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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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oder nichts mehr weiß. – Was ich jetzt sage, gilt. Nachher … versprich es mir.«

»Ich verspreche es dir. Es wird nicht nötig sein.«

Der ängstliche Ausdruck verschwand.Sie lag auf einmal friedlich da.»Du kannst es tun,Ravic«,flüsterte sie.»Ohne dich … wäre ich ja nicht mehr am Leben.«

»Unsinn. Natürlich wärest du …«

»Nein. Ich wollte damals … als du mich zuerst … ich wußte nicht mehr, wohin … du hast mir dieses Jahr gegeben. Es war … geschenkte Zeit.« Sie wendete den Kopf langsam zu ihm. »Warum bin ich nicht bei dir geblieben?«

»Das war meine Schuld, Joan.« »Nein. Es war … ich weiß es nicht…«

Der Mittag stand golden vor dem Fenster. Die Vorhänge waren zugezogen, aber das Licht drang an den Seiten durch. Joan lag im Halbschlaf der Drogen. Es war noch wenig von ihr da. Die paar Stunden hatten wie Wölfe an ihr gefressen. Der Körper schien flacher unter der Decke zu werden. Sein Widerstand schmolz. Sie trieb zwischen Schlafen und Wachen, manchmal war sie fast bewußtlos, manchmal ganz klar. Die Schmerzen wurden stärker. Sie begann zu stöhnen.Ravic gab ihr eine Spritze.»Der Kopf«, murmelte sie. »Es wird schlimmer.«

Nach einiger Zeit begann sie wieder zu sprechen. »Das Licht … zu viel Licht … es brennt…«

Ravic ging zum Fenster. Er fand einen Rolladen und

ließ ihn herunter. Darüber zog er die Vorhänge fest. Das Zimmer war jetzt fast dunkel. Er ging und setzte sich neben das Bett.

Joan bewegte die Lippen. »Es dauert … so lange … es hilft nicht mehr, Ravic …«

»In ein paar Minuten.«

Sie lag still. Die Hände lagen tot auf der Decke. »Ich muß dir … vieles … sagen …«

»Später, Joan …«

»Nein. Jetzt … ist keine Zeit mehr. Vieles … erklären …«

»Ich glaube, ich weiß das meiste, Joan …« »Du weißt es?«

»Ich glaube.«

Die Wellen. Ravic konnte sehen, wie die Wellen der Krämpfe durch sie gingen. Beide Beine waren jetzt paralysiert. Die Arme auch schon. Die Brust hob sich noch.

»Du weißt … daß ich immer nur mit dir …« »Ja, Joan …«

»Das andere war nur … Unruhe …« »Ja, ich weiß es …«

Sie lag eine Weile. Sie atmete mühsam. »Sonderbar …«, sagte sie dann sehr leise. »Sonderbar …, daß man sterben kann … wenn man liebt …«

Ravic beugte sich über sie.Da war nur noch Dunkelheit und das Gesicht. »Ich war nicht gut … für dich«, flüsterte sie.

»Du warst mein Leben …«

»Ich kann … ich will … meine Hände … kann nie mehr … dich umarmen …«

Er sah,wie sie sich anstrengte,ihre Arme zu heben.»Du bist in meinen Armen«, sagte er. »Und ich in deinen.«

Sie hörte einen Augenblick auf zu atmen. Ihre Augen waren ganz im Schatten. Sie ö nete sie. Die Pupillen waren sehr groß. Ravic wußte nicht, ob sie ihn sah. »Ti amo«, sagte sie.

Sie sprach die Sprache ihrer Kindheit. Sie war zu müde für das andere. Ravic nahm ihre leblosen Hände. Etwas zerriß in ihm. »Du hast mich leben gemacht, Joan«, sagte er in das Gesicht mit den starren Augen hinein. »Du hast mich leben gemacht. Ich war nichts als ein Stein. Du hast gemacht, daß ich lebe…«

»Mi ami?«

Es war die Frage eines Kindes, das sich schlafen legen will. Es war die letzte Müdigkeit hinter allen andern.

»Joan«, sagte Ravic. »Liebe ist kein Wort dafür. Es ist nicht genug. Es ist nur ein geringer Teil, es ist nur ein Tropfen in einem Fluß, ein Blatt an einem Baum. Es ist so viel mehr …«

»Sono stata … sempre con te …«

Ravic hielt ihre Hände, die seine Hände nicht mehr fühlten. »Du warst immer mit mir«, sagte er und merkte nicht, daß er plötzlich deutsch sprach. »Du warst immer mit mir, ob ich dich liebte, ob ich dich haßte oder gleich-

gültig schien – es änderte nie etwas, du warst immer mit mir und immer in mir …«

Sie hatten immer nur in einer geborgten Sprache miteinander gesprochen. Jetzt, zum erstenmal, sprach jeder, ohne es zu wissen,in seiner.Die Barrieren derWorte fielen, und sie verstanden sich mehr als je.

