durch die Erlebnispoetik das Ideal des Individualstils durchsetzte.

In der Aufsatzlehre als Lehre und Übung der Stilformen vollzogen sich ähnliche Wandlungen. Hier blieb allerdings die rhetorische Auffassung des Stils, die im Schulaufsatz die Nachahmung vorbildlicher Muster betonte, länger wirksam, bis sie durch eine stärkere Gattungsbindung ergänzt und verdrängt wurde. Durch die pädagogischen Reformbestrebungen der ersten Jahrzehnte des 20. Jhs. setzte sich dann die Vorstellung vom individuellen Sprachstil im Schulaufsatz stärker durch; dieser geriet aber in die Gefahr, die Sachbindung im »freien« und »spachschaffenden« Aufsatz zu verlieren. Die schulische Aufsatzlehre der Gegenwart sucht deshalb die Sachund Gattungsbindung der Aufsätze mit der Förderung des individuellen Ausdrucks zu verbinden. H. Helmers kennzeichnet diese Entwicklung als Epochen der Imitation, der Reproduktion und der Produktion.1

Die bisher genannten Bezüge und die Arbeitsweisen der Aufsatzlehre verdienen auch vom einzelnen Sprecher, der einen besseren Sprachstil anstrebt, beachtet zu werden. Insbesondere gilt dies für die Funktion des Textes und die stilistischen Anforderungen, die durch die jeweilige Textsorte gestellt werden. Die Berücksichtigung des Partnerbezuges veranlaßt hingegen oft erst die entscheidenden testlichen Prägungen. Imitative Arbeitsweisen der Textund Stilgestaltung an Hand von Vorlagen und Musterbüchern (z.B. Briefstellern für Geschäftsbriefe) sind noch heute für einige Textsorten (z.B. Briefe, Gesetze) üblich. Sie tragen allerdings dazu bei, daß ältere Ausdrucksweisen länger als angemessen tradiert werden und so die Gefälligkeit und Verstehbarkeit der Texte beeinträchtigen (z.B. im »Behördendeutsch«). Hier sollte die Besinnung auf einen natürlicheren, kommunikativ und sachlich angemessenen Ausdruck korrigierend wirken. Textmuster sollten also Anregungen zur eigenen Textgestaltung bieten und nicht kopiert werden.

Die »freie« Textgestaltung muß zum planlos assoziierenden Sprachausdruck führen, wenn man darunter die Lösung von jeder Gegenstandsund Partnerbindung, also ein ungezwungenes »Drauflosschreiben«, versteht. Die Initia300

toren dieser Aufsatzlehre hatten dies wohl kaum im Sinn, vielmehr nur den Verzicht auf einengende Schreibregeln und Textmuster; sie erstrebten die Forderung des erlebniserfüllten Ausdrucks. An die Stelle der Musterund Gegenstandsbindung tritt nun die Anknüpfung an die erlebnisstarke Situation. Daß diese ein wichtiger Antrieb für alle Sprachäußerungen und Stilgestaltungen ist, besonders bei den imaginativ sensibleren Kindern, wird man kaum bestreiten können.

Die situative Bindung der Stilaufgaben sollte jedoch nicht bei der Förderung der Sprecherleistung verweilen, sondern auch den Partnerund Gegenstandsbezug der Texte berücksichtigen. Anzustreben ist eine ausgewogene Synthese zwischen den Anforderungen der drei Relationen an die Testgestaltung. Eine Berücksichtigung der verschiedenen Textsorten in der schulischen Aufsatzlehre sucht dem gerecht zu werden.

Ziel der didaktischen Stillehre muß es dabei sein, den Sprecher dazu anzuleiten, sich nicht nur sprachlich richtig, sondern auch stilistisch passend (d.h. zweckund partnerbezogen) auszudrücken, »die Fülle der Ausdrucksmöglichkeiten zu erkennen und die verschiedenen Stilmittel in angemessener Weise verwenden zu lernen«2.

