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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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Der Geruch von Parfüm. Schmuck. Das Gesprüh von Diamanten. Vor ein paar Stunden hatte man im »Maxime« gegessen, lächerlich billig in Dollars, mit einem Corton 29 dazu und einem Pol Roger 28 als Abschluß; jetzt das Schi , man würde an der Bar sitzen, Backgammon spielen, ein paar Whiskys trinken – und vor den Konsulaten die langen, ho nungslosen Menschenreihen, der Geruch der Todesangst wie eine Wolke darüber, ein paar überarbeitete Angestellte, das Standgericht eines kleinen Sekretärs, der immer wieder den Kopf schüttelte – »Nein, keinVisa,nein,unmöglich«,die schweigendeVerurteilung schweigender Schuldloser – Ravic starrte auf das Schi , das kein Schi mehr war, eine leichte Arche, die sich anschickte, vor der Sintflut davonzugleiten, der Sintflut, der man einmal entkommen war und die sich jetzt anschickte, einen einzuholen.

»Es wird Zeit für Sie, Kate.« »Wird es? Adieu, Ravic.« »Adieu, Kate.«

»Wir brauchen uns nichts vorzulügen, wie?« »Nein.«

»Kommen Sie bald nach …« »Sicher, Kate. Bald …«

»Adieu, Ravic. Danke für alles. Ich werde jetzt gehen. Ich werde da hinaufgehen und winken. Bleiben Sie hier, bis das Schi fährt, und winken Sie mir.«

»Gut, Kate.«

Sie ging langsam die Gangway hinauf. Ihre Gestalt schwankte ganz wenig. Ihre Gestalt, schmaler als alle neben ihr, rein in der Struktur, fast ohne Fleisch, hatte die schwarze Eleganz sicheren Todes. Ihr Gesicht war kühn, wie der Kopf einer ägyptischen Bronzekatze – nur noch Linie, Atem und Augen.

Die letzten Fahrgäste. Ein Jude, schweißüberströmt, einen Pelzmantel über dem Arm, fast hysterisch, mit zwei Gepäckträgern, schreiend, laufend. Die letzten Amerikaner. Dann die Gangway, die langsam eingezogen wurde. Ein sonderbares Gefühl.Eingezogen,unwiderruflich.Das Ende. Ein schmaler Streifen Wasser. Die Grenze. Zwei MeterWasser nur – aber die Grenze zwischen Europa und Amerika. Zwischen Rettung und Untergang.

Ravic suchte nach Kate Hegström. Er fand sie bald. Sie stand an der Reling und winkte. Er winkte zurück.

Das Schi schien sich zu bewegen.Das Land schien sich zurückzuziehen.Wenig.Kaum merkbar.Und plötzlich war das weiße Schi frei.Es schwebte auf dem dunklenWasser, vor dem dunklen Himmel, unerreichbar. Kate Hegström war nicht mehr zu erkennen, und die Zurückbleibenden sahen sich schweigend und verlegen oder mit falscher Fröhlichkeit an und gingen eilig oder zögernd fort.

Der Wagen fuhr durch den Abend zurück nach Paris. Die Hecken und Obstbaumgärten der Normandie flogen vorüber.Der Mond hing oval und groß am nebligen Himmel. Das Schi war vergessen. Nur noch die Landschaft,

der Geruch nach Heu und reifen Äpfeln, die Stille und die tiefe Ruhe des Unabänderlichen.

Der Wagen fuhr fast lautlos. Er fuhr, als hätte die Schwerkraft keine Macht über ihn.Häuser glitten vorüber, Kirchen, Dörfer, die goldenen Flecken der Estaminets und Bistros, ein blinkender Flußlauf, eine Mühle, und dann wieder die falsche Kontur der Ebene, über die der Himmel sich wölbte wie die Innenseite einer riesenhaften Muschel, in deren milchigem Perlmutter die Perle des Mondes schimmerte.

Es war ein Ende und eine Erfüllung. Ravic hatte es schon einige Male vorher empfunden; aber jetzt kam es ganz,sehr stark und unentrinnbar,es durchdrang ihn,und nichts widerstrebte mehr.

