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Remarque, Erich Maria - Arc de Triomphe

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08.06.2015
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Das verschmierte Gesicht lächelte. Der Clown grinste, die Hure lächelte mühsam.

»Bebée, ich wollte nicht …«, sagte der Mann von der Tür.

»’raus«, sagte Ravic. »Verdammt, so gehen Sie doch!« Joan lag eine Weile still. Dann ö nete sie die Augen. »Er ist ein Idiot«, sagte sie überraschend klar. »Natürlich wollte er es nicht – das arme Lamm –, wollte nur großtun.« Ein sonderbarer, fast verschmitzter Ausdruck kam in ihre Augen. »Ich habe es auch nie geglaubt – habe ihn

… geärgert damit …«

»Du mußt nicht sprechen.«

»Geärgert.« Die Augen schlossen sich zu einem Spalt. »Das bin ich nun, Ravic … mein Leben … wollte nicht tre en … trifft… und …«

Die Augen schlossen sich ganz. Das Lächeln erlosch. Ravic horchte nach der Tür.

»Wir können die Bahre nicht in den Aufzug ’reinbringen. Er ist zu schmal. Höchstens halb stehend.«

»Können Sie sie um die Treppenaufsätze herumbringen?«

Der Träger ging hinaus. »Vielleicht. Wir müssen sie hoch anheben. Besser, wir schnallen sie fest.«

Sie schnallten sie fest. Joan schlief halb. Manchmal stöhnte sie. Die Träger verließen die Wohnung.

»Haben Sie einen Schlüssel?« fragte Ravic den Schauspieler.

»Ich … nein … warum?«

»Um die Wohnung abzuschließen.« »Nein. Aber da ist ein Schlüssel irgendwo.«

»Suchen Sie ihn und schließen Sie ab.« Die Träger arbeiteten am ersten Treppenaufsatz. »Nehmen Sie den Revolver mit heraus. Sie können ihn draußen wegwerfen.« »Ich … ich werde … mich der Polizei stellen. Ist sie

gefährlich verletzt?« »Ja.«

Der Mann begann zu schwitzen. Das Wasser drang so plötzlich durch seine Poren, als wäre unter seiner Haut nichts anderes.

Er ging in die Wohnung zurück.

Ravic folgte den Trägern mit der Bahre. Das Haus hatte eine elektrische Beleuchtung,die nur drei Minuten anhielt und dann erlosch.Auf jeder Etage befand sich ein Knopf, um sie wieder in Betrieb zu setzen. Die Träger kamen die halben Treppen ziemlich gut hinunter. Die Drehungen waren schwierig.Sie mußten die Bahre hoch über die Köpfe und über das Geländer heben, um herumzukommen. Die Schatten schwankten riesig an den Wänden. Wann war das nur so gewesen? Irgendwo war das schon einmal so gewesen – dachte Ravic verstört. Dann fiel es ihm ein. Mit Raczinsky, damals im Anfang.

Türen ö neten sich, während die Träger sich zuriefen und die Bahre Stücke Mörtel aus den Wänden riß. Neugierige Gesichter erschienen in den Spalten,Pyjamas,zer-

zauste Haare, aufgequollene Schlafgesichter, Schlafröcke, purpurn, giftgrün, mit tropisehen Blumen …

Das Licht erlosch wieder. Die Träger knurrten in der Dunkelheit und hielten inne. »Licht!«

Ravic suchte nach dem Knopf. Er faßte in eine Brust, roch einen faulen Atem, etwas strich um seine Beine. Das Licht flammte wieder auf. Eine Frau mit gelben Haaren starrte ihn an. Ihr Gesicht hing in fettigen Falten, Coldcream glänzte, und mit der Hand hielt sie einen Crêpe- de-Chine-Morgenrock mit tausend koketten Rüschen zusammen.Sie sah aus wie eine fettige Bulldogge in einem Spitzenbett. »Tot?« fragte sie mit glitzernden Augen.

»Nein.« Ravic ging weiter. Etwas quietschte, fauchte. Eine Katze sprang zurück. »Fifi!« Die Frau bückte sich, die schweren Knie weit gespreizt. »Mein Gott, Fifi, hat man dich getreten?«

Ravic ging die Treppen hinunter. Unter ihm schwankte die Bahre.Er sah Joans Kopf,der sich mit den Bewegungen der Träger bewegte. Er konnte ihre Augen nicht sehen.

Der letzte Absatz. Das Licht erlosch wieder. Ravic lief die letzte Treppe wieder hinauf, den Knopf zu finden. In diesem Augenblick surrte der Aufzug, und hell erleuchtet in der Dunkelheit, als käme er vom Himmel, surrte der Fahrstuhl hernieder. In dem o enen, vergoldeten Drahtkorb stand der Schauspieler. Er glitt lautlos, unaufhaltsam hernieder, vorbei an Ravic, vorbei an der Bahre, wie eine Erscheinung. Er hatte den Fahrstuhl oben gefunden

und ihn benutzt, um schneller nachzukommen. Es war vernünftig, aber es wirkte geisterhaft und entsetzlich lächerlich.