Stilregeln und ihre Gültigkeit

Die verschiedenen Stillehren bringen eine Reihe von Stilregeln und entwickeln so eine normative Stilistik. Diese Regeln beziehen sich sowohl auf Stilfehler wie auf Stilprinzipien und Stilmittel. L. Reiners hat z.B. durch 20 Stilverbote und 20 Stilregeln einen »sicheren Weg zum guten Deutsch« aufzuzeigen gesucht; 20 »Stilratschläge« sollen anschließend »vom guten zum wirkungsvollen Stil führen«.3 In diesen 60 Hinweisen kehren die wichtigsten Punkte aller gängigen Stillehren wieder. Es zeigt sich allerdings bei näherer Betrachtung, daß solche Stilregeln nicht verallgemeinert werden dürfen, sondern in ihrer Gültigkeit funktional und historisch (sprachgeschichtlich wie gattungsmäßig) festgelegt sind. Die »Stilverböte« bei Reiners beziehen sich z.B. meistens auf die unpassende und stilistisch unschöne Verwendung älterer Ausdrucksweisen (wie etwa den Gebrauch von »derselbe«), den »Satzdreh nach und« (vgl. S. 118), die kommumkative Verwendung des flektierten Adjektivs in prädikativer Stellung (Die deutsche Sprache ist eine schwierige, vgl. S. 106ff.), auf Fehler in der Folgerichtigkeit (z.B. falsche relative Anschlüsse, Verwechslungen von Grund und Folge in um-zu- Sätzen, Verwechslungen von das und was im Relativsatz, falsche Adjektivzuordnungen [z.B. der gedörrte Obsthändler], ungewöhnliche Partizipien) und auf Unvollständigkeiten oder Nachlässigkeiten in der Syntax sowie der Satzbedeutung (z.B. ungeschickte Satzklammern).

Die geringere Differenzierung dieser Stillehren wird vor allem in den »Stilregeln« sichtbar, wenn hier etwa die »Hauptwörterei« (Substantivierungen), die Streckverben und »Wortketten«, das »Fremdwort«, die »Modewörter«, der »Stopfstil«, »Schreistil« und »flaue Stil« sowie längere Sätze verurteilt

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werden, ohne daß dabei jeweils nach der funktionalen Berechtigung und den unterschiedlichen Anwendungsweisen gefragt wird. Hinweise auf das »treffende Wort« bei der Wortwahl und die Wahl der richtigen Stilschicht bleiben dann ebenso wie die Forderungen nach Lebendigkeit und Anschaulichkeit in den »Stilratschlägen« beziehungslos. Was hier für L. Reiners’ »Stilfibel« gesagt ist, gilt ebenso für alle anderen »Stillehren«. So verdienstvoll derartige »Ratgeber« auch sind, sie können mitunter zum Reglement einer freien und lebendigen Stilentwicklung werden, wenn – ähnlich der Entwicklung in der Grammatik – die festgestellten Normen nicht mehr der sprachlichen Wirklichkeit entsprechen.4