»Baciami …«

Er küßte die heißen,trockenen Lippen.»Du bist immer mit mir gewesen, Joan … immer …«

»Sono stata … perduta … senza di te …«

»Ich war verlassener ohne dich.Du warst alle Helligkeit und das Süße und das Bittere – du hast mich geschüttelt, und du hast mir dich und mich gegeben. Du hast mich leben gemacht.«

Joan lag ein paar Minuten ganz still. Ravic beobachtete sie.

Die Glieder waren tot,alles war tot,nur noch die Augen lebten und der Mund und der Atem,und er wußte,daß die Hilfsmuskeln der Atmung jetzt langsam von der Lähmung erfaßt würden; sie konnte kaum noch sprechen,sie keuchte bereits, ihre Zähne knirschten, ihr Gesicht verzerrte sich, sie kämpfte. Ihr Hals war gekrampft, sie versuchte noch zu sprechen, die Lippen zitterten. Röcheln, tiefes, grauenvolles Röcheln; endlich brach der Schrei durch. »Ravic«, stammelte sie. »Hilf … Hilf … Jetzt!«

Er hatte die Spritze vorbereitet gehabt. Rasch nahm er sie und stach sie unter die Haut. Sie sollte nicht langsam,

qualvoll lange und mit immer weniger und weniger Luft ersticken. Sie sollte nicht sinnlos leiden. Da war nur noch Schmerz vor ihr. Nichts als Schmerz. Vielleicht für Stunden …

Die Augenlider zitterten. Dann wurde sie ruhig. Die Lippen gaben nach. Der Atem wurde still.

Er zog die Vorhänge zurück und rollte die Jalousie auf. Dann ging er zum Bett zurück. Joans Gesicht war erstarrt und fremd.

Er schloß die Tür und ging zum Büro. Eugenie saß an einem Tisch mit Krankenblättern. »Der Patient in zwölf ist tot«, sagte er.

Eugenie nickte, ohne aufzusehen.

»Ist Doktor Veber in seinem Zimmer?« »Ich glaube.«

Ravic ging den Korridor entlang. Einige Türen standen o en. Er ging weiter zu Vebers Zimmer.

»Nummer zwölf ist tot, Veber. Sie können die Polizei anrufen.«

Veber sah nicht auf. »Die Polizei hat mehr zu tun jetzt.«

»Was?«

Veber wies auf eine Extraausgabe des »Matin«. Deutsche Truppen waren in Polen eingebrochen. »Ich habe Nachrichten vom Ministerium.Der Krieg wird noch heute erklärt werden.«

Ravic legte das Blatt zurück.

»Das ist es, Veber.«

»Ja. Das ist das Ende. Armes Frankreich.«

Ravic saß eine Weile. Alles war leer. »Es ist mehr als Frankreich, Veber«, sagte er dann.

Veber starrte ihn an. »Für mich ist es Frankreich. Das ist genug.«

Ravic antwortete nicht. »Was werden Sie machen?« fragte er nach einer Weile.

»Ich weiß nicht. Ich werde wohl zu meinem Regiment gehen. Das hier …«, er machte eine vage Geste. »Jemand wird es übernehmen müssen.«

»Sie werden es behalten. Im Krieg braucht man Hospitäler. Man wird Sie hierlassen.«

»Ich will nicht hierbleiben.«

Ravic sah sich um.»Dies wird mein letzter Tag hier sein. Ich glaube, es ist alles in Ordnung. Der Gebärmutterfall heilt; die Gallenblase ist in Ordnung; der Krebs ist aussichtslos; weitere Operation zwecklos. Das ist das.«

»Warum?« fragte Veber müde. »Warum ist das Ihr letzter Tag?«

»Man wird uns festnehmen, sobald der Krieg erklärt ist.« Ravic sah, daß Veber etwas sagen wollte. »Wir wollen nicht argumentieren darüber. Es ist notwendig. Man wird es tun.«

Veber setzte sich in seinen Stuhl.»Ich weiß nichts mehr. Vielleicht. Vielleicht wird man auch nicht kämpfen. Das Land so übergeben. Man weiß nichts mehr.«

Ravic stand auf. »Ich komme abends wieder, wenn ich noch da bin. Um acht.«

»Ja.«

Ravic ging. Im Vorzimmer fand er den Schauspieler. Er hatte ihn völlig vergessen gehabt. Der Mann sprang auf. »Was ist mit ihr?«

»Sie ist tot.«

Der Mann starrte ihn an. »Tot?« Er gri mit einer tragischen Bewegung nach seinem Herzen und taumelte. Verdammter Komödiant, dachte Ravic. Er hatte wohl so etwas Ähnliches gespielt, daß er in eine Rolle zurückfiel, als es ihm selbst passierte. Aber vielleicht war er auch ehrlich, und die Gesten seines Berufes umfl atterten nur albern seinen wirklichen Schmerz. »Kann ich sie sehen?«

»Wozu?«

»Ich muß sie noch einmal sehen.« Der Mann preßte beide Hände gegen seine Brust. In den Händen hielt er einen hellbraunen Homburghut mit Seidenkante. »Verstehen Sie doch! Ich muß …«