Alles war schwebend und ohne Gewicht. Zukunft und Vergangenheit begegneten sich, und beide waren ohne Wünsche und Schmerzen. Nichts war wichtiger und stärker als das andere.Die Horizonte waren im Gleichgewicht, und für einen sonderbaren Augenblick waren die Schalen des Daseins gleich. Das Schicksal war nie stärker als der gelassene Mut, den man ihm entgegensetzte.Wenn es unerträglich werden würde, konnte man sich töten. Es war gut, das zu wissen, aber es war auch gut zu wissen, daß nie etwas verloren war, solange man noch lebte.

Ravic kannte die Gefahr. Er wußte, wohin er ging, und er wußte auch, daß er sich morgen wieder wehren würde

– aber in dieser Nacht, in dieser Stunde der Rückkehr von

der Küste eines verlorenen Ararats in den Blutgeruch der kommenden Zerstörung war plötzlich alles ohne Namen; Gefahr war Gefahr und doch nicht Gefahr; Schicksal war Opfer und Gottheit, der man opferte, zugleich. Und das Morgen war eine unbekannte Welt.

Es war alles gut. Das, was gewesen war, und das, was kam. Es war genug. Wenn es das Ende sein würde, so war es gut. Er hatte einen Menschen geliebt und ihn verloren. Er hatte einen andern gehaßt und ihn getötet. Beide hatten ihn befreit. Der eine hatte sein Gefühl wieder aufbrechen lassen, der andere seine Vergangenheit ausgelöscht. Es war nichts zurückgeblieben, was unerfüllt war. Es war kein Wunsch mehr da; kein Haß und keine Klage. Wenn es ein neues Beginnen war, so war es das. Ohne Erwartung, die gestärkt und nicht zerrissen war, würde man anfangen. Die Aschen waren ausgeräumt, paralysierte Stellen lebten wieder, aus Zynismus war Stärke geworden. Es war gut.

Hinter Caën kamen die Pferde. Lange Kolonnen in der Nacht, Pferde, Pferde, schattenhaft im Mondlicht. Und dannViererkolonnen,Männer mit Bündeln,Pappkartons, Paketen. Der Beginn der Mobilisation.

Sie waren fast geräuschlos. Niemand sang. Kaum jemand sprach. Sie zogen schweigend durch die Nacht, Kolonnen von Schatten, an der rechten Seite der Straße, um Raum zu lassen für die Wagen.

Ravic passierte eine nach der andern. Pferde, dachte er. Pferde. Wie 1914. Keine Tanks. Pferde.

Er hielt an einer Benzinstation und ließ den Wagen nachfüllen. Der kleine Ort hatte noch Licht in den Fenstern, aber er war fast verstummt. Eine Kolonne zog hindurch. Die Leute starrten ihr nach. Sie winkten nicht.

»Ich gehe morgen«, sagte der Mann an der Tankstelle. Er hatte ein klares, bäuerliches, braunes Gesicht. »Mein Vater fiel im letzten Krieg. Mein Großvater 1871. Ich gehe morgen. Es ist immer dasselbe. Seit ein paar hundert Jahren machen wir das nun schon. Und es nützt nichts, wir müssen wieder gehen.«

Er umfaßte mit einem Blick die schäbige Pumpe, das kleine Haus und die Frau, die schweigend neben ihm stand. »Achtundzwanzig Frank dreißig, mein Herr.«

Die Landschaft wieder. Der Mond. Lieux. Evreux. Kolonnen. Pferde. Schweigen. Ravic hielt vor einem kleinen Restaurant. Draußen standen zwei Tische. Die Wirtin erklärte, sie habe nichts mehr zu essen da. Ein Abendessen war ein Abendessen, immer noch, trotz allem; und in Frankreich war ein Omelette mit Käse kein Abendessen. Schließlich ließ er sich doch überzeugen und hatte auch noch einen Salat dazu und Ka ee und eine Kara e Vin ordinaire.

Ravic saß allein vor dem rosa Haus und aß. Über den Wiesen zog der Nebel. Ein paar Frösche quakten. Es war sehr still,nur aus dem oberen Stockwerk des Hauses klang

ein Lautsprecher.Eine Stimme,beruhigend,zuversichtlich, ho nungslos und gänzlich überflüssig.Jeder lauschte und niemand glaubte ihr.