Stilpflege

Die hier aufgezeigten Grenzen und Schwächen der Regelstilistik entbinden uns nicht von der Pflicht zur kritischen Stilpflege. Nur der angemessene Gebrauch der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten und Stilmittel gewährleistet eine zureichende Kommunikation zwischen den Menschen und damit sinnvolles Zusammenleben. Auf dreifache Weise ist dieser soziale Sprachgebrauch heute gefährdet: 1. durch Verflachung des Ausdrucks zur Formelhaftigkeit, 2. durch die zunehmende Isolierung und Verselbständigung von »Sonderbereichen« der Sprache (Sondersprachen) und 3. durch die Zunahme der Manipulation des menschlichen Handelns durch sprachliche Ausdrucksmittel (z. B. in Politik und Wirtschaftswerbung).5 Die Neigung zur geringen Ausdrucksdifferenzierung und sprachlichen Formelhaftigkeit, häufig durch sprachliches Unvermögen oder stilistische Bequemlichkeit beding, kann dabei mit der Ausprägung und Dominanz von fachspezifischen oder soziologisch bedingten Gruppensprachen zusammenhängen, die jeweils einen eingeschränkten (restringierten) sprachlichen Code an die Stelle von semantisch und grammatisch reicheren Ausdrucksweisen setzen. Während diesen Tendenzen durch ausdrucksdifferenzierende Stilübungen begegnet werden kann, erfordert die Gefahr der Manipulation durch Sprache eine verbesserte und verstärkte Stilbetrachtung in den Schulen und Massemnedien und eine verantwortungsbewußte Sprachverwendung im öffentlichen Leben. Die verschiedenen Institutionen der Sprachpflege in den deutschsprachigen Ländern (z.B. die Gesellschaft für deutsche Sprache, Wiesbaden) unterstützen diese Bestrebungen durch Publikationen und Ratschläge zur Sprachverwendung (z.B. für Behörden u.ä.).

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Stilkritik

Stilpflege betreibt jeder, der sich in Vortrag und Schrift um einen vorbildlichen und angemessenen Ausdruck bemüht, der Redner und Prediger ebenso wie der Journalist oder Schriftsteller. Neben die Stilpflege tritt die Stilkritik als besondere Form der Stilbetrachtung. Auch Stilkritik wird von vielen geübt – vom Lehrer, der die Aufsätze seiner Schüler auf ihre gedankliche, sprachliche und stilistische Richtigkeit und Angemessenheit überprüft, ebenso wie vom Zeitungsund Rundfunkredakteur oder Verlagslektor, der das Manuskript eines Autors durchsieht und dabei Verbesserungen anregt. Auf sprachkritische Beobachtungen zu Modewörtern u.dgl. wurde bereits an anderer Stelle hingewiesen. Eine besondere stilkritische Aufgabe kommt schließlich den Literaturkritikern zu, die Neuerscheinungen von Büchern rezensieren und dabei besonders auf das Verhältnis von Darstellungsabsicht und Darstellungsund Sprachstil achten.6 Sofern es sich dabei um sprachkünstlerische Werke handelt, verbinden sich Aspekte der sprachlichen mit der literarischen Kritik. Stilzüge und Stilmittel eines Werkes werden hier nach der künstlerischen wie kommunikativen Angemessenheit und Individualität befragt und in die Deutung der Einheit von Gehalt und Gestalt ein-bezogen, Stilbrüche und stilistische Nachlässigkeit als künstlerische Schwächen betrachtet und kritisiert. Derartige Stilkritiken setzen die Vertrautheit mit den Methoden der wissenschaftlichen Stilanalyse voraus, der wir uns abschließend zuwenden wollen.

Stilanalyse und Stilinterpretation

Wichtigste Aufgabe der wissenschaftlichen Stilistik ist neben der Ermittlung der stilistischen Mittel und Möglichkeiten die Stilbeschreibung vorhandener Texte in der Form von Stilanalysen und Stilinterpretationen. Diese sind nach den unterschiedlichen Stilauffassungen jeweils verschieden gehandhabt worden. In der Tradition der Rhetorik kam es darauf an, die verwendeten rhetorischen Figuren und Tropen, gelegentlich auch deren Stellenwert und Funktion festzustellen.7 In ähnlicher Weise verfährt auch die statistische Stilistik, die ihre Meßwerte maschinell ermittelt und anschließend nach der jeweiligen Fragestellung qualitativ interpretiert.8 Die funktionale Stilistik sucht dagegen die konstituitiven Stilmerkmale und Stiltendenzen der Funktionsstile an Hand von Textanalysen der einzelnen Stilgruppen festzulegen.9 Von den Methoden der psychologisch orientierten Stilrorschung ist die L. Spitzers stärker bekannt geworden.10 Spitzer, der sein Verführen sowohl auf dichterische Texte als auch auf Werbetexte11 ausdehnte, untersucht vor allem die ungewöhnlichen Sprachbilder, die ihm beim unvoreingenommenen Lesen auf-

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fallen, auf ihren psychologischen Hintergrund und bezieht dann die übrigen Stilistika in diese Betrachtung ein.