Ravic blickte auf.Das Zittern war vorbei.Die Hände fühlten sich nicht mehr schweißig unter den Gummihandschuhen an. Er hatte sie zweimal gewechselt.

Veber stand ihm gegenüber. »Wenn Sie wollen, Ravic, rufen Sie Marteau herüber. Er kann in fünfzehn Minuten hier sein. Sie können assistieren, und er kann es machen.«

»Nein. Zu spät. Ich könnte es auch nicht. Zusehen noch weniger als dieses.«

Ravic holte Atem. Er war jetzt ruhig. Er begann zu arbeiten. Die Haut.Weiß. Haut wie jede, sagte er sich. Joans Haut. Haut wie jede.

Blut. Joans Blut. Blut wie jedes. Tupfer. Der gerissene Muskel. Tupfer. Vorsicht. Weiter. Ein Fetzen Silberbrokat. Fäden.Weiter.Der Wundkanal.Splitter.Weiter.Der Kanal, führend, führend …

Ravic fühlte seine Stirn leer werden. Er richtete sich langsam auf. »Da, sehen Sie – der siebente Wirbel …«

Veber beugte sich über die Wunde. »Das sieht schlecht aus.«

»Nicht schlecht. Ho nungslos. Da ist nichts zu tun.« Ravic sah auf seine Hände. Sie bewegten sich unter den Gummihandschuhen. Es waren starke Hände, gute Hän-

de, sie hatten Tausende Male geschnitten und zerrissene Körper wieder zusammengenäht; oft war es geglückt und manchmal nicht, und einige Male hatten sie fast Unmögliches möglich gemacht, die eine Chance unter hundert

– aber jetzt, jetzt, wo alles daran lag, waren sie hilflos. Er konnte nichts tun. Niemand konnte etwas tun. Hier

war nichts zu operieren. Er stand da und starrte auf die rote Ö nung.Er konnte Marteau anrufen lassen.Marteau würde dasselbe sagen.

»Ist nichts zu tun?« fragte Veber.

»Nichts. Ich würde es nur verkürzen. Schwächen. Sie sehen, wo das Geschoß sitzt. Ich kann es nicht einmal entfernen.«

»Puls flattert,steigt – hundertdreißig …«,sagte Eugenie hinter dem Schirm.

Die Wunde wurde einen Schatten grauer, als wehe ein Hauch Dunkelheit darüber.Ravic hatte die Ko einspritze schon in der Hand. »Coramin! Rasch! Aufhören mit der Narkose!«

Er machte die zweite Spritze. »Wie ist es jetzt?« »Unverändert.«

Das Blut hatte noch immer den bleiernen Schein. »Halten Sie eine Adrenalinspritze bereit und den Sauersto apparat!«

Das Blut wurde dunkler.Es war,als zögen draußenWolken und würfen ihre Schatten vorüber.Als stünde jemand vor den Fenstern und zöge die Vorhänge zu. »Blut«, sagte

Ravic verzweifeit. »Wir brauchen eine Blutübertragung. Aber ich weiß die Blutgruppe nicht.« Der Apparat begann wieder zu arbeiten. »Nichts? Was ist es? Nichts?«

»Puls fällt. Hundertzwanzig. Sehr weich.« Das Leben kam zurück. »Jetzt? Besser?« »Dasselbe.«

Er wartete. »Jetzt? Besser?« »Besser. Regelmäßiger.«

Die Schatten wichen. Die Wundränder verloren das Fahle. Das Blut war wieder Blut. Noch immer Blut. Der Apparat arbeitete.

»Augenlider flattern«, sagte Eugenie.

»Macht nichts. Kann aufwachen.« Ravic machte den Verband.

»Wie ist der Puls?« »Regelmäßiger.«

»Das war knapp«, sagte Veber.

Ravic fühlte einen Druck auf seinen Augenlidern. Es war Schweiß. Dicke Tropfen. Er richtete sich auf. Der Apparat surrte. »Lassen wir ihn noch.«

Er ging um den Tisch herum und stand dort eine Weile. Er dachte nicht. Er sah auf die Maschine und das Gesicht Joans. Es zuckte. Es war noch nicht tot.

»Der Schock«, sagte er zu Veber. »Hier ist eine Blutprobe.Wir müssen sie wegschicken.Wo können wir Blut bekommen?«

»Im amerikanischen Hospital.«

»Gut. Wir müssen es versuchen. Es wird nichts helfen. Nur etwas verlängern.« Er beobachtete die Maschine. »Müssen wir die Polizei benachrichtigen?«

»Ja«, sagte Veber. »Ich müßte. Sie werden dann zwei Beamte hier haben, die Sie vernehmen wollen. Wollen Sie das?«

»Nein.«

»Gut. Wir können das mittags noch überlegen.« »Genug, Eugenie«, sagte Ravic.

Die Schläfen hatten wieder etwas Farbe.Das graueWeiß eine Spur Rosa. Der Puls schlug regelmäßig, schwach und klar. »Wir können sie zurückbringen. Ich werde noch hierbleiben.«

Sie bewegte sich.Eine Hand bewegte sich.Die rechte Hand bewegte sich. Die linke bewegte sich nicht.