Er zahlte. »Paris wird verdunkelt«, sagte die Wirtin. »Es war gerade im Radio.«

»Ja. Gegen Flugzeugangri e. Zur Vorsicht. Im Radio sagen sie, alles sei nur zur Vorsicht. Es gäbe keinen Krieg. Man sei am Verhandeln. Was denken Sie?«

»Ich glaube nicht,daß es Krieg gibt.« Ravic wußte nicht, was er sonst antworten sollte.

»Gott gebe es.Aber was nützt es schon? Die Deutschen werden Polen nehmen.Dann werden sie Elsaß-Lothringen verlangen. Dann Kolonien. Dann etwas anderes. Immer mehr,bis wir uns ergeben oder Krieg machen müssen.Da ist es wohl schon besser, gleich.«

Die Wirtin ging langsam ins Haus zurück. Eine neue Kolonne kam die Straße hinunter.

Der rote Schein von Paris am Horizont. Verdunkelt

– Paris würde verdunkelt werden. Es war natürlich, aber es klang sonderbar: Paris verdunkelt. Paris.Als würde das Licht der Welt verdunkelt.

Die Vorstadt.Die Seine.Das Gebrodel der kleinen Straßen. Schwingend die Avenue, die gerade auf den Arc de Triomphe zuführt,der bleich und noch bestrahlt im nebligen Licht des Etoiles sich hob,und hinter ihm,immer noch schimmernd in vollem Glanz, die Champs-Elysées.

Ravic atmete auf. Er fuhr hindurch. Er fuhr durch die

Stadt, und dann sah er es plötzlich: Die Dunkelheit hatte schon angefangen, sich auf sie zu senken. Wie räudige Stellen in einem glänzenden Fell sprangen hier und da Flecken kranker Finsternis hervor. Das bunte Spiel der Lichtreklamen war an einigen Stellen zerfressen von langen Schatten, die drohend zwischen den wenigen ängstlichen Rot und Weiß und Blau und Grün hockten.Einzelne Straßen lagen schon blind da,als wären schwarzeWürmer durchgekrochen und hätten allen Glanz zerdrückt. Die Avenue George V. hatte kein Licht mehr; in der Avenue Montaigne starb es gerade; Gebäude,die nachts Kaskaden von Licht gegen die Sterne geworfen hatten, starrten jetzt mit kahlen, grauen Fronten. Die eine Hälfte der Avenue Victor Emanuel III. war erloschen; die andere stand noch hell da – wie ein paralysierter Körper in Agonie, halb schon tot, halb noch voll Leben. Die Krankheit sickerte überall durch, und als Ravic zum Place de la Concorde zurückkam, war auch dessen weites Rund inzwischen gestorben.

Die Ministerien lagen blaß und farblos, die Lichtketten waren verschwunden, die tanzenden Tritonen und Nereiden der weißen Schaumnächte waren auf ihren Delphinen erstarrt zu grauen, formlosen Klumpen; die Springbrunnen waren verödet, die fließenden Wasser verfinstert, und bleiern ragte der einst leuchtende Obelisk wie ein drohender, mächtiger Finger der Ewigkeit in den sich verdunkelnden Himmel, und überall krochen

wie Mikroben die kleinen, fahlblauen, kaum sichtbaren elektrischen Bahnen des Luftschutzdienstes hervor und verbreiteten sich,faulig schim-mernd,wie eine kosmische Tuberkulose über die lautlos niederbrechende Stadt.

Ravic lieferte den Wagen ab. Er nahm ein Taxi und fuhr zum »International«.Vor der Tür stand der Sohn der Wirtin auf einer Leiter. Er schraubte eine blaue Birne ein. Die Beleuchtung des Einganges war immer so stark gewesen, um gerade das Schild zu erkennen; jetzt aber reichte das bißchen blauer Schein nicht mehr aus; es verfehlte die erste Hälfte – blaß konnte man nur noch das Wort »national« erkennen, und das auch nur mit Mühe.