Ähnlichkeiten mit dieser Methode besitzt die stärker behaviouristische und exzeptionale Stilanalyse M. Riffaterres, die an Anlehnung an die Untersuchungen J. Mukařovskýs allein auf die sprachlichen Hervorhebungen mit Hilfe von unerwarteten Stilmitteln in poetischen Texten gerichtet ist und diese Hervorhebungen und ihren Eindruckswert durch Befragungen verschiedener »Versuchspersonen« über ihren Texteindruck zu ermitteln sucht.12 Ebenfalls auf die Stilgestaltung poetischer Texte ist die Stilbetrachtung der »werkimmanenten Interpretation« ausgerichtet. Der Interpretationsansatz wird hier von dem bekanntesten Vertreter dieser Richtung, E. Staiger13, vor allem durch die Wirkung des Textes und damit auch seiner Stilmittel auf den unbefangenen, allerdings besonders sensibilisierten Hörer oder Leser, den Interpreten nämlich, begründet. Stil und Stilmittel werden dabei nicht isoliert von den übrigen Wirkungskomponenten erfaßt, sondern als Teil eines »in sich geschlossenen sprachlichen Gefüges«14, dessen Ganzheit durchsichtig gemacht werden soll. Die Stilanalyse und -interpretation wird so zum Bestandteil der literarischen Werkinterpretation.

Sieht man, wie wir es bisher getan haben, von der Festlegung des Stilbegriffs auf literatische Texte ab und erfaßt den Stil als die charakteristische, auf Auswahl unter den synonymen Ausdrucksmöglichkeitcn beruhende Sprachform, so rückt zunächst die Beschreibung der Eigenart des Textes, wie sie durch die bisher aufgezeigten Stilmittel bestimmt wird, in den Vordergrund.15 Die Kennzeichnung des zu untersuchenden Textes nach der Art, Länge und Struktur der Sätze, der bevorzugten Form der grammatisch-syntaktischen Mittel (Satzbaupläne, Satzformen, Verbformen, Tempora und Modi, Worttypen und Wortarten usw.), nach Klang, Rhythmus und Textgliederung, nach Lexik, Bilderwahl und stilistischen Figuren führt zu einer nahezu vollständigen Charakterisierung der jeweiligen Sprachverwendung, Dieser umfangreichen Analyse der stilistischen Mittel werden die Schritte der stilistischen Synthese angeschlossen, die in der Kennzeichnung der Stilwerte und vor allem der Stilzüge bestehen und schließlich zur Interpretation des Verhältnisses zwischen Darstellungsabsicht, inhaltlicher Aussage (Gehalt) und stilistischer Form führen. Spätestens auf dieser Stufe muß die inhaltliche oder gehaltliche Deutung des Textes in die Stiluntersuchung einbezogen werden16, wenn diese nicht bloße Inventarbeschreibung der sprachlich-stilistischen Mittel bleiben soll.

Die hier skizzierte Methode der Stiluntersuchung erweist sich gegenüber den Methoden exzeptionaler Stilauffassungen, die ihren Blick nur auf außergewöhnliche Sprachformen als Stilmittel in dichterischen Texten richten, als umfangreicher, aber auch intensiver. Die Extensivität dieser Methode erschwert allerdings die Untersuchung umfangreicher Texte. Der Stilforscher muß sich entscheiden, ob er eine umfassendere, in den Ergebnissen jedoch stärker summarische Analyse und Interpretation vornimmt oder sich mit einer exemplarischen statarischen und systematisierenden Untersuchung kleiner Textabschnitte begnügt. Sofern die Stileigenheiten des Textes

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