Er hatte Tränen in den Augen. »Hören Sie«, sagte Ravic ungeduldig. »Es ist besser, Sie verschwinden. Die Frau ist tot, und nichts ändert mehr daran. Machen Sie Ihre Sache mit sich selbst ab. Scheren Sie sich zum Teufel! Kein Mensch ist interessiert daran, ob Sie ein Jahr Gefängnis bekommen oder dramatisch freigesprochen werden. In ein paar Jahren werden Sie ohnehin damit herumprotzen

und sich vor anderen Frauen damit wichtig machen, um sie zu bekommen. Raus – Sie Idiot!«

Er gab ihm einen Stoß zur Tür hin. Der Mann zögerte einen Moment.An der Tür drehte er sich um. »Sie gefühlloses Biest! Sale boche!«

Die Straßen waren voll mit Menschen. Zu Trauben gedrängt standen sie vor den großen,laufenden Leuchtanzeigen der Zeitungen.Ravic fuhr zum Jardin du Luxembourg. Er wollte ein paar Stunden allein sein, bevor man ihn verhaftete. – Der Garten war leer. Er lag im warmen Licht des vollen Spätsommernachmittags.Die Bäume hatten eine ersteAhnung vom Herbst – nicht vom Herbst desWelkens, sondern vom Herbst des Reifens. Das Licht war Gold und das Blau eine letzte, seidene Fahne des Sommers.

Ravic saß lange da. Er sah das Licht wechseln und die Schatten länger werden. Er wußte, es waren die letzten Stunden, die er frei sein würde. Die Wirtin des »International« konnte niemand mehr decken, wenn Krieg erklärt würde. Er dachte an Rolande.Auch Rolande nicht. Niemand. Zu versuchen, jetzt weiter zu fliehen, hieße als Spion verhaftet zu werden.

Er saß bis zum Abend. Er war nicht traurig. Gesichter zogen an ihm vorbei, Gesichter und Jahre. Und dann das letzte, erstarrte Gesicht.

Um sieben Uhr ging er. Er verließ den letzten Rest Frieden, den eindunkelnden Park, und wußte es. Wenige Schritte die Straße aufwärts sah er die Extrablätter.

Der Krieg war erklärt.

Er saß in einem Bistro, das kein Radio hatte. Dann ging er zur Klinik zurück. Veber kam ihm entgegen. »Können Sie noch einen Kaiserschnitt machen? Wir haben jemand eingeliefert bekommen.«

»Natürlich.«

Er ging, sich umzuziehen. Eugenie begegnete ihm. Sie stutzte, als sie ihn sah. »Sie haben mich wohl nicht mehr erwartet?« sagte er.

»Nein«, sagte sie und sah ihn sonderbar an. Dann ging sie rasch an ihm vorbei.

Der Kaiserschnitt war eine einfache Sache.Ravic machte ihn fast gedankenlos. Einige Male fühlte er den Blick Eugenies auf sich. Er wunderte sich, was sie hatte.

Das Kind quäkte.Es wurde gewaschen.Ravic blickte auf das rote, schreiende Gesicht und die winzigen Finger.Wir kommen nicht mit einem Lächeln auf die Welt, dachte er. Er gab es weiter an die Hilfsschwester. Es war ein Knabe. »Wer weiß, für was für einen Krieg er zurechtkommt!« sagte er.

Er wusch sich.Veber wusch sich neben ihm. »Wenn es wahr sein sollte, daß Sie verhaftet werden, Ravic, wollen Sie es mich sofort wissen lassen, wo Sie sind?«

»Warum wollen Sie in Schwierigkeiten kommen,Veber? Es ist besser jetzt, Leute meiner Art nicht zu kennen.«

»Warum? Weil Sie Deutscher waren? Sie sind ein Refugié.«

Ravic lächelte trübe. »Wissen Sie nicht, daß Refugiés immer der Stein zwischen Steinen sind? Für ihr Geburtsland sind sie Verräter und für das Ausland immer noch Angehörige ihres Geburtslandes.«

»Das ist mir gleichgültig. Ich will, daß Sie so schnell herauskommen wie möglich.Wollen Sie mich als Referenz angeben?«

»Wenn Sie wollen.«

Ravic wußte, daß er es nicht tun werde.

»Für einen Arzt ist überall etwas zu tun.« Ravic trocknete sich ab. »Wollen Sie mir einen Gefallen tun? Für das Begräbnis von Joan Madou zu sorgen? Ich werde keine Zeit mehr dafür haben.«

»Natürlich. Ist sonst noch etwas zu ordnen? Hinterlassenschaft oder so etwas?«

»Das kann man der Polizei überlassen. Ich weiß nicht, ob sie Verwandte irgendwo hat. Das ist auch gleichgültig.«

Er zog sich an.

»Adieu, Veber. Es war eine gute Zeit mit Ihnen.« »Adieu, Ravic. Wir müssen noch den Kaiserschnitt

verrechnen.«

»Verrechnen wir auf das Begräbnis. Es wird ohnehin mehr kosten. Ich möchte Ihnen das Geld dafür hierlassen.«

»Ausgeschlossen.Ausgeschlossen,Ravic.Wo wollen Sie, daß sie begraben wird?«

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