»Gut, daß Sie kommen«, sagte die Wirtin. »Da ist eine verrückt geworden. In Nummer sieben. Am besten, sie kommt aus dem Haus. Ich kann keine Verrückten im Hotel haben.«

»Vielleicht ist sie nicht verrückt, hat nur einen Nervenkollaps.«

»Ganz egal! Verrückte gehören in ein Asyl. Ich habe es ihnen schon gesagt.Sie wollen natürlich nicht.Was man für Scherereien hat!Wenn sie nicht ruhig wird,muß sie heraus. Es geht nicht. Die anderen Gäste müssen schlafen.«

»Kürzlich ist jemand im Ritz verrückt geworden«,sagte Ravic. »Ein Prinz. Alle Amerikaner wollten später eine Suite haben.«

»Das ist etwas anderes. Das ist verrückt aus follie. Das ist elegant. Nicht verrückt aus Not.«

Ravic sah sie an. »Sie verstehen das Leben, Madame.« »Das muß ich. Ich bin ein guter Mensch. Ich habe die Refugiés aufgenommen.Alle.Gut.Ich habe daran verdient. Mäßig. Aber eine Verrückte, die schreit, das ist zuviel. Sie

muß ’raus, wenn sie nicht ruhig wird.«

Es war die Frau, deren Junge gefragt hatte, weshalb er Jude sei. Sie saß auf dem Bett, ganz in die Ecke gedrückt, die Hände vor denAugen.Das Zimmer war hell erleuchtet. Alle Birnen brannten, und auf dem Tisch standen noch zwei Leuchter mit Kerzen.

»Kakerlaken«,murmeltedieFrau.»Kakerlaken!Schwarze, dicke,glänzende Kakerlaken! Da in den Ecken,da sitzen sie, Tausende,Unzählige,macht Licht,macht Licht,Licht,sonst kommen sie, Licht, Licht, sie kommen, sie kommen …« Sie schrie und preßte sich in die Ecke, die Beine hoch angezogen, die Hände von sich gespreizt, die Augen glasig und aufgerissen. Der Mann versuchte ihre Hände zu greifen. »Da ist doch nichts, Mamme, nichts in den

Ecken …«

»Licht! Licht! Sie kommen! Kakerlaken …«

»Wir haben Licht, Mamme. Da ist doch Licht, sieh nur, sogar Kerzen auf dem Tisch!« Er holte eine Taschenlampe hervor und leuchtete damit in die hellen Ecken des hellen Zimmers.»Nichts ist in den Ecken,da sieh,wie ich leuchte, nichts ist da, nichts .,.«

»Kakerlaken! Kakerlaken! Sie kommen,alles ist schwarz von Kakerlaken!Aus allen Ecken kriechen sie! Licht! Licht!

Die Wände hinauf kriechen sie, sie fallen schon von der Decke!«

Die Frau röchelte und hob die Arme über den Kopf. »Wie lange geht das schon?« fragte Ravic den Mann.

»Seit es dunkel ist. Ich war weg.Versuchte noch einmal, man hatte mir gesagt, beim Konsul von Haiti, ich nahm den Jungen mit, es war nichts, wieder nichts, und als wir zurückkamen, saß sie da in der Ecke auf dem Bett und schrie …«

Ravic hatte die Spritze fertig. »Hatte sie vorher geschlafen?«

Der Mann sah ihn hilflos an. »Ich weiß nicht. Sie war immer ruhig. Wir haben kein Geld für eine Anstalt. Wir haben auch keine … unsere Papiere sind nicht genug. Wenn sie nur aufhören wollte. Mamme, es ist doch alles da, ich bin da, Siegfried ist da, der Doktor ist da, keine Kakerlaken sind da …«

»Kakerlaken!« unterbrach die Frau. »Von allen Seiten! Sie kriechen! Kriechen …«

Ravic machte die Spritze. »Hat sie irgendwann schon einmal so etwas gehabt?«

»Nein. Ich verstehe es nicht. Ich weiß nicht, warum sie gerade von …«

Ravic hob die Hand. »Erinnern Sie sie nicht daran. Sie wird in ein paar Minuten müde werden und einschlafen. Es kann sein, daß sie geträumt hat davon – und aufgeschreckt ist. Sie wird vielleicht morgen aufwachen und

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