»Ravic«, sagte Joan. »Ja …«

»Hast du mich operiert?«

»Nein, Joan. Es war nicht nötig. Wir haben nur die Wunde saubergemacht.«

»Bleibst du hier?« »Ja …«

Sie schloß die Augen und schlief wieder ein. Ravic ging zur Tür. »Bringen Sie mir etwas Ka ee«, sagte er zu der Morgenschwester.

»Ka ee und Brötchen?«

»Nein. Nur Ka ee.«

Er ging zurück und ö nete das Fenster.Der Morgen stand rein und strahlend über den Dächern.Spatzen schilpten in den Regenrinnen.Ravic setzte sich auf die Fensterbank und rauchte. Er blies den Rauch aus dem Fenster.

Die Schwester kam mit dem Ka ee.Er stellte ihn neben sich und trank ihn und rauchte und sah aus dem Fenster. Wenn er aus dem hellen Morgen zurückblickte,schien das Zimmer dunkel. Er stand auf und schaute nach Joan. Sie schlief. Ihr Gesicht war abgewaschen und sehr blaß. Die Lippen waren kaum zu sehen.

Er nahm das Tablett mit der Kanne und der Tasse und trug es hinaus.Er stellte es auf einen Tisch im Korridor.Es roch draußen nach Bohnerwachs und Eiter.Die Schwester brachte einen Eimer mit alten Bandagen vorbei.Irgendwo summte ein Vakuumsauger.

Joan wurde unruhig.Sie würde bald wieder aufwachen. Aufwachen mit Schmerzen. Die Schmerzen würden sich steigern. Sie konnte noch ein paar Stunden leben und noch ein paar Tage. Die Schmerzen würden so werden, daß keine Spritzen mehr viel helfen konnten.

Ravic ging eine Spritze und Ampullen holen. Als er zurückkam, ö nete Joan die Augen. Er sah sie an.

»Kopfschmerzen«, murmelte sie.

Er wartete. Sie versuchte, den Kopf zu bewegen. Die Augenlider schienen schwer zu sein.Sie bewegte mühsam die Augenbälle.

»Das ist wie Blei …«

Sie wurde wacher. »Ich kann das nicht aushalten …« Er machte ihr die Spritze. »Es wird gleich besser wer-

den …«

»Vorhin hat es nicht so weh getan …« Sie bewegte den Kopf. »Ravic«, flüsterte sie, »ich will nicht leiden. Ich … versprich, daß ich nicht leiden werde … meine Großmutter … ich habe sie gesehen … ich will das nicht … und es half ihr nichts … versprich mir …«

»Ich verspreche es dir,Joan.Du wirst nicht viel Schmerzen haben. Fast keine …«

Sie biß die Zähne zusammen. »Hilft es bald?« »Ja – bald. In einigen Minuten …«

»Was ist … mit meinem Arm …?«

»Nichts. Du kannst ihn nicht bewegen. Es wird wiederkommen.«

»Und mein Bein … mein rechtes Bein …«

Sie versuchte es anzuziehen. Es rührte sich nicht. »Dasselbe, Joan. Tut nichts. Es kommt zurück.« Sie bewegte den Kopf.

»Ich wollte gerade anfangen … anders zu leben …«, flüsterte sie. Ravic erwiderte nichts. Es war nichts darauf zu erwidern. Vielleicht war es wahr. Wer wollte das nicht immer?

Sie bewegte wieder den Kopf, ruhelos, von einer Seite zur andern.Die monotone,mühevolle Stimme.»Gut – daß du kamst. Was wäre ohne dich geworden?«

»Ja …«

Dasselbe, dachte er ho nungslos. Dasselbe. Jeder Pfuscher wäre gut genug dazu gewesen. Jeder Pfuscher. Das einzige Mal, wo ich es gebraucht hätte, ist alles, was ich weiß und gelernt habe, umsonst. Jeder Groschendoktor hätte dasselbe tun können. Nichts.

Sie wußte es mittags. Er hatte ihr nichts gesagt, aber sie wußte es plötzlich. »Ich will kein Krüppel werden, Ravic. – Was ist mit meinen Beinen? Ich kann beide nicht mehr …«

»Nichts. Du wirst gehen können wie immer, wenn du wieder aufstehst.«

»Wenn ich wieder … aufstehe. Warum lügst du? Du brauchst nicht…«

»Ich lüge nicht, Joan.«

»Doch – du mußt. – Du sollst mich nur nicht liegenlassen … und ich bin nichts … als Schmerzen. Versprich mir das.«

»Ich verspreche es dir.«

»Wenn es zu stark wird,mußt du mir etwas geben.Meine Großmutter hat …fünf Tage gelegen …und geschrien. Ich will das nicht, Ravic.«

»Du wirst es nicht. Du wirst wenig Schmerzen haben.«

»Wenn es zu stark wird, mußt du mir genug geben. Genug für immer.Du mußt es tun – auch wenn ich nicht will

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